Читать книгу: «Fröhliches Morden überall», страница 4

Шрифт:

5.

Die Tote lag auf dem Bauch, direkt an einem Gebäude in der Nähe der kleinen Straße »Zur Wahr«. Der Kopf war zur Seite gedreht, am Hals klaffte eine riesige Wunde, aus der das Blut in den Schnee gesickert war. In eine dicke Jacke gehüllt beobachtete der Besitzer des Hauses das Schauspiel und stapfte aufgeregt hin und her. Da es bereits spät am Abend und deshalb stockdunkel war, hatten die Beamten Scheinwerfer aufgestellt, um Leiche und Fundort zu untersuchen.

Ralf Radomski, Polizeihauptkommissar aus Fredeburg, leuchtete mit einer Taschenlampe hoch zur Dachrinne, an der in engen Abständen lange kräftige Eiszapfen hingen. »Der Täter meint wohl, wir seien bescheuert.« Er hatte einen abgebrochenen Zapfen in der Reihe entdeckt und deutete darauf. »Hier, das fehlende Teil des Eiszapfens war bestimmt die Tatwaffe.«

Rolf Grundmüller, Hauptkommissar aus Dortmund, war von PHK Radomski angefordert worden, nachdem dieser festgestellt hatte, dass es sich eindeutig um Mord handelte und somit die Kripo in Dortmund zuständig war. Grundmüller war sichtlich genervt. Er hätte lieber mit seinen Gästen zu Hause das neue Jahr begrüßt, statt ins Sauerland zu fahren und den Abend mit einer Leiche zu verbringen. In 90 Minuten war er hier gewesen, trotz des chaotischen Winterwetters.

An seiner Seite die wortkarge Tanja Altmüller, seine Kollegin, ebenfalls in Dortmund wohnhaft. Ihr schien es nichts auszumachen, am Silvesterabend zu arbeiten. Grundmüller wusste, dass die 35-Jährige kein Privatleben hatte.

Rolf Grundmüller, 55 Jahre alt, wulstige Lippen, zurückgekämmte dunkle Haare, wahrlich keine Schönheit, rollte mit den Augen, besah sich den Rest des Zapfens an der Dachrinne und anschließend die Wunde am Hals der Toten, die von der Mitte des Halses bis zum Ohr reichte. »Sie kannten die Tote?«, wandte er sich an Radomski.

»Ich habe sie schon einmal gesehen. Da bin ich mir ganz sicher. Ich komme allerdings aus Bad Fredeburg, immerhin zwölf Kilometer von hier entfernt.«

Das erklärte natürlich alles, dachte Grundmüller und starrte Radomski auf seine platte Nase.

Tanja Altmeier kramte in der Handtasche der Toten. »Alles noch da, Papiere, Geld, EC-Karte. Also kein Raubmord.«

Wieder rollte Grundmüller mit den Augen. Da stand dieser Trottel von PHK hier seit über einer Stunde herum und hatte noch nicht nach den Papieren der Toten geschaut. Wartete stattdessen auf ihn. Zu blöd, eigene Entscheidungen zu treffen. Und das mit 48 Jahren. Radomski war als Lahmarsch bekannt, jedoch als listiger Lahmarsch.

Ein Nachbar meinte, die Tote zu kennen. »Das ist die Mutter von dem Voss-Grobe, der seinen Hof etwas außerhalb von Bödefeld hat. Wahrscheinlich war sie in der Kirche und ist auf dem Heimweg dem Täter in die Arme gelaufen.«

»Sie sollten bei der Kripo anfangen, guter Mann«, meinte Grundmüller mit spitzer Zunge. Noch so ein Oberschlauer, dachte er.

Die Männer vom Erkennungsdienst waren inzwischen eingetroffen und machten sich an der Toten zu schaffen. Zum Glück hatte es aufgehört zu schneien.

Tanja Altmüller ging zu einem der aufgestellten Scheinwerfer. »Eleonore Scheffel, steht im Ausweis. Aus Herten kommt sie.«

»Also ein Urlaubsgast«, schlussfolgerte Radomski. Auch er sehnte sich nach Hause, in sein warmes Wohnzimmer, an den Bowletopf. Kirschbowle hatte seine Gisela zubereitet. Obwohl er bei Bereitschaftsdienst nicht trinken durfte. Sie waren gerade beim Essen gewesen, als der Anruf kam. Hoffentlich hatte die stets hungrige Gisela inzwischen nicht das gesamte zarte Fleisch aufgegessen. Da kannte die nichts. Ihm würde sie ein paar Brote schmieren und gut war es. Tschüss Fondue-Topf!

