Читать книгу: «Der Thron des Riesenkaisers», страница 3

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Mit schreckgeweiteten Augen starrte Manina zu ihnen herüber.

»Auf der Stelle, hab ich gesagt, Finger weg!« Stollo versuchte Maja von dem Angreifer wegzureißen. Sie flog in die Arme des Wirts, als Erion sie plötzlich losließ.

»Sie gehört mir«, erklärte er mit ruhiger, selbstbewusster Stimme, die verriet, dass er es nicht nötig hatte, um seine Beute zu kämpfen. Vielleicht sah er die Mordlust in den Augen des kräftigen Gastwirtes, in den Blicken der Holzfäller, die regelmäßig hier einkehrten, von denen mehrere drohend aufstanden, jedenfalls zögerte er nicht lange, schob seinen Ärmel hoch und zeigte ihnen das Zeichen, das er an seinem Oberarm trug: ein eingebranntes Z, darüber eine Krone. Mit Befriedigung nahm er zur Kenntnis, wie die Männer zurückwichen.

»Kaisergänger«, sagte Erion stolz. »Unterwegs im Namen des Kaisers. Ihr wisst, was das bedeutet. Ich erkläre diese Frau zu meiner Gefangenen.«

Zögernd öffnete Stollo seine Arme, und nun stand Maja da, auf einmal sehr allein, und wusste kaum noch, wen sie mehr bedauern sollte, sich oder ihn oder Manina.

»Was soll ich denn machen?«, fragte ihr Arbeitgeber leise und verzweifelt. »Ich würde für dich kämpfen, oh ja … Aber ein Kaisergänger?«

»Ist schon gut«, sagte die junge Frau. »Mach dir bloß keine Sorgen um mich.«

Obwohl ein paar Jahre vergangen waren, hätte sie Erion überall wiedererkannt. Die Schlacht um das Schloss von Neiara würde sie nie vergessen. Dort hatte sie mit ihrer Familie und der Kampftruppe ihrer Pflegemutter Alika gekämpft, gegen Erion und die Söldner, die er mitgebracht hatte. Dort an der schmalen Brücke am Abgrund. Sie hatte seinen Befehl zum Rückzug noch im Ohr, und auf immer hatte sich das Bild in sie eingeprägt, wie der schwer verletzte Hauptmann der Feinde versuchte, kriechend die Brücke zu erreichen, bevor sie hochgezogen wurde. Erion hatte keinen Augenblick lang auf ihn gewartet. Nie würde Maja vergessen, wie er als Unterhändler den Abzug seiner Männer vereinbart hatte. An seinen kalten Blick, seine Stimme, bei der ihr heute noch ein Schauder über den Rücken lief, so gefühllos, so leblos war sie ihr vorgekommen.

Manina, diese dumme, verliebte Prinzessin, stand immer noch da. Maja versuchte, nicht zu ihr hinzusehen. Sie musste doch endlich begreifen, in welcher Gefahr sie schwebte!

»Ich suche noch eine Frau«, sagte Erion. »Blond, mit auffällig blauen Augen.«

Unwillkürlich wanderten die Blicke der anderen Gäste zu der hübschen Küchenhilfe. Erion hielt einen Moment mitten in der Bewegung inne, überrascht, doch er hatte sich sofort wieder in der Gewalt.

Galant deutete er eine kleine Verbeugung an. »Ich muss auch Euch bitten, mich zu begleiten. Setzt Euch zu mir, meine Männer werden in Kürze hier eintreffen.«

»Das geht nicht!«, protestierte der Wirt unglücklich. »Meine Köchin und Flötenspielerin … mein Schankmädchen … Wer soll denn die Gäste versorgen?«

»Oh, ich bin sicher, wir werden alle zu gerne dem Flötenspiel der schönen Maid lauschen.« Erion verzog seinen Mund zu etwas, das fast wie ein Lächeln wirkte.

Manina trat vor ihn hin. Sie zwang sich, den Rücken gerade zu halten, den Kopf zu erheben, nicht an sein Gesicht im funkelnden Sonnenlicht zu denken.

»Lasst Maja frei«, sagte sie. »Ich werde mit Euch kommen, wenn Ihr sie hierlasst.«

Erion schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er einfach und zeigte deutlich, dass er nicht näher begründen wollte, welches Interesse er an Maja hatte, nicht hier und nicht jetzt. »Setzt Euch und wartet. Wenn meine Leute da sind, werden sie Euch begleiten, so dass Ihr noch einpacken könnt, was Ihr für die Reise braucht.«

»Die Reise?«, fragte Maja.

