Читать книгу: «Ostfriesisches Komplott», страница 2

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3.

Die Arbeit beginnt

Mieke Janßen nimmt einen großen Schluck Tee aus ihrer Tasse. Sie wirft dem Kollegen Günter von der Spurensicherung einen forschenden Blick zu. Die beiden reden über den Täter, den Mann, der Albert Ukena erstochen und ihm die Augen aus den Höhlen geholt hat. Und über seine Signatur am Tatort. Da ist doch einer gewesen. Der Mörder. Also ein Mensch. Einer, der geatmet und gedünstet, vielleicht geschwitzt oder, wenn er dumm gewesen ist, ins Gebüsch gespuckt hat.

»Na? Was sagt der große Fährtenleser? Der amtierende Weltmeister unter den Spionen und Kundschaftern?«

Günter beantwortet den Blick aus trägen Augen unter schweren Lidern. Er ist selten zu Scherzen aufgelegt, heute schon gar nicht. »Was der sagt? Nichts sagt der. Kein Stück. Weil er nichts gefunden hat.«

Also ist der Täter nicht dumm gewesen. Die Oberkommissarin beugt sich trotzdem vor. »Wie denn? Nichts? Kein Hautfetzchen? Kein Schweiß, kein Tropfen von irgendwas? Das gibt’s doch nicht!«, entfährt es ihr.

»Nichts, rein gar nichts. Der hat noch nicht mal gefurzt.«

»So? Woher weißt du das?«

»Es hat nicht danach gerochen«, sagt Günter spröde und seine Lider senken sich zu einem schmalen Spalt.

Das sollte wohl lustig sein, oder zumindest das, was der Kollege in seiner kruden Art für humoristisch hält. Mieke kann es aber nicht komisch finden. Sie streicht ihr blondes Haar zurück. »Und das Tape? Das um die Augen gewickelt war?«

»Kannst du für ein paar Euro in jedem Baumarkt finden.« Gelangweilt zählt Günter die Baumärkte auf, bis ihn die Oberkommissarin unterbricht.

Sie lehnt sich zurück, in ihrer Hand dreht sich der Bleistift. »Schlechter Tag?«

»Kaum schlechter als alle anderen«, sagt der Kollege leicht bissig. Günter schielt auf Miekes Teetasse, sie sieht es und will ihm einschenken, aber er schüttelt den Kopf. »Das sind die dürren Fakten, gewöhne dich daran. Der Täter hat absolut nichts hinterlassen. Er hat wohl feste Kleidung getragen, kein auffälliges Schuhwerk. Er hat weder geschwitzt noch ins Gebüsch gespuckt. Was er gesagt hat, wissen wir nicht.« Wieder so ein galliger Scherz. Günter steht auf. »Ist noch was? Jetzt sofort?«

Die Oberkommissarin schüttelt den Kopf.

»Bericht kommt«, murmelt Günter und geht zur Tür. Der Mann ist seit Jahren frustriert. Er wartet auf die Beförderung, die irgendwo zwischen Hannover und Aurich hängen geblieben ist. Seine Arbeit tut er trotzdem, aber ohne Begeisterung.

Draußen wartet Werner Schmalfuß, der Spaziergänger aus dem Wald. Er war für acht bestellt, aber er hat sich verspätet. Um ganze 30 Minuten. Stiller Protest oder Schlamperei?

Mieke versteht diesbezüglich jedenfalls keinen Spaß. »Wenn ich sage 8 Uhr, dann meine ich es auch so. Das nächste Mal lasse ich Sie abholen, Herr Schmalfuß.«

Der verbeißt die Lippen zu einem harten Strich. Schlechter Beginn für eine Zeugenvernehmung, denkt Mieke.

Ob er hier rauchen dürfe?

Nein, dürfe er hier nicht.

