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Es wird schmutzig

Während die Linke im Dezember 2014 die Macht übernimmt, strebt der Machtkampf in der Thüringer Union auf sein schmutziges Finale zu. An dem Tag, an dem Ramelow sich von seiner Partei in Elgersburg emanzipiert, veröffentlicht der „Spiegel“ vorab die Zitate aus der internen Beratung des CDU-Fraktionsvorstands, die Anfang November mutmaßlich heimlich mitgeschnitten wurde. Die Aufnahme ist offenbar erst jetzt an das Magazin durchgestochen worden.

Der Tenor des Artikels: Mohring habe versucht, Ramelow mit Hilfe der AfD zu verhindern. Das „Thüringer Komplott“ besitze „Sprengkraft weit über das kleine Bundesland hinaus“34, schreiben die Journalisten Melanie Amann und Peter Müller. Die Rollen sind klar verteilt. Mohring ist der Mann, der mit Hilfe Höckes Ministerpräsident werden wollte und so zitiert wird: „Wenn sie [Angela Merkel] will, dass Ramelow nicht MP wird, brauchen wir die AfD, ob’s ihr passt oder nicht.“ Lieberknecht wird als Mahnerin dargestellt, die den Fraktionschef per SMS warnte: „Lieber Mike, für jeden Tag, den ich Deinen Namen zu früh nenne, haben wir eine deutschlandweite AfD-Debatte am Hals.“

Höcke tritt in dem Artikel als Zeuge der Anklage auf: „[Er] sagt, dass die Gespräche mit der CDU mehr als ein flüchtiger Flirt waren. ‚Es gab ein Treffen und danach regelmäßige Telefonate.‘ In den Gesprächen habe Mohring keinen Hehl daraus gemacht, dass er von der ‚Doktrin einer totalen Blockade gegen die AfD‘ wenig halte. Stattdessen hätten er und Mohring ‚gemeinsam die Lage analysiert‘ und alle Optionen durchgesprochen, wie sich ein Ministerpräsident Ramelow verhindern ließe.“

Für Mohring könnte der Zeitpunkt dieser Veröffentlichung kaum ungünstiger sein. Der CDU-Bundesparteitag, auf dem er wieder für den Bundesvorstand kandidiert, steht unmittelbar bevor. Kurz darauf soll der Landesparteitag stattfinden, auf dem er sich zum Landeschef wählen lassen will.

Der Fraktionschef vermutet die Abhöraktion eines engen Ex-Mitarbeiters, mit dem er sich verstritten hatte und der gerade seinen letzten Arbeitstag absolviert hat. Er erstattet Strafanzeige gegen Unbekannt, Beamte des Landeskriminalamts filzen den Sitzungsraum, in dem der Vorstand tagte, später durchsuchen sie auch die Wohnung des Verdächtigten. Aber die Aufnahme wird nicht gefunden.

Mohring beginnt nun zu verstehen, dass er diesen Stellungskrieg nicht gewinnen kann. Er muss sich, zumindest vorerst, mit jenen arrangieren, denen er abgrundtief misstraut. Am Tag nach der Durchsuchung der Fraktion sitzt er mit Noch-Generalsekretär Voigt im Wohnhaus von Landtagspräsident Carius in Sömmerda und bietet seinem Feind den Stellvertreterposten an. Christian Hirte wird als zweiter Stellvertreter nominiert. Der Rechtsanwalt aus Bad Salzungen sitzt seit 2008 im Bundestag und ist keinem innerparteilichen Lager eindeutig zuzuordnen. Dritte Stellvertreterin soll die frühere Parlamentschefin Diezel werden, die ihren Wahlkreis nicht wieder gewinnen konnte.

Damit wird der Generationswechsel endgültig vollzogen. An der Spitze stehen nicht mehr jene, die aus ihrem Beruf heraus von der Wende 1989 in die Politik gewürfelt wurden, sondern jene, die sich schon während des Studiums bewusst für eine politische Karriere entschieden haben. Mohring ist knapp 43 Jahre alt, Voigt 37. Hirte und Carius sind 38. In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es: „Wir müssen die Situation als Chance sehen, einen gemeinsamen Aufbruch zu starten“35. „Vertrauen und Geschlossenheit“ seien „unerlässlich“.

