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Melos –
Die gottverlassene Insel


Abb. 7 Felsige Steilküste von Melos

Melos – in neugriechischer Aussprache Milos (Apfel) – liegt in gewisser Weise abseits der heutigen Reiserouten (Abb. 7). Wenn über die Kykladen gesprochen wird, so spielt die Insel dabei kaum eine Rolle. Sie ist weder das Traumziel der partybegeisterten Sonnenhungrigen noch das der am klassischen Griechenland interessierten Bildungsreisenden. Doch hatte Melos nicht immer eine solche Außenseiterrolle inne. Man braucht schon ein wenig Vorstellungskraft, will man sich die immense Bedeutung klarmachen, die Melos in der Vergangenheit für sich reklamieren konnte.

Begehrtes Gestein – Früher Fernhandel

Genauer gesagt war die Insel in prähistorischer Zeit ein Zentrum durchaus global zu nennender Handelsverbindungen. Der Grund hierfür lag in den reichen Obsidianvorkommen, die im östlichen Mittelmeer nahezu einzigartig sind. Aus diesem vulkanischen Glasfluss ließen sich schon im Neolithikum durch Spaltung sehr scharfe Klingen herstellen, die selbst in der Bronzezeit durchaus konkurrenzfähig gegen die viel schneller stumpf werdenden Metallschneiden waren. Noch die mykenischen Kriegsherren nutzten beispielsweise im 16. Jh. v. Chr. statt bronzener Pfeilspitzen solche aus Obsidian, wie ein entsprechender Fund von 45 Stück aus dem Schachtgrab vier von Mykene belegt. Wann und durch wen die melischen Obsidianfelder entdeckt wurden, ist freilich äußerst umstritten. Die frühesten Zeugnisse für Obsidian aus Melos – nachgewiesen durch chemisch-physikalische Untersuchungen – stammen aus einer Höhle bei Ermioni in der Argolis und werden ins 8. Jt. v. Chr. datiert. Funde in Thessalien, auf Kreta und in Makedonien, die wohl dem 7. und 6. Jt. v. Chr. angehören, belegen die weitere Verbreitung des melischen Obsidians. Problematisch ist daran, dass sich für diese Frühzeit bislang keine Siedlungsspuren auf Melos nachweisen lassen, was bedeuten würde, dass die Inselvorkommen nur von Externen genutzt und damit auch entdeckt worden sind, was wiederum wenig glaubwürdig erscheint. Die Frage ist insofern von besonderer Tragweite, weil sie mit dem Beginn der europäischen Seefahrt verknüpft werden muss. Denn ohne eine solche, wenn auch nur mit sehr einfachen Booten und/oder Flößen, wäre es schlechterdings nicht vorstellbar, wie die nachweislich melischen Obsidianklingen von der Insel bis auf das Festland gelangt sein sollen.