»Befragen Sie mal die umstehenden Leute, ob jemandem was aufgefallen ist, Altmeier. Auf die Idee ist Radomski mit Sicherheit noch nicht gekommen«, befahl Grundmüller seiner Kollegin. Er schätzte die drahtige junge Frau mit dem blonden Pagenkopf sehr, auch wenn sie ein Drachen war. Aber ein schlauer, wie er fand.

Eine kleine Traube Menschen drückte sich bei sieben Minusgraden am Leichenfundort aneinander. Wegen der Kälte seien die meisten Neugierigen schon verschwunden, wurde ihr mitgeteilt. Okay, ein Leichenfund war etwas Besonderes, doch nach fast zwei Stunden in der klirrenden Kälte zog es jeden Normaldenkenden nach Hause. Bis auf den harten Kern, der eisern ausharrte.

Auf die Frage von Grundmüller, wer die Tote gefunden habe, meldete sich der Besitzer des Gebäudes. »Mein Hund, der Piko. Der stromert hier abends immer rum. Plötzlich fing er wie ein Irrer an zu bellen, da habe ich nachgesehen und die Frau entdeckt. Ich meinte, ein Geräusch gehört zu haben, und habe mich umgesehen. Doch bis auf die Spuren im Schnee war da nichts.«

Der freundliche Berner Sennenhund mit dem Namen Piko sprang an Grundmüller hoch und schleckte ihm durchs Gesicht. Der nahm es gelassen.

Grundmüller schaute auf den Boden, wo mittlerweile zahlreiche Fußabdrücke zu sehen waren. Er identifizierte ein paar Spuren im Schnee, die auf riesige Galoschen schließen ließen und zurück zum Ort führten. »Warum haben Sie den Fundort nicht mit Flatterband weiträumig abgesperrt, Radomski? Wie sollen wir die Spuren jetzt noch exakt sichern? Alles ist zertrampelt.«

Radomski zuckte mit den Schultern. Ihm war kalt. Sollte er hier alles allein machen?

Altmeier hatte inzwischen eine Dame aufgetan, die ebenfalls zu wissen glaubte, wer die Tote war. »Die wohnt oben in dem kleinen Haus am Wald. Mit ihrer Familie. Ich habe sie einige Mal im Café unten im Ort gesehen. Ich bin mir sicher, dass sie es ist.«

Grundmüller rieb sich die kalten Hände aneinander und herrschte PHK Radomski an: »Was haben Sie die ganze Zeit gemacht, Radomski? Löcher in den Schnee gestarrt? Oder die Eiszapfen gezählt? In den knapp zwei Stunden hätten Sie die Leute befragen können. Oder einen Kollegen anfordern, der Ihnen hier hilft.«

»Ich musste den Tatort sichern«, kam es leise aus Radomskis Mund.

»Nee, ist klar.« Grundmüller sprach mehr zu sich selbst. »Hier ticken die Uhren echt anders.«

Der Nachbar griff sich ans Kinn, als dachte er nach. »Ich hätte wetten können, dass das die Mutter vom Voss-Grobe ist. Die sieht genauso aus.«

Der Kommissar wurde hellhörig. »Wo befindet sich dieser Voss-Grobe-Hof?«

Tanja Altmeier notierte sich, was der Mann mitteilte.

»Den unteren Teil des Eiszapfens, mit dem der Täter ihr vermutlich in den Hals stach, hat noch keiner gefunden, oder?«, fragte Grundmüller in die Runde. »Haben Sie schon danach gesucht, Radomski?« Grundmüller wurde von Minute zu Minute ungehaltener. Am liebsten hätte auch er einen Eiszapfen von der Regenrinne abgebrochen und Radomski damit eins übergebraten.

»Wann denn?« Radomski rann trotz der Kälte der Schweiß von der Stirn. Er hatte sich den Silvesterabend anders vorgestellt.

»Nee, ist klar«, meinte Grundmüller erneut.

»Ich fahre zu diesem Ferienhaus, Chef, bevor ich mir den Voss-Grobe-Hof anschaue, okay? Ist ja nicht weit. Mal sehen, ob die alte Dame dort vermisst wird. Die Kirche ist doch seit Stunden aus.«

»Alles klar, Altmeier, machen Sie das.« Wenigstens eine, die ihr Hirn einschaltet, dachte Grundmüller.

Radomski kroch am Boden herum und besah sich wieder und wieder die Tote. »Keine Spuren eines Kampfes, keine Abwehrverletzungen, nur das klaffende Loch im Hals. Der Fundort war wohl auch der Tatort«, sprach er oberschlau.

»Was Sie nicht sagen«, erwiderte Grundmüller gereizt und stöhnte auf. Die Frau des Besitzers reichte ihm einen Becher mit Kaffee. Dankend nahm er ihn an.

