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Keine Liebe

Verträumt starrte ich das Einmachglas in meinen Händen an, beobachtete die Organismen, die sich darin langsam in ihrem eigenen Takt hin und her wiegten. Ich züchtete sie in den Gläsern, um aus ihren Ablagerungen Medikamente herzustellen.

Doch obwohl ich meinen Protokollblock neben mir auf dem Tisch liegen hatte und den Stift zwischen den Fingern drehte, waren meine Gedanken ganz woanders.

Sie waren bei diesem Gesicht. Bei dem Mann, dessen Gesicht ich über Stunden hinweg fasziniert betrachtet hatte. Jede Vertiefung, die Wimpern, die Wangenknochen, das starke Kinn, die Ansätze des Halses, an dem sich die Sehnen unter der makellosen Haut spannten. Es fiel mir einfach schwer zu glauben, dass so ein Gesicht existieren konnte.

Der Ausschnitt des Fensters hatte mir den Rest seiner Gestalt nicht offenbart, egal, aus welchem Winkel ich in die Kapsel geblickt hatte.

Doch es war sowieso nicht wichtig. Sagte ich mir zumindest.

Das Beste für mich wäre, einfach zu vergessen, was ich gesehen hatte, die Konservendosen zu holen und dann nie wieder dorthin zurückzukehren.

Es hatte ohnehin keinen Sinn. Die Kryokapseln waren alt und nicht mit einer eigenen Weckfunktion ausgestattet. Allerdings hatte ich in meiner kleinen Krankenstation auch keine Hitzedruckkammer, um den Mann unbeschadet zurück unter die Lebenden zu holen.

Und dann waren da noch so viele andere gewesen. Mit geschlossenen Augen hatte ich fast zwei Dutzend Seelen gezählt, die zum Teil im hinteren Teil des Raumes verschüttet gewesen waren. Dreiundzwanzig Menschen, die man eingefroren hatte und im Lagerraum eines Gefängnisses aufbewahrte.

Aber zu welchem Zweck?

Wieso musste man jemanden einfrieren, wenn er sowieso auf einen Gefängnisplaneten gebracht wurde? Wie eine Art doppeltes Gefängnis.

Vielleicht waren sie gefährlicher als die restlichen Gefangenen, sodass man sie lieber stillgelegt hatte, um kein Risiko einzugehen.

Wäre es dann aber nicht einfacher gewesen, sie zu töten? Wozu der ganze Aufwand?

Doch umso öfter ich mir das Gesicht des Mannes in Erinnerung rief, desto weniger gefährlich wirkte er auf mich.

Er war so schön gewesen, und die Männer, die ich kannte, waren grausam. Ich konnte mir keinen Menschen vorstellen, der noch schlimmer sein sollte als diese.

»Wo hast du dich rumgetrieben, lil’Pid?«, sprach mich jemand an, dass mir vor Schreck das Einmachglas aus der Hand fiel.

Pidja war der Name meine Mutter gewesen und mich nannte man schon damals kleine Pidja.

Das war mir eigentlich ganz recht. Solange sie mich für ein kleines Kind hielten, hatte ich weniger Ärger. Ich musste mich eher fürchten, wenn mich jemand mit meinem richtigen Namen ansprach.

Eine große, schuppige Hand fing das Glas noch im Fall auf und stellte es lässig auf den Tisch neben mir.

Es war Cobal, der mich mit seinen gelben Echsenaugen eingehend musterte. Ich versuchte, ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Wenn es sich vermeiden ließ, dann wollte ich nicht, dass er mir ansah, dass sich etwas verändert hatte.

»Ich bin rumspaziert«, behauptete ich leise und schob das Glas zurück zwischen die anderen ins Regal.

Es war das einzige Möbelstück in diesem Raum, das Krung komplett verschont hatte: Der Arzneimittelschrank. Das restliche Zimmer war vollständig verwüstet. Die Liegen waren umgerissen, Lampen waren zertrümmert, von meinen Arbeitstischen war der eine zerbeult und der andere in der Mitte durchgebrochen. Chirurgisches Besteck lag auf dem Boden verteilt herum. Die Kiste mit dem Verbandszeug war beim Aufprall gegen die Wand aufgesprungen und weiße Stoffstreifen waren in alle Richtungen davongerollt.

