Читать книгу: «Avenae», страница 3
Ich sah Tom an, der den Schlüssel immer wieder lässig in seine Hand schnappen ließ. Er hatte sich sein Hemd nur flüchtig über die Schultern gestreift und seine Hose hing ihm ein bisschen zu tief, was daran lag, dass sie offen stand. Aber nein, ich würde mich nicht von diesem Anblick ablenken lassen.
"Gib her!"
"Ach, Ave. Es tut mir leid, wirklich, aber ich kann dich nicht fahren lassen. Du hast keinen Führerschein", grinste er und mein Herz sackte in die Hose, bzw. in meinem Fall in den Rock.
"Das kannst du doch nicht ernst meinen! Und doch, ich hab einen ob du es glaubst oder nicht. Und jetzt gib her...", schrie ich ihn an, was ihn total kalt ließ, denn er setzte sich mit betonter Langsamkeit den Helm über den Kopf und quetschte sich vor mich auf den heißen Sitz der Vespa.
Er startete. "Du solltest dich lieber festhalten", sagte er und ich dachte gar nicht dran. Sicher nicht.
Ich änderte meine Meinung schnell, als ich auf die Straße plumpste, weil er extra fest Gas gegeben hatte.
Wütend rappelte ich mich auf, setzte mich hinter ihm, wobei ich ihm ausversehen in die Nieren boxte und wir fuhren los.
Vor unserem Haus blieb er stehen.
Ich schwang mich von der Vespa und er hielt meine Hand fest, bevor ich weglaufen konnte.
"Ave, lass uns abends weiterreden, okay? Ich weiß, das war hart, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dich liebe. Das weißt du doch, oder?"
Er wollte mich zu sich hinziehen, um mich zu küssen, doch ich stemmte mich mit aller Kraft gegen ihn und dann drückte er mir zum Abschied einen Kuss auf meine Hand und fuhr weiter zur Polizeistation. Na toll. Jetzt steh ich hier, wie der begossene Pudel, nur ein trockener Pudel und meine Haare sahen bestimmt katastrophal aus.
Nachdem ich eine Weile vor der Tür gestanden war und mich die Leute komisch ansahen (Was vielleicht auch daran lag, dass ich meine Bluse falsch zugeknöpft hatte) und ein kleines Mädchen hinter hervorgehaltener Hand murmelte: "Mami, gugg dir die mal an! Die ist bestimmt auch in einen Brunnen gefallen, ob ihre Mami auch so schimpft wie du?", ging ich in das kühle Haus und rannte die Treppen hoch.
In meinem Zimmer schmiss ich mich auf den Boden. Tom hasste es so sehr an mir, wenn ich bockte, doch es war mir egal. Ich reagierte nicht auf die Anrufe und schaltete mein Handy wütend ab. Es kam immer irgendwas dazwischen. Wollte ich wirklich so weitermachen und vor allem nachdem er mir gesagt hatte, was er von unserer Beziehung eigentlich hielt?
Und dann dachte ich daran, dass es wahrscheinlich nie wieder anders werden würde. Was hätte ich davon, wenn ich meine Beziehung zu Tom aufgab und wieder alleine wäre?
Nein, in diesem Fall war ich vielleicht ein wenig egoistisch aber ich wollte auf keinen Fall wieder alleine sein.
Na gut, das Schicksal hatte mich soweit, dass ich wieder aufstand, mich umzog und einen Entschluss fasste. Ich würde Tom besuchen. Was sollte ich sonst den ganzen Tag machen? Vielleicht könnte ich Nadine, meiner Betreuerin in meiner derzeitigen Abteilung ein bisschen Ablage abmurksen.
Mit einem frischen Shirt und Jeans fuhr ich mit meinem Fahrrad zum Polizeipräsidium.
Ich stellte es ab und ordnete meine Haare, die hoffentlich nicht allzu zerzaust waren und meine Gedanken, die ich einigermaßen aus dem Chaos lockte.
Dann straffte ich die Schultern und stapfte selbstbewusst in das Präsidium.
స 4 స
Viele grüßten mich auf meinem Weg und einige sahen mich verwirrt an.
Da war Theo, ein ziemlich guter Polizist, der unglaublich dick, aber auch unglaublich nett war. Ich fragte mich jedes Mal, wenn ich ihn sah, ob er noch Verbrechern hinterherjagte oder vorher einen Herzinfarkt bekommen würde.