Auf den Spuren der Globalisierung – Ein bronzezeitliches Handelszentrum

Für die Bronzezeit des 3. und 2. Jts. v. Chr. sind die Fakten dagegen etwas eindeutiger. In diesem Zeitraum verfügte Melos an der Ostküste, etwa 7 km von der heutigen Inselhauptstadt entfernt, über eine bedeutende Siedlung, deren moderner Flurname Phylakopi lautet (Abb. 8). Die Kenntnis dieser Stätte verdanken wir verschiedenen britischen Archäologenteams, die dort erstmals von 1896 bis 1899 und dann nochmals 1911 sowie schließlich in den 1970er-Jahren gegraben haben. Die bronzezeitliche Geschichte von Phylakopi kann durchaus bewegt genannt werden und spiegelt gleichsam die gesamtpolitischen Verhältnisse der Epoche mit ihren wechselnden, global agierenden Oberherren wider. Der Aufstieg der Siedlung ist ohne die benachbart liegenden großen Obsidianfelder von Demenegaki und Sta Nychia kaum vorstellbar, auch wenn wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Menschen von Phylakopi Abbau und Handel tatsächlich kontrolliert haben. Immerhin entwickelte sich die Siedlung (Abb. 9) von einer dörflichen Struktur des 3. Jts. v. Chr. schon um 2000 v. Chr. zu einer regelrechten Stadt, die bereits über eine Befestigungsmauer sowie geradlinige Straßen verfügte. Leider sind keine schriftlichen Quellen aus dieser Zeit erhalten, die die damaligen Bewohner und ihre kulturellen Kontakte wieder lebendig werden lassen. An ihre Stelle treten aber in gewisser Weise die zahlreichen Keramikfunde, die einen Eindruck von den weitreichenden Handelsbeziehungen geben. So wurde nicht nur die einheimische Keramik bis auf das Festland exportiert, sondern zugleich wurden auch fremde Erzeugnisse importiert. Eine besonders prominente Rolle bei diesem interkulturellen Austausch dürfte das minoische Kreta mit seiner damals einzigartigen Hochkultur gespielt haben. Vielleicht hat es in Phylakopi auch regelrechte minoische Handelsniederlassungen und Werkstätten gegeben; die Verwendung der minoischen Linear-A-Schrift ist jedenfalls belegt. Diese sicherlich sehr lebendige Hafen- und Handelsstadt endete durch eine Katastrophe, deren Ursachen (Brand? Krieg?) wir nicht wirklich kennen. Bemerkenswert ist jedenfalls der sehr rasche Wiederaufbau, der ganz unter mykenischen Vorzeichen stand. Investiert wurde beispielsweise in eine monumentale Befestigungsmauer von mehreren Metern Dicke mit unterirdischen Gewölben, sogenannten Kasematten. Der Straßenverlauf blieb weiterhin orthogonal, doch baute man nicht direkt auf den Fundamenten der älteren zerstörten Häuser. Stattdessen kam es zur Errichtung neuer Bauten, die zudem sehr reich ausgestattet waren. So verfügten manche von ihnen ähnlich wie die in Akrotiri / Santorin über kostbare figürliche Wandmalereien. Besonders berühmt ist das heute im Athener Nationalmuseum aufbewahrte Fresko mit den fliegenden Fischen (Abb. 10). Die damaligen Herren der Siedlung sind im 16. Jh. v. Chr. sicher Mykener gewesen, deren wahrscheinliche Residenz im Nordosten der Stadt lag, wo sich eine Residenz mit einem charakteristischen Versammlungsraum (gr. Megaron) befindet, das im 14. Jh. v. Chr. in einen regelrechten mykenischen Palast umgewandelt wurde, der nicht nur aus einem Haupttrakt mit Vorhalle und 8 × 6 m großem Hauptraum bestand, sondern zudem einen Korridor aufwies, der zu einer Flucht von Nebenräumen führte. Die Wasserversorgung sicherte ein gut 9 m tiefer Brunnen. Besonders interessant ist schließlich ein architektonisches, unmittelbar an die Wehrmauer angebautes Ensemble im Süden der Siedlung. Hierbei dürfte es sich um ein spätmykenisches Heiligtum (Abb. 11) handeln, das zwei Komplexe umfasste. Um 1360 v. Chr. wurde zunächst das sogenannte Westheiligtum errichtet. Hierbei handelte es sich um einen 6 × 6,6 m großen Hauptsaal mit zwei gemauerten Tischen oder Altären, dessen Eingang an der Ostwand lag und der zwei westlich sich anschließende kleinere Nebenräume aufwies. Nordöstlich davon errichtete man später einen weiteren Komplex, das sogenannte Ostheiligtum. Um 1120 v. Chr. scheint die gesamte Anlage dann durch ein Erdbeben zerstört und anschließend nur sehr notdürftig repariert worden zu sein. Nur wenige Jahre später verließen die Bewohner Phylakopi schließlich endgültig. Immerhin lag der Zeitpunkt der Siedlungsaufgabe gut 100 Jahre nach dem Untergang der international bestens vernetzten bronzezeitlichen Staatenwelt. Um 1200 v. Chr. war es im gesamten Mittelmeerraum bereits zu weitreichenden Zerstörungen gekommen, die beispielsweise zum sukzessiven Verschwinden der mykenischen Palastkulturen führten.


