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2 Der Aufbau der Remedia amoris

Eine detaillierte und strukturierte Inhaltsangabe und Skizze des Aufbaus liefert bereits Hans Joachim Geisler in seinem Kommentar zur ersten Hälfte der Remedia (1969); seine Analyse wurde durch andere Kommentatoren sowie Barbara Weiden Boyd modifiziert und erweitert,1 weswegen hier nur die Grundzüge der Werkkonzeption angeführt und die bisherigen Forschungsergebnisse mit eigenen Beobachtungen ergänzt werden.

Ein zweigeteiltes Proöm und ein vier Verse umfassender Epilog rahmen die eigentliche, wiederum zweigeteilte tractatio, der eine kurze Erörterung zum richtigen Zeitpunkt für die Heilung vorangeht. Im Dialog mit Amor (V. 1–40) verteidigt die Persona zunächst ihr literarisches Vorhaben, unglücklich Verliebten Hilfe anzubieten (vgl. V. 15f.). Wenngleich die Remedia angeben, an beide Geschlechter gerichtet zu sein (vgl. sed, quaecumque uiris, uobis quoque dicta, puellae, / credite: diuersis partibus arma damus, V. 49f.), liegt der Fokus doch klar auf der Hilfe für Männer.2 Den zweiten Abschnitt, in dem Ovid in Fortführung der Ars amatoria die Rolle des praeceptor einnimmt, kann man als „Lehrgedichts“-Teil des Proöms (V. 41–78)3 bezeichnen. Er endet mit einer Anrufung des Heilgottes Apoll und einer Selbstcharakterisierung der Persona als uates und medens, was auf die Weisungen vorbereitet, die Passagen in medizinischen Schriften4 und philosophischer Konsolationsliteratur zur Heilung von Leidenschaften entsprechen.

Dadurch, dass Ovid zu Beginn der Remedia5 Amor auftreten lässt, verknüpft er dieses Werk mit den Amores, in deren erstem Gedicht ebenso eine Interaktion zwischen Dichter und Amor beschrieben wird,6 und der Ars amatoria, da sich in Buch 1 die Persona zum praeceptor Amoris (ars 1, 17), des Liebesgottes, erhebt. Somit stellt Ovid sein gesamtes elegisches Œuvre in eine gemeinsame Traditionslinie,7 wobei die graduelle Entfernung von der Grammatik der subjektiven Liebeselegie, die bereits in den Amores in brüchiger Form erscheint,8 in den Remedia, welche die elegische Gattung letztlich demontieren,9 ihr Ziel erreicht: Wenn Ovid am Ende seiner Elegiesammlung versucht, sich von der Liebe zu Corinna zu lösen (vgl. am. 3, 11), und schließlich im Vorschlussgedicht der Sammlung seine puella dazu aufruft, ihm elegische Qualen zu ersparen und ihn wenigstens anzulügen, wenn sie ihn mit einem Rivalen betrügt (vgl. am. 3, 14, u. a. 1f.),10 bereitet er die Remedia amoris indirekt schon vor. Denn „[i]m Endstadium ist der amator ein Fall für den medicus“11 im Fachbereich der Liebesheilung. Die an Horaz’ Finale seiner ersten Odensammlung (Exegi monumentum aere perennius, carm. 3, 30, 1) erinnernde Formel hoc opus exegi (rem. 811) setzt einen Schlusspunkt unter Ovids elegische Dichtung.12 Dabei zeigt sich ein anderer Aspekt der Demontage auch in der Verschiebung der Metaphorik. Anstatt wie Horaz im Rahmen seiner Unsterblichkeits­topik eine Bronzestatue13 zu evozieren, welche – trotz ihrer Materialität – dem vollendeten literarischen monumentum nicht an Beständigkeit gleichkommen kann, setzt Ovid sein opus in traditioneller Weise mit einem Schiff gleich,14 das nach der langen poetischen Reise seinen Hafen erreicht hat, und verlangt von seinen Schülern Kranzopfer für die gute Fahrt und die Heilung (vgl. rem. 811f.). Indem Ovid Horaz’ Sphragis15 lexikalisch und somit intertextuell aufruft,16 den Fokus jedoch verändert und das feste Metall durch das trotz seiner momentanen ‚fatigatio‘ mit Schnelligkeit und Beweglichkeit assoziierte Schiff ersetzt, verweist er auf sein Verfahren der intertextuell-parodistischen Transformation. Dieses charakterisiert, wie in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 erörtert, auch Ovids Umgang mit den horazischen Prätexten im Allgemeinen; konkret könnte man die Verschiebung der Metaphorik an dieser Stelle als Kontrafaktur bezeichnen.17 Ovid verabschiedet sich also in scheinbar horazischer, jedoch künstlerisch produktiv verwandelter Manier und vertraut sein Werk alias Schiff den durch seinen Lehrgang geheilten Schülerinnen und Schülern an (vgl. rem. 811–814).