»Nach Kirifas«, antwortete er. »Wohin denn sonst. Dorthin, wo Ihr hingehört.«

Maja dachte darüber nach, ob sie aufstehen und rufen sollte: Seht her, das ist Prinzessin Manina, kämpft für sie! Aber niemand würde ihnen helfen, das wusste sie. Kaiser Zukata war nicht beliebt, doch niemand wagte es, sich seinen Kaisergängern zu widersetzen. Jeder, der das Zeichen des einstigen Räuberprinzen trug, durfte in diesem Reich tun, was er wollte, und hatte dabei Anspruch auf blinden Gehorsam.

Kopfschüttelnd drückte sie die Hand ihrer Freundin, als diese sich ergeben zu ihr auf die Bank setzte. Erion nahm ihnen gegenüber Platz und verlangte mit geradezu aufreizender Höflichkeit eine neue Suppe.

»Du hättest verschwinden können«, regte Maja sich auf. »Bei Rin, warum bist du nicht weggerannt?«

»Weshalb hätte ich fliehen sollen?«, gab Manina zurück. »Es gibt nichts, wessen ich mich schämen müsste.«

»Und da ist auch nichts, was Ihr zu fürchten hättet«, warf Erion ein. »Der Kaiser wird Euch in Ehren in seinem Palast empfangen.«

»Tatsächlich?«, fragte Maja.

»Wolltet Ihr nicht Flöte spielen, um die Gäste zu unterhalten?«, fragte er zurück. Das unzufriedene Gemurmel in der Gaststube hatte immer noch nicht aufgehört, zumal Stollo mit dem Bedienen kaum hinterher kam.

Wenn sie es wirklich gekonnt hätte, wäre jetzt die Zeit dafür gewesen, mit ihrem Spiel die Holzfäller so in Wut zu versetzen, dass sie sich auf den Kaisergänger stürzten. Aber die kleine Flöte, nach der ihre Finger tasteten – nirgends ging sie ohne sie hin –, vermochte keine Wunder zu bewirken. Sie ließ ihre Hände wieder sinken.

»Wie habt Ihr uns gefunden?«, wollte sie wissen. »Lässt Zukata ganz Deret-Aif nach Manina durchkämmen?«

»Zukata findet immer, was er sucht«, gab der blonde Mann zur Antwort. Mit einem freundlichen Nicken nahm er den Teller entgegen, den Stollo ihm reichte.

»Ich hoffe, er hat hineingespuckt«, zischte die junge Zinta wütend.

»Oh, ich hoffe nicht«, meinte Erion. »Wer einen Kaisergänger beleidigt, beleidigt den Kaiser selbst.«

Manina saß schweigend daneben, während die beiden miteinander redeten. Maja wurde immer wütender, bis sie schließlich glaubte, an ihren Gefühlen zu ersticken. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie auf ihrer Flöte gespielt, um das, was in ihr brodelte, ins Lied hinauszulassen. Aber ihr Feind hatte sie gebeten zu spielen und sie wollte ihm keinen Gefallen tun. Zu nah war die Erinnerung an den Tag, an dem das Glück gestorben war. Dort auf den geliebten Inseln – der Weininsel, auf der ein blutiger Kampf getobt hatte, und der Apfelinsel, die zerstört zu ihren Füßen lag, als sie siegreich zurückgekehrt waren. Alles hatte das Mädchen verloren, durch Erion und seinen hinterhältigen Onkel Norha. Und nun hatte der Albtraum sie eingeholt, in der Gestalt dieses Mannes, der vor ihren Augen so gesittet speiste wie ein Fürst. Auf ihre Fragen antwortete er stets ausweichend, aber mit unerschütterlicher Gelassenheit. Er wirkte nicht wie jemand, der wütend werden und herumschreien konnte.

»Am meisten«, sagte Maja, »bedaure ich, dass ich Euch die erste Suppe nicht ins Gesicht geschüttet habe.«

»Oh, wie schade wäre das gewesen«, meinte er, »sie ist vorzüglich. Man schmeckt, dass Ihr von den Glücklichen Inseln kommt.«

»Ich habe nie vergessen, woher ich stamme«, sagte sie leise.

»Glaubt Ihr, ich?« Ein hochmütiges Lächeln bog seine Mundwinkel nach oben. »Wo ich doch der König von Neiara bin?«

Kaiser Zukata hatte die Inseln Neiara und Arima zum vierundzwanzigsten Königreich von Deret-Aif erklärt, das wusste sie seit langem, aber nicht, wer darüber regierte. Wie viele Scheußlichkeiten würde dieser Tag denn noch ans Licht bringen? Krampfhaft bemühte sie sich, Erion nicht zu zeigen, wie sehr es sie schmerzte, dass eine der Glücklichen Inseln ihm gehörte.