Tee wolle er auch nicht, das sei kein Ersatz für die Zigarette. Das Gesicht des Zeugen wird endgültig zur steinernen Maske. Kein Wunder, dass die Atmosphäre frostig ist. Werner Schmalfuß ist kurz angebunden, seine Antworten kommen mürrisch. Die Oberkommissarin überlegt kurz, ob sie den Zeugen reizen soll, etwas Unbedachtes zu sagen. Dann lässt sie es. Unnötige Mühe. Verschwendung von Zeit und Energie. Ist es besser, wenn sie ihn rauchen lässt? Nein, so weit geht die berühmte Liebe nun doch nicht. Der Mann hat den Ermordeten als Erster nach der Tat gesehen, vielleicht sogar zu einem Zeitpunkt, als der Mörder noch im Wald war. Aber Mieke weiß, wie man sich in einer solchen Lage fühlt. Und sie weiß die Art der Antworten als das einzuordnen, was sie ist: keine Unwilligkeit zu kooperieren, sondern Ausdruck eines aufgewühlten Gemüts. Die Befragung ergibt auch keine Neuigkeiten. Schmalfuß wiederholt, was er schon am Tatort gesagt hat. Der Hund sei plötzlich stehen geblieben, ging keinen Schritt mehr. Gebellt oder geknurrt habe er nicht. Dann sei er selbst rein ins Gebüsch und habe die Leiche gefunden. Gesehen habe er nur die Reiterin, aus der Ferne, sie bog in einen anderen Weg ab.

»Was war das für ein Pferd?«, will die Oberkommissarin wissen.

»Eins mit vier Beinen«, sagt der Zeuge Schmalfuß spöttisch. Dann sieht er ihren Blick und schiebt etwas lahm hinterher: »Sorry, ich verstehe nichts von Pferden. Soweit ich mich erinnere, war es ziemlich dunkel. Braun.«

Mieke lässt das Protokoll ausdrucken, Schmalfuß unterschreibt. »Ich werde Sie vielleicht noch brauchen«, sagt die Oberkommissarin. Es klingt in seinen Ohren wie eine Drohung. Schmalfuß nickt knapp. »Grüßen Sie Ihren Hund.«

Er lächelt nicht, sondern verschwindet wortlos. Sie sieht ihn unten über die Straße laufen, Richtung Rathaus, dort hat Schmalfuß seinen Wagen abgestellt. Auf dem Parkplatz des Bürgermeisters glänzt eine neue Oberklassenlimousine, ein Benz. Mieke wundert sich nicht darüber und dann wieder doch. Bachmann liebt große Autos, das weiß die ganze Stadt. Seine Frau hat auch eine Schwäche dafür, sie fährt seit ein paar Monaten einen weißen SUV der Marke BMW. Arm scheint er nicht eben zu sein, der Herr Bürgermeister. Was verdient der eigentlich so?, schießt es ihr durch den Kopf.

Dann läutet das Telefon. Der Inspektionsleiter will sie sprechen. Es geht um den Mord im Wald von Wallinghausen.

Zur gleichen Zeit steht Bachmann ebenfalls am Fenster seines Büros. Auch er sieht den Zeugen Schmalfuß über den Parkplatz gehen. Er denkt sich nichts dabei, weil er den Mann nicht kennt. Außerdem hat der Bürgermeister andere Sorgen. Es geht ihm eine Menge durch den Kopf. Der Tote und die Art, in der Albert Ukena ums Leben gekommen ist. Die Männer in seinem Umfeld. Darüber, was sie zusammengeführt hat, durch seine, Bachmanns, Auswahl. Es hat halt alles recht schnell gehen müssen und die Zahl der solventen Partner ist nicht besonders groß gewesen. Eher übersichtlich. Also klein. Leute mit Geld sind gesucht worden, mit viel Geld, Geld, das sofort verfügbar gewesen ist. Anders ist ja das ganze Projekt nicht zu heben gewesen. Er selbst hat gewarnt, nun lass uns das mal in Ruhe angehen, aber der andere hat nichts davon wissen wollen. In Ruhe? Heute geht nichts mehr in Ruhe. Wer den rasanten Zeittakt des Lebens nicht aushalte, der verabschiede sich von der Teilnahme daran. Es müsse sofort gehandelt werden. Hat von einem kleinen Zeitfenster gesprochen, einem »window of opportunity«, das sich bald schließen würde.