Abb. 8 Ruinenfeld von Phylakopi


Abb. 9 Plan des Ruinenfeldes von Phylakopi


Abb. 10 Fliegende Fische, Freskomalerei aus einem Haus in Phylakopi, Nationalmuseum Athen


Abb. 11 Rekonstruierter Innenraum des Heiligtums von Phylakopi


Abb. 12 Sog. Lady von Phylakopi, 14. Jh. v. Chr., Archäologisches Museum Melos

Eine außergewöhnliche Frau – Die Lady von Phylakopi

Ein besonders spektakuläres Licht auf die damaligen kulturellen Verflechtungen werfen die vielen im Schutt der beiden Heiligtümer gefundenen tönernen Statuetten. So stellen beispielsweise zwei der vielen männlichen Statuetten einen keulenschwingenden Gott dar, wie er in dieser Gestalt vor allem aus dem Vorderen Orient bekannt ist. Besondere Berühmtheit erlangte eine immerhin gut 45 cm hohe weibliche Statuette mit ehemals erhobenen Armen, die als Lady von Phylakopi bekannt wurde und heute im Archäologischen Museum von Melos, im Hauptort (Plaka) der Insel bewundert werden kann (Abb. 12).

Ein noch berühmteres Idol – Die Venus von Milo und ihre spannende Entdeckungsgeschichte

Die tönerne Lady von Phylakopi stellt sozusagen das bronzezeitliche Pendant zu einer noch bekannteren Göttin aus Melos dar, die freilich bereits kurz nach ihrer Entdeckung ihre Heimat verlassen musste und in Paris ein neues Domizil fand. Von dort trat sie ihren Siegeszug als Idealbild weiblicher Schönheit an. Die Rede ist von der sogenannten Venus von Milo (Abb. 13), einer der bis heute meist bewunderten Statuen der Antike, die weltweite Bekanntheit genießt und neben Leonardo da Vincis Mona Lisa sowie der Nike von Samothrake zu den drei touristischen Tophighlights des Louvre zählt. Entsprechend global verbreitet sind die zahllosen Souvenirartikel und Fotografien dieser marmornen Diva.