Immerhin hatte Radomski Verstärkung angefordert, die nun endlich, in Form einer uniformierten Streifenbeamtin, eintraf. Müde gähnend kam sie auf sie zu. Von Grundmüller erhielt sie die Anweisung, sich bei den Leuten umzuhören. Bei denen, die hier vor Ort herumstanden, und bei den Nachbarn in den umliegenden Häusern. Sie machte sich sofort an die Arbeit, verteilte brav Visitenkarten und notierte Aussagen, die vielleicht wichtig sein könnten.

Tanja Altmeier war kaum in den Wagen gestiegen und ein paar Meter die kleine Straße in Richtung Ferienhaus gefahren, als ihr schnellen Schrittes ein Mann entgegenkam. Sie bremste ab, kam ins Schlingern, hielt an und stieg aus.

»Was machen Sie hier?« Der Mann kam ihr verdächtig vor, er wirkte benebelt. Sie zeigte ihren Ausweis und stellte sich kurz vor. War das der Täter? Vielleicht empfand er Reue und es zog ihn zurück zum Tatort?

»Ich wohne dort oben in dem Haus am Wald. Wir machen hier Urlaub. Ich bin ein Kollege, Hauptkommissar Thomas Scheffel aus Gelsenkirchen. Ich suche meine Mutter. Sie kam von der Messe, die um 18 Uhr anfing, nicht nach Hause. Jetzt ist es fast 22 Uhr. Ich muss gestehen, dass ich eingeschlafen bin, meine Lebensgefährtin und ihre Mutter ebenfalls. Der Punsch war schuld. Als wir aufwachten, dachten wir, sie sei in ihrem Zimmer. Weil sich nichts rührte und wir nichts hörten, habe ich vorhin nachgeschaut. Sie ist noch gar nicht heimgekommen. Vielleicht ist sie nach dem Gottesdienst ins Hotel Albers. Da will ich gerade hin und nachsehen. Was ist denn da hinten los?« Erst jetzt bemerkte Thomas den Menschenauflauf ein paar Hundert Meter weiter und das Blaulicht eines Polizeiwagens, das die Umgebung gespenstisch erleuchtete. »Ist etwas passiert?« Obwohl er sich privat in Bödefeld aufhielt, zeigte er der Kommissarin seinen Dienstausweis.

Tanja Altmeier betätigte diesmal, mangels fehlendem Scheinwerfer, die Taschenlampenfunktion ihres Smartphones und betrachtete den Ausweis ganz genau. Tatsächlich ein Kollege, dachte sie nicht gerade erfreut. Scheffel lautete sein Nachname. War das nicht auch der Name der Toten? Und er vermisste seine Mutter und wohnte im Ferienhaus. »Eine Frau wurde tot aufgefunden«, antwortete sie zögerlich. Sie empfand Mitleid mit dem Mann, der plötzlich zu zittern begann. Er ahnte es schon, das sah Altmeier ihm an. Schlimm, wenn die eigene Mutter in der Silvesternacht tot aufgefunden wurde.

»Wissen Sie, um wen es sich handelt? Tot, sagen Sie?«

»Sie wurde ermordet. Ich glaube, es handelt sich um Ihre Mutter. Die Dame trug einen Ausweis bei sich, der auf den Namen Eleonore Scheffel ausgestellt ist.«

»Das muss sich um eine Verwechslung handeln. Niemand hier kannte meine Mutter. Wer sollte sie umbringen? Oder wurde sie überfallen? Aber sie schleppt nie viel Geld mit sich herum.«

»Nein, es wurde nichts gestohlen, es war alles noch in ihrer Tasche.«

Thomas riss die Augen weit auf. Er rannte, so schnell es der teilweise vereiste Weg erlaubte, in Richtung Leichenfundort. Er betete, dass es sich tatsächlich um einen furchtbaren Irrtum handelte.

Tanja Altmeier stieg ins Auto, drehte um und verlangsamte, als sie neben Thomas Scheffel ankam. Durch das Fenster sagte sie: »Kommen Sie, Herr Scheffel, steigen Sie zu mir ins Auto, der Weg ist glatt.« Tanja konnte es nicht fassen. Was für ein kurioser Fall, und das in der Silvesternacht!

Augenblicklich stieg Thomas zu ihr in den BMW und ließ sich zum Tatort fahren. Dort angekommen, lief er mit weichen Knien auf die am Boden liegende Person zu, die gerade von der Spurensicherung in einen Transportsack gepackt wurde.

Grundmüller und Radomski versuchten ihn aufzuhalten.

»Lassen Sie ihn. Es handelt sich wohl um den Sohn der toten Frau. Übrigens ein Kollege aus Gelsenkirchen«, teilte Altmeier ihrem Chef mit. Beide dachten: Der wird sich einmischen. Unter Garantie!