Im ersten Vers der beiden Schlussdisticha der Remedia, die das Ende der elegischen Traditionslinie Ovids markieren, manifestiert sich ein weiterer Aspekt, der typisch für die Gestaltung dieses opus ist: Wenn die Lehrer-Persona im Anschluss an den Verweis auf Horaz die Bekränzung des ‚Buch-Schiffes‘ fordert, rekurriert Ovid gleichzeitig auf den liebeselegischen Topos des Paraklausithyrons, das meist von der Bekränzung des Türpfostens am Eingang zum Haus der puella begleitet wird; die Junktur date serta alcui rei (carinae in rem. 811) kann als eine intertextuelle Anbindung an Formulierungen der römischen Liebeselegiker gewertet werden (vgl. z. B. Tib. 1, 2, 14).18 Ovid beschreibt zu Beginn der Remedia den Akt des servitium amoris selbst: effice nocturna frangatur ianua rixa / et tegat ornatas multa corona fores (V. 31f.). Das heißt: Am Ende seiner Tetralogie, die mit der Heilung (vgl. V. 814) der leidenden Rezipienten schließt, fordert der Lehrer seine Schüler zu einer Handlung im Stil der elegisch Liebenden auf, die sie sozusagen wieder zur Ausgangsposition zurückführt; durch die elegischen Obertöne der intertextuellen Referenz wird der Heilungseffekt also gleichzeitig zunichtegemacht. Darin äußert sich die paradox anmutende Doppelnatur der Remedia, die zwar vordergründig eine Lösung von unglücklicher Liebe propagieren, durch ihre Anspielungen aber immer wieder auf die Sphäre der Liebeselegie, von der sie eigentlich Abstand nehmen, verweisen; die mehrdeutige Referentialität Ovids zu interpretieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Festzuhalten ist an diesem Punkt, dass in der Schlusspassage V. 811–814 wesentliche Merkmale der Remedia im Allgemeinen pointiert zum Ausdruck kommen: die intertextuelle Anspielung auf Horaz, der implizite Verweis auf die eigene ovidisch-transformierende Schreibweise, die Rekurrenz auf die Gattung Liebeselegie und die gleichzeitige Darstellung der Grundintentionen und -probleme, die mit dem Heilungsprogramm der Remedia einhergehen.

Trotz der mehrschichtigen Anspielungen des Endes markieren die genannten Metaphern deutlich das Ende des Lehrgangs, das die in Ovids Werkchronologie erkennbare Sequenz der Gattungsstufen fortführt. Die stufenweise Weiterentwicklung von Ovids elegischem Schaffen ist auch zu berücksichtigen, wenn man das Verhältnis zur Ars, wie es sowohl im Dialog-, als auch im Lehrgedichtsproöm19 der Remedia Ausdruck findet, näher beschreibt. Die Remedia sind keine Palinodie der Ars,20 sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung und Erweiterung. Denn es geht, wie Katharina Volk betont, nicht darum, dass die Lehren der Ars, also die Anleitung für erfolgreiches Werben um ein Mädchen, rückgängig gemacht werden, sondern darum, die destruktiven Kräfte von amor als emotionaler Kraft zu beseitigen.21 Zudem liegt der Schwerpunkt in der Liebeskunst darauf, wie man bei jemand anderem Liebe hervorrufen kann, während die Remedia einen Schüler inszenieren, der sich selbst von unerwünschter Liebe befreien will.22

Die Ars amatoria wird dabei nicht nur nicht zurückgenommen, sondern ist selbstverständlich als Intertext zu berücksichtigen, da der praeceptor davon ausgeht, dass die Leser der Ars und der Remedia dieselben sind:


discite sanari per quem didicistis amare;
una manus uobis uulnus opemque feret.
[…]
Naso legendus erat tum cum didicistis amare;
idem nunc uobis Naso legendus erit. (V. 43f.; 71f.)

