Читать книгу: «Avenae», страница 2
"Danke Avenae. Sie sehen heute wieder einmal bezaubernd aus."
Und natürlich gab er mir wieder viel zu viel Trinkgeld, der alte Sack.
Während er mein Café verließ und mir nochmal winkte, dachte ich darüber nach, ob er das schon jemals zu seiner Frau gesagt hatte, falls er überhaupt eine hatte.
Meine Kundschaft bestand hauptsächlich aus Polizisten, Studenten und was ich am allermeisten hasste, Touristen, denn mein Café lag, wie schon erwähnt, neben der Polizeistation und dem Strand. Außerdem konnte man, wenn man auf meiner Terrasse saß, auf das Meer blicken, das sich gleich dahinter erstreckte. Eigentlich ein Traum.
Nachdem sich allmählich der morgendliche Andrang der Kaffeesüchtigen gelegt hatte, machte ich mich über das Paket her. Ich wusste um Himmelswillen nicht, wer es mir geschickt haben könnte. Bestellt hatte ich nichts und Verwandte oder Freunde konnte ich auch ausschließen. Geburtstag hatte ich erst wieder nächstes Jahr, also von wem sollte es sein?
Neugierig zog ich an der Paketschnur, die partout nicht aufgehen wollte. Ich griff hastig nach einem Messer und schnitt mir fast meinen Finger ab, aber letztendlich löste sich die Schnur doch noch und ich riss das Papier ab. Mir fiel ein Brief entgegen. Er war aus gelblichem Papier. Ich hob ihn hoch und erstaunte. Da stand doch tatsächlich mein Name drauf. Und eine Verwechslung konnte es nicht sein, denn mit meinem Namen gab es sicherlich nur eine Person auf der Welt. Doch wer hatte auch nur einen Tintentropfen und vor allem das Porto verschwendet, mir einen Brief zu schreiben?
Langsam riss ich den Umschlag auf, zog ein Blatt Papier heraus und begann zu lesen.
Avenae,
glaub mir, um dir diesen Brief zu schreiben, brauchte ich all meinen Mut. Aber ich habe keine andere Wahl. Du musst endlich wissen, wer du bist, wer ich war.
Du wirst dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern, aber wenn du diesen Brief liest, dann musst du wissen, dass meine Zeit abgelaufen ist. Ich kann nicht mit dem Gefühl gehen, dass du überhaupt keine Ahnung hast, was in meiner, deiner Welt vor sich geht.
Ich finde einfach nicht die richtigen Worte, dass du verstehst, warum ich dich verlassen musste, aber eins kann ich dir sagen, Avenae bitte vergib mir. Vergib mir für das, dass ich nicht bei dir war, als du mich brauchtest. Aber dort, wo du bist, bist du am besten aufgehoben, noch. Und irgendwann, vielleicht sogar sehr bald, wenn du diesen Brief erhältst, wirst du mich verstehen. Bitte Avenae vergib mir.
స 2 స
An manchen Stellen war die Tinte von Tränen verschwommen.
Was um alles in der Welt sollte das denn? Wollte mir jemand einen Streich spielen? Der Typ von nebenan? Wenn ich den in die Finger bekam, dann konnte er sich ja mal auf was gefasst machen.
Verärgert nahm ich das Päckchen in die Hand. Es war eine kleine Schachtel darin. Langsam hob ich den Deckel und öffnete sie.
In einem von Samt überzogenem Polster lag ein… Ja was sollte das sein? Ein Zahn? Ich nahm das Ding hoch und merkte, dass es an einer Kette hing. Nein… es war ein Mond, genaugenommen ein Halbmond. Jedenfalls der unterste Anhänger, genaugenommen waren es drei Anhänger. Der in der Mitte war eine Blume. Eine Rose, die aussah, als wäre sie einmal echt gewesen und dann in einer Art Gelee eingegossen worden. Ganz oben hing ein Plättchen, auf dem irgendwelche Zeichen eingraviert waren. Ich verzog das Gesicht, fast schon enttäuscht. Sowas bekam man für wenige Euros in jedem Chinaladen.
Ich war mir echt nicht sicher, ob das ein Scherz war oder nicht.
Aber was wenn die Sachen tatsächlich von meiner Mutter waren, auch wenn sie einfach nur billig und ramschig aussahen?
