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4.1.3 ‚simulare vs. simulacra

Das Verbum simulare taucht wie auch dissimulare im gesamten ‚liebes-elegischen‘ Œuvre Ovids, den Amores, den Heroides, der Ars amatoria und den Remedia amoris, auf,1 wobei dem Motiv der Täuschung und Selbst-Täuschung aufgrund seiner Omnipräsenz2 in den didaktischen Werken strukturgebende Funktion zugesprochen werden kann.3 Vorab seien hier Wilfried Strohs (1972, 1979) Erkenntnisse dargestellt, der die Parallele zu den rhetorischen Konzepten der simulatio und der dissimulatio artis berausgearbeitet hat; denn die rhetorische Tradition bildet eine der Grundlagen der Ars amatoria4 und der Remedia amoris.5 Im ursprünglichen Rede-Kontext sind die beiden komplementären Figuren der Ironie zugeordnet. Beschreibt die dissimulatio das „Verbergen von […] Wissen, Kunst oder auch Talent“6, artikuliert man mithilfe der simulatio etwa Meinungen, die der Wahrheit entbehren oder hinter denen man nicht steht.7 Die dissimulatio artis findet in ihrer ursprünglichen rhetorischen Bedeutung Eingang in die Ars amatoria. So soll der Liebhaber beispielsweise nicht vor dem begehrten Mädchen deklamieren oder den Kunstcharakter seiner Rede herausheben, sondern seine Kunstfertigkeit verbergen und als mühelos versierter Redner erscheinen (vgl. ars 1, 463f.: sed lateant uires, nec sis in fronte disertus; / effugiant uoces uerba molesta tuae).8

Auch die simulatio begegnet dem lernwilligen Schüler bei den Instruktionen des praeceptor in Form von Anweisungen zur simulatio amoris (vgl. ars 1, 611–646). Die gleichfalls auf dem ‚So-Tun-Als-Ob‘-Mechanismus beruhende simulatio sanitatis9 in den Remedia (quod non es, simula positosque imitare furores: / sic facies uere, quod meditatus eris, rem. 497f.) „korrespondiert“, wie Stroh herausstellt, also mit der simulatio amoris der Ars.10

Die Täuschung zum Zweck der Erregung bzw. Beendigung von Liebesleidenschaft funktioniert, so Stroh, analog zur simulatio der Rhetorik. Da für einen Redner, wie Cicero in de orat. 2, 189 beschreibt, eine „Affekterregung“ beim Zuhörer „Affektübertragung“ sein müsse, sei ein bestimmter Grad an Täuschung (simulatio) unvermeidlich.11 Die Simulation des Affektes könne jedoch auf den Redner rückwirken und die vorgegebene in eine authentische Haltung transformieren.12 So auch beim Liebenden, dessen Begierde bereits entfacht ist:13 In einem amor simulatus steckt das Potenzial, nicht nur wahre Liebe beim Mädchen, sondern auch im werbenden Mann selbst zu erwecken. Durch die Adaption der in der Redekunst bewährten simulatio für die Ars und die simulatio sanitatis als „Technik einer zum guten Teil rhetorischen Selbsttherapie“ werde Stroh zufolge „der Affekt der Liebe endgültig verfügbar“14.

Mein Interesse liegt jedoch weniger auf den rhetorischen Strukturen und Elementen in Ovids liebesdidaktischer Tetralogie, sondern vielmehr auf einem anderen Bereich, auf den das Wort simulare verweisen kann. Dieser betrifft nicht die Rhetorik, sondern die epikureische Erkenntnistheorie und die Rolle, welche den simulacra darin zukommt. Wenn man den quantitativen Gebrauch des Verbs in den Remedia betrachtet, fällt auf, dass Ovid es ausschließlich und kumulativ dreimal im Zuge des praeceptum zur Vorspiegelung der eigenen Genesung verwendet (vgl. rem. 493–515). Das Wortfeld des Täuschens wird dabei durch die im Hinblick auf ihre Semantik grundsätzlich vergleichbaren Verben fallere (vgl. V. 513), decipere (vgl. V. 501), imitari (vgl. V. 497) und fingere (vgl. V. 504), welche dem Leser ebenfalls bereits aus der Ars amatoria bekannt sind,15 ausgebreitet. Wie Einträge im ThLL und dem OLD16 zeigen, nähern sich diese Wörter der Bedeutung von simulare („[t]o act the part of, pretend to be“17) an: Für die Semantik von imitari in rem. 497 lautet die Paraphrase: „c[um] notione i n a n i t a t i s vel fallaciae, fere i.q. simulare, falso ostentare sim[iliter]“18, wobei simula explizit als Synonym für die Imperativform imitare ausgewiesen ist. Fingere steht an dieser Stelle in den Remedia (V. 504) laut OLD für „to make a pretence of (doing or feeling something), feign, simulate […] [,] to play the part of, pose as, imitate“19.