Des Weiteren stilisiert sich die ovidische Persona zum Meister, der bei allen Belangen der Liebe zu Rate gezogen werden muss und deshalb einerseits als Lehrer der Ars Liebe verursachen und andererseits als Heiler der Liebeswunde in den Remedia gleichermaßen Autorität für sich beanspruchen kann. Dafür greift er in einem Analogieschluss auf das Telephus-Paradigma (vgl. V. 47f.) zurück: So, wie Telephus nach der Verwundung durch Achill nur durch die Berührung mit dessen Lanzenspitze geheilt werden kann, soll sich der Schüler der Remedia auf den ihm wohlvertrauten Lehrer verlassen.23

Zurück zum Aufbau: Der Hauptteil der tractatio gliedert sich in zwei Vorschriften-Gruppen. Die erste besteht vor allem aus Hinweisen auf aktives Tun, mit dem eine akute Liebesleidenschaft behandelt werden kann: Reise, betätige dich juristisch, schlafe mit anderen Mädchen, habe Sex bis zum Überdruss etc. (vgl. V. 135–608); die zweite aus Ratschlägen, was man meiden sollte, um Rückfälle zu verhindern: Meide in Zukunft die Gesellschaft Verliebter, meide Liebesdichter oder Musik, denke nicht mehr an deine Geliebte und ihre Briefe, vermeide Hass (vgl. V. 609–810). Jeweils in der Mitte der ‚ars agendi‘ und der ‚ars vitandi‘24, also der Kunst, durch Handeln bzw. durch das Meiden bestimmter Tätigkeiten den Heilungsprozess zu beschleunigen,25 durchbrechen zwei Exkurse die Reihe der Instruktionen, wodurch eine strukturelle Symmetrie innerhalb des Hauptteils entsteht. Während Ovid in V. 361–396 in der Tradition kallimacheischer Polemik26 die Musa proterua seiner elegischen Dichtung rechtfertigt – es handelt sich dabei um den einzigen expliziten poetologischen Exkurs innerhalb seines elegischen Œuvres –,27 bestätigt er in V. 699–706 seine affirmative Haltung gegenüber Amor,28 weil er nicht gewaltsam gegen ihn vorgeht, sondern durch Beratung heilt, und wendet sich in einer erneuten Apostrophe an Apoll als Heilgott.

Der ‚Therapie‘ wird noch die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt vorangestellt, was mit Blick auf die passende Zeit für Erntearbeiten in Hesiods ἔργα καὶ ἡμέραι als strukturelles Signal für das Lehrgedicht zu werten ist. Auf die beiden Alternativen ‚Wehre den Anfängen‘ und ‚Warte, bis sich ein im Lauf befindlicher Liebesfuror von selbst erschöpft‘ entfallen dabei je 28 Verse (vgl. V. 79–134). Ein Aspekt dieser zeitlichen Differenzierung dürfte dem Leser der Remedia bereits aus der thematisch vielfältigen Konsolationsliteratur und philosophisch-seelentherapeutischen Schriften29 sowie aus medizinischer Literatur30 bekannt sein. So referiert Cicero – als Beispiel für die zweite Variante – in Buch 4 der Tusculanae disputationes Chrysipps Verbot, recentis quasi tumores animi (Cic. Tusc. 4, 63) zu behandeln, bevor er sich explizit zu remedia gegen den Affekt der Liebe äußert.31 Auch in Lukrez’ Lehrgedicht wird nach dem „καιρός“32 für eine mögliche Befreiung aus dem unerwünschten Zustand, in den Fesseln der Liebe gefangen zu sein (vgl. Lucr. 4, 1146–1148), gefragt:33


[…] ut melius uigilare sit ante,
qua docui ratione, cauereque ne inliciaris.
[…]
et tamen implicitus quoque possis inque peditus
effugere infestum, nisi tute tibi obuius obstes (Lucr. 4, 1144b–1150).