»Klar doch. Weil das ja so gut für deine Muskulatur ist«, spottete Cobal und seine Stimme triefte vor Ironie.

Eigentlich wusste von meiner Krankheit kaum einer. Meine Mutter hatte sie bei mir diagnostiziert und mir gezeigt, wie ich sie handzuhaben hatte. Unser Clanchef Boz wusste es, weil ich so keine zusätzlichen Dienste ableisten musste.

Und eben Cobal.

Ich hatte es ihm nicht gesagt, doch er war irgendwann von allein draufgekommen. Er behauptete, er könne es riechen, und da ich mit der Physiologie der Echsoiden nicht besonders gut vertraut war, musste ich es ihm einfach glauben.

»Ich habe mich vor Krung versteckt«, gab ich zu und nahm das nächste Glas aus der Reihe, um wenigstens vorzugeben, etwas zu arbeiten.

Cobal schnaubte durch die großen Nüstern und drehte den echsen­haften Kopf, auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit.

Leider hatte Krung meinen einzigen Stuhl in mehrere Teile zerhackt und so zog sich Cobal eine Metallkiste heran und setzte sich, ohne Rücksicht auf den sich verbiegenden Deckel zu nehmen.

Wenn ich die je wieder aufkriegen wollte, dann würde ich Hilfe brauchen.

»Wieso war er so wütend?«, wollte Cobal wissen und ich seufzte laut.

»Weil ich nicht hier war«, wich ich der Frage aus und drehte das Einmachglas zwischen den Fingern. Wollte ich dieses Gespräch wirklich führen? Und das mit einem Echsoiden?

Na ja, vielleicht war er noch das kleinste Übel. Bei ihm musste ich wenigstens keine Angst haben, dass er meines Körpers habhaft werden wollte.

Cobal starrte mich weiter an und ich verwünschte seine Eigenart, selten blinzeln zu müssen. Er saß die Stille zwischen uns einfach aus, wartete, dass ich mich erklärte – und ich wusste, dass ich am Ende nachgab, nur damit er endlich aufhörte, mich anzustarren.

»Er … er wollte … dass ich ihm gefügig bin«, wisperte ich und ich war mir nicht sicher, ob Cobal mich gegen Ende überhaupt gehört hatte.

Doch wie zur Bestätigung blinzelte er endlich und legte den Kopf schief. »Er wollte sich mit dir paaren?«, stellte er überrascht fest und ich schüttelte den Kopf.

»Paarung könnte man es nur nennen, wenn es zur Fortpflanzung dient und im gegenseitigen Einverständnis geschehen würde. In allen anderen Fällen heißt es Vergewaltigung!«, sagte ich beinahe pampig und schlang mir die Arme um den Oberkörper, um das Zittern zu unterdrücken, das dieses Wort in mir auslöste.

»Verstehe«, behauptete Cobal, doch ich bezweifelte, dass er es wirklich verstanden hatte.

Wenn ich es benennen müsste, dann wäre der Echsoide wohl die Person, die einem Freund am nächsten käme. Er fragte mich nach meinem Befinden, bot sogar dann und wann seine Hilfe an und für mich ging keine akute Gefahr von ihm aus, auch wenn sein Aussehen eher abschreckend wirkte.

Doch wenn ich erwarten würde, dass er mir alle Männer vom Hals hielt, die mir an die Wäsche wollten, wäre das wohl zu viel verlangt. Schon allein, weil Cobal nie richtig begreifen würde, wo eigentlich genau das Problem lag.

Vielleicht war seine Rasse da einfach anders. Ich wusste es nicht. Ich kannte niemand anderen, der so war wie er und Cobal redete nicht viel über sich.

»Soll ich …«, begann Cobal und ich wusste schon jetzt, dass das Angebot, das er mir machen wollte, völliger Blödsinn wäre.