»Mehr hat Zukata Euch nicht anvertraut? Eine verbrannte Insel und ein schwarzes Schloss? Einen Felsen im Meer?«, höhnte sie, als hätte sie nicht alles dafür gegeben, wieder auf Arima zu sein und das Geld und die Macht zu haben, die Gärten wieder aufzubauen und neue Bäume zu pflanzen. »Mehr wart Ihr ihm nicht wert? Hat er nicht seine dreckigen Räuber zu Königen über Königreiche wie Torn oder Diret gemacht? Auch hier in Laring herrschen jetzt Verbrecher.«

Wenn sie bereit gewesen wäre, irgendetwas an ihrem Gegner bewundernswert zu finden, hätte sie ihm wohl Anerkennung dafür gezollt, wie gut er sein Gesicht in der Gewalt hatte. Nicht die kleinste Regung offenbarte, ob er sich getroffen fühlte, nur ihr Gespür verriet ihr, dass sie in gefährliches Gebiet eindrang.

Maja blieb erspart, mitzuerleben, wie ein dermaßen gefasster und beherrschter Mann wie Erion reagierte, wenn man seinen wunden Punkt gefunden hatte. Die Soldaten, die er versprochen hatte, polterten gerade in die Gaststube, aber ihr Blick wurde von Tamait abgelenkt, der gleichzeitig in der Verbindungstür erschien.

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, als sich ihre Blicke begegneten, als sie das Entsetzen in seinem Gesicht aufflammen sah. Nein. Keta, formten ihre Lippen, lautlos. Hol Keta.

Sie hoffte, dass er nicht so wie Manina einfach wartete oder, noch schlimmer, vorwärtsstürmte, um einen Kampf zu führen, den er nur verlieren konnte. Doch sie hatten genug miteinander durchgemacht; Tamait verstand sie und zog sich wieder zurück, und als die Soldaten ihren Herrn begrüßten und den beiden gefangenen Frauen abschätzende Blicke zuwarfen, war von ihrem Bruder nichts zu sehen.

»Hol Keta«, murmelte Tamait, während er aus einem Gebüsch heraus die Soldaten beobachtete. Sie hatten das kleine Haus, in dem er mit seiner Schwester und der Prinzessin gewohnt hatte, umstellt, während die Frauen sich drinnen aufhielten. Zwölf Soldaten. Er musste sie nicht zählen; er hatte sich um ihre Pferde gekümmert. Wenn es nur Erion gewesen wäre, hätte Tamait nicht gezögert. Er war sich sicher, dass er es mit diesem miesen Kerl aufnehmen konnte; Erion war kein begnadeter Fechter, das hatte Tamait selbst bei der Schlacht von Neiara miterlebt. Tamait dagegen war bei seiner Mutter in die Lehre gegangen, bei Alika, einer salinischen Amazone, einer der besten. Doch ein Dutzend Soldaten anzugreifen, war sinnlos. Für Keta wäre das kein Problem gewesen, aber der Riesenprinz war nicht hier; er konnte am anderen Ende des Kaiserreichs sein. Ihn zu suchen, half Maja und Manina kein bisschen. Es würde, selbst wenn der junge Mann rasch auf die bunten Wagen traf und Minos Aufenthaltsort erfuhr – und dass Mino wiederum wusste, wo Keta sich aufhielt, daran bestand kein Zweifel –, viel zu lange dauern. Kaisergänger hin oder her, Tamait glaubte nicht, dass die Ziehenden viel darauf gaben, wenn es um einen der Ihren ging. Ein paar starke Brüder aus der Sippe wären eine willkommene Unterstützung, aber bis er ein paar Helfer zusammengetrommelt hatte, waren die Gefangenen längst fort.

Hol Keta. Na wunderbar, Maja, dachte Tamait grimmig, während er beobachtete, wie seine Schwester und die Prinzessin aus dem Haus kamen, begleitet von zwei weiteren Soldaten und diesem aufgeblasenen Erion. Sie setzten die Mädchen zusammen auf ein Pferd. Manina sah aus, als würde sie überhaupt nicht begreifen, was vor sich ging, wie eine Schlafwandlerin starrte sie ins Nichts. Maja dagegen schimpfte wütend auf Erion, so laut, dass er sie mühelos verstehen konnte.

