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Der Hunger des inneren Menschen

Nichts davon kann den inneren Hunger stillen. Wie können Sie als Führungsperson also mit Ihrem Ich umgehen? Folgende drei häufige Irrwege sollten Sie vermeiden:

Der erste und vielleicht üblichste ist, den Schrei des inneren Menschen ganz einfach zu ignorieren und so weiterzumachen wie bisher. Das erlaubt dem Ich, sich ungehemmt und unreflektiert in Arbeit und Führungsposition auszubreiten. Es gibt viele und deutliche Beispiele für diese Art von Führung, sowohl in der Politik als auch in der Kirche. Das unstillbare Bedürfnis des Ichs nach Trost und Bestätigung ist Antrieb und Agenda bei dieser Art von Führung, die sich selten oder nie mit den Bedürfnissen anderer Menschen deckt.

Der zweite Irrweg stellt sich deutlich geistlicher dar. Hier ist der Mensch so erschrocken über die eigenen Neigungen zu Macht, Ehrgeiz und Bestätigung, dass er ganz einfach die Flucht ergreift. Er wagt es nicht, sich oder andere diesen gefährlichen Tendenzen auszusetzen, und sucht sich deshalb eine andere Arbeit als die in der Kirche. Er entscheidet sich für eine Umgebung, in der er hofft, andere weniger zu gefährden.

Ignatius von Loyola greift dieses heimtückische Gedankenmuster am Schluss seiner Geistlichen Übungen auf. Er rät dem, der sich in solchen Gedanken wiederfindet, »den Verstand zu seinem Schöpfer und Herrn zu erheben.« Von diesem beständigen Ausgangspunkt her solle die Person »im diametralen Gegensatz zu dieser Versuchung handeln«.5

Des Weiteren zitiert Ignatius den Mönch Bernhard von Clairvaux aus dem 12. Jahrhundert. Dieser begnadete Prediger, der die Massen wirklich entflammen konnte, hörte während einer seiner Predigten, wie der Teufel ihm zuflüsterte: »Du bist wirklich ein großer Prediger«, um ihn dadurch mit seinem eigenen Ehrgeiz zu erschrecken. Bernhard durchschaute den Trick, unterbrach seine Predigt und sagte zum Teufel: »Ich habe nicht deinetwegen angefangen zu predigen und ich werde auch nicht deinetwegen aufhören.«

Eine dritte falsche Methode, den Anforderungen des hungrigen und unzufriedenen Ichs zu begegnen, ist, ihm den Krieg zu erklären. Durch die Kirchengeschichte hinweg sind zu diesem Thema Unmengen an sogenannter »asketischer Literatur« verfasst worden. Natürlich findet man dort viele gute Ratschläge und Erfahrungen, die helfen können. Gleichzeitig birgt dieser Ansatz jedoch das Risiko, dass sich der Fokus verschiebt: weg von Christus und der eigenen Reaktion auf ihn hin zur Bekämpfung des eigenen Ichs als Feind. Das Ich behindert dann eher in der Nachfolge, als dass man aus seinem tiefsten Wesen heraus Ja zu Christus sagt.

Das, was nicht sein darf, neigt dazu, alles auszufüllen. Das gilt für fast alles, dem wir in unserem Leben den Krieg erklären. Eine Person, die nie ihre Sexualität akzeptiert hat, wird vermutlich umso mehr davon geplagt werden. Wer die Wut nicht als natürlichen Teil des Lebens angenommen hat, der wird (ebenso wie seine Umgebung) von unkontrollierten Wutausbrüchen überrascht werden oder mit der Zeit von Depressionen (als Folge von unterdrückter Wut) betroffen sein. Wer keine Art gefunden hat, den Tod zuzulassen und als Teil des Lebens zu akzeptieren, wird vermutlich größere Probleme mit Todesangst bekommen.