Am Tag nach dem Burgfrieden beginnt in der Kölner Messe der Bundesparteitag der CDU. Die Vorsitzende Angela Merkel attackiert die Sozialdemokraten, mit denen sie im Bund regiert, für ihren Wechsel in Thüringen. Die Wahl Ramelows sei eine „Bankrotterklärung“, ruft die Kanzlerin. Dass sich diese „stolze linke Volkspartei“ in die Juniorrolle begebe, werfe die Frage auf: „Wie viel kleiner will die SPD sich eigentlich noch machen?“36

Mohring versucht, in seiner Bewerbungsrede darauf aufzubauen. Ein Votum für ihn werde seine Landespartei im Kampf gegen Ramelow stärken. „Helfen Sie, dass wir gemeinsam die rote Fahne auf der Staatskanzlei wieder abhängen können, damit Thüringen wieder gut regiert wird“, ruft er.37

Doch Mohring wird für sein angeblich versuchtes Komplott abgestraft. Er bekommt das zweitschlechteste Ergebnis aller Kandidaten und fliegt aus dem Vorstand. Wenig später sagt Bundestagsfraktionschef Volker Kauder in seiner Rede: „Wir haben einen klaren Beschluss, dass wir mit der AfD nicht zusammenarbeiten. Bei diesem Beschluss bleibt es. Der Parteitag hat in der einen oder anderen Entscheidung auch schön dokumentiert, dass wir diesen Grundsatz durchhalten werden und durchhalten wollen.“38

Schwarzer Neubeginn

Vier Tage nach der Demütigung von Köln, am 13. Dezember 2014, sitzt Mike Mohring auf einer Bühne in der Turnhalle von Mengersgereuth-Hämmern, einem Dorf im südlichsten Zipfel Südthüringens. Hier, auf dem Landesparteitag, soll die Thüringer CDU den Neubeginn wagen.

Aber erst einmal hat ein Mann einen Auftritt, der fünf lange Jahre nicht auf einer Parteiveranstaltung redete und stattdessen still als Vice President des Autozulieferers Magna International das Lobbygeschäft betrieb. Nun will er Mohring verteidigen, den er erst zu seinem Generalsekretär und dann zum Fraktionsvorsitzenden machte.

Die Sätze Kauders auf dem Bundesparteitag, ruft Dieter Althaus, hätten ihn „persönlich entsetzt“39. „Mag Volker Kauder formulieren wie er will. Ich will nur sagen: Dafür zu sorgen, dass wir in Zukunft wieder Leute wie Ramelow aus der Regierung loswerden, ist die wichtigste Aufgabe der Union, liebe Freunde. Deshalb wäre es wichtig gewesen, die Thüringer Union zu unterstützen auf diesem Weg, statt ihr Steine in den Weg zu legen.“

Nach Althaus redet Martina Schweinsburg, die notorisch poltrige Landrätin aus Greiz, die auch dem Thüringischen Landkreistag vorsitzt. Ja, sagt sie, Mohring habe mit der AfD geredet – aber eben mit dem Ziel, die Wahl des Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu verhindern. „Mit wem hätte er denn reden sollen im Thüringer Landtag?“, fragt Schweinsburg in den laut prasselnden Applaus hinein. „Die Bundes-CDU kann uns gerne vorgeben, wie sie’s gerne hätte“, sagt Schweinsburg. „Leben, ausfüllen, in die Praxis umsetzen müssen wir es in Thüringen.“

Die Landrätin echot Äußerungen, die schon vor dem Parteitag vermeldet wurden. Der Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski – Sohn der früheren Bundespräsidentschaftskandidatin Dagmar Schipanski, die im Bundesvorstand sitzt – hatte eine Debatte darüber verlangt, wie man mit der AfD auf Landesebene umgehe. „Wir sind jetzt gemeinsam mit denen in der Opposition“40, sagte er. Die scharfe Abgrenzung zur AfD werde sich im Parlamentsalltag nicht durchhalten lassen.

Noch deutlicher formuliert es Mohrings Fraktionsvize Michael Heym. „Für mich war die AfD von Anfang an kein Schreckgespenst“, sagt er. Er höre von vielen Menschen, dass es „so falsch nicht sei“, was AfD-Politiker forderten. Dass die SPD mit den Linken koaliere, während die AfD „verteufelt“ werde: „Das geht gar nicht“41.

