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Ewie Evaluation, Lernen braucht Feedback

Twie time oder Zeit, es muss genügend Zeit zur Verfügung stehen beim Lernen.

Eine erfolgreiche Lehr-Lern-Strategie baut auf diesen Postulaten auf und hat als Ausgangspunkt eine problemhaltige Lernaufgabe. Diese fördert die Kollaboration, lässt Individualität zu und ist fehlertolerant. Die Fehlertoleranz ist eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen, damit sich Lernende voll entfalten können. In der Industrie wird zur Verbesserung der Qualität von Produkten und Prozessen häufig die Null-Fehler-Strategie praktiziert. In Schule und Unterricht geht es jedoch beim Lernen nicht darum, Fehler auszuschließen oder gar zu sanktionieren. Ganz im Gegenteil, diese sind willkommen und bieten Lernanlässe sowie Raum zum Experimentieren, Neues zu erfahren, gemeinsam zu arbeiten und weiterhin Fehler machen zu dürfen.

«Keine Fehler zu machen, ist auch keine Lösung.»

Die im Kapitel 2 vorgestellten Konzeptionen verdeutlichen die Komplexität, die es bei der Konstruktion einer Lernaufgabe und deren Einbettung in ein Lehr-Lern-Arrangement zu beachten gilt. Damit gaben wir Ihnen Einblicke in die Vielschichtigkeit einer Lernaufgabe. Was Sie jetzt noch brauchen: ein passendes Werkzeug zur Aufgabenkonstruktion. Der Aufgabendidaktische Kompass knüpft an die vorgestellte Konzeptionen an und unterstützt Sie im Prozess der Konstruktion einer problembasierten Lernaufgabe.

3
Der Aufgabendidaktische Kompass

«Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.»

Aristoteles

In den beiden vorherigen Kapiteln gingen wir auf die Bedeutsamkeit von Lernaufgaben für Lernprozesse ein. Anhand von verschiedenen theoretischen Ansätzen zu Lernaufgaben stellten wir Ihnen auch unser Verständnis vor. So wie es fast unendlich viele Kriterien für guten Unterricht gibt, existieren diese ebenfalls für gute Lernaufgaben. Doch nützen diese Auflistungen von Kriterien wenig, wenn Lehrkräfte damit nicht wirksam arbeiten können. Durch jahrelange unterrichtspraktische Erfahrungen an beruflichen Schulen, Hochschulen und Studienseminaren sind es für uns letztlich die Big Five, die die Qualität einer Lernaufgabe und deren Erfolg kennzeichnen: Problem, Situation, Handlung, Kompetenzen und Lernende. Im Aufgabendidaktischen Kompass finden sich diese fünf Merkmale wieder und geben Lehrkräften eine Orientierung bei der Erstellung von Lernaufgaben. Zudem begünstigt die Arbeit mit dem Aufgabendidaktischen Kompass eine strukturierte und zielführende Vorgehensweise in der Konstruktion qualitativ hochwertiger Lernaufgaben.


Abbildung 2: Aufgabendidaktischer Kompass

Der Begriff «Kompass», italienisch compasso, «Zirkel, Magnetnadel», abgeleitet vom lateinischen Wort compassare, «abschreiten», verknüpft die Vorstellungen von Orientierung (Magnetnadel zur Bestimmung der Himmelsrichtung) und Handlung (Bewegung des Abschreitens). Archimedes (287–212 v. Chr.) wird gern zitiert mit dem Satz Gib mir einen festen Punkt, dann kann ich die Erde bewegen. Er meint damit einen festen Punkt im physischen Sinn.

I. Kant hat in seiner Schrift «Was heißt: sich im Denken orientieren?» erklärt, wie Orientieren funktioniert. Er äußert sich verblüffend praktisch und verweist auf die Himmelsrichtungen, als spräche er von einem inneren Kompass (vgl. 1969, 12). In seinen Aussagen findet sich der Aufgabendidaktische Kompass wieder. Der Aufgabendidaktische Kompass mit allen seinen fünf Merkmalen ist in gewissem Sinne somit auch von I. Kant ableitbar.

