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1.3 Das salafistische Metanarrativ

Auf dieser Grundlage müssen das Studium und das Verständnis salafistischer Bewegungen und ihrer Ideologie als essenziell für das Verständnis und die Beseitigung des Phänomens des Extremismus aufgefasst werden. Dieses Buch fokussiert sich auf die Analyse der Narrative in salafis-[19]tischen Freitagspredigten in Deutschland, die zusammen ein salafistisches Metanarrativ bilden.5 Es will Antworten auf die folgenden Fragen geben: Welches sind die Narrative, die ideologische Salafisten unter den deutschen Muslimen zu verbreiten und zu verankern versuchen? Wie kontextualisieren (‚framen‘) ideologische Salafisten diese Narrative? Welche Ziele streben sie damit an? Was macht sie attraktiv? Gibt es eine Beziehung zwischen dem ideologischen salafistischen Metanarrativ und dem Prozess der Radikalisierung?

Für Halverson und seine Kollegen besteht ein Narrativ aus einer Reihe von Geschichten, die programmatisch miteinander verbunden sind und deren Themen ineinandergreifen. Das Verständnis unseres Selbst, wer wir sind, warum wir hier sind, was uns einzigartig macht und dergleichen Fragen mehr werden von einer Reihe von Geschichten geformt und zusammengehalten, die wir hören, während wir aufwachsen, und die uns miteinander verbinden (Halverson, Corman und Goodall 2011: 12). Folglich lässt sich ein Narrativ definieren als „coherent system of interrelated and sequentially organized stories that share a common rhetorical desire to resolve a conflict by establishing audience expectations according to the known trajectories of its literary and rhetorical form“ (Halverson, Corman und Goodall 2011: 14). Ein Narrativ ist eine imaginäre, zusammenhängende Welt, in der Bilder des Selbst aus seiner Vergangenheit gewoben werden. Edward Said verdeutlicht, dass ein Narrativ auf dem Verständnis der Gegenwart durch die Rückkehr in die Vergangenheit beruht, sodass dabei eine Reihe von Faktoren wie Erzählungen, Religion, Sprache und Macht eine Rolle spielen (Said 1994). Salafistische Narrative zielen in diesem Sinne darauf ab, ideologische Überzeugungen auf gegenwärtige Situationen anzuwenden, seien sie politischer oder sozialer Natur, und diese aus der Perspektive des Unterdrückten zu framen (El-Badawy, Comerford und Welby 2017).

Ein Metanarrativ, so erklären Halverson und seine Kollegen, „is a transhistorical narrative that is deeply embedded in a particular culture“ (Halverson, Corman und Goodall 2011: 14). Es wächst und erhält seine Stellung durch seine Wiederholung und Wertschätzung innerhalb einer spezifischen Kultur. Halverson und seine Kollegen verstehen Kultur als eine Reihe von zusammenhängenden Spezifikationen oder [20]geteilten Eigenschaften, auf die sich eine ethnische, soziale oder religiöse Gruppe beruft und sich so als menschliches Kollektiv definiert (Halverson, Corman und Goodall 2011: 14). Man kann also sagen, dass sich Metanarrative um vorgefertigte Annahmen drehen, die Pluralismus und Differenz trotz der Vielzahl unterschiedlicher sozialer und kultureller Kontexte nicht zulassen. Darüber hinaus bestreiten Metanarrative die Möglichkeit jeglicher Form von Wissen oder Wahrheit außerhalb ihres Rahmens und widersetzen sich jedem Versuch, sie zu verändern, zu kritisieren oder einer Prüfung zu unterziehen. Sie erlauben außerdem keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und bestehen darauf, ganzheitliche Vorstellungen von Gesellschaft, Kultur, Geschichte und Existenz in sich zu tragen. In jedem Fall ist Metanarrativen eine Natur der Ermächtigung und Exklusivität zu eigen, die andere Formen verfügbarer Narrative marginalisiert.

Das Metanarrativ der ideologischen Salafisten, so wurde mir während meiner Feldforschung klar, stützt sich auf folgende drei grundlegende Quellen.