»Nach Kirifas!«, rief sie ein ums andere Mal aus. »Was um alles in der Welt soll ich da? Wenn Ihr alle Leute, die je gegen Euch gekämpft haben, einsammelt und nach Kirifas bringt, können wir ein wunderbares Wiedersehensfest dort feiern. Ist das wirklich Zukatas Wunsch, oder nehmt Ihr mich nur mit, weil es Euch gerade so passt?«

Kirifas. Was hatte sie sich gedacht – dass Tamait nun, da er wusste, wohin die Reise ging, darauf verzichten würde, ihnen zu folgen, und stattdessen irgendwie Keta herbeischaffte? Dass er hier warten sollte, bis Mino, Jamai und Kroa auftauchten, so wie sie es regelmäßig taten, und mit ihnen gemeinsam einen Befreiungsversuch unternehmen? Das klang vielleicht sogar vernünftig. Warte auf Verstärkung. Ihr werdet uns einholen, irgendwie, und bevor wir in Kirifas ankommen, schlagt ihr zu. Nur, Tamait schüttelte besorgt den Kopf, gab es keinerlei Garantie, dass Maja und Manina auf diesem langen Weg nichts geschah. Er konnte nicht so lange warten.

Sobald die Reiter verschwunden waren, schlüpfte er zwischen den Bäumen hindurch zum Haus. Sie hatten die Tür angelehnt gelassen. Seine Schritte knarrten über die Holzdielen, während er seinen Blick durch die kleine Stube wandern ließ, in der er und die beiden Mädchen miteinander gelebt, gekocht und gelacht hatten. Die Hütte besaß nur diesen einen Raum, doch daran waren die Geschwister gewöhnt, nachdem sie einige Jahre bei den Ziehenden gelebt hatten, bei denen es auch nur einen Wagen pro Familie gab. Sich ausbreiten konnte man draußen, im Wald – das war das Zimmer, das jedem gehörte, der es in Anspruch nahm, der sich wie ein König fühlen wollte in einem unermesslich großen Palast. Für ihre Zwecke hatte es gereicht, nur für Manina war es natürlich gewöhnungsbedürftig gewesen, dass ihr so wenig Platz zur Verfügung stand. Hier auf der Bank hatte er geschlafen; die Freundinnen hatten das Bett hinter dem Vorhang benutzt. Damit es kein Gerede gab, hatten sie Manina als seine Frau ausgegeben. Tamait hätte nichts dagegen gehabt, wenn es wirklich so gewesen wäre. Die Prinzessin rührte etwas in ihm an, eine Art Beschützerinstinkt. Bei Maja hatte er selten das Gefühl gehabt, sie verteidigen zu müssen. Gemeinsam hatten sie gekämpft, und wenn sie sich in die Gefahr stürzte – so hatte er es empfunden, als sie darauf bestanden hatte, mit Sorayn fortzugehen –, konnte und durfte er ihr nicht helfen.

Tamait seufzte, während er sich nach den Dingen umsah, die er mitnehmen wollte, und gleichzeitig ein Auge darauf hatte, was fehlte, was Maja dabei hatte. Vielleicht war es ihr gelungen, ein Küchenmesser einzupacken? Doch nein, die Messer staken noch alle im Holzblock. Vielleicht … Er trat auf den Vorhang zu und streckte die Hand aus, um ihn beiseite zu ziehen. Im selben Moment sprang ihm ein Angreifer entgegen und zielte mit dem Schwert nach seiner Brust.

Um ein Haar hätte es ihn erwischt. Er warf sich zurück, krachte gegen einen Holzschemel und stürzte. Der Soldat – jetzt sah er, dass es einer von Erions Leuten war – holte erneut aus. Er machte nicht viele Umstände, offensichtlich war er nur hier, um zu töten. Tamait rollte sich zur Seite, ergriff mit jeder Hand eins der abgebrochenen Beine des Hockers und sprang auf. Die Waffe traf auf das massive Holzstück; es wurde ihm aus der Hand geschlagen und fiel krachend gegen Töpfe und Pfannen. Tamait parierte den nächsten Schlag mit dem zweiten Stuhlbein, machte einen Satz rückwärts und griff sich eine schwere Eisenpfanne. Der Soldat, bisher mit schweigendem, unbeweglichem Gesicht, lachte auf. »Was soll das denn werden?«

Ein Krieger kann mit allem kämpfen, was zur Hand ist. Er erinnerte sich an diesen Satz aus dem Mund seiner Mutter, während sie einen Krieg mit Spaten und Hacken geplant hatte, bevor die Schwerter gekommen waren, die schönen, scharfen Schwerter, die Mino irgendwie organisiert hatte. Tamait würde diese Weisheit seinem Gegner schon beibringen. Der hatte sich den Falschen für seinen Mordversuch ausgesucht. Einen Krieger. Stollos Stallburschen und Rausschmeißer, doch diese Zeiten waren ab heute vorbei.