So wird das Ich, das Sie ständig als Feind bekämpfen, massenweise Energie schlucken und Sie von der Liebe zu Gott entfernen. Tausende freudsche Versprecher zeigen, dass man all das keinesfalls »hinter sich gelassen« oder »unter das Kreuz gelegt« hat oder wie man es auch ausdrücken möchte. Dieses Ich wird auf tausendfache Weise seine Existenz durchzusetzen versuchen – bis Sie es in Ihre Arme nehmen und dem Vater übergeben. Erst wenn Sie sich mit dem eigenen Ich versöhnt haben und auf das hören, wonach es ruft, kann es seinen harten Griff lösen, und Sie können sich der Quelle zuwenden. Schon C. G. Jung ahnte diesen Zusammenhang, als er sagte: »Man kann nichts ändern, das man nicht annimmt.«

Die Grundlage guter Führung

Wie kommen Sie als Führungspersönlichkeit zu Gott? Was ist Ihr persönlicher Zugang zu ihm? Drei übliche Zugänge sind das theologische Interesse, die eigene Religiosität und der Wille, etwas für andere zu tun – in unterschiedlichen Ausprägungen. Allerdings berührt keiner dieser Zugänge unser tiefstes Ich, das Herz, das mehr als alles andere unsere Führungsrolle formt. Oftmals helfen uns Krisen, unser Feigenblatt der Verteidigung fallen zu lassen und die innerste Nacktheit offenzulegen, die in die Unendlichkeit des Alls hinausruft:

»Ist da jemand, der mich sieht? Ist da jemand, der meine Geschichte hören will, ohne zu unterbrechen, zu belehren oder Druck zu machen? Ist da jemand, der Interesse an mir als Mensch hat und nicht nur an Einsatz und Ergebnis? Ist da jemand, der mich versteht, ohne dass ich mich die ganze Zeit erklären oder verteidigen muss? Ist da jemand, der mich annimmt?«

Solange dieser Ruf unbeantwortet bleibt, neigen wir dazu, den Halt für unsere Existenz eher in dem zu suchen, was wir tun, als in dem, was wir sind. Wenn wir auf der Beziehungsebene Ablehnung erfahren, bleibt die Leistung. Und wenn die Arbeit auf diese Weise existenziell bedeutsam für die ganze Identität wird, dann setzt sie Kräfte frei, die keine Verhandlungen über das Bedürfnis nach Grenzen, Ruhe und einem tieferen Zuhören zulassen. Das alles schmeckt dann nach Leere; eine Erinnerung an eine Richtung, die man eingeschlagen hat, die sich aber als stumm und abgewandt herausgestellt hat.

Erst wenn wir uns den innersten Nerven unseres Ichs annähern, können wir etwas von der immensen Bedeutung der beiden Begebenheiten ahnen, die den Beginn von Jesu öffentlichem Wirken markieren. Die theologischen Deutungen seiner Taufe und Wüstenzeit übertönen mitunter die psychologische Relevanz dieser beiden Erfahrungen. Doch untrennbar und gleichzeitig unvermischt bilden sie die Grundlage für jedwede christliche Führung – für Jesus und für uns. Markus berichtet:

Eines Tages kam Jesus aus Nazareth in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Als er aus dem Wasser stieg, sah er, wie der Himmel sich öffnete und der Heilige Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und aus dem Himmel sprach eine Stimme: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich große Freude.« Gleich darauf drängte der Heilige Geist Jesus, in die Wüste zu gehen. Vierzig Tage lang wurde er dort vom Satan versucht. Er lebte mitten unter den wilden Tieren, und Engel sorgten für ihn.

Markus 1,9-13

Der Heilige Geist macht zwei Dinge mit Jesus. Zuerst bestätigt er Jesu Identität als geliebter Sohn des Vaters. Dann bedrängt er Jesus, um seine Identität in der Konfrontation mit seinem Gegenspieler auf die Probe zu stellen. Zuerst wird Jesus in seinem Innersten verankert. Dann werden seine Grenzen befestigt. Zuerst alles, wozu Jesus Ja sagt. Dann alles, wozu er Nein sagt. Grenzen sind die Konturen des Ichs. In der Begegnung mit Satan wird deutlich, wer Jesus ist – und wer er nicht ist. Diese beiden Erfahrungen sind unerlässlich für seine folgende Führungsrolle.

Es beginnt damit, dass er der geliebte Sohn des Vaters ist. Alles, was Jesus ist und tut, ist Frucht dieser Beziehung. Jesus ist bereits alles, was er in seiner Beziehung zum Vater werden kann. Aus dieser Quelle schöpft Jesus seine Existenz, in diesem Angesicht spiegelt sich sein Wesen. Das heißt, dass Jesus nicht seine eigenen Bedürfnisse in die Begegnungen mit uns Menschen bringt. Er begegnet uns nicht mit einem Bedürfnis nach Bestätigung, das ständig unsere Reaktionen abliest, und muss deshalb nichts vermeiden, was von uns keine Bestätigung erfahren würde.