Thomas ging in die Knie, beugte sich über die Frau und betrachtete sie. Dann fing er wie ein kleines Kind zu weinen an. »Wieso? Wieso ausgerechnet meine Mutter? Sie war doch hier nur Urlaubsgast, hat niemandem was getan.«

Widerwillig ließ Thomas Scheffel sich zum Auto von Tanja Altmeier bringen. Erschöpft fiel er auf die Rückbank und schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte sich kaum beruhigen. Jammerte und weinte.

Die uniformierte Polizistin hatte die Umstehenden inzwischen alle befragt. Zusammen mit Tanja Altmeier nahm sie sich nun die Nachbarhäuser vor, die sich unmittelbar am Tatort befanden.

Sie landeten als Erstes in der Parterrewohnung einer jungen Frau, keine 50 Meter vom Tatort entfernt. Altmeier stellte sich und die Kollegin vor und erklärte der Frau, worum es ging. Die Polizistin in Uniform hatte sich bereits unaufgefordert aufs Sofa gesetzt und verfolgte kaugummikauend das TV-Programm.

Tanja Altmeier schaute sich um. In einer Stunde begann das neue Jahr, doch hier in der Wohnung sah es nicht nach Party aus. Ein kümmerlicher Tannenbaum stand in der Ecke, in einem Laufstall hockte ein kleiner verrotzter Junge, hangelte sich an den Stäben hoch und schaute Tanja neugierig an. Sie streckte dem Kind die Hand entgegen. Es lächelte sie fröhlich an. Tanja liebte Kinder. Für eigene brauchte sie allerdings einen geeigneten Mann, und der war nicht verfügbar. Gerade erst hatte sie die gefühlt hundertste Pleite hinter sich.

»Ich musste ihn wieder aus dem Bett holen, er wollte einfach kein Auge zumachen«, entschuldigte die Frau den späten Aufenthalt ihres Jungen im Wohnzimmer.

»Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig.«

Ungefragt gab die junge Mutter der Kommissarin Auskunft. »Ich lebe alleine. Als ich vor einem halben Jahr diese Wohnung bekam, war ich glücklich. Raus aus der Stadt, eine bezahlbare Wohnung, viel Natur, dachte ich. Doch auf dem Dorf hat man es als Alleinerziehende mit Kind nicht leicht.«

»Das glaube ich Ihnen gern.«

»Während der Kleine im Kindergarten ist, arbeite ich stundenweise im Café unten im Ort. Da waren in den letzten Tagen immer wieder zwei ältere Damen, die Urlaub hier gemacht haben. Sie haben sich lautstark ausgetauscht. Eine der beiden ging vorhin an meinem Fenster vorbei, rote Mütze und blauer Steppmantel. Ich dachte mir, dass sie in der Kirche war. Ein Mann folgte ihr mit großen Schritten. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ebenfalls ein Kirchgänger, war ich mir sicher. Danach habe ich mich vor den Fernseher gesetzt. Hellhörig wurde ich erst, als ich kurz darauf das Martinshorn hörte. Ich habe wieder rausgeschaut und die Frau am Boden liegen sehen. Schnell kamen dann auch einige Leute und haben geschaut, was passiert ist. Ich konnte nicht rausgehen, wegen Andi.«

»Wie sah der Mann aus? Wie groß? Dick oder dünn?« Altmeier machte sich Notizen.

»Vielleicht war er ja gar nicht der Mörder. Ich möchte niemanden beschuldigen. Der Mann, der ihr hinterherging, war groß, ungefähr 1,80 Meter, breite Schultern hatte er, ansonsten war er schlank. Er trug eine dicke Jacke, hatte dunkles, halblanges Haar. Es sah jedenfalls im Dunkeln so aus. Aber wie gesagt, ich habe mir nichts dabei gedacht.«

Die junge Mutter hatte ein schlechtes Gewissen. Ihr war bewusst, dass sie der Polizei längst von diesem Mann hätte berichten müssen. Mischte man sich zu viel ein, war es nicht gut, hielt man sich raus, war es auch nicht gut. Wie man es machte, war es falsch, dachte sie.

Die Uniformierte kaute noch immer und glotzte »Dinner for one«. Hin und wieder lachte sie kurz auf.

»Kam Ihnen der Mann bekannt vor?«

»Es war stockdunkel. Okay, der Schnee ließ alles heller erscheinen. Einen eigenartigen Gang hatte er. Aber ich habe ihn nicht erkannt.«

»Was meinen Sie mit eigenartigem Gang?«

»Ein wenig schleppend ging er.«

»Eben sagten sie noch, er habe große Schritte gemacht.«

»Das eine schließt das andere doch nicht aus.« Die junge Mutter hatte langsam die Faxen dicke. Nun fing ihr Sohn auch noch an zu weinen.