"Nanu, wo kommst du denn her? Hast du heute nicht frei?", fragte er und musterte mich belustigt.
"Ja eigentlich schon, aber ich besuche Tom."
Ich lächelte ihm zu und ging weiter. Leise murmelte er hinter mir: "Jaja, die junge Liebe. Was würde ich geben, um noch einmal jung zu sein..."
Den Weg kannte ich auswendig und ich ging in Toms Büro, ohne vorher anzuklopfen.
Es war stickig und alle standen zusammen um eine Pinnwand an der Bilder hingen.
Schlagartig verstummte Toms Team und starrte mich an.
Nach einem kurzen Schockmoment lächelte Tom gezwungen und ich ging weiter in das Großraumbüro hinein.
Toms Team bestand aus zwei Frauen, die eine blond, Nikole und die andere mit roten Locken, Dana, und vier Männern. Phil, Alex, Andi und Flo. Ich kannte sie alle und hatte mit ihnen schon viel gelacht, vor allem mit Dana verstand ich mich super. Doch nun lachte keiner. Sie hatten Augenringe und ihre Zivilkleidung sah unordentlich aus.
Mein Blick fiel auf die Pinnwand und die Fotos. Ungefähr zehn Mädchen und junge Frauen im Alter von 12 bis ungefähr 30 Jahren starrten mir entgegen. Es waren fröhliche Fotos und ich wusste mit einem komischen Gefühl im Bauch, dass diese Mädchen und Frauen nie wieder glücklich sein werden, wie mir zwei Bilder, die unter den ersten Mädchen hingen, bestätigten. Darauf sah ich, wie sie verrenkt dalagen, mit offenen leeren Augen.
Tom trat auf mich zu und packte mich an den Schultern.
"Ave, schön dass du mich besuchst. Ich schulde dir noch einen Kaffee, richtig? Komm, lass uns einen Kaffee holen."
Er zog mich nervös aus dem Büro und schloss die Türe.
"Was ist passiert?"
Er überging meine Frage und redete mit einer ruhigen Stimme auf mich ein.
"Hör zu, ich hab ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich einfach so wegmusste und dich stehen gelassen habe…"
"Was ist passiert, Tomas Kellner?"
Ich nannte ihn nie Tomas weil ich den Namen schrecklich fand, und das ließ ihn aufhorchen.
"Ich darf dir das nicht sagen. Und auch nicht wenn du mich so ansiehst, du bist eine Praktikantin.“
"Warum nicht? Ich komme nächste Woche in dein Team, da werde ich es sowieso erfahren. Und selbst wenn du's mir nicht sagst, ich werde es herausfinden, glaub mir", drohte ich ihm.
Er seufzte und führte mich mit dem Arm um der Schulter zu der kleinen Cafeteria. Bestimmend drückte er mich auf einen Stuhl und holte zwei Cappuccinos, einen mit und einen ohne Zucker.
"Lass uns über uns reden."
"Nein Tom, ich will nicht über uns reden. Ich will darüber reden was passiert ist. Ich werde es herausfinden, du kannst es mir ruhig sagen. Bitte. Hast du den ohne Zucker?"
Er seufzte, ignorierte meine Frage mit dem Kaffee und sah sich um, ob uns niemand beobachtet aber es waren ohnehin nicht viele Leute in der Cafeteria.
"Okay, vielleicht ist es sogar besser, wenn du es weißt.
Es sind Mädchen und junge Frauen verschwunden und wir haben zwei von ihnen tot aufgefunden. Es war kein Unfall. Und alles deutet darauf hin, dass die Vermisstenfälle zusammenhängen.
Es ist uns unerklärlich, wie in so kurzer Zeit so viele verschwinden können, denn normalerweise verschwindet vielleicht ein Mädchen oder läuft eine junge Frau von zuhause weg, aber so viele innerhalb einer solchen Zeit, dass ist einfach nicht richtig. Es deutet auf einen Mehrfachtäter hin und wir glauben, dass er nicht eher ruhen wird, bis alle Mädchen tot sind."
Ich war schockiert. Die Insel, die ich seit 19 Jahren mein Zuhause nannte war nicht mehr sicher? Wer macht denn sowas, einfach irgendwelche Mädchen entführen und zu töten? Und zu quälen.
