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Eine unglaubliche Geschichte
Es war ein kühler Abend. Mike machte im Kamin Feuer. Vor dem Kamin hatte er eine kleine gemütliche Sitzgruppe mit einem Zweisitzer und zwei Herrensesseln um einen runden Glastisch aufgebaut. Hier nahmen sie Platz. Dazu servierte er einen italienischen Rotwein.
„Sehr schön habt ihr es hier. Das ist genau die richtige Atmosphäre für das, was ich euch zu erzählen habe. Es wird ein langer Abend werden, ihr sollt alles erfahren. Denn Mona, eines weiß ich sicher, ich möchte dich nicht verlieren. Es tut mir auch sehr leid, dass ich dich als Verräterin beschimpft habe, kannst du mir verzeihen?“
„Ach Mami, ist schon längst passiert.“
„Du bist das einzige, was ich noch habe. … Mike, du gehörst natürlich mit dazu!“ Mike und Mona nahmen Platz auf dem Zweisitzer. Mike hatte Monas rechte Hand fest umschlossen. „Okay, zuerst die letzten drei Wochen.“
Thelma fing an zu erzählen: „Nachdem ihr fort wart, wollte Martin mich natürlich zur Rede stellen. Ich hatte mich aber eingeschlossen und ihn nicht zu mir gelassen. Das war mein größter Fehler! Martin ging aus dem Haus und hat sich drei Tage nicht sehen lassen.
Dann kam er mit Kai, einem richtigen Anwalt“, ihre Stimme stockte, tief atmete sie durch, „… und seiner Ex, Gabriele, zurück. Sie konfrontierten mich mit vielen Papieren. Kaum hatte ich eines in die Hand genommen, um es zu lesen, hat man mir es wieder abgenommen. Das sei Beweismaterial für die anstehende Gerichtsverhandlung. Martin hat mich angezeigt wegen Veruntreuung und Unterschlagung. Ich hatte keinerlei Möglichkeit, mich zu rechtfertigen, geschweige denn zu verteidigen.“
„Martin hat seine geschiedene Frau gleich mitgebracht, das ist starker Tobak!“, stellte Mike mit grimmigem Unterton fest. „Wohnt die jetzt etwa in der Villa?“ Thelma nickte.
„Was waren das denn nun für Beweise?“, Mona wollte sich Klarheit verschaffen.
„In meinen Augen gefälschte Papiere. Das ging schon los mit der sogenannten Heiratsurkunde. Es ist richtig, sie trug einen Stempel aus Swakopmund und war unterschrieben. Aber wie leicht kann man solche Urkunden fälschen und geprüft auf die Echtheit hat das Papier bis jetzt niemand. Außerdem soll die Urkunde 25 Jahre alt sein, fühlte sich aber ziemlich neu an. Ich soll also mit 17 verheiratet gewesen sein mit einem Thamba Kumukele. Ich kenne diesen Thamba, aber dazu später.
Ich habe tatsächlich Geld, viel Geld. Seit unserer Heirat damals vor 24 Jahren habe ich ab dem vierten Jahr, jetzt also seit 20 Jahren, jeden Monat Geld auf ein Schweizer Konto überwiesen für den Fall der Fälle. Am Anfang 500 DM, zuletzt dann fast 1500 Euro. Durch diese Regelmäßigkeit ist das auch niemandem aufgefallen. Dein Vater hat mir, nachdem er gut verdiente, monatlich 2800 DM Haushaltsgeld gezahlt. Ich durfte davon für mich persönlich so viel nehmen, wie ich wollte. Es musste nur für die Familie und die Gäste reichen. Zuletzt waren es 3500 Euro. Inzwischen sind daraus 350.000 Euro geworden. Ich habe aber noch ein zweites Konto mit über 650.000 Euro Kapital und das haben sie gefunden, Kai und seine Kumpane.“
„Wow, uns sitzt eine Millionärin gegenüber, wer hätte das gedacht. Ich dachte, du hattest kein Geld mehr um das Hotel zu bezahlen?“ Für Mike passte das nicht zusammen. „Das ist auch richtig, ich muss an die Konten erst mal ran kommen. Sie überwachen und verfolgen mich, um genau das zu verhindern.“
„Wo kommen denn die zweiten 600.000 her?“, wollte Mona wissen.
