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Die Klempnerkolonne

Mieczysława Jarosz’ Zeit als Blockälteste im Block 20 fiel in das letzte halbe Jahr im Lager, bis zur Befreiung im April 1945. Aus der jungen Frau, die 1942 mit einundzwanzig Jahren ins Lager gekommen war, die so viel Heimweh und Sehnsucht nach ihrer Mutter hatte, war innerhalb von zwei Jahren eine Strategin geworden. Immer noch verletzlich, doch mit großem Mut ging sie als Blockälteste erhebliche Risiken ein. Mir schien, als seien die Kraft und Weitsicht der Mutter, von denen ich durch Mieczysławas Schilderungen aus der Kindheit einen tiefen Eindruck bekommen hatte, auf sie übergegangen. Als wir uns am dritten Tag mit einem Blumenstrauß verabschiedeten, gab sie uns noch schriftliche Zeugnisse mit, in denen Erinnerungen enthalten seien, die sie vergessen habe zu erzählen. Eine Geschichte daraus – die über die Klempnerkolonne – möchte ich hier wiedergeben. »Im Oktober 1944 kam infolge eines Antrags, den ich bei der Hauptaufseherin stellte, vom benachbarten Männerlager eine Klempnerkolonne in den Block 20, geführt von Wachmann Walter. Am ersten Tag kam Walter in den Dienstraum und bat darum, etwas Suppe für die im Lager arbeitenden Männer zu organisieren. Drei Wochen lang wurden sie dann von Polinnen aus der Küche mit einem halben Kessel Suppe versorgt. Im Laufe dieser Zeit schmuggelten die Männer Informationen für Verwandte und Bekannte in unser Lager und holten Lebensmittel, vor allem Brot und warme Kleidung ab. Mit der Beschaffung und Übergabe von Proviant und Kleidung beschäftigten sich Hanna Burdówna16 und Maria Brandys. Trotz der Gewogenheit, die Walter den Häftlingen gegenüber zeigte, hielten wir die Übergaben der ergatterten Sachen vor ihm geheim. Ich bat ihn einfach, für diese Zeit in meinen Dienstraum zu kommen. Es war nicht einfach, irgendeine Beschäftigung für die Kolonne zu finden. Die zu erledigende Arbeit neigte sich dem Ende zu, aber jeder Tag war für die Männer wichtig. Jeder Tag bei uns verlängerte ihnen das Leben

Mieczysława Jarosz erzählte auch, dass es in dieser Zeit heimliche Beziehungen zwischen den Männern und einzelnen Frauen auf ihrem Block gab. Eine Entdeckung hätte zu harten Strafen geführt – auch für die verantwortliche Blockälteste. Ihr blieb nichts anderes übrig, als diese Beziehungen zu decken.

»Um sich für die Arbeit auf dem Block 20 zu bedanken, fertigten die Männer ein Dutzend dreieckiger Bretter, die, an den Zimmerecken befestigt, als Standfläche dienten. Zu den Arbeiten, die ich mir für die Klempnerkolonne ausgedacht hatte, gehörte unter anderem die Anbringung einer Ablage, die im WC der Blockaufseherin auf dicken Leisten befestigt werden sollte. Einige Monate später zählte sie zu den wertvollsten Arbeiten. Diese Ablage rettete nämlich gefährdete Frauen, die man während der Selektion für die Gaskammer auswählte. Sie diente als Stufe zum Dachboden über dem Dienstraum, wo ein Dutzend Frauen aus verschiedenen Blöcken während jeder Selektion ein Versteck und damit Rettung vor dem Tod fanden

Auch Zofia Ciszek, eines der polnischen Versuchsopfer, konnte durch dieses Versteck gerettet werden17.

