Читать книгу: «Monas braune Augen», страница 2
Aber Mike hatte ein schlechtes Gewissen. Es war nun ja passiert. Er wusste, wenn es jetzt weiter geht, hatte das unabsehbare Folgen. „Mona? Ich will ehrlich zu dir sein, nicht wie vorhin im Auto am Telefon, das war echt besch…eiden. Ich bin seit zwei Jahren verlobt und seit vier Jahren mit einer anderen Frau zusammen.“
„Diese Geli?“
„Ja genau. Und das ist noch nicht alles! Wir wollen in drei Wochen heiraten!“
Mona schaute Mike fassungslos an. Vor ein paar Sekunden noch war sie sich fast sicher, diesen Mann lieben zu können. Innerhalb von Sekunden brach alles zusammen. Sie sprang auf, aber Mike ließ sich nicht beirren. Diese Frau bezauberte ihn dermaßen, dass er eine Entscheidung traf, an die er noch vor wenigen Stunden nie gedacht, geschweige denn sie ausgesprochen hätte.
Mona stand vor ihm, er sah ihren Zorn. Auch er erhob sich, fasste sie sanft an beiden Händen und blickte sie dabei dermaßen liebevoll an, dass ihr Zorn verflog. Was kommt denn jetzt, schau ihn dir an, sieh in seine Augen? Sie lügen nicht, er meint es tatsächlich ernst! Mona, warte ab. Mal sehen, was noch kommt.
„Ich bin mir jetzt sicher, dass ich Angelika nicht mehr heiraten kann und das auch nicht mehr will. Ich kann keine Frau heiraten, und ständig nur an dich denken, oder? Ich wollte dir das vorhin schon sagen, bin mir jetzt hundertprozentig sicher. Ich habe mich in dich verliebt!“ Das war für Mona „Achterbahn pur“. Sie brachte keinen Ton mehr heraus, schüttelte ihren Kopf. Lange Sekunden passierte nichts. Nie gekannte Gefühle überkamen sie und sie ließ sich mitreißen. Ihre Zweifel und ihr Zorn verflogen.
Sie umarmte Mike und flüsterte ihm ins Ohr. „Ich liebe dich auch. Bitte schlaf mit mir, jetzt! Ich will dich!“
„Und unser Essen?“
„Keinen Hunger.“ Mike musste schlucken. Er zögerte einige Sekunden, es gab kein Zurück mehr. „Ich will dich auch!“ Mona lachte Mike an. Er nahm ihre Hand und zog sie sanft in das Schlafzimmer. Im Kamin wurden die Flammen kleiner und kleiner.
Mühsamer Beginn
Am nächsten Morgen, es war ein trüber typischer Berliner Februartag, kalt und ungemütlich. Mike war bereits aufgestanden und hatte beim Bäcker frische Schrippen und Croissants geholt. Dann ging er ins Schlafzimmer. „Guten Morgen Mona, aufstehn, Frühstück ist fertig.“ Mike drückte Mona einen Kuss auf die Stirn und sie schnurrte wie eine Katze.
Der Frühstückstisch war bereits angerichtet, zwei Kerzen brannten, als Mona sich an den Tisch setzte. „Der ist aber schön gedeckt.“
„Das war die schönste Nacht meines Lebens, … bisher!“, betonte Mike. Mona lächelte und biss dabei genüsslich in einen Croissant mit Erdbeermarmelade. „Am kommenden Wochenende fahre ich nach Lorch und löse die Verlobung. Die Hochzeit sage ich auch ab! Es geht nicht anders.“ Mike schaute dabei Mona an, ihr Mienenspiel veränderte sich, während er sprach.
Ihr gingen so einige Gedanken durch den Kopf. Zweifel kamen in ihr hoch. Soll ich mich wirklich darauf einlassen? Es war schön, sehr schön sogar. Wenn er zu seiner Verlobten zurückfährt, werden alle auf ihn einreden und er wird schwach werden, das weiß ich. Das ist mal wieder die „A-Karte“ für mich. Da drüben steht das Bild von ihr, eine hübsche junge Frau mit langen rotblonden Haaren. Mona, spinnst du? Er hat dich fallen gelassen, eh du dich versiehst. Lass es einfach bleiben, lieber ein Ende jetzt, als später. Liebe hin, Liebe her. Später tut es dann wieder richtig weh. Nein, ich will das alles nicht noch einmal. Ich setz dem jetzt ein Ende.