Ärgerlich schüttelt der Bürgermeister den Kopf. Dass man im Kreishaus immer so geschwollen daherreden muss. Modern, nennt man das dort. Er hört Frau Vossen draußen telefonieren. Sie bereitet seine Termine vor. Davon hat er heute nicht viele, aber wichtige. Der Rat tagt zum Thema neuer Haushalt. Und heute Nachmittag der Finanzausschuss. Dazwischen Gespräche und Beratungen. Auch im Kreishaus. Da holen ihn seine alten Gedanken wieder ein. Die Regeln sind glasklar. Jeder hat sie gehört und ist einverstanden gewesen. Auch Albert Ukena hat sie gehört, aber vielleicht hat er nicht zugehört. Wer dabei ist, verdient eine Menge Geld. Aber alle haben unbedingtes Stillschweigen zu bewahren. Wer das nicht macht, der ist draußen. Draußen. So hat es damals geheißen. Jetzt weiß Bachmann, was das bedeutet, draußen. Nämlich tot. Wer das Maul nicht halten kann, der ist tot, so lautet die Regel. Dass man weg ist vom Fenster, weg von den Fleischtöpfen Ägyptens, so viel hat jeder gewusst. Aber dass ein Verstoß so grausam bestraft wird, das nicht. Jetzt ist es klar. Hoffentlich allen. Wen der Griff ans große Geld oder dessen Verlust nicht diszipliniert, der muss halt büßen. Zur Not mit der Höchststrafe. Zur Not? Nein, in jedem Fall. Und wenn der Kaufmann und Reeder Jan Christoffers nicht aufpasst, dann ist er der Nächste. Aber wer ist der Täter? Der Vollstrecker? Wer ihn steuert, das weiß Bachmann jetzt. Das ist er, der Mann im Kreishaus. Er wird ihn heute noch sehen. Mit ihm reden. Nicht darüber, denn sie sind nicht allein. Aber Bachmann weiß schon jetzt, dass es ihm schwerfallen wird, seine Gedanken auf die Politik zu richten.

4.

Unruhe

Auf der Titelseite der Auricher Rundschau springt ihm die erwartete Schlagzeile ins Auge. »Prominenter Bürger der Stadt brutal ermordet!« Sein Herz macht einen kleinen Hopser, aber es beruhigt sich sofort. Du stehst in der Zeitung! Genüsslich lehnt er sich zurück, nimmt noch einen Schluck Kaffee und faltet die Rundschau langsam auf. Das Papier knistert, es ist ihm Musik in den Ohren. Zuerst tasten seine Augen über den Artikel, er ist mehrere Spalten breit und sehr ausführlich. Das gefällt ihm. Dann liest er. Wort für Wort und sehr sorgfältig. Die Tat wird langatmig geschildert. Auch der Fundort der Leiche im Wallinghausener Wald, der Spaziergänger, der die Leiche entdeckt hat. Sogar sein Hund wird erwähnt. Auf die Einzelheiten wird aber verzichtet. Auch das Tape verschweigt man. Dann folgt das Eingeständnis fehlender genetischer Spuren am Tatort. Nichts gebe es dort, überhaupt nichts habe man gefunden. Der Rest ist leeres Geschwätz. Wortakrobatische Hülsen. Wilde Vermutungen zum Täter. Spekulationen über sein rätselhaftes Motiv. Kann er überhaupt eins gehabt haben? Doch wohl nicht. Zynischer Zufall. Die Polizei tappt völlig im Dunkeln. Ermittlungen erst am Anfang. Erfolgsaussichten höchst ungewiss, wenn nicht gar zweifelhaft. Warme Zufriedenheit erfasst ihn.

In einem Leitartikel wird dem Toten nachgeweint und dem schweren Verlust für ganz Ostfriesland. Ausgerechnet Albert Ukena. Tiefe Bestürzung über diese abscheuliche Tat, ihre Sinnlosigkeit, die Tragik des Opfers. Abscheu. Welch großartiger Mensch er gewesen sei. Erfolgreicher Unternehmer und Förderer der Stadt. Ehrbarer Bürger, Vorbild für uns alle. Einer, der anpackte und half, wo es notwendig war. Der dabei seine eigenen Mittel nicht schonte. Mäzen und Gönner. Auf diesen Sohn Aurichs könne man gewiss stolz sein. Ein ehrendes Gedenken sei das Mindeste. Als er diese Zeilen liest, werden seine Augen schmal und das Kinn hart. So ein Schwein. Arrogantes Stück Scheiße. Schade? Um den? Im Leben nicht! Er muss an sich halten, um nicht auszuspucken. Angewidert wirft er die Rundschau auf den Tisch und langt nach seiner Kaffeetasse. Doch schon nach dem ersten Schluck setzt er sie ab. Kalt. Einen Augenblick lang denkt er an seinen Auftraggeber. Er hat ihn getroffen, gestern Abend noch, auf einer Brache vor der Stadt. Es war ein fast feindseliges Gespräch, mit einem Mal hat der feine Herr Skrupel bekommen. »Ich habe gesagt, Sie sollen ihn beseitigen. Mehr nicht. Ihre perversen Spielereien missfallen mir.«

Er hat sich das Lamento angehört, aber es hat ihn weniger berührt als das Summen einer Fliege im Sonnenlicht. »Wenn ich mir schon für Sie die Hände dreckig machen soll, tue ich es auf meine Art«, hat er schroff geantwortet. Und dann angefügt: »Wenn es Ihnen nicht passt, dann machen Sie es doch selbst.«

Darauf ist der andere nicht eingegangen. »Was sollte das Tape? Die ausgestochenen Augen?«

»Es ist ein Zeichen«, hat er selbst trocken geantwortet und der andere ist aufgefahren.