Die Bratpfanne diente ihm hervorragend als Schild, mit dem er jeden Hieb abwehrte. Tamait war sich jedoch darüber im Klaren, dass ihm noch etwas Besseres einfallen musste. Jemanden mit Küchenutensilien zu töten, war sicherlich möglich, aber der Soldat war stark; so schnell würde er sich nicht überwältigen lassen. Der junge Mann schleuderte ihm das Kochgeschirr an den Kopf, sprang noch einmal zur Feuerstelle zurück und griff sich die Eisenkette vom Haken, an der man sonst die Töpfe aufhängte. Er wickelte sie sich ums Handgelenk. Sein Gegner, nicht mehr ganz so stürmisch wie zu Beginn, beobachtete ihn misstrauisch. »Und das? Was wird das?«

Breitbeinig stand Tamait da, gut im Gleichgewicht, bereit zum Tanz. »Hat Erion dir nicht gesagt, wer ich bin?«, fragte er.

»Zukatas Feind«, antwortete der Soldat. »Das genügt.«

»Vielleicht hätte er dir etwas mehr über mich erzählen sollen«, sagte Tamait. »Hat er zum Beispiel erwähnt, dass ich Fischer bin? Und ich hatte schon ganz andere Fische an der Angel als dich.«

»Fischer?« Der Soldat blieb unbeeindruckt. »Dann werde ich jetzt dafür sorgen, dass …« Er wollte auf Tamait losstürmen, doch dieser flog mit einem Salto rückwärts durch die Tür, etwas, das er bei den Zintas gelernt hatte. Muschelsammler, Schwertkämpfer, Akrobat – der Arimer war schon immer ein sehr gelehriger Schüler gewesen.

Der Möchtegern-Mörder folgte ihm eilig nach draußen, um zu verhindern, dass sein Opfer in den Wald entkam. Genau dies hatte Tamait beabsichtigt. In der engen Hütte konnte er die Kette nicht so als Waffe benutzen, wie ihm vorschwebte, doch hier war genug Platz, um sie über sich kreisen zu lassen, und kaum war der Soldat bis auf wenige Schritte an ihn herangekommen, wickelte sich die Eisenkette pfeifend um seinen Arm. Mit einem Ruck riss der junge Mann ihn zu Boden, wich dem Schwert aus und vollführte eine weitere Drehung, schon fast tänzerisch. Es gab ein hässliches Geräusch, als der Knochen brach. Der Angreifer schrie qualvoll auf.

Tamait trat auf das Schwert.

»Woher«, fragte er, »wusste Erion, wo wir sind? Er hat uns nicht zufällig gefunden, hab ich recht?«

Es brauchte nur eine winzige Bewegung, um dem Soldaten unerträgliche Schmerzen zuzufügen. Die sonst so freundlichen Augen des Arimers funkelten hart und mitleidslos.

»Zukata ließ überall suchen, nach … nach dem Mädchen … Gasthaus am Weg … oh verdammt!«

»Was hat er mit ihr vor?«, wollte Tamait wissen.

»Kirifas«, stöhnte der Verletzte.

»Er soll sie wirklich nach Kirifas bringen? Zukatas Schwester? Das bezweifle ich irgendwie … Und Maja? Warum hat er auch das andere Mädchen mitgenommen, das schwarzhaarige?«

Er hatte einmal zu fest an der Kette gezogen. Der Schmerz stürzte den Mann in eine Ohnmacht, in der er keine Fragen mehr beantworten konnte.

Leise fluchend untersuchte Tamait seine Taschen, aber nichts gab darüber Aufschluss, was Erion tatsächlich plante. Er nahm das Schwert an sich, fand das Pferd des Soldaten etwas weiter vom Haus entfernt angebunden und ritt zum Silbernen Krug, wo Stollo und sein Sohn dabei waren, die Gaststube aufzuräumen und das Chaos zu beseitigen, das die unverschämten Besucher hinterlassen hatten.

»Da bist du ja endlich!«, rief Stollo aus, als er ihn sah. »Komm, pack mit an!«

»Tut mir leid«, entgegnete Tamait, »aber ich kann nicht, ich muss ihnen nach.«

Der Wirt nickte, runzelte jedoch besorgt die Stirn. »Er ist Kaisergänger, mein Junge, da kann man nichts machen. Und selbst wenn er sämtliche Frauen und Mädchen des Dorfes mitgenommen hätte, was will man tun? Wenn wir ihm nicht gehorcht hätten, du kannst dir vorstellen, was dann passieren würde. Zukata würde noch mehr Männer schicken, sie könnten das ganze Dorf …«

»Ich weiß doch. Niemand macht dir Vorwürfe. Und trotzdem muss ich ihnen nach.«

Geh, sagten Stollos Augen. Verschwinde lieber, bevor jemand merkt, dass ich mit einem rede, der sich gegen Zukata stellt, der sich traut, einen Kaisergänger und seine Männer zu verfolgen, einen, der nicht klein beigibt. Geh bloß, bevor ich dran bin.