„Das, mein Kind, habe ich deinem Vater tatsächlich vor zehn Jahren gestohlen. Damals hat er mich mit einer anderen Frau betrogen und wollte mich verlassen. Wir haben uns zwar wieder zusammengerauft und auch versöhnt, ich wusste aber, dass ich niemals wieder mittellos dastehen wollte. Von euch Kindern hat das niemand mitbekommen, du warst 14 Jahre alt, Denise und Kevin 12 und 7. Darum habe ich damals von dem Verkauf einer Hotelkette 450.000 Euro abgezweigt, es sollte auch für euch sein. Es hat keiner gemerkt, die Verkaufssumme betrug 500 Millionen Dollar. Ich habe das Vertrauen von Martin durch mein Verhalten verloren und ich kann ihn verstehen. Er hat mich aus dem Haus geworfen und mir jeden Umgang mit Kevin und Denise verboten!“
Mona war bestürzt. „Papa hat dich betrogen? Und wie lange ging das?“
„Ungefähr ein Jahr. Mich wundert heute noch, dass er zu mir zurückkam, denn sie muss sehr attraktiv gewesen sein und auch noch jünger als ich. Außerdem war sie eine Weiße.“ Mona war aufgewühlt, „was ist dann passiert?“
Thelma lächelte. „Er kam reumütig zu mir zurück, schwor mir seine Treue und beteuerte mir seine Liebe. Seitdem gab es auch nicht mehr den kleinsten Ausrutscher.“
„Jetzt versteh ich, warum mich Papa vor einer Woche angerufen und so komisch hinterfragt hat. Und jetzt?“
Mike griff in die Unterhaltung ein. „Hier bist du sicher und wir beide werden auch niemandem das auf die Nase binden. Du solltest dich beim Verlassen des Hauses vergewissern, dass dir niemand folgt.“
„Die Wohnung gehört doch jetzt meinem Vater, und wenn er uns nun zwingt hier auszuziehen?“, fragte Mona sorgenvoll. Mike grinste breit. „Da wird er Pech haben, ich habe den Kaufvertrag schon zwei Tage nach der Bekanntgabe unserer Verlobung an besagtem Tag widerrufen. Er kann zwar jetzt seine 50.000 Euro zurückverlangen, mehr Geld ist noch nicht geflossen. Mir geht es da wie deiner Mutter, ich lasse mich nur ungern vertreiben und mittellos wollte auch ich nicht sein. Wobei ich nicht weiß, wo wir jetzt das fehlende Geld hernehmen sollen.“
„Das Geld bekommt ihr von mir, ihr werdet die Wohnung nicht verlieren.“
Thelma legte eine kurze Pause ein. „Mona, Liebes. Ich werde dir und Mike jetzt meine Lebensgeschichte erzählen. Ihr seid die ersten Menschen, die sie zu hören bekommen. Niemand weiß darüber Bescheid. Nicht einmal Martin. Bisher habe ich mich zu sehr geschämt, darüber zu reden, denn wer will schon eine Prostituierte als Mutter haben.“ Thelma unterbrach an dieser Stelle und blickte Mona und Mike fragend an.
Als alles begann
Mona war erschüttert. „Mami …?“ Mike stand auf und ging zu Thelma. „Das ist Vergangenheit. Heute zählt das Jetzt und Hier.“ Gleichzeitig nahm er Monas Hand und zog sie zu sich. „Mami, bitte erzähl uns deine Geschichte. Ich werde dich nicht einfach verurteilen, und Mike mit Sicherheit auch nicht. Hab keine Angst.“ Thelma holte tief Luft und sprach ein leises „Danke“. Jeder nahm wieder seinen Platz ein. Mona und Mike hatten sich aufgesetzt und hörten gespannt zu.
Thelma setzte sich aufrecht in den Sessel, sie schien sich an den Armlehnen festzuhalten, als sie anfing zu erzählen:
„Es begann alles vor 30 Jahren in Namibia. Damals hieß es noch Südwestafrika. Ich war 12. Meine Eltern lebten zu dieser Zeit in Swakopmund, einer Küstenstadt am atlantischen Ozean. Mein Vater stammte aus Namibia, meine Mutter war aber eine Zulufrau aus Südafrika. Erst nach mehreren Jahren konnte sie mit mir zu meinem Vater ziehen. Das gemeinsame Familienglück muss nur von sehr kurzer Dauer gewesen sein.
