Читать книгу: «Die Jutta saugt nicht mehr & Voll von der Rolle», страница 3

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Kapitel 4

Ein echter Teeliebhaber besitzt für jede Sorte eine passende Kanne

(weil der Tee sonst schmollt, wie Loretta vermutet)

»Dengelmann.«

Vor Verblüffung riss ich die Augen auf und ließ beinahe den Hörer fallen. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, aber ganz bestimmt nicht mit dieser warmen, sonoren, schnurrenden Stimme. Dennnngelllmannn – so sprach er es aus, als wäre es ein süßes Versprechen.

Nach Frau Bergers gleichermaßen grellen wie subjektiven Schilderung dieses Herrn, dieses knöchernen, humorlosen Erbsenzählers, hatte ich mir eine schnarrende, trockene und unmodulierte, auf jeden Fall unsympathische Stimme vorgestellt, aber ganz gewiss nicht dieses honigtropfende, sanfte Organ.

Und das hatte mir buchstäblich die Sprache verschlagen.

Vor mir pantomimte Erwin hektisch vor sich hin. Er ließ seine Brauen fragend umherwandern, formte mit den Lippen tonlose Worte und malte Fragezeichen in die Luft. Das Telefon stand auf Lautsprecher, deshalb durfte er keinen Laut von sich geben. Wie ein Derwisch hampelte er vor meiner Nase herum. Herrje – musste er mich noch zusätzlich ablenken?

»Hallo? Wer ist denn da?«, kam es aus dem Hörer.

Ich drehte Erwin den Rücken zu.

Konzentration war gefragt.

»Guten Tag, Herr Dengelmann. Loretta Luchs mein Name. Ich melde mich auf Ihre Anzeige, die heute in der Zeitung stand.«

»Da sind Sie nicht die Erste«, sagte er.

»Das denke ich mir. Aber vielleicht bin ich die Beste«, gab ich keck zurück.

Erwin kam in mein Blickfeld geschossen und tippte sich wie ein Besessener gegen die Stirn. Schon klar, ich hätte nicht so frech sein sollen. Wenn wir Pech hatten, war mein Einsatz als Putzfrau vorbei, bevor er überhaupt begonnen hatte, und ich hatte es verbockt.

Ich flüchtete hinter die Blätterwand, setzte mich an den Schreibtisch und hielt den Atem an.

Und siehe da: Herr Dengelmann nahm es mit Humor.

Er lachte und sagte: »Dann bin ich ja mal gespannt. Ich würde Sie gerne kennenlernen. Am besten heute noch. Wann können Sie hier sein?«

»In einer Stunde.«

Ich fragte nach seiner Adresse – Gott sei Dank dachte ich daran. Nicht nötig, die habe ich schon von Frau Berger. Sie wissen schon: die Frau, die unter Ihnen wohnt und denkt, dass Sie Jutta umgebracht haben. Das genau hätte passieren können, wenn ich mich von Erwin hätte ablenken lassen.

Ich verabschiedete mich von Dengelmann und legte auf.

»Was war denn gerade los mit dir?«, fragte Erwin. Die Pflanzen raschelten, dann schoben zwei Hände die Blätter auseinander, und sein Gesicht erschien. »Stehst da und stierst mit aufgerissenen Augen vor dich hin, sagst keinen Ton … Ich dachte schon, du hast einen Schlaganfall oder so was.«

Ich stellte das Telefon in die Ladestation und kicherte. »Bleib locker, Tarzan. Mich hat nur etwas überrascht.«

»Ach ja? Was denn?«

Flugs kam er um die Blätterwand gehüpft und stierte mich neugierig an.

Was sollte ich ihm sagen? Dass Dengelmanns Stimme mich schier umgehauen hatte? Wie doof hörte sich das denn an? Nun ist es allerdings so, dass ich auf Stimmen reagiere. Jemanden mit einem Organ, das klang wie kreischende Kreide auf einer Schultafel, kann ich auf Dauer nicht in meiner Nähe ertragen, auf keinen Fall. Oder jemanden, der monoton vor sich hin salbadert.

Eine schöne Stimme sprüht vor Leben, weckt Fantasien – wer wüsste das besser als ich? Schließlich verdiente ich damit mein Geld an der Sexhotline, und ich hatte nur meine Stimme, um den Männern ein aufregendes Abenteuer zu verschaffen, für das sie gerne bezahlten.