Auch egal, dachte ich. Die Kette war auf jeden Fall wunderschön und sie passte mit ihrem Goldton perfekt zu meinem Look. Ich zog sie heraus und band sie mir um. Neben dem Tresen hatte ich einen Spiegel stehen. Wow, dachte ich. Perfekter als perfekt.
Die Anhänger lagen warm auf meiner Haut, erstaunlich warm. Seltsam, dachte ich, normalerweise waren Ketten wenn man sie anzog ziemlich kalt und nicht warm.
In Gedanken sah ich hoch, denn ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde.
Da war er wieder.
"War das in dem Päckchen, Avenae?"
Sofort war meine Stimmung im Keller. Da stand er, Tom, mit einem blauen Hemd und einer Polizeijacke. Grrr, ich steh auf Männer in Uniform, dachte ich unwillkürlich und verwarf den Gedanken sofort wieder mit einem Kopfschütteln.
"Okay, was willst du?", fragte ich schroff und schubste das Paket von meinem Schoß.
"Ich dachte, hier kann man Kaffee kaufen", meinte er lächelnd, legte seine Kappe auf den Tresen und lehnte sich lässig darauf.
Oh, natürlich. Hatte ich ja ganz vergessen. Genervt nahm ich die hässlichste Tasse die ich hatte und stellte sie unter die Maschine.
Die ganze Zeit über lachte er mich an und versuchte mit mir zu flirten, doch ich ging nicht darauf ein, sondern warf ihm nur böse Blicke zu.
"Und hast du schon darüber nachgedacht?"
Anscheinend musste ich ihn ziemlich dumm ansehen, denn als ich keinen Schimmer hatte von was er redete meinte er: "Naja, wegen heute Abend?"
Gottseidank machte die Kaffeemaschine Pieps und der vertraute Geruch von frischem Kaffee stieg mir in die Nase.
Ich knallte ihm die Tasse hin.
"Oh, kann ich den auch zum Mitnehmen haben, meine Schicht fängt gleich an, ja, eigentlich bin ich schon viel zu spät", sagte er sanft, während er mir mit einer Hand die Tasse zurückschob und meine Finger streifte, als ich sie wütend in Empfang nahm, die braune Flüssigkeit in einen Becher schüttete und sie ihm wieder hinschob.
"Das macht dann…", doch weiter kam ich nicht, denn sein Handy klingelte und er packte seinen Kram und verschwand mit einer gemurmelten Entschuldigung in Richtung der Polizeistation.
"… 2.20 €", murmelte ich und dachte still, das Geld hol ich mir schon noch.
Der Rest des Tages war eher langweilig, ich hatte nicht außergewöhnlich viele Kunden, ein paar hellten meine Laune auf und ich fuhr abends sogar pfeifend nach Hause, nachdem ich mein Café gut verschlossen hatte.
Als ich vor meiner Wohnungstür stand, fühlte ich mich schon wieder extrem beobachtet. Schnell schaute ich zu Toms Wohnungstür und konnte fast hören, wie er hinter dem Türspion den Atem anhielt. Genervt ging ich zu der Tür und klingelte.
Ich verdrehte die Augen, als er so tat, als würde er nicht hinter der Tür stehen und ich konnte mir richtig vorstellen, wie er in Gedanken von 10 runter zählte, um mir nicht gleich die Tür zu öffnen und den Eindruck zu machen, dass er gerade aus dem Wohnzimmer oder so kam.
Als er öffnete, breitete sich ein strahlendes, aber auch ein bisschen schüchternes Lächeln auf seinem Gesicht aus, sodass ich einen Moment nicht wusste, warum ich eigentlich geklingelt hatte.
"Avenae, was für eine Überraschung. Hast du dir mein Angebot überlegt?“
"Ähm, ja, ähm… Also, ich bekomm noch Geld von dir und ich dachte, ich klingle einfach mal und naja…", druckste ich herum und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
"Ja klar, ich geb es dir später.
Also, was sagst du dazu, wenn ich was für dich koche und du rüber kommst? Oder willst du ausgehen? Oder eine DVD anschauen und einfach plaudern?", fragte er und lächelte mich so süß an, dass ich echt fast schwach wurde und zu sabbern anfing. Er war schon ziemlich gut aussehend, wie er so dastand, mit seinen zerwuschelten Haaren und seinem süßen Lächeln…
Doch nein, ich hatte vorhin beschlossen, dass es nicht gut war, jemanden in mein Leben zu lassen und so musste ich Prioritäten setzen.