3 Der literaturtheoretische Rahmen

Im folgenden Methodenkapitel wird der theoretische Rahmen für die Analyse der Remedia amoris und ihrer produktiv-reorganisierenden Rezeption literarischer Gattungen und Prätexte erläutert. Dabei bewege ich mich im weiten Feld der Intertextualitätsdiskurse, die seit ihrer Begründung zahlreiche terminologische Differenzierungen erfahren haben und auch zu einem in der klassischen Philologie etablierten1 Messinstrument für die Beziehungen zwischen Texten geworden sind. Meine Absicht ist es nicht, alle Forschungspositionen zu referieren oder darüber hinaus eine neue Definition auf theoretischer Ebene zu liefern. Vielmehr geht es darum – unter besonderem Rückbezug auf die m. E. grundlegenden Thesen Broichs und Pfisters (1985) sowie die neueren, antike-spezifischen Studien von Stephen Hinds (1998) und Lowell Edmunds (2001) –, einen praktikablen Arbeitsbegriff von Intertextualität zu verwenden, der sich für die Analyse lateinischer und griechischer Texte einsetzen lässt, ohne dass dabei anachronistische Überblendungen und eine die historische Situierung der Texte missachtende ‚Theorietreue‘ den Blick für die literarischen Strukturen der Remedia amoris trüben. Das darauf aufbauende und von mir entwickelte Visualisierungsmodell (die Pyramidenstruktur der Intertextualität) steht ebenfalls im Dienst der praktischen Analysearbeit.

Es erscheint mir auch sinnvoll, mit Definitionen zum Konzept der Intertextualität zu beginnen, weil der Terminus der Parodie, der für Ovids Umgang mit literarischen Traditionen wesentlich ist, in das Intertextualitätssystem integriert werden kann. Dieser Ansatz, Überlegungen zu Intertextualität und auch Parodie der Textarbeit voranzustellen, ist nicht neu – bereits Marion Steudel (1992) hat ihrer Untersuchung der Ars amatoria diese Perspektiven zugrunde gelegt und auch Edmunds (2001) zeigt in seiner allgemeinen Intertextualitätstheorie, dass die Parodie ein Weg ist, durch welchen der Kontext eines Bezugstextes aufgerufen werden kann.2 Mein Ziel ist es, beide Termini bzw. Konzepte in ihrer Verbindung zu betrachten3 und dabei, anders als Steudel, die antike Fundierung des Parodiebegriffs, wie sie besonders Rose in ihren Studien herausgearbeitet hat, zu berücksichtigen.4 Dabei distanziere ich mich, wie auch schon beim Intertextualitätsbegriff, von modernen, häufig reduktionistischen und mit dem antiken Verständnis nicht übereinstimmenden, Sichtweisen auf die Parodie und schaffe dadurch eine Ausgangsbasis für die philologische Untersuchung der Remedia amoris.

3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik

Im 1985 erschienenen Sammelband „Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien“ gibt Pfister einen konzisen und umfassenden Forschungsbericht über die Genese und Weiterentwicklung des Konzeptes Intertextualität, an den er Überlegungen zu einem heuristisch nutzbaren Intertextualitätsbegriff anschließt.1

Während der Terminus selbst von Julia Kristeva in den 1960er Jahren2 maßgeblich geprägt wurde, hat er seinen Ausgangspunkt bei Michail Bachtins Definition der „Dialogizität“3 (im Rahmen seiner Dichotomie von Monologizität und Dialogizität), der sowohl eine kulturgeschichtliche/-philosophische als auch eine sprachbezogene Dimension eignet;4 sie ist bei ihm also noch nicht als ein rein literarisches Phänomen zu betrachten.5 Bei Kristeva findet sich in Anknüpfung an und in abgrenzender Fortführung von Bachtin eine erste konkrete Definition des Begriffs Intertextualität, da sie festhält, dass ein Text als „Mosaik von Zitaten“ zu verstehen sei.6 Sie operiert zudem mit einem „total entgrenzte[n] Textbegriff“, unter den sie „jedes kulturelle System und jede kulturelle Struktur“ subsumiert.7 Diese Art von Intertextualität macht alles zu einem lesbaren Text und damit auch alles zu einem intertextuell durchdrungenen Textgewebe.8