„Äh, was ist, soll ich nicht?“
„Das musst du für dich entscheiden. Stimmt, es war eine schöne Nacht, gebe ich zu. Aber …“
„Was heißt hier aber?“, Mike wurde etwas lauter. „War das für dich nur ein One-Night-Stand?“ Mona stand auf und begann vor dem Tisch auf und ab zu gehen.
„Sieh mal, es war eine, ich betone, eine Nacht. Woher soll ich wissen wie das weitergeht, du bist weiß und ich bin schwarz, eigentlich steh ich nur auf Schwarze, deine Spezies hat mich bis jetzt nur enttäuscht. Ich habe keine Lust auf noch mehr negative Erfahrungen. … Da steht das Bild von deiner Verlobten. Das ist sie doch, oder? Schau sie dir an, die willst du aufgeben und gegen eine wie mich eintauschen? Wir kennen uns jetzt ein paar Stunden und du willst ernsthaft deine Hochzeit absagen? Nach einer Nacht? Denk an den Ärger, auch mit deiner Familie. Überlege dir genau, ob sich das lohnt.“ Sie machte eine kurze Pause. Mike schaute sie entgeistert an.
„Außerdem werden wir es auch in Zukunft nicht leicht haben. Wir werden angefeindet werden von Menschen, denen du das vorher nie zugetraut hast. Sie werden sich von dir abwenden. Ich weiß das von meinen Eltern. Meine Mutter ist auch Afrikanerin und mein Vater ein weißer Deutscher. Bei vielen Veranstaltungen ist sie bis heute nicht dabei. Ich muss als Frau sowieso besser sein als ein Mann und als Schwarze kommen noch mal einige Prozentpunkte dazu. Tu dir das nicht an. Vergiss die letzten vierundzwanzig Stunden. Es ist besser für uns beide.“ Mit ernster Miene blieb sie vor Mike stehen. „Es war schön, auch für mich, aber sieh es doch ein“, sie setzte sich wieder hin. Ansehen konnte sie Mike nicht.
Mike hatte ihre letzten Worte nur noch teilweise wahrgenommen, seine Gedanken kreisten um sich selbst. War es für sie nur ein Spiel. Ich habe mich doch nicht so getäuscht. So steigerte er sich immer mehr hinein. Sein Ton war brüsk, als es aus ihm herausbrach. „So, es war schön für dich. Was war es denn? Sex? Hat es wenigstens Spaß gemacht?“
Mona stand auf, ihr Blick verfinsterte sich. Ihre Stimme war leise und messerscharf. „Du bist genauso, wie ich mir das vorgestellt habe. Nein, falsch, viel schlimmer. Dein ganzes Gesülze. Alles nur Show, was? Deswegen lass es sein. Ich gehe!“ Sie machte eine schnelle Drehung, stand auf und ging zur Garderobe.
Mike sprang auf, rannte abkürzend durch die Küche und stellte sich vor die Eingangstür. Seine Wut war wie weggeblasen, jetzt hatte er nur noch Angst vor dem Verlust. Verzweiflung lag in seiner Stimme.
„Aber eins musst du dir noch anhören. Vorher kommst du hier nicht raus. Für mich war es nicht nur Sex, für mich war es Liebe. Sollte ich mich bei dir so getäuscht haben?“ In Monas Gesicht zuckte es. „Du willst es ganz genau wissen, was? Es war Sex, nichts weiter. Nur Sex!“ Sie begleitete dabei mit eindeutigen Bewegungen ihre Worte und lachte noch dabei.
Das machte Mike wütend. „Du solltest dich mal im Spiegel sehen.“ Er zeigte dabei auf den großen Wandspiegel im Flur und redete sofort weiter. „Hörst du dich da reden? Glaubst du, was du sagst? Das ist so ein dummes Zeug, auf schwäbisch ein ‚saudommes Lettagschwätz‘! Es ist mir völlig egal ob du lila, rot, gelb oder schwarz bist! Ich liebe dich, das merke ich jetzt besonders, wo du mir das Gegenteil einzureden versuchst. Dein Gerede von purem Sex kannst du dir sparen, du belügst dich nur selbst. Und wenn du mit anderen Zeitgenossen negative Erfahrungen gesammelt hast, weil … weil sie dich nur ins Bett kriegen wollten, so tut es mir echt leid.“
Monas Nasenflügel fingen an zu beben: „Ganz genau so ist es. So seid ihr weißen Typen nämlich. Kannst ja jetzt auch damit angeben, ich hab ’ne schwarze gef…“
Mike unterbrach Mona, das Blut schoss ihm in den Kopf. Zorn, Frust und Angst wechselten ab. „Das traust du mir zu? Habe ich einen solchen Eindruck bei dir hinterlassen?“ Mona wich zurück. Sie merkte, dass sie überzogen hatte, wollte jetzt endgültig einen Schlusspunkt setzen.
