Читать книгу: «Liebe Familie», страница 3

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„Du kannst mir mein Kleid bringen, wenn ich geduscht bin. Aber du darfst mich nicht anfassen. Bei all der Farbe“, warnte sie ihn und verteilte ihr Make-up um sich.

„Kein Problem. Ich wollte schon immer sehen, wie ihr Mädchen euch anmalt.“ „Ach, das ist ja witzig. Dann zeige ich es dir. Ich gehe duschen. Ich rufe – dann kommst du, ja? Mit dem Kleid.“

Belustigt stimmte er zu und brachte ihr das Kleid gehorsam ins Bad auf ihr Rufen hin. „Hängst du’s bitte da hin? Ich will erst malern. Damit ich es nicht bekleckere mit dem Zeugs. Danke“, sie beugte sich über das Waschbecken und starrte in den Spiegel, während sie die Wimperntusche auftrug.

„Ich muss heute Abend absolut perfekt sein – mit Phil Williams unterwegs. Falls wir mit Reese Witherspoon reden. Oder Judy Dench. Mascara – von Zini. Sie sagt, ich soll dran denken, dass ich unter Scheinwerfern mehr nehmen muss. Als ob ich das nicht wüsste … Weißt du noch, wie sie mich in Luzern angepinselt haben für die Fernsehkameras? Kommt mir irgendwie klebrig vor, der Kram. Ich gehe lieber ohne. Du sagst ja gar nichts?“

Wie sollte er, wenn sie pausenlos plapperte, dachte er belustigt. Rena schüttelte das Fläschchen noch einmal kurz und machte weiter, auch mit dem Reden, ohne darauf zu achten.

Fred fiel es immer schwerer, sie nicht anzufassen. Fast nackt und verführerisch – obwohl sie voll auf ihr Spiegelbild konzentriert ihr Gesicht anstarrte – er sah restlos alles und behielt lieber für sich, wie aufreizend sie auf ihn wirkte.

Plötzlich trafen sich ihre Blicke im Spiegel. „Was denkst du gerade? Dass ich dir zu viel von Zinis heimlichem Unterricht zeige? Frauen sollen sich nie zeigen, wenn sie an ihrem Gesicht arbeiten. Sagt sie. Eine Frau muss ihre Geheimnisse unbedingt für sich behalten. Aber du wolltest meine Malerei doch gern sehen, oder?“

Anscheinend erwartete sie eine ernsthafte Antwort auf ihre Fragen. Doch Fred hatte genug damit zu tun, sich im Zaum zu halten. „Ich hätte mir Handschellen mitbringen sollen“, murmelte er ironisch.

„Hm?“ „Es ist ziemlich unmöglich, dich anzusehen ohne jeden Wunsch.“ „Ich bemale mich doch nur. Inzwischen weißt du außerdem genau, wie ich aussehe“, widersprach sie naiv und riss die Augen auf.

„Du weckst damit aber ganz andere Fantasien. Von denen ich bis eben nicht mal wusste, dass ich sie habe.“

Nachdenklich musterte sie sein ernstes Gesicht im Spiegel. Meinte er, was er da gerade sagte? In Slip und BH ließ sie seiner Fantasie tatsächlich kaum Spielraum.

„Ich bin noch nicht fertig. Und ich kann nicht jetzt schon in das Kleid springen. Bleib bitte genau da, wo du bist. Und nicht anfassen“, wiederholte sie.

„Serena, ich muss hier raus.“ Er tastete nach dem Türgriff. „Nein, kommt nicht in Frage“, sie fühlte plötzlich, welche Macht sie besaß und genoss die Situation.

In den Gletscheraugen brannte es – und auch ihr wurde heiß, obwohl die laufende Klimaanlage Feuchtigkeit und Hitze entfernte. Fred lehnte sich an die Tür. Er musste sie dringend überzeugen, ihn gehen zu lassen, und suchte nach dem passenden Argument.

„Bitte, Serena. Hier ist es zu warm.“ „So warm ist es gar nicht“, sie griff zum Deo und beobachtete seine Miene weiter im Spiegel: „Ist noch kein heißer Sommertag. Im März zu früh. Was findest du so heiß hier?“ „Dich.“ „Ich mache doch gar nichts. An dem Deo ist nichts Heißes, kein Parfüm oder so.“

Sie zwinkerte ihm neckend zu und bewegte sich noch etwas langsamer, den Blick auf ihn geheftet und sich der Beobachtung nur zu bewusst. „Ich bin harmlos. Das sagen alle. Nicht wie Zini. Ich tue rein gar nichts …“

„Das finde ich nicht witzig.“

Sie konnte sehen, wie schnell er atmete, und wiederholte ihre Warnung: „Bleib bloß, wo du bist. Welcher Lippenstift passt besser zum Kleid? Dieser oder der hier?“ Sie hielt beide mit Unschuldsmiene hoch. „Rede nicht davon.“

Nun wandte Rena sich ihm doch zu und sah ihn aufmerksam an: „Du hast zu Zini gesagt, als sie mir alles einpackte, an einem Lippenstift sei nichts Erotisches. Dass du Lippenstift nicht mal magst“, erinnerte sie ihn. Fred schüttelte nur den Kopf.