»Was war denn nun?«, fragte Erwin. »Du bist ja schon wieder so weggetreten. Allmählich wird mir das unheimlich.«

Ich schüttelte den Kopf. »Muss es nicht. Du hast ihn doch selbst gehört.«

»Wen?«

»Dengelmann.«

Er glotzte mich an, als würde ich in einem seltenen Hindi-Dialekt sprechen. Offenkundig wusste er kein Stück, worauf ich hinauswollte. Er schien zu grübeln, ob er vielleicht Wesentliches überhört hatte.

»Seine Stimme«, fügte ich hinzu.

»Wessen Stimme?«

»Dengelmanns.«

Sein Gesicht veränderte sich nicht.

»Jaaaaaa …?«

Meinem lieben Kumpel Erwin ging – offenkundig, die zweite – Dengelmanns Stimme gepflegt am Arsch vorbei, um es mal salopp zu formulieren.

»Er hat die schönste Stimme, die ich jemals gehört habe.«

Um ihm eine Freude zu machen, spendierte ich ihm noch einen theatralischen Seufzer obendrauf.

Seine Miene veränderte sich zu Misstrauen. »Du bist doch nicht etwa besoffen?«

»Sicher, das wird es sein: Ich bin sturzbesoffen. Schließlich beginne ich den Tag immer mit einem Wasserglas Wodka, wie allgemein bekannt ist.«

»Werd mal nicht frech, Frolleinchen. Ernsthaft – es kann doch nicht nur die Stimme gewesen sein. Warum hast du so panne aus der Wäsche geguckt?«

Ich grinste, lehnte mich lässig in seinem Chefsessel zurück und legte die Füße auf seinen Schreibtisch. »Okay, ernsthaft: Seine Stimme hat mich total überrascht. Angenehm überrascht. Frau Bergers Beschreibung hat in mir das Bild eines kleinen, mickrigen Männleins entstehen lassen, und dazu gehörte für mich beinahe schon zwingend eine Stimme, die klingt wie trockenes Laub.«

»Wie?«

»Trockenes Laub. Knisternd, total dröge, ohne Wärme oder Tiefe. Ohne Melodie. Ich war nicht vorbereitet auf diese wunderschöne, warme Stimme.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Okay. Hätten wir also professionell geklärt, dass Dengelmanns Stimme ein echter Schlüpferstürmer ist.«

»Erwin!!!«

»Was denn? Ist doch so, oder etwa nicht? Wenn die Stimme soooo toll ist, quatscht der die Weiber damit bestimmt reihenweise ins Bett. Könnte für den Fall durchaus interessant sein.«

»Wann denn? Der war doch wohl rund um die Uhr damit beschäftigt, seine Jutta zu überwachen.«

»Pfff.« Erwin zuckte mit den Schultern. »Wer das will, schafft das auch. Vielleicht war er ja gar nicht immer in seinem Hobbykeller, sondern unterwegs. Kann man nicht wissen. Es muss doch einen Grund dafür geben, dass er seine Gattin nicht in den Keller gelassen hat.«

»Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht wollte er einfach nur seine Ruhe haben.« Ich winkte ab. »Alles Weitere ist reine Spekulation. Nein: absolut alles. Wir wissen nur das, was Frau Berger erzählt hat. Offenkundig hasst sie den Kerl, weil er ihr die Freundin weggenommen hat, die jetzt angeblich auch noch verschwunden ist. Sie wäre nicht die erste Verrückte, die jemanden denunziert.«

Erwin musterte mich mit gerunzelter Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Hat er dich also schon einkassiert mit seiner Säuselstimme. Ich frage mich, ob du noch neutral genug bist, um deine Aufgabe zu erfüllen«, spottete er.

»Klar bin ich das!«, rief ich empört. »Wen willst du denn sonst hinschicken – Frank, vielleicht?«

Das sollte er nicht wagen.

Ich war jetzt viel zu neugierig auf Herrn Dengelmann.

Das schmucke Vier-Parteien-Haus mit der hellgelb verputzten Fassade und den ausladenden Erkerfenstern sah aus, als könnte es sich nicht jeder leisten, hier zu wohnen. Schon von außen ließ es auf großzügige Wohneinheiten mit mindestens neunzig Quadratmetern Fläche schließen, und ich wettete mit mir selbst, dass die Erdgeschosswohnungen nach hinten raus schicke Terrassen hatten. In dieses Objekt würde locker die doppelte Anzahl Mietparteien passen.