"Tut mir echt leid, aber ich bin ziemlich fertig und…"
"Komm schon, das ist keine Ausrede. Ich erwarte dich in einer viertel Stunde, und wehe du kommst nicht, denk dran, ich bin Polizist. Ich werde dich holen kommen."
Mit den Worten schloss er die Tür und murmelte noch etwas von wegen Geld oder so, aber nicht bevor ich einen Blick in seine Miniwohnung werfen konnte.
Es war das reinste Chaos, noch schlimmer wie bei mir. Viel schlimmer.
Verwirrt und auch ein bisschen frustriert ging ich zu meiner Tür.
Wütend schloss ich auf, wobei das Schloss schon wieder nicht richtig funktionierte und ich knallte die Tür hinter mir zu, nachdem ich in meine Wohnung gestolpert war.
Ich schmiss einfach alles inklusive mich selbst aufs Bett. Sicher werde ich nicht gehen. Ganz sicher nicht, da kann er warten bis er schwarz wird.
Und dann kamen die Gedanken. Ich stellte mir widerwillig vor, wie seine Lippen schmeckten und wie er roch und dann sagte ich mir, warum nicht? Ja, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte ich noch nie richtig gefühlt was Liebe war, weder zwischen zwei Menschen, noch innerhalb einer Familie.
Gut, aber nur zum DVD schauen. Vielleicht würde es ja ganz lustig werden.
Ich stand auf und ertappte mich dabei, wie ich ein schönes Shirt aus dem Schrank zog und meine Haare glatt strich. Wo war meine Bürste?
Okay, Memo an mich: Aufräumen und mir zum x-ten Mal einen Ordnungsplan für meine Wohnung überlegen. Aber erst morgen, denn jetzt, tja ich hatte jetzt sowas wie ein Date.
Ich schlüpfte in das roséfarbene Shirt und in eine schwarze Jeans und fragte mich, ob das Shirt zu viel Ausschnitt hatte, aber verwarf den Gedanken wieder.
In meiner Euphorie hüpfte ich aus meinem Zimmer und natürlich hatte ich meinen Schlüssel vergessen. Verdammt, das war sogar der Zweitschlüssel.
Vergebens rüttelte ich an der Tür. Die war zu. Ich fluchte wie wild und schimpfte mein ganzes Repertoire an Flüchen gegen die Tür, doch die öffnete sich nicht. Und schon ging eine andere Tür auf, die lieber verschlossen geblieben wäre.
"Was machst du da?", fragte Tom endlich, nachdem er fünf Minuten lächelnd im Rahmen gelehnt hatte und mir mit verschränkten Armen zugesehen hatte, wie ich versuchte die Tür zu öffnen.
Ich strich mein Oberteil glatt und schnaufte: "Nach was sieht's denn aus?"
Er lachte nur und bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich in sein Zimmer kommen soll. Als ich mich nicht bewegte, kam er auf mich zu und hob mich einfach so aus dem Nichts hoch und trug mich in sein Zimmer. Ohne sich über meine Pfunde zu beschweren, die mir schon lange ein Dorn im Auge waren.
Ich strampelte so fest, dass er mich fast auf sein Bett/Couch schmiss und ich starrte ihn wütend an.
"Ganz ruhig. Hättest du auf mich gehört, dann hättest du auch selbst durch die Tür gehen können. Aber so… Jetzt komm, entspann dich. Was willst du anschauen?"
Ich versuchte, mich zu beruhigen und stand auf. Das Chaos von vorhin war verschwunden und ich fragte mich in welchen Schrank er den ganzen Kram gestopft hatte, so wie ich es immer machte, wenn ich spontan Besuch bekam, was leider nicht so häufig vorkam.
Man, hatte der komische DVDs. Lauter Action-Zeug. Meine waren da viel besser, aber ja leider in meiner verschlossenen Wohnung.
Mir sagten die Titel alle nichts und als er mich gelangweilt betrachtete und ich nicht alle Inhaltsangaben durchlesen wollte, nahm ich einfach eine mit der Aufschrift: Mission Impossible, The Phantom Protokoll.
