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Exkurs 1: Die kirchliche Lehre der sittlichen Erlaubtheit der natürlichen Empfängnisverhütung

Die Frage nach der Erlaubtheit der Nutzung der periodischen Enthaltsamkeit als Mittel der Empfängnisverhütung stellte sich erst nach der Entdeckung des weiblichen Zyklus, dessen biologische Bedeutung fast zeitgleich 1842 von Félix Pouchet und 1843 von Theodor Bischoff erkannt worden ist.26

Das Lehramt der Kirche hat die Nutzung der periodischen Enthaltsamkeit als Mittel der Geburtenregelung von Anfang an geduldet. Im Anschluss an die Enzyklika Arcanum divinae sapientiae (Über die christliche Ehe; 10. Februar 1880) von Leo XIII. beantwortete die Heilige Pönitentierie die Frage, ob es erlaubt sei, die Ehe nur an jenen Tagen zu vollziehen, an denen eine Empfängnis schwieriger ist, mit einem vorsichtigen Ja.27

50 Jahre nach Arcanum divinae sapientiae veröffentlichte Papst Pius XI. am 31. Dezember 1930 die Enzyklika Casti connubii mit dem Untertitel „über die christliche Ehe im Hinblick auf die gegenwärtigen Lebensbedingungen und Bedürfnisse von Familie und Gesellschaft und auf die diesbezüglich bestehenden Irrtümer und Missbräuche“. Darin reagierte er u. a. auch darauf, dass die anglikanischen Bischöfe auf der siebten Lambeth-Konferenz im selben Jahr die künstliche Empfängnisverhütung unter bestimmten Umständen als sittlich gerechtfertigt beurteilt hatten.28 Damit hatte die anglikanische Kirche die vorher mit der römisch-katholischen Kirche geteilte Position aufgegeben. Pius XI. hingegen verurteilte die gezielte Unfruchtbarmachung des ehelichen Aktes als widernatürlich, schändlich und innerlich unsittlich.29 Hingegen räumte er ein, dass Eheleute nicht gegen die Natur handeln, wenn sie von ihrem natürlichen Recht auf Beischlaf Gebrauch machen, auch wenn aufgrund gewisser natürlicher Umstände wie die der unfruchtbaren Zeiten keine Zeugung erfolgen kann.30

Pius XII. kam auf das Problem besonders in zwei Ansprachen im Jahre 1951 zu sprechen und bekräftigte die Lehre seines Vorgängers, d. h. die strikte Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung und die Zulassung der periodischen Enthaltsamkeit als Mittel der Geburtenregelung. Die erste Ansprache ist jene vom 29. Oktober an die Teilnehmerinnen des Kongresses der katholischen Hebammen Italiens über Mutterschaft und Geburtenregelung31, die zweite jene vom 26. November an die Teilnehmer des Kongresses des Fronte della Famiglia und der Vereinigung der kinderreichen Familien über die Heiligkeit des keimenden Lebens32.

Auf die sittliche Erlaubtheit der Verwendung von Mitteln, die empfängnisverhütend wirken, aus therapeutischen Zwecken ging Pius XII. in zwei weiteren Ansprachen ein, und zwar an die Teilnehmer des Kongresses der italienischen Gesellschaft für Urologie am 8. Juli 195333 und an jene des Kongresses der internationalen Gesellschaft für Hämatologie am 12. September 195834. Darin unterschied er den Gebrauch von Mitteln zu therapeutischen Zwecken, auch wenn sie empfängnisverhütende Wirkung haben, vom Gebrauch von Mitteln zu empfängnisverhütenden Zwecken. Die entscheidende Frage ist, so der Papst, die der „Intention der betreffenden Person“: „Wenn die Frau das Mittel nicht in der Absicht nimmt, damit die Ovulation zu unterbinden, sondern nur auf ärztliche Anordnung und als notwendiges Medikament zur Heilung einer Erkrankung des Uterus oder Organismus, so verursacht sie eine indirekte Sterilisation, die aber nach dem allgemeinen moraltheologischen Grundsatz der ‚Handlungen mit dem doppelten Effekt‘ erlaubt bleibt. Eine direkte Unfruchtbarmachung dagegen, die natürlich unerlaubt ist, wird dann vorgenommen, wenn die Ovulation gehemmt wird, um Uterus und Organismus vor den Folgen einer Schwangerschaft zu bewahren, die sie nicht ertragen können.“35 Daher, so Pius XII., bleibt jeder Gebrauch eines Mittels zum Zwecke der Empfängnisverhütung auch in jenen Fällen, in denen eine (neuerliche) Schwangerschaft eine Gesundheitsgefährdung der Frau bedeuten würde, sittlich unerlaubt, da der direkte Zweck der der Empfängnisverhinderung wäre.36