Im Lager zwischen allen Lagern

Mieczysława Jarosz berichtete über ihre Schwierigkeiten, sich zwischen Aufseherinnen, SS und Häftlingen zu bewegen. Einerseits hatte sie für eine gewisse Ordnung im Block zu sorgen, andererseits wollte sie den Aufseherinnen keine Gelegenheit geben, die Häftlinge wegen irgendwelcher Kleinigkeiten zu bestrafen. So zwischen allen Stühlen stehend, wollte sie ihre Funktion als Blockälteste zeitweise aufgeben. »Es gab eine Zeit, wo ich genug hatte. Ich meldete mich zum Rapport. Anwesend waren der Lagerkommandant Bräuning18, die Oberaufseherin Gallinat und die Lagerälteste Scharinger19 aus Wien. Ich bat darum, dass man mich von der Funktion der Blockältesten entbindet, denn ich sei ungeeignet. Bräuning und diese Gallinat20 fragten mich, warum, und wo ich denn arbeiten wolle? Also sagte ich, auf Außenarbeit, egal wo. In diesem Moment schaute ich zur Scharinger hinüber, die gerade begann, mit Blicken mit Gallinat und dem Lagerführer zu kommunizieren. Sie sagte, sie würden es überlegen, und ich würde die Antwort auf dem Block mitgeteilt bekommen. Ich kehrte auf den Block zurück, und gleich darauf ist schon Scharinger im Dienstzimmer, und ich werde dorthin gerufen. Sie sagte: ›Was ist denn? Was willst du? Es arbeitet sich so gut mit dir, warum willst du denn weg?‹ ›Ich eigne mich nicht, ich bin zu nervös.‹ Die Scharinger sagte: ›Die werden dich von deiner Funktion niemals entbinden. Und da du gesagt hast, du würdest gern Außenarbeit machen, bist du jetzt fluchtverdächtig.‹«

Mieczysława Jarosz wurde nicht von ihrer Funktion entbunden. Doch ihr war noch etwas anderes klar geworden: Als Blockälteste, die überallhin Verbindungen hatte, wusste sie auch, auf welche Weise andere logen und betrogen. Die Lagerälteste hätte niemals ihre Absetzung unterstützt, weil sie fürchtete, Mieczysława Jarosz könnte als ›einfacher Häftling‹ auch ihre Geheimnisse verraten.

Ein Teppich im Block

Ab Mitte 1944 wurden Frauenhäftlinge aus Auschwitz nach Ravensbrück verlegt, insgesamt mehr als 20.000. Allein Ende Januar 1945 kamen ca. 7000 Frauen in Ravensbrück an. Längst waren alle Baracken hoffnungslos überbelegt, Ernährung und Hygiene nicht mehr gewährleistet, und die Ankommenden wurden in einem Zelt auf dem nackten Boden untergebracht. Der Block 20, in dem Mieczysława Jarosz als Blockälteste eingesetzt war, lag in der Nähe des Zeltes, und sie erinnerte sich an eine Situation, in der sich Angst und Komik mischten. »Die Oberaufseherin Binz kam hin und wieder bei mir im Block vorbei, um zu kontrollieren. Einmal brachten mir die Kinder einen Teppich. Ich komme in den Block zurück, und da liegt er in meinem Dienstzimmer. Ich war entsetzt! ›Was habt ihr euch denn gedacht?‹, sagte ich zu ihnen. ›Ach, halb so schlimm, wir nehmen ihn auch wieder zurück.‹ Damals waren bereits einige Tausend Menschen in dem Zelt. Die Binz ging hin, um zu schauen, wie es dort aussieht. Ich weiß nicht, wie es geschah, doch sie rutschte und fiel hin, d.h. sie beschmutzte sich mit den Exkrementen, die dort den Boden bedeckten. Da es in der Nähe meines Blocks war, kam sie zu mir, um sich zu säubern. Da sagte sie: ›Was hast du denn hier, einen Teppich?!‹ Ich sagte sofort: ›Ich kann ihn gleich zurückgeben.‹ ›Woher hast du ihn?‹ Also sagte ich ›organisiert‹, was sollte ich denn sonst sagen. Dann fing sie an zu lachen und sagte: ›Lass ihn‹, und so ließ ich ihn