Na gut, wenigstens nichts Grusliges, wo er auf den Gedanken kommen könnte, mich zu beschützen und mir einen Arm um die Schultern zu legen oder sowas kindisches.
Er stand seufzend auf, als ich mich in seinen Augen zu doof mit dem DVD-Player anstellte und legte sie selbst ein.
Und da saßen wir, zwischen uns viel zu viel Raum und ich konnte seinen Atem und sein leises Lachen hören, sein Rasierwasser und sein Shampoo riechen, und seine gelegentlichen Blicke, die er mir aus den Augenwinkeln zu warf, spüren.
Ich muss zugeben, der Film war richtig gut, was mich echt beeindruckte, denn am Anfang war er schon ziemlich brutal.
Das peinlichste war der Schluss. Denn das Problem war einfach der Schluss. Keiner sagte was, als Tom Cruise in den Nebel verschwand und der Abspann anfing. Ich spürte, wie rot ich wurde, weil er mich anstarrte.
Dann fühlte ich seine Hand und aus irgendeinem Grund zuckte ich nicht zurück. Auch nicht, als er mich küsste.
Die Frau fuhr fort und es war fast, als hätte sie das erlebt, was sie vorlas, was natürlich Schwachsinn war. Danielle schloss die Augen und stellte sich vor, wie die Hauptperson war. Wie sie ausgesehen haben mochte, wie sie mit ihrem Leben nicht zurecht kam. Stellte sich alles vor, was passierte und dass es Wirklichkeit sein könnte.
Währenddessen, an einem anderen, sehr fernen Ort passierte etwas, das ich mir nie hätte träumen lassen. Nie hätte ich gedacht, dass so was möglich wäre, bis zu dem Zeitpunkt, als ich selbst ein Teil des Ganzen wurde. Ein Teil von der Welt, die auf mich wartete.
Ein paar Jahre zuvor sollte ein Mädchen, das so schön wie die Sonne war, so ruhig und so fließend wie das Wasser, so gebildet wie die Götter und so gescheit wie alles Wissen war, seine Mutter nie wiedersehen. Auch um ihre Existenz gab es ein Geheimnis, mit dem niemand gerechnet hatte. Sie wurde von den Göttern verstoßen, zusammen mit einer Frau, die eine Dienerin des großen Gottes und eine Verwandte der Tochter des Gottes war.
In einem kleinen Haus an der Küste des Landes, das ihr später näher kennenlernen werdet, lebten sie und das Mädchen wuchs heran. Als sie 13 Jahre alt war, in dieser Welt ein Alter, mit dem man Verantwortung übernehmen musste, lernte ihre neue Mutter ihr alles über ihre Fähigkeiten. Was genau diese Fähigkeiten waren, das erzähle ich später, denn ihr würdet es sowieso nicht glauben. Sie bekam auch ein Geschenk. Ihre neue Mutter erzählte ihr, dass das ein Geschenk der Götter war. Ein Geschenk ihrer wahren Mutter und ihrer wahren Herkunft. Ein silberner Ring, mit einem Stein, der aussah, als würde er fließendes Wasser einschließen. Er war blau, ein schönes intensives Blau, fast dieselbe Farbe wie die Augen des Mädchens. Sie freute sich sehr und sie lernte noch schneller. Sie war sehr fleißig, sodass sie sehr viel Lob von ihrer neuen Mutter bekam. Ein Jahr lang lebten sie noch zusammen, in dem Jahr wurde sie genauso gut wie ihre neue Mutter und sie liebten sich sehr.
Eines Tages aber wurde alles anders. Schon vorher wütete ein Krieg in dem Land, von dem die beiden allerdings nichts mitbekamen. Doch an dem Tag sollte sich alles ändern. Soldaten kamen, töteten die Frau und als sie das Mädchen sahen, und das, was sie tat, waren sie wie verzaubert von ihr. Von ihrem langen, blonden, fließendem Haar und ihren blauen, kristallklaren Augen. Sie flehte sie an, sie nicht zu töten, also nahmen sie sie mit. Doch das, was sie mit ihr taten, verstieß gegen das Gesetz. Aber keiner war da, um ihr zu helfen. Denn der König war tot.
స 3 స
Das Problem mit der Tür hatte sich schnell erledigt, da Tom, der nun offiziell mein erster fester Freund war, ziemlich gut mit einem Dietrich umgehen konnte.
