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Beschneidung

Florian liebt Bea. Und Bea liebt Florian. Sie haben sich auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen gelernt und es für überaus wohltätig für sich selbst befunden, zueinander zu finden. Flo schwärmt für alle körperlichen, spirituellen, sphärischen und sinnlichen Reize Beas. Er ist wie verzaubert, seitdem er sie liebt. Ich bin einigermaßen erstaunt, als mir Flo von der einzig wahren Liebe seines Lebens berichtet. Von seinen Beschreibungen, dass wir unser Leben schließlich nicht nur so zur Probe führen und jeden Tag lediglich in die Premiere unserer eigenen Vorstellung gehen, bin ich restlos angetan. Ganz abgesehen davon, dass Bea wirklich ein anbetungswürdiges Geschöpf ist, bei dem sich die männliche Libido selbständig macht. Flo ergeht es so wie allen anderen Liebenden vor ihm. Er verändert sich. Nicht nur von seinen Ansichten her und seinem Toleranzbereich für Dinge, die er früher rigoros ablehnte. Es gibt deutliche körperliche Veränderungen. Er macht beispielsweise mehr Sport und sieht insgesamt fitter aus. Es gibt allerdings ein paar Wandlungen, die nicht sofort ins Auge stechen. Man muss schon ein sehr guter, vertrauenswürdiger Freund sein, um in den Genuss der Information zu kommen, was sich außer den sichtbaren Dingen geändert hat. Ich habe Florian auch einen halben Blutsschwur geleistet, dass ich seine bahnbrechende Erfahrung nie irgendwo herum erzähle, oder gar in einer kleinen Geschichte verarbeite. Es trägt sich also nach einer der ersten körperlichen Vereinigungen zu, dass Bea ihrem Flo weniger im Liebesrausch, als vielmehr mit überaus energischer, aber nicht minder liebender Nachdrücklichkeit ermahnt, die Länge seiner Behaarung im Schambereich zu überdenken. Nun war Flo sein gesamtes behaartes Erwachsenenleben ohne Rasur unterhalb seines Halses ausgekommen, erfreute sich gleichwohl aber der mädchengleichen Nacktheit der Körpermitte seiner Bea. Was liegt also näher, als Herrn Wilkinson zu bemühen?

»Sag mal, nimmt man da einen anderen Rasierer als fürs Gesicht?«, fragt er mich eines Abends.

»Ich denke schon. Wegen der Hygiene und so. Du hast ja als Kind auch zwei Waschlappen genommen. Einen für oben und den anderen für unten.«

»Aber den Rasierschaum kann ich doch nehmen, oder greift der die Haut zu stark an?«

»Hm, ich würde wohl was für sensible Haut nehmen, oder?«

»Du hast Recht«, Florian streicht sich über seinen Bart, der bald die längste Behaarung seines Körpers aufweist, »aber muss ich nun mit oder gegen den Strich rasieren??«

Ich sehe ihn erstaunt an: »Die entscheidende Frage ist doch wohl, wo geht der Strich lang?«

Wir kommen einfach nicht weiter. Es wird nur der ernsthafte Versuch weiterhelfen. Doch Florian hat noch weitere Sorgen: »Und was, wenn ich mich schneide?«

»Dann machst du ein Stück Papier drauf. So wie im Gesicht halt. Und desinfizieren kannst du alles mit Rasierwasser. Aber dann was für Männer wie Irish Moos oder Old Spice. Das macht richtig Banane.«

»Nö, lass mal. Da nehme ich eine ganz sanfte Creme.«

Wir verabschieden uns an jenem Abend wie zwei Männer, von denen einer in den Krieg ziehen muss. Als ich nach Hause gehe, sinniere ich noch ein wenig darüber, ob es denn ab einem gewissen Alter nicht mehr um die inneren Werte geht, sondern doch um äußere Erscheinungen. Vielleicht ist aber ein schnittiger Schambereich ein innerer Wert, weil er schließlich in der Hose liegt. Ich bin am Verzweifeln. Und in Gedanken ganz nah bei Florian. Der teilt mir in der Woche darauf seine wissenschaftlichen Erkenntnisse mit. Zum einen ist es ein durchaus erotisches Erlebnis, und wenn er noch zehn Jahre jünger wäre, naja, ich wisse schon. Zum anderen hätte es bereits rein optisch ein bis zwei Zentimeter in der Länge gebracht, ganz locker. Und schließlich geht nun mit Bea richtig die Post ab. Nicht zuletzt hat sie nicht mehr dauernd Haare im Mund, wenn ich wüsste, was er damit sagen will. Florian ist jedenfalls rundum zufrieden.