Ich spähte unauffällig zu den Fenstern auf der linken Seite im ersten Stock, an denen weiße Spitzengardinen in vorbildlichem Faltenwurf hingen, die den Blick ins Innere versperrten. Mann, hoffentlich fing mein Job – wenn ich ihn denn bekam – nicht damit an, dass ich gefühlte achthundert Quadratmeter Gardinen abhängen, waschen und wieder aufhängen musste, so als Probearbeit, um mich zu qualifizieren. Dann konnte ich direkt einpacken.

Die Fenster der Berger ein Stockwerk darunter rahmten schwere Stores prunkvoll ein. Ob sie wohl auf eine Leiter steigen, ein Glas an die Decke pressen und versuchen würde, zu belauschen, was Dengelmann und ich redeten, wenn sie wüsste, dass ich jetzt meine Verabredung mit ihm hatte? Zutrauen würde ich es ihr jedenfalls.

Ich widerstand dem Impuls, meine Jacke glatt zu ziehen und meine Schuhe dezent an den Hosenbeinen zu polieren. Schließlich stand mir hier kein Treffen mit meiner adeligen, potenziellen Schwiegermutter in spe bevor, bei der ich einen einwandfreien Eindruck machen musste. Herrje – es ging bloß um einen blöden Minijob, oder wie das hieß.

Nein. Ging es nicht.

Es ging um einen verdammten Auftrag, und ich musste alles daransetzen, diesen Job zu kriegen.

Ich zog also die Jacke zurecht, wischte zur Sicherheit dann doch lieber die Schuhe hinten an den Hosenbeinen ab, atmete tief durch und wollte gerade auf die Klingel drücken, an der … Ich stoppte gerade noch rechtzeitig, denn, ups, beinahe hätte ich bei Frau Berger geklingelt, weil ich vor einer Minute noch an sie gedacht hatte. Mein Finger wanderte höher bis zu Dengelmann. Ich presste den Knopf.

Wie köstlicher Himbeersirup floss es aus der Gegensprechanlage. »Ja bitte?«

»Guten Tag, Herr Dengelmann«, raunte ich mit meiner tiefsten Stimme, die ich instinktiv gewählt hatte. »Hier ist Loretta Luchs. Wir sind … verabredet.«

Verdammt, ich klang wie auf der Arbeit.

Reiß dich zusammen, Loretta, dich sticht wohl der Hafer, dachte ich erschrocken.

»Frau Luchs. Kommen Sie herein. Erster Stock.«

Okay – dies war ein Hinweis für Halbgescheite. Wo sollte er schon wohnen, in einem zweistöckigen Haus mit zwei Klingelknöpfen auf der linken Seite, und sein Name stand auf der oberen der beiden? Hallo? Hielt er mich für dämlich? Aber was wusste ich schon, welche Erfahrungen er bisher mit seinen Putzkräften gemacht hatte.

Der Summer erklang, und ich drückte die schwere Haustür auf, eine designerische Geschmacklosigkeit aus kupferfarbenem Metall und Riffelglas.

Vom polierten Steinboden des Eingangsbereiches hätte man bedenkenlos essen können, und auf den Stufen lag tatsächlich Teppichboden. Als ich Frau Bergers Wohnungstür passierte, bildete ich mir ein, ihren Blick durch den Türspion hindurch zu spüren.

Dank des Teppichs erklomm ich die Stufen in den ersten Stock hinauf vollkommen lautlos. Oben rührte sich nichts.

Du lässt mich tatsächlich vor verschlossener Tür stehen? Du traust dich was, dachte ich grimmig.

Da wollte mir wohl jemand dezent demonstrieren, wer der Chef im Ring war. Nicht mit mir. Nicht mit Loretta Luchs. Ich hatte doch keine Lust, wie eine Bittstellerin demütig abzuwarten, bis der gnädige Herr endlich geruhte, die Zugbrücke herabzulassen.

Ich wartete also drei Anstandssekunden, dann klopfte ich forsch und rief laut: »Herr Dengelmann? Alles in Ordnung?«

Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

Schwupps – schon ging die Tür auf, und da stand er: Herr Dengelmann.

»Frau Luchs, nehme ich an«, raunte es mir entgegen.

Ich nickte nur und nahm die mir angebotene Hand, um sie herzlich zu schütteln.

»Wunderbar, wunderbar«, sagte er. »Kommen Sie doch bitte herein.«

Auffordernd streckte er die Arme aus. Nach einem hysterischen Augenblick allerhöchster Irritation begriff ich, dass er mich nicht umarmen wollte. Nein, er war ein Gentleman. Er wartete darauf, dass ich meine Winterjacke auszog, damit er sie mir abnehmen und an die Garderobe hängen konnte.