„Ich habe den nicht mal drauf, und du guckst schon so … Da du keine Handschellen dabei hast, muss ich dich ernstlich bitten, mich nicht anzufassen. Kannst du das hinkriegen?“ „Was?“ „Nicht bewegen“, sie lächelte und trat auf ihn zu: „Ich habe auch Fantasie.“ „Was hast du vor?“ „Falls du‘s nicht willst, musst du’s nur sagen.“ Er sagte gar nichts mehr, als sie nach ihm fasste.

Schön und elegant in ihrem Designerkleid startete sie mit Tom, der wie auch Allison seiner Bewunderung offen Ausdruck gab. „Ich gehe ungern – ohne dich“, flüsterte Rena Fred zu. „Genieß den Abend. Oscar-Nächte sind spannend“, meinte ihr Freund gelassen. „Ich kippe vom Stuhl, falls mein Papa einen Oscar kriegt“, seufzte Rena. Beide Männer lachten. Selbst Allison kicherte.

„Nein, nein, ich halte dich fest. Und gewinne bestimmt nicht“, tröstete Tom. Rena gluckste vergnügt: „Weil du mich schonen willst?“ „Nein, weil meine Schränke schon voller Preise von ihm sind“, Allison Reuenthal schmunzelte.

Auch ohne einen Oscar für Tom hatten sie einen überaus heiteren Abend.

Die Filmarbeit in der Woche darauf lief einwandfrei, zunächst jedenfalls. Nur ein Bühnenarbeiter störte, da er sich an Rena heran machte. Sie bemühte sich, ihn höflich abzuweisen. Allerdings nahm er ihr klares „Nein“ für ein verkapptes „Ja“. Er gehörte zu den Männern, die kein Nein akzeptieren konnten und es grundsätzlich falsch interpretierten.

Als sie vor einer Treppe einen Fuß hochstellte, um die Schleife an ihrem Turnschuh neu zu binden, tätschelte er ihr das Hinterteil. Rena fuhr herum. Ihr fiel nichts mehr ein dazu. Handgreiflichkeiten als Gegenmittel lagen ihr nicht sonderlich.

„Es reicht“, fauchte sie ihn folglich nur an. „Komm schon, du magst das doch“, im nächsten Moment streichelte er über ihre Brust.

Ihr Leibwächter war zu weit entfernt, Rena reagierte also selbst blitzschnell, als der Bühnenarbeiter sie diesmal berührte. Sie dachte keine Sekunde nach über ihr Tun, sondern tat, was ihr logisch erschien. Sie riss instinktiv das Knie hoch und traf extrem heftig, genau da, wo es garantiert schmerzte. Schreiend ging ihr Gegner zu Boden. Ein paar Leute erstarrten vor Schreck, dann aber kamen sie alle angelaufen.

Fred erreichte sie als erster. „Serena“, sprach er sie an und wich mit erhobenen Händen zurück, als sie mit funkelnden Augen zu ihm herum wirbelte.

„Nur die Ruhe. Keiner tut dir was. Du bist in Sicherheit“, er blieb vorsichtshalber auf Abstand, passte allerdings auf, dass auch kein anderer nach ihr fasste.

„Zurückbleiben – alle. Stehenbleiben! Niemand rührt sie an“, befahl er ruhig. Keiner bewegte sich mehr – und alle sahen Rena besorgt an.

Zumindest wusste er genau, in welch gefährlicher Laune die junge Frau vor ihm war. Sie würde ihn nicht angreifen, solange sie wusste, wer er war. Doch ihre reflexartige Handlung von gerade eben konnte sich wiederholen, wenn jemand sie beruhigen wollte – womöglich mit einer Umarmung, und er wollte weder sich noch andere diesem Risiko aussetzen. Ihre funkelnden Augen und der keuchende Atem verrieten, wie aufgeregt sie war, bis zur Explosion gespannt.