Erstens wird der Koran, von dem die Muslime glauben, dass er dem Propheten Muhammad über einen Zeitraum von ca. 23 Jahren offenbart wurde, als die grundlegende und wichtigste Quelle für die Narrative der ideologischen Salafisten betrachtet. Der Koran ist das heilige Buch des Islam und Muslime glauben daran, dass er das Wort Gottes bewahrt und das letzte der ‚himmlischen Bücher‘ (kutub samāwīya) nach den Schriftrollen Abrahams, dem Zabur, der Thora und dem Evangelium ist.6

Zweitens bilden die Hadithe des Propheten eine essenzielle Quelle für den Aufbau des ideologischen salafistischen Metanarrativs. Die Hadithe sind die vom Propheten Muhammad überlieferten Aussprüche, Handlungen und Entscheidungen (siehe z. B. Schoeler 1996 und Motzki 2014). Sie verdeutlichen und erklären die religiösen Regeln und Vorschriften, die der Koran enthält, und bilden neben diesem die zweite Grundlage der Rechtsprechung im sunnitischen Islam. Sie erläutern das vorbildliche Verhalten des Propheten Muhammads, dessen Beispiel die Muslime folgen sollen. Nach seinem Tod begann man mit ihrer [21]mündlichen Überlieferung. Letztendlich wurden sie jedoch im 8. und 9. Jahrhundert in unterschiedlichen Hadithsammlungen festgehalten und zusammengestellt. Für die sunnitischen Muslime sind die aussagekräftigsten Hadithsammlungen diejenigen, die auf die Korangelehrten Muhammad Ibn Ismail al-Bukhari (gest. 870) und Muslim Ibn al-Hajjaj (gest. 875) zurückgeführt werden. In Anbetracht ihrer Ursprünge in mündlichen Überlieferungen beschränken sich die Hadithe nicht nur auf den Inhalt von Geschichten und Erzählungen, sondern erstrecken sich auch auf die Kette der Überlieferung, die von den Individuen berichtet, die die Überlieferung seit der Zeit des Propheten im 7. Jahrhundert weitergaben und so bewahrten. Obwohl es über diese Überlieferungen oft Diskussionen und Auseinandersetzungen unter den Muslimen gibt, so sind sie doch eine bedeutende Quelle religiösen Wissens. Sie spielen deshalb eine wichtige Rolle in den islamischen Wissenschaften der Exegese und der Rechtslehre und liefern eine grundlegende Orientierung für die Art und Weise, wie die Muslime leben und die Welt um sie herum verstehen können (Halverson, Corman und Goodall 2011: 4f.). Auch sie bilden eine grundlegende Quelle für das Metanarrativ der ideologischen Salafisten. Dabei ist zu beachten, dass auch viele gefälschte Hadithe in Umlauf gebracht wurden und man deshalb versucht hat, die Authentizität durch Prüfung der Überlieferungskette (isnād) und manchmal auch durch Analyse des überlieferten Texts (matn) selbst sicherzustellen. Wie ich später zeigen werde, folgen viele ideologischen Salafisten dieser etablierten Tradition der Überlieferungskritik jedoch nicht, weshalb sie schon deshalb keineswegs als authentische Vertreter der islamischen Religionskultur gelten können.

Drittens stützen sich die ideologischen salafistischen Narrative auch auf historische Erzählungen und Geschichten, welche Ereignisse und Kriege betreffen, die den Werdegang und die geschichtliche Entwicklung der islamischen Staaten und Gesellschaften beeinflusst haben, etwa die islamische Expansion oder die Kreuzzüge, die sich vom 11. bis ins 13. Jahrhundert erstreckten (Halverson, Corman und Goodall 2011: 7). Die ideologischen Salafisten beziehen sich zur Unterstützung ihres Metanarrativs auf solche historischen Erzählungen und Beispiele, von denen sie denken, sie würden die Entwicklung der muslimischen Gesellschaften bis heute beeinflussen.

Diese drei Quellen enthalten eine Menge vielfältiger Informationen, Orientierungspunkte, Ratschläge, Anweisungen, Verbote, Lehren und Schlussfolgerungen, die zusammengenommen ein vollständiges Metanarrativ bilden. Sie helfen den ideologischen Salafisten dabei, ihrem gegenwärtigen Leben eine Orientierung zu geben und ihre Zukunft zu [22]planen, und zwar auf eine Art und Weise, von der sie denken, sie stünde im Einklang mit dem wahren Weg Gottes. Sie geben diese Narrative von einer Generation an die nächste weiter, um somit ihr Fortbestehen sicherzustellen. Die Narrative behandeln vielfältige und weitgefasste Themen, darunter Freundschaft und Feindschaft, Gut und Böse oder Wahrheit und Unrecht sowie die Wege, zwischen diesen Gegensätzen zu unterscheiden und das Richtige zu tun. Wie ich in den Kapiteln 4 bis 6 diskutieren werde, verwenden die ideologischen Salafisten diese Quellen im Gegensatz zum muslimischen Mainstream nicht nur besonders selektiv, sondern auch außerhalb ihrer Kontexte, um ihre Gegner anzugreifen und sie zu delegitimieren.