»Bist du aus einem bestimmten Grund zu mir gekommen oder war dir nur langweilig?«, unterbrach ich ihn beiläufig und lächelte schüchtern.

Cobal schnaubte. Er hatte meinen Trick natürlich sofort durchschaut, sagte aber nichts weiter dazu. »Ich hab da was am Bein.«

Ich blinzelte überrascht; hatte nicht damit gerechnet, dass es wirklich einen Grund gab, bei mir aufzutauchen.

»Oh, okay! Dann zeig mal her«, wies ich ihn an und stemmte mich von dem umgedrehten Eimer hoch, ohne eine Miene zu verziehen. Meine Beine taten furchtbar weh und mein Rücken war eine einzige große Verspannung. Aber ich war geübt darin, es keinen sehen zu lassen. Ich musste nicht noch schwächer wirken als ohnehin schon.

Es war eigentlich nur ein harmloser Ausschlag zwischen zwei Panzerplatten, an dem Cobal sicher mit seinen Krallen herumgekratzt hatte, wodurch sich die Haut entzünden konnte. Ich mischte ihm eine Salbe aus dem Bauchfett eines zotteligen Gulgur und ein paar antiseptischen Mineralien und wies ihn an, sie dreimal am Tag auf die betroffene Stelle aufzutragen. Sie war eher dazu gedacht, den Juckreiz zu lindern und Cobal daran zu hindern, weiter daran herumzukratzen, als dass sie wirklich etwas an dem Ausschlag ändern konnte.

Ich musste hoffen, dass es sich von allein besserte. Denn so versiert ich auch im Umgang mit Verletzungen und Krankheiten humanoider Spezies war, so wenig wusste ich über die der anderen. Und große Eidechsen gehörten definitiv zu dem, was ich nicht wusste.

Cobal ging dankbar und ich konnte wieder in meine Stille zurück. Kurz überlegte ich, wieder zu meinen Einmachgläsern zurückzukehren oder damit zu beginnen, das Chaos zu beseitigen, das Krung hinterlassen hatte.

Doch ich fühlte mich schwach und müde, also zog ich mich einfach nur in mein Loch in der Wand zurück.

Als mein Kopf das Kissen berührte und meine Nackenmuskeln sich ein wenig entspannten, seufzte ich laut auf. Der immerwährende Schmerz in meinen Muskeln machte mich fertig.

Ich blinzelte nach oben und betrachtete die Dinge, die über mir von der niedrigen Decke baumelten. Es waren allerlei Gegenstände, die ich irgendwo gefunden hatte und deren Zweck, auch wenn ich sie sehr schön anzusehen fand, sich mir einfach nicht offenbarte.

Für einen Moment schloss ich die Augen, horchte in die Station hinein und versuchte, all die Leute ausfindig zu machen, mit denen ich schon so viele Jahre hier zusammenhockte. Etwas, das sich auch niemals ändern würde.

Obwohl Boz da natürlich andere Pläne hatte. In seiner Vorstellung würde er erst die anderen Clans vollständig auslöschen und dann aus den Schätzen, die sie seiner Überzeugung nach horteten, ein Schiff bauen, das uns hier wegbrachte.

Ich bezweifelte, dass er recht behielt. Wenn die anderen Clans wirklich Maschinen hätten, aus denen sich ein Raumschiff bauen ließe, dann hätten sie es schon längst getan und würden nicht halb verdurstet unter einem Felsen hausen und sich von den Veko-Spinnen beißen lassen.

Vielleicht wusste Boz das sogar selbst und erzählte es nur, um die Truppe bei Laune zu halten. Es herrschte ein immerwährender Machtkampf unter den Männern, das Gesetz des Stärkeren, und es war sicher nicht leicht, die Oberhand zu behalten.

Ich ging all die Männer durch, bewertete ihre Stimmung und versuchte einzuschätzen, ob es bald wieder zu Kämpfen kommen würde. Denn das beeinflusste meine Entscheidung, ob ich zum Essen nach unten ging oder eine Konservendose öffnete, die ich hier unter meiner Matratze versteckte.