Abb. 13 Venus von Milo, 2. Jh. v. Chr., Louvre Paris

Ihre Entdeckungsgeschichte führt weg vom prähistorischen Phylakopi zu einem anderen Schauplatz der Insel, nämlich dem eigentlichen historischen Melos der Antike, die einstige Hauptstadt lag oberhalb der heutigen. Von einigen Bauwerken blieben nennenswerte Ruinen erhalten. Im 19. Jh. war das Gelände noch weitgehend unberührt und die einheimischen Bauern des unweit gelegenen Dorfes Trypiti nutzten es für ihre Zwecke. In dieser Kulisse trat am 8. April 1820 der Bauer Giorgos Kentrotas auf den Plan. Er war auf der Suche nach geeignetem Baumaterial und dürfte nicht im mindestens daran gedacht haben, dass ihm an jenem Tag eine weltbewegende Entdeckung gelingen würde, die bald die Gedanken so mancher Männer beflügeln sollte. Die Wiederverwendung antiker Steine ist damals durchaus üblich und eigentlich seit der Spätantike Praxis gewesen. Man verbaute diese nicht nur, sondern verbrannte den Marmor gerne auch zu Kalk. Unzähliges wurde auf diese Weise ebenso unwiederbringlich vernichtet wie manches wenigstens bruchstückhaft gerettet. Mit welchen genauen Absichten sich Kentrotas ans Werk machte, lässt sich jedenfalls nicht mehr rekonstruieren. In der Nähe des antiken Theaters entdeckte er in einer Nische, der genaue Fundort ist heute durch eine Tafel an Ort und Stelle markiert, eine knapp über 2 m große weibliche Figur aus Marmor. Hilfe erhielt er von einem wohl zufällig in der Nähe sich aufhaltenden französischen Matrosen, dem späteren Obersten Olivier Vautier. Dieser half nicht nur bei der vollständigen Bergung, sondern fertigte auch erste Zeichnungen an. Zudem meldete er den Fund dem Marquis de Rivière, dem damaligen Botschafter Frankreichs beim osmanischen Sultan in Konstantinopel, zu dessen Reich die Insel zu dieser Zeit gehörte. Den Franzosen gelang es gegen Zahlung einiger Geldstücke, die Statue von Kentrotas zu erhalten, sie entgegen dem Befehl nach Konstantinopel zu verschiffen und als Geschenk an den damaligen französischen König nach Paris bringen zu lassen, wo sie bereits im November 1820 ankam. Schon ein Jahr später überließ Ludwig XVIII. die Statue dem Louvre. Dort erlangte sie rasch ihre bis heute andauernde Berühmtheit, die sie zu einem wahren Pilgerziel werden ließ. Worin aber bestand, beziehungsweise besteht der Reiz dieser Skulptur? Zum einen umgibt sie ein gewisses Rätsel. Denn ihr fehlen beide Arme, und die Frage der richtigen Rekonstruktion bewegt bis heute die wissenschaftlichen Gemüter. Doch lässt sich allein daraus wohl kaum die spezielle Aufregung um gerade diese Statue erklären, da fehlende Gliedmaßen bei nicht wenigen antiken Skulpturen zu beklagen sind und somit keinen Grund für eine besondere Berühmtheit abgeben. Es sind vielmehr das dargestellte Sujet sowie der Wirbel um eine falsche Künstlersignatur, die die Fantasie der Betrachter derart in Wallung brachten. Durch die Überlebensgröße sowie den nackten Oberkörper ist eindeutig klar, dass der Künstler ein Abbild der griechischen Liebesgöttin Aphrodite schuf. Angefertigt wurde sie wahrscheinlich zwischen 130 und 100 v. Chr. für eine Nische in einem Baukomplex, der als Gymnasion (Ausbildungsplatz für die männliche Jugend einer Stadt) diente. Eine ebenfalls gefundene, möglicherweise zugehörige Künstlersignatur nennt einen gewissen (Hage?)sandros, Sohn des Menides, aus Antiochia am Mäander. Die Fundumstände deuteten somit auf eine wenig spektakuläre einstige Funktion als Nischenschmuck eines größeren architektonischen Ensembles hin, und die Signatur eines unbekannten Bildhauers versprach zudem nicht gerade höchstes Prestige. Insofern hätte die Öffentlichkeit die Statue wahrscheinlich kaum beachtet, wären die Zeitumstände nicht anders gewesen. Mit Ludwig XVIII., dem Bruder des in der französischen Revolution hingerichteten Ludwigs XVI., war nach dem Sturz Napoleons ein Herrscher angetreten, dem ein schwieriges Erbe zufiel. So sah er sich gezwungen, die Kunstschätze des Louvre, die der Kaiser der Franzosen im Zuge seiner europäischen Eroberungskriege geraubt hatte, zum Großteil an die ursprünglichen Besitzer zurückzuerstatten, ein kolossaler Aderlass für die Sammlungen des Louvre. Es musste daher unbedingt Ersatz her für die berühmten Meisterwerke, die Paris wieder verließen. Die marmorne Venus kam da sozusagen gerade recht. Flugs verdrängte man aus der Diskussion den genauen Aufstellungskontext, vergaß die Künstlerinschrift irgendwo im Magazin – sie ist bis heute verschollen – und dichtete zu guter Letzt einen neuen Bildhauer hinzu, und was für einen. Plötzlich sollte ihr Urheber Praxiteles gewesen sein, der geniale und allseits bewunderte Schöpfer der schon in der Antike hochgerühmten, überaus schönen und vor allem vollkommen nackten Aphrodite von Knidos. Mit dieser plumpen Umetikettierung, die allein schon in chronologischer Hinsicht vollkommen unmöglich war – Praxiteles lebte und arbeitete schließlich im 4. Jh. v. Chr. – gelang dennoch ein genialer Coup. Sogleich beanspruchte das Marmorbild eine ungeheure Aufmerksamkeit. In der Fantasie ließen sich die anzüglichen Anekdoten etwa über die erotische Wirksamkeit der knidischen Aphrodite – so habe sich ein Jüngling nach Sonnenuntergang im Tempel einschließen lassen und anderntags ein Spermafleck am Oberschenkel der Statue Kunde vom nächtlichen Treiben gegeben – im prüden 19. Jh. allzu leicht auf ihr melisches Gegenstück übertragen. Kunstbeflissene Altertumswissenschaftler taten ihr Übriges dazu bei, indem sie nicht müde wurden, die Statue zum Inbegriff weiblicher Anziehungskraft schlechthin zu erklären. Der Sinnenreiz war umso höher, als man nicht aufhörte zu betonen, dass es sich bei der Aphrodite von Melos tatsächlich um ein originales griechisches Werk handele. Dies gewährte ihr in den Werturteilen des 19. Jhs. einen gewissen Vorsprung vor der bis dato als schönste weibliche Antike gepriesenen sogenannten Venus von Medici in den Florentiner Uffizien, da diese kein griechisches Originalwerk, sondern nachweislich eine kaiserzeitlich-römische Arbeit ist.