Nachdem das erledigt war, folgte ich ihm in ein großes Wohnzimmer, das … nun ja … klassisch eingerichtet war. Schwere, behäbige Möbel, orientalisch anmutende Teppiche auf Parkettboden, wenig Nippes, viele Grünpflanzen, bodenlange Gardinen – die hatte ich ja bereits von außen gesehen – und dunkelgrüne Dekostores aus Samt.

»Ich habe Tee gemacht. Sie nehmen doch eine Tasse?«, fragte er.

Als ich nickte, ging er zu einem bereitstehenden Servierwagen, auf dem schon alles Notwendige hergerichtet war: schwarze, flache Metallkanne auf schwarzem Metallstövchen sowie zwei dazu passende henkellose Becher. Hatte er mich vielleicht an der Tür warten lassen, weil er gerade den Tee frisch aufgegossen hatte?

»Aber setzen Sie sich doch«, fügte er hinzu, weil ich etwas verloren in seiner guten Stube herumstand.

Ich wählte einen der monumentalen Sessel, in den ich einsank wie ins Bällebad in einem Kinderspielparadies. Während er das Teesieb aus der Kanne nahm und einschenkte, hatte ich Muße, ihn ausgiebig zu betrachten.

Auf den ersten flüchtigen Blick war Gerhard Dengelmann von durchschnittlicher Größe, durchschnittlichem Gewicht und durchschnittlichem Aussehen. Sein konservativ geschnittenes Haar war bereits ergraut – in diesem attraktiven Grauton, mit dem nur Schwarzhaarige gesegnet sind. Die randlose Brille, das kleinkarierte Hemd und die Cordhose waren optisch von bestürzender Tristesse.

Bei genauerem Hinsehen allerdings …

Vor meinem geistigen Auge vollzog ich an ihm eine wundersame Wandlung: Nacken ausrasieren und Gel ins Haar, ein paar verwegene Bartstoppeln, verwaschene Jeans und schwarzer Strickpulli, schwere Boots: tadaaah – George Clooneys etwas älterer Bruder.

Und wer konnte schon sagen, ob George Clooney auch dann so ein heißer Feger wäre, wenn er als Beamter in einer Behörde arbeiten und in stilechtem Gelsenkirchener Barock wohnen würde? Na bitte.

Aber man stelle sich nur vor, wenn diese wunderbare Stimme aus einem von mir runderneuerten Herrn Dengelmann käme … die Frauen würden ihm reihenweise zu Füßen sinken. Auch für mich selbst könnte ich in diesem Fall nicht mehr die Hand ins Feuer legen, um ehrlich zu sein. Ob er sich bewusst war, über welches Potenzial er verfügte?

Er stellte Zucker und Milch in dekorativen Gefäßen und eine dunkle Holzschale mit Plätzchen auf den selbstverständlich gekachelten Couchtisch, zu dem das japanisch anmutende Teegeschirr aus schwarzem, reich verziertem Metall einen krassen Gegensatz bildete. In diesem ansonsten so konservativen Ambiente hätte ich eher etwas aus weißem Porzellan mit Streublümchen erwartet.

Dann holte er die beiden Teebecher und setzte sich in den Sessel, der dem meinen gegenüberstand. Um an meine Tasse zu kommen, musste ich mich zunächst mühsam aus dem tiefen Polster hochstemmen, was vermutlich reichlich ungraziös aussah. Ich kam mir vor wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag und hilflos mit den Beinen strampelte.

Herr Dengelmann, der an seinem Tee nippte und mich über den Tassenrand hinweg musterte, verzog angesichts meiner Mühen keine Miene, was ich ihm hoch anrechnete.

Irgendwann hatte ich es geschafft und blieb vorsichtshalber auf der vorderen Sesselkante sitzen, während ich ein wenig Zucker in meinen Becher gab, dessen Untersetzer ebenfalls aus Metall und wie ein Blatt geformt war. Um das Schweigen zu brechen, trank ich einen Schluck und sagte: »Hmm. Der ist ungewöhnlich. Aber sehr lecker.«

Er lächelte und zeigte ebenmäßige Zähne. »Finden Sie? Das freut mich. Den meisten ist er zu kräftig.«

»Och. Ich habe Freunde an der Nordsee. Ostfriesentee haut den stärksten Mann vom Hocker. Um ihn genießbar zu machen, kommt ein Brocken Kandis rein, der beinahe die komplette Tasse ausfüllt.«

»Aber das ostfriesische ist ein schönes Tee-Ritual«, erwiderte er. »Tee, der nicht umgerührt werden darf … Der Kandis, der nach und nach knisternd schmilzt und für mindestens drei Portionen Tee reicht … Das Sahnewölkchen, das sich langsam verteilt … beinahe schon meditativ. Ich mag das wirklich sehr.«

Sieh an, dachte ich, Herr Dengelmann steht auf Rituale.

