Читать книгу: «Skyline Deluxe», страница 10

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Meine Güte, wie alt war er eigentlich?

Die Hose war irgendwo in der Reisetasche. Er wühlte ein bisschen und fand sie nicht gleich. Musste tiefer sein. Ruhig bleiben.

Er brauchte ja nur die Hose. Mit allem anderen würde er versorgt werden. Bloß umziehen konnte man sich am Pool schlecht.

Natürlich würde Chi ihren Bikini unter dem Shirt tragen und ihre Shorts einfach ablegen. Aber diese Hose passte unter keine Jeans.

In der orangen Hose wollte er nicht Aufzug fahren und durch die Gänge laufen. Andere hätten das gemacht.

Da war sie. Er würde sie unter einem Handtuch wechseln. Das war zwar nicht ganz gesellschaftsfähig, aber niemand würde es bemer­ken. Also los. Er zog die Zimmertür zu, in den Aufzug und hinab.

Mit der eingerollten Hose in der Hand tauchte er am Pool auf, besorgte sich eines der unter einem schattenspendenden Vorbau in Regalen vorrätigen Handtücher und sah Chi aus einem der beiden Pavillons winken. Erleichtert spazierte er hinüber. Was hatte er befürchtet? Dass sie abhauen würde? Chi hatte ihr Handtuch auf einer der Liegen drapiert und mit dem Umziehen gewartet, damit Thomas in den Genuss kam. Sie war schließlich im Urlaub und zum Vergnügen hier. Sie selbst genoss seine Augen auf ihrem Körper. Die Schuhe abgestreift schälte sie sich erst mit züchtig anmutendem Arschwackeln aus der Shorts und zog danach das Shirt über den Kopf. Es dauerte nicht lange und war auch unjapanisch, aber der Pavillon verbarg das kurze Schauspiel teilweise und es waren auch noch kaum Gäste draußen. Thomas hielt außerdem sein Handtuch vor ihr aufgespannt, damit ihm die schöne Sache vorbehalten blieb. Er hätte wegsehen können, tat es aber nicht und, obwohl er Chi´s Schönheit schon weit näher kennen gelernt hatte, fand er keinen Grund, die Gelegenheit zu verschmähen. Ein Bikini war doch etwas anderes. Neu. Ihr treffsicherer Geschmack bewies sich auch hier. Sie war eben aus der Mode-Branche.

Erst nachdem sie ihre Shorts und das T-Shirt zusammengelegt und sich auf der Liege ausgestreckt hatte, nahm Thomas das Handtuch weg und fragte spöttisch: „Paris, Mailand oder New York?“, und meinte damit die vermeintliche Herkunft ihres offensichtlich hoch­wertigen Zweiteilers.

Chi sah ihn kokett von der Seite an: „Hab ich selbst entworfen. Ist ein Einzelstück. Das heißt, ich habe zwei davon.“

Wollte sie ihn auf den Arm nehmen?

„Wie findest du ihn?“, wollte sie ohne Eitelkeit in der Stimme wissen.

Der violette Bikini war vielmehr orchideenfarben. Böse gemeint, würde man es lila-blass-blau nennen können, was das Purpur in den changierenden Blütenstrukturen verschwiegen hätte. Der Badedress konnte den Stewardessen einer großen nationalen Airline alle Ehre machen, wenn in Linienflugzeugen Bedarf an Bikinis geherrscht hätte. Rein preislich im Bereich mehrerer Monatsgehälter des hiesigen Mindestlohnes gelegen, aber nur für Jumbo-Piloten überhaupt bezahlbar. Das Design koinzidierte tatsächlich massiv mit der Corporate Identity der Fluggesellschaft, war aber, und das funktionierte beileibe mindestens so erfolgreich, geschaffen, um Chi´s Haut optimal zur Geltung zu bringen, ohne dabei plump oder vulgär zu wirken. Leider bot Japan dazu praktisch keine Anlässe und hier fehlte es unserem lieben Fräulein bisher an passenden Bewunderern. Er saß perfekt.

Die kräftige Farbintensität stand in hohem Kontrast zur Weißheit ihrer Haut, wobei ein krasser Effekt durch die Weichheit der stets in sich wechselnden Farben in den Orchideenmustern vermieden wur­de. Die Farben waren kraftvoll, aber nicht hart. Sie knallten nicht.

Die Augen konnten sie nicht richtig fassen, da die außergewöhnlich mehrschichtige Kunstfaser, durch Wechsel des Blickwinkels bei jeder feinen Bewegung sanfte Übergänge zwischen dem besagten Tiefviolett, einem Himmelblau und purpurnen Fäden auslöste.