»Zwei Dinge noch. Vor unserer Hütte liegt ein Soldat mit einem gebrochenen Arm, der vielleicht in Kürze aufwacht. Vielleicht solltet ihr mal nach ihm sehen. Und dann werden demnächst drei Reisende hierherkommen und nach uns fragen. Bitte erzähl ihnen alles, was hier vorgefallen ist. Wir sind auf dem Weg nach Kirifas.«

»Drei Reisende«, wiederholte Stollo. »Tamait, das hier ist ein Gasthaus. Wie soll ich denn da bloß die Richtigen erkennen?«

»Das ist nicht schwer«, sagte der Arimer. »Einer ist ein Zinta mit brauner Haut. Dann ist eine Frau mit weißem Haar dabei. Und der Dritte ist ein Zwerg.«

3. Tribut

» W I RS I N DS P Ä Tdran«, sagte Mino und schnupperte. In der Luft lag bereits der erste Geruch von Schnee, ein frischer, scharfer Duft. Sie liebte es, wenn es schneite, wenn sich die zuckrigen Flocken über ihr weißes Haar und ihre weiße Haut legten, als kämen sie nur ihretwegen. Im Winter zu reisen war für sie immer etwas Besonderes gewesen, und dieser kalte Wind aus dem Norden brachte ihr die Zeit zurück, in der sie mit ihrem Ziehvater Keta unterwegs gewesen war, weil auch er nirgends zur Ruhe kommen konnte. Die Sippen der Zintas versammelten sich in den sonnigen Nadelwäldern des Südens, aber Keta musste weiter und sie mit ihm. Diese Zeit hatte sich so in sie eingebrannt, dass sie nur die Augen zu schließen brauchte und vor sich die langen, pelzigen Ohren ihres geliebten Esels sah. Einige Schritte vor ihr ging der Riese mit den breiten Schultern und den großen Schritten …

»Gar nicht«, widersprach Kroa, kratzte sich hinter den Ohren und brachte damit seine langen Strähnen durcheinander. Sein Haar war mittlerweile recht schütter, aber indem er es kunstvoll um seine Glatze herumdrapierte, fiel es nicht so sehr auf. Zumindest hoffte er, dass es nicht auffiel, aber da er nicht größer war als ein fünfjähriges Kind und ihm daher die allermeisten Leute auf den Kopf schauen konnten, urteilten sie über seine Bemühungen anders als er. »Wie können wir spät dran sein? Du hast Maja nicht versprochen, dass wir sie besuchen. Also kann sie nicht auf uns warten. Oder uns vorwerfen, wir hätten uns verspätet. Selbst wenn wir erst in zwei Jahren nach Laring kommen, kann sie uns nichts vorwerfen. Siehst du das nicht auch so, Jamai?«

Der Angesprochene, ein drahtiger Mann mit schwarzem Haar und bräunlicher Haut, schlug Kroa lachend auf die Schulter. »Und wer spricht jeden Tag davon, dass wir Manina ein Geschenk mitbringen müssen? Wer bleibt auf allen Marktplätzen vor wirklich jedem Stand stehen, um ein Geschenk für eine Prinzessin zu finden? Nun?«

»Genau aus diesem Grund besteht keine Eile«, versetzte der Zwerg würdevoll. »Was nützt es uns, wenn wir müde und abgehetzt bei ihnen anlangen und haben kein Geschenk dabei? Außerdem ist in Laring Spätsommer. Nur die hier oben in Wenz bestehen darauf, früher mit dem Winter anzufangen als alle anderen.«

Mino runzelte die Stirn, während sie in die tiefhängenden grauen Wolken blickte. »Ich möchte am liebsten zu ihnen fliegen«, sagte sie. »So schnell ich nur kann … Wir haben uns zu lange aufgehalten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns beeilen müssen … dass wir zu spät kommen könnten.«

»Zu spät? Was meinst du damit?«, fragte Jamai. »Du warst es doch, die unbedingt noch die Tropfsteinhöhlen von Ruaning sehen wollte.«