Mein Vater verlor nach ein paar Jahren seine Arbeit und konnte in Namibia auch keine mehr finden. Er ging deswegen als Gastarbeiter nach Südafrika in eine Diamantenmine. Die Arbeit war hart und schlecht bezahlt. Nachdem er sich an einem der zahlreichen Proteste beteiligt hatte, wurde ihm gekündigt. Arbeitslosengeld bekam er nicht. Mit zahlreichen kleinen Nebenjobs schlug er sich durch, um wenigstens etwas Geld nach Swakopmund zu meiner Mutter überweisen zu können. Irgendwann hat es dann nicht mehr gereicht und wir zogen zu ihm nach Südafrika.
So landeten wir dann in Soweto, denn das wurde ausschließlich von Schwarzen bewohnt. Soweto sagt euch was?“
Beide bejahten die Frage, Mona antwortete für Mike gleich mit. „Das war doch die berühmte Township, die durch die Aufstände in den 70ger Jahren berühmt wurde. Gab es dort nicht auch den Schüleraufstand?“ Thelma bestätigte, „ja damals kamen bei den Aufständen über fünfhundert Menschen zu Tode. Die Regierung von Botha hat den Aufstand mit äußerster Brutalität niedergeschlagen. Selbst vor Folterungen haben sie nicht zurückgeschreckt.“
Mike ergänzte noch: „Aber, ganz wichtig! Mit diesem Aufstand wurde das Ende der Apartheitsära eingeläutet. Und einer der bedeutendsten Menschen unserer Zeit hat das geschafft, einen Menschen den ich zutiefst bewundere, … Nelson Mandela!“ Mona konnte sich nicht verkneifen, Mike an dieser Stelle zu provozieren. „Oh, ein Weißer bewundert einen schwarzen Mann.“
Ein strafender Blick traf sie. „Liebe Mona, das war jetzt unqualifiziert, und das weißt du genau! Viele Deutsche schätzen Nelson Mandela.“
„Da muss ich Mike beipflichten, das war nicht angebracht. Aber vielleicht darf ich ja fortfahren, falls es euch noch interessiert?“
Mona blickte beide nur an, murmelte ein „Entschuldigung, war nicht so gemeint.“ Mike legte seinen Arm um die Schulter der sichtlich geknickten Mona, zog sie an sich und flüsterte ihr zu: „Ist schon okay.“ Und lauter zu Thelma, „mach bitte weiter.“
„Na gut. … Bisher hatten wir immer in festen Häusern gelebt, jetzt mussten wir aber in eine Behausung primitivster Art, zusammengezimmert aus Wellblech, Pappe und anderem Müll. Wir hatten weder fließend Wasser noch Möbel, geschlafen haben wir auf dem Boden, gegessen auch. Als ich 14 war, starb meine Mutter infolge einer schweren Lungenentzündung und ungenügender medizinischer Versorgung. Sie war mein absoluter Bezugspunkt, mein Vater war ein Schwein. Nach ihrem Tod brachen bei ihm alle Dämme.
Er brauchte Geld, so verkaufte er mich an einen stadtbekannten Zuhälter. Ich hatte nie mehr Kontakt zu ihm.“
Mona hatte ihre Augen weit aufgerissen. „Müssen denn alle Männer so sein, auch mein Vater hat dich einfach rausgeschmissen.“
„Nein, Mona. Nicht alle. Ich denke, Mike würde so etwas niemals tun.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort:
„Seit dieser Zeit musste ich als Prostituierte arbeiten. Delani Mungu, mein Zuhälter, war gnadenlos. Man hat mich geschlagen und erniedrigt. Details erspare ich euch lieber. Ich habe stark abgenommen und wollte mehrmals fliehen. Das ist mir jedes Mal misslungen, ich war wahrscheinlich nicht konsequent genug. Dann haben sie mich wie eine Gefangene gehalten, mir aber auch mehr zu essen gegeben, denn ich war wohl eine sehr lukrative Einnahmequelle. Ich muss den Männern wohl sehr gefallen haben. Irgendwann hab ich mich mit meinem Schicksal arrangiert und mit Delani Mungu zusammengearbeitet. Mir ging es dadurch wesentlich besser, ich wurde seine Geliebte. … Um eure fragenden Blicke zu beantworten. Ich musste trotzdem immer noch andere Männer bedienen, nur waren die jetzt von Delani ausgesucht.