Die paar Frauen unter uns überging ich, wie immer. Sie waren allesamt traurige Gestalten, die sich ihrem Schicksal gefügt hatten und sogar eigene Stammgäste hatten, welche sie im Gegenzug vor den anderen Männern beschützten.

Krung hatte das Pech, auf keiner dieser Gästelisten zu stehen und zu feige zu sein, sich mit denen anzulegen, die ihre Huren verteidigten.

Ihn fand ich weit unten in seinem Quartier, grollend.

Cobal hatte erwähnt, dass er unter Arrest stand, weil er die Krankenstation verwüstet hatte und somit das Leben der Männer gefährdete.

Mir konnte das nur recht sein.

Es dauerte nicht lange, da schweifte ich noch weiter ab und meine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Lagerraum, in dem ich vor einigen Stunden noch gewesen war.

Jetzt wo ich wusste, wonach ich suchte, fand ich die glimmenden Lichter schneller und konnte mir kaum vorstellen, sie in der Vergangenheit immer übersehen zu haben.

Leider war die Distanz zu groß, um sie näher zu betrachten, und es kostete mich auf Dauer zu viel Kraft, so weit hinunterzusehen.

Ich blinzelte die Seelen weg und drehte mich auf die Seite. Ohne es zu sehen, starrte ich gegen das graue Metall der Wand und drückte mir das klumpige Kissen zurecht.

Das Leben war eine trostlose Aneinanderreihung von belanglosen Ereignissen, die nur dem einen Ziel dienten: überleben. Es war ermüdend und anstrengend und ich vermutete, dass mein Leben nicht mehr lange andauern würde.

Etwa achtzehn zentrale Standardjahre war ich nun auf dieser Welt und hatte noch nichts gesehen. Hier drinnen gab es nur rostigen Stahl, schmutzige Kleidung und boshafte Männer. Und vor unseren Türen existierten nur rotgoldener Sand und Hitze und Veko-Spinnen.

Meine Mutter hatte mir früher immer von ihrer Heimat erzählt. Von Bäumen, von grünen Parks und der Schönheit eines türkisblauen Meeres. Sie berichtete von Freizeitaktivitäten, Spaß und Freundschaft.

Und dann gab es da noch die Märchen, von denen ich als Kind niemals genug bekommen konnte.

Mein Liebstes hieß Die Schöne und das Biest und handelte von einem verwunschenen Prinzen und einem einfachen Mädchen, das sich in ihn verliebte, obwohl er wie ein Monster aussah, und ihn so von seinem Fluch befreite.

Meine Mutter musste mir diese Geschichte immer und immer wieder erzählen, und ich hatte sie verträumt angesehen und gefragt, ob ich mich wohl auch einmal verlieben würde.

Doch sie hatte mich nur traurig angeschaut. »Früher hätte ich auf jeden Fall Ja gesagt. Aber ich will dich nicht belügen, Daya«, hatte sie gemeint und mich an sich gezogen. »Auf diesem Planeten gibt es keine Liebe.«

3


Blut

Ich erwachte mitten in der Nacht und wusste nicht wovon. Es war alles still und die Dunkelheit wurde nur von ein paar Stand-by-Lämpchen erhellt, die an den medizinischen Geräten in der Krankenstation matt leuchteten.

Ich starrte aus meinem Loch und konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.

Doch das ungute Gefühl, geweckt worden zu sein, ließ sich nicht abschütteln und ich schlüpfte trotz Müdigkeit mit einem Schnauben in meine ausgetretenen Stiefel. Ich zog gerade die Schnürsenkel fest, da traf mich die Erkenntnis wie ein Stich in den Rücken.

Seelen waren unterwegs. Eine ganze Menge. Sie schlichen durch die Gänge, und was mich am meisten beunruhigte, war, dass sie nicht hierhergehörten.

Ich kletterte so schnell ich konnte aus meinem Loch, ließ mich geräuschlos auf den glatten Boden der Krankenstation herunter und ging rasch zur Tür.

