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Bei den Südslawen hat es – abgesehen von der Vielfalt der Anlässe, die zur Wahlbrüderschaft führen konnten – mehrere „Stufen“ des Pobratimstvo gegeben, die zueinander in einem gewissermaßen komplementären Verhältnis standen.

In Montenegro sah dies folgendermaßen aus:108

MALO PORATIMSTVO, „die kleine Bruderschaft“, wurde zwischen Freunden, die einander in Zukunft brüderlich helfen wollten, durch dreimaligen Kuß und den Austausch von Geschenken geschlossen. Im allgemeinen stellte sie die Vorstufe zum POBRATIMSTVO PRIČESTNO (pričestiti = kommunizieren) dar. Dieses wurde auf feierliche Weise in der Kirche geschlossen, indem der Pope die beiden sich Verbrüdernden mit der Stola bedeckte, ein bestimmtes Gebet sprach, beide gleichzeitig aus einem Kelch Wein trinken ließ,109 sie dann Kreuz, Evangelien, Ikonen und schließlich einander selbst küssen ließ.

POBRATIMSTVO NEVOLJE („Notbrüderschaft“) kam auf folgende Weise zustande: jemand, der sich in großer Gefahr befindet, ruft den Nächstbesten mit folgenden Worten um Hilfe an: „Hilf mir, bei Gott und dem hl. Johannes, ich nehme dich zum Wahlbruder!“, worauf ihm der so Angerufene seine Hilfe auf keinen Fall versagen wird und die beiden einander zum Zeichen ihres brüderlichen Verhältnisses dreimal küssen.

Über all den genannten Formen des pobratimstvo stand die Bluts brüderschaft, die durch gegenseitiges Bluttrinken geschlossen wurde.110

Sicherlich wäre es nicht gerechtfertigt, allein aufgrund der Tatsache, daß die Blutsbrüderschaft im südslawischen Raum nur eine, wenn auch die höchste und verbindlichste, Form der „Brüderschaft“ darstellte, eine derartige Komplexität oder Abstufung auch für das heidnische Skandinavien anzunehmen; eine Übergangszeit (und aus dieser stammen ja praktisch alle unsere Belege), in der verschiedene Verbrüderungsformen nebeneinander bestanden, muß es aber auch bei den Germanen gegeben haben. Eine schematische Abgrenzung halte ich für unmöglich, denn unsere Zeugnisse lassen nicht erkennen, ob es scharfe Unterscheidungen verschiedener Typen solcher Verbrüderungen gegeben hat.

Wichtiger erscheint mir folgende Überlegung: ich glaube, daß man „eiðbroðir“ und „svarabroðir“ geradezu als sprachliche Zeugnisse für die starke Aufwertung und allmähliche Verselbständigung eines Teiles (analog zu der bei den Gilden allmählich erfolgten Spezialisierung) des ursprünglichen fóstbrœðralag ansehen könnte, nämlich des rechtlichen. Die Bezeichnung „Eidbrüder“ und „Schwurbrüder“ halte ich für Belege einer Betrachtung aus „juristischer Perspektive“,111 einer Perspektive, die erst zu einem Zeitpunkt möglich geworden sein kann, an dem man den ursprünglichen Gesamtsinn einer Institution aus den Augen verloren hatte, das Wesentliche in den Konsequenzen zu erkennen vermeinte, und nun von diesen offensichtlich sekundären Elementen aus (und zudem noch unter Herauslösung eines einzelnen) eine neue (naturgemäß eingeengte) Bestimmung der weiterüberlieferten Einrichtung unternahm.

Nach diesen Bemerkungen über den weiteren Rahmen, in dem die spezielle Form der skandinavischen Blutsbrüderschaft zu sehen ist, gehe ich zu einer genaueren Analyse der verschiedenen Formen und Typen dieser Gemeinschaftsgestaltungen über.


III.
TYPOLOGIE

A) VERGLEICHENDE UNTERSUCHUNGEN ZUM RITUAL DER BLUTSBRÜDERSCHAFT

a) Das germanische Ritual der Blutsbrüderschaftsschließung

Ich habe in der Einleitung112 das Vermischen des Blutes als dasjenige Element bezeichnet, welches nicht nur das wichtigste Symbol der Verbrüderung bildet, sondern das auch das einzige stets konstante Element der sonst recht unterschiedlichen Formen ritueller Wahlverbrüderungen darstellt. Von Blutsbrüderschaft kann eben nur dort die Rede sein, wo die sich Verbrüdernden tatsächlich ihr Blut vermischen.