Das breite Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten für die Selbsttäuschung, welches Ovid in seinem liebesdidaktischen Opus auch vielfach gebraucht, lässt die Häufung und Dominanz von simulare in diesem praeceptum der Remedia auffällig erscheinen, in dem die Lehrer-Persona fordert, dass man sich in seinem Verstand so lange der illusorischen Vorstellung der eigenen Genesung hingeben müsse, bis die Simulation zur Realität würde. Ovid preist die Selbsttäuschung dabei mithilfe des lexikalischen Wortmaterials, das etymologisch zwar mit simulacrum, einem zentralen Begriff seines Vorgängers, verwandt ist,20 dem lukrezischen Rationalismus aber diametral entgegensteht; das Mittel zum – beiden Werken gemeinsamen – Ziel der Befreiung von Liebe und Liebeswahn bildet also einen Kontrast zum philosophischen Lehrgedicht. Auch wenn die Brüche mit der Vorlage bereits innerhalb der lukrezischen ‚Heilmethoden-Klammer‘ spürbar sind, wird der Kontrast nie so klar ersichtlich wie in dem praeceptum in V. 489–522,21 in dem Ovid die Aufforderung zur Täuschung derart deutlich expliziert.

Doch wie lässt sich dieser Befund interpretieren? Welches Verhältnis von Ovid zu Lukrez kann hieraus erschlossen werden? In den vergangenen Jahrzehnten wurde des Öfteren der Begriff des (literarischen) Spiels22 herangezogen. Joachim Latacz etwa interpretierte Ovids Umgang mit der epischen Tradition in den Metamorphosen auf diese Weise,23 und auch bei Niklas Holzberg24, Bernd Effe25 und Marion Steudel26 findet sich diese Ansicht im Hinblick auf die Lehrgedichtstradition. Diese Sicht ist für das Verständnis von Ovids Texten durchaus wichtig. Denn im Wesentlichen kann man dem tenerorum lusor amorum – so Ovids Selbstaussage in trist. 4, 10, 1 (vgl. auch die Grabinschrift trist. 3, 3, 73) – diese Haltung durchaus zusprechen: Ovid spielt mit literarischen Traditionen und verarbeitet sie u. a. zur besonderen Form der Remedia amoris. Doch ist das „literarische Spiel“ kein wissenschaftlich geeigneter Terminus, mit dem man die literarischen Besonderheiten von Ovids Texten präzise beschreiben könnte. Darüber hinaus kann man die zentralen Effekte, die sich aus der Reorganisation existierenden Sprachmaterials und Gattungstraditionen ergeben, hinreichend mit den Begriffen Intertextualität und Parodie beschreiben; denn der Humoraspekt, der für die Spiel-Überlegungen bedeutsam war, ist in diese Überlegungen untrennbar miteingeschlossen. Ich verbanne das Wort ‚Spiel‘ dabei aber nicht gänzlich aus meiner Abhandlung, da ich es nicht als ‚falsch‘ empfinde und es m. E. den Denkrahmen für die Gesamtinterpretation des ovidischen Œuvres richtig umspannt. Bei der textanalytischen Arbeit verzichte ich jedoch weitestgehend darauf und beschränke mich vor allem auf die genannten wissenschaftlichen Termini und verwende auch den neutraleren Begriff ‚Referentialität‘. Deutliche intertextuelle Bezüge und Witz, der sich aus parodistisch verarbeiteten Lukrezpassagen speist, sind also die Ergebnisse, die man beim Deutungsversuch, wie Ovids Remedia mit De rerum natura und der Gattung des Lehrgedichts im Allgemeinen umgehen, erhält. Damit wende ich mich – in entgegengesetzter ‚Stoßrichtung‘ – auch gegen Interpretationsansätze in diesem Feld, die eine ernst gemeinte Opposition zu Lukrez vermuten.27

