Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Erzählungen», страница 5

Шрифт:

Der Journalist

Nichts leichter als dies, dachte ein brünetter, aber unsympathischer Jüngling und schickte ein Schreiben folgenden Inhaltes an die Chefredaktion des »Generalanzeigers«:

»Gestern kam in den Mittagsstunden auf der wenig belebten Schwanthalerstraße infolge des Glatteises ein lahmer Greis zu Fall. Er ritzte sich seine Wange, so daß in Kürze der Schnee sich im Umfange von 1 cm blutrot färbte, konnte aber ohne ärztliche Hilfe, infolge Eingreifens eines Passanten, seinen Weg fortsetzen.«

Diese Notiz erschien am nächsten Tage unter der Rubrik »Innerpolitisches« im »Generalanzeiger«, und der Jüngling, welcher sie entworfen hatte, empfing nach einem halben Jahr 60 Pfennig Honorar per Postanweisung. Dieser unerwartete Erfolg ließ seinen Stolz und seine magere Hühnerbrust beträchtlich schwellen. Er setzte sich in eine Gartenwirtschaft und bestellte sich ein paar Würstchen mit Salat nebst einem halben Hellen. Darauf schrieb er:

»Die Terrainspekulationen des Kommerzienrates Z. haben sich als im weitesten Umfang als unlauter und verfehlt herausgestellt. Die unsauberen Machenschaften sind enthüllt. Der Übeltäter sieht seiner Bestrafung entgegen. So soll es allen ergehen, welche am Mark des Volkes saugen.«

Dieses Skriptum, ordentlich kuvertiert, sandte der strebsame junge Mann an das »Schreiende Unrecht«, ein Druckblatt zweifelhafter Observanz, in dem es am übernächsten Tage auf der ersten Seite in Fett- und Sperrdruck erschien unter der Marke »Enthüllungen aus der Finanzwelt, Großstadtkavaliere«.

Nach knapp drei Monaten empfing unser junger Mann ein Honorar von 1,30 Mk. in Briefmarken. Er hatte wieder ein halbes Jahr zu leben. Nachdem diese Summe aufgebraucht war, beschloß er, an eine Aktion großen Stiles zu gehen. Er sandte ein Telegramm an die »Tägliche Berliner Kohlrübe«:

»Glänzend verlaufenes Gastspiel des Berliner Intimen Theaters in unserer Stadt. Applaus über Applaus. Kränze über Kränze. Direktor Gummiballon siebenunddreißigmal gerufen. Einige unverbesserliche Enthusiasten wurden am nächsten Morgen noch unter den Kleidern der Schauspielerinnen gefunden. Der Eindruck des Gastspiels ist ein unvergeßlicher.«

Umgehend erhielt unser junger Mann eine telegraphische Postanweisung von 100 Mk. von der Direktion des Intimen Theaters. Er legte sie in Munitionsaktien an und setzte sich zur Ruhe. Aus seiner Hühnerbrust wurde ein Fettbauch. Er läßt sich nur noch »Herr Doktor« nennen. Seiner geschätzten Feder begegnet man nur noch selten in den Spalten unserer führenden Blätter. Er hat es nicht mehr nötig zu schreiben. Er hat sich auf indische Philosophie geworfen. Anstelle des Nabels betrachtet er seine dicke, goldene Uhrkette.