Ich hob die Tasse. »Und welche Sorte ist dieser hier?«

»Assam Jamguri Golden Blossom.«

Hui. Das klang aber exotisch.

»Von dem hab ich noch nie gehört. Und definitiv habe ich ihn noch nie zuvor gekostet.«

Er nickte, als hätte er sich das ohnehin gedacht. »Eine kostbare, sehr rare Sorte aus dem Assam-Jamguri-Teegarten, der in der östlichen Hochebene Assams im Golaghat-Distrikt liegt. In Indien. Für eine optimale Versorgung mit Nährstoffen wird die Rinde der hundert Jahre alten Büsche mit einer Kräuterpaste behandelt.«

Zuerst dachte ich, er will mich verhohnepipeln. Ich finde bereits die Vorstellung verrückt, dass Kobe-Rinder angeblich mit Bier gemästet, mit Schnaps geduscht und täglich massiert werden, um die Fleischqualität zu erhöhen. Aber Büsche, deren Äste mit Kräuterpaste eingerieben werden? Wow.

»Selbst die besten Pflückerinnen erreichen nur eine Tagesleistung von 200 Gramm«, fuhr er verträumt fort, während er liebevoll in seine Tasse blickte, »eine sehr aufwendige und mühselige Arbeit.«

Klar, dachte ich, und dann wird jedes einzelne Blättchen auf den Schenkeln von Jungfrauen handgerollt. Ach nein, das waren ja die kubanischen Zigarren.

»Er hat ganz dunkle Blätter und wunderschöne goldene Knospen. Und er ist gern in einer bauchigen Kanne.«

Ist er das? Und das hat er dir gesagt, so unter vier Augen?, dachte ich und kämpfte verzweifelt gegen aufsteigendes Gelächter an.

Er ist gern in einer bauchigen Kanne – also wirklich. Was machte er denn, wenn er in einer falschen Kanne aufgegossen wurde? In so einer schmalen, hohen, die keinen Bauch hatte? Rollten sich die Blätter dann ganz fest zusammen und weigerten sich, Aroma abzugeben? Bockiger Tee, der schmollte, weil man die falsche Kanne genommen hatte?

Ob er mit jedem seiner Tees – und ich ging davon aus, dass er jede Menge exotische Sorten hatte – vorher ausdiskutierte, welche Kanne beliebte? War er so was Ähnliches wie ein Tee-Sommelier? Gab es so was überhaupt?

»Nun, Gott sei Dank haben Sie eine bauchige Kanne«, sagte ich und deutete auf das gusseiserne Schmuckstück auf dem Servierwagen.

»Die habe ich mir extra für den Jamguri angeschafft«, erwiderte er. »Es ist eine Tetsubin Kyusu. Das Muster nennt sich Sakuramon, es ist sehr selten. Kirsch-Motive. Die meisten Tetsubin – Kannen haben ein Arare – Muster, das heißt Hagel. Das kennen Sie bestimmt, das sind …«

Ich ließ ihn erzählen.

Keine Fragen mehr zu Tee und/oder Kannen stellen, notierte ich auf meinem geistigen Notizblock.

Egal, was ich über diesen Mann noch herausfinden würde – eines stand schon jetzt fest: Er hatte einen ausgeprägten Tee-Fetisch.

Kapitel 5

Wie und wo soll man um Himmels willen putzen, wenn alles blitzeblank ist?, fragt Loretta sich ratlos angesichts ihres neuen Wirkungsbereichs – aber Hilfe ist in Sicht

Irgendwann war Gerhard Dengelmann endlich fertig mit seinem Vortrag zu Mustern auf gusseisernen Teekannen.

Sollte es jemanden interessieren: Die klassischen Dekors waren Arare (Hagel), Hada (Haut), Muji (ohne Muster), Itome (Faden) sowie Bildmotive wie eben dieses Sakuramon, was wiederum die Kurzform für Sakura Monyou war.

Aha.