Er schaute zu dem Verletzten, dann wieder zu seiner Freundin. Sie beruhigte sich zu seiner Überraschung jedoch längst wieder, auch wenn ihr Ton verriet, wie sehr sie kochte vor Wut: „Ich bin jung, aber nicht irre, Fred. Und auch nicht wehrlos.“

Gelassen blieb er auf Abstand und sprach friedfertig weiter: „Nein, du hast deine Ehre verteidigt. Das habe ich gesehen.“ „Hättest du nicht ein paar Sekunden eher hier sein können“, trotz allem giftete sie ihn nun an.

„Nein. Nicht aus der Entfernung. Und ich hätte ihn kaum so effektiv treten können wie du“, Fred grinste schief. Rena holte keuchend Luft, dann begann sie zu lachen. Der letzte Rest der Anspannung schwand dabei.

„Nein, das wohl kaum. Ich hoffe, er hat die Lektion begriffen“, sie kicherte etwas hysterisch und ging auf Fred zu: „Entschuldige. Das war ungerecht dir gegenüber. Meinst du, er braucht einen Arzt? Nicht, dass ich was … zerquetscht habe … ähm … unwiderruflich. Puh, mir zittern die Beine. Kannst du mich bitte festhalten?“ „Ja“, er umfasste sie. Nach ihrer direkten Aufforderung dazu hatte sie wohl genug Kontrolle über ihre Reflexe, nahm er an und schloss sie ruhig in die Arme.

Die Lage war wieder entspannter. Eine Frau lachte leise. Einige andere Mitarbeiter halfen Renas Opfer nun beim Aufstehen. Der Mann stöhnte, krümmte sich und jammerte vor Schmerzen.

Tom betrachtete ihn voller Wut: „Du solltest verschwinden. Und ich sollte dich verklagen, weil du meine Tochter sexuell belästigt hast.“ „Er fliegt raus“, sagte die Produktionsassistentin verärgert: „Und ich meine das ernst.“

„Die hat mich provoziert!“ „Hat sie nicht. Sie hat ihre Schuhe geschnürt, als du sie erst von hinten angetatscht hast und dann ihre Brust begrabbelt. Du Schwein, du. – Raus, Gully, und falls du noch einen Satz sagst, lassen wir dich abführen. Und vor allem unterschreiben wir alle bei der Polizei als Zeugen, dass du nur die Quittung für deine Unverschämtheit kassiert hast. Wer hat’s noch gesehen?“ Ein paar Leute hoben die Hände.

„Und du machst eine Pause, Rena. Myers – draußen in der Sonne stehen Stühle. Nimm ihr ein Wasser mit und pass auf sie auf. Phil, wir drehen weiter.“ Der Regisseur ordnete alles.

Fred nickte gelassen. So erklärte sich auch Tom damit einverstanden. Einen besseren Beschützer als Fred konnte Rena nicht finden. Mit ihm an ihrer Seite beruhigte sie sich wohl am schnellsten.

Am Abend traf Rena sich mit ihrer Freundin Mary, die an der Oper in Los Angeles engagiert war. Als sie der von ihren Erlebnissen erzählte, lachten sie beide schon darüber.

„Dramatischer als meine Oper, Rena.“ „Ach, hör doch auf – ich kämpfe eben mit allen Mitteln gegen fiese Übergriffe. Ehrlich, ich bin total fertig – wie fies ich den getreten habe. Tom sagt aber, das war eine gute Idee – und ein verdammt guter Tritt!“

Da ihr nichts weiter passiert war, konnten sie alle darüber lachen.

***

Ihr guter Freund aus Schweden, Mats Kristiansson, musste eine weitere Operation über sich ergehen lassen, um nicht im Rollstuhl zu landen für den Rest seines Lebens – diesmal in der MHH in Hannover. Tom sprach mit Liv über Mats‘ Aussichten und die Risiken, als sie über Ostern mit ihren Töchtern zu Besuch kam. Die ganze Familie versammelte sich in Freds Haus – er hatte den Kristianssons angeboten, sie könnten bleiben, so lange sie wollten.

„Liv, so gut Fred es auch meint – ich denke, ihr solltet sehr bald wieder nach Hause fahren.“ „Und Mats?“

Sie sprachen Schwedisch, und Rena mischte sich rasch ein: „Wir besuchen ihn. Ich erzähle ihm von meiner Musik. Und Tom und Mama kommen sicher auch. Mindestens ein, zwei Mal pro Woche. Felix nehme ich auch mit. Dann können sie übers Hotelgeschäft reden.“

Zum ersten Mal seit Wochen lachte Liv und umarmte das Mädchen: „Du bist so lieb. Ihr seid alle lieb. Aber ich kann ihn nicht verlassen.“ „Du musst“, Tom hatte noch einen anderen Vorschlag, um es ihr schmackhaft zu machen: „Kauf ihm einen Laptop mit W-Lan. Dann ist er mit euch verbunden – mit dir, Lorena und Astrid – und dem Imperium.“

Einen Augenblick lang sah Liv ihn überrascht an. Dann schüttelte sie den Kopf: „Mats ist gelähmt. Er kann nicht arbeiten.“ „Er ist bettlägerig. Und das noch länger. Aber weder tot noch hirngeschädigt. Er muss arbeiten. Arbeit hilft. Er darf gar nicht erst dunklen Gedanken nachgeben. Außerdem – sieh dir hier den Schäuble mal an. Er sitzt im Rollstuhl und hat eine hohe Position. Mitleid ist albern. Wir brauchen klare Vernunft – auch dein Mats“, stellte Tom fest und sprang auf.