Das Chaos im Lager wurde immer größer. Täglich kamen neue Transporte mit evakuierten Häftlingen aus den östlichen Gebieten. »In den Block 20 kamen über 2500 Frauen unterschiedlicher Nationalität aus Auschwitz. Sie hatten keinen Platz zum Schlafen und saßen zu sechst oder acht auf einer Pritsche. Die Bretter hielten das Gewicht nicht aus und brachen. Jeder Winkel in Tagesraum, Schlafraum und Durchgang war besetzt. Sie saßen nebeneinander, völlig zusammengesunken. Die Clevereren klauten die Decken, zerrissen sie und umwickelten damit erfrorene Körperteile. Für den Rest blieben zum Aufwärmen nur der Mief und der eigene Körper. Meine Bitte, sie sollten sich einen Platz in einem der anderen Blöcke suchen, half nicht. Bereits am ersten Tag scheiterten alle Versuche, irgendeine Ordnung einzuführen. Doch dann bemerkte ich, dass man die genaue Zahl der Frauen, die sich hier befanden, nicht bestimmen konnte, und fing an, fiktive Meldungen über die Zahl der Anwesenden des Blocks anzugeben. Die größten Missverständnisse gab es bei der Ausgabe von Brot und Suppe, die wir statt um 12 Uhr erst um 23 Uhr bekamen. Den Frühkaffee bekamen wir überhaupt nicht. Jedes Kilo Brot teilte man in zehn Portionen. Trotz der fiktiven Meldungen mangelte es an Brot und Suppe. Wieder kamen die Polinnen aus der Küche zu Hilfe und gaben uns ein paar Kessel Suppe mehr. Die aussichtslosen Verhältnisse auf dem Block änderten sich mit der Anordnung der Lagerführung, die ehemaligen Auschwitzgefangenen mit den nächsten Transporten nach Westen zu schicken. Schon mit dem ersten Transport gingen einige Hundert aus meinem Block weg. In den Meldungen aber hielt ich fast drei Wochen lang an der fiktiven Zahl der Anwesenden fest. Ich reduzierte sie nur allmählich. Das übrig gebliebene Brot nahmen abends Kameradinnen mit, um es in den anderen Blöcken zu verteilen

Die Tätowierung

Die aus Auschwitz evakuierten Häftlinge sollten in westlich gelegene Lager geschickt werden. Die Frauen aus Auschwitz waren tätowiert, in Ravensbrück trugen die Häftlinge aufgenähte Nummern. Mieczysława Jarosz hatte die Idee, dass man diejenigen, die man in die nach Westen weiterfahrenden Transporte schmuggelte, tätowieren müsste. »Eine Polin wurde von der Jüdin Edyta aus Ungarn tätowiert, aber ich organisierte alles und versprach ihr, dass sie dann auch weggeschickt wird. Das war Anfang 1945. Wir, alle Blockältesten, bekamen die Nachricht aus der Schreibstube, dass sich Marta Birek und Wieczorek melden sollten, dass wir sie ›nach vorne‹ bringen sollten. Da wussten wir bereits, das sie erschossen werden sollten, denn Marta hatte das Todesurteil aus Warschau. Marta versteckte sich, immerzu übernachtete sie woanders. Ich wollte ihr helfen. Ich hatte die Idee, ihr eine Tätowierung zu machen, um sie dann in einem Transport mit den Gefangenen aus Auschwitz wegzuschicken. Ich lief zu Marta Baranowska, denn sie wusste immer, wo sich die Birek versteckte. Ich sagte ihr, dass ich eine Idee habe, Marta zu retten. Die Baranowska hatte auch Angst. Ich sagte aber, dass ich die Verantwortung übernehmen werde. Ich kehrte zurück auf den Block. Dann überlegte ich, dass ich auf meinem Block Frauen aus Auschwitz habe, und eine von denen wird sicher tätowieren können. Von der B-Seite kam eine Jüdin. Wie es sich herausstellte, war das Edyta aus Ungarn. Ich fragte sie, ob sie tätowieren könne, und sie sagte, ja. Ich nahm sie in das Dienstzimmer und sagte: ›Ich habe eine Kollegin, die gerettet werden muss. Sie werden sie tätowieren, was brauchen Sie?‹ Sie sagte mir, was ich besorgen musste: Tusche, irgendwelche Holzstäbchen, eine Rasierklinge usw. Ich lief zu Marta, sie besorgte die Tusche von der Schreibstube. Ich organisierte die anderen Dinge. Marta Baranowska brachte dann am Nachmittag Marta Birek zu mir, ich hielt Wache, und Edyta tätowierte sie. Als sie fertig war, selbstverständlich war es eine ausgedachte Nummer, kam eine andere Stubenälteste, zu der ich sagte: ›Holen Sie eine, egal welche, von den »Kaninchen«, denn ich kann sie retten, durch Tätowierung.‹ Sie holte zwei, eine kannte sie, die andere nicht. Und dann wurden auch sie tätowiert. Aber Edyta war sehr aufgeregt, denn sollte das auffliegen, hätte es im Lager eine Schauexekution gegeben, man hätte sie vor den Augen aller gehängt. Und so nahm ich am nächsten Tag Marta Birek in einen Transport auf, und am Nachmittag schickte ich Edyta gleich mit dem nächsten Transport weg. Sie weinte vor Freude und dass sie eine andere gerettet hatte, indem sie sie tätowierte