Mohring sagt in Mengersgereuth-Hämmern nichts zur AfD. Er gibt sich in seiner Rede demütig und trotzig zugleich. Die Landespartei, sagt er, habe nicht den besten Eindruck vermittelt. „Noch verheerender ist, was die anderen Christdemokraten in Deutschland über uns denken.“ Dennoch müsse gelten: „Lasst diesen Landesverband im Kampf gegen die Kommunisten nicht allein.“

Dann kommt der Aufruf zur Einheit. „Wir sind alle nicht aus einem Holz geschnitzt“, sagt Mohring. „Aber wir sind einer gemeinsamen Idee verpflichtet.“ Schlecht übereinander reden, Gerüchte verbreiten, damit müsse Schluss sein. „Ich reiche meine Hand.“ Schließlich zitiert Mohring Paulus: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat.“

Mohring wird mit knapp 90 Prozent gewählt, Voigt und Hirte bekommen jeweils etwa 73 Prozent als Stellvertreter. Lieberknecht sagt: „Die Partei muss ihre neue Rolle in der Opposition annehmen.“ Das gilt auch für sie, die fortan nur noch einfache Abgeordnete ist. Sie kann nicht ahnen, dass sie fünf Jahre später noch einmal Ministerpräsidentin werden soll – und dass der Mann, der sie für dieses Amt vorschlägt, Bodo Ramelow sein wird.

Höckes Flügel

Während die Thüringer CDU versucht, sich in der Opposition zurechtzufinden, nimmt die rot-rot-grüne Landesregierung ihre Arbeit auf. Erste Amtshandlung: Ein Winterabschiebestopp. Der symbolische Beschluss, der kaum mit dem Bundesrecht kompatibel erscheint, vereint sofort das gegnerische Lager. Insbesondere die AfD besetzt offensiv das Flüchtlingsthema, das sowieso zunehmend die Agenda bestimmt. Die Migrationszahlen steigen auch in Thüringen rasant, die Erstaufnahmeheime in Eisenberg und Suhl sind überfüllt. 2015 halten sich 27.000 Flüchtlinge in Thüringen auf, die bis dahin sehr niedrige Ausländerquote steigt von 2,5 auf 3,8 Prozent.

Es beginnen die Monate, in denen Björn Höcke zu nationaler Bekanntheit gelangt und sich offen als Extremist zeigt. Inzwischen weiß die Öffentlichkeit, dass er mit Thorsten Heise Kontakt hat, der im Eichsfelddorf Fretterode wohnt, nur wenige Kilometer von Höckes Haus entfernt42. Der vorbestrafte Neonazi hatte mehrfach für die NPD kandidiert, sitzt im Kreistag, betreibt einen rechtsradikalen Versandhandel. Im NSU-Prozess in München fällt sein Name des Öfteren.

Im Dezember 2014 reist Höcke mit seiner Landtagsfraktion ins benachbarte Sachsen-Anhalt. Dort, im Örtchen Schnellroda, hat Götz Kubitschek ein Institut gegründet, das als intellektuelle Zentrale der sogenannten Neuen Rechten gilt. Dort gibt der frühere Bundeswehr-Offizier auch die Zeitschrift „Sezession“ heraus.

Höcke und Kubitschek verfolgen offenbar den Plan, die AfD, die als Euro-kritische Professorenpartei gestartet war, zu einer völkischen Bewegung umzuformen43. Die Initialzündung erfolgt am 14. März 2015, einem Samstag. In der Halle der Arnstädter Brauerei veranstaltet die AfD ihren Landesparteitag. Gast ist André Poggenburg, Höckes Amtskollege aus Sachsen-Anhalt.

Die beiden präsentieren ein Papier, die „Erfurter Resolution“: Das Projekt AfD sei in „Gefahr“, heißt es darin, der bei Wahlen erzielte „Vertrauensvorschuss“ drohe „leichtfertig“ verspielt zu werden. Es sei ein „fatales Signal“, dass sich die Partei von „bürgerlichen Protestbewegungen“ wie Pegida ferngehalten oder sogar distanziert habe. Die AfD müsse eine „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands werden“44.

Der Text stammt in großen Teilen von Kubitschek45. Er ist ein Angriff auf die „Technokraten“ unter Lucke – und spaltet die Partei. Unterschrieben ist die Resolution auch vom Brandenburger Landtagsfraktionschef Alexander Gauland und seinem Stellvertreter Andreas Kalbitz. Die Resolution wird zur Gründungsurkunde des „Flügel“, einem Netzwerk der Rechtsnationalisten in der Partei.