Ungeduldig ging er vor Liv auf und ab: „Ich halte es für gut, wenn ihr so schnell wie möglich verschwindet. Deine Kinder müssen zur Schule. Wenn du tränenfeucht an seinem Bett klebst, hilfst du ihm nicht.“ „Aber …“

„Liv, er liegt richtig. Mats ist zu jung, um sich schon aufzugeben“, Leonas Schwedisch war nicht besonders, doch sie folgte dem Gespräch und mischte sich nun auf Deutsch ein.

Felix nickte und fuhr für sie fort: „Ich kann auch helfen. Ich kaufe anständiges Zeug, internetfähigen Krempel, und da Mats es sich leisten kann, können wir das garantiert auch an seinem Krankenhausbett installieren. Er hat doch sowieso ein Einzelzimmer, oder?“

„Er hat diese ganzen Probleme schon 15 Jahre inzwischen“, murmelte Liv. „Eben. Er ist daran gewöhnt“, warf Tom mit einiger Schärfe ein. Liv lächelte unter Tränen. Nach weiterem Zureden der Freunde gab sie allerdings nach.

Nur Fred hielt sich aus ihrer Diskussion heraus. Da er kein Schwedisch sprach, wunderte sich niemand über seine Zurückhaltung. Außerdem hatte er selbst seinen Gästen vorgeschlagen, in Livs Muttersprache mit ihr zu reden, nachdem sie ihm erklärt hatten, sie müssten sie zur Heimreise überreden.

In der Nacht, als das ganze Haus längst still war – unten Felix in seinem Zimmer, Liv nebenan in Renas altem Zimmer und die Mädchen in Gästebetten im ersten Stock, kam Rena auf das, was sie innerlich beschäftigt hatte.

Sie richtete sich ruckartig auf. „Hm?“ Fred tastete nach ihr: „Was ist denn? Bist du krank?“ „Nein. Fred, wie viel von …“, sie bremste sich.

„Was bitte? Komm, Darling“, er zog an ihrem Arm. „Ich bin langsam echt paranoid“, Rena kicherte verlegen. Fred zog sie näher. Anscheinend hatte sie etwas Merkwürdiges geträumt.

„Was geistert denn durch deinen Kopf, Serena?“ „Sorry, Fred. Das … ich dachte … ich muss … ach, ich weiß nicht. Ich wollte dich nicht wecken.“ „Wir müssen sowieso bald aufstehen. Falls du über deinen Traum reden möchtest, tu es lieber gleich.“ „Hm?“ „Es ist halb fünf, Serena. Nicht halb eins. Du hast schon einige Stunden geschlafen. Was hast du denn nun geträumt?“

„Geträumt? Äh … nee. Ich weiß nicht … ähm …“ Sie wusste nicht, wie sie es anfangen sollte. Hatte er damals bei seiner Sprachen-Aufzählung nicht auch Norwegisch erwähnt?

Fred streichelte sie und wartete geduldig. „Äh … Fred … Norwegen war mal ein Teil Schwedens. Geschichtlich gesehen schwedisch. Dänisch auch. Die wollten aber von Schweden weg und haben einen dänischen Prinzen zum norwegischen König gewählt. Jetzt sind sie schon 100 Jahre ein selbstständiger Staat. Königreich. Einzige Ausnahme war die deutsche Okkupation im 2. Weltkrieg.“ „Wird das ein Geschichtsreferat?“

Trotz der frühen Stunde amüsierte ihn ihr kleiner und etwas wirrer historischer Ausflug.