Der umgangssprachliche Ausdruck Ich muss mich erst einnorden verweist auf eine kompassartige Orientierung und diese möchten wir mit dem Aufgabendidaktischen Kompass geben. Bei der Anwendung des Aufgabendidaktischen Kompasses ist zu beachten, dass nun mal die wichtigste Himmelsrichtung Norden ist, um in der Folge die Wegrichtung zu bestimmen. Als Fixpunkt − eingenordet − haben wir das Problem, denn dieses bildet den Ausgangspunkt einer Lernaufgabe. Die fünf Merkmale Problem, Situation, Handlung, Kompetenzen und Lernende korrespondieren miteinander und bilden ein in sich logisches Netz. In der praktischen Arbeit mit dem Aufgabendidaktischen Kompass ist eine assoziative Verknüpfung der fünf Merkmale erwünscht. Diese Arbeitsweise ist bereichernd und schafft Raum für kreative Prozesse, die es bei der Aufgabenerstellung braucht.

Erfahrungswert: Die Geburtsstunde des Aufgabendidaktischen Kompasses

Im Rahmen der fachdidaktischen Lehrkräfteausbildung sammelten wir am Europa-Studienseminar für berufliche Schulen in Gießen im Berufsfeld «Wirtschaft und Verwaltung» wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse zur Konzeption und Implementierung von komplexen Lernaufgaben in den Schulunterricht. Deutlich wurde, dass wissenschaftliche Darstellungen zu Lernaufgaben nur eingeschränkt in der Praxis der Aufgabenerstellung weiterhelfen. Dies war die Geburtsstunde des Aufgabendidaktischen Kompasses. Es brauchte nämlich ein Instrment, das die Lehramtsanwärter*innen bei der Konstruktion einer Lernaufgabe unterstützt und diesen Prozess klar strukturiert.

Mit dem Einsatz des Aufgabendidaktischen Kompasses konnten die Referendare ihre Unterrichtspraxis durch problemhaltige Lernaufgaben nachhaltig verändern. Statt eher kleinschrittiger und eng abgegrenzter Aufgaben wurden zunehmend komplexe und qualitativ hochwertige Lernaufgaben erstellt. Weitere positive Effekte waren Veränderungen von subjektiven Theorien über Unterricht und Aufgaben, mit dem Ergebnis modifizierter Lehr-Lern-Strategien, bei denen die Lernaufgabe das zentrale Element bildete.

Neben dem Aufgabendidaktischen Kompass führten wir die Aufgabendidaktische Analyse ein. Diese ist ein separater Gliederungspunkt in den Unterrichtsskizzen bzw. -entwürfen und dient zur Verschriftlichung der fachdidaktischen Begründungen zur eingesetzten Lernaufgabe. Darüber werden die Bedeutung und Wirksamkeit der Lernaufgabe für den Unterricht und die initiierten Lernprozesse bei den Schüler*innen herausgestellt. Es ist sehr hilfreich, diese Analyse mit dem Aufgabendidaktischen Kompass anzufertigen. Damit können Sie die der Lernaufgabe zugrunde liegende Logik des Aufgabenentwicklers offenlegen. Auf diese Weise werden aufgabendidaktische Entscheidungen transparent und ebenso legitimiert.

Die Rückmeldungen der Lehramtsanwärter*innen belegen eine sehr hohe Zufriedenheit mit dem Instrument des Aufgabendidaktischen Kompasses. Dieser hilft ihnen, den Schritt von der Theorie in die Praxis zu bewältigen und führt zu einer Erhöhung ihrer Professionalität, insbesondere im Bereich der Aufgabendidaktik. Auf Seiten der Lernenden wird geäußert, dass die «neuen» Lernaufgaben und der damit einhergehende Wechsel des Lehr-Lern-Arrangements ihnen auch wirklich etwas bringt. Es kann doch nichts Schöneres geben, als wenn Lehrende und Lernende mit Freude den Tätigkeiten des Arbeitens und Lernens nachgehen und darin eine Sinnhaftigkeit erkennen sowie innere Zufriedenheit erlangen.

Auf diese Weise kann Schule und Unterricht neu belebt und als wertvoll erlebt werden. Die Institution Schule profitiert davon, dass sie junge Menschen mit Begeisterung und ohne Ängste besuchen. Die Ergebnisse der Berliner Studie des Zentrums für internationale Bildungsvergleichsstudien aus dem Jahr 2014 sollten alarmierend sein, denn über 65 Prozent der Schüler*innen an den beruflichen Schulen haben im Schuljahr 2014 einmal oder mehrmals die Schule geschwänzt (vgl. Sälzer 2015). Die Gründe dafür sind vielfältig, jedoch sollte es Ansporn sein, dies zu ändern. Notwendig dafür ist eine veränderte Aufgabenkultur und -praxis hin zu problembasierten Lernaufgaben und eine damit einhergehende Öffnung von Unterricht. Diesen Veränderungsprozess kann der Aufgabendidaktische Kompass in doppelter Hinsicht befördern. Zum einen als Aufgabendidaktisches Werkzeug und zum anderen als Katalysator für Schul- bzw. Unterrichtsentwicklung.