Die zentrale Symbolik des Blutmischens steht allerdings vielfach in einer unmittelbaren und komplementären Verbindung mit anderen Elementen. Bei den Germanen war dies offenbar in einem besonders hohen Maß der Fall. Es versteht sich daher von selbst, daß nur ein Erklärungsversuch berechtigt sein wird, der, von einer Zusammenschau aller Teile des Rituals ausgehend, die „Natur“ jenes doch wohl sinnvollen Ganzen,113 welches das Ritual der Blutsbrüderschaft einmal gebildet haben muß, zu bestimmen und zu beschreiben bestrebt ist.

Was wissen wir aber nun tatsächlich vom germanischen Verbrüderungsritual?

Nur in einer einzigen Quelle wird erwähnt, aus welcher Stelle des Körpers das Blut gewonnen wurde: in der Þorsteins saga Víkingssonar (Kap. 21) wird gesagt: „Þeir vöktu sér blóð í lófum.“114 „lófi“ kann zwar auch Hand ohne Einschränkung bedeuten,115 in diesem Fall wird aber doch wohl die Hauptbedeutung Innenfläche der Hand gemeint sein.116 Sollte diese Bemerkung des Verfassers der Þorsteins saga Víkingssonar nicht ein reines Phantasieprodukt sein, müßten wir selbst in jener Zeit noch mit einem überlieferten Wissen von Einzelheiten des Verbrüderungsrituals rechnen, denn ein literarisches Vorbild dafür gibt es, wenigstens in den erhaltenen Quellen, nicht. Allerdings ist es naheliegend, daß sich der Sagadichter den Einschnitt in der Hand oder im Arm dachte, auch dann, wenn er, wie die damit verbundene Skizzierung des ganga undir jarðarmen zeigt, vom Ritual nicht mehr viel wußte oder die (vielleicht in der Gísla saga) gelesene Beschreibung nicht recht verstanden oder nicht mehr gut in Erinnerung hatte.

Im allgemeinen wird nur vom Wecken des Blutes gesprochen. So heißt es in der Gísla saga: „nu vekja Þeir sér blóð“117, in der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana: „Vktu sér síðan blóð“118, in der Þorsteins saga Víkingssonar: „Þeir vöktu sér blóð í lófum“119 und in dem späten Zusatz der Illuga saga Griðarfóstra: „vökvuðu Þeir sér síðan blóð.“120

Dürfen wir – mit Ausnahme der letztgenannten Stelle natürlich – in dieser fast wörtlich mehrmals wiederkehrenden Wendung einen Ausdruck sehen, der tatsächlich einmal zur Terminologie der altnordischen Blutsbrüderschaft gehört hat? Dies ist schwer zu entscheiden, und hat meiner Meinung nach auch nur im Hinblick auf die Gísla saga tatsächliche Bedeutung, denn man möchte mit der Möglichkeit rechnen, daß die späteren Sagamänner dieses überaus einprägsame Bild vom Wecken des Blutes – wie so manche bereits genannte und noch zu erwähnende Einzelheit – aus der anscheinend vorbildhaften Schilderung der Gísla saga übernommen haben könnten – oder doch aus einem zur Tradition werdenden Motiv der Sagakunst. Die mehrmalige Erwähnung scheint mir kein überzeugendes Argument für die Historizität der Wendung zu sein; ich glaube jedoch nicht, daß die Wendung eine glückliche Erfindung des Dichters der Gísla saga darstellt, sondern halte es für durchaus möglich, daß derselbe diesen Ausdruck im Zusammenhang mit Erzählungen vom Brauch des fóstbrœðralag kennengelernt hatte und wir es tatsächlich mit einem alten Rest der Terminologie des fóstbrœðralag zu tun haben. Beweisen läßt sich dies allerdings nicht.

Nach Auskunft mehrerer Stellen wurde das Blut daraufhin vermischt. Ohne weitere Bemerkungen wird dies von der Lokasenna (Str. 9) mitgeteilt („við blendom blóði saman“), ähnlich aber auch an der oben zitierten Stelle der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana (Kap. 6), wo es heißt, daß Asmundr und Arán sich das Blut weckten und es zusammenfließen ließen („vktu sér síðan blóð, ok létu renna saman“). Auch im zweiten Fall erfahren wir über die näheren Einzelheiten der Blutmischung nichts.