Während Höcke in den innerparteilichen Kampf zieht, behauptet der Soziologe Andreas Kemper öffentlich, dass der Thüringer Landeschef in den Jahren 2011 und 2012 unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in den Neonazi-Blättern „Volk in Bewegung“ und der „Eichsfeld-Stimme“ publizierte. Beide Zeitungen werden von Neonazi Thorsten Heise herausgegeben. Der akribische Textvergleich Kempers zeigt viele auffällige Parallelen zwischen den Reden Höckes und den Aufsätzen von „Ladig“46, mit Begriffen wie „Pertubation“, „Behaviorismus“, „Entelechie“, „Vernutzung“, „Entropie“, „Homöostase“, „organische Marktwirtschaft“. An einer Stelle beschreibt „Ladig“ ausführlich das Wohnhaus Höckes und dessen Lage in Bornhagen. An einer anderen zitiert er ganze Passagen aus einem Leserbrief des damaligen Lehrers.

Trotz des Dementis von Höcke nutzt der AfD-Bundesvorsitzende Lucke die Gelegenheit zum Angriff. Die Mehrheit des Bundesvorstands verlangt vom Thüringer Landeschef eine Versicherung an Eides Statt, dass er nicht „Landolf Ladig“ sei. Nachdem dieser ablehnt, beantragt der Vorstand die Amtsenthebung. Die Entscheidung im Machtkampf fällt auf dem Bundesparteitag der AfD im Juli 2015 in Essen. Höcke verbündet sich kurzzeitig mit der sächsischen Landesund Fraktionschefin Frauke Petry, die Lucke erfolgreich aus der Spitze verdrängt – nur um fortan selbst vom „Flügel“ bekämpft zu werden. Das Lucke-Lager verlässt nahezu geschlossen die Partei, auch aus der Thüringer Landtagsfraktion treten drei Abgeordnete aus.

Im so genannten Flüchtlingsherbst 2015 enttarnt sich Höcke endgültig selbst. Im September steht er vor 7000 Menschen vor dem Erfurter Landtag, zieht unter „Lügenpresse“- und „Volksverräter“-Rufen über die Regionalzeitungen her, bezeichnet Gegendemonstranten als „Linksfaschisten“ und ruft: „Weil Millionen aus Afrika und Asien durch Fehlanreize in unser Land gelockt werden, […] brennt unser Land bald lichterloh.“47 Er, der im Alltag eher höflich auftritt, mutiert auf den Veranstaltungen zum schäumenden Demagogen, der „Merkel muss weg!“ ins Mikrofon schreit. Parallelen zur Rhetorik des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels sind offensichtlich.48

Inzwischen tritt Höcke überall in Deutschland auf. Er warnt vor „Invasoren“ oder spricht vom „afrikanischen Ausbreitungstyp“. Gemeinsam mit seiner Partei surft er auf dem Schaum der Protestwelle gegen die Einwanderung. Die Partei, die nach dem Parteitag in Essen in den Umfragen bei 2 Prozent dümpelte, hat nun zweistellige Prognosen.

Im März 2016 wird die AfD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt unter der Führung Poggenburgs mit 23,4 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei. Sie und die Linke kommen gemeinsam auf 41 der 87 Sitze im Magdeburger Parlament. Die bisherige schwarz-rote Koalition hat keine Mehrheit mehr. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff muss die Grünen hinzubitten, um die erste so genannte Kenia-Koalition zu bilden.

Höcke, der in Magdeburg mit Poggenburg den Sieg feiert, konzentriert sich auf Ostdeutschland. Er kandidiert nicht für den Bundesvorstand, wie er bei der Veröffentlichung der „Erfurter Resolution“ ankündigte, weil er auf dem Bundesparteitag nicht mit einer sicheren Mehrheit rechnen kann. Und er bewirbt sich auch nach einigem Zögern nicht für den Bundestag. Er will die Partei von hinten führen, aus der östlichen Provinz, mit Hilfe seines wachsenden Netzwerks. Auf den jährlichen Kyffhäuser-Treffen des „Flügel“ demonstriert er seine Macht, derweil selbst im Westen immer mehr Landesverbände nach Rechtsaußen kippen.

Im Januar 2017 bezeichnet Höcke kurz vor dem Holocaust-Gedenktag die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus als „dämliche Bewältigungskultur“ und fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“49. Rechtsextremisten wie Andreas Kalbitz sind inzwischen seine engsten Verbündeten.