Die in Schichten eingewebten Orchideenblüten boten dem Augen zusätzlich Beschäftigung und es kam, weit entfernt von einem einfarbigen Bikini, zu einem Effekt der vortäuschte, die bedeckten Körperregionen würden unentwegt von frischen Blütenblättern umspielt, die sich selbst bewegten.

Einer Elfe wahrhaft würdig.

„Superklasse“, sagte Thomas.

„Ja?“, fragte Chi nach.

„Wirklich spitze. Ist der echt von dir?“

Sie nahm seine Zweifel als Kompliment.

„Denkst du, ich lüg dich an? Wegen eines Bikini?“

„Respekt. Das ist wirklich klasse“, wiederholte sich Thomas in einer aufrichtigen Begeisterung. „Warum verkaufst du das nicht?“

„Viel zu teuer. Da hab ich ihn lieber für mich.“

Thomas hatte seine aufgerollte Hose auf die Liege neben ihrer gelegt und streifte nun sein Hemd ab.

Er mochte es, den Natursteinboden mit seinen nackten Fußsohlen zu spüren, nachdem er sich seiner Schuhe entledigt hatte. Blieb das Problem mit der Hose. Also schlug er sich das große Handtuch um die Hüften, wie er das seit seiner Kindheit in Deutschland gemacht hatte, zog darunter die Jeans und seine Unterhose aus und an­schließend die Badehose an. Das sah geschickt aus, bedeutete aber eine Katastrophe, wenn das Handtuch gefallen wäre.

Chi tat, als sähe sie nicht hin, fand es aber ziemlich cool.

Noch viel cooler fand sie seine Badehose selbst. Sie war so lustig, dass sie laut lachen wollte und gerührt war, ob der Diskrepanz zu ihrem Superdress. Die durch das Einrollen und wohl grundsätzlich zerknitterte Baumwolle war ursprünglich Knallorange gewesen und hatte zur Sicherheit eine sehr schlichte Schnürkordel als zusätz­lichen Verschluss in den Gummibund eingenäht. Das Teil stammte aus der Kategorie zwei Euro Touristenverschleißware, die nach Möglichkeit für fünf bis acht verkauft wurde und meistens wenigstens drei fünfzig einbrachte.

Auf dem über die Jahre ausgewaschenen Orange fanden sich verschiedene Sorten Musikerschlümpfe porträtiert, welche jeweils eine Harfe, eine Trompete und einen Kontrabass bedienten, was ein unkonventionelles Trio darstellt. Ebenso vielfarbig gedruckt wie die Abbildungen der ungehindert fröhlichen Schlümpfe waren in den Zwischenräumen die ermutigenden Worte: Music, Joy und Love.

Ja, hier handelte es sich um ein über weite Stoffbahnen verlaufend wiederkehrendes Muster der immer selben Figuren und Worte.

Von Einzelanfertigung keine Spur.

Chi mochte diesen süßen Kerl doch.

„Und?“, entkam es Thomas, als müsse auch er ein Urteil zu seinem Outfit einholen. Die sprachlose Milde im Blick seiner neuen Freun­din verunsicherte ihn leicht.

Deshalb sagte sie: „Suits you perfect. - Passt perfekt zu dir.“

Sie bewunderte auch seinen Geschmack, den Sinn für das Passende und sicher, dass er es so viel günstiger als sie schaffte etwas zu finden, das niemand tragen konnte wie er. Thomas war stilsicher. Sie hatte oft erlebt, wie Leute Unsummen für hoch exklusive Klamotten ausgeben, die ihnen nicht stehen, nur weil sie meinen das tragen zu müssen. Oder weil es eben angesagt war. Weil sie angesagt sein wollten, weil sie einen eigenen Stil nicht kannten, nicht hatten. Thomas war stilsicher.

Sie sagte das nicht und er war wieder unsicher.

„You are kiddin' me?“

„Of course not. I am proud to be with you. Style is not a matter of expenses, but of authentic sense.“

Das reimte sich, obwohl Chi nichts von Klabautergesetzen wusste.

Thomas lächelte sie an und streckte sich nun auf seiner Liege aus. Er wollte Chi so manches fragen und wusste nicht wie anfangen. Das lag an der Verliebtheitsunsicherheit, für die er ganz klar zu alt war, wenn man auch fürs verliebt sein nie zu alt war und man dann eben diese Unsicherheit entwickelt.