Wenn Jesus etwas tut, womit er die Aufmerksamkeit der Massen erregt, dann bereichert es nicht sein Prestige oder seinen Wert. Wenn er etwas tut, das unseren Widerstand weckt, so beraubt es ihn keines Teils seiner Identität oder seines Werts. Daher ist er frei, sich voll und ganz unseren Bedürfnissen zu widmen und entsprechend zu handeln.

Das lässt uns etwas ahnen von dem Geheimnis hinter seiner Integrität und seiner prophetischen Führung. Die Versuchung, mit den einzigartigen Gaben Karriere zu machen, sich strategisch massentauglichen Ansichten anzupassen, Konflikte, Leid und Tod zu vermeiden – nichts davon findet Halt in einem Menschen, der weiß, wer er ist und vor wem er verantwortlich ist.

Wie sieht es mit uns aus? Paulus sagt, wir sind »auf Christus getauft« und »gehören nun zu Christus«. Unsere Identifikation mit Christus ist so tief, dass der Vater uns »den Geist seines Sohnes« ins Herz gegeben hat, dass wir zu Gott nun »Abba, lieber Vater« sagen können (vgl. Galater 3,27–4,7).

Es ist das gleiche Gebet, das Jesus in Gethsemane betet. In der bittersten Einsamkeit und Verletzlichkeit, als die Freunde ihn im Stich lassen und der Vater schweigt, da ruft Jesus in seinem intimsten und vertrauensvollsten Gebet: »Papa!«

So tief begibt sich der Geist in unsere innerste Dunkelheit, um uns an den Vater zu heften.

Worte versus Erfahrungen

Was eine christliche Gemeinschaft am dringendsten braucht, sind Menschen, die wissen, dass sie von Gott geliebt sind. Nur: Wie kommt man zu diesem Wissen?

In der westlichen Welt leben wir in einem Spannungsfeld zwischen zwei Magneten. Der eine ist eine starke kognitive Tradition. Hier kommt besonders der akademische Einfluss zum Tragen, der über Jahrhunderte die Vorstellung genährt hat, dass wir uns Wissen und Verhalten antrainieren, indem uns Gedanken aus Büchern, Vorlesungen und durch andere verbale Botschaften vermittelt werden. Wir glauben, eine Botschaft müsse nur oft genug wiederholt werden, damit wir sie uns zu Herzen nehmen und in unser Alltagsleben integrieren.

Stimmt das? Wenn dem so wäre, müsste ein Großteil der westlichen Christen mittlerweile der tiefen Überzeugung sein, dass sie von Gott geliebt sind, und aus dieser Überzeugung heraus leben. Das dürfte jedenfalls in diesem Teil der Welt die am häufigsten verkündete Botschaft in den Predigten und Liedern der letzten fünfzig Jahre sein. »Gott liebt uns, in seinen Augen ist jeder Mensch wertvoll.« Das Problem mit dieser Botschaft ist nicht, dass sie nicht wahr ist. Das Problem ist vielmehr, dass wir sie nicht in dieser Form annehmen können.

Wenn ein Kind im Kindergarten unruhig ist, andere Kinder angreift und nicht auf die Erzieher hört, liegt das nicht daran, dass dieses Kind ausgerechnet an dem Tag nicht da war, als besprochen wurde, wie man Konflikte im Kindergarten löst, und deshalb nicht weiß, wie es sich verhalten soll. Es liegt eher daran, dass im Leben dieses Kindes Dinge vorgefallen sind, die eine innere Unsicherheit geschaffen haben, die nun dafür sorgt, dass es ständig sein Umfeld testet und herausfordert: »Erträgst du mich? Ist hier jemand, der mich versteht?« Dem Verhalten liegt eine Erfahrung zugrunde, durch die alle Beziehungen gefiltert und interpretiert werden.