In der Berufspraxis sowie im Privatleben treten Veränderungen oft erst dann ein, wenn die Menschen vor Problemen stehen. In der Welt der Schule und des Unterrichts finden wir jedoch eine andere Sichtweise. Der herkömmliche Lehr- und Bildungsplan schreibt keine zu lösenden Probleme vor, sondern er gibt den Lehrkräften inhaltliche und schwache kompetenzbezogene Vorgaben, die die Lehrkräfte in ihren Unterrichtskonzepten verarbeiten. Das Ergebnis ist ein Lernen in Fächern und eine inputgesteuerte Wissensvermittlung. Dies führt zur Beschulung von vermeintlichen Fachexperten, die im Volksmund gerne als Fachidioten bezeichnet werden. Leider können diese kaum übergreifende betriebliche oder auch gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge herstellen. Eigentlich liegt hier ein Konstruktionsfehler vor, denn ein Problem außerhalb der Schule wird nicht danach fragen, in welchen Fächern oder Lernfeldern etc. das entsprechende Wissen zur Problemlösung abgelegt ist, vergleichbar mit einer Kommode mit Schubladen. Klingt logisch, jedoch wird diese Logik bei curricularen Entwicklungsprozessen oft nicht beachtet. In Zeiten der Schnelllebigkeit in nahezu allen Bereichen des Lebens und einer rapiden Digitalisierung ist dies jedoch gefordert. Nun gut, könnten die Kritiker sagen, es braucht doch auch Spezialisten. Das stimmt, die braucht es, allerdings solche mit einem Blick über den Tellerrand. Aus diesem Grund ist es angezeigt, das Bildungssystem von der Kindertagesstätte bis zu den Hochschulen zu hinterfragen und samt den entsprechenden Lehr- und Bildungsplänen zu verändern. Mit den derzeit im deutschsprachigen Raum neu eingeführten kompetenzbasierten Bildungsplänen versucht die Bildungspolitik zwar, das Ruder rumzureißen und das Schiff auf Kompetenzkurs zu bringen. Wie das aber so ist mit «Supertankern», sie reagieren nur sehr träge, und so setzen sich Veränderungen im Bildungswesen nur langsam durch − aber dann hoffentlich auch mit viel Kraft und der gewünschten Wirkung.

Im Folgenden stellen wir dazu das Konzept und Instrument des Aufgabendidaktischen Kompasses mit seinen fünf Merkmalen: Problem, Situation, Handlung, Kompetenzen und Lernende in dieser Reihenfolge vor. Wir laden Sie sozusagen auf eine Schiffsexpedition mit uns ein. Wie Sie bereits wissen, ist der Ausgangspunkt einer Lernaufgabe ein Problem, und ausgehend davon navigieren wir von Osten nach Westen – keine Sorge, wir kommen garantiert mit Ihnen am Ziel an.

3.1 Problem


Am Beginn einer Theorie sollten Probleme stehen, so die Forderung von K. R. Popper. Eine Theorie wird also nicht um der Theorie willen aufgestellt, sondern zur Lösung von herausfordenden Frage- und Problemstellungen aus der Praxis und für die Praxis, das ist die Maxime.