Wir besprechen in der Folge noch ein paar andere Kleinigkeiten partnerschaftsfördernder Art, lösen kleinere Probleme oder schweigen manche Abende einfach nur mannhaft miteinander. Doch tief in unserem Inneren wissen wir, dass wir einer entscheidenden Frage immer wieder ausweichen. Es kann gar keinen Zweifel geben: Alles wird gut werden mit diesem geradezu idealen Liebespaar. Florian und Bea bereichern sich und haben eine tolle Zeit. Sie reiben ihre haarlose Scham aneinander und Flo hat endlich einen Degen, der ohne Störung in die Scheide gleitet, wie er so schön sagt. Irgendwann werden die beiden vor den Altar treten und zig unbehaarte Kinder zeugen. Doch die Sache hat einen kleinen, nahezu unbedeutenden Haken, den wir aber auch noch lösen werden. Dieser Haken heißt Suse. Und Suse ist Florians Frau. Seit ziemlich genau fünfzehn Jahren.

Das Methusalem-Kompott

Das war ein Sonntag nach meinem Geschmack! Ich hatte lange ausgeschlafen und war danach bis kurz nach zwei bei einem wunderbaren Brunch. Wieder zu Hause angekommen, legte ich mich aufs Sofa und las etwas. Zwischendurch surfte ich, um zu schauen, ob meine Chat-Bekanntschaft »wild_vampire« wieder online war. Doch sie mied meinen Kontakt in letzter Zeit. Wahrscheinlich überlegte sie, ob mein Vorschlag des Realtreffs nicht doch unserer intimen Beziehung schaden könnte. Dabei hatte ich mir bereits einiges ausgemalt, was wir in die Tat umsetzen könnten, von all dem, worüber wir bis dahin nur geschrieben hatten. Und ein Ziel musste es auch geben, denn die Anbindung zu ihr war nicht kostenlos. Ich döste mit unzüchtigen Gedanken an meinen Vampir noch etwas vor mich hin, bis ich vom Klingeln an der Wohnungstür in die Realität zurückgeholt wurde.

Als ich die Tür öffnete, war ich überrascht. Frau Köpfe stand da. Die Rentnerin, die über mir wohnte. Alt, stolz und irgendwie kauzig. Gefühlte hundertzwanzig Jahre alt, tatsächlich aber sportliche siebzig. Das graue Haar war immer gepflegt gebürstet und zu einem Pferdeschwanz gebunden, das Gebiss tadellos gereinigt und Oil of Olaz müsste bei ihrer Haut nicht mehr nach einem Testimonial suchen. Einziges Manko waren ihre Augen, die bei »Unser Star für Baku« gewinnen würden. Deshalb trug sie eine etwas überdimensionierte Brille, deren Gläser mich an optische Versuche im Physikunterricht erinnerten.

Bis vor ein paar Jahren wohnten ihr Mann und ihr Sohn noch bei ihr. Doch der Sohn war mit Mitte vierzig endlich alt genug, sein warmes Nest zu verlassen und ihr Mann starb kurz darauf. Ihr schien der Verlust ihrer Männer nichts anhaben zu können. Sie strahlte immer einen gewissen Optimismus aus, der mir das Gefühl gab, dass es gar nicht so schlimm sein konnte, alt zu werden. Naturgemäß regte sich in ihrer Wohnung wenig. Ich hatte ein ruhiges Leben unter ihr und wäre in meinen Kreisen nur gestört worden, wenn ihre Kekskrümel plötzlich zu Kanonenkugeln angeschwollen wären oder aber ihre Teelöffel Glockenschläge in den Tassen vollführt hätten. Von ein paar Ermahnungen ob der von mir nicht peinlichst genau verfolgten Einhaltung der Hausordnung abgesehen, kam ich mit ihr und der Ruhe, die sie ausstrahlte, hervorragend klar. Nun stand sie vor mir. In der rechten Hand hielt sie einen Teller mit einem Stück Kuchen, in der linken ihren Wohnungsschlüssel und ein Schälchen Birnen-Kompott. In ihrem Gesicht klebte ein faltiges Lächeln, als gäbe es etwas zu feiern.