»Ja, ich weiß. Aber auf einmal … Wir wollten im Spätsommer oder Frühherbst wieder im Silbernen Krug sein. Daran hätten wir uns halten sollen. Der Winter wird eher dort sein als wir.« Die ersten Flocken begannen zu fallen, sie rieselten herab wie Regen, klein und schnell, als hätten sie es eilig, auf dem Boden aufzutreffen. »Ich weiß selbst«, fügte sie leise hinzu, »dass ich dachte, ich brauchte diese Reise. So weit wie möglich fort von Kirifas. Ich dachte, wenn es mir nur gelingt, nicht mehr daran zu denken, dass Zukata gewonnen hat, würde es mir besser gehen. Aber jetzt will ich nur noch vorwärts.«

»Sieht aus, als müssten wir jedenfalls erst einmal anhalten.« Kroas Stimme klang heiter, und doch blitzte in seinen Augen das Misstrauen auf, das ihn immer befiel, wenn sie es mit Uniformierten zu tun bekamen.

Vor ihnen befand sich eine Straßensperre. Ein paar bewaffnete Männer lungerten an einem Schlagbaum herum. Aus einem kleinen Holzhaus wenige Meter dahinter kam Lärm; anscheinend wimmelte es in diesem kleinen Dorf von Soldaten.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Jamai. »Aber sie haben uns bereits gesehen. Wenn wir jetzt umkehren, werden sie uns nachsetzen.«

»Oh, wir können problemlos verschwinden«, versicherte Kroa. »Wenn wir wirklich wollen. Was meinst du, Möwe?«

»Das ist unsere Straße.« Mino zögerte. Der Schnee wirbelte in immer größer werdenden Flocken zur Erde. »Und ich möchte nicht auf der Flucht sein, wenn ich zu Maja komme. Lasst uns erst einmal herausfinden, was das soll.«

Sie näherten sich den Wächtern, die so taten, als hätten sie die Ankömmlinge erst jetzt bemerkt. Sie grinsten, richteten sie sich zu voller Größe auf und blickten auf die Wanderer herab, als wären sie alle drei Zwerge.

»Wohin des Wegs?«, bellte einer.

»Seit wann müssen Reisende über ihr Ziel Rechenschaft geben?«, fragte Jamai. Es gelang ihm, den Ärger aus seiner Stimme herauszuhalten, doch Mino wusste, dass es bereits in ihm brodelte. Trotzdem hoffte sie, dass es nicht zu einem Streit kam. Ihre Freunde liebten hin und wieder eine handfeste Auseinandersetzung – hatten sie das von ihrem Riesenfreund Keta gelernt? –, aber sie wollte keinen Ärger. Wenn einer von ihnen sich auch nur leicht verletzte, würden sie noch später zu Maja und Manina kommen.

»Seit sie gefragt werden«, knurrte der Soldat. »Genau seit dann. Also noch einmal: Wohin des Wegs?«

Nie im Leben würde sie ihr wahres Ziel verraten. Deshalb sagte Mino: »Nach Salien, wenn’s recht ist.«

Der Mann kniff die Augen zusammen. »Ob das recht ist oder nicht, das entscheiden wir. Wen haben wir da? Du bist ein Zinta, und ihr? Was seid ihr, eine Schaustellertruppe? Wo ist euer Wagen? Wo ist der Rest eurer Sippe?«

Wir sind allein unterwegs, wollte Mino antworten, aber sie biss sich rechtzeitig auf die Lippen. Dass Unterstützung unerreichbar war, gab man besser nicht zu.

»Wir sind die Vorhut«, sagte sie. »Um geeignete Marktplätze zu finden.«

»Der Fürst dieses Landstrichs erhebt den üblichen Zoll von den Ziehenden«, gab der Soldat bekannt und blickte schräg über sie hinweg, als sei es unter seiner Würde, Abschaum wie sie mit seinem Blick zu berühren.

»Was soll das denn heißen?«, fragte Kroa. »Als wir das letzte Mal hier durchgekommen sind, war davon nicht die Rede.«

»Seit Ezir Fürst von Kaiser Zukatas Gnaden ist, wird auch in diesem Wenzer Landkreis der traditionelle Tribut von allen Sippen der Ziehenden verlangt. Entweder ihr arbeitet alle für ihn, oder ihr lasst einen von euch hier in seinem Dienst.«

Mino schnappte nach Luft. Sie setzte schon zu einer heftigen Antwort an, doch Kroa drückte ihre Hand.