Die Heimatstadt der Venus

Auch auf Melos selbst ist von diesem Hype um ihre wahrscheinlich berühmteste Tochter zumindest ansatzweise etwas zu spüren. Immerhin steht im dortigen Museum eine Kopie der Statue, und in den Inselläden sind reichlich Souvenirstatuetten und andere Mitbringsel mit dem Konterfei oder in Gestalt der Aphrodite erhältlich. Wahre Besucherströme löst die Dame dagegen nicht aus, obwohl es an ihrem Fundort durchaus so manche interessante Ruine zu besichtigen gibt. Schließlich lag dort in der Antike die Hauptsiedlung der Melier. Nach der um 1100 v. Chr. erfolgten Aufgabe der bronzezeitlichen Siedlung von Phylakopi waren am Beginn des 1. Jts. v. Chr. dorische Siedler auf die Insel gekommen. Sie gründeten damals im Nordosten ihre neue Stadt Melos bewusst an der engsten Stelle, d. h. der Einfahrt in eine natürliche Bucht, da diese Lage ideale Bedingungen für die Schifffahrt und damit für Handel sowie Fischfang als Lebensgrundlagen bot. Eine zweite Hügelsiedlung befand sich am Propheten-Elias-Berg. Schon in archaischer und klassischer Zeit scheinen die Melier recht wohlhabend gewesen zu sein. Aufwändig dekorierte Grabgefäße, aber auch tönerne Reliefs sowie Steinplastiken künden hiervon. Die in Alt-Melos erhaltenen Ruinen stammen allerdings in der Regel erst aus späteren Epochen. So besaß die Stadt in hellenistischer Zeit ein großes offenes (Abb. 14), welches möglicherweise schon im 4. Jh. v. Chr. errichtet worden ist, sowie ein weiteres gedecktes Theater (gr. Odeion) und das bereits erwähnte Gymnasion. Die Mauern reichten bis zum Hafen hinab, wo es auch ein Heiligtum des Meeresgottes Poseidon gab und das heutige Fischerdorf Klima liegt. Der damalige Reichtum resultierte wohl in der Regel aus Bergbauerträgen. Noch heute stellt der Abbau von Mineralien die Haupteinnahmequelle der Insel dar. Unter römischer Herrschaft blieb der Wohlstand erhalten. Das Theater wurde umgestaltet und es konnten neue Bauten wie eine Halle (gr. Stoa) und sogar ein Heiligtum für Dionysos errichtet werden. Die recht weiträumige Ruinenlandschaft lädt zum Flanieren ein. Mit zu den beeindruckendsten Zeugen der Vergangenheit zählen die Katakomben, die unweit einer passenderweise Trypiti, d. h. „durchlöchert“, genannten Ortschaft liegen (Abb. 15). An dieser Stelle gab es bereits eine ältere Nekropole (Totenstadt), in der die antiken Melier ihre Verstorbenen begraben hatten. Vom Ende des 2. Jhs. bis zum 5. Jh. n. Chr. wurden hier dann mehrere tausend Tote in über 2.000 unterirdischen Gräbern beigesetzt. Diese melischen Katakomben zählen wegen ihrer Größe zu den bedeutendsten vergleichbaren Anlagen im ganzen Mittelmeerraum. Im Jahr 2009 hat die Heilige Synode der orthodoxen Christenheit Melos deshalb zur Heiligen Insel erklärt. In der Tat wurden hier vor allem auch Christen bestattet, doch sollte man sich vor Ort nicht verleiten lassen, mit dem Begriff der Katakombe zugleich blutige Christenverfolgungen, schauerliche Martyrien und geheime Gottesdienste zu verbinden. Die Katakomben waren schlichtweg eine unterirdische Friedhofsanlage und entbehrten in der Antike jeglichen Geheimnisses.