In den auf diese Etablierung des Begriffs folgenden Jahrzehnten, in denen sich Kristeva selbst von ihrem Konzept entfernte,9 erfuhr der Intertextualitätsbegriff zahlreiche Modifizierungen, die sich zwischen den Ex­tremen des sehr weiten, poststrukturalistischen und eines engeren, strukturalistischen oder hermeneutischen Verständnisses, „in [dem] der Begriff der Intertextualität auf bewußte, intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen eingeengt wird“10, bewegen. Pfister versucht, einen ‚Weg der Mitte‘ zwischen den beiden Polen zu gehen, indem er einen eigenen Kriterienkatalog „zur Skalierung von Intertextualität […] [und] zur typologischen Differenzierung unterschiedlicher intertextueller Bezüge“11 definiert. Dabei unterscheidet er von den quantitativen Kriterien, welche die Bedeutung von intertextuellen Phänomenen an der numerischen Häufigkeit festmachen,12 sechs qualitative Kriterien. Während die Referentialität (1) die Intensität bezeichnet, mit der sich ein Text ‚aktiv‘ auf einen anderen bezieht, bezeichnet die Kommunikativität (2) den „Grad der Bewußtheit des intertextuellen Bezugs beim Autor wie beim Rezipienten“.13 Beide Aspekte finden sich, wenn man sie auf die Remedia bezieht, beispielsweise in den bereits zitierten Versen 43f. und 71f.: So spricht die ovidische Persona an diesen Stellen direkt an, dass die Kenntnis der Ars beim Leser vorausgesetzt wird.

Ein solches Kommunikativitäts-Merkmal, welches das Subjekt nicht nur beim Lese-, sondern auch beim Schreibprozess in den Mittelpunkt stellt, tritt aber grundsätzlich in Konflikt mit Textuntersuchungsverfahren, die Vermutungen zur Intentionalität eines (historischen) Autors – auch wegen der Unmöglichkeit einer heuristisch gesicherten Aussage – nicht zulassen und sich auf Erkenntnisse, die beim Lektüreprozess gewonnen werden, beschränken.14 Der Nutzen dieses Ansatzes besteht aber darin, dass man intertextuelle Beobachtungen so nicht einer gewissen Beliebigkeit und Willkür anheimgibt und dass Untersuchungen so nicht zur bloßen Suche nach Parallelstellen werden.

Auch Broich geht von bestimmten Markern als „Intertextualitätssignale[n]“15 aus, die auf beabsichtigte, messbare und für den neuen Text relevante und bedeutsame Intertexte hinweisen können, wobei er aber auch die Rolle des Rezipienten und seine Wahrnehmungsfähigkeit berücksichtigt:16 Marker liegen etwa vor, wenn andere literarische Texte „physisc[h]“ oder in Gesprächen o. ä. Gegenstand eines anderen Textes werden oder Figuren aus anderen Texten „leibhaftig auftreten“ („Markierung im inneren Kommunikationssystem“).17 Häufig finden sich aber die Formen von Markern, die in Verbindung mit Pfisters Kommunikationskriterium stehen und die auch für die intertextuelle Untersuchung der Remedia amoris bedeutsam sind, wenn nämlich nicht die Figuren innerhalb eines Werkes, sondern die Rezipienten des Textes die Anspielungen wahrnehmen. Beispielhafte Marker hierfür sind Zitate, explizite Nennung einer Quelle in Fußnoten, die Übernahme eines Titels oder Untertitels im Fall von Parodien oder Travestien, die Adaption von Mottos, Vor- und Nachworten („Markierung in Nebentexten“)18 sowie das Zitieren und Anspielen auf Namen, Stillagen, Handlungen o. ä. nicht in Paratexten, sondern im Haupttext selbst („Markierung im äußeren Kommunikationssystem“).19 Als Markierung im Haupttext kann, wenn man die Terminologie auf Ovids Werke und andere antike Texte anwendet, etwa die transformierende Übernahme des horazischen Exegi monumentum-Bildes gelten, das Ovid als Schlusspunkt in seine Remedia übernimmt; dabei kann Ovid einen Leser annehmen, der diese Anspielung erfasst. Und wenngleich der Beginn von Amores 1, 1 (Arma graui numero) dem Motto nachgestellt ist, können die ersten Worte doch als programmatische Adaption der vergilischen Eposformulierung Arma uirumque cano (Aen. 1, 1) gelten und somit den Broich’schen Markierungstypen zugeordnet werden.