"Ich will, dass du das hier immer bei dir trägst. Und halte dich nie alleine auf, bleib immer bei mir oder in Begleitung von jemand anderem, bis wir diesen Kerl gefunden haben. Es darf dir nichts passieren."
Er küsste meine Hand und legte etwas hinein. Ich starrte ungläubig in den unberührten Latte Macchiato. Der Milchschaum war in sich zusammengefallen und bildete kleine Bläschen. Er war machtlos, gegen die Wärme des Kaffees. Machtlos.
"Wir werden ihn finden", sagte ich mit fester Stimme und stand auf.
Tom sprang ebenfalls auf.
"Nein Avenae. Du wirst ganz sicher nicht nach ihm suchen. Ich warne dich, wenn du es auch nur versuchen würdest, dann werde ich jemanden zu deinem Schutz schicken und glaub mir, ich bin in der Position das zu tun."
Ich hörte nicht auf seine Worte und verließ die Cafeteria. Auf der Treppe schaute ich in meine Hand und sah ein Taschenmesser und ein Pfefferspray darin liegen. Ich musste widerwillig grinsen. Tom machte sich wirklich Sorgen um mich. Ich war so froh, endlich einen neuen Lebensinhalt zu finden, was nicht mit Hochzeit und Babys zu tun hatte.
Tom war fast zur gleichen Zeit mit dem Aufzug da, doch ich war schneller in seinem Büro.
Dort standen sie und sahen mich an. Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie bereits wussten, dass ich Bescheid wusste.
"Also schön, was tun wir?"
"Wir tun gar nichts Avenae. Nur ich und mein Team."
Tom hatte mich eingeholt und ging zu seinen Leuten.
"Du wirst nach Hause gehen, Dana wird dich begleiten. Und du wirst dich nicht dahineinziehen lassen."
Ich war wütend, doch ich konnte absolut nichts tun. Ich war machtlos gegen ihn.
"Willst du noch einen Tee?", fragte Dana mich und werkelte an meiner kleinen Küchenzeile herum. Ich schüttelte den Kopf und trat auf den Balkon. Sofort kam sie mir nach. Als wie wenn ich so dumm wäre, vom siebten Stock nach unten zu springen. "Macht´s dir was aus?", meinte sie vorsichtig und zog eine Zigarette heraus. Wieder schüttelte ich den Kopf und wir schwiegen, während sie an ihrer Zigarette zog und der Qualm sich mit der Luft vermischte. "Darf ich auch mal?", fragte ich und sie sah mich mit demselben Blick an, als hätte ich sie gerade gefragt ob wir zusammen ins Bett wollten. "Was würde Tom dazu…?", fing sie an, doch ich war kurz davor, ihr eine zu scheuern. "Das ist mir sowas von egal. Wahrscheinlich lyncht er mich. Komm schon. Nur einen Zug", bettelte ich und wusste nicht einmal wieso ich das tat. Ich hasste Zigaretten. Dana sah für einen Moment so aus, als würde sie nun mir liebend gerne eine Ohrfeige geben wollen, doch dann reichte sie mir die Zigarette und ich nahm einen großen Zug. Sofort füllte sich mein ganzer Mund mit Qualm und ich hustete. Bäh, sowas ekliges. "Gib wieder her. Du hast genug", sagte Dana und versuchte, mir die Zigarette wegzunehmen. Doch ich drehte mich weg und nahm noch einen Zug. Gar nicht mal so schlecht. "Was macht ihr denn da?" Ich erschrak sosehr, dass ich die Zigarette fallen ließ. Na super. Warum musste Tom ausgerechnet jetzt auftauchen? "Nichts. Nichts. Rein gar nichts!", sagte Dana und versuchte sich von meinen Händen zu befreien. "Ahja. Sicher? Habt ihr geraucht? "Ich nickte heftig und deutete auf Dana. "Sie. Ich nicht. Das weißt du doch, dass ich das nicht mag." Er sah uns skeptisch an und ging mit hochgezogenen Augenbrauen in meine Wohnung zurück. Dana ging.