»Hallo, Sie haben gebacken und ein Kompott gezaubert? Das ist aber schön!«, sagte ich freundlich.

»Ja, echten Zupfkuchen. Nicht so ein Zeug aus der Pakkung, wie Sie es wahrscheinlich haben, wenn überhaupt! Hier, riechen Sie mal!«

Frau Köpfe schob mir den Teller vor mein Gesicht und ein wunderbarer Duft stieg in meine Nase.

»Oh, das riecht toll! Der schmeckt sicher auch so, oder?«

Gerade als ich das gute Stück greifen wollte, zog sie es zu sich heran und blinzelte verschwörerisch. »Natürlich schmeckt der Kuchen. Und das Kompott ist ein Traum, für den man sterben möchte. Und überlegen Sie sich diesen Satz aus dem Mund einer alten Frau! Doch umsonst gibt es nichts im Leben, glauben Sie mir! Sie könnten mir im Gegenzug einen kleinen Gefallen tun.«

Was tut man nicht alles für ein Stück Kuchen und für ein Schälchen Kompott, die an Kindheit, Heimat und Geborgenheit erinnern?

»Womit kann ich denn dienen?«, fragte ich deshalb.

Als wäre dies der Startschuss für einen Crosslauf, sprang sie über die Türschwelle, umkurvte gekonnt das Bücherregal im Flur und steuerte so routiniert in mein Wohnzimmer, als würde sie dies jeden Abend nach Arbeitsschluss tun. Nicht zuletzt meisterte sie alles mit Kuchen und Kompott. Wahrscheinlich war sie in ihrer Jugend die absolute Göttin im Eierlaufen. Ich folgte ihr und begann zu stottern:

»Ähm, Frau Köpfe, was machen Sie da?«

»Ich will es mir nur ein wenig bequem machen!«

Sie saß in meinem Sessel und durchmaß den Raum mit kritischem Blick.

»Sie sollten mal wieder einen Staubwedel in die Hand nehmen. Und lüften wäre auch nicht schlecht. Aber deshalb bin ich ja nicht hier.«

Endlich stellte sie den Kuchen und das Kompott zu mir. Ich hatte mich ihr gegenübergesetzt.

»Also, mein Sohn ist ja nun leider schon ausgezogen. Er kann mich auch nicht so einfach mal besuchen, dafür wohnt er zu weit weg. Es ist aber so, dass ich nur noch ihn habe und sonst niemanden. Wissen Sie eigentlich, dass er Programmierer bei SAP ist?«

Mein Hirn schaltete um auf den Erinnerungsmodus und vor meinem geistigen Auge entstand das Bild eines blassen Langweilers, der bei Mama wohnte und der sich von Tiefkühlkost ernährte, seitdem er bei ihr ausgezogen war. Seine sozialen Kontakte beschränkten sich auf das Internet und der Besuch beim Friseur war die einzige Möglichkeit, in die Nähe von weiblichen Händen zu kommen.

»Ja, ich erinnere mich an ihn! Zu schade, dass er weggezogen ist!«, log ich, während ich den ersten Bissen des Kuchens genoss. Dass die bei SAP einen solchen Vollpfosten genommen hatten, konnte ich kaum glauben.

»Jedenfalls unterhalten wir uns jeden Tag!«, sagte sie ganz aufgeregt und selbst durch die starken Brillengläser konnte ich sehen, dass in ihren Augen mütterlicher Stolz blinkte.

»Ach nein, Frau Köpfe! Dann haben Sie aber eine dicke Telefonrechnung!«

»Wie kommen Sie denn darauf? Wir skypen und mailen uns. Ich habe sogar eine eigene Email-Adresse. Doris Punkt Köpfe äd Tee minus Online Punkt De Ee! Und Köpfe mit oe.« Sie sah mich an, als wäre sie Cortez und hätte mir Eingeborenen soeben glänzende Perlen geschenkt.