Parallel lässt Höcke eine Art Personenkult um sich herum organisieren. Der „Flügel“ verkauft Sammeltassen und bedruckte Beutel mit seinem Konterfei, Treffen des Netzwerks werden zu Huldigungsveranstaltungen, die zusätzlich bizarr wirken, da Höcke ständig wiederholt, wie zurückhaltend und bescheiden er sei – und überhaupt ein Mensch, der nicht nach Macht strebe.

Bundeschefin Petry glaubt ihm das genauso wenig wie alle anderen. Sie nutzt die Rede von Dresden für ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke. In dem Antrag des Bundesvorstandes wird die These Kempers zur Tatsache erhoben: „Der AG [Antragsgegner Höcke] hat unter dem Namen ‚Landolf Ladig‘ in den NPD-Veröffentlichungen ‚Volk in Bewegung‘ und ‚Eichsfeld-Stimme‘ Artikel verfasst.“50 Das Papier attestiert dem Landeschef anhand seiner Rede und Schriften eine „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“, zudem bekenne er sich zum Führerprinzip.

Doch auch Petry verliert den Kampf gegen Höcke und ihre zahlreichen anderen Gegner. Nach der Bundestagswahl im September 2017, bei der die AfD mit 12,6 Prozent erstmals ins Bundesparlament einzieht, verlässt sie die Partei, um – so wie vor ihr Lucke – eine Konkurrenzorganisation aufzubauen. Ihr Nachfolger an der Spitze wird neben Jörg Meuthen der neue Bundestagsfraktionschef Gauland, beide besuchen die „Flügel“-Treffen. Andreas Kalbitz, Höckes wichtigster Verbündeter, übernimmt die Führung der Landespartei und der Fraktion in Brandenburg. Inzwischen wirken große Teile der AfD wie jene „Widerstandsbewegung“ aus der „Erfurter Resolution“. Die ostdeutsche AfD ist nahezu deckungsgleich mit dem „Flügel“.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird später urteilen, dass die Identität von „Ladig“ und Höcke „nahezu unbestreitbar“ und „angesichts der plausibilisierten Faktendichte nahezu mit Gewissheit anzunehmen“ sei51. Und: Höcke geht gegen niemanden rechtlich vor, der ihn als „Ladig“ bezeichnet.

Spätestens jetzt kann niemand behaupten, nicht zu wissen, wofür er steht.

Mohrings Hoffnung

Doch je stärker sich die AfD radikalisiert, umso isolierter wirkt die zugehörige Fraktion im Thüringer Landtag. Dabei treten die meisten AfD-Abgeordneten habituell bürgerlich auf. Sie sind Ingenieure, Akademiker, Anwälte, Polizisten; einige, wie der Jenaer Maschinenbau-Professor Michael Kaufmann, traten bereits der Partei bei, als es noch gegen die Euro-Politik ging. Andere, wie René Aust, stießen von der SPD hinzu. Allerdings radikalisierten sich viele in Partei und Fraktion, sei es aus Überzeugung, Gruppendruck oder aus karrieretaktischen Überlegungen. Sie tragen Höckes extreme Rhetorik mindestens mit oder pflegen sie – wie Co-Landeschef Stefan Möller – teilweise selbst. Die meisten haben zudem die „Erfurter Resolution“ unterschrieben, gelten somit als Mitglied des „Flügel“.

Von Politikern aus der rot-rot-grünen Koalition werden die AfD-Abgeordneten in der Regel nicht einmal gegrüßt. Die CDU grenzt sich rhetorisch ab, allerdings pflegen einzelne Fraktionsmitglieder ein kollegiales Verhältnis mit AfD-Leuten. Schließlich existieren viele Parallelen, biografisch, politisch, beruflich. Beide Fraktionen bestehen vor allem aus Männern.

Man trifft sich, man telefoniert und man steht zuweilen bei einer Zigarette im Innenhof des Landtagsgebäudes beisammen. Mohrings Vizechef Heym spricht sogar regelmäßig mit Höcke. Die beiden Männer duzen sich, wobei der CDU-Abgeordnete Wert auf die Feststellung legt, dass er dies auch mit Linken tut.