Abb. 14 Ruinen von Alt-Melos


Abb. 15 Katakomben von Trypiti

Schauplatz einer Tragödie – Der Untergang der Melier

Eine echte Tragödie spielte sich dagegen bereits in klassischer Zeit auf Melos ab. Auch wenn die erhaltenen Ruinen, wie bereits erwähnt, aus anderen Epochen stammen, so sollte man dennoch die Gelegenheit nutzen, vor Ort innezuhalten und sich hierzu am besten in das Theater begeben, von wo aus man zudem noch eine fantastische Sicht genießen kann, um sich dort des berühmten Melierdialogs aus dem Geschichtswerk des Thukydides (ca. 455 – ca. 400 v. Chr.) zu erinnern. Mit diesem Text erhält der Ort plötzlich eine ganz andere Bedeutung, und die einst dort lebenden Menschen werden in ihrem ganzen Unglück gleichsam wieder lebendig. Meer und Ruinenlandschaft verschwimmen zu einer grandiosen Kulisse für einen grausamen Konflikt von wahrhaft großer ethischer Bedeutung. Es geht schließlich um das auch heute noch topaktuelle Thema des Verhältnisses von Macht und Recht.

In den entsprechenden Passagen thematisiert der große Athener Historiker die blutigen politischen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Melos, die schließlich dazu führten, dass die melischen Männer getötet, die Frauen und Kinder versklavt wurden.

Die Kapitel über den Dialog der Athener mit den Meliern stehen am Ende des 5. Buchs des thukydideischen Geschichtswerks (in heutiger Zählung Kapitel 84 – 116). Es spricht viel dafür, dass dies die Mitte des auf zehn Bücher berechneten unvollendeten Gesamtumfangs sein sollte. Die Kapitel sind auch dadurch hervorgehoben, dass Thukydides hier und nur hier die Form des Dialogs gewählt hat. Der Dialog ist keine wortgetreue Wiedergabe eines tatsächlich so geführten Gesprächs. Der Historiker äußert sich in einem Methodenkapitel darüber, wie er es mit dem Bericht über Reden gehalten hat:


Den genauen Wortlaut dessen, was die Einzelnen jeweils in einer Rede gesagt haben …, zu überliefern, war für mich, soweit ich die Rede selbst gehört habe, ebenso schwierig wie für die anderen, die sie an irgendeiner anderen Stelle gehört und mir berichtet haben. Wie mir nun die einzelnen Redner das, was im Hinblick auf die jeweilige Lage am ehesten erforderlich war, in ihrer Rede gesagt zu haben scheinen, so habe ich es aufgeschrieben; dabei habe ich mich so eng wie möglich an den Gesamtsinn des wirklich Gesagten gehalten.

(1, 22, 1).

D. h.: Form und Inhalt verantwortet der Autor. Er hält sich jedoch an das, was ihm über den jeweiligen Redner und seine politische Einstellung bekannt war, und an das, was der Redner in einer gegebenen Situation als das der Lage am ehesten Angemessene gesagt haben könnte. Mit anderen Worten: Thukydides bedient sich der Reden, um eine Situation im Hinblick auf die Gegebenheiten und die Intentionen der verantwortlich Handelnden zu analysieren. Die Reden haben den Stellenwert eines Kommentars. Der Melierdialog weicht insofern von den methodischen Grundsätzen ab, als der Historiker nicht wiedergibt, was tatsächlich gesagt worden ist, sondern das, was die Kontrahenten möglicherweise gedacht haben könnten.

Im Jahr 416 v. Chr. stand Athen im 15. Jahr des Peloponnesischen Krieges, der Auseinandersetzung mit dem Rivalen Sparta. Athen war eine Seemacht, seine Stärke beruhte auf dem Delisch-Attischen Seebund, den es 478 / 77 v. Chr. gegründet hatte und dem die kleinasiatischen Küstenstädte sowie die Inseln im Ägäischen Meer angehörten. Zweck des Bündnisses waren der Schutz vor einer persischen Aggression und die Sicherung der Handelswege.

422 / 21 v. Chr. hatten Athen und Sparta einen Friedensvertrag geschlossen, der 50 Jahre gelten sollte. Tatsächlich hatte der Krieg nur eine Pause eingelegt. Der Angriff der Athener auf Melos stellte vielleicht keinen Bruch des Vertrages, wohl aber eine Provokation der Spartaner dar. Melos erscheint zwar in den Listen derjenigen Städte und Inseln, die Athen damals tributpflichtig gewesen sind. Man vermutet, dass die Angabe rein fiktiv war.


84: Im darauffolgenden Sommer … zogen die Athener gegen die Insel Melos zu Felde. Das Aufgebot umfasste 30 eigene Schiffe, sechs aus Chios, zwei aus Lesbos, an eigenen Truppen 1200 Hopliten, 300 zu Fuß kämpfende und 20 berittene Bogenschützen; dazu kamen 1500 Hopliten von den verbündeten Inseln.