„Nein. Ich denke nur daran, was du mir gesagt hast. Wie ähnlich sind sich die skandinavischen Sprachen? Du hast ja nun unser Schwedisch gehört heute …“ „Gestern“, berichtigte der Mann gelassen. „Sie ähneln sich durchaus. Dänisch ist mehr im Hals, Norwegisch klingt gesungener, Schwedisch hat teilweise völlig andere Namen für manche Dinge. Aber selbst ein Ausländer hört den Unterschied und die Ähnlichkeit.“

Das war nicht exakt die Antwort auf das, was sie erfragt hatte. Aber es störte Rena nicht. Sie kam zum Punkt: „Du verstehst alles, oder? Wie gedankenlos wir doch alle sind.“ „Es war meine Idee, mit eurer Freundin in ihrer Muttersprache zu reden. Ihr seid so gute Freunde.“

Für einen Moment war Rena abgelenkt: „Ich habe nicht viele gute Freunde. Mary. Zini ist ja meine Schwester. Isa. Kristina Kyrkanson vielleicht ... Nee, mehr mit Zini, oder? Nicole ist eher eine liebe Bekannte. Keine Freundin.“ „Aber George“, lächelte Fred. „Ja, der ist … eine sehr gute Freundin“, gluckste Rena: „Das erzähle ich ihm. Deine … Diskriminierung.“ „Du hast über gute Freunde geredet“, er lächelte.

Jetzt war sie wieder entspannt und ruhiger. Es fiel ihr nicht leicht, Heimlichkeiten zu haben – und sie wusste längst nicht alles, dachte er. Immerhin hatte sie sich gemerkt, was er ihr vor Monaten aufgezählt hatte … Zu seiner Freude und Erleichterung machte sie niemals vor anderen auch nur die geringste Andeutung.

Am Ende der Osterferien fuhr Liv mit ihren Töchtern nach Hause. Lorena weinte bitterlich. Sie wollte ihren Vater nicht verlassen. Fred fand sie im Garten und tröstete sie – auf Deutsch, während sie ihm ihr Leid auf Schwedisch klagte. Doch er verstand sehr gut, wie sie von der Angst geplagt wurde, ihr Vater könnte gelähmt bleiben trotz der Operation. Für ein Kind ihres Alters war die Situation unendlich schwierig.

Noch Anfang Mai lag Mats im Krankenhaus. Ab und zu kam Liv über ein Wochenende zu Besuch. Doch sie entdeckte keine Veränderung. Immerhin arbeitete er mit dem, was Felix beschafft hatte. Er war nicht deprimiert, sondern resignierte mehr und mehr. Hochgestochene Erwartungen hatte er immer gebremst, insgeheim jedoch auf Besseres gehofft.

Auch Livs Bericht über Hans Mjölsson, der in Phuket während des Tsunamis 2004 verunglückt war, und der jetzt nach eineinhalb Jahren den Rollstuhl verlassen konnte und an Krücken ging, entlockte Mats nur ein müdes Lächeln. Das Wunder tröstete ihn nicht.

Den nächsten Krankheitsfall lieferte ausgerechnet Leona, die normalerweise mit ihrer stabilen Gesundheit angab. Sie hatte Magenprobleme und krümmte sich immer mal wieder in Krämpfen. Mitten im schönen Mai lag sie im Bett, trank vorsichtig Tee oder Wasser und fühlte sich elend.

Ihr Arzt war nicht gerade begeistert darüber, wie sie zum Hotel strebte. Er hätte ihr gern mehr Schonung verordnet. Doch Leona lernte schnell: sie schaffte es einfach nicht. Diesmal trug ihr matter Körper den Sieg über ihren Kampfgeist davon. Sie blieb nahezu freiwillig eine ganze Woche im Bett.

Als Tom von einer Reise heimkam, staunte er – am Telefon hatte sie ihm ihr Leiden nicht so deutlich geschildert und alles herunter gespielt. Er übernahm sofort sowohl ihre Hotelarbeit als auch sämtliche Organisation für die Kinder.

Zum Muttertag hatten sie die ganze Familie zum Essen eingeladen. Tom spielte souverän den Küchenchef und servierte Wildschweinbraten mit Rotkohl, köstlicher Sauce und französischen Kartoffeln. Leona wagte eine winzige Portion – das erste, was sie nach Tagen mit Zwieback und Tee zu sich nahm.

Da es gut ging, traute sie sich auch an ein kleines Stückchen Erdbeertorte am Nachmittag. Alle grinsten darüber, wie langsam und sorgsam sie kaute. Zu ihrer großen Freude blieb sie schmerzfrei an diesem Tag.

Dennoch verzog sie sich schon früh ins Bett. Vorläufig schien der Bann gebrochen. Doch dann ging es unvermutet und ohne Vorwarnung wieder los.

„Warum passiert mir das? Ich bin doch sonst immer urgesund. Ich hasse diese Magenschleimhautentzündung. Ich will das nicht haben“, schimpfte sie und schleppte sich aufs Sofa. Jammernd zog sie eine Decke über ihre Beine.