Oder ändert sich das verliebt sein, wenn man reifer wird?

Gelassener wird man vielleicht. Man kennt das jetzt schon und hat Strategien entwickelt, sich zu fassen, weil man weiß, wie einem geschieht, was zu tun ist und die Disziplin dazu aufbringt.

Tatsächlich gilt, dass Alter vor Torheit nicht schützt, und das wäre vielleicht sogar sehr schade, doch wurde man im besten Falle etwas stabiler als zu Zeiten der pubertären Entwicklung. Schon allein des weniger wallenden Hormonhaushaltes wegen. Garantie gab es keine, aber Thomas schalt sich einen Feigling, nicht offen zu sprechen. Besonders nach den Freizügigkeiten der Nacht und Chi´s sichtlich vertrauensfördernder Aufgeschlossenheit. Gerade erst hatte sie gesagt, sie sei stolz mit ihm zu sein. Also.

Aber seine infantile Eitelkeit ängstigte sich, das aufs Spiel zu setzen. Mit falschen Fragen. Er war doch nicht blöd. Seine Fragen waren verständlich und keineswegs dumm oder unangebracht. Unterstellte seine Zurückhaltung nicht auch, sie wäre zu doof, diese Fragen verständlich zu finden. Würde sie nicht vertragen, wäre zu überempfindlich, zu zickig. Er dachte zu viel nach. Auch wenn ihm das in seiner multiinterkausalen Logik half, die Dinge besser zu sehen und manchmal zu einem Ergebnis zu kommen.

Denn das war sicher: Zickig war Chi nicht.

Empfindsam hoffentlich. Doof? Unmöglich.

Er war unsicher, müde und verliebt. Daran lag es. Er hatte keine Angst vor Frauen. Auch nicht vor „starken“ Frauen. Im Gegenteil begünstigte eine gewisse Selbstverliebtheit die Gefahr, sich ihnen zu ergeben und sich zusehends von ihnen bestimmen zu lassen.

Da es dieser Selbstverliebtheit schmeichelte, die edlen Damen zu rühren. Wenn sie das merkten und anfingen, ihn mit absichtlichen Belohnungen zu steuern, konnte es dauern, bis es ihm auffiel, weil es ihm zu sehr gefiel. Bis er sie vielleicht langweilte.

Das passierte ihm zum Glück dann doch nicht. Dafür dachte er zu viel nach. Er hatte keine Angst vor Frauen. Er fürchtete sich vor Liebesentzug. Ödipal narzisstischer Effekt. Er sonnte sich in ihrer Gewogenheit so sehr, gefiel sich darin, von ihnen gemocht zu werden. Darüber identifizierte er sich. Darin fand er Bestätigung. Nichts außergewöhnliches für einen Mann.

Thomas war sich darüber durchaus bewusst. Mehr als die meisten seiner Geschlechtsgenossen. Das änderte nur leider gar nichts an den Auswirkungen. Der Entzug dieser Zuwendung, die Gefahr des Entzuges alleine, ängstigte ihn. Obwohl er sich erfahrungsgemäß um weibliche Zuneigung keine Sorgen zu machen brauchte und das auch wusste. Schlimm war das nur, wenn er verliebt war. Denn das erhöhte, überhöhte die Gunst der Auserwählten ins Übernatürliche, ins Unermessliche. So dass auch die Furcht vor dem Verlust sich unermesslich steigern konnte. Eben rein psychisch. Nicht materiell begrenzt. Das war auch deshalb nicht unbedingt praktikabel, weil seine Verliebtheit nicht immer ein Objekt wählte, das diese erwiderte oder dafür überhaupt geeignet war, was die Sache leidlich erschwerte. In der Art waren die Dinge, welche er zu Zeiten seiner Pubertät gelernt und mit der Reife der Zeit überwunden hatte. Schnell zu reagieren, wenn zu erkennen war, dass seine Verliebtheit sich aufgrund missverstandener Signale irrtümlich einer undank­baren Zielperson aufgedrängt hatte, und sich zusammenzureißen. Chi war nicht undankbar. Gar nicht. Sie erwiderte aber auch keine Verliebtheit. Chi war nicht verliebt.

Sie war eigentlich nicht geeignet. Aber sie war Thomas aufrichtig zugeneigt. Mit ehrlicher Wertschätzung. Sie machte ein Experiment mit sich. Thomas war würdig teilzunehmen. So weit sie das ermessen konnte, mochte sie ihn.