Heyms Chef aber hält deutliche Distanz. Nach der Demütigung auf dem Parteitag in Köln vermeidet Mohring jeden Anschein einer Nähe zur AfD. Er weiß, dass seine Chance auf das Ministerpräsidentenamt daran hängt. Ansonsten verhält sich Mohring möglichst loyal zu Merkel, er übt nur vorsichtig Kritik an der Flüchtlingspolitik. Im Dezember 2016 wird er in Essen zurück in den Bundesvorstand gewählt. „In Thüringen kämpfen wir seit zwei Jahren gegen Rot-Rot-Grün, und ich glaube nicht ganz unerfolgreich“, sagt er dort. „Die letzten drei Umfragen haben gezeigt, diese Koalition hat keine Mehrheit mehr, zuletzt sind 41 Prozent für Rot-Rot-Grün gemessen worden. Wenn jetzt Landtagswahlen wären, wären die ohne Mehrheit. Ein Stück ist es unsere Arbeit der letzten zwei Jahre.“52

Tatsächlich schwächelt Rot-Rot-Grün in Thüringen, und dies nicht nur in den Umfragen. Die geplante Kreisreform implodiert in Zeitlupe. Die Modernisierung der Vergaberechts verzögert sich – genauso wie das erste kostenlose Kindergartenjahr, der Verfassungsschutzumbau, die Einstellung der versprochenen Lehrer oder das ÖPNV-Ticket für die Auszubildenden. Die Linksregierung verwaltet das Land, sie reformiert es nicht. Das Gefühl des Neuanfangs verweht.

Im Sommer bekommt die Koalition ihren ersten Skandal: Dieter Lauinger, der grüne Justizminister, setzte sich persönlich in der Regierung dafür ein, dass sein Sohn eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung nicht ablegen muss. Als die Angelegenheit öffentlich wird, lügt er. Doch obwohl die CDU einen Untersuchungsausschuss erzwingt, der immer neue peinliche Details offenlegt, halten die Grünen an ihrem Minister fest.

Für die Linke kommt ein grundsätzliches Problem hinzu, das bereits 2014 die demoskopischen Wanderungsanalysen zeigten: Viele Protestwähler sind zur AfD weitergezogen. Höcke stellt zunehmend sozialpolitische Forderungen in das Zentrum seiner Initiativen im Landtag und in der Bundespartei.

Aber die Linke hat ja noch Ramelow. Der Mann begeht keine größeren Fehler. Stattdessen volkstümelt er sich durchs kleine Land, geht auf jedes Fest, ist ansprechbar für jeden Unternehmer. Seine Popularität steigt. Im Bundesrat hält er das Versprechen, dass er der Bundesspitze gab: Er kümmert sich nicht um die Parteilinie.

Geradezu demonstrativ unternimmt der Ministerpräsident seine erste Auslandsreise nach Israel, gemeinsam mit Wirtschaftsminister Tiefensee und etwa 40 Unternehmern, Wissenschaftlern und Kulturleuten. Er besucht Tel Aviv, Haifa, Jerusalem, gedenkt in Yad Vashem. In die Palästinensergebiete fährt er nicht. Nach dem Heiligen Land folgt der Heilige Stuhl. Wenige Monate nach der Israel-Reise fliegt der Ministerpräsident nach Rom zur Audienz beim neuen Papst Franziskus. Mit in der Delegation: CDU-Landrat Werner Henning aus dem tiefkatholischen Thüringer Eichsfeld.

Und wie sich zuweilen die Dinge im Leben fügen: Als Ramelow in seinem Hotel „Residenza Paolo VI.“ am Markusplatz absteigt, sitzt schon jemand auf der Terrasse und trinkt mit Kardinal Walter Kasper einen entspannten Espresso: Dieter Althaus.53 Er ist, so wie Henning, Katholik und Eichsfelder, und weilt in Rom auf Einladung der Adenauer-Stiftung, in deren Vorstand er noch sitzt. „Ich hab’ so ein paar Termine“, sagt Althaus betont locker, am Nachmittag sei er gemeinsam mit dem Landrat mit Altpapst Benedikt XVI. verabredet.

Was folgt, ist eine Art Kumpel-Show des Ex-Ministerpräsidenten mit seinem Nachnachfolger für die mitgereisten Journalisten. Sie wirkt beinahe glaubwürdig, auch weil sich die beiden Männer aus den Zeiten, als sie beide Fraktionschefs waren, noch duzen. „Ach!“, ruft Ramelow, diese „ökumenische Eintracht“ des christdemokratischen Katholiken und des linken Protestanten. Kurz darauf läuten die Glocken des Petersdoms.