»Ein Zeichen? Wofür?«

»Ein Zeichen für mich. Mein Markenzeichen.«

Sein Gegenüber hat ihn angesehen wie einer, der einen zu vollen Jaucheeimer anfassen soll. »Übertreiben Sie es nicht, Mann. Lassen Sie die Kirche im Dorf. Jedes unnötige Beiwerk ist ein Faden, an dem Ermittler ziehen können, denken Sie daran.«

Übertreiben Sie es nicht? Lassen Sie die Kirche im Dorf? Was soll das heißen? So spricht einer, der noch Aufträge hat. »Wobei soll ich die Kirche im Dorf lassen?«, hat er spöttisch gefragt. »Haben Sie denn weitere Stücke zu schlachten?«

Da hat sich der andere mit einem Ruck abgewendet und ist in die Nacht verschwunden. »Sie hören von mir!«, hat er noch von sich gegeben.

Für einen Moment verlor er selbst die Beherrschung. »Glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich in der Hand haben. Es ist mindestens auch umgekehrt!«, fauchte er, doch da hatte die Dunkelheit den anderen schon verschluckt. Er hörte nur noch seine Schritte. »Aber Sie bezahlen mich, das ist doch wohl klar. Und das nächste Mal vorher. Auf die versprochenen 30.000 werde ich nicht verzichten!«, röhrte er ihm zornig hinterher.

Daran denkt er jetzt wieder, aber sein Atem geht ruhig, ebenso sein Herz. Er macht sich null Sorgen. Es ist eine Fügung gewesen, ein Zusammentreffen von Umständen, die eben passten, damals, bei seiner Einstellung im Landkreis. Wie solche Dinge sich manchmal ergeben, es lohnt nicht, darüber nachzudenken. Er hatte sich schon damit abgefunden, dass ein anderer den Posten bekommt, und wurde dann, als er eben gehen wollte, zu seiner Verwunderung in das große Amtszimmer gerufen. Der Mann wies ihm grußlos den Stuhl vor dem Schreibtisch an und schloss die schwere Tür. Der massive Eichentisch war blank und leer, vor dem Mann lag nur die Bewerbungsakte, ein dünner Hefter mit wenig Inhalt. »Sie sind schon lange arbeitslos.« Eine Feststellung, die verdammt nach Vorwurf klang. Und dann: »Es spricht für Sie, dass Sie versuchen, diesen Zustand zu ändern.«

Er hörte zu, während sich im Kopf die Räder drehten. Was will der, fragte er sich, was will er von dir? »In diesem Fall ja wohl wieder einmal vergeblich«, antwortete er trocken.

Der andere schloss die Akte und musterte ihn kühl wie jemand, der sich vor einer Entscheidung zum letzten Mal vergewissern will. »Nicht unbedingt.« Jawohl, die Stelle als Hausmeister in der IGS werde anders besetzt, aber es gebe eine weitere Möglichkeit. »Arbeiten Sie gerne an der frischen Luft?« Er dachte über die Frage nach, aber der andere wartete seine Antwort gar nicht ab. »Es gibt da einen Punkt in Ihrem Leben, über den ich mit Ihnen reden muss.«

Was weiß der über mein Leben?, schoss es ihm durch den Kopf.

Und dann las der Mann ihm brühwarm die Leviten. Tischte ihm diese alte Jugendsünde auf, die Sache mit dem jungen Fuchsweibchen, das er im Wald mit der Falle gefangen, an einen Baum gebunden, danach mit einem Stich in den Hals stimmlos gemacht und lebendig gehäutet hatte. Woher wusste er davon? Nachdem alles vorbei gewesen war, hatte er den Kadaver im Wald vergraben, an einer anderen Stelle, gut einen Meter tief. Ein Nachspiel hatte der Vorfall nicht gehabt, niemand hatte ihn beobachtet. Oder doch?

Als der andere wieder sprach, klang seine Stimme leicht angewidert. »Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, ziemlich unappetitlich. Haben Sie da eine spezielle Neigung?« Das »spezielle« hatte er besonders betont und dabei seine Augen schmal gemacht. So einen nimmt man nicht in den öffentlichen Dienst, das sagte der Mann nicht, aber es klang durch.