»Schneller! Schneller! Nicht umdrehen!«

MIECZYSŁAWA JAROSZ: »Die letzten Tage waren schrecklich, denn aus dem Männerlager kamen Nachrichten, dass das Lager vermint sei und alles in die Luft gehen würde. Indessen gab es Transporte des Roten Kreuzes nach Schweden. Ich hätte mich zwar alleine einem dieser Transporte anschließen können, aber ich hatte noch viele andere Kolleginnen und Freundinnen, die ich nicht hätte mitnehmen können, denen gegenüber fühlte ich mich verpflichtet. Also blieb ich im Lager. Ich kam auf Block 1, das war der Küchenblock. Normalerweise wurde keiner dort reingelassen, aber mich ließ man rein

Blockälteste im Block 1 war zu diesem Zeitpunkt Marta Baranowska. »In der Nacht wurden die Frauen von SS-Männern zur Evakuierung aus den Blocks getrieben. Ich wusste nicht, dass es die letzte Nacht sein würde, und übernachtete zusammen mit meinen Kolleginnen. Morgens war auch für uns die Evakuierung. Ich stand in der letzten Reihe, als die Pakete vom Roten Kreuz verteilt wurden. Wir gingen raus. Auf einem Findling stand eine SS-Frau, eine Aufseherin, und schrie auf Deutsch: ›Schneller! Schneller! Nicht umdrehen, damit ihr nicht wieder hierhin kommt!‹ So kamen wir raus. Wir gingen vielleicht fünfzehn Kilometer, trafen auf der einen Seite auf deutsche Soldaten, auf der anderen Seite auf Kriegsgefangene. In den Straßengräbern lagen lauter Frauen, alle ermordet. Meine Wahrnehmung verschob sich, und ich sah in meiner Reihe diese SS-Frau mitgehen, die noch geschrien hatte, dass alle Polinnen an den Kiefern hängen würden. Sie fuhren ständig hin und her, auch die Binz, doch mit mir hatte sie nichts mehr zu tun. Die SS-Männer schrien ständig, denn sie wussten wohl, dass die Front herannahte – was wir nicht wussten

MARTA BARANOWSKA: »Wir waren 500 Frauen, die als Letzte aus dem Lager gingen. Es blieben nur die Kranken zurück. Wir wurden unter Bewachung westwärts getrieben. Abends sollten wir in einem Wald übernachten, und plötzlich sehen wir eine meterhohe Feuerwand auf den Wald stürzen. Dann hat man uns noch weiter westwärts an einen See getrieben. Da sagten wir dem guten Mann, unserer Bewachung: ›Haut doch ab, Kinder. Der Krieg ist zu Ende. Wir werden weiterwandern.‹ Nein, er muss, er hat den Befehl, er muss uns bis Neustadt-Glewe bringen. So sind wir nach Neustadt-Glewe gewandert. Von dort war schon Verbindung mit den Alliierten, die an der Elbe standen. Wir sind zu Fuß von Ravensbrück bis Neustadt-Glewe gegangen und von dort wieder zurück bis Posen. Dort hat man uns eine Bahnkarte und ein paar Złoty gegeben. Meine Gruppe, in der auch meine Schwester war, ist in den Zug gestiegen, der ostwärts fuhr. Es waren über tausend Kilometer, die wir gemacht haben, und wir sind mehr als drei Wochen gewandert. Aber wir haben’s geschafft. Es war eine so wilde Zeit. Einige haben sie vergewaltigt, aber wir sind heil durchgekommen