Die Bestätigung und öffentliche Bekanntmachung der Kommission durch Paul VI.

Paul VI. bestätigte die damals allerdings noch wenig repräsentative Kommission, die vom 3. bis 5. April 1964 zum zweiten Mal tagte37, beließ sie jedoch unter der Leitung des Staatssekretariates, was dem Einfluss des Heiligen Offiziums auf die Kommissionsdiskussionen klare Grenzen setzte. U. a. gehörten der Kommission inzwischen folgende Theologen an: Bernhard Häring38, Pierre de Locht, Jan Visser, Marcelino Zalba und Josef Fuchs39. Als Fachmann in demographischen Fragen wurde u. a. Bernardo Colombo, ein Bruder von Bischof Carlo Colombo, in die Kommission berufen.40 Bei der zweiten Sitzung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Häring und Fuchs, da Häring die traditionelle Lehre der Kirche, wonach die erste Zielsetzung des ehelichen Verkehrs die Zeugung von Nachkommen sei, unter Berufung auf die Ehelehre des hl. Alfons inzwischen offen in Frage stellte. Er argumentierte, dass die weit größere Anzahl von geschlechtlichen Vereinigungen schon rein biologisch gesehen unfruchtbar sei, sodass die Offenheit für die Fruchtbarkeit keine Frage des einzelnen ehelichen Aktes sei, sondern der ehelichen Liebe und Gemeinschaft als ganzer. Die Pille sei daher nicht deshalb abzulehnen, weil sie den einzelnen Akt unfruchtbar mache41, sondern im Sinne des Prinzips der Totalität sich gegen die eheliche Liebe als solche richte. Fuchs hielt dem entgegen, dass die Unfruchtbarmachung sehr wohl einen Eingriff in den ehelichen Akt darstelle, da der einzelne Akt auf die Zeugung hingeordnet sei, unabhängig davon, ob diese physiologisch möglich sei oder nicht. Überhaupt würde die neue Betonung von personaler Liebe in der Ehe die traditionelle kirchliche Ehelehre in Frage stellen.42 Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Kommission klar, dass die lehrmäßigen Fragen bezüglich der Geburtenregelung zu thematisieren waren.