Er wollte schon aufstehen– ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen, noch weniger habe ich mich vor Ihnen zu rechtfertigen –, aber da war der Job und seine lange Hartz-4-Zeit, die ihn ankotzte.

»Das bleibt unter uns. Ich nehme Sie trotzdem. Wir brauchen Gärtner«, sagte der Mann hinter dem großen Schreibtisch und fügte an: »Ihren Job verdanken Sie mir. Ich erwarte als Gegenleistung Ihre Gewogenheit.« Was das genau hieß, blieb offen, er fragte auch nicht danach.

Vor vier Monaten hat dieses Gespräch stattgefunden, vor vier Monaten und sieben Tagen, um genau zu sein. Und dann ist der Anruf gekommen. Sie haben sich auf der Brache getroffen, der andere hat geredet. Er hat zugehört und keine Fragen gestellt, es war nicht nötig, denn alles war ebenso klar wie einfach. Das Opfer kannte er, ein arrogantes Stück Mist, um das es nicht schade war. Er hatte sogar einen persönlichen Grund, ihn nicht zu mögen, denn beim letzten Stadtfest hatte er den Kerl gegrüßt, und der hatte blasiert über ihn hinweggesehen. Zu den Gründen für den Auftrag hat der Mann nur das Nötigste gesagt. Es gebe da ein gemeinsames Geschäft, das Diskretion verlange, aber der Ukena könne den Schnabel nicht halten. Das bringe alle in Gefahr, die damit zu tun hätten. Ukena müsse zum Schweigen gebracht werden. Er hörte sich das an, ohne weiter darüber nachzudenken. Es kümmerte ihn nicht. Aber schon damals bewunderte er die Umsicht des anderen. Das musste wohl ein pikantes Geschäft sein, von dem der da sprach, und ein großes. Auch eins, über das man nicht öffentlich reden durfte. Also eins, das nicht sauber war. Folglich musste der Mann frühzeitig erwartet haben, dass einer der Beteiligten quatschen würde. Und hat für den Fall Vorsorge getroffen. An diesem Punkt hörte er selbst auf, sich mit den Hintergründen zu befassen. Sie gingen ihn nichts an, sie interessierten ihn nicht. Der Rest war fast ein Kinderspiel. Sein Plan für die Tat war bald fertig, die notwendigen Fakten rasch ermittelt. Und die Umsetzung hat ihm ein stilles Vergnügen bereitet, diesen seltsamen Kitzel, den er so gern spürt.

Den er vielleicht wieder spüren wird, denn es hat ihm so geklungen. Er wäre jedenfalls bereit, und die weiteren 30.000 könnte er gut gebrauchen. Er legt die Zeitung zusammen und gießt sich einen neuen Kaffee ein. Während er trinkt, sieht er auf die Küchenuhr. Noch zwei Stunden bis zu seiner Schicht. Behaglich streckt er die Beine.

Der Leiter der Polizeiinspektion Aurich ist sehr sachlich. Polizeioberrat Rüster ist fast ein zu nüchterner Vorgesetzter. Mieke kennt ihn schon seit Jahren, wie man sich eben in der Polizei Ostfrieslands kennt. Man läuft sich immer wieder über den Weg. Bei ihrer Versetzung nach Aurich vor einem halben Jahr ist Rüster schon da gewesen, er hatte seinen Vorgänger, Direktor Wehner, bereits abgelöst. Mieke Janßen hat den Chef niemals aufgeregt oder sogar unbeherrscht erlebt. Rüster ist manchmal etwas spöttisch, das schon, aber immer staubtrocken, ein friesischer Kaltblüter. Auch jetzt hebt er kaum die Stimme. »Natürlich erregt diese Tat in der Stadt eine besondere Aufmerksamkeit. Auf Neudeutsch nennt man das ›Visibilität‹. Ukena war ja schließlich nicht irgendwer. Er gehörte zur Auricher Elite.« Der Polizeioberrat wartet schon eine ganze Weile auf seine Beförderung zum Direktor. Seine Einweisung in die Besoldungsgruppe A 15 zieht sich. Der neue Finanzminister hat nach der Landtagswahl eine Haushaltssperre verfügt, die immer noch andauert. Rüster ist ein Stoiker. Es ist klar, dass ihn die Sache ärgert, aber er zeigt es nicht. »Auf unsere Arbeit hat das keinen Einfluss. Wir ermitteln genauso, als würde es sich um einen Malocher vom flachen Land handeln«, hört die Oberkommissarin. Was den Täter betrifft, ahnt Rüster nicht, wie nahe er damit der Wahrheit kommt. Mieke auch nicht. Ihr fällt nur auf, dass der Oberrat von »unserer« Arbeit spricht und ihre meint. »Die Sonderkommission steht. Keine Rücksichten!«, fährt der Inspektionsleiter fort. »Gehen Sie ran, Frau Kollegin, auch bei der Staatsanwaltschaft. Wenn es Probleme gibt, kommen Sie zu mir.«