Übertragen wir diese Forderung auf den Schulunterricht, so ist es angezeigt, nicht die theoretischen Inhalte als Ausgangspunkt eines Lernprozesses zu nehmen, sondern eine für die Schüler*innen bedeutsame Problemstellung. Exakt dieser Ansatz findet sich auch in den Handreichungen der Kultusministerkonferenz zur Erarbeitung der Rahmenlehrpläne für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule. Doch leider geht diese Forderung größtenteils unter, da sich Lehrkräfte beim Lesen des Lehrplans zumeist auf die zu vermittelnden Inhalte beschränken. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Referendar, der zu Beginn seines Referendariats nicht verstehen konnte, weshalb er sich in einem ersten Schritt mit den Handreichungen befassen sollte und erst im zweiten Schritt mit den Ausführungen zum entsprechenden Lernfeld im Lehrplan. Nach einem halben Jahr revidierte er seinen damaligen Standpunkt. Jetzt erst habe er verstanden, wie wichtig es ist, sich eben nicht zuerst auf die Inhalte zu stürzen. Dies hatte nämlich bei ihm zur Folge, dass er einen Unterricht durchführte, bei dem die frontale Inhaltsvermittlung im Vordergrund stand und diese ging an den Lernenden komplett vorbei. Gut erkannt! Die Vermittlung von Inhalten in dieser Form führt zu keinen nachhaltigen Lernergebnissen und zu keinem umfassenden Kompetenzerwerb. Ganz im Gegenteil, sie trägt dazu bei, die Wissensbulimie zu befördern. Damit ist gemeint, dass die Lernenden die relevanten Lehrplaninhalte zwar nett verpackt vermittelt bekommen und bei Klausuren und Prüfungen lediglich wiedergeben bzw. reproduzieren müssen. Zwangsläufig führt dies jedoch zu so genanntem trägem Wissen, das in der Praxis nicht angewendet werden kann. Letztendlich existiert bei diesem Unterrichtsansatz kein echtes Problem, denn sonst würde es auch nicht zu dieser Art der Wissensvermittlung kommen. Das Problem besteht für die Lehrkraft lediglich darin, wie die Lehrplaninhalte in die Köpfe der Schüler*innen transferiert werden können. Auch trägt diese Vorgehensweise zwar zur Gewissensberuhigung der Lehrkraft bei, denn diese kann sich sicher sein, dass alle Inhalte durchgenommen wurden, im Klassenbuch eingetragen und damit Rechtssicherheit besteht. Auf Seiten der Schüler*innen besteht dann das Problem, wie sie einen persönlichen Bezug zu den Inhalten herstellen können, zumal diese zumeist aktuell keine Relevanz für sie besitzen. Jetzt könnte man damit argumentieren: Gut, du lernst ja für dein späteres Leben und dafür brauchst du diese Inhalte. Doch leider hilft diese Argumentation nicht weiter, denn wer weiß, ob die Inhalte dann überhaupt noch notwendig sind. Auch die Begründung, dass die Inhalte im Lehrplan vorgeschrieben seien und behandelt werden müssten, hilft nicht, die Lernenden zu motivieren. Beispielsweise sind viele Lehrpläne schlichtweg veraltet, wie der Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/-frau aus dem Jahre 2002. Die betriebliche Praxis eines sogenannten Kaufmannsgehilfen hat sich durch die Digitalisierung stark verändert. Schlagworte wie Online-Beschaffung und Industrie 4.0 belegen dies und der Lehrplan hinkt der Betriebspraxis deutlich hinterher. Schlussendlich macht auch diese Argumentation wenig Sinn und weist keinerlei Überzeugungskraft auf. Es gilt, Abstand zu nehmen von solchen Argumentationslinien. Lernende erreicht man damit nicht, ganz im Gegenteil, solche Aussagen disqualifizieren die Professionalität als Lehrkraft.

Wie heißt es doch zutreffend bei den Dakota-Indianern: «Wenn du merkst, du reitest ein totes Pferd, steig herab». Doch genau dieses Absteigen bzw. den Unterricht schwerpunktmäßig nicht an Inhalten zu orientieren, sondern an Problemen, ist in der Tat eine Herausforderung für Lehrkräfte.

Erfahrungswert: Nicht das tote Pferd reiten

Unseren Erfahrungen zufolge zahlt sich eine Orientierung an aktuellen Problemen aus, denn dadurch kommt es darüber bei Lernenden und Lehrenden zur Steigerung der Lern- und Arbeitsmotivation und Zufriedenheit.