Mit 16 habe ich Thamba kennengelernt, einen engen Freund von Delani. Genau, den Thamba Kumukele. Er buchte mich dann regelmäßig. Eines Tages habe ich ein Gespräch der beiden belauscht, Thamba wollte mich kaufen. Delanie war aber strikt dagegen. Ich sah damals in Thamba die Rettung für mich und bestärkte ihn, mich dort heraus zu holen.
Er war dreißig Jahre alt, lebte in Windhoek. Er war ein durchtrainierter Athlet, sehr gut aussehend. Später erst habe ich sein wahres Ich kennengelernt: Sein Traum war es, eine Frau zu besitzen, die nur ihm gehörte. Er wollte seine eigene Sklavin.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht und so holte er mich in einer Nacht mit einem Freund ab und wir flüchteten gemeinsam nach Südwestafrika, bis Windhoek.
Thamba besorgte mir eine kleine Wohnung, ich glaubte immer noch, dass er es gut mit mir meinte. Dass ich ihm immer zu Diensten sein musste, war mir klar. Jedoch nicht, dass ich dann tatsächlich in einem Gefängnis saß mit vergitterten Fenstern und einer Tür, die immer abgeschlossen wart. Ich hatte keine Identität, kein Geld, nichts. Ich war ein Niemand. Keiner vermisste mich, vielleicht Delani Mungu.
Inzwischen war ich 17 Jahre, wollte aber unbedingt überleben. Durch das Fenster konnte ich Häuser und Bäume sehen, keinen Slum. Ich habe Fluchtpläne geschmiedet, konnte keinen einzigen umsetzen. Ich glaube auch, dass Thamba wahnsinnige Angst vor Delani Mungu hatte, denn er wollte schon Windhuk verlassen. Da erfuhr ich, dass er sogar Familie hatte, eine Frau und zwei Kinder.“ Thelma unterbrach und trank einen Schluck Wein.
„Ja, und dann kam der Wendepunkt meines Lebens. Es war im Juli, die Temperaturen lagen bei angenehmen 22 bis 25 Grad, denn es war Winter in Windhoek. Ich durfte in Begleitung von Thamba erstmals seit Monaten die Wohnung verlassen. Ich sollte neue Kleidung bekommen. In einem Anflug von Gutmütigkeit sollte ich mir diese auch selbst aussuchen.
Wir gingen in eine Boutique an der Haupteinkaufsstraße in Windhoek. Ich war begeistert von der Straße. Kein Dreck, alles einladend und freundlich. Im Geschäft wurde ich sofort in eine Umkleidekabine geschickt. Kleider wurden mir hineingereicht. Als ich das erste angezogen hatte und vor den Spiegel trat, kam ein Mädchen mit hinzu. Sie war ungefähr gleich alt. Wir machten uns einen Heidenspaß, probierten ein Teil nach dem anderen an und begutachteten uns gegenseitig.“ Thelma bekam einen Glanz in ihre Augen, während sie sich erinnerte.
„Ich weiß es noch wie heute, ich war glücklich. Als wir, ich weiß nicht mehr beim wievielten Kleid gemeinsam vor dem Spiegel standen, flüsterte ich ihr zu, dass ich Hilfe brauchte. Auch meine Adresse gab ich an.
Thamba wurde schon unruhig und drängte zum Abschluss. Sein Verständnis und seine Gutmütigkeit hatten ein Ende. Er schnappte, ohne mich zu fragen drei Kleider. Packte mich am Arm und zog mich aus dem Laden. Ich sah noch die überraschten und auch ängstlichen Blicke des Mädchens. Eine Woche nach der Einkaufstour klingelte es an der Wohnungstür. Ich hab sofort aus dem Fenster geschaut, zuerst dachte ich an Delani Mungu, aber es war das Mädchen aus dem Geschäft. Ich konnte das Fenster nur einen Spalt breit öffnen, mehr ging nicht.
Dann rief ich nach ihr. Sie hatte mich wohl Anfangs nicht gehört, kam dann aber doch zum Fenster. Wir haben erstmal unsere Namen ausgetauscht. Ich sagte ihr, dass sie mich herausholen sollte und dass ich gefangen gehalten werde.“ Mona unterbrach ihre Mutter. „Und wie hieß sie, weißt du das noch?“
„Wie könnte ich das vergessen. Ihr Name war Meeke. Ich würde sie so gerne wiedersehen …“
„Und wie ging es weiter?“ Mike stand die Anspannung im Gesicht. „Sie sicherte mir Hilfe zu. In diesem Augenblick fuhr ein Auto vors Haus, mir fuhr dermaßen der Schreck in die Glieder, dass ich ihr nur zurufen konnte, zu verschwinden und sich ja nicht erwischen zu lassen.