Mit genau den selben Worten hatte schon der Verfasser der Gísla saga die zentrale Handlung des Verbrüderungsrituals beschrieben („ok nú vekja Þeir sér blóð ok láta renna saman“). Die wörtliche Übereinstimmung mit der Egils saga wird kaum auf Zufall beruhen; wie schon erwähnt, konnte die Beschreibung der Gísla saga für die Darstellung des fóstbrœðralag in der Egils saga einhenda ok Ásmundar berserkjabana wie auch der Þorsteins saga Víkingssonar vorbildlich gewesen sein.

Von entscheidender Bedeutung in der Darstellung der Gísla saga ist der Umstand, daß ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die Blutmischung unter dem jarðarmen erfolgte. Darüber hinaus heißt es, daß das Blut mit der Erde zusammengemischt wurde („ok hrœra saman allt, moldina ok blóðit“). Auf den Sinn dieser beiden symbolischen Handlungen werde ich bei der Erörterung der Symbolik des Rasengangs zurückkommen.121

Aus der Darstellung des Alten Sigurdliedes und SAXOs Form der Haddingsage kennen wir noch eine weitere Einzelheit der Verbrüderung, und zwar den Umstand, daß die sich Verbrüdernden ihr Blut in die Fußspuren träufeln ließen. In beiden Fällen („Þit blóði i spor baðir rendot“ – „vestigia mutui sanguinis aspersione perfundere“) ist von einem Vermischen des Blutes unmittelbar nichts gesagt; die Definition der Handlung, die SAXO als „alterni cruoris commercio“ umschreibt, ließe vielleicht eher an einen Austausch des Blutes denken, bei dem jeder sein Blut in die Spur des anderen träufeln ließ. Ob wir diese Möglichkeit für die wahrscheinlichere erachten, hängt ausschließlich davon ab, wie wir uns die vorhergehende Handlung, das Eindrücken der Fußspuren in die Erde, vorstellen.122 Machte und setzte zuerst der eine die Eindrücke von seinen beiden Füßen und setzte der zweite die seinigen daneben oder darein, worauf ein jeder etwas von seinem Blut in die Spuren des Partners träufeln ließ? Dies wäre ein Austausch des Blutes ohne Vermischung.

Daneben scheinen mir aber auch noch zwei weitere Möglichkeiten denkbar: nachdem z. B. der erste einen Abdruck von seinem rechten Fuß in der Erde hinterlassen hatte, setzte der zweite den Abdruck seines linken Fußes daneben, worauf beide ihr Blut zusammenfließen ließen. Endlich könnte, nachdem der erste einen Abdruck von beiden Füßen gemacht hatte, der andere in dieselben getreten sein – so daß es schon auf diese Weise zu einer Verschmelzung und Aufhebung der Zweiheit in einem Ganzen kam – worauf sie beide etwas von ihrem Blut in den Spuren vermischten.

Für beide Formen (den Blutaustausch ohne Vermischung und die tatsächliche Vermischung des Blutes) lassen sich in der völkerkundlichen Literatur zahlreiche Parallelen nachweisen; auf dem Balkan gab es sowohl die eine als auch die andere.

Die Hinweise der altnordischen und lateinischen Quellen reichen nicht aus, um mit Sicherheit die Existenz beider Formen oder nur die der Mischung des Blutes zu belegen. Im Hinblick auf die Gesamtheit der Belege (mit Einschluß derjenigen, welche die Fußspuren nicht erwähnen) scheint es mir allerdings wahrscheinlicher, eine Blut mi schung unter einer der beiden zuletzt beschriebenen Möglichkeiten anzunehmen.

Die strenge Scheidung von Blutmischung und Bluttausch ist letztlich von geringer Bedeutung, denn beiden Verbrüderungsformen ist eines gemeinsam: die Überleitung des Blutes. Ob nun schon vor der Absorption etwas vom eigenen Blut sich mit demjenigen des Partners vermengt, oder ob diese Vermischung erst im Körper erfolgt, kann im Hinblick auf den symbolischen Sinngehalt der Handlung nur als eine Unterscheidung gleichsam „zweiten Ranges“ gelten.

Läßt sich der „Sinn“ der Blutmischung nur von den Konsequenzen, die das fóstbrœðralag nach sich zog, bestimmen, oder bleibt auch nach Abzug aller Begleitumstände und Konsequenzen noch ein nicht mehr weiter zergliederbarer Kern zurück?