„Sonst kapierst du es ja nicht!“ Mike gab sich noch nicht geschlagen, ihn trieb die schiere Ausweglosigkeit. „Ich kapiere sehr wohl. Niemals werde ich über dich so reden, dafür war es viel zu schön. Vor was hast du Angst, vor einer Beziehung mit einem Weißen? Wir leben doch nicht mehr im 20. Jahrhundert.
Noch mal: ich will dich, nur dich, versteh das doch! Ich will und werde nicht zurück zu Angelika gehen, egal wie das Ganze jetzt endet. Warum bist du so hässlich zu mir, was habe ich dir getan?“
Er zitterte am ganzen Körper. Mona stand vor ihm. Lange blickte sie ihn wortlos an. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich wieder und völlig ruhig fragte sie Mike. „Meinst du das ernst mit der Absage? Du sagst wegen mir deine Hochzeit ab?“ Sie betonte dabei deutlich das „mir“. Mike nickte, die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Tränen. „Ich habe Angst, dass du jetzt hier raus gehst und ich dich nicht mehr wiedersehe.“ Sie kam ihm sehr nahe. „So schlimm?“ Wieder nickte Mike nur, er war außerstande, irgendetwas zu sagen.
Mona umarmte Mike und drückte ihn fest an sich. „Bitte verzeih mir, ich habe dich schlecht behandelt, sehr schlecht sogar. Ich habe dir wehgetan, das tut mir aufrichtig leid. … Auch bei mir ist es Liebe. Mir ging es wie dir, es war da, von Anfang an. Aber ich habe einfach Angst vor einer ernsthaften Beziehung und ich spüre deutlich, dass mit dir so was passieren wird. Ich habe auch noch nie so empfunden wie gestern Nacht, ich wollte mir das nur nicht eingestehen. Kannst du mir verzeihen?“ Mike nickte und flüsterte ihr zu: „Das kann ich. … Ich liebe dich.“
„Schsch, sei still.“
Sie küsste ihn, nahm seine Hände und zog ihn in das Schlafzimmer. „Komm, ich habe was gutzumachen.“ Mona drückte Mike sanft in das Bett, setzte sich auf ihn und begann sein Hemd aufzuknöpfen. „Bitte hör auf damit, ich kann nicht.“ Sie war betroffen von seiner Reaktion. „Was ist mit dir? Ich wollte dich nicht verletzen. Was soll ich tun? Bitte!“
Mike drehte den Kopf zu ihr hin und atmete tief durch. „Ich will einfach nur wissen, soll ich absagen oder nicht?“ Mona kniff die Augen zusammen, die Tonlage veränderte sich. „Wie soll ich das denn verstehen? Sag ich nein, hältst du sie dir warm, oder wie?“
Mike wehrte mit den Händen ab. „Nein, nein. Es geht einfach darum, ob ich jetzt am Wochenende nach Süddeutschland fahre und Nägel mit Köpfen mache. Ich will keinen schwebenden Zustand mit Angelika. Das halte ich nicht aus.“ Sie verstand ihn immer noch nicht. „Dann fahr und mach Schluss, ich hab nichts dagegen!“ Mike druckste herum. „So mein ich das nicht.“
Sie wurde sehr eindringlich, ihr Gesicht war Mike ganz nah. „Wie meinst du es dann? Hör auf, hier herum zu eiern. Was willst du dann, ich kann dir nicht folgen.“ Mike zögerte immer noch. „Was willst du? Rede!“
„Begleite mich!“ Ihre Augen wurden groß. „Dich begleiten? Hältst du das für eine gute Idee? Deine Verlobte wird sich freuen, wenn du den Grund für die Entlobung gleich mitbringst. Mike, denk bitte nach. Du gießt Öl ins Feuer. … Und fliegt uns beiden dann um die Ohren.“
„Ich weiß das auch. Aber vielleicht bist du die einzige Fürsprecherin, die einzige, an die ich mich hinterher wenden kann. Zu Angelika musst du auf keinen Fall mit, aber bei meinen Eltern will ich klare Verhältnisse. Sie müssen wissen warum und weswegen. Sie haben mich zu Toleranz erzogen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dich ablehnen.“
Mona dachte nach und legte sich neben Mike. „Hast du deine Verlobte in den Jahren, als ihr zusammen wart, mal betrogen?“ Mike richtete sich auf. Verständnislos blickte er sie an. „Was soll diese Frage? Nein, niemals!“
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Dann nach einer kurzen Unterbrechung sagte er langsam. „Ich will ehrlich zu dir sein. Doch, ein einziges Mal habe ich sie betrogen. Mein Gewissen hat mich auch geplagt.“ Mona richtete sich auf. „Du warst ihr untreu? Ich will keinen Freund, der nicht treu ist.“ Während sie das sagte, ließ er sich zurückfallen und schaute dabei verträumt an die Decke.