Erfahrungen werden nur sehr geringfügig von Gedanken und Worten beeinflusst. Das Naivste und Wirkungsloseste, was ein Prediger sagen kann, ist ein Satz wie: »Es ist so einfach mit Gottes Liebe. Sie ist ein Geschenk an uns und jeder von uns kann sie annehmen.«

Viel einfacher wäre es, wenn der Prediger stattdessen sagen würde: »So, nun ziehen wir Schuhe und Strümpfe aus und gehen barfuß durch den Schnee zehn Runden um die Kirche.« Jeder wüsste direkt, was zu tun ist. Aber wie nimmt man Liebe an, die man vielleicht noch nie erfahren hat? Besonders dann, wenn man während der gesamten Kindheit auf die harte Tour lernen musste, dass es einen eigentlich gar nicht hätte geben sollen, man immer im Weg ist, ein seltsamer Außenseiter, den niemand versteht. Das Wort stößt auf jahrzehntelange Erfahrung, die unendlich viel schwerer wiegt.

Der andere Magnet in unserer Gesellschaft ist die Jagd nach dem gefühlsmäßigen Kick. Konsum, Medien, Vergnügen, Werbung, Zusammenleben, Restaurants und immer mehr auch die Politik werden von emotionalen Reiz-Reaktionen getrieben. In dieser Strömung wird die Botschaft von Gottes Liebe eher zu einer Einladung oder eher noch einer Bedingung: Öffne dein Inneres und fühle mit deinem ganzen Wesen, wie Gott dich liebt. Lobpreis und andere Musik sind zusammen mit visuellen Effekten und Stimmlagen genau darauf ausgerichtet, dass wir spüren können, wie sehr wir heute Abend geliebt werden.

Dies hat zwei mögliche Folgen:

1. Sie kommen für einen Moment in eine Wohlfühl-Stimmung, die am nächsten Morgen im Büro wie weggeblasen ist.

2. Das Gefühl will sich einfach nicht einstellen. Stattdessen werden Sie (in unterschiedlichem Ausmaß) von Frust gegenüber Gott, der Situation und sich selbst erfüllt.

Wie gesagt: Eine tief gehende Erfahrung kann nicht nur von Worten und Gedanken hervorgerufen werde. Auch nicht von einem zeitweiligen Gefühl. Das Einzige, das eine nachhaltige Wirkung haben kann, ist eine Erfahrung. Dabei ist es wichtig, den Unterschied zwischen Erlebnis und Erfahrung zu kennen. Ein Erlebnis ist kurzfristig, wird meist positiv gesehen und berührt nur die Gefühlswelt. Eine Erfahrung berührt den ganzen Menschen und erstreckt sich über die ganze Bandbreite zwischen Schmerz und Freude und hat eine langfristige Wirkung.

In seinen Geistlichen Übungen führt Ignatius von Loyola uns in Meditationen über Gottes Liebe ein und agiert dabei ganz anders, als wir von anderen Meditationen über Bibelstellen gewohnt sind. Würde Glaube kognitiv funktionieren, wäre es denkbar einfach; man liest ein paar Bibelstellen, in denen steht, dass Gott uns liebt, und dann setzt sich diese Erkenntnis fest. Ignatius beginnt hingegen mit einer Reflexion, die bei näherer Betrachtung jeder selbstverständlich aus seiner eigenen Erfahrung kennt: »Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden.«6

Von diesem Ausgangspunkt her sind wir aufgefordert, darüber nachzudenken, wie Gott ganz praktisch seine Liebe gezeigt hat. In den Wundern der Schöpfung, in der Geschichte, in Jesus Christus, im eigenen Leben. Ignatius von Loyola folgt hier der gleichen Pädagogik, die auch Paulus in seiner kurzen und improvisierten Predigt in der griechischen Stadt Lystra verfolgte. Dort hatte niemand einen anderen Anhaltspunkt für Gottes Liebe als seine eigenen alltäglichen Erfahrungen: »Doch nie hat es eine Zeit gegeben, in der keine Zeugen für ihn lebten. Immer gab es etwas, das an ihn erinnern sollte; so schenkte er euch Regen und gute Ernten, Nahrung und fröhliche Herzen« (Apostelgeschichte 14,17). Also: Lasst uns den Spuren von Gottes Güte zurück zur Quelle folgen.

Ein irischer Jesuit, Brendan Comerforth, erzählte einmal, wie er einen Mann durch diese Art von Meditation geführt hat. Dieser Mann war unter schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, bekam aber dennoch die gleiche Aufgabe wie alle anderen: Geh in deiner Geschichte zurück und versuche, Hinweise darauf zu finden, dass Gott sich zu erkennen gegeben und gezeigt hat, dass er dich liebt.