Tom goss gerade die Blumen und schenkte seiner Frau ein zärtliches Lächeln. „Liebste, mich wundert es nicht – der ganze Stress. Irgendwann musste es so kommen – ich nicht da, das Hotel, die Kinder …“ „Ich bin dran gewöhnt. In den zwei Jahren, als ich ganz allein war, ging es doch auch gut“, maulte Leona.

„Vielleicht ist es diesmal schlimmer, weil … Leo, wir sind älter inzwischen. Du fährst jede Woche nach Hannover und besuchst Mats. Mein unmöglicher Bruder will kommen – und du überlegst, ob er die Röttger-Ehe aufmischt … Und ich war weg.“

Einen Moment dachte sie darüber nach und entschied dann, wie wenig es mit ihrem Zustand zu tun hatte: „Ach, das macht mir alles nichts, Tom, du kannst wirklich gern reisen. Zwischen uns ändert das doch nichts.“

„Du warst sauer, weil es länger gedauert hat.“ „Aber ich freue mich auf unsere gemeinsamen Ferien.“ „Diese eine Woche Bayern? Liebling, du bist wirklich bescheiden …“

Mit einem Schulterzucken tat sie es ab. Zwar wünschte sie sich etwas wie ihre Australien-Reise vor fünf Jahren – das hätte sie zu gern wiederholt. Aber sie liebte ihre Kinder und wollte denen so eine Sache nicht gleich wieder zumuten. Also sagte sie nur kläglich: „Ich will doch bloß gesund sein. Damit ich Mats besuchen kann. Diese Woche kann ich nicht, vorige war ich auch nicht …“ „Rena geht doch.“ „Die soll studieren.“

Seufzend stellte Tom die Gießkanne ab und setzte sich zu ihr, streichelte ihre Hand und sagte freundlich: „Schatz, es ist in Ordnung, wenn sie nebenbei ihren Onkel besucht. Zumal sie im hannoverschen Sigvald-Hotel arbeitet. Davon kann sie ihm erzählen, das muntert ihn auf.“ „Die Pianistin der Traumnacht-Bar. Die weiß alles über die Sigvald-Hotelkette …“, da sie schon wieder vor Ironie sprühte, meinte Tom gelassen, es ginge ihr besser.

Tatsächlich gefiel es Rena gut, Mats zu besuchen. An Themen mangelte es nie. Sie schwärmte ihm von ihren Mitschülern an der Musikhochschule vor, erzählte ihm von der Universität und ihren Bar-Auftritten. Einmal nahm sie ihre Geige mit ins Krankenhaus und sprach im Schwesternzimmer vor, um sich die Erlaubnis für ein Miniatur-Konzert zu holen.

Dann öffneten sie alle Türen, die junge Frau stand im Krankenhausflur und spielte eine halbe Stunde lang für Patienten und Pfleger. Den Abschluss bildete ein heiterer Strauß-Walzer.

Ein junger Mann, der bei einem schweren Autounfall ein Bein verloren hatte, ließ sie hinterher zu sich bitten. Er sagte ihr, wie froh sie ihn mit ihrer Musik gemacht hatte – er meinte, er könne trotz allem tanzen und wieder glücklich werden. Rena bedankte sich mit einem so strahlenden Lächeln für dieses Lob, dass der junge Kranke errötete.

Auch das war eine gute Geschichte für Mats.

Lächelnd streckte er die Hand nach ihrer Geige aus: „Zeig mal – ein schönes Stück.“ „Ja. Was kann ich noch für dich tun? Ich bin stark, ich kann ganz viel. Ich will sogar Fred bitten, dass er mich auf seine Laufrunden mitnimmt. Meinst du, er tut’s?“ „Ich kenne deinen Fred nicht gut genug.“ „Du wirst ihn mögen. Er ist kein Schwätzer. Nicht so quasselig wie Mama oder ich.“

Mats lachte über ihre Grimasse. Manchmal war sie mehr Kind als Frau, und er amüsierte sich köstlich über ihr fröhliches Geplauder. „Mama und Tochter Quecksilber“, scherzte er. „Kaum zu glauben von Serena Spätzünder“, pflichtete sie ihm bei und nickte gemessen.

„Ich könnte Fred nächstes Mal zum besseren Kennenlernen mitbringen“, schlug sie beim Abschied vor, während sie ihre Geige wieder in den Geigenrucksack legte. „Meinst du wirklich, er hat Lust zu einem Krankenbesuch?“ Das klang eher trocken und spöttisch.