Ein gutes Beispiel dafür ist eine Berufsschulklasse für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/-kauffrau, die sich mit der Thematik «Marketing» befassen sollte. Erst als der Unterricht nicht auf Inhalte, sondern auf ein reales Problem hin ausgerichtet wurde, nämlich für eine heimische Brauerei umsetzbare Lösungen zu entwickeln, um dem Absatzrückgang entgegenzuwirken, kam es zur Initiierung von echten Lernprozessen mit dem freudigen Resultat, dass sich die Leistungen der Schüler*innen durchweg verbesserten. Ausschlaggebend dafür war eben eine real existierende Problemstellung, die die Motivation der Lernenden erst entfachte. Die Lernenden erkannten für sich eine bedeutsame Relevanz und beantworteten für sich die Frage, warum sie sich damit beschäftigen sollten, positiv. Aufgrund unserer Erfahrungen möchten wir Mut machen, die gewohnten Wege und Arbeitsweisen der reinen Inhaltsvermittlung zu verlassen, also vom toten Pferd abzusteigen und sich auf etwas möglicherweise Neues, auch Unbekanntes einzulassen. Das Instrument des Aufgabendidaktischen Kompasses unterstützt Sie dabei. Bestimmt denken Sie jetzt, das ist ja einfacher gesagt als getan. Stimmt! Auf Grund unserer Unterrichtserfahrungen können wir jedoch sagen, dass es funktioniert.

Bezogen auf die Arbeit mit dem Aufgabendidaktischen Kompass heißt dies nun, Ausschau nach Problemen zu halten und zu prüfen, inwieweit die geplante Lernaufgabe überhaupt eine für die Lernenden relevante Problemstellung enthält.

Was ist überhaupt ein Problem

Werfen wir einen Blick in die Literatur, um herauszufinden, was überhaupt ein Problem ist. Eine gute Hilfestellung geben die Ausführungen von D. Dörner (2014). Er unterscheidet zwischen einem Problem und einer Aufgabe. Vorsicht, die Begriffe Aufgabe und Lernaufgabe sind in diesem Zusammenhang nicht synonym zu verwenden. Wir müssen also zuerst prüfen, enthält die angedachte Lernaufgabe eine Aufgabe oder ein Problem. Doch worin liegt der Unterschied?

Ganz einfach, bei einer Aufgabe ist der Anfangszustand klar definiert bzw. bekannt und der Endzustand ebenso. Die Herausforderung für die Lernenden besteht darin, einem vorgegebenen Lösungsweg zu folgen, der zu einer eindeutigen Lösung führt. Ein Großteil der im Schulunterricht eingesetzten Aufgaben weist demzufolge eine Aufgabenstellung auf, jedoch keine Problemstellung. Dies wird auch als geschlossenes Problem bezeichnet, da das zur Anwendung kommende Lösungsverfahren vorher im Unterricht vermittelt und eingeübt wurde (siehe Aufgabentypen − hier).

Hingegen ist bei einer Problemstellung der Anfangszustand teilweise völlig diffus und unklar, beispielsweise, für die heimische Brauerei ein Konzept zu entwickeln, wie dem Absatz- und Umsatzrückgang mit Hilfe von Marketing entgegengewirkt werden kann. Dies bedeutet auch, dass die von den Schüler*innen entwickelten Lösungen im Vorfeld nicht feststehen und es zu verschiedenen Lösungsansätzen kommen kann. Dies wird auch als ein offenes Problem bezeichnet, dass es eben nicht den vorgezeichneten Lösungsweg der Lehrkraft gibt, sondern ganz vielfältige Herangehensweisen. Mit dem folgenden Beispiel wollen wir den Unterschied zwischen Aufgabe und Problem noch deutlicher herausarbeiten: Mit Auszubildenden für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/-frau führen wir über ein Schulhalbjahr im 1. Ausbildungsjahr Charity-Projekte durch. Die Schüler*innen werden vor das Problem gestellt, in Kleingruppen reale Hilfsprojekte durchzuführen. Der Anfangs- und Endzustand ist in der Tat nicht bekannt, denn die Lehrkräfte wissen im Vorfeld gar nicht, welche Gruppen von Bedürftigen unterstützt werden sollen. Auch ist das Ergebnis der jeweiligen Kleingruppe im Vorfeld nicht bekannt. Der Weg für die Lernenden besteht darin, die Instrumente des Projektmanagements anhand einer realen Problemstellung zur Anwendung zu bringen.

Praxistipp: Der Wandel beginnt im Kopf

Nehmen Sie nun den Aufgabendidaktischen Kompass zur Hand und prüfen Sie, inwieweit Sie schon erste Schritte auf Ihrer mentalen Landkarte in Richtung Problem gehen können. Der Wandel von geschlossenen hin zu offenen Aufgabenstellungen beginnt in Ihrem Kopf.

«Jede Veränderung beginnt im Kopf.»

Geben Sie dem Neuanfang eine Chance!