»Unsere Brüder und Schwestern kommen nach«, sagte er. »Wir sind bloß die Ersten, wie schon gesagt. Und nur zu dritt. Ihr solltet die anderen fragen, wenn sie hier eintreffen. Mit Sicherheit meint dieses neue Gesetz des edlen Fürsten Ezir, dass die Gebühr von einer ganzen Sippe einzuziehen ist, auch wenn sie grüppchenweise daherkommt.«

»Mit Sicherheit werdet ihr nicht jeden einzelnen Wagen als ganze Sippe behandeln«, fügte Mino hinzu, der es jedoch nach wie vor schwer fiel, ruhig zu bleiben. An ihrer anderen Seite hörte sie Jamai mit mühsam unterdrückter Wut atmen.

»He, du!«, rief ein zweiter Posten, der sie gründlich gemustert hatte. »Ist das etwa ein Bogen?« Er zeigte auf Jamai. »Ist dir nicht bekannt, dass es bei Todesstrafe verboten ist, in den Wäldern des Fürsten zu wildern? Her damit!«

»Zeigt uns, was ihr an Geld dabei habt«, befahl der erste Soldat. »Dann entscheiden wir, ob wir euren Worten Glauben schenken und es vor dem Fürsten verantworten, euch laufen zu lassen. Na los! Oder willst du«, er richtete das Wort an Mino, »dass wir nachsehen, wo du es versteckt hast?«

Mino gelang es, das Gesicht nicht zu verziehen, so als wären sie es gewöhnt, ständig ausgeraubt zu werden. Sie zog einen kleinen Lederbeutel hervor und leerte ihn in die ausgestreckten Hände des fürstlichen Wegelagerers aus. Vier kleine Kupfermünzen fielen heraus.

Der Mann grinste. »Eine«, sagte er, »für diese kleine Missgeburt hier, eine für dich, blasse Frau, und eine für den Halunken an deiner Seite. Die hier kannst du behalten.« Er gab ihr die vierte Münze zurück und nickte seinem Kameraden zu, der Jamai gerade um den Köcher und den Bogen erleichtert hatte. »Nimm ihm auch den Dolch ab. Wer weiß, wem er damit nachts auflauern will. – Und nun macht, dass ihr fortkommt.«

Sie gingen, wie befohlen. Schweigend. Erst als sie außer Hörweite waren, sagte Kroa: »Wie es aussieht, haben wir noch Glück gehabt. Wenn du ihm an die Gurgel gesprungen wärst, Möwe, säßen wir jetzt alle in einer kleinen Zelle.«

»Sie wollten uns möglichst schnell loswerden«, sagte Mino. »Damit sie zurück in ihre gemütliche Hütte können. Nur deshalb sind wir noch am Leben.«

Es schneite jetzt stärker. In Jamais dunklem Haar glitzerten weiße Flocken. »Wir brauchen einen Unterschlupf hier in der Nähe.«

»Damit du abends zurückkehren kannst, um deinen Bogen zu holen?« Kroa seufzte. »Jamai, lass gut sein. Du kannst dir einen anderen Bogen besorgen.«

»Ja, und wie? Wovon sollen wir leben, wenn ich nicht jagen kann? Geld haben wir auch keins mehr. Was will dieser Fürst denn – dass die Ziehenden betteln und stehlen müssen, bis die Leute sich lauthals beschweren, und dann nehmen sie den Ziehenden noch mehr weg und machen es ihnen noch schwerer, so dass sie noch mehr betteln und stehlen müssen? Das sind meine Waffen, Kroa. Ich gehe hier nicht ohne sie weg.«

»Was meinst du, Möwe?«, fragte Kroa. »Legen wir uns mit ihnen an?« Seine Stimme klang hoffnungsvoll, obwohl er eben noch versucht hatte, Jamai sein Vorhaben auszureden. Er wusste, wie es ausgehen würde, auch wenn er hin und wieder den Vernünftigen spielte.

Mino warf einen Blick in Jamais finsteres Gesicht. »Ohne Waffen und ohne Geld kommen wir nicht weit. Da gebe ich dir recht.« Sie zögerte. »Wir sollten uns über etwas im Klaren sein. Dieser Ezir ist einer von Zukatas Räubern. Er hat dem ganzen Verbrecherpack Fürstentümer und Throne gegeben. Während wir unterwegs waren, hat sich einiges verändert. Sie werden an jeder Landesgrenze Zoll verlangen. Es wird wahrscheinlich schwieriger werden, Maja zu erreichen, als wir dachten.«

»Das alte Gesetz«, flüsterte Jamai. »Dieser Tyrann hat alles, was Kanuna El Schattik für die Ziehenden getan hat, wieder aufgehoben. Wir haben keine Rechte mehr. Sie werden uns bluten lassen, bis wir vernichtet sind.«

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