Es war Thambas Freund, der sich auch sein Recht holen wollte. Später habe ich erfahren, dass Meeke alles ihrer Mutter erzählte und die sich an ihren Arbeitgeber, Hermann Voskamp wandte. Auch diesen Namen werde ich nie vergessen, denn er hat mir das Leben gerettet.“
„Ein Weißer?“, bemerkte Mike mit einem Seitenblick auf Mona. „Ja Mike, ein Weißer, auch da gibt es unterschiedliche Menschen. Die Bemerkung hättest auch du dir sparen können, das war überflüssig.“ Mike schluckte, „Ja, danke für den Hinweis.“
„Lasst mich weiter erzählen. Meeke besuchte mich noch zwei Mal und hielt mich auf dem Laufenden, erzählte mir auch von Voskamp. Bevor dieser jedoch bei mir war, hatte ich noch anderen Besuch. Die Tür wurde aufgebrochen und vor mir standen Delani Mungus Männer. Sie packten und fesselten mich. Vor dem Haus jedoch sprangen plötzlich hinter der Gartenmauer lauernde Männer hervor und überwältigten in wenigen Sekunden Delanis Handlanger.
Sie schoben mich in einen Transporter und fuhren zum Haus von Meekes Eltern. Die ganze Nacht habe ich mit Meeke geredet. Wir mochten uns auf Anhieb. Am nächsten Morgen bekam ich noch neue Kleidung und was zu essen. Dann fuhren wir mit dem Transporter nach Walvis Bay. Voskamp hatte dort mit dem Kapitän eines deutschen Frachters verhandelt. Der sollte mich außer Landes nach Deutschland bringen.
Und dann musste ich von Meeke Abschied nehmen. Ihr könnt mir glauben, dass ist mir sehr schwer gefallen. Ihr müsst wissen, sie war der einzige Mensch in dieser Zeit, der mir geholfen hatte. … Wie gerne würde ich sie wiedersehen.“ Thelma hielt mitten in ihrer Erzählung inne. Ihre Blicke gingen ins Leere.
Mona sah Mike hilfesuchend an, doch der zuckte nur mit seinen Schultern.
Thelmas Blick traf die beiden. „Entschuldigt bitte, ich war kurz abgelenkt. Ich mach mal weiter, oder wollt ihr nicht mehr?“
„Doch Mami, bitte erzähl weiter. Wie bist du nach Deutschland gekommen und wie hast du Papa kennengelernt, … und wer ist dann mein leiblicher Vater?“
Thelma nahm beide Hände Monas: „Mona, Liebes. Wer dein Vater ist, kann ich dir nicht sagen. Du hast mich das schon oft gefragt und an der Antwort hat sich nichts geändert. Die beiden anderen Fragen kann ich dir aber beantworten.
Dann höre zu: Meeke und ich haben am Fuß der Gangway Abschied genommen. Dabei drückte sie mir ein kleines Amulett, einen sogenannten ‚Zulu Love Letter‘ zum Andenken in die Hand. Er sollte mir Glück, Zuwendung und Liebe für die Zukunft bringen. Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen, „daran erkenne ich dich wieder“, rief sie ihr auf dem Weg nach oben zum Schiff noch zu.“
Heftig unterbrach Mona ihre Mutter: „Hast du diesen ‘Love Letter’ noch? Sind das die bunten zusammengeknüpften Perlen, die um deinen Hals trägst?“ Thelma nickte zur Bestätigung, griff nach dem Halsband und hob es an.
„Ja, das ist der ‘Zulu Love Letter’, ich trage ihn fast immer. Der Frachter, auf dem ich jetzt war, fuhr unter panamaischer Flagge und war ein relativ kleines aber typisches Containerschiff. Voskamp hatte Wort gehalten und übergab mich an den Kapitän des Schiffes mit Namen Klenke. Es war ein kleiner untersetzter Mann, Mitte fünfzig, dem man auf den ersten Blick eine solche Rolle überhaupt nicht zutraute. Man brachte mich in eine separate Kabine. Ich bekam Kleidung der Besatzung und nahm am gemeinsamen Essen teil. Mir ging es überhaupt nicht gut, Übelkeit und Durchfall haben mir ziemlich zugesetzt. Kapitän Klenke hielt die Seekrankheit für die Ursache.