Nehmen Sie die letzte Schulaufgabe zur Hand, mit der Sie Ihre Schüler*innen konfrontiert haben. Prüfen Sie nun, ob bei dieser Aufgabenstellung eine Aufgabe (geschlossenes Problem) oder ein Problem (offenes Problem) vorliegt. Wenn Sie im Studium sind, darf die Aufgabe gerne auch aus Ihrer Schulzeit oder aus der Hochschule sein. Denken Sie aber daran, bei einer Aufgabenbearbeitung werden ausschließlich reproduktive Tätigkeiten von den Schüler*innen eingefordert bzw. es wird nur mit Gedanken hantiert, etwas Neues wird nicht erschaffen und ein realer Bezug zur Lebens- und Arbeitswelt liegt auch nicht vor − ganz anders als bei der Problembearbeitung.

«Wir denken nur, wenn wir mit Problemen konfrontiert sind.»

J. Dewey

Hintergrund: Mentale Modelle − mentale Landkarten

Wenn wir vor einem Problem stehen und verzweifelt nach einem Zugang suchen, dann generieren wir ein mentales Modell. Darunter verstehen wir individuelle kognitive Konstruktionen, mit denen ein Mensch seine Erfahrungen und sein Denken so organisiert, dass es für ihn einen Sinn ergibt (vgl. Seel; Hanke 2010, 82). Ein mentales Modell können Sie sich als Denkmodell oder Wahrnehmungsmodell vorstellen. Ein Denkmodell ist eine Art geistige Concept-Map, eine Art Ursache-Wirkungs-Kette oder auch eine filmähnliche Episode. Bestimmt kennen Sie die Frage: Was läuft denn gerade bei dir im Kopf für ein Film ab? Im Marketing wird gerne der Begriff Image verwendet und dieser stammt von Imagination ab, d. h. Vorstellung bzw. Bild, das wir von einer bestimmten Sache haben. Ein Globus ist in diesem Sinne ein Wahrnehmungsmodell. Mentale Modelle stellen subjektive geistige Repräsentationen dar und sind weder richtig noch falsch. Bezogen auf Lernprozesse geben diese für den Lernenden in der jeweiligen Situation somit erst einmal einen Sinn. Von daher empfehlen wir Ihnen: Nicht zu früh verstehen!

Um sich einen komplexen oder fiktiven Sachverhalt veranschaulichen zu können, arbeiten beispielsweise Forscher*innen mit Modellkonzeptionen. Wenn diese im Laufe des Forschungsprozesses zu anerkannten brauchbaren Modellen werden, so bezeichnet man diese als konzeptuelle Modelle, wie etwa das Atommodell von E. Rutherford (vgl. Seel 2005, 201).

Aus einem individuellen internen Modell des Forschenden kann so im Laufe der Auseinandersetzung ein konzeptuelles externes Modell der Wissenschaft werden. Diesen kognitionswissenschaftlichen Ansatz der mentalen Modelle hat man versucht didaktisch brauchbar zu machen. Die zentrale Frage lautet dabei: Wie können Lernende unterstützt werden, in einer Problemsituation aus ihrem vorhandenen Wissen und Können sinnvolle, fachlich richtige Erklärungsansätze zu generieren? Hierzu haben N. M. Seel, S. Al-Diban und P. Blumschein (2000) eine problemorientierte Lernumgebung zum europäischen Wirtschaftssystem als Grundlage genommen und damit untersucht, wie Lernende mit dem didaktischen Ansatz der Cognitive Apprenticeship (Collins; Brown; Newman 1989) in der Modellbildung unterstützt werden (vgl. Seel et al. 2000, 142 f.). Es zeigte sich, dass Lernende mit geringem Vorwissen große Schwierigkeiten mit der anfänglichen Modellbildung haben. Sie konnten sich lediglich am vorgegebenen kausalen Erklärungsmodell orientieren und dieses im Laufe der Problembearbeitung weiter verinnerlichen. Daraus lernen wir, dass eine Lernaufgabe selbstorganisiertes Entdeckungslernen fördern sollte und den Lernenden auch mit passgenauen konzeptuellen Modellen weiterhelfen kann. Dies gibt den Lernenden wiederum die Möglichkeit, ihr mentales Modell der Problemsituation und -lösung weiterzuentwickeln, zu vervollständigen und zu stabilisieren (vgl. Seel 2005, 203).