4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie
4.2.1 Ovidische Erneuerungen in einer innovationsfreudigen Gattung

Akzeptiert man die in Kapitel 3 festgehaltenen Definitionen, lassen sich die Remedia als Parodie der epikureischen Diatribe gegen den Liebeswahn interpretieren – denn dass Ovid in einem zentralen praeceptum mit lukrezischem Vokabular dessen erkenntnistheoretische Grundlagen ‚aus den Angeln hebt‘ und aus der philosophischen Verurteilung der Liebe ein Handbuch zum ‚Entlieben‘ macht, bezeugt eine tiefsinnige Form von Humor. Doch die parodistischen Momente,1 die sich aus dem Umgang mit Lukrez ergeben, sollten nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müssen sie erweitert auch in Verbindung mit der mehrdimensionalen und zeitgleichen Referenz auf andere Intertexte gesehen werden. Das Ziel der Remedia ist, in summarischer Zusammenschau, eben nicht nur die Parodie einzelner Werke oder Aspekte, sondern allgemein gesprochen die „geistreiche Unterhaltung“ des Leserpublikums.2

Ovid be- und verarbeitet auf analoge Weise z. B. die Georgica, einen neben Lukrez’ Werk ebenso zentralen Prätext für Ovids liebesdidaktische Tetralogie – und zwar hinsichtlich der Marko- und Mikrostruktur, Inhalt und Sprache.3 Strukturell fällt nicht nur auf, dass beide Werke eine vier Bücher umfassende Gesamtkomposition aufweisen.4 Die Remedia spiegeln im Aufbau der praecepta zu landwirtschaftlicher Betätigung allein schon in nuce die Georgica-Struktur wider, wie Boyd beobachtet hat: Beginnend mit dem Georgica-Stichwort rura (V. 169)5 reiht Ovid Tätigkeitsempfehlungen zu den Themen Ackerbau, Obstbäume, Tierzucht (Schafe und Rinder) und Bienen aneinander (vgl. V. 169–186). Dies entspricht der Abfolge der vier Georgica-Bücher, weshalb Boyd auch von Ovids „Little Georgics“ an dieser Stelle spricht.6