Tom war einfach wunderbar. Ich hatte ihn gar nicht verdient. Aber aus irgendeinem Grund war er ganz verrückt nach mir und zeigte mir das auch in jedem nur erdenklichen Augenblick.
Wir unternahmen viel, er nahm sich frei, wir lachten und redeten und ich stellte eines Abends, als wir auf dem Balkon lagen und Erdbeeren mit Schokolade aßen und uns gegenseitig mit der geschmolzenen Schokolade vollschmierten, fest, dass es eigentlich gar nicht so schlecht war, jemanden in mein Leben zu lassen. Endlich fühlte ich mich einfach nur gut, jeden Moment meines Lebens wollte ich mit ihm verbringen.
Er war das tollste, was mir je passiert ist. Und ich Depp wollte ihn zuerst gar nicht.
Eigentlich hasste ich Leute, die meinten, wegen ihnen müsste ich mein ganzes Leben ändern. Tom meinte, ich müsse mehr aus meinem sehr bescheidenen Leben machen und hatte versucht, mich bei der Polizei für eine Ausbildung anzumelden.
Ich lehnte ab, denn ich hasste es wirklich, wenn mir jemand vorschrieb was ich tun und was ich nicht tun sollte, aber weil er mir die ganze Zeit über sauer war und ich konnte es einfach nicht ertragen, wenn er mich nicht mit seinen warmen braunen Augen ansieht und mir zärtliche Worte in mein Ohr hauchte, willigte ich wenigstens für ein Praktikum ein.
Mein Café wollte ich aber nicht aufgeben und wenn ich frei hatte, arbeitete ich darin mit. Ich hatte mir jemanden eingestellt, Jenny, eine hübsche kleine Blondine, die sich mit dem Kellnern auskannte und die ich auch mal allein lassen konnte. Ich vertraute ihr.
Das Schlimmste war jedoch, für Tom war seine Arbeit Prio eins im seinem Leben. Ich musste ihn mit Mördern und Schichtarbeit teilen, was nicht gerade einfach war.
Heute aber nicht!
Heute war unser erster gemeinsamer Tag seit langem. Er hatte Urlaub und ich noch einige Überstunden, die ich wegbringen musste, bevor das Praktikum zuende war. Ich hatte ihn so lange gebeten, dass er sich endlich mal freinimmt, und siehe da, meine Wünsche wurden erfüllt.
Es war ein schöner Tag und ich machte mich fertig. Ich zog eine weiße Bluse und einen Rock in A-Linienform und meine braunen Sandalen an. Ich nahm meine Handtasche und den Schlüssel, verließ meine Wohnung und klopfte an Toms Tür.
Als keiner öffnete, zuckte ich nur mit den Schultern und sprang die Treppen hinunter.
Unten wurde ich geblendet von der Sonne und von noch jemanden, der an der Wand lehnte.
Grr, er erfüllt wirklich jedes Klischee eines sexy Polizisten. Am liebsten würde ich ihm die Strähnen seines dunklen Haars aus der Stirn streichen und ihm das blaue Hemd herunterreißen, aber man kann ja nicht alles haben.
Über den Rand seiner Pilotenbrille blickte er mich an und verdrehte die Augen.
"Na endlich, kommst du?", fragte er ungeduldig und stieß sich von der Wand weg.
"Man Tom, wir haben Zeit. Hast du vergessen dass du heute frei hast?"
Er nickte und nahm meine Hand.
Ich hatte so viele Pläne für heute, wollte spazieren gehen, in der Stadt Kaffeetrinken, Tretboot fahren und das Leben genießen.
"Okay Baby, was willst du zuerst machen?", fragte er mich, während er den Arm beschützend um mich legte.
"Ich brauch erst mal einen Kaffee", und ich dachte sehnsüchtig an dieses wunderbare Getränk, das ich so liebte.
"Aber zuerst hab ich noch eine Überraschung für dich", sagte er mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht.
Jetzt war ich wirklich gespannt. Er war so süß und lieb zu mir, das war eigentlich mehr, als ich verdiente, aber wer hatte schon etwas gegen eine Überraschung?