Zuerst dachte ich, ich sei auf dem Schiff in Sicherheit. Das war aber ein Irrtum. Drei Besatzungsmitglieder haben mich die ersten Tage jeden Abend ‘beehrt’. Schließlich machte Kapitän Klenke dem ganzen ein Ende. Anfangs dachte ich, als er plötzlich in der Tür stand und die drei bei mir überraschte, er wollte sich auch beteiligen. Da habe ich mich getäuscht, er war grundanständig, hat alle drei gefangen gesetzt und mich geschützt.
Von da an verlief die Überfahrt ohne Probleme, ich hatte auch keine Angst mehr. Nur mein Gesundheitszustand wurde immer schlechter, obwohl sich Kapitän Klenke rührend um mich kümmerte. Unser Ziel war Hamburg, die Einfahrt in den Hafen und die Stadt bekam ich überhaupt nicht mit, lag die ganze Zeit nur in meiner Kabine.
Irgendwann kam dann Polizei und auch ein Notarzt. Sie brachten mich ins Krankenhaus. Und da haben sie es dann schnell festgestellt: ich war schwanger! Das war der Grund für mein Unwohlsein. Nur, ich war schon am Beginn des 6. Monates. Ich hatte nichts gemerkt.
Unglaublich, denkt ihr sicher. Ich habe tatsächlich überhaupt nichts gemerkt, auch nicht geahnt, wahrscheinlich habe ich alles ignoriert.“ Thelma stockte.
„Aber Mami, das sieht man doch schon rein äußerlich. Außerdem ist doch deine Periode ausgeblieben. So was kann man doch nicht ignorieren?“
„Doch Mona, das kann man. Mir ging es schlecht, ich hatte nicht ausreichend zu essen, außerdem nur sehr einseitig. Und einen Bauch hatte ich nicht.“ Ungläubig schaute Mona sie an.
„Ja Mona. Das Kind, das ich unter meinem Herzen trug, warst natürlich du. Mein Leben hatte plötzlich wieder einen Sinn. Du warst gerade mal 46 cm groß, hast dich doch aber ganz gut entwickelt, oder nicht?“
Mike pflichtete ihr sofort bei. „Das kann ich nur unterstreichen, du hast dich sogar ganz hervorragend entwickelt, da stimmt einfach alles und Gott sei Dank bist du kein Hungerhaken …“ Ein strafender Blick traf ihn. „Was willst du damit sagen, hmm? Doch nicht etwa …“ Mona konnte nicht ausreden, denn Mike lenkte sofort ein.
„Mona, du must mir zuhören! Ich habe gesagt: du hast dich ganz hervorragend entwickelt und das war weder ironisch noch sonst wie negativ gemeint, sondern ehrlich gesagt.“ Die Antwort kam in ihrer typischen Art. „Das will ich auch gehofft haben, mein Lieber.“ Thelma gebot Mike mit einer Handbewegung Einhalt und fuhr einfach fort:
„Mit dem Kind konnten sie mich auch nicht mehr abschieben. Ich durfte vorerst in Deutschland bleiben. Ich kam in ein Mutter-Kind-Heim, war dort mit meinen 18 Jahren noch nicht einmal die Jüngste. Alle die dort unterkamen, waren irgendwie auf der Flucht. Ein Jahr durfte ich dort bleiben. Ich hatte mich schon richtig an dieses Land gewöhnt. Nachdem ich volljährig war, sollte ich tatsächlich ausgewiesen werden.“
Mona war aufgewühlt. „Warte mal, wie bist du auf den Namen Mona gekommen? Ist der Name afrikanisch?“
„Nein, Mona. Bei uns im Heim war eine junge Araberin, die vor ihrer Familie geflohen war. Und die hatte eine kleine Tochter mit dem Namen Mona. Das bedeutet ‘Hoffnung’ und hat mir so gut gefallen, das ich dich auch so genannt habe.“
Monas Augen wurden feucht. „Ja, Mona. Denn du warst meine Hoffnung, für dich war ich bereit zu leben und alles zu geben. Ich wollte auf keinen Fall zurück nach Südafrika. Ich habe versucht zu fliehen, sie haben mich aber jedes Mal wieder eingefangen. Als Schwarze bist du damals eben doch aufgefallen.