Wie Erich Woytek (2000) zeigt, ruft Ovid durch die für ihn typische poetische Technik der verändernden Adaption literarischer Vorgänger das landwirtschaftliche Lehrgedicht mehrfach auch inhaltlich und lexikalisch in den Remedia auf:7 Der programmatische Rechtfertigungsexkurs (rem. 361–396) mit dem Ziel der Abwehr von Neidern in Ovids Werk stehe – auch wenn Vergil als epischer und nicht didaktischer Dichter hervorgehoben wird –8 so in enger Verbindung mit dem ebenfalls in der Mitte des Werkes platzierten Proöms zum dritten Buch der Georgica (vgl. georg. 3, 1–48,9 wobei auch die Sphragis der Amores in 1, 15 in die apologetische Passage integriert werde).10 Die Sexvorschriften in den Remedia (vgl. rem. 357f. und 397–418) würden ebenfalls besonders auf die an die genannte Georgica-Stelle anschließende Passage zur Rinder- und Pferdezucht (vgl. georg. 3, 49–241, v. a. 123–137) zurückblicken.11 Ovid jedoch transformiert, so Woytek, die im dritten Georgica-Buch enthaltenen Motive und Aussagen Vergils und verkehrt sie komisch ins Gegenteil: So hebt er im Literaturexkurs beispielsweise seine eigene dichterische Leistung immer stärker hervor, während sich Vergil im Binnen-Proöm der Georgica zurücknimmt und nur noch Oktavians Ruhm fokussiert; oder er ruft statt der zeitlichen Denotation von en age […] / rumpe moras (georg. 3, 42f.) die Ursprungsbedeutung des Verbums, „zerplatzen“, hervor (rumpere, Liuor edax, rem. 389), wenn er seine Kritiker adressiert.12 Das ovidische „Spie[l] mit vorgegebenem Sprachmaterial“ Vergils und die folgende ‚Herabsetzung‘ des Originals offenbart sich, wie Woytek ausführt, dem Leser auch, wenn die Zuchtvorschriften als literarisches Vorbild für das praeceptum zum menschlichen Sexualverhalten verwendet, in ihrer Aussage umgekehrt und in einen ‚anstößigen‘ Kontext gebracht werden.13 Die sorgfältige Auswahl der Zuchttiere (vgl. georg. 3, 49–71 und 72–122) und die Geschlechtertrennung zur Wahrung ihrer (sexuellen) Kräfte (vgl. georg. 3, 209–241) dürften etwa mit Ovids Vorschriften, mit jeder beliebigen Hetäre Sex zu haben und am besten mit zweien hintereinander zu verkehren, damit man sich von unglücklicher Liebe löst (vgl. rem. 401–404), kontrastiert werden;14 und auf die Hinweise zum Mästen der männlichen, nicht aber weiblichen, Tiere (vgl. V. 123–137) würde in den Remedia lexikalisch referiert.15 Dass Ovid nun das Verb inire, das eigentlich das tierische ‚Rammeln‘ bzw. Eindringen bezeichnet,16 für den menschlichen Koitus verwendet, könnte zudem – „generell“ und ohne konkrete Parallelstelle – augenzwinkernd auf den „animalischen Vorlagekontext“17 bei Vergil zurückverweisen.

Ich möchte noch eine eigene Beobachtung zu diesen Sex-praecepta bei Ovid anführen: M. E. sind sie ein Beispiel für die mehrdimensionale Intertextualität, mit der Ovid verschiedene Lehrgedichte gleichzeitig hervorruft, um etwas Neues daraus zu bilden. Denn nicht nur die Georgica, sondern auch Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft18 und Ovids eigene Ars stehen zugleich Modell für die Vorschrift, dass der Schüler durch ein bestimmtes Sexualverhalten den Prozess der Loslösung von der Liebe voranbringen könne. Während die bereits häufiger angeführte Passage aus den lukrezischen ‚Miniatur-Remedia‘19 als positives Vorbild für den Heilmittellehrgang einfließt, vgl. et iacere umorem collectum in corpora quaeque (Lucr. 4, 1065) und uulgiuagaque uagus Venere ante recentia cures (Lucr. 4, 1071f.), werden die genannten Georgica- wie auch entsprechende Ars-Stellen in Form der kontrastierenden (Selbst-)Imitation negativ evoziert:20 Denn im Anschluss an rem. 404 bringt der Liebestherapeut die Vorschläge, für das Mädchen möglichst unvorteilhafte Sexstellungen zu wählen (vgl. rem. 407–410). Und diese entsprechen wiederum den gegenteiligen Tipps des Liebeslehrers in der Ars, wenn er im dritten Buch jedem weiblichen Körper die ideale Position im Geschlechtsakt zuweist (vgl. ars 3, 769–772).21 Die intertextuelle Verbindung der Remedia mit diesen zwei Intertexten und der Ars als Intratext kann man, wie eingangs angeführt,22 durch das Modell der Intertextualitätspyramide veranschaulichen – Lukrez, Vergil und Ovids Ars, die Eckpunkte, bilden mit den Remedia als Spitze drei Dreiecke, die sich insofern zu einem Vier- bzw. Fünfeck verbinden lassen, als sie von den Heilmitteln als gemeinsamem interpretatorischen Mittelpunkt ausgehen (siehe Abbildungen 3 und 4).23

Um jedoch wieder auf den Umgang mit den Georgica zurückzukommen: Ovid „führte […] den Anfang des dritten Georgicabuches in continuo in Form einer Kontrast­imitation vor, die seine Anhänger […] leicht erkennen und amüsiert zu würdigen wissen würden.“24 Mit dieser Schlussfolgerung richtet Woytek in seiner Interpretation den Blick also auf die intertextuelle Bezugnahme, wobei er die Wahrnehmbarkeit durch das Leserpublikum betont (in dieser Hinsicht entspricht seine Perspektive auch Pfisters Kommunikativitätsaspekt bei intertextuellen Untersuchungen)25.