Melos ist eine Kolonie der Lakedaimonier und wollte sich – anders als die übrigen Inseln – den Athenern nicht unterwerfen. Es blieb zunächst neutral und nahm an den Kriegshandlungen nicht teil. Als die Athener aber ihr Land verwüsteten und die Melier so zur Unterwerfung zwingen wollten, traten diese offen in den Krieg ein.

Die Feldherrn Kleomedes, der Sohn des Lykomedes, und Trisias, der Sohn des Trisimachos, zogen mit dem oben genannten Aufgebot in das Land der Melier. Bevor sie aber dem Land Schaden zufügten, schickten sie Gesandte, um mit den Meliern zu verhandeln.

Die Melier führten die Gesandten nicht vor die Volksversammlung, sondern sie forderten sie auf, den verantwortlichen Beamten und dem nur aus wenigen Personen bestehenden „Rat der führenden Männer“ ihr Anliegen vorzutragen. Die Gesandten der Athener sagten folgendes:

85: Da wir nicht vor der Volksversammlung reden dürfen, damit das Volk nicht in einer zusammenhängenden Rede, die einmal vorgetragen wird, etwas Verlockendes und Unwiderlegbares hört und so von uns getäuscht wird. Denn wir wissen, dass ihr uns darum vor den kleinen Kreis des „Rats der führenden Männer“ geführt habt, so empfehlen wir euch, die ihr jetzt hier versammelt seid, noch vorsichtiger zu Werk zu gehen: Erhebt auch ihr nicht in einer einzigen Rede, sondern Punkt für Punkt bei allem, mit dem ihr nicht einverstanden seid, sogleich Einspruch und äußert eure Meinung. Sagt zuerst, ob ihr unserem Vorschlag zustimmt.

86: Die melischen Ratsherren antworteten: Euer freundlicher Vorschlag, dass wir uns in Ruhe gegenseitig die Meinung sagen, verdient keinen Tadel. Die Maßnahmen aber, die ihr zum Krieg schon getroffen habt und die ihr nicht erst für die Zukunft androht, stehen mit ihm nicht im Einklang. Wir sehen nämlich, dass ihr gekommen seid, um über das, was gesagt werden wird, zu richten, und dass das Ergebnis für uns, wenn wir mit unserem Rechtsstandpunkt die stärkeren Argumente auf unserer Seite haben und deswegen nicht nachgeben, wahrscheinlich Krieg bedeutet, wenn wir uns fügen, Sklaverei.

87: Die Athener: Wenn ihr hierhergekommen seid, um Vermutungen über die Zukunft anzustellen oder aus irgendeinem anderen Grund als dem, ausgehend von der Lage, die ihr vor Augen habt, über die Rettung eurer Stadt zu beraten, so können wir gleich aufhören. Wenn aber dazu, so wollen wir reden.

88: Die Melier: Es ist doch wohl natürlich und verzeihlich, dass Menschen, die sich in einer solchen Situation befinden wie wir jetzt, über vieles reden und nachdenken. Natürlich geht es in dieser Zusammenkunft um unsere Rettung, und wenn es euch recht ist, soll die Verhandlung in der von euch vorgeschlagenen Form stattfinden.

89: Die Athener: Wir haben selbst nicht vor, mit schön klingenden Floskeln viele Worte zu machen – dass wir zum Beispiel zu Recht die Herrschaft ausübten, weil wir die Meder besiegt hätten, oder dass wir euch zu Recht strafen wollten, weil uns von euch Unrecht angetan worden sei. Das würde ohnehin keinen Glauben finden. Und wir erwarten ebenso von euch, dass ihr nicht glaubt, uns beeindrucken zu können, wenn ihr betont, ihr wäret nicht mit uns zu Felde gezogen, weil ihr Stammesverwandte der Lakedaimonier seid, oder ihr hättet uns kein Unrecht zugefügt. Wir erwarten, dass wir beide das zu erreichen suchen, was auf Grund unserer wahren Überzeugungen möglich ist.

Ihr wisst so gut wie wir, dass im Verhältnis der Menschen untereinander von Recht nur dann die Rede sein kann, wenn die Macht gleich verteilt ist, und dass die Überlegenen alles durchsetzen, wozu sie in der Lage sind, die Schwachen in allem nachgeben müssen.