Und dann hatte uns der Alltag wieder. Genau das, was ich nie wollte. Wir fuhren zusammen zur Arbeit, gingen zusammen von der Arbeit, ich wurde nicht in Toms Abteilung versetzt und musste mit auf Streife gehen. Mein Freund erlaubte es widerwillig, dass ich mit Dominik auf Streife fuhr. Anscheinend waren er und ein Polizeiwagen Schutz genug. Dominik war ein guter Freund von Tom und er hatte mehr als einmal versucht, mich anzubaggern, obwohl er genau wusste, wie sehr ich Tom liebte. Er nannte mich immer Blondie obwohl ich überhaupt nicht ganz blond war. Nur ein paar Strähnchen hatte ich, doch der Spitzname stammte davon, dass ich mir einmal versucht hatte die Haare aufzublondieren und einfach nur schrecklich aussah, mit dem Grünstich in den Haaren. Außerdem sagte er immer ich stelle mich dümmer an als eine Blondine. Seitdem nannte er mich Blondie, auch als ich ihn einmal fast verprügelt hatte wie er durch die ganze Polizeiwache geschrien hatte ich sei grünhaarig.
Am Dienstag fuhren Dominik und ich wieder zusammen durch die Straßen und es war ruhig. Nichts spannendes passierte bis auf ein paar Jugendliche, die den Morgen genossen und es mit dem Alkohol übertrieben hatten. Wir brachten einen Jungen zur Schule, der Schwänzen wollte. Alles war wie immer und als wir wieder in der Polizeiwache waren, wollte ich Tom abholen, da er darauf bestand, dass wir zusammen heimfuhren. Als er zehn Minuten zu spät war, und er eigentlich immer überpünktlich war, ging ich zu seinem Büro und klopfte. Nichts. Keiner machte auf. Ich drückte die Tür auf und die automatische Lichtanlage ging an. Mhm, komisch. Wo war er nur? Ich ließ meinen Blick durch sein Büro schweifen und er blieb an der Tafel mit den vermissten Mädchen hängen. Neben den Bildern waren noch Karten aufgehängt, wo man die Mädchen gefunden hatte, wo man sie zuletzt gesehen hatte und Namen hingekritzelt waren. Und dann kam mir eine Idee. Schnell nahm ich mein Handy, lehnte die Tür an, sodass mich keiner sah und fotografierte die Tafel. Anschließend ging ich zum Schreibtisch. Ich wusste, dass Tom seine Unterlagen immer in der Schublade einschloss. Ich zog an der Schublade und wie sollte es auch anders sein, sie war zu. Schnell suchte ich den Tisch nach dem Schlüssel ab, fand ihn unter einem mehr als kitschigen Briefbeschwerer in roter Herzform, den ich Tom mal geschenkt hatte und schloss die Schublade auf. Darin lagen die Unterlagen, die ich brauchte. Fahrig, weil ich keine Zeit verlieren wollte, fotografierte ich jede einzelne Seite und schloss die Schublade wieder zu. Ich steckte den Schlüssel wieder unter den Briefbeschwerer, auf dem ein Foto von mir und Tom geklippst war. Er starrte mich an und ich bildete mir seinen tadelnden Blick ein, wenn er wütend war. Ach Tom. Dann fuhr ich auf. Ich hörte Schritte und schnell sprang ich zum Fenster. Die Tür wurde aufgestoßen und Tom stand darin. "Was machst du denn hier?", fragte er vorwurfsvoll und ich zuckte mit den Schultern. "Ich habe dich gesucht. Du warst ja nicht da. Ich war jedenfalls da", band ich ihm auf die Nase. Geschieht ihm nur Recht.
Abends kamen noch Dana und Dominik bei Tom vorbei und wir aßen selbstgemachte Lasagne. Tom machte die beste Lasagne auf der ganzen Welt und wir verloren kein einziges Wort über die Mädchen. Doch meine Gedanken schweiften immer wieder zu ihnen. Bisher hatte ich noch keine Zeit gehabt, die Fotos, die ich gemacht hatte genau anzuschauen.
Ich sagte Tom, dass es mir nicht gut ging und er begleitete mich noch in meine Wohnung.
Endlich allein, schmiss ich meinen Laptop an, zog die Fotos auf die Festplatte und druckte sie aus.
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste dringend mit jemandem reden, der kein Polizeiabzeichen hatte und mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Mir fiel nur eine Person ein. Bea.
Ich packte meinen Schlüssel, die Fotos, die ich in meine Tasche stopfte und schloss die Tür hinter mir zu. Als ich die Treppe runterlaufen wollte, ging die Tür zu Toms Wohnung auf und ich drückte mich gegen die Wand, um mit ihr zu verschmelzen und unsichtbar zu werden. Aber leider gibt es ja sowas wie Bewegungsmelder, damit die Lichter angingen und er starrte mich böse an.