Wenn man die bisherigen Erkenntnisse im Blick hat, zeigt sich, dass Ovid auf ähnliche Weise mit beiden paradigmatischen Lehrgedichten seiner Zeit umgeht. Er evoziert bewusst einzelne Passagen durch inhaltliches und/oder wörtliches Anzitieren, durch mehr oder minder stark markierte Parodie von Struktur bzw. Wortmaterial, um dazu einen komisch, je nach Perspektive vielleicht auch subversiv, wirkenden Gegensatz in seinem eigenen ‚anti-eroto-didaktischen‘ Werk aufzubauen.26 Hieraus lässt sich Ovids genereller Umgang mit der didaktischen Poesie induzieren, den ich im Folgenden noch weiter belege: Ovid imitiert und parodiert in seinen Remedia amoris nicht nur Lukrez, sondern allgemein Prätexte, welche die didaktische Poesie repräsentieren, wie eben auch Vergil, und die Gattung selbst. Diesem Ansatz begegnet man auch bei Horaz, dessen Einfluss auf die Remedia in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 im Zentrum steht.27 Die vierte Satire seines zweiten Buches stellt nämlich ebenfalls eine Lehrgedichtsparodie im Allgemeinen und eine Lukrez- und Epikureismus-Parodie im Speziellen dar, wenn Catius in pseudo-philosophischer Diktion letztlich nur Feinschmeckerratschläge aneinanderreiht.28

Neben der Einzeltextreferenz auf die paradigmatischen lateinischen Lehrgedichte De rerum natura und Georgica ist also zugleich auch die Systemreferenz der Remedia auf die didaktische Poesie im Allgemeinen in den Blick zu nehmen, deren Vermischung mit dem elegischen Gattungsdiskurs die spezifisch hybride Natur der Remedia (und auch der Ars) ausmacht.29 Es gibt dabei gewisse Übereinstimmungen mit grundsätzlichen Tendenzen des Lehrgedicht-Genres. Denn wenngleich ein Lehrwerk zum Sich-Verlieben und auch zum ‚Entlieben‘ in Versen und nicht in Prosahandbüchern zur Erotik – einem Typus, der auch Gegenstand von Ovids intertextueller Referentialität ist –30 nicht nur etwas Komisches, sondern auch Innovatives darstellt, so war die didaktische Poesie, wie bekannt ist, doch schon immer offen für Experimentierfreudige. Volk (2002) beschreibt ihre Entwicklung sowie wesentliche Merkmale: So wurden besonders im Hellenismus spielerische, „obskure“ Themen behandelnde Lehrgedichte wie Nikanders Theriaka und Alexipharmaka zur Unterhaltung des gelehrten Leserpublikums teils als „l’art pour l’art“ präsentiert.31 In Archestratos’ Hedypatheia – in der Nachfolge als Hedyphagetica von Ennius bearbeitet – beispielsweise richtet, wie wir aus den erhaltenen 63 Fragmenten wissen, der Lehrer an die Schüler Moschus und Cleander die Anweisungen, wo man ausgezeichnetes Essen finden könne und wie man es zubereiten müsse.32 Und auch über „fashionable pastimes“ wie Würfel- oder Ballspiel gab es zu Ovids Zeiten ausreichend Lehrwerke, wenn man, so Volk, seiner Aussage in Tristia 2 vertrauen könne.33 Dennoch ruft die Verbindung der formalen Strukturelemente des Lehrgedichts, das ursprünglich für ‚technischere‘ Themen entwickelt worden war, mit dem so „frivolen“ und nicht auf ein Fachpublikum ausgerichteten Lehr-Gegenstand der Liebe neuartige humorvolle Spannungen hervor.34