Neben der Unterscheidung in Aufgabe und Problem differenziert D. Dörner (2014) noch näher aus, dass eine Problemstellung fünf Merkmale aufweisen sollte: Komplexität, Intransparenz, Dynamik, Vernetztheit und Unvollständigkeit. Bei der Erstellung und dem Einsatz der Lernaufgabe ist das zentrale Element die Komplexität, denn die anderen Merkmale hängen davon ab.

Aus diesem Grund ist es an dieser Stelle angezeigt, sich näher mit dem Merkmal «Komplexität» zu befassen, denn die Komplexität eines Problems zeigt sich letztendlich bei der Lernaufgabe auch darin, in welchem Umfang sich die Lernenden selbsttätig neue Wissensinhalte erschließen. Das Ausmaß an Komplexität stellt sich in einer Lernaufgabe wie folgt dar:


Abbildung 3: Komplexität: Auf die Verknüpfungen kommt es an

Nicht die Anzahl der einzelnen Merkmale in einer Lernaufgabe ist für die Komplexität entscheidend, sondern deren Verknüpfung und gegenseitige Beeinflussung.

«Kompliziert ist nicht gleich komplex. Aber komplex ist auf jeden Fall kompliziert!»

Erfahrungswert: Die Apfelmostanlage

Ein Referendar berichtete stolz, dass seine Schüler*innen ihm den Vorschlag unterbreitet hätten, die Funktion einer Elektroschaltung an einer Apfelmostanlage kennenzulernen. Zuerst dachte die junge Lehrkraft: «Wie soll das nur funktionieren, ist es nicht besser, wenn die Auszubildenden das relevante Wissen von der Lehrkraft erklärt bekommen? Schließlich ist der Bau einer solchen Anlage ein recht komplexes Vorhaben und die Schüler*innen haben kein Vorwissen − außer dass ihnen der Apfelmost schmeckt!» Der Referendar hatte Mut und folgte dem Wunsch seiner Lernenden. Das Ergebnis war ebenso überzeugend wie schmackhaft.

An diesem Beispiel wird sichtbar, was unter der Komplexität eines Problems zu verstehen ist. Der Bau einer Apfelmostanlage durch die Schüler*innen ist deutlich aufwendiger und komplexer als die frontale Vermittlung der Inhalte durch die Lehrkraft. Ausgehend von dem Wunsch der Lernenden wurde ein Lernprozess in Gang gesetzt, bei dem das Problem, nämlich wie die eigenen Äpfel zu Apfelmost verarbeitet werden können, durch den Bau einer entsprechenden Maschine gelöst wurde.

Praxistipp: Überforderung vermeiden

Überfordern Sie sich und Ihre Schüler*innen nicht − fordern und fördern Sie diese ganz gezielt, indem Sie die Komplexität der Problemstellung zunehmend erhöhen. Nutzen Sie eine Skala von 1 bis 10, um Schritt für Schritt in Richtung 10 zu gelangen. Schätzen Sie die Komplexität bei jeder Lernaufgabe neu ein und erhöhen Sie diese entsprechend der Kompetenzentwicklung der Lernenden.

Berücksichtigen Sie, dass es keinen Sinn ergibt, eine problemerzeugende Lernaufgabe zu entwickeln, wenn diese kleinschrittige Arbeitsanweisungen enthält, das wäre kontraproduktiv.


Abbildung 4: Selbsteinschätzung der Komplexität einer Lernaufgabe

Vor einiger Zeit sprach uns eine Lerngruppe darauf an, dass wir als Lehrkräfte noch nicht verstanden hätten, wie Selbsttätigkeit bzw. selbstorganisiertes Lernen funktioniere. Das fanden wir höchst interessant und so ließen wir uns von den Schüler*innen die richtige Herangehensweise erklären. Also schauen Sie, sagten die Lernenden, unsere Religionslehrerin gibt uns zu Beginn der Unterrichtsstunde eine Schulaufgabe und dann sehen wir sie erst wieder am Stundenende. Sie fragt uns danach, wie wir mit der Aufgabenbearbeitung zurechtgekommen sind. Nach Beendigung des Erklärungsversuches mussten wir alle laut lachen, obwohl es eigentlich eher traurig ist. Auf Seiten dieser Lehrkraft liegt ein Irrglaube vor, denn «selbstständig», «selbsttätig», «selbstreguliert» oder «selbstorganisiert» heißt nicht, wir lassen die Schüler*innen einfach loslegen und hoffen, irgendwie werden diese sich das entsprechende Wissen aneignen. Das ist ein völlig verqueres Lehr- und Lernverständnis!