Er fummelte an seiner Hosentasche herum und ich malte mir schon aus, dass es die kleinen Perlenohrringe waren, die ich ihm letztens in einem schönen kleinen Laden gezeigt hatte, oder aber den Ring mit dem Diamanten? Könnte es wirklich sein, dass er mir hier und jetzt einen superromantischen Heiratsantrag machen würde?
Während er immer noch mit seiner Hosentasche kämpfte, malte ich mir aus, wie ich wohl in einem Hochzeitskleid aussehen würde. Ein weißes? Oder ein ganz romantisches in rosé? Und Tom im Anzug… mhmmmm.
"Süße, da wir ja jetzt schon eine Zeitlang zusammen sind, hab ich mir was ausgedacht…", fing er an und ich strahlte übers ganze Gesicht. Gleich wird er es sagen. Gleich wird er die Worte sagen, die mein Leben endgültig vollkommen machen würden.
"Also ich wollte dich fragen, ob du…" Ich zitterte und ich konnte nicht anders: "Ja Tom, ich will!"
Einen Moment sah er mich verwundert an und zog etwas aus seiner Hosentasche hervor. Und er stand einfach nur so da. Es war nicht richtig so.
"Nein nein Schatz. Du musst dich hinknien, das ist nicht romantisch", meinte ich fast schon enttäuscht.
Und bevor er nun endlich die Worte sagen würde, sah ich auf seine Hand und als ich erkannte, was es war, war ich schon fast den Tränen nahe.
"Was ist das?"
"Nun, ich hab mir gedacht, wir haben uns noch fast nie zusammen diese Insel angesehen hab ich uns das hier ausgeliehen, damit wir uns mal Rügen anschauen können."
Er deutete an mir vorbei auf etwas. Als ich mich umdrehte, blieb mir fast der Atem weg, so enttäuscht war ich.
Da stand sie. Eine schwarze Vespa, die eigentlich ganz schön war, unter anderen Umständen vielleicht, in einem anderen Leben vielleicht.
"Äääh…", mehr brachte ich nicht heraus und Tom deutete es wohl als einen Ausdruck der Freude, denn ein breites Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.
"Und wie findest du sie?"
Begeistert ging er zu der Vespa und schloss sie auf.
"Äääh…", machte ich immer noch, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
"Wow Ave. Deine Begeisterung hält sich ja mal wieder in Grenzen."
Er klang etwas beleidigt und ich schreckte aus meiner Starre.
Ich überbrückte die kurze Strecke zu ihm und der Vespa und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Schatz. Sie ist wirklich ein Traum. Aber du hast doch ein Auto?", fragte ich unsicher, während er sich wieder aufrichtete und zwei Helme in der Hand hielt.
Der eine war pink. Ernsthaft. Es war ein richtig schönes Pink und sofort konnte ich wieder lächeln. Wahnsinn, was hatte ich nur für einen tollen Freund (hoffentlich bald Verlobten)? Hatte ich nicht ein Glück?
"Die ist doch nicht für mich"… Erleichtert atmete ich aus. Er hatte sie also nur gemietet.
"Sie ist für dich."
Ich zuckte zusammen. Für mich?
"Waaas?" Ich war echt schockiert. Er schien es in meinem Gesicht ablesen zu können, denn er kam auf mich zu und hielt mir seine Lippen für einen Kuss hin. Er dachte doch ernsthaft, dass ich mich darüber freuen würde.
"Komm Süße, machen wir uns einen schönen Tag. Und sei so gut und tu wenigstens so als würdest du es genießen."
Ich nickte nur und er schwang sich auf die Vespa, mich an der Hand mitziehend. Langsam setzte ich den Helm auf, darauf bedacht meine Haare nicht zu zerdrücken und setze mich hinter ihn.
Und los ging's. Es war eindeutig viel zu schnell für meine Verhältnisse. Ich drückte mich an ihn und umklammerte ihn so fest, dass er sich unterm Fahren zu mir umdrehte und einen schmerzenden Gesichtsausdruck aufsetzte.
"Schau nach vorne um Himmels Willen!", schrie ich durch den Fahrtwind und er lachte nur.
"Ich meins ernst!" Ich zwickte ihn zur Bestätigung in die Taille.
Das half, denn er sah wieder auf die Straße.
Ich wusste nicht wo er hinfuhr und ich ließ mich überraschen. Vielleicht kam ich ja doch noch zu meinem romantischen Heiratsantrag im Sand, mit Picknick, Champagner und langsam geht die Sonne unter. Hach, herrlich.