Konzentriert behielt ich die Seelen im Blick und huschte in den Gang hinaus. Sie befanden sich ein Stockwerk unter mir, auf der Ebene der Tore. Ich hatte keine Ahnung, wie sie reingekommen waren, aber sicher war, dass sie nichts Gutes im Schilde führten.

Ich lief den Flur nach unten und zur Leiter, nur um sofort wieder kehrtzumachen. Die Eindringlinge bogen gleich um die Ecke und hatten dann freies Sichtfeld auf das untere Ende der Leiter.

Also musste ich wohl außenrum.

Ich atmete tief durch, versuchte, meinen Puls niedrig zu halten und eilte wieder zurück. Bemüht, keinen Krach zu machen, setzte ich die Füße ganz sachte auf und verfluchte mich selbst, weil ich doch tatsächlich meine Tasche mit den Medikamenten vergessen hatte.

Nur ein Krampf und ich wäre so gut wie tot. Doch um sie zu holen, blieb einfach keine Zeit. Die Eindringlinge würden bald die Schlafkammern der anderen erreichen. Und dann würde es hässlich werden.

Wo verdammt waren die Wachposten?

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich die Treppe runter, erst auf dem letzten Absatz stockte ich. Ich spürte ihre Seelen, sah das Glimmen ihrer Gefühle, ein hässliches Aufblitzen in einem Meer aus Dunkelheit.

Sie waren schon hier. Ich war zu langsam gewesen.

Die einzige Möglichkeit, die mir jetzt also noch blieb, um die anderen zu warnen, bevor sie einfach im Schlaf massakriert wurden, war, sie alle zu wecken. Doch dafür musste ich leider die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

Ich atmete wieder tief durch, sammelte meine Kräfte, nahm all meinen Mut zusammen und presste die Hände zu Fäusten gegen meinen Brustkorb. Dann öffnete ich den Mund und schrie. Schrie, so laut ich konnte, so schrill, dass niemand auf diesem stillen Planeten es überhören würde.

Die Eindringlinge hielten sofort inne, ihre Aufmerksamkeit wanderte in meine Richtung. Doch es war für sie zu spät, mich jetzt noch unschädlich zu machen. Die Schlafenden regten sich. Die Seelen schnellten aus dem dämmrigen Nebel ihrer Träume hinauf an die Oberfläche und dringliche Alarmbereitschaft war das vorrangige Gefühl. Ich hatte es geschafft.

Ein verstohlenes Lächeln legte sich auf meine Lippen, bis ich den Mann sah, der mich entdeckt hatte und überrascht das Gewehr sinken ließ.

Mir fuhr der Schock in alle Glieder, das Brennen in meiner Lunge trat mir deutlicher ins Bewusstsein und mir war klar, dass es nicht lange dauern würde, bis dieser Typ auch mich als Gefahr erachten würde. Oder schlimmeres.

Ich nahm die Beine in die Hand, dachte nicht groß nach und rannte die Treppe wieder hinauf.

»Das ist ein Mädchen«, hörte ich den Mann zu seinem Kameraden sagen, dann erklang auch schon eiliges Stampfen von festen Stiefeln auf den Stufen. Wut keimte hinter mir auf und donnerte mir hinterher wie eine dunkle Wolke.

Doch hinter der Wut verbargen sich wesentlich dunklere Emotionen.

»Die krieg ich!«, brüllte eine andere Stimme und jagte mir instinktiv einen eiskalten Schauer über den Rücken, als ich das düstere Aufflammen erkannte, das in meine Richtung waberte und mit seinen widerwärtigen Klauen nach mir schnappte.

Oh nein! Männer waren alle gleich. Alle hirnlose, triebgesteuerte Ungeheuer.

»Nicht, wenn ich sie zuerst kriege«, lachte der Erste dreckig und ließ mich wünschen, ich wäre einfach in meinem Loch geblieben, anstatt mich dem Ganzen so unbedacht zu stellen.

Doch was hatte ich schon für eine Wahl gehabt?

Ich rannte so schnell mich meine Füße trugen, was leider nicht besonders schnell war. Ein Arm haschte nach mir, riss mich nach hinten und mein Kopf wurde heftig nach vorne geworfen. Ich verlor für einen Augenblick die Orientierung, versuchte, um mich zu schlagen, als Hände mich nach unten drückten.