Man kann nicht behaupten, dass es ein einziges Narrativ gibt, dem sich alle Salafisten gleichermaßen verpflichtet fühlen. Dennoch lassen sich gemeinsame Elemente in den salafistischen Narrativen feststellen, die zusammengenommen ein übergeordnetes, leitendes Narrativ bilden, welches alle verschiedenen Strömungen des Salafismus mehr oder weniger teilen. Dazu gehört es z. B., die Schiiten, die Sufis, die Säkularen, den Westen, die Christen und die Juden zu Ungläubigen und zu ewigen Feinden zu erklären (für eine vertiefte Diskussion der salafistischen Perspektive auf Christen siehe Rudolph 2014). Dieses Buch wird sich mit diesen Narrativen auseinandersetzen und sie im Detail analysieren.

Neuere Studien zum Phänomen des Terrorismus haben fruchtbare Ideen geliefert, die uns dabei helfen, die Mechanismen zu verstehen, mittels derer die salafistischen Narrative zur Erstarkung des Extremismus beitragen. In diesem Zusammenhang bildet der Beitrag von Halverson und seinen Kollegen in dem Buch Master Narratives of Islamist Extremism eine wichtige Quelle für das Verständnis der Beziehung zwischen den salafistischen Narrativen und dem Terrorismus. Sie nehmen an, dass es trotz der Unterschiede der dschihadistischen Narrative auf lokaler Ebene leitende Narrative gibt, die über die lokalen Diskurse hinausgehen. Das leitende Narrativ setzt sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen, die aus den heiligen Texten des Islam und der Geschichte abgeleitet sind.

Das Wichtigste dabei ist die Tatsache, dass die leitenden Narrative niemals unveränderlich, sondern offen für ihre kontinuierliche Neuauslegung im Rahmen individueller und kollektiver Konzepte sind. Ohne diese Verbindungen zwischen Geschichten und leitenden Narrativen könnten Muslime – wie jede andere kulturell definierte Gruppe der Welt auch – keine methodische Auffassung ihrer Stammesgeschichte, ihrer Staaten oder ihrer Volksgemeinschaften entwickeln. Auch die individuellen Gläubigen hätten dann kein überzeugendes Empfinden [23]ihrer persönlichen Bestimmung, das sie als Individuen mit den Narrativen der Gemeinschaft (der Umma) und ihre individuellen Geschichten sowie die kollektiven Narrative der Gemeinschaft mit dem Metanarrativ eines islamischen „Kosmos“ verbindet (Halverson, Corman und Goodall 2011: 12).

Auch Egerton behandelt in seinem Buch Jihad in the West. The Rise of Militant Salafism die Rolle von Narrativen bei der Beeinflussung eines sehr kleinen Teils der Gesellschaft, so wie es in Bezug auf den militanten Salafismus der Fall ist. Er ist der Ansicht, dass die Antwort auf die Frage, warum die militanten Salafisten ihr Narrativ bis zum Äußersten treiben können, größtenteils durch die Tatsache begründet sei, dass viele Elemente dieses Narrativs in abgeschwächter und weniger militanter Form in vielen islamischen Gemeinschaften vorhanden seien. Der militante Salafismus schöpft aus einem Narrativ, das auf religiöser Einheit und der Feindschaft des Westens gegen den Islam beruht und auf tief verwurzelten Konzepten und Überzeugungen aufbaut. Seine Protagonisten kontrollieren dieses Narrativ und arbeiten daran, es zu gestalten und auszuweiten. Zu den wichtigsten Vermittlern bei diesem Prozess, denen dadurch eine zentrale Rolle zukommt, gehören die missionarischen und propagandistischen Prediger und kleinen Gruppierungen, die vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten sind (Egerton 2011: 5). Egerton (2011: 135) sagt:

For most Muslims, the West is more usually seen as hypocritical in foreign policy matters and unduly aggressive in those that concern countries wherein Muslims are the majority. Those who engage in militancy amend and develop this narrative and then act upon it in a particular way. Again, this is not to equate Islam with terror, but to acknowledge that those who do engage in militancy do so having emerged from communities in which specific discourses are accepted and propagated.