Sein empfindliches Gehirn reagierte auf den Schlafentzug mit geistigen Verspannungen. Er fühlte sich überspannt. Das Denken strengte ihn an. Seichte irrationale Ängste waren das Ergebnis.

Gar nicht darauf achten. Nur ein Effekt von energetischen Schwächen wegen Stoffwechseldefiziten.

In Kombination mit verliebt.

„Kann ich dich ein paar Dinge fragen?“, fing er deshalb schon ein bisschen blöde an.

„Entspann dich. Ich möchte auch ein paar Sachen von dir wissen. Wir reden später, wenn wir alleine sind. Das ist besser. Lass uns Leute beobachten und etwas zu Trinken bestellen.“

Chi winkte einer Bedienung. Sie hatte recht. Besser unter sich sein, bei den Fragen, die er vorrätig hielt. Es beruhigte ihn, sie so gelas­sen antworten zu hören. Er machte sich unnötige Gedanken.

„Was möchtest du?“

„Hm, mal sehen, ob man Zitronenshake bekommen kann.“

„Keinen Cocktail?“

„Wenn ich um die Tageszeit schon Alkohol trinke, kannst du mich den ganzen Tag wegschmeißen. Denk mal an das Klima.“, wandte er ein. „Ich hab dir gesagt, dass ich kaum trinke.“

„Ja, da waren wir uns einig. Ich fast nie. Hätte aber gerade Lust.“

„Du kannst ja einen Cocktail bestellen, aber wenn du es nicht gewohnt bist, sei lieber vorsichtig. Bei mir ist das unterschiedlich. Ich werde entweder aufgekratzt und enthemmt oder müde. So wenig wie ich geschlafen habe, penne ich sicher gleich weg. Wer weiß was danach kommt.“

„Du hast recht. Ich werde auch ein Zitronenshake probieren. Ist bei der Hitze sicher geschickter.“

„Sauer macht lustig.“

„Bitte? - Excuse me?“

„Hat meine Oma immer gesagt. Ist ein alter Spruch.“

Die Hostess war da und Chi fragte nach den Zitronenshakes.

„I don´t know, if it´s on the menu, but I will see, what we can do for you. - Ich weiß nicht, ob das auf der Karte steht, aber wir tun was wir können, für Sie.“

Das bedeutet, sie wusste sehr wohl, dass keine Shakes auf der Karte waren, aber sie würden trotzdem welche machen.

Unerwartet fuhr sie fort.

„May we kindly inform you about a current issue?“

Beide nickten freundlich abwartend, worum es sich handeln könnte.

„If you go out together, please make sure, that the windows are closed.“

Beide stutzten.

Die Hostess bemerkte das ohne Überraschung und sprach weiter.

„We had complaints from other guests about this problem in the early morning“, schien sie sich zu entschuldigen.

Die hingezogenen Betonungen auf „go out togeeether“ und „in the mooorning“ rüttelten Thomas' Einsicht hinsichtlich der „complaints from other guests“ wach. Er warf Chi einen Blick zu.

Sie verstand, weiter abzuwarten, begriff aber nicht gleich.

„We don´t like problems. We want to protect all of our guests from any kind of problems. Especially do we care for precious guests like both of you are. Please mind to close the windows, when you go out together.“

Der Ton der Hostess war so höflich wie irgend möglich. Sie wollte unbedingt den Eindruck wohlwollender Fürsorge vermitteln und keinesfalls belehrend auftreten. Die ausdrückliche Bezeichnung der Beiden als precious - wertvoll sollte dies unterstreichen. Die neuerliche, eigentlich unnötige Wiederholung der Beschreibung des aktuellen Problems der geschlossenen Balkontüren, den einzigen Fenstern, den Türen der Fensterfront in den Zimmern, beim gemeinsamen Ausgang, wieder langgezogen ausgesprochen und in Verbindung mit extrem kurzem Blicken zu beiden, gefolgt von verständnisvollem Lächeln wies noch mal auf das eigentliche Thema hin.

„We hope you understand our good intention and mind for your own safety and privacy.“

Privacy wurde betont und safety war die diplomatische Absicherung, man spreche schließlich nur darüber die Fenster beim Verlassen des Zimmers aus Sicherheitsgründen zu schließen.

Die Privatsphäre zu schützen. Selbstverständlich.

„We wish everybody a pleasant stay,“ schloss sie souverän ihre Rede.