Nur die Tatsache, dass er diese für mich nur mäßig interessanten Informationen mit dieser wunderbaren Stimme vortrug, ließ mich zuhören. Außerdem: Konnte ja durchaus sein, dass er im Anschluss sagen würde: »So – Stifte raus, wir schreiben einen Test!«

Aber nichts dergleichen geschah. Er stellte seinen Becher zurück auf das gusseiserne Blatt, lehnte sich wieder zurück und musterte mich. Dann sagte er: »Und Sie wollen also für mich putzen.«

Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern und nickte. »Ich brauche einen Job.«

»Schön, schön. Die Wohnung ist groß, das ist keine einfache Aufgabe. Mit schludriger Arbeit werde ich mich nicht zufriedengeben.«

Das hatte ich mir beinahe schon gedacht. Was hatte die gute Frau Berger erzählt – vier Haushaltshilfen in drei Wochen? Das war eine amtliche Schlagzahl. Bestimmt war er von seiner Gattin Jutta, seiner ehemaligen Vollzeit-Haushaltshilfe, gewohnt, dass nirgends auch nur das kleinste Stäubchen lag. Und jetzt machte er die verblüffende Erfahrung, dass man den Chrom-Armaturen im Badezimmer die Benutzung tatsächlich ansah, wenn nicht jemand sofort hinter einem her polierte.

Aber wer konnte das von ihm geforderte Reinheitsniveau schaffen, wenn nicht eine Haussklavin, die ständig um ihn herum war?

»Woraus genau bestehen meine Aufgaben?«, fragte ich.

»Grundreinigung«, erwiderte er. »Wie wäre es, wenn ich Sie mal durch die Wohnung führen würde?«

Die Küche sah aus, als wäre sie noch niemals benutzt worden. Auch hier fand ich – wie schon im Wohnzimmer – Eiche rustikal vor. Auf der meterlangen Arbeitsfläche stand außer einem Toaster lediglich eine Kaffeekapsel-Maschine herum, wie ich sie aus Dennis’ʼ Büro kannte. Es gab einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Darunter stand eine dieser riesigen Plastiktaschen; sie war bis zum Rand mit leeren Pizzaschachteln vollgestopft. Frau Berger hatte also recht damit, dass Dengelmann sich überwiegend mithilfe des Pizzaservices am Leben erhielt. Im Kühlschrank würde ich vermutlich nur ein Toastbrot, etwas Butter und ein Glas Marmelade vorfinden.

Auch das Esszimmer wirkte unbenutzt. Um einen ovalen Tisch herum, über dem ein altmodischer Kronleuchter hing, gruppierten sich sechs Stühle. Dazu gab es noch eine Anrichte – fertig.

Welche Vergeudung von Wohnraum, dachte ich, während es weiter ins Schlafzimmer ging.

Superbreites weißes Schleiflack-Doppelbett, aber Bettzeug nur für eine Person. Über dem Kopfende hing ein Ölgemälde mit einem kitschigen Sonnenuntergang über dem Meer. Frisierkommode, ein Behälter aus Korb für die Schmutzwäsche, Kleiderschrank über eine ganze Wand hinweg, zwei Nachtkonsolen mit schlichten Leuchten, auf einer Konsole stand ein Digitalwecker. Der Boden war bedeckt mit einem flauschigen hellblauen Teppich.

Auch hier – wie übrigens in allen Räumen, die ich bisher gesehen hatte – hingen wallende Spitzengardinen am Fenster.

»Haben Sie Haustiere?«, fragte ich.

Beinahe amüsiert schüttelte er den Kopf. »Du liebe Güte – nein.«

Du liebe Güte – wie hatte ich das überhaupt fragen können? Natürlich gab es hier keine Haustiere. Schließlich schleppten Hunde Straßenschmutz ins Haus und verteilten überall ihre Haare, Katzen schaukelten an Vorhängen und zerkratzten die Möbel, Vögel verstreuten um ihren Käfig herum krümeliges Zeugs.

Und bestimmt machten alle zusammen irgendetwas Unsägliches und Inakzeptables mit seinem kostbaren Tee.

Apropos Tee – nirgends entdeckte ich eine Vitrine oder dergleichen, in dem seine diversen Tee-Service ausgestellt wurden – und ganz bestimmt hatte er mehrere davon. Sicherlich gab es Teesorten, die nicht gerne in bauchigen Kannen waren. Und sollte er das Ostfriesentee-Ritual selbst praktizieren, besaß er todsicher das passende Service dazu. Das echte mit der friesischen Rose drauf. Außerdem benötigte man für das Sahnewölkchen-Ritual zwingend einen stilechten Sahnelöffel aus Ostfriesland, außerdem eine kleine Zange für den Kandis.