Erst am 23. Juni 1964, zehn Tage nach der 3. Sitzung, die vom 13. bis 14. Juni stattfand (an der P. Häring übrigens nicht teilgenommen hatte)43, gab der Papst das Bestehen der Kommission öffentlich bekannt.44 Um diese Bekanntgabe vorzubereiten, hatte er der Kommission die Beantwortung von drei Fragen aufgetragen: (1) Welche Beziehung besteht zwischen den primären und den sekundären Ehezwecken? (2) Welche sind die wichtigsten Verantwortlichkeiten von Ehepaaren? (3) Welcher Bezug besteht zwischen dem biologischen Rhythmus der Frau und der Pille zur verantworteten Elternschaft? Zwar waren sich die Kommissionsmitglieder einig in der Frage der sittlichen Erlaubtheit der natürlichen Familienplanung, jedoch bestand keine Einigkeit bezüglich der sittlichen Beurteilung der pharmazeutischen Empfängnisverhütung, sodass die Kommission dem Papst keine klare Antwort geben konnte. Nach dem Zeugnis von Bernardo Colombo sprach sich die Mehrheit – sowohl der Theologen als auch der Laienmitglieder – allerdings gegen deren sittliche Erlaubtheit aus, wenn auch z. T. mit unterschiedlichen Begründungen oder mit iuxta modum.45 Bei seiner Ansprache an die Kurienkardinäle am 23. Juni hat Paul VI. deshalb betont, dass er „bisher noch keinen ausreichenden Anlass habe, die diesbezüglich von Pius XII. erteilten Normen für überholt und deshalb nicht mehr für verpflichtend zu erachten. Sie haben weiterhin Gültigkeit, zumindest solange Wir Uns nicht im Gewissen verpflichtet fühlen, sie abzuändern.“46 Zur Kommission selbst führte der Papst aus: „Man muss aufmerksam der theoretischen und praktischen Entwicklung des Problems (der Geburtenregelung; Anm. d. Verf.) folgen. Und eben das tut gerade die Kirche. Das Problem wird zur Zeit geprüft, und zwar so umfassend und eingehend wie möglich, d. h. so verpflichtend und ehrenhaft, wie es bei einer Angelegenheit von solcher Tragweite sein muss,“47 und er ermahnt – wohl mit Blick auf die vielen zwischenzeitlichen Äußerungen von Theologen und Bischöfen: „Deshalb scheint die Empfehlung angebracht, niemand solle sich für jetzt anmaßen, sich in Formen auszudrücken, die von der geltenden Norm abweichen.“48

Die Erweiterung der Kommission durch Ehepaare und die unmittelbare Inkenntnissetzung des Papstes sowie des Heiligen Offiziums über die Diskussionen innerhalb der Kommission