Schließlich kam der Tag, sie holten mich ab. Ich hatte dich fest in einem Tuch an meinen Körper gebunden. Und dann kam sie, die Chance! Wir fuhren in einem Kleinbus Richtung Flughafen, quer durch Charlottenburg. Neben mir saß eine Beamtin, die ganze Zeit behandelte sie mich mit Verachtung. Ein Zweiter Polizist, in Zivil, saß mir gegenüber. Er war nett, versuchte mich aufzumuntern.
Vollkommen unerwartet legten wir eine so heftige Vollbremsung hin, dass meine Bewacherin vom Sitz rutschte, ich konnte mich gerade noch festhalten. Der Mann wandte sich nach vorne zum Fahrer, auch die Frau tat es. Das war die Gelegenheit. Ich nahm alle Kraft zusammen, riss die Tür auf und sprang nach draußen, rannte was Beine und Lunge hergaben.
Meine Verfolgerin holte auf, da sah ich vor mir einen riesigen Torbogen. Ohne nachzudenken, rannte ich hinein und stand vor einer Kirche. Später erfuhr ich dann, es war das Kloster Karmel Regina Martyrium in Charlottenburg, ein Frauenkloster der Karmeliterinnen. Nur war die Tür zur Kirche leider verschlossen. Ich schrie so laut ich konnte um Hilfe. Endlich, eine Nonne stand vor mir. Die Polizistin war dicht hinter mir, doch ehe ich es mir versah, hatte sich die Nonne vor mich gestellt. Sie stand da wie ein Standbild, ich zwei Meter dahinter, und sie wich keinen Zentimeter auf die Seite. Sie hat die beiden Polizisten einfach abgewiesen. Ich konnte sie noch hören, als sie feststellte, dass es unwürdig sei eine Mutter mit Kleinkind zu jagen.
Dann kam sie zu mir und sagte mir, dass ich im Kloster sicher sei und mir niemand etwas anhaben könne. Ich kann mich noch gut daran erinnern, sie nannte sich Schwester Marie, später haben wir uns sogar angefreundet. Ich bekam ein Zimmer zugewiesen, alle Schwestern haben sich rührend um mich gekümmert. Die haben das Motto ‘Liebe deinen Nächsten’ wahrlich umgesetzt.
Sechs Monate war ich im Kloster, verlassen durfte ich es nicht. Sie hätten mich sofort verhaftet. Die Presse hatte sich inzwischen auf meine Seite geschlagen. Ich sollte bleiben dürfen, nur leider geschah nichts dergleichen. Eine Initiative stellte mir einen Rechtsanwalt, aber auch das hat nichts genützt. Was sollte ich machen: zurück nach Afrika, niemals! Ins Kloster eintreten? Dann hätte ich auf dich, Mona, verzichten müssen. Niemals!
Ja, und dann kam Martin ins Spiel. Er hatte sich damals gerade selbstständig gemacht, war noch nicht der erfolgreiche Immobilienmakler von heute. Drei Jahren zuvor hatte ihn seine Frau verlassen, da er ihr kein angemessenes Einkommen bieten konnte. Sie hatte sich einen reichen älteren Unternehmer geangelt. Seit zwei Jahren geschieden, machte er auch während dieser Zeit nur negative Erfahrungen mit weiblichen Bekanntschaften. Er hatte wahrhaftig auch kein Glückslos gezogen.
Schwester Marie teilte mir mit, dass draußen ein junger Mann warten würde und mich kennenlernen wolle. Ich habe eingewilligt, denn im Kloster konnte mir nichts passieren. An dem von der Priorin genehmigten Gespräch nahmen Schwester Marie, Martin und ich teil. Wir haben lange miteinander geredet. Er bot mir an, seinen Haushalt zu führen und bei Bedarf Gäste zu bewirten. An Haushaltsgeld stellte er mir anfangs 1000 DM zur Verfügung, von dem ich aber auch leben musste. Ich war einverstanden, um die Abschiebung zu verhindern, gab es schlussendlich nur eine Lösung: er musste mich heiraten.
Schließlich haben wir tatsächlich im Kloster geheiratet und wie ihr seht, bin ich bei Martin geblieben. Aus uns beiden wurde ein echtes Paar. Zwei Jahre später wurde Denise geboren. Eine Abschiebung war jetzt nicht mehr möglich. Martin hat dann auch dich adoptiert.
Und jetzt hat er mich einfach rausgeschmissen. Nein, er hat mich regelrecht verstoßen. Das werde ich ihm nie verzeihen!“
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