"Ich dachte dir geht’s nicht gut?", sagte er, während er zu mir runterkam, und mich die Stufen an der Hand wie ein ungezogenes Kind hochzog.
"Was hast du für ein Problem? Ich will doch nur zu Bea!"
"Was willst du denn bei der?", fragte er. Ich hatte ihm von Bea erzählt, dass sie eigentlich meine einzige Freundin war, aber er hatte sich nie mehr nach ihr erkundigt.
"Reden?"
"Ave… du sollst nicht mit anderen darüber reden, was in der Arbeit passiert. Das weißt du doch?"
Ich räusperte mich und sah ihn an.
"Es gibt auch noch andere Dinge, die ich mit ihr bereden will. Zum Beispiel, ähm, über Jungs. Sie hat mir geschrieben, dass sie wen kennengelernt hat und dass sie mir von ihm erzählen will. Also warum sollte ich nicht zu ihr fahren?"
Er seufzte und hielt mir die Hand her.
"Was?", fragte ich verwirrt und starrte total bescheuert seine Hand an.
"Handy. Ich will das sehen. Das was sie dir geschrieben hat."
Ich konnte es nicht fassen. Einen Moment später, als die Worte mein Hirn erreicht hatten, hatte ich einen Wutausbruch.
"Sag mal geht’s noch? Du willst jetzt auch noch mein Handy kontrollieren? Ich sag dir eins, Tomas Kellner, wenn ich dich einmal auch nur ein einziges Mal an meinem Handy sehe, dann… dann.."
Er lehnte sich gegen das Treppengelände und zog wieder die Augenbrauen nach oben.
"Dann was?"
"Dann… dann… dann setzt es was und zwar gewaltig!"
"Ja klar… Okay, ich glaub dir. Aber Babe, es ist sieben Uhr an einem Freitag Abend. Meinst du nicht, sie hat was zu tun, wenn sie gerade jemanden kennengelernt hat?"
"Nein, ich hab sie angerufen und sie freut sich, wenn ich komm", log ich und versuchte, seinem Blick Stand zu halten. Er glaubte mir anscheinend, ziemlich unerwartet weil ich eine lausige Lügnerin war, und er zog mich die restlichen Treppen rauf und in seine Wohnung.
Er griff nach den Schlüsseln und sagte den anderen zwei, dass er gleich wieder da wäre.
"Was machst du?", fragte ich ihn, als er mich in den Aufzug drückte, meine Proteste ignorierte (ich bin furchtbar klaustrophobisch) und auf den Erdgeschossknopf drückte.
"Naja, ich fahr dich zu ihr. Und ich will mit ihr reden, dass sie dich danach heimfährt, bzw du bei ihr über Nacht bleibst und ich dich morgen abholen kann."
"Du führst dich auf wie mein Vater", meinte ich beleidigt und hämmerte mit dem Finger auf den Erdgeschossknopf. Dass Aufzüge auch immer so langsam sein müssen.
Als die Tür aufsprang, sprintete ich hinaus und an der frischen Luft angekommen, atmete ich erst mal tief durch.
Als wir bei Bea angekommen waren, machte er Anstalten, auszusteigen.
"Nein, du bleibst hier. Ich will nicht, dass du wie mein Bodyguard oder so mit ihr redest. Ich kann das selbst. Ich verspreche dir, dass ich dich später anrufe, okay?"
Er sah aus, als würde er rasend schnell Pro und Contra in seinem Gehirn durchrattern, doch dann entschied er sich dafür, im Auto zu bleiben.
"Gut, aber ich warte bis du drin bist. Und ich will, dass du mich sofort anrufst, wenn du weißt, wann ich dich abholen soll, ist das klar? Ich will nicht, dass du allein nach Hause gehst!"
Ich zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür.
"Bekomm ich keinen Kuss?", fragte er leise und ich hielt inne.
Upps, wie konnte ich das nur vergessen?
Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen sanften Kuss, doch er zog mich an sich und ich merkte, dass er Angst hatte, an der Art, wie er mich festhielt.
Ich drückte ihn sachte weg, lächelte ihn an und schloss die Tür. Seine Blicke durchbohrten meinen Rücken, als ich zu Beas Wohnungstür ging.
Ich klingelte und eine Mitbewohnerin von Bea, die glaub ich Ellen hieß, öffnete und lies mich in die Wohnung.