In Vorbereitung auf die vierte Sitzung im März 1965 setzten sich Häring und de Locht bei Paul VI. für eine neuerliche Erweiterung der Kommission ein und ersuchten ihn, auch Ehepaare, die von den diskutierten Fragen in erster Person betroffen sind, zu berufen. Der Papst kam diesem Wunsch nach und erweiterte die Kommission im Herbst 1964 auf 60 Mitglieder, unter ihnen drei Ehepaare und fünf Frauen.49 Bezeichnenderweise hatte der Papst bereits bei seiner Ansprache an die Kardinäle vom 23. Juni 1964 über die Eheleute gesagt, dass ihre Zuständigkeit an erster Stelle steht und sie deshalb den ersten Rang einnehmen unter den Fachleuten, bei denen sich die Kirche erkundigt.50 Unter den Ehepaaren befanden sich die v. a. in den USA sehr bekannten Patricia und Patrick Crowley, die Gründer des Christian Family Movement (CFM). Nur mehr ca. ein Drittel der Kommissionsmitglieder waren Priestertheologen. Die Laienmitglieder waren außer einem alle verheiratet.51 Zu den neu in die Kommission berufenen Theologen gehörte der amerikanische Jesuit und Moraltheologe John Ford, ein eifriger Verfechter der Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung. Er war es, der dem Papst sowie Kardinal Alfredo Ottaviani, dem Sekretär des Heiligen Offiziums, unmittelbar von den Diskussionen innerhalb der Kommission sowie über die Ansicht der Kommissionsmitglieder in Bezug auf die empfängnisverhütenden Mittel Bericht erstattete.52 Bei der vierten Sitzung, während der die Kommission am 27. März 1965 vom Papst in Audienz empfangen worden ist53, setzte sich die Theologengruppe mit der Frage auseinander, ob die kirchliche Lehre über die Empfängnisverhütung weiter entwickelbar und reformierbar sei oder nicht. Theologen wie der soeben genannte John Ford sowie Marcelino Zalba, Stanislas de Lestapis und Leo Binz vertraten unter Berufung auf Casti connubii die Auffassung, die in Frage gestellte Lehre sei unfehlbar und definitiv, sie bedürfe deshalb keiner Reform oder Weiterentwicklung. Andere Theologen, unter ihnen Bernhard Häring, Philippe Delhaye54 und Michel Labourdette, unterstrichen die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen unveränderbaren Normen göttlichen Rechts und möglichen unterschiedlichen Interpretationen von Normen aus dem Bereich des natürlichen Rechts. Als der neu ernannte Sekretär der Studienkommission, Henri de Riedmatten, in einer Abstimmung die Stimmung innerhalb der Kommission erfassen wollte, stimmten zwölf Theologen für und sieben gegen eine Reformierbarkeit der kirchlichen Lehre. Zur Überraschung aller stimmte auch Josef Fuchs im Sinne der Mehrheit: Er hielt, wie er ausführte, die Lehre zwar nicht mehr für unfehlbar, würde an ihr aber festhalten, solange keine ausreichenden Gründe vorlägen, sie zu revidieren.55 Es waren vor allem die Gespräche mit dem Mediziner John Marshall, der ihn auf praktische Schwierigkeiten der natürlichen Familienplanung aufmerksam gemacht hatte, sowie mit dem Ehepaar Crowley, die in ihm einen Umdenkprozess und eine „intellektuelle Kehrtwende“ bewirkten. Die Crowleys hatten im Vorfeld der Sitzung eine breit angelegte Umfrage unter christlichen Ehepaaren in den USA durchgeführt, mit dem Resultat, dass sich die große Mehrheit für eine Änderung der kirchlichen Lehre in der Frage der Empfängniskontrolle aussprach. Die Crowleys verwiesen in ihren Ausführungen auch darauf, dass die Kirche bei ihrem Kurswechsel in der sittlichen Beurteilung des Zinsnehmens auf Kaufleute und Wirtschaftskundige gehört hätte. Ebenso müsse sie jetzt auf die Meinung der Eheleute hören, auch müsse die neue Wertschätzung der personalen Liebe in der Ehe Niederschlag finden in der kirchlichen Lehre. Das Ehepaar Crowley wurde schließlich beauftragt, bis zur nächsten Sitzung weitere Umfragen unter den weltweiten Mitgliedern des CFM durchzuführen.

Bei seiner Ansprache an das Kardinalskollegium am 24. Juni 1965 kam Papst Paul VI. neuerlich auf die Frage der Geburtenkontrolle zu sprechen. Er lobte die Arbeit der an Mitgliedern reichen und hervorragenden Kommission von Fachleuten aller Art: „Die Kommission hat ausgezeichnet gearbeitet, aber ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Wir wollen ihre Arbeit nicht unterbrechen, sondern sie mit der gegebenen Rücksicht zur Eile anspornen. So hoffen Wir, über ein Thema von so vitaler Bedeutung in Kürze ein Wort sagen zu können, das vom Lichte menschlicher Wissenschaft wie auch – so beten Wir – vom Strahl der Weisheit des Herrn erhellt ist.“56

Die Gefährdung der Studienkommissionsarbeit während der Schlussphase der Redaktion von Gaudium et spes