„Sie war meine große Liebe. Nie zuvor hatte ich so gefühlt.“
„Sag mal, spinnst du? Und was bin ich jetzt?“
„Moment, du wolltest doch, dass ich ehrlich zu dir bin, oder? … Sie hatte wunderbare Augen, wie zwei Polarsterne.“ Mike blickte immer noch an die Decke und Monas Stirn zog sich langsam aber sicher in Falten.
Sie war kurz vor dem Aufspringen, so redete Mike schnell weiter. „Na ja, und sie war natürlich auch was ganz besonderes. Schon ein kleines bisschen eigensinnig und sie war“, Mike blickte ihr jetzt direkt in die Augen, „schwarz!“ Mona bekam große Augen und sprang wie eine Wildkatze auf Mike. „Ah, du Schuft, verkohlst mich hier die ganze Zeit. Na warte, mein Lieber.“ Der wehrte sich. „Wieso denn, ich habe nichts als die Wahrheit gesagt. Nichts war gelogen.“
Ihre Stimme wurde weich. „Kannst du das noch mal wiederholen?“
„Ich glaube nicht.“ Mona reagierte enttäuscht: „Und warum nicht?“
„Weil du das Gesülze nicht magst. Ich will’s mir mit dir doch nicht verderben.“ Mike grinste. Mona rollte aus dem Bett und ging ohne ein weiteres Wort ins Berliner Zimmer, nahm sich eine Decke und setzte sich in einen der Herrensessel. Mike blieb verdattert zurück, besann sich kurz und lief zu Mona.
Die hatte Tränen in den Augen. „Bist du jetzt zufrieden?“ Mike ging neben dem Sessel auf die Knie. „Tut mir leid. Ich hab das vorhin ernst gemeint. Du bist meine große Liebe. Deine Augen leuchten wie zwei Polarsterne, aber nur wenn sie glücklich sind. Mona, bitte sieh mich an.“ Mona drehte sich langsam zu ihm, umfasste ihn und rutschte aus dem Sessel. Keine Worte fielen mehr. Sie küssten sich.
Nach einiger Zeit sagte Mona leise zu Mike. „Ich fahre mit nach Süddeutschland. Außerdem habe ich keine Angst weder vor deiner Familie noch vor deiner Verlobten.“ Mike lächelte: „Ich bin froh, wenn du dabei bist. Übernachtet wird aber im Hotel!“
So geschah es. Mona wusste jetzt endgültig, das er es ernst mit der Auflösung der Hochzeit meinte.
Ein folgenreicher Anruf
Am Abend 19 Uhr. Mike hatte sich endlich durchgerungen, in Lorch anzurufen. Mona hatte bereits am Vormittag die Wohnung verlassen und war direkt in die Schauspielschule gefahren. Mike fühlte sich äußerst unwohl in seiner Haut, als er den Hörer abnahm und Angelikas Nummer wählte.
Vor allem: Es war das Festnetz und nicht die mobile Rufnummer wie sonst immer. „Hallo Marianne, Mike hier, ist Geli zu sprechen?“
„Ja, die ischt da, wieso rufscht du denn auf dem Feschtnetz an? Geeliii, kommscht du mal bitte ans Telefon, Mike ist dran!“ Angelika kam im Laufschritt an.