Die Charakterisierung der Blutsbrüderschaft als Rechtsakt, durch welchen den Beteiligten eine „Rechtsstellung von Brüdern“ verschafft werden soll,123 ist ganz offensichtlich ungenügend und einseitig: sie versucht, das Phänomen ausschließlich (aus juristischer Perspektive) von den rechtlichen Konsequenzen her zu erfassen, und verfällt dadurch einer starken Einengung.

Die Frage, ob die Blutsbrüderschaft eine tatsächliche Verwandtschaft sei, ob die Blutmischung ausschließlich dazu diene, „die fehlende Gemeinschaft des Blutes wirklich herzustellen“124, war das zentrale Problem der ethnologischen Untersuchungen zur Blutsbrüderschaft. Man müßte von der Voraussetzung ausgehen, daß die Verwandtschaft (und in unserem besonderen Fall eben das Verhältnis von Brüdern) überall dort, wo eine institutionalisierte Verbrüderung durch Blutmischung in Erscheinung tritt, als eine Gemeinsamkeit des Blutes aufgefaßt wird. Die ist jedoch bestimmt nicht der Fall, weil eine andere Möglichkeit, Hinweise darauf zu gewinnen, ob die Blutsbrüderschaft tatsächlich als eine Brüderschaft im verwandtschaftsmäßigen Sinn aufgefaßt wurde, darin bestünde, daß man eine vergleichende Untersuchung der Benennung dieser Einrichtung bei den verschiedensten Völkern und Stämmen in Angriff nähme. Dabei ist jedoch im Auge zu behalten, daß solche völkerkundlichen Gegenstücke (Analogien oder „Homologien“) jeweils nur einen Wahrscheinlichkeitsbeweis erbringen können, dessen Überzeugungskraft jeweils von der Art und dem Gewicht der beigebrachten Analogien, resp. Homologien abhängen wird.

Durch die wichtige Arbeit von E. EVANS-PRITCHARD über die Blutsbrüderschaft bei den Azande125 wurde die im 19. Jh. entwickelte Ansicht vom tatsächlichen Verwandtschaftscharakter der Blutsbrüderschaft überwunden, und, soviel ich gesehen habe, wurde dieser neuen Ansicht bis heute nicht mehr grundsätzlich widersprochen.126

Es kann keinesfalls in der Absicht meiner Untersuchung liegen, eine allgemeingültige Theorie der Blutsbrüderschaft zu entwickeln. Die Frage nach dem Verwandtschaftscharakter scheint mir jedoch den Schlüssel zu einem besseren Verständnis des germanischen fóstbrœðralag zu bilden; aus diesem Grund soll im IV. Kapitel von dieser Problematik ausgehend eine Gesamtdeutung der altgermanischen Blutsbrüderschaft versucht werden.

Die Menge des bei der Blutmischung verwendeten Blutes spielt keine Rolle.127 Das Blut wird offenbar nicht als Materie im modernen Sinn des Wortes verstanden, denn wie sollten einige wenige Tropfen desselben dann eine derart unverbrüchliche Verbindung bewirken, die in vielen Fällen von den auf diese Weise Verbundenen selbst unter Einsatz des Lebens aufrechterhalten wird?

Das Vermischen des Blutes muß als eine Vermischung der Persönlichkeiten mit all ihren Eigenschaften128, ja man könnte sagen, als ein Mischen der Seelen129 aufgefaßt werden, wobei Seele aber keineswegs nach dualistischer Auffassung als etwas dem Körper Entgegengesetztes und von ihm radikal Getrenntes verstanden werden kann.

Wilhelm GRÖNBECH hat über urtümliche Vorstellungen eines Anteilgewinnes an einer fremden Seele gesagt:

Nimmt man eine der Eigentümlichkeiten der Seele an, nimmt man die ganze Seele in sich auf und macht sie zu dem eigenen Willen. Kann man bloß an einem einzigen Punkt mit de Seele Verbindung anknüpfen, so hat man sie ganz; das Leben wohnt ebenso voll und ganz in dem kleinen abgerissenen Teil wie in dem springenden, spähenden, wollenden Organismus, und wenn man sich diesen kleinen Teil einverleibt, indem man ihn ißt oder ihn an sich bindet, so saugt man die ganze Seele ein.130

In ganz ähnlicher Weise hatte schon H. Cl. TRUMBULL die Grundidee der Blutmischung charakterisiert:

The inter-commingling of the blood of two organisms is … equivalent to the inter-commingling of the lives, of the personalities, of the natures, thus brought together; so that there is, thereby and thenceforward, one life in two bodies, a common life between the two friends …131

Wie auch immer man die Verbindung zu umschreiben versucht, eines halte ich für gewiß: die Tatsache, daß es sich nicht um die Bekräftigung eines Rechtsverhältnisses handeln kann, sondern um eine Verschmelzung der gesamten Persönlichkeit in ihrer ganzen Vielschichtigkeit. Von hier aus betrachtet wird nicht nur der Grund für die ganz ungewöhnliche Stärke der Bindung verständlich, sondern auch der religiöse Charakter der Blutmischung erkennbar.

Welche Vorstellung aber kann dem doch recht merkwürdig anmutenden Brauch des Träufelnlassens des Blutes in die Fußspuren zugrunde gelegen haben?

Die Fußabdrücke müssen in der Vorstellungswelt der Vergangenheit eine hohe Bedeutung gehabt haben. In Stein gemeißelte Fußspuren finden sich nicht nur in sehr großer Zahl auf den bronzezeitlichen Felszeichnungen Skandinaviens,132 sondern die Fußspur spielte auch in der Magie und im Volksaberglauben eine höchst bedeutsame Rolle.133

Es kann als sicher gelten, daß die Fußspur eine Funktion im Kult innehatte; welche dies war, läßt sich jedoch nicht mehr mit Sicherheit erkennen. Es scheinen mehrere Möglichkeiten denkbar.

Einerseits finden sich auf der ganzen Erde Fußspuren als Erinnerung an Götter, Heilige, berühmte Menschen, Hexen, Riesen und Teufel. Besonders oft sind an derartige Fußtritte in Steinen Sagen geknüpft; die Fußspuren Christi, sogenannte „Heilandstritte“, sind zu Wallfahrtsorten geworden.134 Die zugrundeliegende Vorstellung ist in diesem Fall zweifellos die, daß an den Fußspuren noch immer ein Teil vom Wesen ihres Urhebers haftet, daß eine unmittelbare Beziehung zu diesem – ungeachtet seiner körperlichen Abwesenheit – bestehen bleibt, kurz: daß die Fußspuren zu ihm gehören.

Die verkörperlichte Fußspur beim norwegischen Adoptionsritual der ættleiðing wurde erstmals von Konrad MAURER mit dem Fußspurenritus des fóstbrœðralag in Zusammenhang gebracht,135 allerdings ohne daß er eine Begründung für diese doch einigermaßen gewagte Assoziation gab, und ohne daß er den kultische Charakter der Neugeburt des Adoptierten als Mitglied der Sippe136 berücksichtigte. Beim Ritual des fóstbrœðralag war aber – meiner Meinung nach – nicht ein In-die-Spur-Treten der zentrale Akt,137 sondern das Träufeln des Blutes in die – zuvor – in den Boden eingedrückten Fußspuren. Aus diesem Grund halte ich einen Vergleich mit der ættleiðing im Hinblick auf die Funktion der symbolischen Handlungen für unergiebig.

Wichtiger und als Ansatzpunkt für den speziellen Fall des Spurenritus der Blutsbrüderschaftsschließung geeigneter erscheint mir der Vergleich mit der Fußspur in der Magie. So finden sich z. B. die Vorstellung, daß man durch das Ausstechen und In-den-Raum-Hängen von Fußspuren diejenige Person, von der sie stammen, töten könne138, daß man, indem man Fußspuren ausschneidet und auf dem Friedhof vergrabe, deren Urheber ums Leben bringen könne, und ähnliche Motive, bei denen die Fußspur den sie erzeugenden Menschen vertritt oder magisch repräsentiert.139 Besonders häufig ist auch der Glaube, daß man, indem man einen Nagel in eine Fußspur schlägt, die betreffende Person zum Erlahmen bringen könne.