Sie nickt und nimmt die Spurenakte vom Tisch, aber der Chef ist noch nicht fertig. »Ich muss nicht betonen, dass der Fall trotzdem wichtig ist. Wir wollen ihn schnell lösen. So schnell wie möglich.« Wieder das »wir«, wo ein »Sie« gemeint ist. Und der Fall? Wichtig? Schnell lösen? Also doch nicht ganz so wie bei einem Malocher vom flachen Land?

Der Oberrat schenkt beiden Tee nach. Er ist gebürtiger Auricher, aber seine Familie stammt aus Pommern. Rüster blickt sinnend in seine Tasse, schaut zu, wie die Sahne im Tee verläuft. Dann hebt er den Kopf. Auf seinen Lippen steht ein nachdenkliches Schmunzeln. »Kollege Janßen hat ja nun Urlaub. Wenn Sie ihn brauchen, hole ich ihn zurück.«

Hauptkommissar Jonte Janßen ist Leiter des Fachkommissariats 1, jetzt mit seiner Frau in Ferien auf Norderney. Mieke gehört zu seinem Team, das Rüster manchmal scherzhaft als »Kampfgruppe Janßen« bezeichnet. Verwandt sind die beiden nicht, es handelt sich lediglich um eine vollständige Namensgleichheit. »Ob ich mich daran gewöhnen kann, weiß ich nicht«, hat Rüster grinsend bemerkt, als er die Polizeiinspektion übernommen hat. Jetzt legt er nach. Wird sogar ironisch. »Sie brauchen es nur zu sagen und Jontes Urlaub ist gestrichen. Er würde sich übrigens riesig freuen.«

Mieke schüttelt den Kopf. »Bloß nicht!«, versetzt sie selbstsicher.

Rüster nickt, er hat es nicht anders erwartet. »Ist ja auch doof, dass gerade jetzt Kollege Bullerjahn auf Lehrgang ist.«

Kriminalrat Bullerjahn ist Leiter des Zentralen Kriminaldienstes und besucht, kurzfristig abberufen, ein mehrwöchiges Weiterbildungsseminar in Hannover. Das ist auch der Grund, warum beide hier sitzen; der Chef nimmt Bullerjahns Aufgaben zusätzlich wahr, weil Jonte im Urlaub ist. »Sie müssen halt mit mir vorliebnehmen«, sagt Rüster, ohne zu lächeln, »aber die anderen sind ja auch noch da.«

Die anderen, das sind zwei Kollegen aus dem Fachkommissariat 1. Oberkommissarin Banafsheh Schariatmadari, das »Veilchen«, und Oberkommissar Frerich Frerichs. Mit Mieke bilden sie den Kern der Sonderkommission, die eigentlich eher eine erweiterte Ermittlungsgruppe ist. Wie bei Mord üblich, arbeiten die übrigen Fachkommissariate zu. Der Leiter der Polizeiinspektion hat Mieke Janßen mit der Führung der Mordkommission beauftragt. Frerichs hat gerade eine Brandstiftung am Hals und Frau Schariatmadari ermittelt in einer Schutzgeldsache. Es ist die übliche Lage. Viel Arbeit für zu wenig Leute. Es wird, es muss auch so gehen, denkt die Oberkommissarin. Mieke erhebt sich. »Das ist nicht nötig«, sagt sie fest. Noch nicht.

Rüster nickt entspannt. »Viel Erfolg! Und kommen Sie zu mir, wenn es Schwierigkeiten gibt.« Das sagt er wieder. Ob er es bei Jonte auch gesagt hätte? Rüster ist nicht nur ein Stoiker, er kann auch Gedanken lesen. »Würde ich dem Kollegen Janßen bei diesem Fall auch anbieten. Im Übrigen weiß ich sehr gut, was Sie können. Sie werden es schaffen.«

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
293 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839269725
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