90: Die Melier: Unserer Meinung nach wäre es nützlich – wir sprechen gezwungenermaßen so, weil ihr es ja zur Grundlage der Verhandlung macht, vom Nutzen statt vom Recht zu sprechen – wenn ihr nicht darauf beharrtet, das Recht als gemeinsame Grundlage von der Verhandlung auszuschließen. Eher solltet ihr die Rücksicht auf einen, der in Bedrängnis gerät, als gerecht gelten lassen und ihm die Hilfe auch dann nicht versagen, wenn er, an einem strengen Maßstab gemessen, mit seinen Argumenten nicht hat überzeugen können.

Das sagen wir auch in eurem Interesse; denn solltet ihr einmal scheitern, so könnte euch die Rache der Sieger zu einem warnenden Beispiel für andere machen.

91: Die Athener: Über das Ende unserer Herrschaft, sollte es einmal eintreten, denken wir nicht nach. Denn diejenigen, die über andere herrschen, wie es auch die Lakedaimonier tun, sind für die Besiegten keine Gefahr. Wir kämpfen übrigens gerade gar nicht gegen die Lakedaimonier. Gefährlich ist es vielmehr, wenn die Unterworfenen sich auf die stürzen, von denen sie beherrscht werden, und sie besiegen. Überlasst es uns, mit dieser Gefahr fertig zu werden.

Dass wir zum Nutzen unserer Herrschaft hier sind und dazu, euch jetzt Vorschläge zur Rettung eurer Stadt zu unterbreiten, das wollen wir darlegen. Es ist unser Anliegen, dass wir die Herrschaft über euch kampflos erringen und dass ihr zu unser beider Nutzen gerettet werdet.

92: Die Melier: Inwiefern könnte es für uns ebenso nützlich sein, versklavt zu werden, wie für euch, zu herrschen?

93: Die Athener: Insofern ihr einen Vorteil hättet, wenn ihr euch freiwillig unterwerft, und wir einen Gewinn verbuchen, wenn wir euch nicht vernichten.

94: Die Melier: Dass wir uns aus dem Krieg heraushalten, Freunde statt Feinde sind und uns mit keiner Seite verbünden, das stellt euch nicht zufrieden?

95: Die Athener: Nein, eure Freundschaft schadet uns mehr als euer Hass. Freundschaft legen unsere Untertanen als Schwäche aus, Hass als Stärke.

96: Die Melier: Urteilen eure Untertanen so über das, was recht und billig ist, dass sie die Städte, die keine Beziehung zu euch haben, mit denen auf eine Stufe stellen, die von euch unterworfen worden sind? Die meisten sind unterworfen worden, weil ihr sie gegründet habt, einige dann noch einmal, nachdem sie abgefallen waren.

97: Die Athener: Unsere Untertanen meinen, dass es keiner der beiden Gruppen an einem Rechtsgrund fehle, dass aber die, die keine Beziehung zu uns haben, nur deshalb nicht unsere Untertanen seien, weil sie uns an Macht überlegen seien und wir nur aus Furcht nicht gegen sie vorgingen. Durch eure Unterwerfung würde unsere Macht vergrößert, und außerdem würdet ihr einen Beitrag zu unserer Sicherheit leisten, wenn ihr, die ihr schwächer seid als andere, euch nicht gegen uns, die seebeherrschende Macht, durchsetztet.

98: Die Melier: In unserer Neutralität seht ihr also keinen Beitrag zu eurer Sicherheit? Wie ihr uns verboten habt, auf der Grundlage des Rechts zu argumentieren, und uns dazu drängt, euren Nutzen im Auge zu haben, so müssen auch wir aufzeigen dürfen, was für uns nützlich ist, und versuchen, euch zu drängen, darüber nachzudenken, ob unser Nutzen nicht mit eurem zusammenfällt. Wie kann es sein, dass ihr euch nicht alle diejenigen, die jetzt neutral sind, zu Feinden macht, wenn sie auf unser Schicksal schauen und erwarten, dass ihr irgendwann auch gegen sie vorgehen werdet? Vermehrt ihr nicht mit eurem Vorgehen die Zahl der ohnehin schon vorhandenen Feinde, und macht ihr nicht diejenigen gegen ihren Willen zu euren Feinden, die bisher noch gar nicht daran dachten, Feinde zu werden?

927,36 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
337 стр. 80 иллюстраций
ISBN:
9783961760374
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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