Thomas beeilte sich ihr vollste Zusicherung zu leisten: „We absolutely understand your kind caress. We are truely sorry, if some guests have caused disturbance, but it may only be the result of spontanious pleasure. We want to assure you, that we will take care for the future. Everything will be OK.“

Chi dämmerte worum es ging.

„Thank you.“

Die Hostess lächelte zufrieden.

Thomas hatte schon zu viel zugegeben. Sein übermüdetes Gehirn arbeitete nicht straff genug. Es ging in diesem Wortwechsel um die klare Übereinkunft bezüglich des tieferen Sinnes.

„If there was any trouble for the staff, they will accept the sincere offer of our humble apology“, wollte er so höflich wie möglich sein und aufrichtig um Verzeihung bitten, sollten die liebenswürdigen Angestellten Stress mit aufgebrachten Gästen gehabt haben.

„Nevermind“, entgegnete die Hostess fröhlich.

„I will get the drinks for you now.“

Thomas erklärte Chi die übertragenen Bedeutung der Rede, welche ihre eigene inzwischen gereifte Auslegung bestätigte.

Beide blickten sich innerlich amüsiert, unter gespieltem Ausdruck gegenseitiger Vorwürfe im Gesicht tief in die Augen. Oiyoiyoi, wer hätte das gedacht: Beschwerden wegen der Lustgeräusche am Morgen, weil die Balkontüre offen gestanden hatte.

„Wir waren wohl ziemlich laut.“

„Wahrscheinlich hatten wir Landsleute von dir in der Nachbar­schaft.“ Thomas spielte auf ihre Lustbefehle in Japanisch an, die sonst kaum jemand verstanden haben konnte.

Zur Interpretation ihrer Herkunft war das nicht nötig.

Chi hätte ihm beinahe einen Klaps gegeben, zog ihre Lippen spitz und reduzierte ein Kichern auf ein auffallend strenges 0,02 Milli­meter Lächeln: „Andererseits so ein bisschen Exhibitionismus bei offenem Fenster macht auch Spaß.“

Thomas zog die Augenbraue hoch.

„Weißt du noch wie ich dich erst in dein Zimmer und dann nach unten geschickt habe?“

„Klar, deswegen wollte ich dich fragen. Fand ich ziemlich seltsam.“

„Ja, später. Wenn wir unter uns sind.“

Die Zitronenshakes wurden serviert.

„We hope you enjoy yourself.“

Mit Lächeln.

Sein verräterisches Geplapper über die Ergebnisse spontaner Leidenschaft als verzeihliche Ursache, vor seiner auch ohne solche Zusatzinformationen ausreichende Versicherung über die Be­achtung des Problems in Zukunft und freundliche Entschuldigung wegen möglicher Unannehmlichkeit hatte das Personal für ihn eingenommen. Die feine Dame mochten sie sowieso schon.

Sie soll gesungen haben, beim Sex.

So angenehme Menschen.

„If you have any more wishes, please feel free to let us know.“

Thomas nickte. Die Hostess nickte und entschwand elegant.

Thomas gefiel diese ausführliche Fürsorglichkeit. Drückte sie doch aus, wir nehmen uns Zeit für unsere Gäste. Wir meinen es ernst. Wir machen das gerne. Thomas verschaffte das ein Gefühl der Geborgenheit. Das war auch die Absicht dahinter. Wohlbefinden.

Die Shakes waren exquisit. Ganz fein.

Nicht zu süß mit sanfter Säure. Kühl und sehr erfrischend.

Sein Flüssigkeitshaushalt dankte es ihm unmittelbar.

„Lecker“, sagte Chi. „Wie nennt man das auf Thai?“

„Manao Bann“, antwortete Thomas.

„Muss ich mir merken.“

„Siehst du die Frau, die dort verkehrt herum auf ihrer Liege ein Buch liest?“

Eine Weiße, Europäerin, Kanadierin oder Amerikanerin lag im braunen Bikini mit dem Kopf am Fußende und den Füßen auf dem für den Kopf erhöhten Teil ihrer Liege und las ein Buch, das sie mit der linken Hand über ihr Gesicht hielt. Warum sie verkehrt herum lag, war nicht klar. Vielleicht erhoffte sie sich eine irgendwie ver­besserte Sonnenbräune, gleichmäßiger oder wie auch immer, denn sie war schon ziemlich gut gebräunt und so legte sie anscheinend darauf Wert. Sie war wohl Ende Dreißig oder älter und attraktiv. Genau genommen machte sie auf Thomas den Eindruck, absichtlich eine erotische Ausstrahlung zu verströmen, vielmehr von ihrer An­ziehungskraft auf Männer eingenommen zu sein.