Den eben genannten, mit der Fußspur verknüpften Vorstellungen des Volksaberglaubens und der Magie ist mit den oben erwähnten Fußspuren mythischer oder außergewöhnlicher Persönlichkeiten eines gemeinsam: die Dominanz der Beziehung zur Person, die Auffassung, daß in der Fußspur die Persönlichkeit des Urhebers liege, daß die Fußspur geradezu in einer Art von pars pro toto-Verhältnis mit dem Individuum, von dem sie herrührt, zu identifizieren sei.140

Für den Spurenritus der Blutsbrüderschaft erschiene mir demnach folgende Erklärung denkbar: zwischen der Fußspur und der sie verursachenden Person besteht – wie sich im vorhergehenden gezeigt hat – ein derart unmittelbares Verhältnis, daß man kaum mehr von Beziehungen, sondern von einer regelrechten Identifizierung sprechen müßte. Das Mischen des Blutes in den Fußspuren ist in diesem Sinne meiner Meinung nach nichts anderes als eine symbolisch nach außen projizierte Blutmischung, wie sie anderswo beim Trinken in den Körper stattfindet, und es fällt somit funktions- und sinngemäß mit dem außerordentlich weit verbreiteten Trinken des Blutes wesentlich zusammen.

Nach Ausweis der skandinavischen Quellen war das Trinken des Blutes als Ritus der Verbrüderung bei den Nordgermanen nicht üblich. Darauf hat bereits Jacob GRIMM hingewiesen.141 Die Richtigkeit dieser Aussage hat sich indessen bestätigt, denn bis zum heutigen Tag haben sich weder in der altnordischen Literatur noch in den Beschreibungen antiker Autoren Gegenbelege finden lassen.142

Ernst MAYER wollte im Kap. 24 der Hrolfs saga Kraka und der entsprechenden Stelle der Biarkarímur die Bestätigung dafür erkennen, daß das Trinken des Blutes bei einer rituellen Verbrüderung auch in Skandinavien geübt worden sei.143 Dies ist aber zweifellos falsch.144 Beide Stellen lassen sich nämlich ohne irgendwelche Schwierigkeiten dem weltweit verbreiteten Typus des Bluttrinkens zuordnen, durch welches man sich die Kraft und den Mut eines Menschen oder auch eines für ungewöhnlich tapfer gehaltenen Tieres anzueignen suchte.145

Sollte die Erklärung richtig sein, daß das „láta renna blód í spor“ funktionsmäßig im Grunde genommen mit dem Trinken des Blutes gleichzusetzen sei, dann wäre es ohnehin nicht mehr notwendig, die Vorstufe des Bluttrinkens für die Germanen anzunehmen. Die Annahme einer derartigen Vorstufe wäre, abgesehen davon, daß das „láta renna blód í spor“ kaum eine Weiterentwicklung des Bluttrinkens sein kann, wenn es mit demselben funktionsmäßig ohnehin gleichwertig ist, kaum sinnvoll.146 Schon bei der Rekonstruktion der in den mittelalterlichen Texten erwähnten Verbrüderungsformen bleibt vieles unsicher und zweifelhaft; noch weiter zurückzugehen und Vorstufen des ohnehin nur aus Andeutungen her Bekannten zu suchen, erscheint mir gänzlich unmöglich.

Wie verhält es sich nun – wenn wir die Beziehung zum Urheber der Fußspur als die entscheidende ansehen – mit der Beziehung zur Erde, in welche einerseits die Fußspuren ja eingedrückt sind, und mit der nach der unmißverständlichen Aussage der Gísla saga das Blut der sich Verbrüdernden zusammengerührt wurde („ok hrœra saman allt, moldina ok blóðit“)?147

Um darauf eine Antwort geben zu können, ist es nötig, zuerst auch noch die zweite symbolische Handlung zu untersuchen, mit der die Blutmischung im heidnischen Skandinavien in Verbindung stand, nämlich das „ganga undir jarðarmen“. Gerade bei diesem kommt der Erde als einem der wesentlichen Elemente des Ritus besondere Bedeutung zu.

An drei Stellen der isländischen Sagaliteratur erscheint das „ganga undir jarðarmen“ ganz eindeutig als Ritus der Blutsbrüderschaft.

In der Gísla saga (Kap. 6) wird nach der recht ausführlichen Schilderung des Ausschneidens des jarðarmen und des Stützens durch einen Runenspeer expressis verbis gesagt, daß die sich daran anschließende Blutmischung unter dem Rasenboden stattfand („Þeir skyldu Þar fjórir undir ganga, Þorgrímr, Gísli, Þorkell ok Vésteinn; ok nú vekja Þeir sér blóð ok láta renna saman …“).148