Über die genannten Aspekte der Referentialität und Kommunikativität hinaus definiert Pfister vier weitere Kriterien für die Skalierung von Intertextualität. Dazu zählen die Autoreflexivität (3), wenn also die Intertextualität selbst auf einer Metaebene innerhalb des Textes reflektiert wird, und die Strukturalität (4), welche die „syntagmatische Integration der Prätexte in den Text“ bezeichnet.20 Hierzu kann man m. E. etwa rechnen, dass die didaktische Strukturierung aus ἔργα καὶ ἡμέραι, des hesiodischen Archetyps, als Folie für Lehrgedichte im Allgemeinen und wie auch für Vergils Georgica für Ovids Remedia im Speziellen dient.21 Auch die Selektivität (5), welche beschreibt, wie „pointiert“ ein Prätext einbezogen wird, und letztlich die Dialogizität (6), der zufolge bei „stärker[er] […] semantischer und ideologischer Spannung“ zwischen Text und Prätext Intertextualität deutlicher erfahrbar wird, werden von Pfister angeführt.22 Besonders der letzte Aspekt verweist bereits darauf, dass die Parodie ein der Intertextualität verwandtes Phänomen ist, da eine Spannung, wie Pfister sie aufgebaut sieht, auch als Merkmal für parodierende Texte gelten kann.

Als prominenter Systematisierungsversuch ist zudem Gérard Genettes Ausdifferenzierung der „Transtextualität“ zu nennen.23 Dabei berücksichtigt er in seinen fünf Unterkategorien24 sowohl die Bezüge eines Textes auf einzelne Texte als auch diejenigen auf Genres, was als Unterscheidung von „Einzeltext- und Systemreferenz“ auch für Pfister und Broich bei der Beschreibung von Intertextualitätsphänomenen zentral ist. Denn die intertextuelle Referenz auf einen konkreten Prätext, sei es vom selben oder von einem anderen Autor,25 ist grundsätzlich vom Verweis auf ganze Gattungen, auf „Textkollektiva […] und sie strukturierenden textbildenden Systemen“26 zu unterscheiden, auch wenn beide Phänomene zugleich in einem Text präsent sein können. Diese Differenzierung ist für die aktive Textarbeit an Ovids Remedia ebenfalls wichtig, da ich die intertextuelle Bezugnahme Ovids auf einzelne Texte und dabei gleichzeitig auch auf Gattungsvorbilder, etwa diejenigen der (horazischen) Satire oder des Lehrgedichts im Allgemeinen, untersuche. Auch für die Frage, welche Mechanismen zur Konstituierung einer Gattung beitragen, können – je nach Perspektive einer literarischen Epoche – Überlegungen zur Intertextualität herangezogen werden. Wenngleich aus moderner Sicht Genres oft hauptsächlich auf „eine[m] Code, eine[m] Satz von Regeln und Konventionen, eine[r] Gattungsgrammatik“ basieren und keine „feingesponnene[n] Netze von Beziehungen“27 darstellen, ist die Bedeutung intertextueller Phänomene, wie Ulrich Suerbaum (1985) betont, stärker hervorzuheben. Im Rahmen seiner „[g]eneralisierende[n] Hypothesen“, die er für reihenbildende Detektivgeschichten formuliert, hält er fest, dass erst durch „lineare Intertextualität“, die Anknüpfung an eigene Texte sowie Werke fremder Autoren, oder auch „perspektivierende Intertextualität“, bei der es weniger um konkrete Zitate als um globale Referenzen auf ein ganzes ‚Textsystem‘ geht, Gattungen geschaffen würden.28 Dabei nähmen aber die Bedeutung und der Umfang der expliziten intertextuellen Bezüge auf Einzeltextebene ab, je weiter sich eine Gattung bereits etabliert habe.29

Wenngleich diese Hypothesen für Texte des 18. und 19. Jahrhunderts aufgestellt sind, lassen sie sich doch mit der antiken Sicht auf Gattungen und der Frage nach ihrer Konstituierung verknüpfen.30 Für grundsätzliche Überlegungen, was Gattungen überhaupt sind und welchen Problemen man bei einer allgemeingültigen Definition begegnet, kann ich exemplarisch auf Volks (2002) Monographie verweisen, in der sie die Themen Gattung im Allgemeinen und in der Antike sowie besonders die didaktische Poesie ausführlich erörtert.31 Ich referiere im Folgenden einige ihrer Beobachtungen hierzu knapp und gehe dabei auf die Verbindung von Intertextualität und Genre im Fall des Lehrgedichts, das einen der wichtigsten generischen Ankerpunkte der Remedia amoris ausmacht, ein.