Vermutlich gab ihr der Erfolg recht.

Offenbar allein reisend.

Sonst würde er sich schon sehr täuschen.

„Ja, sicher“, antwortete Chi.

„In Thailand gelten die Füße als unreinster Teil des Körpers, während der Kopf praktisch heilig ist.“

Das leuchtet ein, da der Boden fast überall sehr schmutzig ist, man bis vor wenigen Dekaden sehr viel barfuß und mangels mechan­ischer Fortbewegungsmittel sehr viel zu Fuß unterwegs war.

In ländlichen Gebieten gab es nur und auch heute weithin den natürlichen Boden mit Erde und allem was dazugehört. Letztlich sind die Straßen auch nicht sauber und in Städten ist das noch übler. Das Schuhwerk vieler Leute ist wegen des Klimas und auch wegen fehlender Finanzmittel oft leicht und offen. Im Kopf dagegen vermutet man die Seele, was durchaus plausibel ist. Wissen wir doch, dass dort das Gehirn, die Steuerungszentrale des Organismus sitzt. Den menschlichen Geist an derselben Position auszumachen, ist somit nicht unvernünftig und je nach Standpunkt auch in der westlichen Welt noch verbreitet. Ob Seele, Geist oder wie man diese Selbsterfahrungen des Daseins nennen mag, dasselbe sind, zusammengehören und man feststellen kann, wo sie wirklich beheimatet sind, bleibt zwar bisher nicht endgültig geklärt, aber abwegig ist eine Lokalisation im Schädel nicht weniger, als sie etwa im Ellenbogen, einem Zehennagel oder dem Verdauungstrakt anzusiedeln. Selbst wenn es sich in finaler Konsequenz um ein Wechselspiel von allen Teile handeln könnte, oder wie auch manche glauben, es sich eher um eine Aura dreht, die nicht zwangsläufig mit dem materiellen Körper verbunden bleibt.

Die Menschen orientieren sich eben an naheliegenden Zusammen­hängen. So ist das Gehirn von höherer Bedeutung und die Füße sichtbar dreckig. Deshalb soll der Kopf von Fremden nicht berührt werden und die Füße haben sich von gewissen Dingen fernzuhalten. Man richtet sie nicht auf Buddhastatuen oder andere Leute und legt sie nicht hoch. Die Dame ist zwar weder Thai, noch ist es wahr­scheinlich, dass sie buddhistischen Glaubens ist, doch ist es gerade in den Gepflogenheiten der gehobenen Klasse, in der sie sich hier bewegt, unschicklich, die Regeln des gepflegten Umgangs zu missachten und den Kopf dort zu platzieren, wo von anderen unzäh­lige, „schmutzige“ Füße abgelegt wurden und seine Füße dort, wo jemand seinen Kopf platzieren möchte. Zwar war ihr Handtuch über die Liege gebreitet, diese wird auch gereinigt und so sehr dreckig werden die Gäste dieses Hotels auch nicht sein.

Trotzdem tut man es einfach nicht.

Als Gast dieses Landes sollte man darüber informiert sein.

„Warum weist sie dann niemand darauf hin?“, fragte Chi, nachdem ihr das auseinander gelegt worden war.

„Es ist unhöflich, Kritik zu üben. Sie bleibt immer noch Gast. Letztlich ist es ihr Fehler. Ihr Problem. Man mischt sich nicht ein. Wenn es nicht nötig ist. Sonst ist sie möglicherweise unverständig und beschwört eine Diskussion oder Streit herauf. Fordert Ansprüche ein, als zahlender Gast, bei den Preisen, doch tun und lassen zu können, was sie wollte und finge an, dumme Fragen zu stellen, ob sich jemand, und wer, beschwert habe. Würde die einheimische Sichtweise deklassieren, ihre mögliche Verfehlung herunterspielen, versuchen, hiesige Traditionen als falsch, kindisch und rückschrittlich zu entwerten und damit letztlich die Kultur beleidigen. Ein Theater heraufbeschwören, das allen und ihr am meisten schaden würde. Kindisch wäre vor allem ihr Einsichts­defizit. Der Belehrende könnte Gesicht verlieren, ihr Problem so zu seinem machen, es quasi übertragen. Allein wenn die Frau unnach­giebig und herablassend reagieren würde, könnte ein einfacher Angestellter sich nicht über sie erheben und würde leiden. Man lässt sie ihren Irrtum und seine Folgen selbst ausleben und verantworten. So unwidersprochen macht nur sie sich lächerlich. Das kümmert die Thai wenig. Vielleicht kommt sie sich extravagant vor oder will provozieren. Das wäre selbstbezogen und unbuddhistisch. Auf solche Kindereien steigt man hier nicht ein. In einem Tempel würde man so etwas nicht durchgehen lassen. Keinesfalls.“

Chi sah nachdenklich drein.