Die Darstellung der Þorsteins saga Víkingssonar ist in diesem Punkt viel ungenauer, aber auch in ihr stehen Blutmischung und Rasengang in einem eindeutigen Zusammenhang: „Þeir vóktu sér blóð í lófum, ok gengu undir jarðarmen, ok sóru Þar eiða…“).149 Die parataktische Erzählweise läßt zwar nicht mit Sicherheit erkennen, ob nicht vielleicht eine Aufeinanderfolge der beiden ersten Handlungen gemeint sei; das halte ich jedoch für unwahrscheinlich. Der Grund für diese Ungenauigkeit wird wohl darin bestehen, daß der Dichter der Þorsteins saga Víkingssonar zwar eine ganz allgemeine Vorstellung vom Gesamtritual hatte (möglicherweise aus der Kenntnis der Gísla saga), er den Zusammenhang der einzelnen Elemente jedoch nicht mehr durchschaute.

Die dritte Stelle, in der das „ganga undir jarðarmen“ als Ritus des fóstbrœðralag erscheint, ist die der Fóstbrœðra saga. Hier wird von einer Blutmischung kein Wort erwähnt; der Verfasser der Saga scheint das treten unter drei (!) jarðarmen („Þa skilldu Þeir ganga vnder iij. iarðar men …“) als das gesamte Verbrüderungsritual aufgefaßt zu haben („ok var Þat eiðr Þeira“).150

Ob wir die Stelle der Fóstbrœðra saga nun als einen Beleg für die Anwendung des Rasengangs beim Ritual der Blutsbrüderschaft ansehen, oder sie nur als Beschreibung einer Schwurbrüderschaft gelten lassen: an einer Verbindung des „ganga undir jarðarmen“ mit dem Ritus der Blutmischung kann nicht der geringste Zweifel bestehen.

Außer ihrer Verwendung beim Eingehen der Blutsbrüderschaft kennen die Isländersagas noch andere Anwendungsarten der Zeremonie des Rasengangs. Deren Verhältnis zueinander sowie insbesondere dasjenige zur Blutsbrüderschaft ist höchst umstritten; praktisch alle Arbeiten, die auch auf die altnordische Blutsbrüderschaft zu sprechen kamen, gingen von der Fragestellung aus, ob die verschiedenen Anwendungsarten nur Variationen des selben rituellen Typus seien oder ob, von einer bestimmten Anwendungsweise ausgehend, eine Übertragung auf die anderen stattgefunden habe.151

Nach der Njáls saga (Kap. 119) und der Vatnsdœla saga (Kap. 33) hätte der Rasengang der Erniedrigung und Demütigung gedient; die Laxdœla saga (Kap. 18) schreibt ihm die Funktion eines Gottesurteils zu.

In der Njáls saga verhöhnt Skarphedin den Skapti þoroddsson auf dem Allthing wegen seiner Feigheit:

Síðan keyptir þú at þrælum, at rísta upp jarðarmen,

ok skreitt þú þar undir um nóttina.152

Es ist sicherlich nicht möglich, aus dieser Schmähung mehr herauszulesen, als daß der Sinn des ganga undir jarðarmen völlig verlorengegangen war153 und eine ehedem heilige Handlung nunmehr als verrucht galt, ähnlich wie etwa das Essen von Pferdefleisch.154

In der Vatnsdœla saga will Bergr von Jkull dadurch Genugtuung für eine Beschimpfung erlangen, daß Jkull unter drei verschieden langen Rasenstreifen durchkriechen soll:

Bergr kvaz eigi mundu fébœtr taka ok því at eins sættaz,

at Jkull gangi undir jarðarmen, sem þar var siðr eptir

stórar afgerðir, – ‚ok sýna svá lítillæti við mik.‘

Jkull kvað fyrr mundu hann trll taka, en hann lyti honum

svá. þorsteinn kvað þetta vera álita mál, – ‚ok mun ek ganga

undir jarðarmenit.‘ Bergr kvað þa goldit.

Et fyrsta jarðarmen tók í xl, annat í bróklinda, þriðja í

mitt lær. þa gekk þorsteinn undir et fyrsta.