Ebenso sind Abweichungen vom Hexameter, obwohl er das seit Hesiod etablierte Standardmetrum für didaktische Poesie war,35 bereits vor Ovid belegt. In, wie Volk vermutet, Anpassung an das von ihnen jeweils behandelte Thema verwenden Porcius Licinius trochäische Septenare und Volcacius Sedigitus in De poetis jambische Senare, da sie beide über die Komödie schreiben.36 Wenn Ovid nun für die Remedia amoris in Nachfolge und Fortführung der Ars das elegische Distichon wählt, weil er die Wege zur Befreiung von unglücklicher elegischer Liebe mitteilen will, gliedere er sich also in die Reihe von Dichtern ein, die im Metrum die inhaltliche Dimension ihres Lehrgedichts widerspiegeln – wobei sich aber die Remedia mit ihrem ‚Wenn-Dann-Muster‘37 und der Organisation nach thematischen Blöcken wieder mehr als die Ars amatoria, die aufgrund der strukturellen Chronologie der sich entwickelnden Liebesbeziehung einem Liebesroman gleicht, an die Grundstruktur eines didaktischen Lehrwerks anlehnen.38

Neu und doppelt einzigartig an Ovids intertextuell-parodistischem, humorvollem Umgang mit der didaktischen Tradition ist zudem, dass er in den Remedia von einem Schüler ausgeht, der bereits instruiert wurde, und zwar von Ovid selbst: Seine Werke sind also „antidotes to the ‘poisons’ that his erotic poems […] have previously spread.“39 Daran zeigt sich auch der Unterschied zu Nikanders Werken, in denen es um giftige Tiere und Pflanzen und die Heilmittel dagegen geht und die oft zu unreflektiert als Vorbild für Ovid angesehen werden.40 Denn der ovidische Lehrer ist durch die erfolgreiche Durchführung des Lehrgangs in Sachen Liebe selbst für die Ausgangslage der unglücklich Verliebten zuständig: „Through his teaching he provoked the very illness of his readers whom he now addresses as therapist and saviour.“41 Zudem ist dieses Lehrgedicht insofern etwas Besonderes, als der Schüler nichts Neues lernen, sondern vielmehr den erworbenen Lernstoff vergessen soll, dum bene de uacuo pectore cedat amor (rem. 752).42

4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris

Ovids produktive Verarbeitung der Lehrgedichtstradition geht, wie ich denke, noch weiter und zielt über die Erweiterungen formaler Konventionen1 und den spezifischen Bezug auf einzelne Prätexte hinaus. Denn Ovid erreicht seine inhaltlichen und formalen Innovationen nicht einfach nur durch die von ihm selbst gesetzten Akzente. Vielmehr gewinnt die Liebestherapie ihre Konturen vor dem Hintergrund herkömmlicher didaktischer Themen, die in ihrer Bedeutung dem Prozess des ‚Entliebens‘ hierarchisch untergeordnet werden.