Kurz vor Mitternacht verließen die beiden Frauen die Wohnung von Mutter und Kind. Draußen wartete Grundmüller. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Ihm war eindeutig kalt.

»Die Schaulustigen haben sich verzogen, ebenso Radomski, diese Flachpfeife. Ich habe den Sohn zu seinem Feriendomizil gefahren. Die Partnerin und deren Mutter werden wir morgen früh verhören. Prost Neujahr, Altmeier«, sagte er nach einem Blick auf seine Uhr. »Lassen Sie uns nach einem Zimmer Ausschau halten. Oder wollen Sie noch zurückfahren?«

Altmeier zuckte mit den Schultern. Der Gedanke, jetzt noch nach einem Zimmer zu suchen, gefiel ihr nicht.

Die junge Kollegin war ohne einen Abschiedsgruß verschwunden.

6.

»Mit einem spitzen Gegenstand hat man sie ermordet! Die Kripo tippt auf einen Eiszapfen, den der Täter wohl von der Dachrinne des Gebäudes, an dem man sie fand, abgebrochen hat.« Geistesabwesend, den Blick in die weiße Traumlandschaft gerichtet, rührte Thomas in seiner Kaffeetasse. »Eigentlich hatte sie keinen schlechten Tod. Und das in einer wunderschönen Nacht mit funkelnden Sternen am kalten Winterhimmel.«

Margareta konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Sag mal, bist du bescheuert? Ist das ein schöner Tod, einen Eiszapfen in den Hals gestoßen zu bekommen? Wach auf, Thomas!«

Waltraud hatte Tränen in den Augen und sehnte sich nach Hause. Am frühen Neujahrsmorgen hatte sie aus lauter Verzweiflung Sepp angerufen. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass ihr Anruf ungelegen kam. Im Hintergrund hatte sie eine Frau reden gehört. Eine ältliche, kieksende Stimme, die ihr bekannt vorkam. Sie hatte sie allerdings in dem Moment nicht zuordnen können. Das Jahr fing nicht gut an. Dabei hatte Sepp ihr letzte Woche erst erzählt, er habe seine Frau verlassen und lebe nun allein, in der Hoffnung, sie beide würden wieder zusammenfinden. Jetzt die tote Eleonore. Wäre sie mitgegangen zur Kirche, würde Eleonore dann noch leben? Waltraud quälte sich mit Selbstvorwürfen. Oder wäre sie ebenfalls tot?

»Morgen fahren wir zurück, oder? Sicherlich reisen neue Gäste an. Bei dem tollen Winterwetter.« Waltraud sah ihre Tochter bittend an.

»Nein, wir bleiben noch eine Woche. Thomas hat mit der Vermieterin gesprochen. Die Familie, die morgen anreisen sollte, hat abgesagt, die sind krank. Ihr ist es mehr als recht, dass wir noch bleiben.« Margareta biss in ihr Brötchen und schaute Thomas, der mit seinen Gedanken weit weg war, besorgt an.

»Ihr werdet also die Nasen in den Fall stecken und die Kripo wuschig machen. Und ich soll hier meine Zeit absitzen, oder wie? Ich will nach Hause!« Jetzt liefen Waltraud die Tränen an den Wangen hinunter. Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft.

»Ich brauche dich, Waltraud, du kannst mir helfen«, versuchte Margareta ihre Mutter aufzuheitern.

»Nein, mein Mädchen, das kannst du vergessen. Die Zeiten liegen hinter mir. Wie oft habe ich mich lächerlich gemacht! Denk nur an den Heiratsschwindler. Vor seinem Haus musste ich Patrouille laufen. Anschließend hatte ich diesen alten Kerl am Hals. Nein, danke!«

Thomas erwachte aus seiner Lethargie. »Ja, Waltraud, du könntest uns von Nutzen sein, indem du dich hier und da mal umhörst, bei Edeka oder im Café.«

Waltraud sagte nichts mehr. Setzte ihr beleidigtes Gesicht auf und schwieg. Sie wollte heim und sehen, was bei Anni so los war. Was Sepp trieb und wie er die Silvesternacht verbracht hatte, interessierte sie ebenfalls. Auch wenn sie Margareta versprochen hatte, keinen Kontakt mehr zu ihm aufzunehmen. Vielleicht wusste Anni mehr.

»Ich stelle mir die letzten Minuten in Eleonores Leben schrecklich vor. Sie muss wahnsinnige Ängste ausgestanden haben. Und da behauptest du, sie hatte einen schönen Tod?« Margareta wandte sich an Thomas und schüttelte den Kopf.