»Du hast mich doch vor dem Vergasen gerettet«

Mieczysława Jarosz floh mit zwei Polinnen und einer Slowakin vom Todesmarsch. »Ich dachte: Mein Gott, ich bin frei, und in diesem Augenblick sehen wir zwei SS-Männer von der anderen Seite kommen. Die waren auch weggelaufen und hielten jetzt ihre Gewehre auf uns. Ich war entsetzt: Was denkt ihr euch denn?! Ich saß so viele Jahre im Lager, und jetzt, wo ich frei bin, soll ich zu der Kolonne zurück? Nie im Leben! In diesem Moment gab es eine riesige Explosion. Eine große Feuerkugel über uns, und die beiden SS-Männer sagten, die Munitionsfabrik sei in die Luft geflogen. Und auf einmal sprangen sie auf und flohen. Also flohen wir auch. Der Wald war voller Menschen – Kinder und Kühe waren auch dabei, lauter Zivilbevölkerung, Deutsche selbstverständlich. Und wir. Unterwegs sehe ich einen Mann, einen SS-Mann vom Exekutionskommando, der unsere Mädchen erschoss, und er war Begleitung von zwei Österreicherinnen. Sie erkannten uns nicht gleich – die eine hatte mir mal Schuhe organisiert –, und wir gingen mit ihnen zusammen weiter. Wir kamen in ein Dorf. Eine Deutsche machte uns die Tür auf, und ich fragte, ob wir in ihrem Schuppen übernachten könnten. Nein, meinte sie, denn sie wären bereits dreizehn Personen, darunter eine Russin, und wenn die Russen kommen, wird sie sie schützen. Wir sollten weitergehen, am Wald gäbe es noch ein Haus, und dort können wir bleiben. Also gingen wir dort hin. Die Nacht schliefen wir durch, aber die ganze Zeit bewegte sich die Erde vor Explosionen. Der SS-Mann zog sich zivile Kleidung an. Wir warfen seinen Rucksack und die Waffe dort in den Keller, und ich ging in die Küche zur Wasserpumpe und sah vom Wald her irgendwelche Menschen kommen. Ich rief eine Kollegin, die gleich erkannte, dass es Russen waren. Gleich darauf waren sie da, mit ihren spitzen Bajonetten. Dann wollten sie uns aus dem Haus werfen, denn dort sollte der Stab eingerichtet werden. Da sagte meine Kollegin, die Slowakin, das ginge auf keinen Fall, und fing an, sich mit ihnen zu unterhalten. Auf Russisch, denn sie konnte es perfekt, sie war ja Kommunistin, und sie ließen uns oben ein Zimmer. Meine Kollegin blieb unten und unterhielt sich weiter mit dem Oberst. Doch dann kamen sie. Der eine Russe wollte uns töten, denn diese Frau aus dem anderen Haus hatte ihm gesagt, da wären gestern vier Frauen mit einem SS-Mann zusammen vorbeigegangen und hätten hier übernachtet. Dann fanden sie die Waffe. Die Slowakin rettete uns. Sie sagte, er wäre ein ehemaliger Gefangener und er hätte uns gerettet, und sie ließen ihn gehen. Am nächsten Tag gingen wir weiter. Unterwegs sahen wir viele Polen fahren, auf Fuhrwerken voller Sachen. Ich sage: ›Nehmt uns mit, damit wir geschützt sind vor dem Militär.‹ Denn wir wussten schon, was diese Russen tun. Keiner wollte uns mitnehmen. Man verlangte eine Bescheinigung vom Kommandanten. Daher gingen wir nach Altstrelitz. Viele Häuser waren in Brand gesteckt. Wir fragten nach der Kommandantur, sie zeigten sie uns, und wir gingen rein. Eine Menge Menschen saßen da, darunter ein junges Mädchen. Auf Polnisch sagte ich, wir seien aus dem Lager, und zu unserem Schutz bräuchten wir eine Bescheinigung vom Kommandanten. Er fragte, wie viele wir seien. Ich sagte, dass wir sieben Personen sind, und ging raus, um sie zu holen. Dann gingen wir hinein, und plötzlich erhoben sich alle von ihren Plätzen. Ich schaute mich um und fragte, was denn los sei. Und dieses Mädchen sagt: ›Mietka, erkennst du mich denn nicht? Du hast mich doch vor dem Vergasen gerettet!‹ Das war eine Jüdin, eine Slowakin. Sie war erst sechzehn. Ich wusste es nicht, denn wenn ich jemanden aus der Kolonne rausholte, schaute ich nicht genau hin, wen ich herausholte. Es stellte sich heraus, dass sie – als ich wegging, um die Kolleginnen zu holen – den Russen erzählt hatte, dass ich sie gerettet hatte. Sofort fand sich für uns Essen und alles, was wir brauchten, selbst Fahrräder. Woher sie die organisiert hatten, weiß ich nicht. Dann ging unser Leidensweg weiter