Als Japanerin kannte sie den Buddhismus.

Sie war nicht sehr religiös.

Der Zen-Buddhismus unterschied sich von der hiesigen Variante. In Tokyo und der Modebranche herrschten eigene Gesetze. Oft blieb nicht mehr als eine schöne Fassade. Ihre Eltern waren zwar konservativ, aber diese engen Interpretationen konnte sie nie recht verinner­lichen. Sie hatte, wie viele junge Leute, eine individuelle Form freier Spiritualität für sich gefunden, die aus ihrem Erleben erwuchs. Reichlich instabil. Wie es unverdorbener Herzlichkeit leicht zu eigen ist. Dabei spielte die Zen-Umgebung in der Entwicklung eine große Rolle. Diesen Dingen konnte man sich kaum entziehen. Zu allgegenwärtig waren die Einflüsse. Die kontemplative Ruhe im Zeremoniell spendete Trost und die grundsätzlich asiatische Tendenz in der Lebensführung und Sichtweise lag ihr praktisch im Blut. Die Landschaft, Blüten und Wesen, der Wandel des Himmels und die traditionellen Legenden. Chi ist Japanerin.

Eine Mutter mit Kind erschien und richtete sich ein paar Liegen weiter von der Kopfüber-Dame ein. Thomas war sicher, dass sie Deutsche war. Spontan deutete er alles an ihrer Art zu dieser unzweifelhaften Herkunftsbestimmung. Der kleine Sohn stand noch nicht lange auf eigenen Beinen. Die Frau war wohl auch Ende Dreißig oder Anfang Vierzig. Es war bestimmt ihr erstes Kind. In diesem Alter hatten Thai-Frauen längst mehrere und so war sie nach thailändischem Maßstab schon ziemlich reif. Sie war in guter Form. Keine Schwangerschaftsstreifen oder Hängebrüste. Dafür waren sie auch zu klein, denn sie war eine sehr schlanke, eigentlich hagere, vielleicht übertrieben magere Bohnenstange. Ihr Haar hatte sie pragmatisch nach oben gesteckt, was ihr entgegen des insgesamt sehr guten Aussehens einen unerotischen Touch gab. Trotzdem sie einen blass-bunten Bikini trug, der ihre Figur zur Geltung brachte, obwohl er zu weiß und zu gelb für ihre helle Haut war, sagte ihre Haartracht, dass sie bei der Hausarbeit sei. Der ordentliche Aufbau der Poolutensilien einschließlich der Kinderversorgung unterstützte den Eindruck einer deutschen Heimat. Kaum hatte sie sich zur entsprechenden Sonnung hingelegt, erhob sie sich wieder, den unkontrollierbar herumlaufenden Filius einzufangen. So ging das von da an. Die ganze Zeit. Der unruhige Kerl blieb einfach nicht sitzen und so konnte sie kaum eine Minute auf ihrer Liege verbrin­gen, ohne ihm nachsetzen zu müssen. Seltsamerweise rief sie den Jungen nicht zurück, sprach effektiv kein Wort zu ihm, sondern jagte ihm immer nur stumm nach, wenn er es mehr als ein ein halb Meter von ihr weg oder zu nahe an den Pool geschafft hatte, was ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten schien. Eine gute Viertel­stunde bis zwanzig Minuten waren so verstrichen, als ihr Gatte erschien. Auch er bestätigte die deutsche Herkunft.

Ein Franzose, Italiener hätte sich anders bewegt, ein Holländer, Belgier anders ausgesehen. Skandinavier hätten andere Badesachen gehabt, und Engländer? Na gut könnte sein. Vielleicht waren es auch Russen. Konnte man Russen mit Deutschen verwechseln? Solange sie nicht sprachen? Es war etwas Hintergründigeres, das Thomas seine Landsleuten erkennen lies.

Der Mann war gutaussehend. Kleiner Bauchansatz, dunkle, kurze Haare, grau meliert, proportioniertes Gesicht, Mitte Vierzig.