Rena schaute den Kranken versonnen an und setzte sich auf den Bettrand: „Bist du traurig?“ „Kind, vor dieser Operation konnte ich allein gehen, wenn auch mit Schmerzen. Jetzt sind die Schmerzen weg, und ich kann nicht mehr gehen.“ „Aber die Ärzte sagen, wenn du übst und so, dann … wird’s besser.“

Einmal musste er sagen, was er dachte. Dieser mitfühlenden Seele gegenüber, so jung sie auch war, fiel es ihm leicht. „Ich bin seit Ostern hier. Und es wird nicht besser. Vielleicht niemals mehr.“

Verzweifelt überlegte die junge Frau, was sie dazu sagen konnte. Seit Wochen lag er hier, es ging auf und ab, aber eine echte und anhaltende Besserung war bisher nicht eingetreten. Aufmunternde Worte mussten dem Kranken wie Hohn klingen.

Mats sah ihr das Entsetzen an, als sie nachdachte, und tröstete sie sofort: „Vergiss es, mein Schatz. Ich schaffe das schon. Und du musst deinen Fred nicht ins Krankenhaus schleifen.“ „Ich schleife ihn nicht.“ „Dann lass ihn zu Hause.“

„Es ist noch nicht lange her, da lag er auch hier. Er kennt den Weg also“, erwiderte Rena trotzig: „Und er weiß auch, wie lange es nach einer OP dauern kann, bis man wieder fit ist. Das Leben ist trotzdem schön. Man muss sich an dem freuen, was man hat. – Dieser Zimmernachbar da gegenüber, der hat sich über den Walzer gefreut. Vielleicht ist es wichtiger, sich an kleinen Freuden zu … ähm … ergötzen, als sich über ein Schicksal zu … grämen, das man eh nicht ändern kann. Zumindest habe ich das heute so gelernt. Und daran will ich mich für immer und ewig erinnern.“

Zuerst wollte Mats ihr eine schroffe Antwort geben. Dann ging ihm auf, wie ehrlich sie es meinte. Der Walzer hatte auch ihn an einen Tanz erinnert, an schöne Stunden mit Liv auf einem Ball. Rena lag richtig, das junge Mädchen mit ihren lieben Augen und ihrer Geige …

„Bring deine Geige ruhig öfter mit“, sagte er also nur ruhig. „Gern. Du hast ja die Katze im Sack gekauft, als du mich an den Chef vom Sigvald hier verwiesen hast.“ „Nicht ganz. Du vergisst Toms gute Meinung. Und ich habe dich ja auf der Hochzeit von Sam und Markus gehört. Inzwischen kannst du noch mehr. Und wenn sie hier auf der Station dagegen sind, verschwinden wir in den Park raus – mit dem Rollstuhl.“

Da er sich bisher voller Widerwillen geweigert hatte, den Rollstuhl zu benutzen, hielt Rena diesen Vorschlag für einen wirklichen Fortschritt. Prompt erzählte sie alles Felix und Fred. Felix nickte und empfahl ihr, Liv in Stockholm anzurufen und auch ihr davon zu berichten.

Bei ihrem nächsten Besuch begleitete Fred sie dann tatsächlich. Sie überredeten Mats zu einem Ausflug in den Park am Krankenhaus, da es sehr warm war. Mats Kristiansson wollte erst ablehnen, doch Rena bettelte – und Fred unterstützte sie, zumal er dem Kranken aufgrund seiner körperlichen Kraft auch helfen konnte. Als Rena also den Rollstuhl holte und mit rührenden Worten weiter bat, gab Mats nach.

Sie fanden eine Bank in der Sonne, parkten den Rollstuhl davor und unterhielten sich über Stockholm. Rena erzählte von ihren Sommerferien dort, die sie entweder bei Mats und Liv in der Stadtvilla oder aber im Haus von Tom und seiner Ex-Frau Elisabeth verbracht hatte. Mats erinnerte sich ebenfalls an viele Kleinigkeiten dieser Ferienaufenthalte der Kinder und beschrieb die schwedische Hauptstadt für Fred.

„Schade, dass du heute die Geige nicht dabei hast. Hier würde keiner protestieren, wenn du spielst“, lächelte Mats schließlich. „Ich will ja keinen vergrätzen auf deiner Station da. Aber ich könnte singen für dich. Ich habe mit Tom gesungen im Film – da in L.A.“ „Ja, dann sing das doch mal.“ „Ist ein Duett, das geht nicht. Das heißt … Fred, kannst du den Text? Du warst doch dabei.“

Ihr Freund lachte unwillkürlich. „Wenn du glaubst, ich singe hier mit dir, du armes kleines Mädchen, und liefere mich damit ohne jeden Umweg direkt in die Psychiatrie ein …“ „Aber du hast eine ganz gute Stimme – du müsstest nur mal üben.“ „Nein“, Fred winkte energisch ab.