Lassen Sie Ihre Schüler*innen beim Kompetenzerwerb nicht allein, begleiten Sie sie, denn ansonsten ist unklar, ob es überhaupt zum Kompetenzerwerb kommt. Die Tätigkeit einer Lehrkraft ist eine aktive. Damit meinen wir nicht «aktiv» im Sinn von «Ich erkläre euch das», sondern von «Ich gebe euch Rückmeldung oder Feedback». In seinem Forschungsbericht stellt J. Hattie heraus, dass die Selbsteinschätzung der Lernenden im Lernprozess und das Feedback der Lehrkraft wesentliche Erfolgsfaktoren in einem Lernprozess und somit Problemlöseprozess seien.

Wie und wo finde ich unterrichtsrelevante Probleme?

Die Antwort auf die titelgebende Frage eines Referendars: «Wie und wo findet man ein Problem für eine Lernaufgabe?» verdanken wir Margit, einer ehemaligen liebenswerten Kollegin am Europa-Studienseminar in Gießen. Sie war bestechend einfach und doch so zutreffend: «Auf der Straße.» Zuerst war er etwas verblüfft und fragte uns: «Wie, auf der Straße?» Gemeint ist damit, dass das eigene Leben im privaten und beruflichen Bereich voller interessanter Probleme steckt, die gilt es anzugehen und zu lösen. Also, Augen und Ohren auf! Nicht nur sehen, sondern auch zuhören.

«Der Alltag ist das beste Lernfeld.»

Praxistipp: Aktiv einbinden

Folgen Sie dem Prinzip «Betroffene zu Beteiligten machen». Binden Sie die Schüler*innen aktiv ein und werden Sie zu einem Team, idealerweise zu einem Flow-Team (vgl. Gerber; Gruner 1999).

Erfahrungswert: Die Lagerkennziffer macht Schule

Das Brauerei-Projekt wurde schon vorgestellt (hier). Auch hier war es die Idee des Auszubildenden, der in einer Brauerei seine Ausbildung absolvierte. Es müssen aber nicht immer Projekte sein, um Schüler*innen einzubeziehen. Bereits bei einer kleineren Unterrichtseinheit kann dieses Prinzip realisiert werden.

Der Lehrplan für angehende Industriekaufleute sieht im Lernfeld 6 vor, dass diese sich u. a. mit Lagerkennziffern befassen. Das ist auf den ersten Blick eine recht einfache Thematik, die sich wunderbar schnell und zügig mittels Frontalunterricht vermitteln und durch ergänzende Übungsaufgaben festigen lässt. Doch was kommt letztendlich bei den Lernenden an? Damit für die betriebliche Praxis etwas herumkommt, bekamen die Auszubildenden einen Forschungsauftrag. Ihre Aufgabe war es, in ihren Ausbildungsbetrieben den Lagerkennziffern auf die Spur zu kommen und eine Präsentation darüber zu erstellen. Die Auszubildenden stellten anhand von Screenshots für ausgewählte Artikel in ihren Ausbildungsbetrieben die jeweiligen Lagerkennzahlen vor. So weit ist das immer noch kein Problem. Das Problem entstand, als ein Schüler fragte: «Wie berechnen sich eigentlich die Lagerkennziffern? In meinem Ausbildungsbetrieb hatten wir eine Retoure und die Lagerumschlagshäufigkeit dieses Artikels lag bei 0,15 und das verstehe ich nicht!» Nachdem sich durch den Forschungsauftrag alle Lernenden intensiv mit Lagerkennziffern in der betrieblichen Praxis auseinandergesetzt hatten, war es an dieser Stelle möglich, gemeinsam mit der Lerngruppe nach einer Lösung zu suchen und diese auch zu finden. Freudestrahlend kam der Schüler zur nächsten Stunde, da er nun verstanden hatte, was eine solch niedrige Lagerkennziffer für das Unternehmen und den betrieblichen Ablauf bedeutet. Nachdem die Auszubildenden die Zwischenprüfung geschrieben hatten, schauten wir uns die Prüfungsergebnisse an und waren begeistert, dass alle Schüler*innen die Prüfungsaufgabe zu den Lagerkennziffern richtig beantwortet hatten und dies mit lebensnahen Lernaufgaben, ganz ohne Frontalunterricht.

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9783035515671
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