»Nein!«, erhob ich erstaunt die Stimme, »was Sie nicht sagen, Frau Köpfe! So richtig mit Email und dem Internet sind Sie mit Ihrem Sohn verbunden. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!«

»Tja, ich bin nicht so rückschrittlich, wie ich in Ihren Augen aussehe. Von wegen, die alte Schrulle glotzt nur auf die Hausordnung und liest die Apothekenrundschau! Unterschätzen Sie uns alte Menschen nicht. Nun aber zur Sache, junger Mann! Den Kuchen und das Kompott bringe ich ja nicht einfach so mit. Ich habe ein technisches Problem und mein Sohn ist leider nicht erreichbar. Könnten Sie bitte mal ein Auge auf meinen Computer werfen, damit ich wieder mit meinem Kleinen sprechen kann?«

Gerade hatte ich das letzte Stück Kuchen eingeworfen und bereits die ersten beiden Löffel Kompott intus. Deshalb fühlte ich eine gewisse Verpflichtung Frau Köpfe und ihrem Wohlergehen gegenüber.

»Klar doch. Ich helfe ihnen.«

Wir gingen gemeinsam im Schneckentempo nach oben. Frau Köpfe verwies auf ihr künstliches Hüftgelenk und das Wasser in ihren Beinen. Sonst fühle sie sich aber noch fit.

Der Computer war ein High-End-Gerät mit einem 24-Zoll-Bildschirm.

»Alle Achtung, Frau Köpfe! Eine irre Hardware haben Sie da!«

»Mag ja sein, aber der Computer ist auch nicht schlecht! Schauen Sie sich vor allem einmal den Fernseher an! Riesig, oder?«

Ich sagte gar nichts und schaltete das Gerät ein. Der Computer fuhr hoch und ich versuchte, die Verbindung ins Internet herzustellen. Es ging nicht.

»Haben Sie schon alle Kabel untersucht?«

»Welche Kabel? Ich dachte, ich bin im Internet?« Sie schaute mir mit ihren riesig wirkenden Augen direkt ins Gesicht.

»Sie haben da übrigens noch Kompott am Kinn.«

Sie reichte mir ein Taschentuch und ich wischte mir ihr Geschenk aus dem Gesicht.

»Vielen Dank, Frau Köpfe. Ich schaue jetzt trotzdem einmal nach den Kabeln.«

Der erste Blick unter den Tisch genügte. Das DSL-Kabel steckte nicht im Rechner. Ich behob den immensen Schaden, kam wieder unter dem Schreibtisch hervor und klickte auf die Internetverbindung.

»So, nun müsste es wieder gehen.«

Ein Fenster nach dem anderen ploppte auf.

»Huch, was haben Sie denn da?«

Frau Köpfe wurde rot. »Ach das!? Nichts weiter. Nur ein kleiner Zuverdienst. Wissen Sie, meine Rente ist ja nicht so üppig.«

Dann wurde ich rot. Über dem letzten Fenster stand es deutlich: Chat4U, Username »wild_vampire«. Darunter unser Chat von letzter Woche.

Wir waren bloß wegen eines dämlichen Kabels so lange getrennt. Und das Treffen in Echtzeit hatte ich nun endlich auch.

Der Kunde ist König!

Noch eine Viertelstunde länger und ich wäre geplatzt. Endlich sehe ich das Schild mit dem Hinweis auf eine Raststätte in fünf Kilometer Entfernung. Ich trete das Gaspedal durch, keinen Gedanken an die Umwelt, denn jetzt geht es um mehr. Es geht um mich und mein Wohlergehen. Meine Blase drückt bereits an den Gurt und ich überlege kurz, ob ich den Gürtel meiner Hose öffnen sollte. Doch ich lasse es sein, weil ich ihn beim Aussteigen wieder schließen müsste und das könnte seltsam auf andere wirken. Ich setze den Blinker und bremse ab. Auf der Abbiegespur fahre ich noch hundert Sachen, den Weg zum Parkplatz bringe ich mit einer runden sechzig hinter mich. Das Auto steht, ich steige aus, schließe ab und renne in die Raststätte. Eine kurze Unterbrechung zur Orientierung und schon weiß ich, wohin ich gehen muss. Im Keller finde ich eine hochtechnisierte Anlage, bei der ich zunächst siebzig Cent in einen Schlitz stecken muss, bevor ich ein Drehkreuz passieren kann. Nach wenigen Schritten erreiche ich eine Box, gehe hinein, schließe die Tür, reiße mir Hose und Slip runter und setze mich. Von lebensbedrohender Körperspannung zur puren Erleichterung sind es manchmal nur Sekunden. Ich atme noch etwas schnell, weil ich rennen musste, doch langsam macht sich Ruhe in mir breit. Plötzlich höre ich aus einem Lautsprecher eine Stimme. Störend. Nervtötend. »Willkommen bei Sanifair. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Um ihre Zeit bei uns so angenehm … « Das alles mit einer esoterisch angehauchten Melodie im Hintergrund.