„Wieso denn am Telefon, hat der Hutsimpel meine Handynummer vergessa!“ Angelikas Mutter zuckte mit den Schultern. „Kei Ahnung.“ Sie reichte ihrer Tochter das Telefon. „So Mike, ich bin da. Was gibt’s, weischt du meine Handynummer nicht mehr, es sind grad einmal zwei Tag her.“ Mikes Stimme zitterte. „Geli, hör mir zu, ich komme am Samstag nach Lorch.“
„Wieso schwätzt du jetzt hochdeutsch mit mir?“
„Ich werde so gegen fünfzehn Uhr bei dir sein, bist du dann da?“
„Du hörscht dich so andersch an, sag a mal, hat’s mit der Hochzeit zum tun?“
„Ja, aber bitte nicht mehr am Telefon, ich will das persönlich mit dir besprechen, also dann bis Samstag!“
„Wart, halt …, so ein Grasdackel aber au.“
Mike hatte den Hörer schon aufgelegt und ging auch nicht mehr ans Telefon, obwohl es noch mehrere Male klingelte. Daraufhin schickte er noch eine SMS hinterher, dass er sich telefonisch nicht mehr melden und am Samstag alles persönlich erklären werde.
Der nächste Anruf galt seinen Eltern. „Hallo Mama, du ich wollt euch sagen, dass ich am Samstag nach Lorch komme. Ab fünf könnt ihr mit mir rechnen.“
„Oh, was für eine Überraschung, da freuen wir uns aber! Aber so kurz vor der Hochzeit, gibt es einen Grund?“
„Ja den gibt es, aber alles am Samstag, bis dann!“
Mike hatte mit seinen Anrufen für heftige Verwirrung und Spekulationen gesorgt. Angelika ahnte schlimmes, Christiane, Mikes Mutter, dagegen machte sich keine weiteren Gedanken, sie war glücklich, dass just an diesem Tag auch ihre Tochter Melanie mit Mann Michael auf ihrer Heimreise aus dem Winterurlaub kurz in Lorch Station machen wollten und so völlig überraschend die ganze Familie beisammen wäre.
Als Christiane Uwe, Mikes Vater, von dem Anruf erzählte, bemerkte dieser nur trocken. „Wenn der Mike mal nicht die Hochzeit absagen will.“
„Uwe, das glaube ich nicht, unser Sohn sagt nicht zwei Wochen vorher eine Hochzeit ab, die zwei mögen sich doch!“
„Vielleicht hat er eine andere gefunden, bei dem Wankelmut unseres Sohnes würde mich das nicht verwundern.“
„Du siehst Gespenster, ich kenne ihn, dass würde er uns niemals antun.“
„Er hat auch ohne Not einen guten Job aufgegeben um nach Berlin zu gehen. Dafür könnte ich ihn heute noch …“
Christiane unterbrach Uwe. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Er ist jung und da macht man eben manchmal Dinge, die den Eltern nicht gefallen. Eine Hochzeit ist was anderes. Alles ist organisiert und bestellt, alle Termine stehen. Da kann man nicht mehr absagen. Das ist genauso, wenn jemand vor dem Traualtar nein sagt. Ich habe so was bisher noch nicht gehört. So was gibt es nur in schlechten Filmen und noch schlechteren Büchern. Außerdem können sich so einen Mist nur Männer ausdenken.“
Damit war die Diskussion beendet. Für Christiane war die Bemerkung von Uwe außerhalb ihres Vorstellungsvermögens.
Monas Familie
Am Abend des gleichen Tages kam Mona heim ins Elternhaus. „Haus“ ist eine zu bescheidene Umschreibung für eine neobarocke Villa aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Villa lag in der Villenvorstadt Grunewald, einem noblen Wohngebiet im Westen des Bezirkes Wilmersdorf. Die gesamte Nachbarschaft bestand aus ähnlichen Gebäuden mit großen Grundstücken.
Fast die gesamte Familie Rösler saß beim Abendessen. Ihre Mutter Thelma, ihre Halbschwester Denise und ihr Halbbruder Kevin. Es fehlten ihr Vater Martin, der sich beruflich im Ausland aufhielt, und ihr Stiefbruder Kai.