»Ich meinte nur, dass die Umstände nicht schlecht waren. Silvesternacht, Traumlandschaft. Sie hatte keine Schmerzen. Jedenfalls nicht sehr lange. Meinst du, es ist besser, wochenlang im Krankenbett zu liegen und dahinzusiechen wie mein Vater?«

»Das kann man doch nicht vergleichen!«

»Natürlich nicht. War nur so ein Gedanke. Vergiss es! Ich bin es ihr schuldig, den Mörder zu finden, und das werde ich auch. Die Kripo machte einen ganz kompetenten Eindruck. Dieser Kommissar Grundmüller war nicht gerade freundlich, aber darauf kommt es nicht an. Na ja, bis auf die Tatsache, dass er aus der verbotenen Stadt kommt.«

Für die aus Gelsenkirchen stammenden Schalker Fans war Dortmund mit den Borussen ein rotes Tuch.

»Die junge Kollegin, diese Tanja Altmeier, scheint ein zähes Biest zu sein. Ich mag Frauen mit Biss«, meinte Margareta.

»Weil du selbst so eine bist«, schmunzelte Thomas.

»Sei vorsichtig, was du sagst. Du bist jetzt ein Waisenjunge, vergiss das nicht. Wenn ich dich sitzen lasse, hast du niemanden mehr.«

»Dann such ich mir eine Neue. Wo ist das Problem? Außerdem habe ich ja meinen süßen Dackel Willi. Ich könnte mich in den Hintern treten, dass ich ihn nicht mitgenommen habe. Ich vermisse ihn.« Da starb ihm die Mutter weg, und der Dackel war bei einem Bekannten. Nur wegen der beiden mitreisenden Mütter hatte Thomas den Hund bei ihm gelassen, was Margareta nicht verstanden hatte.

Thomas erschrak über das Geplänkel. Seine Mutter war gestorben, brutal ermordet worden, und er klopfte lockere Sprüche? Er wechselte das Thema und sprach den Besuch der Kripobeamten und des PHK Radomski vor einer guten Stunde an.

Die Beamten hatten sich Eleonores Zimmer vorgenommen, in jede Ecke geschaut, sämtliche Schränke und Schubladen aufgerissen, um letztendlich nichts zu finden. Anschließend hatten sie Thomas, Margareta und Waltraud befragt. Rolf Grundmüller traute ihnen anscheinend nicht über den Weg, er hatte sie die ganze Zeit über skeptisch angeschaut. Vielleicht lag es auch daran, dass Thomas ein Kollege war. Thomas wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr die ständige Einmischung von Außenstehenden stören konnte. Tanja Altmeier ging vorurteilsfreier an die Sache heran. Sie hatte vorhin präzise Fragen gestellt und ebensolche Antworten erwartet. Ihre Art gefiel auch Thomas. Wieso PHK Radomski dabei gewesen war, konnten Margareta und Thomas sich nicht erklären.

»Dieser Radomski sieht nicht nur urkomisch aus mit seiner platten Nase und der Ponyfrisur, er ist auch als schießwütiger, aggressiver Bulle bekannt. Ich hab mich vorhin kurz schlau gemacht«, sagte Thomas. »Er kommt bestimmt aus der ehemaligen DDR.«

»Hast du die Infos im Internet gefunden? Oder hast du etwa schon mit deinen Kollegen telefoniert? Am Neujahrsmorgen?« Margareta aß inzwischen das dritte Brötchen. Das war bei ihr immer so. Wenn ihr etwas auf der Seele lag, gab es kein Halten, was das Hineinstopfen von Essbarem betraf.

»Sowohl als auch.«

»Dachte ich mir. Aber du hast recht. Dieser Typ ist eigenartig. Mir erschließt sich nicht, wieso er vorhin dabei war.« Margareta liebäugelte schon mit dem nächsten Brötchen, was Thomas nicht entging.

»Du willst nicht ernsthaft noch ein Brötchen essen, oder?«

»Halt dich geschlossen, mein Freund. Nicht, dass ich dich absäge und mir einen Neuen suche.«

Themenwechsel. Sie hatten im Moment wirklich andere Sorgen.

»Von uns aus sind die drei zum Voss-Grobe-Hof gefahren. Was wollen sie dort?« Thomas schaute aus dem großen Panoramafenster im Wohnzimmer. Nebel zog auf. Nur nicht nachdenken, sagte er sich. Lenke dich ab. Und trotzdem drängte sich ihm das Bild seiner Mutter auf, die irgendwo in einem kalten Raum der Rechtsmedizin lag.