Am Tag darauf kam der Mann zurück und erklärte ziemlich mürrisch, dass er nie auch nur die kleinste Spur von Gottes Liebe während seiner Jugend entdeckt hatte. Ein unsicherer Mentor hätte vielleicht die Spur gewechselt und dem Mann in dieser Situation eine andere Übung aufgegeben. Aber Brendan wusste, was er tat, und gab dem Mann am nächsten Tag die gleiche Aufgabe.

Da kam der Mann mit Tränen in den Augen zurück und erklärte, er habe es ehrlich versucht, aber in seiner Vergangenheit nichts anderes als Dunkelheit und Beklommenheit sehen können. Nur äußerst widerwillig ließ er sich auf Brendans geduldige Aufforderung ein, die Übung nicht aufzugeben und sie noch einmal zu wiederholen.

Als er am nächsten Tag zurückkehrte, hatte der Mann wieder Tränen in den Augen, diesmal jedoch aus einem anderen Grund. Er erzählte, dass er etwas gesehen habe, was er nie zuvor gesehen hatte. Über die Details schweigt sich die Geschichte aus, aber der Mann hatte gesehen, wie Gott ein ums andere Mal sein Leben berührt hatte, wenn es ihm am dunkelsten erschien. Das hatte er nie zuvor bemerkt.

Und er hätte es auch nie sehen können, wäre er nicht mit offenen Augen zielgerichtet in seine schwärzesten Dunkelheiten gegangen. Nur in der Wahrheit können wir Gott begegnen. Wie bei den Einwohnern von Lystra wartete Gottes Liebe in den persönlichen Erfahrungen des Mannes.

Ein Ja zum Genug finden

Es ist ein großes Wunder, wenn sich das Gottesbild eines Menschen verändert. Ein noch größeres Wunder ist es, wenn sich das Selbstbild eines Menschen verändert. Das Selbstbild ist das Persönlichste, was ein Mensch hat. Es gleicht einem Filter, durch den alles gesiebt und interpretiert wird. Erst durch eigene solide Gottesbegegnungen sickert eine stärkere Kraft in dieses Selbstbild ein und verändert es von Grund auf. Und so gewinnt in der Konfrontation mit all den bekannten und als selbstverständlich vorausgesetzten Mantras darüber, wie einsam, unverstanden und ungeliebt man ist, langsam eine größere Kraft an Boden.

Diese Art, hinter und in das Selbstbild hineinzuschauen, hat eine zutiefst heilende Wirkung. Jesus sah Zachäus, als alle anderen nur einen Ausbeuter und römischen Kollaborateur sahen. Kein Wort darüber, wie er so reich geworden war, kein Wort darüber, wie er sein Leben verändern sollte. Einzig, dass Jesus freiwillig zu ihm nach Hause kam und mit ihm aß, löste eine Lawine in seiner mühsam aufgebauten Egozentrik aus. So öffnete er sein Herz und sein Portemonnaie für Gott und andere Menschen (Lukas 19,1-10).

Der Großkonzern Tetra Pak produziert Verpackungen auf der ganzen Welt und wirbt mit einem einfachen Slogan: Schützt, was gut ist. Und so ist es. Erst, wenn etwas wertvoll ist, schützen wir es. Ein Mensch mit geringem Selbstwert hat eine geringere Hemmschwelle, sich für das zu entscheiden, wovon er weiß, dass es schlecht ist. »Schließlich bin ich ja sowieso so schlecht, dann spielt das keine Rolle.« Vielmehr bestätigen seine Entscheidungen sein niedriges Selbstbild noch.

Wenn die eigene innere Wertschätzung niedrig ist, ist es auch schwierig, der Arbeit Grenzen zu setzen. Jeder Extraauftrag wird unwiderstehlich, denn dadurch bekommt der Selbstwert die Chance, ein bisschen zu wachsen. In einem solchen Fall kämpfen Ehefrau, Mann, Kind und andere vergeblich darum, das Tempo eines Menschen zu bremsen. Eigentlich ist es nicht der Job, den man vor dem Hinterfragen der anderen verteidigt, sondern die eigene Existenz. Und diese ist nun einmal nicht verhandelbar. Einmal mehr prallen alle Worte darüber, wie wichtig man als Person ist, an der viel schwerwiegenderen Erfahrung ab, dass man überhaupt nicht wichtig ist.