Bergr mælti þa: ‚Svínbeygða ek nú þann, sem œztr var af

Vatnsdœlum.‘

þorsteinn svarar: ‚þetta þurftir þú eigi at mæla, en þat

mun fyrst í mót koma þessum orðum, at ek mun eigi ganga undir

feiri.‘155

Abgesehen von den drei ungleich hohen „jarðarmen“ stimmt der Rasengang, wie ihn die Vatnsdœla saga beschreibt, mit jenem beim Abschluß der Blutsbrüderschaft überein.156

Auf alle Fälle ist jedoch nicht das „ganga undir jarðarmen“ an sich eine demütigende Handlung, sondern nur jene speziellen Anwendungsformen.157

Der historische Wert der Schilderung als Bericht von einem Rechtsinstitut („siðr eptir stórar afgerðir“) ist höchst zweifelhaft, da es sich um eine vollkommen alleinstehende Nachricht handelt, zu der es keinerlei Parallelen gibt.158 In diesem Fall scheint es mir sehr naheliegend, daß es sich um eine freie Gestaltung des Verfassers der Vatnsdœla saga handeln könnte, der das bekannte Ritual des Rasengangs zum Ausgangspunkt nahm, es aber auf seine Weise und den eigenen Intentionen entsprechend umfunktionierte. Sollte der Stelle der Laxdœla saga als Kern eine alte Institution zugrunde gelegen haben, dann allerdings wäre der von Jan de VRIES aufgestellte Vergleich mit dem römischen „mittre sub iugum“ im Auge zu behalten.159

Die Laxdœla saga schildert, wie es nach dem Tode Þorsteins zu Erbstreitigkeiten zwischen den Verwandten des Ertrunkenen kommt. Um die Wahrhaftigkeit der entscheidenden Aussage Gudmunds unter Beweis zu stellen, soll eine Reinigungsprobe vorgenommen werden:

… en Þorkell Þykkisk einn eiga ok bað gera til skírslu

at sið Þeira Þat var Þá skírsla í Þat mund, at ganga skyldi

undir jarðarmen Þat er torfa var ristin ór velli; skyldu

endarnir torfunnar vera fastir í vellinum, en sá maðr, er

skírsluna skyldi fram flytja, skyldi Þar ganga undir.160

Auf Anstiften des Hauptinteressenten wird der Rasenbogen von zwei Männern zum Einsturz gebracht, noch bevor die Reinigungsprobe vorgenommen worden war. Die Probe wird aber auch nicht wiederholt, und die Erzählung bleibt in dieser Hinsicht merkwürdig unklar.

Konrad MAURER versuchte allein aufgrund der eben genannten Stelle seine Theorie von einem heidnischen skandinavischen Gottesurteil zu begründen;161 diese juristische Theorie, die MAURER auch auf den Rasengang als Ritus der Blutsbrüderschaft auszudehnen versuchte, gewann auch durch Ernst MAYERs Hinweis auf ein spanisches Erdordal (aus gotischem Recht) nicht an Wahrscheinlichkeit.162 MAURER war sich der vollständigen Isoliertheit der Beschreibung bewußt,163 hielt sie aber nichtsdestoweniger für historisch zuverlässig.164 Abgesehen davon, daß gerade diese Stelle als Ausgangspunkt einer Eid-Theorie, die das ganze Rasengangproblem lösen wollte, kaum geeignet ist,165 wurde auch ihre historische Zuverlässigkeit immer mehr angezweifelt.166 Rolf HELLER kam nach einer eingehenden Untersuchung zu der Ansicht, daß der Autor der Laxdœla saga das allgemein bekannte „ganga undir jarðarmen“ übernommen habe (nach HELLERs Meinung aus der Gísla saga)167, dem Ritus in seiner Erzählung aber einen gänzlich neuen Sinn gegeben habe.168 Ohne auf die einzelnen Argumente noch einmal zurückzukommen, möchte ich mich seiner Schlußfolgerung, daß die Stelle der Laxdœla saga kein ernstzunehmendes historisches Zeugnis für eine heidnischen Rechtsbrauch sei169, grundsätzlich anschließen.

Alle erwähnten Stellen auf eine einzige Grundvorstellung zurückzuführen, erscheint tatsächlich unmöglich. Man könnte sehr wohl geneigt sein, in den besprochenen Stellen der Vatnsdœla saga und der Laxdœla saga (die Njála kann unbedenklich von vornherein ausgeklammert werden) nichts anderes als rein individuelle „Phantasieschöpfungen“170 zu sehen; damit wäre die Frage nach der Historizität der Beschreibungen nicht mehr gegeben.

Die Überlegung, daß es vom Rasengang als Ritus der Blutsbrüderschaft, seiner ursprünglichen Anwendungsform, zumindest einen Anknüpfungspunkt zu den anderen Anwendungsarten desselben gegeben haben könnte, erscheint mir trotzdem nicht unmöglich.

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22 декабря 2023
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9783964260185
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