Wir fuhren aus der Stadt heraus und ganz ehrlich, es gefiel mir. So schnell von einem Ort zum anderen kommen und dabei den Wind in meinen Haaren spüren, das Kribbeln, das sich langsam von Angst in unbändige Freude verwandelte. Ich lockerte den Griff um Toms Taille und stieß einen Schrei aus.
Er erschrak zwar kurz, aber er stimmte bald in mein Lachen ein. Eigentlich war es ja ein wirklich schönes Geschenk. Einfach frei sein.
Ich drückte mein Gesicht in seinen Nacken und küsste ihn, so gut es der Helm zuließ. Plötzlich verlangsamte er das Tempo und ich blickte wieder hoch.
Wir kamen an die Küste Rügens und ich sah die hohen Kreidefelsen. Ich liebte diese Insel. Mein Zuhause.
Ein bisschen zerzaust stellten wir die Vespa am Strand ab und liefen bis hin zum Meer. Er hatte mich an eine Stelle geschleppt, wo absolut niemand war. Keiner. Er kannte viele solche Stellen.
"Du siehst etwas verschwitzt aus, Liebes. Wie wäre es mit ein bisschen Abkühlung?", rief er und packte mich an der Hüfte, hob mich hoch und warf mich über seine Schulter, als würde ich nichts wiegen.
Ich kreischte wie wild, als er mich in das kühle Wasser warf.
Er lachte und sprang zum Strand zurück, zog sich seine Hose und sein Hemd aus, bis er nur noch mit der schwarzen, engen Boxershort dastand, in der er einfach unwiderstehlich aussah.
Ich rappelte mich auf und lief ihm nach.
"Du Idiot! Schau nur, wie ich jetzt aussehe. Ganz nass!"
Ein leises Lächeln erklang und er setzte seinen Verführerblick auf.
"Dann musst du aus den nassen Sachen raus, wir wollen doch nicht, dass du krank wirst..."
Seine Augen blitzten, als seine Hände anfingen, mir das Wasser aus dem Gesicht zu streichen, hinunter über meine Haare und meinen Hals.
Dann wanderten sie weiter über meine Brüste zu meinem Bauch. Sanft zog er mich an sich und es war elektrisierend, ihn so nah bei mir zu spüren, während das Wasser aus meinen Haaren auf meine Schultern tropfte.
Ich gab ihm einen kleinen Stoß mit meinen Händen und er plumpste auf den Sand.
Zur Strafe kitzelte er mich durch, bis ich keine Luft mehr bekam.
Eine Weile lagen wir so da, er auf dem Rücken und ich auf seinem Arm neben ihm. Um mich zu ärgern spannte er seine Muskeln immer wieder an, sodass mein Kopf von seinem Arm in den heißen Sand rutschte.
Die Sonne auf meiner Haut und Toms Atem in meinem Haar zu spüren zauberte mir ein Lächeln auf meine Lippen.
Er flüsterte mir zärtliche Worte ins Ohr und die Sonne war nur durch den leichten Sommerwind zu ertragen.
"Tom?", fragte ich ihn vorsichtig, da ich nicht wusste, ob er eingeschlafen war.
Ein Brummen erfüllte seinen Brustkorb und ich musste lächeln.
"Du, ich weiß, dass das noch früh ist, aber ich würde so gerne mal über unsere Zukunft reden."
Er setzte sich auf und sah mich an.
"Was soll damit sein?"
Ich räusperte mich und sah betroffen auf den Boden, schubste mit dem Finger kleine Sandkörnchen von meinen Beinen und er hob mein Kinn mit beiden Händen an.
"Hast du gedacht, ich frag dich, ob du mich heiraten willst?", platze er plötzlich heraus.
Schockiert riss ich die Augen auf und wollte schon meinen Mund zu einem Nein formen, als er mir zuvor kam.
"Ich weiß es, du brauchst es nicht leugnen. ´Ja, ich will´ ", äffte er mir mit einer sehr gut getroffenen Stimme von mir nach.
"Ach Ave. Du bist noch so jung."
"Also bitte, so viel älter als ich bist du auch nicht!", fauchte ich ihn an und mir war das alles so unendlich peinlich. Ich drehte den Kopf weg, doch er hielt ihn mit einem eisernen Griff fest und zwang mich, ihn anzusehen.