Ich halte meine Hände an die Ohren. Das kann doch nicht wahr sein! Kann die mediale Volldröhnung nicht wenigstens hier aufhören? Oder muss das bei einem Preis von siebzig Cent einfach sein? Ist das der Zusatznutzen, den ich gar nicht bestellt hatte? Singt jetzt gleich Queen »Under pressure« in der Acoustic-Version? Oder Keimzeit »Lass es laufen den Berg hinunter … «? Haben die noch nie etwas vom stillen Örtchen gehört? Ich komme mir vor wie im Flugzeug. Warum nicht gleich die Sache richtig angehen? Ich lehne mich zurück, und beginne zu träumen.

In eine Sanifair-Bedürfnisanstalt der Zukunft kommt ein nervöser Mann, von einem Bein auf das andere tretend. Ein persönlicher Sanifair-Betreuer empfängt ihn freundlich:

»Guten Tag! Ich möchte Sie im Namen von Sanifair bei uns begrüßen und Ihnen einen angenehmen Aufenthalt wünschen. Ich heiße Jochen Kulke, aber meine Freunde nennen mich Jo. Mein Team und ich werden Sie heute begleiten. Wollen Sie mir bitte folgen?«

Der nervöse Mann wird noch nervöser, sieht Jo aber in die richtige Richtung gehen. Die Erlösung von seinen Qualen scheint nicht mehr weit. Jo dreht sich um.

»Darf ich Sie noch fragen, welche unserer Leistungen Sie gedenken, in Anspruch zu nehmen?«

Der nervöse Mann vernimmt ein Knurren in seinen Gedärmen und spürt erhöhten Druck in der finalen Strecke seines Verdauungstrakts. Er denkt: ›Kann man hier nicht einmal in Ruhe scheißen?‹, doch er sagt es nicht. Jo schaut ihn durchdringend an: »Welche Leistung, der Herr?«

Der Mann reagiert nicht. Nicht ohne Grund ist Jo für solche Momente geschult. Deshalb unterstützt er gern.

»Wird es bei Ihnen eher etwas größeres oder etwas kleineres? Oder, anders gefragt, können Sie dabei stehen oder müssen Sie sich setzen?«

Der Mann presst mit hochrotem Kopf durch die Lippen: »Ich würde mich gern setzen.«

Jo setzt sein verbindliches Lächeln auf. »Gern!« Er strahlt den Mann an, als habe er soeben in einem Sternerestaurant die Bestellung für Jakobsmuscheln entgegen genommen. »Dann darf ich Sie nun in die Obhut von Hans, Ihrem persönlichen Betreuer geben.«

Der Mann zögert. Der zweite Betreuer? Ist das nicht etwas übertrieben? Doch Jo scheint seine Gedanken lesen zu können. »Wir bei Sanifair haben ein ganzheitliches Konzept, um unseren Gästen ein Optimum an Kundenservice zu bieten. Sie werden merken, dass Sie Hans gar nicht bemerken. Er ist nahezu unsichtbar und doch nah genug bei Ihnen, um für Ihr Wohlergehen zu sorgen.«

›Aber meine Güte, ich will doch bloß scheißen‹, denkt der Mann, der gerade sehr schmerzhaft von seinem Enddarm an den Grund seiner Begegnung mit Jo und Hans erinnert wird. Da kommt sein persönlicher Betreuer auch schon um die Ecke. Ein gut trainierter und gebräunter Sonnyboy um die dreißig, weißes T-Shirt, eine Idee zu Slimfit, eine weiße Hose und Birkenstocksandalen. Er streicht sich eine seiner schwarzen Locken hinter das Ohr und reicht dem Mann die Hand. »Ich bin Hans. Folgen Sie mir bitte zu unseren Premium-Boxen.«

»Premium-Boxen?«, entfährt es dem Mann erstaunt.