Auch er gehörte wohl zu den Männern, die sich im Urlaub morgens mehr Zeit ließen. Die Kinderversorgung war offenbar Sache der Frau. Er schien nicht im Mindesten betroffen. Vielleicht gab es eine Abmachung. Beide redeten entspannt miteinander. Er hatte nur ein Handtuch mitgebracht und legte sich hin.

Zuhause gehörten sie sicher einer gehobenen Mittelschicht oder einer lässigen Oberschicht an und verkörperten ein modernes Paar nahe der bürgerlichen Idealvorstellung. Beruflich erfolgreich, finanziell gesichert, Frau bewältigt das schöne Heim, während er das Einkommensziel und den Versorgungsstatus im Auge behält. Beide attraktiv, sportlich, gesund. Ein schönes Paar.

Verheiratet, treu oder stabile Ehe. Kind. Nicht bevor alles in trockenen Tüchern war. Gesellschaftlich etabliert und ohne große Reibungen. Politisch korrekt. Gute Kunden, gute Konsumenten, kleines Haus, bessere Wohngegend, Abzahlungsverträge für Küche, oberen Mittelklasse- und Zweitwagen oder Van. Modern, sauber und solide. Premiumbürger.

Die Sache mit dem Fangspiel nahm kein Ende.

Er lag ungerührt da und las, während sie immer noch keine ungestörte Minute hatte, aber mit ihrem Jungen nicht sprechen wollte. Vielleicht war das antiautoritär. Mit ihrem Mann jedoch wechselte sie immer wieder kurze Sätze, was ihn nicht weiter störte. Dem Eindruck nach war er ein wenig zu unbeteiligt. Jetzt aber öffnete sie ihr Haar und schüttelte es nicht ohne den Zweck einer Wirkung. Ihr strähniges Blond und die mit dem Öffnen der Haare sofort einsetzende, veränderte Kopfhaltung stellten endlich die Verbindung zur Libido ihres Körpers her. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich und man konnte kaum leugnen, dass sie gefallen wollte. Jetzt lag da eine anziehende Frau am Pool. Ihre Schenkel waren straff und ihr Gesicht interessant. Was zerstrubbelte Haare alles anrichten können. Leider zeigte der Gatte keine nennenswerte Reaktion, aber das hielt sie nicht davon ab, sich sexy vorzukommen und bei der unaufhörlichen Verfolgung des Nachwuchses weniger steife Bewegungen an den Tag zu legen. Sie fing jetzt auch an zu lesen, was allerdings noch zweckloser erschien, da sie kaum Zeit finden konnte, mehr als drei Sätze am Stück zu lesen. Aber sie sah jetzt besser aus. Man achtete jetzt mehr auf ihren Po.

Thomas und Chi hatten das Schauspiel unter sich gegenseitig zuwerfenden, verständigen Blicken genossen, als ihre Aufmerksam­keit von einem neuen Darsteller gefesselt wurde.

Mit auffälliger Leichtfüßigkeit tänzelte er zum Regal mit den für Gäste bereitgestellten Handtüchern. Dazu warf er mit einer Handbewegung sein glattes, schulterlanges Haar unnötigerweise nach hinten. Man könnte meinen, dies solle die für sein ebenfalls leicht fortgeschrittenes Alter wohl seiner Ansicht nach noch bemerkenswerte Haarpracht betonen, obwohl sie nicht mehr einwandfrei blond war. Gemeinsam mit seinem, dem Klima gemäß sehr losen Kleidungsstil, beige Leinenhose, milchweißes Baum­wollshirt und helle Lederslippers, in denen er barfuß lief, war die Attitüde des kosmopolitischen Bohemiens unverkennbar. Wirkte seine Handbewegung zumindest aufgesetzt, um Aufmerksamkeit zu erwecken, könnte sie auch wegen zu ständiger Inanspruchnahme bereits die Qualität eines Ticks haben. Auf den ersten Blick war klar, dieser Mensch wollte wahrgenommen werden. Er legte es nicht nur darauf an, sondern wünschte sich, ja benötigte Anerkennung. Seht her, ich bewege mich in dieser Umgebung gewohnheitsmäßig, ich kenne mich aus und weiß Bescheid. Ich bin nicht zum ersten Mal hier beziehungsweise kein unwissender Tourist, sondern wie selbstverständlich in diesem Land, dem Umfeld integriert, fast wie zuhause. Ich bin anders, ich bin cool. Chi und Thomas sahen sich wortlos an. Vollkommen einig über ihre Belustigung daran, wie dieser Schauspieler nicht mehr zu bemerken schien, wie durchsichtig sein Gehabe wirkte.

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