In einer neuen Studie wurden 114 Medienquellen aus dem Zeitraum von April 2013 bis zum Sommer 2015 gesammelt, die drei Gruppierungen des dschihadistischen Salafismus zugeordnet werden können: dem IS, der Nusra-Front und Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Darin versuchen Eman El-Badawy und ihre Kollegen, die Ideologie näher zu definieren, welche diese drei Gruppierung mit Hilfe ihrer Medienquellen sorgfältig aufbauen, um damit einen Gegendiskurs für die muslimische Öffentlichkeit, die Regierungen und die Zivilgesellschaft zu schaffen. Die Studie betrachtet eine vielfältige Sammlung an Narrativen, auf die sich die Dschihadisten in ihrem Diskurs konzentrieren, sei es, um neue [24]Anhänger um sich zu scharen, oder um diese zum Dschihad zu motivieren. Diese Studie machte deutlich, dass die Dschihadisten sich auf Narrative konzentrieren, die sich um religiöse Konzepte wie den Monotheismus (at-tauḥīd), den Dschihad (al-ǧihād), die Umma (al-umma), das Kalifat (al-ḫilāfa), den Ausschluss aus dem Islam (at-takfīr) (siehe z. B. Timani 2018 sowie Nedza 2020), das Ende der Zeit (nihāyat az-zamān) und weitere drehen (mehr Informationen zu diesen Konzepten und Narrativen bei El-Badawy, Comerford und Welby 2017).

1.4 Die Debatte um die Freitagspredigten

Dieses Buch ist nicht die erste Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen der salafistischen Ideologie und dem islamistischen Extremismus herstellt. Viele Arbeiten beschäftigten sich in den letzten Jahren mit diesem Thema (siehe z. B. Kraetzer 2014). Dieses Buch leistet einen Beitrag zu dieser Diskussion und behandelt dabei einen neuen Aspekt, indem ich mich auf die Analyse von Freitagspredigten konzentriere, um zu verstehen, inwiefern die ideologischen Salafisten ihr Metanarrativ über die Kanzel in die lokalen muslimischen Gemeinden transportieren und so versuchen, ihre Ideologie zu verankern. Die Gefahr der salafistischen Ideologie liegt darin, dass sie die Doktrinen des Islam in vereinfachender Weise umformuliert. Sie ist nicht an die Elite gerichtet, die in der Lage ist, ihre Argumente zu durchschauen und zu widerlegen, sondern an diejenigen einfachen Leute, die eines tieferen Verständnisses für ihre Religion und der Hilfe durch ‚religiöse Würdenträger‘ bedürfen, die ihnen sagen, was sie tun und lassen sollen. Dieser Versuch, tief in die ideologische salafistische Gemeinschaft vorzudringen, indem ihr direkter Diskurs mit den Muslimen analysiert wird, ist nach meinem Wissensstand der erste auf dieser Ebene. Das ermöglicht uns ein tieferes Verständnis von der Natur der Botschaft der ideologischen Salafisten und ihrer Ziele, da wir uns der Basis annähern, auf der sie ihre Ideologie aufbauen und zu festigen versuchen.

Meiner Kenntnis nach wurden Freitagspredigten in salafistischen Moscheen bis jetzt nicht vertieft und umfassend akademisch behandelt und analysiert, und zwar weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten oder mehrheitlich muslimischen Ländern. Das Buch des deutschen Journalisten Constantin Schreiber (2017), Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird, wäre nicht so kontrovers diskutiert worden, wenn es nicht erhebliche Mängel an akademischem Wissen über Freitagspredigten und deren Inhalt aufwiese. Schreiber ist es allerdings gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf eines der momen-[25]tan politisch und medial sensibelsten Themen zu lenken, nämlich die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft und den Einfluss der islamischen Religion auf diese Problematik. Die Untersuchung von Freitagspredigten in einem akademischen und systematischen Kontext ist daher sehr wichtig. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Untersuchungen von islamischen Freitagspredigten nicht nur im deutschen Sprachraum fehlen: Mit Ausnahme einer Arbeit, die sich mit der Transformation islamischer Autorität in Frankreich durch das Studium und die Analyse der Predigten des Predigers Hasan Iquioussen befasste (Peter 2006), sind bis dato auch im restlichen Europa keine entsprechenden Studien durchgeführt worden.