Nach der vierten Sitzung der Studienkommission versuchte im Besonderen John Ford mit Hilfe von Kardinal Ottaviani und Bischof Carlo Colombo Einfluss auf Paul VI. zu nehmen und ihn davon zu überzeugen, in die Debatten der Studienkommission unmittelbar einzugreifen und die Unfehlbarkeit der kirchlichen Lehre in der Frage der Empfängnisregelung zu bekräftigen bzw. ihre Infragestellung zu unterbinden. Colombo gehörte bereits zur Vorbereitungskommission des Konzils und war während der ersten beiden Sitzungsperioden Vertrauensmann von Kardinal Montini, der ihn dann als Papst zu seinem persönlichen theologischen Berater berufen hat.57 Paul VI. ließ sich dazu bewegen, in die Debatte einzugreifen, allerdings nicht unmittelbar in die Arbeit der Studienkommission, deren unabhängiges Ergebnis er abwarten wollte, sondern während der allerletzten Konzilsdiskussionen über die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, und zwar durch vier modi bzw. Verbesserungsvorschläge, die er am 24. November 1965 während der Phase der Schlussredaktion des prinzipiell bereits akzeptierten Textes der Konstitution der Subkommission für die Ehe und Familie zukommen ließ. Indem die Konzilssubkommission die modi von Paul VI. zwar berücksichtigte, jedoch nicht in deren inhaltlicher Konkretisierung, konnte verhindert werden, dass auf diese Weise die Arbeit der Studienkommission untergraben und präjudiziert wurde. Die inhaltliche Akzeptanz der modi durch die Subkommission und später durch das Konzilsplenum wäre nämlich einer Verurteilung jener Theologen gleichgekommen, die sich bei der atmosphärischen Abstimmung im März 1965 für die Weiterentwicklung und Reformierbarkeit der kirchlichen Lehre ausgesprochen hatten.58 An dieser Stelle ist vor allem die weiter unten59 noch im Detail darzustellende Tatsache interessant, dass die inhaltliche Ausrichtung der päpstlichen modi vorwiegend dem Einfluss von Colombo und Ford zu verdanken ist.60

Zu den Abschlussberatungen über das Kapitel über die Ehe in Gaudium et spes waren einige Theologen der Studienkommission eingeladen worden, jedoch kein Laienmitglied. Als diese davon Kenntnis bekamen, dass in Rom Diskussionen geführt wurden, die die bisherige und noch zu leistende Arbeit der Studienkommission maßgeblich beeinflussen konnten, verfasste eine kleine Gruppe von ihnen einen Brief an den Sekretär der Studienkommission, Henri de Riedmatten, in dem sie darauf hinwiesen, dass die Diskussion inzwischen weit über das Problem der Geburtenregelung hinausreiche, denn es werde klar, „dass Fragen nach der Autorität in der Kirche und nach der Veränderbarkeit von Lehrtraditionen an Bedeutung für ihre Aufgabe gewinnen würden“61. Ihre Bitte, dass aufgrund dieser grundlegenden Fragestellungen systematische Theologen zu ihren Beratungen hinzugezogen würden, hatte zwar keinen Erfolg, dennoch zeigte sich, dass während der letzten Sitzung der Studienkommission die Diskussion der aufgeworfenen Fragen vorherrschend war.62

Die abschließende Sitzung der Studienkommission und vier Schlussdokumente

Von April bis Juni 1966 fand schließlich die fünfte und abschließende Sitzung der Studienkommission statt. Es kam zu offenen Auseinandersetzungen und Konflikten zwischen den Gegnern und Befürwortern der Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre in Fragen der Empfängnisverhütung. Während etwa John Ford darauf insistierte, dass über die Frage nicht weiter zu diskutieren sei, weil das Lehramt bereits klar und unmissverständlich die unveränderliche Lehre zum Ausdruck gebracht hätte, befürworteten andere Kommissionsmitglieder eine Weiterentwicklung, indem sie darauf verwiesen, dass die traditionelle Lehre keineswegs ohne Brüche und Entwicklungen gewesen sei, sondern auf neue Herausforderungen und Erkenntnisse reagiert habe. Die Frage sei deshalb nicht die, ob die Lehre unveränderlich sei, sondern wie sie unter neuen Umständen und auf dem Hintergrund von neuen Erkenntnissen weiterzuentwickeln sei. Der amerikanische Jura-Professor John Noonan hatte 1965 die bislang umfassendste Darstellung der Geschichte der Empfängnisverhütung in ihrer Beurteilung durch die katholische Kirche vorgelegt.63 Darin legte er dar, dass „eine genauere Untersuchung der Lehre vielleicht dartun kann, dass sie keine abstrakte Unwandelbarkeit und Unabhängigkeit besitzt. Sie hat sich entwickelt. Es haben Spannungen bestanden, und es hat Reaktionen gegeben.“64 Der Autor, der eingeladen worden war, der päpstlichen Kommission noch vor der Veröffentlichung des Buches seine Forschungsergebnisse vorzustellen65, zeigte auf, dass die kirchliche Lehre der Ablehnung der Empfängnisverhütung von einer stoisch geprägten Sicht der Sexualität geprägt war, wonach allein die Zeugungsabsicht den geschlechtlichen Akt sittlich legitimiere. Ebenso wies er den Zusammenhang nach zu historischen Faktoren wie der hohen Kindersterblichkeit, der Gefahr von Unterbevölkerung oder dem Anliegen, dass die Kirche wachse, die vor allem in den ersten Jahrhunderten die kirchliche Ablehnung der Empfängnisverhütung beeinflusst haben. Auch Noonan unterstrich mit dem Verweis auf das Beispiel des Zinsnehmens, welches bis ins späte Mittelalter ausdrücklich verboten war, zu Beginn der Neuzeit jedoch ohne große Erklärungen zugelassen worden ist, die Möglichkeit der Änderung von kirchlichen Traditionen.