Rena machte eine entschuldigende Handbewegung zu Mats: „Er ist noch schlimmer als Mama.“ Sie kicherte, als Mats breit grinste – er kannte Leonas Aversion gegen öffentliche Auftritte.

„Süße, du und Tom, ihr macht das als professionelle Sänger. Ich habe auch noch nie im Leben gesungen. Zumindest nicht, wenn andere Menschen in der Nähe waren. Da bin ich wie dein Fred – und überlasse dir das Feld.“ „Dann müssen wir das mal alle üben. Singen … befreit … Aber … gut … heute nicht. Mats, was möchtest du denn hören, wenn schon nicht das Filmlied?“ „Damals auf der Hochzeit hast du aus einem Musical gesungen.“

Mit einem Nicken akzeptierte Rena den Vorschlag. Da er das Lied aus „Elisabeth“ schon kannte, fing sie mit „Memory“ aus „Cats“ an. Ihre Stimme verblüffte Mats, und er starrte das Mädchen fasziniert an. Sie sah seine Begeisterung und machte weiter mit anderen Liedern.

„Deine Stimme geht ans Herz“, sagte Mats schließlich leise und sehr beeindruckt. „Danke. Das ist ein schönes Kompliment. Aber du siehst erschöpft aus. Wir kehren besser wieder um.“ „Eins noch. Bitte.“

Diesmal wählte sie ein Lied aus „Tanz der Vampire“, eigentlich ein Lied des Vampirs, doch sie änderte wenige Worte, und es passte zu einem weiblichen Vampir. Sie spielte die „Gier“ in diesem Lied, das Unglück und die Verzweiflung, bis sie sich sagte, dass das nicht gerade positiv für einen Kranken war. Also schloss sie noch einen Titel aus dem Musical an, der freudiger endete: „Die Ewigkeit beginnt heut‘ Nacht.“

Mats applaudierte ihr begeistert, richtete sich im Rollstuhl auf und griff nach ihren Händen: „Mädchen, du darfst nicht Lehrerin werden. Nicht mit dieser Gottesgabe, dieser wunderbaren Stimme. Du kannst die ganze Welt erobern.“ „Nö, mir genügt es, wenn du dich dran freust. – Ist nichts Tolles, ich habe doch schon immer mit Tom gesungen.“

Daran mochte sie glauben, doch ihr einzigartiges Talent sollte sie keinesfalls vergeuden. Mats bemühte sich, sie zu überreden. Wenigstens mit Tom sollte sie darüber reden, bat er. Rena lächelte und schüttelte abwehrend den Kopf – sie konnte sich so eine Karriere nicht vorstellen.

Auf einmal sank er im Rollstuhl zusammen und bekam kaum Luft vor Anstrengung. Rena sprang besorgt auf: „Das war zu viel. Und zu lange. Gott, wie blöd, dass wir so weit gefahren sind. Fred, leg mal einen Zahn zu.“ „Das wird schon. Reg dich nicht auf, Serena, und Sie auch nicht, Herr Kristiansson. In ein paar Minuten sind Sie wieder in Ihrem Bett.“ Fred bewahrte Ruhe.

Doch als Mats lag und etwas entspannter war, fiel ihm plötzlich auf, dass er sich mehr bewegt hatte als noch vor wenigen Stunden. Darüber sprach er nicht, auch nicht über seine plötzlich auftretenden Schmerzen. Er sah ja, wie aufgeregt Rena um ihn herum pusselte und sichtlich ein schlechtes Gewissen hatte.

Als sich das Paar verabschiedete, um ihm endlich Ruhe zu gönnen, bat er sie, bald wieder zu kommen. Er wolle es unbedingt noch einmal mit dem Rollstuhl versuchen, behauptete er – und sie seien ja geduldiger als eine gestresste Krankenschwester.

***

Ihr erster Arbeitstag, an dem sie wieder ins Hotel „Zum Sonnigen Garten“ ging, lag auf einem Freitag. Doch alle Angestellten, die Leona an diesem 19. Mai 2006 sahen, redeten ihr gut zu, das Wochenende auszulassen und erst mal langsam zu machen. Da es regnete und nicht mit Dutzenden Ausflüglern zu rechnen war, stimmte sie mit einem schiefen Lächeln zu.

So verbrachte sie einen weiteren Tag auf dem Sofa, während ihre Kinder sich mit Tom auf dem Fußboden tummelten und ein 3 000-Teile-Puzzle zusammensetzten. Zum ersten Mal seit Tagen verhielt sich Jason ruhig und freundlich. Mit seinen inzwischen 12 Jahren geriet er langsam in pubertäre Schwierigkeiten – so formulierte es Zini und zwinkerte dazu.

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9783844285475
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