Zu Beginn der ars agendi bringt Ovid einen Dreierblock an Vorschriften, mit denen das dediscere (vgl. rem. 211) der Liebesqualen möglich sei. In den Versen 169–210 wird dem Schüler, wie bereits angeführt, zunächst die Landarbeit mit dem Bestellen der Felder in bukolisch anmutender Umgebung und der Ruhe und Stabilität bringenden Routine des Jahresablaufs empfohlen: rura quoque oblectant animos studiumque colendi; / quaelibet huic curae cedere cura potest (V. 169f.). Der Abschnitt von V. 199–210 ist in die Beschreibung zweier studia aufgeteilt, der Jagd auf Hasen, Hirsche und Eber (bis V. 206), und des Vogel- und Fischfangs (bis V. 210). All diese Bereiche sind nun laut Laurel Fulkerson (2004) „fit subjects for didactic poetry“2, wie man auch mit Blick auf die Lehrgedichtstradition zur Zeit Ovids und im weiteren Verlauf der Kaiserzeit sehen kann.3 So wird das nur fragmentarisch überlieferte Lehrgedicht Halieutica, das von den natürlichen Schutzmechanismen von Fischen und von möglichen Fangtaktiken handelt, Ovid zugeschrieben (vgl. die Aussage Plinius’ des Älteren: mihi uidentur mira et quae Ouidius prodidit piscium ingenia in eo uolumine, quod sat alieuticon inscribitur, Plin. nat. 32, 11), wenngleich die Authentizität der 134 Hexameter oft angezweifelt wird.4 Als Beispiel für ein Lehrgedicht zum Thema Jagd lassen sich Grattius’ ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Cynegetica anführen, deren Programm zu Beginn dieses Werkes ersichtlich wird: carmine et arma dabo et uenandi persequar artis (V. 23).5 Ovid selbst erwähnt Grattius und, als Anspielung auf dessen Proöm,6 aptaque uenanti […] arma, die er dem Leser an die Hand gibt, und zwar in seinem Katalog befreundeter Dichter (Ov. Pont. 4, 16, 34). Und mit Vergils Georgica, die in der Remedia-Passage beispielsweise mit Blick auf die Bienenzucht (vgl. rem. 185f.) mehrfach aufgerufen werden,7 liegt schließlich ein prominentes Zeugnis für die Behandlung landwirtschaftlicher Themen vor. Dass Landleben und Jagd zudem auch topisch als Mittel für die Heilung von Liebeskummer gelten,8 schließt dabei m. E. die Möglichkeit nicht aus, dass Ovid hier die didaktisch-generische Bedeutungsdimension dieser Themen fokussiert.

Ob er nun direkt auf bestimmte, eventuell auch selbst verfasste, didaktische Werke, oder nur allgemein auf typische Lehrgedichtsthemen anspielt: Sicherlich reduziert Ovid ihre Bedeutung darauf, dass sie nur noch als einzelne Vorschriften für sein übergeordnetes Programm der Liebestherapie aufgeführt9 und somit im Rahmen seiner eigenen Didaxe funktionalisiert werden.10 Die „anamorphotische“11 Tendenz Ovids wird also auch hier spürbar: Während er beispielsweise aus Lukrez’ „miniature remedia amoris“12 ein Opus im Umfang von 814 Versen kreiert, komprimiert er ganze Lehrgedichte und verwandelt sie in praecepta sanitatis, die letztlich Mittel zum Zweck, sich von der Liebe zu lösen, werden. Möglicherweise lässt sich diese Deutung noch weiterführen, wenn man den Umfang der genannten ‚Lehrgedichts-praecepta‘ betrachtet. Auf die Vorschrift, dass man sich landwirtschaftlich betätigen solle, entfallen 30 Verse, auf die Großtierjagd acht und auf Fisch- und Vogelfang nur vier Verse. Herkömmliche didaktische Themen werden also nicht nur Teil von Ovids Werk, vielmehr verringert sich ihre Präsenz, wofür die geringer werdende Verszahl Indiz ist, bis sie letztlich aus dem Text verschwinden.13 Daran zeigt sich, dass Ovid die Innovationslust des Genres auf die Spitze treibt, indem er in Abgrenzung zur eigenen Gattungstradition ein neues Themenfeld erobert.14

Dass all dies jedoch keine ernst gemeinte ‚Revolutionierung‘ didaktischer Standards und nur eine weitere Potenzierung des literarischen Spiels (hier scheint mir dieser Begriff passend) Ovids darstellt, wird vor allem dann klar, wenn man danach fragt, ob die Remedia amoris auch wirklich ‚funktionieren‘ und ihr didaktisches Versprechen einlösen können. Dazu müssen die Spannungen, die aus der Verbindung elegischer und didaktischer Gattungselemente entstehen und die von der Forschung mittlerweile in weiten Teilen aufgearbeitet wurden, berücksichtigt werden. Denn hierdurch zeigt sich die parodistische Multivalenz des Lehrgedichtaspekts erst in ihrem vollen Umfang.

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