Kai hasste seine Stiefmutter Thelma wie auch seine Stiefschwester Mona. Es war eine Mischung aus Neid, Arroganz und Fremdenhass. Mit ein Grund war aber das Verhalten seines Vaters Martin, der seine Geschwister, insbesondere Mona, ihm gegenüber immer als vorbildlich hinstellte. Er, der ewige Student, bekam weder die Stellung noch die Anerkennung bei seinem Vater, die er für sich als ältester Sohn beanspruchte.
Mona schloss die Tür auf, legte Mütze und Mantel ab und begrüßte fast überschäumend ihre Familie. Sie setzte sich mit an den Tisch. Es sprudelte förmlich aus ihr heraus. „Hört mal alle zu! … Ich habe mich verliebt und …“
„Wissen wir, in Tom, ist doch nichts Neues!“, unterbrach sie Denise. „Der alte Vollhorst, nichts in der Birne aber dafür viel in der Hose.“ Das war schon eine heftige Beleidigung. Kevin konnte Tom – Monas Freund – überhaupt nicht leiden. Er hielt ihn für ungebildet und oberflächlich. „Kinder, beherrscht euch alle mal ein bisschen und du Kevin weißt genau, dass ich solch abfälliges Gerede hier im Haus nicht hören will. Dass Kai ständig so dumm daher redet, ist schon schlimm genug, ihr müsst euch nicht auch noch diesem Niveau anschließen.“
Das war für Mona die Chance wiederum das Wort zu ergreifen. „Nein es ist nicht Tom, der ist Vergangenheit.“
„Welch weiser Entschluss.“
„Kevin, lass mich endlich mal ausreden, ja. Ich habe auf der Berlinale einen Mann kennengelernt. Der ist so nett, gebildet, einfühlsam, hat gute Manieren und ist ein … Weißer!“
„Oh, ich dachte du stehst nur auf schwarze Jungs oder zumindest Latinos. Der muss ja wirklich was ganz Besonderes sein“, gab Kevin zum Besten. „Ist er auch.“ Mona zögerte und stellte fast beiläufig fest, nicht ohne alle genau zu beobachten: „Stellt euch vor, er heiratet in drei Wochen!“
Alle drei reagierten betroffen. „Wen, dich?“, wollte Denise wissen. „Wie, was, du heiratest?“, auch Kevin dachte in die gleiche Richtung. „Nun redet mal nicht alle durcheinander. Mona, dein neuer Freund heiratet also, nicht dich nehme ich an. Wie kannst du dich in so einen verlieben? Hast du dir das auch überlegt? Denk an deine bisher gemachten Erfahrungen! Ich weiß jetzt nicht ob ich lachen oder weinen soll?“, warf Thelma ein und schüttelte den Kopf. „Ich habe dich für besonnener gehalten.“
Mona genoss das Schauspiel und wartete darauf, bis ihre Mutter ausgeredet hatte. Amüsiert lehnte sie sich zurück. „Ja, und das ist noch nicht alles!“
„Nein?“
„Nein! Ich fahre am Wochenende mit ihm zusammen nach Süddeutschland. Er wird wegen mir, … habt ihr gehört, nur wegen mir seine Hochzeit absagen! Ach, übrigens, er heißt Mike und ist Schwabe.“ Thelma nickte wohlwollend. „Alle Achtung, na dann kann er so verkehrt nicht sein! Das ist ein sehr mutiger und nicht alltäglicher Schritt, der viel Ärger einbringen kann. Hoffentlich fällt er nicht um. Du solltest dich auf einiges gefasst machen, aber damit hast du ja Erfahrung.“
Thelma spielte dabei auf eine sehr negative Erfahrung Monas mit einem früheren ebenfalls weißen Freund an, der sie vor seiner Familie zutiefst gedemütigt hatte. Damals hatte sich Mona geschworen, nie mehr eine Beziehung mit einem Weißen einzugehen. „Mit Mike passiert das nicht. Da bin ich mir sicher.“
„Ich wünsche es dir von ganzem Herzen.“ Thelma stand auf und umarmte ihre Tochter. Der Abend endete schließlich in einer fröhlichen Runde. Mona verteilte die übrigen Kinotickets der Berlinale an ihre Geschwister, Tom brauchte sie jetzt nicht mehr.