So gesehen musste diese krude Mixtur aus japanischem Gusseisen und Gelsenkirchener Barock für ihn eine mentale Herausforderung sein. Vermutlich pflegte der Japaner an sich zum Tee auch weder Zucker noch Milch oder gar schnöde Plätzchen zu reichen, und er hatte es mir nur angeboten, weil er ein guter Gastgeber sein wollte.

Nun, noch hatte ich nicht gecheckt, was sich hinter den Türen der Küchenschränke verbarg. Obwohl – irgendwie hätte ich ihn nach der eingangs zelebrierten Nummer mit dem handgerollten Tee und der besonderen Kanne dazu so eingeschätzt, dass er seine Leidenschaft gern zur Schau stellte, um sich als kultivierter Mensch zu präsentieren.

Doch vielleicht hatte er mich auch nur einschüchtern wollen, um die Fronten von vornherein klarzustellen. Er war der Massa, ich die kleine, dumme Putze, die ganz bestimmt nur Billig-Beuteltee vom Discounter kannte.

Von mir aus sollte er sich überlegen fühlen, das kam mir und meinem Auftrag nur entgegen. Menschen, die ihr Gegenüber unterschätzen, sind im Allgemeinen leichter zu überführen.

Wobei noch zu klären war, ob es überhaupt etwas zu überführen gab.

Vom Schlafzimmer aus ging es ins Bad, das die Ausmaße eines mittleren Tanzsaales hatte. Weiße Keramik vor altrosa Fliesen – nun ja. Doppelwaschtisch, ausladende Spiegel, riesige Dusche mit Glaswänden, Badewanne für mindestens drei Personen, farblich passend zu den Fliesen die Handtücher und die fluffigen Badteppiche, Schrankmöbel in Weiß, hinter deren Türen sich mit Sicherheit noch viel mehr farblich Passendes verbarg.

Wir gingen weiter und kamen an einer Tür vorbei.

»Das ist mein Arbeitszimmer«, sagte er. »Das gehört nicht zu Ihren Aufgaben.«

Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich mir umgehend vornahm, bei nächster sich bietender Gelegenheit meine neugierige Nase in die verbotene Zone zu stecken. Nicht mein Aufgabenbereich – tss. Das hatte gewiss nicht Gerhard Dengelmann zu entscheiden, was ich als meinen Aufgabenbereich betrachtete.

Wir kehrten zurück ins Wohnzimmer, und er ging zu einem der Fenster, um die Gardinen zurückzuschieben. Dahinter kam eine Balkontür zum Vorschein.

»Hier ist der Balkon«, erklärte er das Offensichtliche. »Zu dieser Jahreszeit nutze ich ihn natürlich nicht.«

Ich spähte an ihm vorbei und entdeckte eine halb überdachte Loggia von der Größe einer handelsüblichen Zweizimmerwohnung. Tja, damit wäre dann auch erklärt, wofür einige der vielen Quadratmeter dieser Wohnung verplempert worden waren: Bad und Balkon.

Mit einer Handbewegung bat er mich zurück in den Sessel, dann schenkte er noch einmal Tee ein.

»Sind Sie eigentlich zeitlich flexibel?«, fragte er.

Ich nickte. »Absolut.«

»Ich würde Sie gern noch etwas fragen«, sagte er, als er mir den kleinen Becher anreichte.

»Nur zu.«

»Warum müssen Sie putzen gehen?«

Okay, das war reichlich neugierig. Das ging ihn mal so gar nichts an. Aber ich wollte ja einen guten Eindruck machen und mich nicht gleich bei der ersten Begegnung als sperrig präsentieren.

»Meine finanzielle Situation ist ein wenig angespannt«, erwiderte ich also. »Dieser Job würde mich deutlich ruhiger schlafen lassen.«

Er nickte wissend, und ich wusste, was er dachte: Die lebt von Hartz IV und will ein paar Kröten nebenher machen, möglichst schwarz.

»Ich werde Ihre Tätigkeit bei mir ordnungsgemäß anmelden, das ist Ihnen hoffentlich klar«, sagte er.

»Selbstverständlich. Davon gehe ich aus. Alles muss seine Ordnung haben.«

Damit hatte er nicht gerechnet, und seine Brauen hoben sich überrascht. »Sie leben nicht vom Staat?«

Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Wie kommen Sie darauf?«

Ich wusste, wie er darauf kam: Ich war zeitlich flexibel, also arbeitslos, und ich brauchte Geld.

»Äh … Ich dachte, weil Sie zeitlich flexibel sind, können Sie ja sonst nicht … äh … arbeiten gehen, oder?«, eierte er peinlich berührt vor sich hin.