"Hi Ellen. Ist Bea hier?", fragte ich sie und ich merkte an der Lautstärke, dass hier eine Party in vollem Gang war.
Sie schüttelte den Kopf und mein Herz sank in die Hose. Na toll. Hätte ich sie doch bloß vorher angerufen.
"Sie ist glaub ich bei den Pferden. Wenn du willst, dann fahr ich dich hin?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, schon gut. Kann ich mir nur ein Fahrrad leihen? Ich bin mit… ähm mit einem Freund hergefahren."
"Klar. Du kannst meins haben."
Sie gab mir ihren Fahrradschlüssel und ich kontrollierte erst mal, ob Toms Auto noch da war, als ich die Tür öffnete.
Nichts zu sehen.
Den Weg zu dem Hof, auf dem Bea ritt, kannte ich auswendig, da ich schon oft dort gewesen war.
Ich blickte auf die Uhr. Es war sieben Uhr abends. Nicht allzu spät.
Gut dass es Sommer war, und bis ungefähr zehn hell war, denn ein bisschen gruselte es mich schon, wie ich so ganz allein durch die gottverlassene Landschaft fuhr.
Ich bog in die Landstraße ein, an deren Ende der Hof lag. Von weitem konnte ich schon die Pferde sehen.
Langsam fuhr ich durch das Hoftor und vorbei an den Koppeln. Der Schotter auf dem Weg rüttelte mich ordentlich durcheinander.
Ich stellte das Rad ab und wunderte mich, dass hier fast keiner war.
Im Stall traf ich dann endlich auf jemanden. Ein Mädchen mit hübschen, blonden Haaren und das noch viel kleiner war als ich, mühte sich gerade mit der Mistgabel ab, die fast genauso groß wie sie war.
"Hallo. Ähm, ich suche Bea", sagte ich zu ihr und sie hielt inne, sah mich an und lächelte. Sie legte die Mistgabel ab, wischte sich die Hände ab und kam zu mir rüber.
"Hi, ich bin Eva. Bea ist glaub ich auf dem Reitplatz. Du musst einfach nach hinten über den Hof gehen, dann müsstest du sie schon sehen."
Ich folgte ihrer Beschreibung, fluchte ziemlich laut, als ich in Pferdemist stieg und sah Bea, wie sie auf einem schönen schwarzen Hengst ritt. Elegant sah sie aus, mit ihren langen blonden Locken, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und den dunkelblauen Reiterklamotten. Ihre ganze Haltung war ziemlich anmutig. Ich stellte mir gerade vor, wie ich wohl auf einem Pferd aussehen würde, als sie mich entdeckte und mir zu winkte. Ich winkte zurück, während sie von dem Pferd sprang und auf mich zu kam.
"Ave! Das ist ja schön, dass du vorbeikommst!"
Sie umarmte mich und drückte mir Küsschen auf die Wangen, was sie immer tat, wenn wir uns sahen. Ich musste unwillkürlich lächeln, denn sie war eine große Frau und überragte mich um Längen.
"Was tust du hier?", fragte sie mich und band den Hengst an dem Zaun an.
"Ähm, ich wollte einfach nur mal mit dir Quatschen. Haben wir schon lange nicht mehr gemacht."
Sie strahlte wie immer übers ganze Gesicht. Gottseidank. Sie freute sich wirklich, mich zu sehen.
"Tut mir leid, Ave. Wenn du angerufen hättest, dann hätten wir was anderes machen können. Aber nicht so schlimm. Komm, wir setzen uns auf die Bank. Wie geht es Tom?"
Wir setzen uns und ich fing an, ihr zu erzählen, dass alles gut war, doch sie merkte schnell, dass ich log und dann erzählte ich ihr unter Tränen, was wirklich los war. Sie hörte mir zu und drückte meine Hand, ganz so, wie eine Freundin es tat und ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig froh darüber, dass ich sie hatte.
Sie unterbrach mich kein einziges Mal und als ich fertig war und wir uns in den Armen lagen, erzählte sie mir von dem Mann, den sie kennengelernt hatte.
"Er ist wirklich toll! Wahnsinnig gutaussehend und seine Augen…", fing sie an zu schwärmen und ich schaltete irgendwann ab, denn ich wollte es eigentlich gar nicht hören, wie glücklich sie war, während mein Glück langsam in Millionen Stücke zerbrach.