»Sind Sie kein Premium-Kunde?«

»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«

Hans schaut streng zu Jo und zieht eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen nach oben. Jo zuckt mit seinen Schultern und zischt ihm zu: »Ich dachte schon.«

»Was muss ich denn tun, um Premium-Kunde zu werden?«, fragt der Mann.

Die Mienen von Jo und Hans hellen sich deutlich auf. Jo zieht von irgendwoher einen Flyer und reicht ihn dem Mann. Hans zückt einen Kugelschreiber und sagt:

»Sie müssten bitte hier einen Antrag auf eine Sanifair-Goldcard ausfüllen.«

Der Mann sieht die beiden erstaunt an. Krämpfe durchzucken seinen Bauch. Er kann kaum noch stehen. »Und was habe ich davon?«

Jo scheint nur auf diese Frage gewartet zu haben. »Sie haben eine Eins-zu-Eins-Betreuung, bekommen trockenes und feuchtes Toilettenpapier in zwei Duftrichtungen und brauchen nicht mehr selbst zu spülen. Wenn Sie wollen, bekommt Ihre Partnerin auch eine Karte. Dann dürfen Sie unsere Partnerboxen nutzen. Zeit für Partnerschaft in höchst intimen Momenten gehört zu unserem Credo, gerade in Zeiten der Vereinsamung, der Entfremdung und fortschreitender Individualisierung«, proklamiert er politikeresk.

Dem Mann steht inzwischen der Schweiß auf der Stirn. »Können wir das nachher noch klären? Ich würde dann gern einfach nur … «

»Natürlich«, ereifert sich Hans nun, »Ihr Wohl steht selbstverständlich an allererster Stelle. Darf ich vorausgehen? Sie bekommen einfach eine Premium-Betreuung, damit Sie gleich merken, was das für ein Vorteil ist.«

Der Mann nickt, Jo nimmt ihm Flyer und Stift ab und verabschiedet sich mit einem freundlichen Grinsen. Dann folgt der Mann Hans. Selbiger bleibt nach wenigen Schritten vor einer Box stehen, öffnet diese und macht eine ausladende Handbewegung in das Innere. »Bitteschön!«, sagt er wie ein Hotelpage. Doch als der Mann eintreten will, stellt sich Hans in den Weg. »Wenn ich Sie nun noch mit unseren Sicherheitsvorschriften vertraut machen darf?«

Der Mann greift sich auf den Bauch und schaut mit sehnsüchtigem Blick auf die Kloschüssel direkt vor ihm. »Aber ich will doch einfach nur …!«

»Ich weiß«, sagt Hans, »denn Ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Doch die Sicherheitsvorschriften sind nun einmal verpflichtend. Sonst bekommen wir wieder Ärger.« Der Mann stützt sich an der Wand ab und spannt alle Muskeln südlich seines Steißes an.

»Dann machen Sie schon«, presst er hervor.

Hans baut sich vor ihm auf, öffnet eine kaum sichtbare Tür in der Wand und entnimmt dieser einen Koffer. »Also. Im Falle einer Notsituation sind die Fluchtwege ausgeschildert.« Er hebt beide Arme und verweist mit ihnen zum Ausgang und auf grüne Leuchtleisten am Boden. »Unser Fluchtwegesystem garantiert Ihnen, auf schnellstem Wege außerhalb dieser Anlage zu sein.« Dann öffnet er den Koffer und entnimmt diesem eine Atemschutzmaske.

»Sollte der Druck in Ihrer Kabine abfallen, oder aber der Rauch- und Duftmelder unangemessene Gase im Luftgemisch feststellen, ertönt ein Warnsignal und Sie setzen sofort diese Maske folgendermaßen auf.«

Er macht es dem Mann vor und bleibt mit der Maske auf seinem Gesicht vor ihm stehen. »Haben sie alles verstanden?«

Der Mann spürt, wie ihm Schweiß auf seinem Rücken abwärts läuft. Er atmet jetzt stoßweise. Dann presst er hervor: »Darf ich jetzt?«

»Gern!«, sagt Hans etwas zu laut durch seine Maske, »denn schließlich steht Ihr Wohlergehen im Mittelpunkt. Wenn ich Ihnen die Brille noch einmal desinfizieren darf?«

Und schon ist er zur Toilette geschnellt und hat einen Knopf bedient. Die Spülung ist zu hören und die Klobrille dreht sich einmal durch ein Reinigungsgerät. »Bitte«, sagt Hans und zeigt auf die Schüssel. Der Mann drängt sich an ihm vorbei, öffnet unter Schmerzen seine Hose.