Für Mohring ist der allumarmende Ramelow nur ein Problem von mehreren. Er schafft es auch nicht, seine Partei hinter sich zu versammeln. Mohring misstraut jedem, der nicht schon immer in absoluter Treue zu ihm stand. Zudem lässt er niemanden neben sich auf die politische Bühne. Dass Carius als Landtagspräsident an Bekanntheit gewinnt, ist für Mohring ärgerlich genug.

Zwischendurch, im Jahr 2015, hatte Althaus zusammen mit Vogel versucht, die Nachfolger zu einen. Sie luden Mohring, Carius, Voigt und Junge-Union-Landeschef Stefan Gruhner in die Gaststätte „Hopfenberg“ in der Nähe des Landtags: Sie sollten sich, bitte und endlich, miteinander vertragen. Wenn die Partei 2019 Ramelow besiegen wolle, müsse sie Geschlossenheit zeigen, sagte Vogel.

Nachdem alle, auch Voigt und Carius, zugestimmt hatten, schilderte Mohring die Verletzungen, die er durch die anderen erfahren habe. Selbst wenn auch er am Ende Kooperation versprach: Er demonstrierte vor allem Misstrauen. Während Althaus enttäuscht über den Mann war, den er förderte und stützte, hegte Vogel Hoffnung, dass sich die Jungen nun irgendwie zusammenraufen würden.

Er irrt sich. Mohring schneidet alles in der Partei noch stärker auf sich zu. Auf den Landesparteitagen dienen die Stellvertreter nur als Komparsen. Der Politische Aschermittwoch, den er in seine Heimatstadt Apolda verlegt, gerät zur Mike-Mohring-Messe. Er lädt Prominente der Union wie den bayerischen Alt-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ein, der 2017 vor mehr als 1000 Menschen in der örtlichen Bierhalle redet. Nach Passau ist es die größte derartige Veranstaltung in der Union.

Noch mehr Menschen kommen zum jährlichen Empfang der Landtagsfraktion in der Erfurter Messe. Jeweils 3000 Funktionäre und einfache Parteimitglieder hören Mohring und dem jeweiligen Stargast zu: Friedrich Merz, Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble – oder Angela Merkel. Die Kanzlerin tritt im Juni 2017 auf, ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl. Mohring nutzt die Gelegenheit, sich mit ihr in vertrauter Pose auf einer Bank fotografieren zu lassen. Danach lässt er das Motiv großflächig in Thüringen plakatieren, obwohl er selbst gar nicht für Berlin kandidiert.

Wie sehr Mohring versucht, vom Glanz der Kanzlerin zu profitieren, zeigt sich kurz darauf bei einem gemeinsam Wahlkampfauftritt in Apolda, bei dem er der Kanzlerin einen schwarzen Stoffbeutel überreicht. Darauf ist ein altes Wahlkampffoto der beiden zu sehen, auf dem es so wirkt, als wollten sie sich küssen. Darüber steht in großen, pinkfarbenen Buchstaben: „KISS“. Der Landeschef sagt ins Mikrofon, dass sie damit im „Kadewe“ in Berlin einkaufen könne. Die Kanzlerin lächelt indifferent, faltet den Beutel zusammen, steckt ihn in eine mitgebrachte Tasche und schweigt dazu.54

Der Auftritt in Apolda zeigt aber auch, wie prekär die Lage inzwischen für die Union ist. Um die 800 Anhänger sind gekommen, doch eine Minderheit von etwa 30 Menschen rufen mit aller Kraft „Hau ab!“, „Widerstand!“ und „Heuchler!“ in Richtung Bühne. Das Geschrei vermischt sich mit den Parolen, die etwa ebenso viele Neonazis brüllen, die am Rande des Geländes stehen und von der Polizei bewacht werden.

Bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 sind CDU und CSU die großen Verlierer. Sie kommen nur noch auf 32,9 Prozent, das ist ein Verlust von 8,6 Punkten. In Thüringen verliert die CDU sogar zehn Prozentpunkte und steht bei 28,8 Prozent. Die AfD, die mit 12,6 Prozent in den Bundestag einzieht, erreicht im Land 22,7 Prozent.

Einziger Trost für Mohring: Die Linke, die sich im Bund stabilisiert, verliert in Thüringen 6,5 Punkte auf 16,9 Prozent, auch SPD und Grüne büßen ein. Noch erscheint in Fernsicht auf die Landtagswahl in zwei Jahren alles möglich.

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