»Ich war zu Hause, und das war ihre größte Freude«

Natürlich war das Wiedersehen mit den Kindern Marta Baranowskas größtes Glück. »Ich kam nach Hause, und es hat für die Kinder keinen Vater und keine Wanda mehr gegeben, es war nur noch die Mutter. Obwohl meine Kinder Deutsch gelernt hatten, kam kein deutsches Wort mehr aus dem Munde des Kleinen. Er war damals schon sieben Jahre alt. Es tat mir Leid, denn der Vater und die Wanda, die sind zurückgestellt worden. Ich war zu Hause, und das war ihre größte Freude. Mein Jüngerer, der Michael, hat die Mutter am meisten vermisst. Er war so ein Schmusekind und hat sich immer angeschmiegt. Er brauchte die Wärme

Die Familie bekam eine Wohnung zugeteilt. Doch zwei Wochen später wurden sie aufgefordert, sie wieder zu räumen. »Ich hatte eine kranke Frau aus dem Lager mitgebracht. Ich hatte die Lehrerin, die bei meinen Kindern war, und sagte, wir könnten teilweise die Wohnung räumen. Nein, sie wollten das ganze Haus. Also haben sie uns auf die Straße gesetzt. Mein Mann ging ins Büro und sagte: ›Ich kann nicht arbeiten, meine Familie sitzt auf der Straße.‹ Da sagte sein Chef: ›Dann müssen wir ein Zimmer räumen.‹ Mein Mann sagte: ›Aber da ist eine Kranke, zwei fremde Frauen, die Lehrerin und die Kranke aus dem Lager …‹ Da sagte der Chef: ›Dann räumt das zweite Zimmer und das Archiv.‹ So wohnten wir. Es dauerte nicht lange, dann hatten wir Kontakt zu dem Chef der Genossenschaft, zu der wir vor dem Kriege auch schon gehörten. Er sagte: ›Morgen verlässt eine Familie eine Wohnung. Stellt euren Wagen davor und zieht ein. Das Offizielle werden wir später erledigen.‹ So sind wir hier in diese Wohnung eingezogen und wohnen hier schon über fünfzig Jahre. Wanda, die vier Jahre lang bei meinen Kindern geblieben war, hat dann eine andere Wohnung bekommen, und ich habe sie betreut bis zum Tod

Marta Baranowska arbeitete wieder als Sekretärin und führte einige Jahre lang eine große Kanzlei mit drei Anwälten und einem Notar. »Mit meinem Mann war es von der ersten Minute an, als wenn ich überhaupt nicht weggewesen wäre. Wir hatten eine gute Ehe und schöne Kinder, gesunde Kinder. Mein Mann ist 1987 im 91. Lebensjahr gestorben

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9783956140198
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