Auch in der Antike gab es, wie Volk ausführt, ein Bewusstsein für literarische Gattungen, wenngleich diese oft mehr in einer „common sense“-Form verstanden und weniger intensiv theoretisch fundiert wurden.32 Dabei teilte man sie vor allem nach metrischen Gesichtspunkten ein; es gab aber auch Unterscheidungen nach dem Primat des Inhalts und des ‚Prototypen‘.33 Gattungs-Reflexionen fänden sich zudem in metapoetischen Textpassagen, welche die (Nicht-)Zugehörigkeit eines poetischen Textes zu bestimmten Genres thematisieren können,34 oder bei den Theoretikern Platon und Aristoteles35 (der anknüpfend an seinen Lehrer besonders stark formalistische Kriterien ablehnt).36 Am Beispiel der didaktischen Poesie offenbare sich dabei „[t]he difference between the communis opinio about genre and the methods of distinguishing different types of poetry employed by such theorists as Plato and Aristotle […]“37. Während durch die hexametrische Gestaltung allgemein eine Zuordnung zur Epik vorgenommen wurde, artikulierte, so Volk, Aristoteles – via negationis – insofern einen Unterschied zu dieser Gattung, als das Lehrgedicht nicht nur des Mimesis-Kriteriums für das Epos entbehre, sondern nicht einmal Poesie darstelle.38 Die sich hier bereits abzeichnende Wahrnehmung der didaktischen Poesie als einer eigenen Gattung erfuhr Konkretisierungen etwa im Tractatus Coislinianus, der „direkt auf Aristoteles reagiert“39, und später in Diomedes’ Ars grammatica (4./5. Jd. n. Chr.), die in der platonischen Tradition zu verorten ist.40

Sieht man von den spärlichen theoretischen Zeugnissen ab, kann man jedoch durch konkrete Textarbeit an didaktischen Werken ‚implizite Poetiken‘ herausarbeiten.41 Denn diese weisen, wie Volk zeigt, gemeinsame, für die Gattung Lehrgedicht als konstitutiv zu betrachtende Merkmale auf – „(1) explicit didactic intent; (2) teacher-student constellation; (3) poetic self-consciousness; and (4) poetic simultaneity“.42 Dass sich das didaktische Genre sukzessive aus einem „didactic mode“ heraus entwickelt hat43 und von Hesiod und Empedokles bis hin zu Manilius ein offensichtlich immer konkreteres Gefüge aus didaktischen Bausteinen aufzuweisen beginnt, bestätigt den von Suerbaum beschriebenen Intertextualitätsprozess einer Gattungsgenese im Allgemeinen. Im weiteren Sinne intertextuelle Prozesse spielten demnach auch für das Lehrgedicht als Genre eine wichtige Rolle.

Hier soll Intertextualität aber nicht zur Erklärung der Gattungsgenese eingesetzt werden, sondern zur Untersuchung, welchen Einfluss Gattungssysteme – auch in der Konkretisierung durch bestimmte Textkorpora – und Einzeltexte auf die Remedia amoris haben. Bevor ich meinen Arbeitsbegriff von Intertextualität konturiere, ergänze ich meine Ausführungen noch um die zentralen Ergebnisse der aufschlussreichen Studien von Hinds (1998) und Edmunds (2001), da sie ihre Ausführungen mit lateinischen Textstellen illustrieren und sich kritisch-reflektiert mit intertextuellen Theorien klassischer Philologen (etwa Barchiesis, Contes, Farrells, Thomas’) auseinandersetzen.44