Die Kommissionssitzungen waren zudem geprägt durch das couragierte Sich-Einbringen der inzwischen vier Ehepaare66, im Besonderen der Frauen. Patricia Crowley präsentierte das Ergebnis ihrer Umfrage unter 3000 Ehepaaren in 18 Ländern: Die Mehrheit dieser Paare zeigte sich mit der Methode der periodischen Enthaltsamkeit als einzige sittlich legitime Form der Geburtenkontrolle nicht zufrieden. Frau Crowley sprach zudem darüber, dass sie und viele andere Ehefrauen die „natürliche“ Methode als „unnatürlich“ empfinden würden, weil sie als Frauen den Wunsch nach sexueller Vereinigung besonders in der fruchtbaren Periode, weniger in der unfruchtbaren verspürten. Eine andere Ehefrau, Colette Potvin, erzählte offenherzig von ihrem persönlichen Erleben der geschlechtlichen Liebe und von deren positiver Bedeutung für den familiären Alltag. Aufgrund dieser persönlichen Schilderungen sah etwa Josef Fuchs hinreichende Gründe gegeben, die kirchliche Lehre zu ändern. Auch andere Theologen zeigten sich derart beeindruckt, dass eine neuerliche Abstimmung unter der Theologengruppe zum Ergebnis kam, dass sich 15 von ihnen gegen und nur mehr vier für die Unfehlbarkeit und Unveränderbarkeit der bisherigen Lehre aussprachen.67

Da es aufgrund der tiefsitzenden und unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten jedoch nicht möglich war, einen gemeinsamen Schlussbericht zu verfassen, kam es schließlich zu mehreren Berichten. Als Redaktor des eigentlichen Abschlussberichtes – es handelt sich um das später als „Mehrheitsbericht“ bekannt gewordene Schema Documenti de responsabili paternitate68 – fungierte Josef Fuchs69. John Ford hingegen verfasste ein „Minderheitsgutachten“ Status quaestionis, doctrina ecclesiae eiusque auctoritatis70, um deutlich zu machen, dass er und weitere drei Theologen – Jan Visser, Marcelino Zalba und Stanislas de Lestapis71 – nicht willens waren, ein gemeinsames Dokument zu akzeptieren, gegen das sie dann lediglich hätten stimmen können. Ford legte sein Gutachten – das umfangreichste der Dokumente – bereits am 23. Mai vor72, Fuchs seinen Bericht am 26. Mai. Im Auftrag des Sekretärs Riedmatten verfasste Fuchs gemeinsam mit Philippe Delhaye und Raymond Sigmond noch ein moraltheologisches Fachgutachten (Documentum syntheticum de moralitate regulationis nativitatum73) zum Text von Ford, das er am 28. Mai vorlegte.

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