»Würden Sie dann bitte gehen?«, fragt er. Hans schaut ihn verwundert an. »Warum?«

»Weil ich jetzt ungestört hier sitzen möchte und einfach nur … «

»Wie Sie wünschen. Wir gehen ganz auf unsere Kunden ein. Ich warte dann vor der Tür.« Hans verlässt die Box und schließt die Tür. Der Mann lässt die Hosen und den Slip runter und setzt sich. Er versucht krampfhaft die Vorstellung loszuwerden, dass da jemand vor seiner Box steht. Das strengt ihn wahnsinnig an. Es stört ihn. Doch Stück für Stück verschwimmt das Bild vom Hans vor der Tür und Entspannung tritt ein. Er merkt, wie der Druck in seinen Därmen nachlässt.

»Wenn Sie mich brauchen, sagen Sie es einfach. Ich bin für Sie da«, ruft ihm Hans eine Nuance zu fröhlich von draußen zu. Offenbar hat er auch seine Maske wieder abgesetzt.

Alle Entspannung ist dahin. »Lassen Sie mich endlich in Ruhe scheißen!!«, schreit der Mann wütend nach draußen. In diesem Moment entspannt er völlig. Dann folgt Stille.

»Darf ich Ihnen nun das feuchte Papier reinreichen?«, fragt Hans durch die Tür.

»Nein!«, brüllt der Mann, während er das normale Papier abrollt und es seiner Bestimmung zuführt. Endlich ist er fertig, sein Bauch ist noch immer aufgebläht, aber er spürt keine Schmerzen mehr. Er betätigt gerade die Spülung, als es von außen dröhnt: »Aber das hätte ich doch machen können!«

»Das schaffe ich schon!«, ruft der Mann. Dann öffnet er die Tür, schaut mit einem bitterbösen Blick auf Hans und sagt:

»Danke, Sie können jetzt reingehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Hans geht tatsächlich in die Box und der Mann will gar nicht wissen, was er dort zu tun gedenkt. Am Tresen empfängt ihn Jo. Lächelnd kommt er auf ihn zu.

»Und, wie hat es Ihnen bei uns gefallen?«

Der Mann schaut zu ihm. »Etwas aufdringlich fand ich alles.«

Jo freut sich. »Gern nehme ich auch Ihr negatives Feedback entgegen. Wenn ich Sie bitten darf, hierzu unseren Fragebogen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit auszufüllen? Es sind nur fünfzig Fragen und gerade Menschen wie Sie werden uns helfen, unseren Service in Zukunft noch besser auf die Bedürfnisse unserer Kunden abzustimmen.«

»Nein danke. Nehmen Sie ihren albernden Fragebogen und wischen Sie sich damit … «, der Mann stockt, »ach, vergessen Sie es einfach. Auf Wiedersehen.«

Gerade will der Mann sich an Jo vorbeipressen, als Hans von hinten kommt und ruft: »Jo, du musst den Mann aufhalten. Er muss noch nachzahlen.«

»Nachzahlen?«, entfährt es dem Mann.

Hans steht inzwischen vor ihm. »Ja, das müssen Sie. Unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen hängen am Eingang aus. Und danach sind in den Kosten von siebzig Cent nur fünfhundert Gramm Stuhl enthalten. Und bei Ihnen hat unsere integrierte Waage mehr gemessen.« Dann schaut er ihn durchdringend an: »Deutlich mehr!«

Jo schüttelt seinen Kopf. Der Mann schweigt. Dann presst er sich an Jo und Hans vorbei, rennt zum Ausgang, immer weiter bis zu seinem Auto, startet es und rast davon. Auf der Autobahn versucht er alles zu verarbeiten, doch es gelingt ihm nicht. An der nächsten Raststätte fährt er ab, um einen Kaffee zu trinken. Er parkt das Auto, geht zum Restaurant und öffnet die Tür.

Eine junge Frau tritt ihm entgegen. »Willkommen bei Tank und Rast. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Um ihre Zeit bei uns so angenehm wie möglich … «

Dem Mann wird schwarz vor Augen und er fällt.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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220 стр. 1 иллюстрация
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9783941935242
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