Auch im Kontext muslimischer Mehrheitsgesellschaften existiert nur ein verschwindend geringer Korpus an Studien zu dieser Thematik. Vor beinahe 30 Jahren analysierte Richard Antoun (1989) die Freitagspredigten in einem jordanischen Dorf und verglich sie mit einer Recherche Bruce Borthwicks (1967), der Freitagspredigten in städtischen Moscheen in Ägypten untersucht hatte. Dabei kam Borthwick zu dem Schluss, dass die von ihm besuchten Prediger die Idee des ägyptischen Nationalismus förderten, aber nicht zur Modernisierung oder zur politischen Reform ermutigten. Weiterhin zog er das Fazit, dass den ägyptischen Predigern Kenntnisse im Bereich säkularer Bildung fehlten. Im Gegensatz zu Borthwick kam Antoun zu dem Befund, dass der Inhalt der Freitagspredigten in dem von ihm untersuchten jordanischen Dorf von schwachem politischem Gehalt sei. Antoun konzentrierte sich jedoch auf das Studium und die Analyse eines einzelnen Predigers, weshalb seine Schlussfolgerungen nicht auf die Moscheen anderer Dörfer oder auf das Studium der muslimischen Minderheitsgemeinschaften im Westen übertragbar sind.

Vor Kurzem gelangte Sari Hanafi (2017) nach der Analyse der Freitagspredigten in den schiitischen und sunnitischen Moscheen im Libanon mittels eines soziologischen Ansatzes zu ähnlichen Ergebnissen wie Borthwick. In seiner Studie untersuchte er 210 Freitagspredigten, die zwischen 2012 und 2015 gehalten wurden. Hanafi erklärte, dass die Freitagspredigten im Libanon stark politisiert seien, wenn auch in unterschiedlichem Maße: So seien die von ihm besuchten schiitischen Predigten stärker politisch aufgeladen gewesen als die sunnitischen (Hanafi 2017: 28). Alle von Hanafi untersuchten Predigten befassten sich mit politischen Themen wie Terrorismus und Widerstand.

Andere Studien zur Thematik konzentrierten sich beispielsweise auf die Analyse der Freitagspredigten, die online auf YouTube zu finden sind (Hirschkind 2012), befassen sich mit dem Einfluss von auf Kassetten [26]aufgenommenen Freitagspredigten auf die öffentliche Sphäre (Hirschkind 2006) oder mit den Verbindungen zwischen religiöser Rhetorik und politischem Dissens in Ägypten (Gaffney 1994).

Im Gegensatz zu dem großen Mangel an akademischer Literatur zu Freitagspredigten sind islamische Bibliotheken voll mit Büchern und Publikationen, die dem Prediger oder Imam Hinweise und Ratschläge aus Perspektive der islamischen Rechtswissenschaft im Hinblick auf die Formulierung, Darstellung und Ziele der Predigt geben (siehe z. B. Abu Zahra 1934), wobei hier nicht zwischen muslimischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaften unterschieden wird. Diese Hinweise für Imame diskutieren etwa ein bestimmtes Thema, das mit einem mit der Predigt verbundenen Problem zu tun hat. Beispielsweise gibt Muhammad as-Samman den Predigern Hinweise zum Umgang mit neuen kulturellen Einflüssen auf Muslime und verweist auf eine Reihe von Ratschlägen und Richtlinien, um mit diesem Thema umzugehen (al-Samman 2008).

Der geringe Umfang akademischer Fachliteratur zu dieser Thematik, sowohl im Zusammenhang muslimischer Mehrheitsgesellschaften als auch muslimischer Minderheiten in westlichen Gesellschaften, macht deutlich, dass die Analyse von Freitagspredigten im Kontext kritischer wissenschaftlicher Methodologie dringend erforderlich ist. Ziel zukünftiger Untersuchungen in dieser Richtung muss es daher sein, einen neuen Beitrag zum Verständnis der Mechanismen der Übertragung der heiligen Texte in religiöses Wissen unter Muslimen durch Freitagspredigten zu leisten.

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9783846354407
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