Mein Atem ging keuchend vor Anstrengung und mein Brustkorb zog sich immer enger zusammen. »Nein«, brachte ich kläglich hervor, ich bekam viel zu wenig Luft, als ich von dem Gewicht eines Mannes zu Boden gepresst wurde.

Panik machte mich blind und taub und ich konnte den Krampf um mein Herz bereits fühlen.

Es würde mit mir zu Ende gehen. Einfach so. Ohne dass ich jemals etwas gesehen oder erlebt hatte. Zerquetscht von einem Vergewaltiger, der erst merken würde, dass ich tot war, wenn er mit mir fertig wäre.

Er roch unangenehm nach Schweiß und Fäulnis, sodass ich den Kopf drehte, um seinen hektischen Atem nicht in die Nase zu bekommen.

»Ich hab sie zuerst gesehen!«, schrie der andere Mann, der zu uns aufgeschlossen hatte, und stieß meinen Angreifer von mir runter.

Ein bisschen mehr Sauerstoff strömte in meine Lunge und schenkte mir die Geistesgegenwart, mich von den Kämpfenden wegzubewegen. Stolpernd kam ich auf die Füße, ignorierte die stechenden Schmerzen in meiner Brust, das Brennen meiner Muskeln, das Hämmern in meinen Schläfen.

Doch ich würde kämpfen, zumindest noch ein bisschen. Ich war noch nicht bereit zu sterben! Nicht hier in diesem Gang. Nicht, bevor ich nicht noch einmal dieses Gesicht gesehen hatte. Egal, wie unsinnig das vielleicht war.

Ich erreichte die Leiter, die wieder nach unten führte, achtete kaum auf meine Umgebung und landete direkt im Zentrum der Schlacht um unsere Station.

Vento zog sein Messer aus dem Bauch eines Angreifers, während Tigris neben ihm einem anderen den Schädel mit einer Eisenstange zerschmetterte. Die Clans gingen aufeinander los wie die wilden Tiere, die sie nun mal waren.

Blut. Überall war Blut. In verschiedenen Farben, je nach Lebensform, bedeckte es den Boden und die Wände wie ein skurriles Kunstwerk.

Wäre ich durch den Sauerstoffmangel nicht so benebelt gewesen, es hätte mich so sehr erschreckt, dass ich nicht fähig gewesen wäre, es zu verarbeiten.

Doch der Krampf um mein Herz verschlimmerte sich und ließ nur einen fassbaren Gedanken in meinem Kopf zurück. Wenn mein Ende bevorstand und der Tod mich bald in seinen Armen halten würde, dann musste ich den Mann im Eisschlaf noch einmal sehen.

Es war völliger Irrsinn, mich durch das Getümmel zu schlagen, für das Gesicht eines schlafenden Mannes. Aber er war das Einzige, das in meinem Leben nicht das Gefühl von völliger Trostlosigkeit hinterlassen hatte.

Heißes bläuliches Blut spritzte mir ins Gesicht und ich taumelte an der Wand entlang. Jemand brüllte meinen Namen, ein anderer griff nach meiner Jacke, aus der ich mich mühsam herauswand. Wie in Trance tanzte ich vorwärts, immer mein Ziel vor Augen, während um mich herum Seelen erloschen und jede einzelne mir einen schmerzhaften Stich im Kopf versetzte.

Es fühlte sich an, als würde die Zeit langsamer werden, als versuchte sie mich daran zu hindern, mein Ziel jemals zu erreichen.

Der Schmerz in meinem Innern wurde unerträglich.

Ich griff im abrupt endenden Korridor nach den rissigen Rändern des Spalts vor mir. Mühevoll zog ich mich in den Schutt, während mein Geist langsam im Nebel versank. Wie schon heute Morgen rutschte ich auf der anderen Seite das Geröll hinunter und blieb auf dem Rücken liegen, als die Geräusche verklangen und die Welt in Schwärze versank.

399
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9783959914208
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