"Ave?", fragte sie mich und ich merkte, dass ich etwas zu lang abgeschaltet hatte.
"Jaja, hört sich echt super an! Wann lern ich ihn mal kennen?"
Sie sah mich etwas komisch an und meinte: "Das hab ich dir doch gerade gesagt. Er ist hier. Eigentlich müsste er gleich wieder da sein."
Ich konnte nicht mehr als ein Oh hervorbringen, denn da sah ich ihn.
Er war ein Mann, der alle Blicke auf sich zog, wenn er auftaucht und das auch weiß. Ein Mann, bei dem jede Frau in seinem Umkreis das Atmen aufhört, innehält und ihn einfach nur anstarren muss. Mit einem selbstsicheren Gang und einem breiten Grinsen kam er auf uns zu und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare, die ihm etwa bis zum Kinn reichten. Seine breiten Muskeln spannten sich unter seinem Shirt und ich konnte schon von weitem seine schlanken, muskulösen Beine sehen.
Bea musste gemerkt haben, dass ich ihn schamlos anstarrte und vermutlich auch noch sabberte, denn sie kicherte leise und stieß mir den Ellenbogen in die Rippen, sodass ich aus meiner Trance gerissen wurde.
Als er vor uns stand und Bea aufsprang und ihm einen Kuss auf die Wange drückte, erhob ich mich so schnell, dass mein Fuß einknickte und ich vor ihm in den Staub gefallen wäre, wenn er mich nicht aufgefangen hätte. Schüchtern sah ich ihm in die Augen und das waren die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Dunkel, fast schwarz und so ausdrucksstark, dass meine Knie zitterten und ich nicht wusste, ob ich stehen konnte, wenn er mich losließ.
Er drückte mich auf die Bank und würdigte Bea keines Blickes, die sich an seinen Arm klammerte.
Ich blickte ihn verwirrt an, dann sah ich Bea an und er sagte etwas zu ihr, sah ihr dabei fest in die Augen und sie nickte, ging zum Pferd und ließ uns allein. Mich wunderte das, denn normal hätte sie ihn mir vorgestellt.
Er setzte sich neben mich und ich hatte Angst, dass ich wieder zu sabbern anfing, wenn ich ihn ansehen würde. Also starrte ich auf meine Hände und zwang mich, sie ruhig zu halten, denn sie zitterten unaufhörlich.
"Hallo", sagte er mit einer tiefen Stimme und das Schweigen nach diesem Hallo brachte mich dazu, ihn anzusehen und ein Hi herauszuquetschen. Ich hörte mich jämmerlich an, doch er lächelte und tat so, als hätte er den quietschenden Ton nicht gehört.
Irgendwo her kannte ich den doch, schoss es mir durch den Kopf.
"Ich bin Jared", sagte er und streckte mir die Hand hin.
Ich starrte sie an, als könnte sie sich jeden Moment in eine Giftschlange verwandeln, doch dann nahm ich sie und schüttelte sie wie eine Wilde. Er lächelte wieder.
"Wie heißt du?", fragte er und ich zwang mich, mich zusammenzureißen. Was war ich nur für eine, die sich so wegen einem Mann aus dem Konzept bringen ließ?
Ich räusperte mich und hörte, dass meine Stimme nun wieder normal war.
"Ich bin Avenae."
Ich schüttelte immer noch seine Hand und als ich es merkte, zog ich sie blitzschnell zurück.
"Freut mich, dich kennenzulernen, Avenae. Außergewöhnlich schöner Name für eine außergewöhnlich schöne Frau."
Jaah, mich freut es auch, dich kennenzulernen, dachte ich, aber sagte nichts. Ich konnte einfach nichts sagen.
Woher kenn ich dich nur, fragte ich mich wieder, als ich ihn ansah und seine schwarzen Augen mich zu durchbohren schienen.
Ich wurde unterbrochen, denn mein Handy fing an zu läuten. Als ich nicht hinging, meinte Jared, ich solle doch rangehen.
Schnell zog ich ungeschickt mein Handy aus der Tasche und hörte Toms Stimme, als ich abhob.
Achja, den gibt’s ja auch noch.
Er sagte etwas von wegen warum ich nicht angerufen hätte und was los sei. Ich sagte ihm schlicht, dass ich bei Bea schlafen würde und sie mich morgen heimbringen würde.