Bei Hinds und Edmunds bilden zwei Themenbereiche einen Schwerpunkt, die Edmunds als die zwei grundlegenden Probleme der Intertextualitätsdiskurse sieht: Diese betreffen sowohl die Frage nach der Autorintentionalität – von Hinds als „fundamentalism“45 bezeichnet – und die Frage nach dem Status des Textes an sich als auch die Rolle, welche der Leser für die Konstitution des Textes spielt.46 Hinds versucht, was ihn mit Pfister vergleichbar macht, einen Mittelweg zu finden, der zwischen dem vielen Lesern intrinsischen Verlangen danach, vom Autor bewusst gesetzte Anspielungen zu entdecken, und einem weiten Begriff der Intertextualität zu verorten ist; letzterer besteht in einer Annäherung an den Bereich der „zero-interpretability“47, der praktisch aber kaum vorhanden sei48 und das Feld für weitere Beobachtungen zu bisher vernachlässigten Anspielungen öffne.49 Aus einer Erweiterung der Bezugstexte ergibt sich aber die Problematik, die darin besteht, dass die Unterscheidung von allusion, quasi ‚Einzeltextreferenzen‘, und Topoi, die eine „intertextual tradition as a collectivity“50 hervorrufen (Hinds bezieht sich auf Contes Gegenüberstellung von modello-esemplare und modello-codice),51 zwangsläufig verschwimmt.52 Hinds zeigt jedoch, dass ein Topos und eine Anspielung auf einen konkreten Text gleichzeitig möglich sein können53 – eine Beobachtung, die auch für Ovids intertextuelles Vorgehen zutreffend ist. So ruft Ovid bei seinen Hinweisen darauf, dass langes klagendes Sprechen über die Geliebte und mangelndes Schweigen zu vermeiden sei (siehe meine Ausführungen in Kapitel 4.3.2.4), den Topos „that an angry tongue is a proof of love“54 auf. Gleichzeitig spielt er aber in einer Allusion, einer markierten Einzeltextreferenz, auch auf Catull. 83 und 92 an, in denen die Verbindung aus dicere, tacere und mangelnder emotionaler Indifferenz paradigmatisch repräsentiert wird. Letztlich verbindet Hinds eine die Autorsubjektivität (und die Ausrichtung auf einen impliziten Leser) berücksichtigende mit der für ihn zentralen leserorientierten Perspektive, bei der durch den Akt der Rezeption erst die Bedeutung des Textes konstituiert wird.55 Für die Analyse der Remedia ist der auf den Leser ausgerichtete Ansatz beispielsweise insofern wichtig und anwendbar, als Ovid durch die intentional primär-naive Lesart der Lesbia- und Juventius-Zyklen die instabile Haltung der Catull’schen Persona sichtbar macht. In der Art, mit der diese Figur zu einem Negativbeispiel für die Schüler der Remedia wird, verleiht Ovid dem Intertext der Carmina somit neue Bedeutung.

Noch stärker auf den Leser ist Edmunds fixiert, der in ihm die Intertextualität überhaupt erst lokalisiert:56 Intertextuelle Anspielungen würden erst beim Lesen erschaffen, ohne dass sie vorher ‚a priori‘ bestünden oder eine „linguistische oder semiotische Basis“ hätten“57; es gebe also auch keine im Text zu lokalisierenden Marker.58 Auch wenn Edmunds grundsätzliche Autorintentionen, besonders in lateinischer Dichtung, nicht verneint, problematisiert er die Sicht, Anspielungen auf die Dichterfigur zurückzuführen.59 Vielmehr werde Intertextualität durch den Sprecher bzw. die Persona eines Gedichts „aktiviert“, und zwar im Leser selbst.60 Das Problem, das sein leserbasierter Ansatz mit sich bringt – so führe es zu Unsicherheit bei der Bestimmung intertextueller Bezüge –, löst Edmunds dadurch, dass er die Entscheidungshoheit über die „validity of a reading“ bei der zuständigen, kritischen „interpretive community“, bei lateinischer Dichtung den klassischen Philologen, sieht.61 Obwohl ich die Rolle des Lesers z. B. für die genannte Catullrezeption ebenfalls als wichtig erachte, erscheint mir Edmunds’ Position teils zu extrem. Denn die Referenz Ovids manifestiert sich deutlich in lexikalisch markierten Anspielungen, die zugleich einen überprüfbaren Beleg für den intertextuellen Bezug darstellen.

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