"Ist das so abwegig? Liebst du mich denn nicht?", flüsterte ich und hatte schon Angst vor der Antwort.
"Klar lieb ich dich, aber Ave, schau du bist grad mal 20 und hast noch so viel Zeit im Leben. Warum willst du dich genau jetzt für immer an mich binden?"
Weil ich dich liebe, wollte ich sagen, aber ich brachte es nicht über die Lippen.
"Tomas, weißt du, wie mein Plan vom Leben aussieht, seit ich dich getroffen hab? Dich heiraten, am liebsten fünf Kinder mit dir haben und ihnen beim Großwerden zusehen und sie niemals im Stich lassen, so wie meine Eltern es getan haben. Denn das ist das Schlimmste, was einem Kind passieren kann." Meine Stimme brach ab und meine Augen füllten sich ungewollt mit Tränen. Mann, ich war doch sonst nicht so nah am Wasser gebaut…
Sein Mund verzog sich zu einem gekünstelten Lächeln.
"Ich glaube, ich sollte etwas klarstellen zwischen uns. Ich liebe dich, wie ich noch nie jemanden geliebt habe, kleine Avenae, aber um zu heiraten find ich das Ganze noch nicht besonders genug. Und Kinder, Kinder will ich überhaupt keine. Weißt du, ich hab so viel gesehen. Einmal hab ich einen verhaftet, der sein ganzes Zimmer voller selbstgedrehter Kinderpornos hatte. Glaubst du, in so eine Welt mag ich ein Kind setzen? Nein, ganz sicher nicht. Es tut mir leid."
Seine Worte trafen mich so hart, dass ich zurückzuckte und aufsprang. Er war so überrascht, dass er nach hinten fiel, rappelte sich aber erstaunlich schnell wieder auf und blickte mich von oben herab an.
"So denkst du also über mich? Dass ich dir nicht wichtig genug bin?", schrie ich ihn an und jetzt war mein Image als kalte, unnahbare, starke Frau tatsächlich hinüber, denn die Tränen rannen mir nun unaufhaltsam die Wangen hinunter.
Einen Moment blieb sein Blick noch kalt, doch dann wurde er weicher und er zog mich in den Arm.
"Tut mir leid. Das war blöd ausgedrückt. Ich wollte eigentlich sagen, dass mir das alles noch zu früh ist. Wir sind seit ein paar Monaten zusammen. Warum willst du unbedingt heiraten? Das ist doch nur ein kleines Stück Papier. Was ist so besonders daran?"
Toll. Ich wollte ihm gerade erklären, was so besonders und romantisch an Heiraten war, als sein Handy klingelte.
Er versteifte sich und ließ mich los. Sein Blick war echt mitfühlend, aber Wut bahnte sich von meinem Bauch aus durch meinen ganzen Körper.
Er zog sein Handy aus seiner Hose, die am Boden lag und drehte sich weg. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir, zu warten, doch ich wollte nicht warten um mir meine Vorstellung von einem schönen Leben noch mehr zerplatzen zu lassen.
Ich bückte mich und hob meine Sachen hoch und blickte mich nach Tom um. Er stand ein paar Meter weiter weg und flüsterte energisch ins Telefon. Ich wusste was das bedeutete. Es war wieder irgendein Notfall und er musste weg.
Mein Verdacht bestätigte sich, als er sich zu mir umdrehte und meinen Blick erkannte.
Schnell schlüpfte ich in die Bluse und den dunklen Rock. Ich konnte noch hören wie er sagte: "Ich bin sofort da" und schon rannte ich über den Strand zurück zu der Vespa, ohne Tom auch nur eines Blickes zu würdigen. So schnell konnte es gehen. Ich rate euch, verliebt euch nie in einen Polizisten, verliebt euch am besten nie in irgendwen. Fahrig setzte ich mir den pinken Helm auf und wollte starten, als meine Hände ins Leere griffen.
Der Schlüssel. Warum hatten eigentlich alle Schlüssel ein Problem mit mir und waren nie da, wenn ich sie brauchte?
Etwas klapperte vor meinem Kopf herum. Da war er ja! Ich wollte danach greifen, aber meine Hände griffen wieder nur Luft.