»Sich die Frau anschauen, die deiner Mutter angeblich ähnlich sieht? Herausfinden, ob sie Feinde hatte und der Mord ihr galt? Die Tatwaffe suchen?«

»Du meinst, der Täter hat sich den kalten, mit Blut verschmierten Zapfen in die Hosentasche gesteckt und ihn mitgenommen? Dann wird er geschmolzen sein.«

Margareta zog einen Flunsch, stand vom Tisch auf und griff nach ihrer Jacke. »Ich werde mich ein wenig umsehen. Allein!«

»Ich gehe in die Kirche, um eine Kerze für Eleonore anzünden«, verkündete Waltraud seufzend.

Wer hätte gedacht, dass die beiden sich so gut verstanden, wie es in den letzten Tagen der Fall war, dachte Margareta. Am Anfang hatte es nicht so ausgesehen. »Halte Augen und Ohren offen, Waltraud«, gab Margareta ihr mit auf den Weg. An Thomas gewandt sagte sie: »Was hast du jetzt vor? Hänge dich nicht zu sehr in den Fall rein.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich denke, dass ich mit dem Voss-Grobe-Hof anfange. Eine Menge Fragen brennen mir auf der Seele. Danach werde ich mir den Pfarrer vorknöpfen. Pfarrer wissen immer was. Den Tatort will ich mir auch noch vornehmen.«

»Beide werden begeistert sein. Der Bauer und der Pfarrer. Du bist hier nicht befugt, die Leute zu befragen. Das ist nicht dein Revier. Dafür haben sie Grundmüller und Altmeier.«

»Lass das meine Sorge sein, Margareta.« Schnell schlüpfte er in seine Schuhe und zog die Jacke an.

Er trat gerade zur Haustür hinaus, als Margareta ihm hinterherrief: »Du fährst Waltraud in den Ort. Oder soll sie in dem Nebel die zweite Tote sein? Immerhin läuft der Mörder frei herum!«

Er murmelte unverständliche Worte in den nicht vorhandenen Bart. Er wollte allein sein und nachdenken. Aber er tat Margareta den Gefallen, denn sie hatte ja recht. Während er die Scheiben vom Eis befreite und auf Waltraud wartete, kam ihm eine Idee. Sein Elternhaus stand durch den Tod seiner Mutter leer. Er könnte es umbauen und mit Margareta dort einziehen. In die Einliegerwohnung, die er einmal bewohnt hatte, könnte er Waltraud stecken. Sie müsste eine kleine Miete bezahlen und sich im Haushalt nützlich machen. Durfte er so etwas so kurz nach dem Tod seiner Mutter überhaupt denken? Er wusste es nicht, merkte aber, dass ihn der Gedanke etwas aufmunterte.

Thomas Scheffel, Erster Hauptkommissar des KK 11 in Gelsenkirchen-Buer, mochte keine Leichen. Er war regelrecht allergisch dagegen. Ein Schaudern erfasste ihn, wenn er an die vielen Toten dachte, die er in seinem Berufsleben schon betrachtet hatte. Er konnte ihren Anblick kaum ertragen. Manchmal hatte er sich davor gedrückt, hatte Durchfall vorgeschützt oder Zahnschmerzen, wenn er zu einem Mordfall gerufen wurde. Außerdem bedeutete eine Leiche viel Arbeit. Arbeit, die er mehr als ungern erledigte. Überhaupt war sein Beruf nicht sein Traum gewesen. Es hatte sich so ergeben, irgendwie. Sein korpulenter, zur Faulheit neigender Onkel, der ebenfalls Hauptkommissar gewesen war, hatte ihm und seiner Familie viel von seiner Arbeit vorgeschwärmt, sodass schnell feststand, dass auch Thomas zur Polizei gehen sollte. Lieber wäre er Sänger geworden. Als Jugendlicher hatte er oft vor dem Spiegel gestanden, mit einer Colaflasche in der Hand, und die Songs von Bon Jovi nachgesungen. Das gute Aussehen, das für einen Sänger mindestens so wichtig war wie eine gute Stimme, hatte er. Davon war er damals überzeugt gewesen. Und trotzdem war er auf der Polizeischule gelandet. Schnell hatte sich herausgestellt, dass er wunderbar delegieren konnte. Jetzt, als Erster Hauptkommissar, war er glücklich, Jenny als Partnerin an seiner Seite zu haben. Sie hatte schon manches Mal für ihn die Kastanien aus dem Feuer geholt.

Nachdem er Waltraud in den Ort gefahren hatte, steuerte er seinen Passat durch den inzwischen dichten Nebel in Richtung Wanderparkplatz Mechterkuse. Dort stellte er ihn ab und legte die restlichen Meter zum Voss-Grobe-Hof im Wald zu Fuß zurück. Der Weg führte ihn stetig bergan. Seine Heckler & Koch P7 im Holster gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er wusste, dass er sie niemals hätte mitnehmen dürfen. Warum er es dennoch getan hatte, konnte er nicht sagen. Es war ihm einfach ein Bedürfnis gewesen. Doch er musste sie vor Margareta verstecken, und das war nicht einfach. Im Moment gab ihm die Waffe jedenfalls ein Gefühl der Sicherheit.