Nötig ist eine Erfahrung aus einem anderen Lebensbereich als der Arbeit, um den krampfartigen Griff um diese lösen zu können. Die Jagd nach mehr Kompetenz und mehr geistlichen Gaben hört erst auf, wenn Sie sich ernsthaft dafür entscheiden, die erste und entscheidende Gabe aus Gottes Hand entgegenzunehmen: sich selbst. Das kann mit einem ganz hypothetischen Gedanken, noch weit weg von einer wirklichen Überzeugung, beginnen:

»Angenommen, ich bin kein misslungenes halb fertiges Wesen, das erst durch eine lange Ausbildung und ein erfolgreiches Berufsleben einen Wert erhält. Angenommen, Gott hat mich genau als die Person geschaffen, die er sich gedacht hat. Angenommen, ich bin ein Abbild Gottes, das Gott widerspiegelt, indem ich bin, nicht indem ich etwas tue.« Dann können Sie sich direkt an Gott wenden und sagen:

»Vater, ich nehme mich selbst als Gabe aus deiner Hand an. Ab jetzt werde ich nicht mehr schlecht über das reden, was du geschaffen hast. Ab jetzt werde ich dein Abbild mit größerem Respekt behandeln und meine Grenzen schützen.«

Wenn Sie das einige Wochen oder einige Monate lang durchziehen, können Sie eines Tages vielleicht nackt vor dem Spiegel stehen und ehrlich zu Gott und sich selbst sagen: »Völlig okay. Völlig okay.« Dann ist etwas sehr Wichtiges passiert. Dann müssen nicht länger Ausbildung, Geistlichkeit, Amtskleidung oder Erfolge wie ein Feigenblatt Ihr dürftiges Selbstbild bedecken. Dann muss die glitzernde Weihnachtsdekoration keinen grauen und struppigen Baum mehr verdecken. Dann kann man von innen heraus wachsen, wie Früchte aus einem Weinstock.

Wie weit können wir auf diesem Weg kommen? Manche Menschen haben schließlich so tiefe Wunden, dass sie das ganze Leben damit kämpfen, den Kopf über Wasser zu halten und nicht in Selbstverachtung zu versinken. Man kann einen Schimmer von Gottes Güte und Barmherzigkeit ahnen, nur um am nächsten Tag wieder von Dunkelheit und Zweifel überwältigt zu werden. Ist es für solche Menschen zu spät? Ist ihnen der Weg zu christlicher Führung versperrt?

Es gibt ein segensreiches unscheinbares Wort, das heutzutage äußerst selten gebraucht wird: genug. Die ganze Marktwirtschaft fußt darauf, dass dieses Wort nie genannt wird. Der wirkliche oder eingebildete Mangel fördert das Wachstum, das unnachgiebig und immer stärker den weltlichen Ressourcen und uns selbst die Luft abschnürt. Eine ähnliche Fixierung auf eigene Unzulänglichkeiten kann uns auch auf tieferer Ebene lähmen. Wir kommen nie vorwärts. Wir sind nie zufrieden. Wir haben nie genug.

Genug geheilt sein – diese Erfahrung bleibt dem verwehrt, der vor seinem Leben davonläuft. Aber sie ist allen zugänglich, die sich ernsthaft ihrem eigenen Leben zuwenden, um dort Christus zu treffen. Selbst wenn dieses Leben zerrissen ist von schwierigen Erfahrungen, die einen womöglich niemals völlig loslassen werden.

»Wir leben«, pflegte Frère Roger aus Taizé zu sagen, »in der Dynamik des Vorläufigen.« Wenn wir den Traum vom perfekten inneren Leben losgelassen und begonnen haben, Gottes Gnade in dem Leben anzunehmen, das wir tatsächlich leben, wird sich vermutlich zeigen, dass Gottes Gnade so viel mehr bewirkt, als wir selbst ahnen. Sowohl in uns selbst als auch durch uns selbst. So schreibt Paulus, nachdem er davon berichtet hat, wie er mit dem Dunkel in seinem Leben gebrochen hat:

Das alles ist zu eurem Besten. Und wenn Gottes Gnade immer mehr Menschen zu Christus führt, wird auch der Chor derer, die ihm danken, immer lauter, und Gott wird immer mehr Ehre erwiesen.

2. Korinther 4,15

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