»Ich bin Freiberuflerin«, sagte ich.

»Ach wirklich? Darf ich fragen, was Sie machen?«

Herrgott, warum hatte ich ihn nicht einfach glauben lassen, dass ich von Hartz IV lebte? Welcher Teufel hatte mich denn jetzt schon wieder geritten? Jetzt musste ich mir irgendeinen Blödsinn ausdenken, der tunlichst auch noch überzeugend klingen sollte. Aber hätte ich auf die Hartz-IV-Story abgenickt, hätte es wahrscheinlich die Beamtenseele in ihm umgetrieben, ob ich meine Tätigkeit bei ihm auch schön brav beim Jobcenter anmeldete. Ich musste mir schnell etwas ausdenken, womit plausibel war, dass ich zwar nicht arbeitslos war, aber trotzdem frei über meine Zeit verfügen konnte.

Also haute ich das Erstbeste raus, das mir einfiel: »Ich bin Lektorin.«

»Ach, tatsächlich? Interessant. Was macht man als Lektorin denn so?«

Verflucht! Um Zeit zu gewinnen, nippte ich meinen Tee, während ich hastig mein Gehirn nach dem durchforstete, was ich von meiner Freundin Isolde, die ja Schriftstellerin war, über Lektoratstätigkeit wusste. Sie hatte mit solchen Existenzen zu tun, die ihre Texte durchforsteten, damit auch alles gut lesbar und stimmig war, bevor die Druckerschwärze Fakten schaffte. Erst neulich hatte sie mir vom Spleen ihrer Lektorin erzählt, die den Namen Erik notorisch nicht leiden konnte und eine ihrer Figuren in Isoldes neuestem Manuskript unbedingt umbenennen wollte. Viel wusste ich nicht gerade, aber unter den Blinden war der Einäugige stets König. Und wenn er gar keine Ahnung davon hatte, konnte ich mich mit meinem Halbwissen hoffentlich aus der Affäre ziehen.

»Ich bearbeite die Texte von Autoren und Journalisten. Sprachlich, meine ich. Deshalb kann ich meinen Tag frei einteilen.«

»Aha. Hm, hm. Wirklich interessant. Und das reicht nicht zum Leben?«, bohrte er weiter.

Innerlich verdrehte ich die Augen. Verdammt – was wusste ich denn, ob das reichte oder nicht?

»Der Markt ist umkämpft. Es gibt viele freie Lektoren, die ihre Arbeit zu Dumpingpreisen anbieten«, fabulierte ich munter drauflos. »Ich weiß nie, wann ich den nächsten Auftrag ergattere – also weiß ich nie, wie lange ich mit meinem Geld, das ich verdient habe, auskommen muss.«

Tja, dachte ich, als ich sein entgeistertes Gesicht sah, von so etwas hast du als satter Beamter keine Ahnung, richtig? Selbst im Ruhestand kommt monatlich der dicke Batzen aufs Konto geflogen, und du musst dir um deine nächste Miete ganz bestimmt keine Sorgen machen. Ich dagegen … halt, stopp. Reiß dich zusammen, Loretta.

Offenbar steigerte ich mich gerade etwas zu sehr in meine Rolle hinein. Aber einen wollte ich noch drauflegen.

Ich seufzte dramatisch und fuhr fort: »Als wäre das nicht schon nervenaufreibend genug, hat man als Freiberufler ständig das Finanzamt im Nacken. Und ich muss mich selbst krankenversichern, das ist kein Pappenstiel. Ich kämpfe permanent um meine Existenz. Wenn ich bei Ihnen monatlich 450 Euro dazuverdienen könnte, würde mir das schon sehr helfen.«

»Äh, ja … natürlich. Da zählt sicherlich jeder Euro. Dann versuchen wir es miteinander?«

Ich lächelte strahlend. »Von mir aus gern. Aber jetzt hätte ich noch eine Frage.« Auf sein Nicken hin fuhr ich fort: »Leben Sie allein hier?«

»Warum wollen Sie das wissen?« Er musterte mich entschieden misstrauisch.

»Weil es für mich durchaus wichtig ist, wie viele Personen in der Wohnung leben, die ich putze. Eine Person macht weniger Schmutz als mehrere, nicht wahr? Zum Beispiel wird weniger Geschirr benutzt. Ich möchte kalkulieren, wie viel Zeit ich für die einzelnen anfallenden Aufgaben benötige. Vielleicht handelt es sich nur um wenige Minuten mehr oder weniger, aber aufs große Ganze gerechnet, macht es für mich durchaus einen Unterschied.«

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