Auf dem Hof wollte er herausbekommen, ob die alte Voss-Grobe Feinde hatte und gestern Abend statt seiner Mutter getötet werden sollte. So richtig konnte er die Sache mit der Verwechslung nicht glauben. Wäre das nicht zu einfach?

Er betrat den Hof. Die beleuchtete Tanne, die vor dem Wohnhaus stand, wirkte unwirklich auf ihn. Weihnachten war für ihn vorbei. Wie nicht anders erwartet, herrschte am späten Neujahrsmorgen Ruhe. Nur vereinzelt drang ein Muhen aus dem Stall. Die Stalltür stand offen und Thomas blickte in den riesigen Raum. Niemand zu sehen. Rechts und links standen die Kühe, steckten ihre Köpfe durch die Gitterstäbe am Futtergang, kauten und schauten ihn neugierig an. Er ging weiter in den Stall hinein.

Da sah er ihn. Mit der Mistgabel in der Hand stand der Bauer am Ende des Stalles und beobachtete ihn.

»Was wollen Sie? Milch gibt es erst am Abend und Eier feiertags gar nicht.« Voss-Grobe war genervt, biss von einem Brötchen, das er in der linken Hand hielt, und kaute darauf herum. Er trug eine blaue Latzhose, darunter ein kariertes Hemd, darüber eine braune Strickjacke.

»Ich will nichts kaufen, sondern Ihnen ein paar Fragen stellen«, erklärte Thomas und zog seinen Ausweis aus der Tasche, obwohl der ihm hier nichts nutzte. Doch das wusste der Bauer hoffentlich nicht.

»Gerade erst sind drei Kollegen von Ihnen vom Hof gefahren. Die haben mir genug Löcher in den Bauch gefragt. Also, was wollen Sie noch?«

»Ich bin nicht dienstlich hier. Ich mache Urlaub in Bödefeld. Gestern wurde meine Mutter ermordet. Sie haben sicherlich soeben davon erfahren. Oder vielleicht schon früher.« Thomas sah den Landwirt eindringlich an.

Erschrocken hielt Voss-Grobe inne. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. »Hören Sie, guter Mann, es tut mir schrecklich leid für Ihre Mutter. Doch ich muss Ihnen keine Fragen beantworten, wenn Sie mich privat löchern wollen. Wenden Sie sich an die Polizei hier vor Ort. Die hilft Ihnen weiter.« Voss-Grobe setzte sich in Bewegung und wollte den Stall verlassen.

Thomas ging dem Bauern hinterher, die Hand an seiner Waffe. Ich sollte ihm ins Bein schießen, dachte er. So abgefertigt zu werden, gefiel ihm gar nicht. Doch er war schlau genug, die Folgen, die dieser Schuss mit sich bringen würde, zu bedenken. »Man dachte zuerst, dass es sich um Ihre Mutter handelt, weil sie sich ähnlich sahen, auch wegen der Kleidung. Könnte es sein, dass es sich um eine Verwechslung handelt und der Mörder Ihre Mutter umbringen wollte? Hatte Ihre Mutter Feinde?« So schnell gab Thomas nicht auf.

Voss-Grobe drehte sich um und machte einen Schritt auf Thomas zu. Mit einem bösen Blick aus dunklen Augen schaute er den Kommissar an. Seine rechte Hand zitterte. Am liebsten hätte er ihn am Kragen gepackt und vom Hof geworfen. »Hören Sie, niemand wollte meine Mutter umbringen. Sie ist eine geschätzte Persönlichkeit hier im Ort. Nur weil sie Ihrer Alten vielleicht ähnlich sah, muss es sich nicht um eine Verwechslung gehandelt haben. Sie hatte keine Feinde. Und wenn, geht Sie das gar nichts an. Ich frage ja auch nicht, was Ihre Mutter alles verbrochen hat. Und nun verschwinden Sie. Aber ganz schnell!« Um der Aufforderung Nachdruck zu verleihen, wedelte er mit der Mistgabel vor Thomas’ Gesicht herum. Ein Zinken, an dem Kuhmist haftete, streifte dabei die Haare des Gelsenkirchener Kommissars. »Ist das klar?«, schrie Voss-Grobe durch den kalten Stall.

Бесплатный фрагмент закончился.

956,63 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
283 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839269107
Издатель:
Правообладатель:
Автор

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
160