Dann legte ich auf, ohne die gewohnte Ich-liebe-dich-Floskel und ich fing wieder Jareds Blick auf, der mich unentwegt ansah.
"Dein Freund?", fragte er und ich schüttelte instinktiv den Kopf.
"Nein, nur ein Bekannter." Wow, so schnell kann's gehen.
Ich erhob mich, als mir einfiel wo wir überhaupt waren. Ich sah zu Bea, die immer noch bei dem Pferd stand und uns nicht mal ansah. Seltsam.
Ich ging zu ihr und sie sah mich erst an, als Jared zu uns kam, ihr eine Hand auf den Rücken legte und etwas ins Ohr flüsterte. Äußerst seltsam.
Ihre Stimme war irgendwie komisch und sie gab sich ziemlich unecht.
"Ich muss schnell in den Stall und Nero reinbringen. Ihr könnt euch ja so lange unterhalten, wenn ihr wollt. Ich muss jetzt dann sowieso bald los. Arbeit…", meinte sie gespielt fröhlich und ich ging mit ihr zusammen zu dem Stall, Jared hinterher, dessen Blicke ich die ganze Zeit spüren konnte.
"Arbeit? Achja stimmt, du musst ja Freitag arbeiten, hab ich ganz vergessen. Schade", sagte ich und meinte es wirklich ernst. Ich hätte gerne mit ihr geredet und Zeit verbracht.
"Ja, tut mir leid. Ich fahr gleich von hier aus in die Stadt. Wenn du willst, dann kann Jared dich heimbringen?"
Ich schüttelte den Kopf, denn ich war ja mit dem Rad von Ellen da und wollte das erst zurückbringen.
Wir verabschiedeten uns und Bea versprach, mich morgen anzurufen.
Als ich mich von Jared verabschiedete und Bea schon im Stall war, nahm er meine Hand und drückte mir einen Kuss darauf.
"War wirklich ein Vergnügen, dich kennenzulernen. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder", meinte er und er sah mir mit seinen schwarzen Augen fest in die Augen.
Ich sah ihn verwirrt an, als er mich immer noch anstarrte. "Ist noch was?", fragte ich und endlich riss er sich los und schüttelte den Kopf.
"Nein, ich dachte nur…", sagte er, drehte sich um und ging in Richtung Stall.
Auf der Fahrt zurück zu Beas Wohnung dachte ich über den äußerst komischen Verlauf des Abends nach. Was sollte denn das Ganze? Und wie konnte mich ein Kerl, der nicht mein Freund war, so dermaßen aus dem Konzept bringen, wie dieser Jared? Ich überlegte den ganzen restlichen Weg zurück, wo ich ihn schon mal gesehen haben könnte.
Bei der Wohnung angekommen, stellte ich das Rad ab und beschloss, den Rest zu meiner Wohnung zu gehen. Tom musste das ja nicht wissen. Wie sagt man so schön? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Ich kramte in meiner Tasche nach meinen Kopfhörern, als meine Hand auf etwas stieß, das ungewöhnlich war. Achja richtig, die Fotos. Ich zog es heraus. Ich sah sie mir im Schein der untergehenden Sonne an und kam zu dem Bild, wo ich die Adresse fotografiert hatte.
Dann fiel mir was ein. Ich kramte wieder in meiner Tasche und stellte mit Erleichterung fest, dass meine Dienstmarke da war. Also warum sollte ich nicht bei dem vorbeischauen, der vielleicht einen Haufen Mädchen getötet hatte? Ich befühlte meine Jackentasche. Das Pfefferspray und das Taschenmesser waren eine ausreichende Verteidigung, beschloss ich und machte mich auf dem Weg zu der Adresse.
Es war ein schönes Haus, in dem Licht brannte. Ich atmete tief durch, denn ein bisschen aufgeregt war ich schon. Ich suchte mit zittrigen Händen meinen Dienstausweis in meiner Tasche und atmete nocheinmal ganz tief durch.
Zögernd klingelte ich und tänzelte nervös von einem Bein auf das andere.
Nach kurzer Zeit öffnete ein junger Mann und ich war einen Moment wie gelähmt. Denn der, der da stand, mit dem hatte ich niemals gerechnet. Jetzt wusste ich auch, woher ich ihn gekannt hatte.
In der Tür stand Jared. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
"Ja?", fragte er mit seiner wunderschönen Stimme.
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