Der Kinderkreuzzug

Eines Sommermorgens, die Sonne stieg gerade über den schieferblauen Bergen empor, erschien mir, als ich die Herden zur Weide durch Tau und Dunst trieb, ein junger, lockiger Engel, wie er auf den Spruchblättern zur heiligen Kommunion abgebildet ist. Er trat zwischen zwei Birkenstämmen hervor, trat auf den Leitbock zu und faßte ihn zart zwischen den Hörnern. Der Bock hob den bärtigen Kopf und sah mit stumpfem, grünem Auge verwundert zu ihm auf. Die beiden Schäferhunde sprangen herbei und sprangen, ohne anzuschlagen, wedelnd an dem Fremdling empor, der hell zu lächeln begann. »Stephan«, so sprach der fremde Jüngling, »Gott hat dich wie einst den Hirten Moses zu seinem Gesandten, Gesalbten und Verkünder auserkoren. Sahst du in den Wäldern deiner Heimat den Heerwurm ziehen? Einer nur weiß den Weg, und alle andern folgen ihm blind und blindlings. Du sollst der eine sein. Hebe deinen Stab, laß deine Hirtenflöte tönen, sie werden dir folgen, deine Brüder und Schwestern, die Kinder, die Knaben und Mädchen aller Völker. Denn wisse: wie der Herr gesagt hat, ›Lasset die Kindlein zu mir kommen‹, so wird das Heil der neuen Welt nur von den Kindern kommen. Die Alten sind verdorrt wie entwurzelte Bäume und sind nur wert, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Der Schoß ihrer Weiber aber ist unfruchtbar zum Guten. Wie einst die Jungfrau Maria, so wird der Schoß einer Jungfrau von dreimal drei Jahren, dem heiligen Zeichen der Trinität, in dreimal drei Monaten den neuen Heiland gebären. Du wirst sein Prophet und Vorläufer sein, Stephan. Ich rufe dich zum Kreuzzug gegen alle Laster, gegen Trägheit, Lüge, Mord, Neid, Bosheit. Nimm den Heerruf der Kreuzfahrer in deiner Seele auf: Herr Gott, erhöhe die Christenheit! Stoß in den Abgrund die Heiden! Herr Gott, gib uns das wahre Kreuz wieder!« – Der Engel löste sich im Nebel auf, den die Morgensonne durchbrach. Die Hunde bellten. Der Leitbock schnupperte und senkte die Hörner. Ich trieb die Tiere auf die Weide, schnitzte mir aus Weidenholz eine Flöte und blies ein lustiges Lied in den Junimorgen des Jahres 1212. – Am Abend trat ich vor den Bauer und sprach: »Gib mir Urlaub, Bauer. Ich muß dich verlassen, ich kann dein Hirt nicht mehr sein.« Sprach der Bauer: »Du bist ein Hammel von der Sorte, wie du sie auf die Weide treibst. Du hast dein Auskommen bei mir, auch Wams und Schuhwerk und zu Weihnachten einen Taler: was willst du mich verlassen? Hast wohl an deinen dreizehn Jahren zu schwer zu tragen?« Ich sprach: »Ich muß Gott suchen und die von ihm erkorene neue Jungfrau, welche den neuen Heiland gebären wird, wie mir der Engel am Kreuzweg verkündet hat.« Der Bauer machte Topfaugen. »Welcher Engel hat dir was verkündet?« Ich erzählte dem Bauern die Begebenheit. Er aber lachte mich aus. Da ging ich in die Nacht, nur mit meiner Flöte und dem Hirtenstab. Aber wie wunderlich: die zwei Hunde und der Leitbock und die ganze Herde folgten mir. Und alle Ställe öffneten sich, und aus allen Häusern folgten mir die Lämmer und Ziegen durch die Nacht. Die Sterne leuchteten blank. Es war warm. Aber ich fror und schritt schnellen Schrittes voran. Am Morgen gelangte ich in das Dorf Bloies bei Vendôme. Tausend Tiere folgten mir, und war kein Halt, denn auch die Hunde schlossen sich meinem Zuge an. Da setzten mich die Bauern gefangen in einen Turm. Die Schafe blökten, die Böcke meckerten, die Hunde bellten. Als ich aber auf die Brüstung des Turmes trat, verstummten sie. Ich machte das Zeichen des Kreuzes über sie und sprach: »Geht zu euren Herren und dient ihnen! Gott wird sein Kreuz in Wahrheit bald errichten, in dessen Schatten ihr dann grasen werdet! Geht mit Gott!« – Und sie gingen, die Köpfe gesenkt, die Hunde aber mit zwischen den Hinterbeinen eingeklemmtem Schwanz. – Die Bauern ließen mich voll Staunens aus dem Turm. Da hob ich meine Flöte ans Licht und begann zu blasen: ein Kreuzfahrerlied:

 
Maria himmeloben,
Maria herzeninn',
Du hast uns hoch erhoben
Zum Dienst nach deinem Sinn.
 

Da tanzten die Türen der Häuser, wie beim spanischen Tanz Herr und Fräulein, auseinander: und Knaben, Mädchen, Kinder kamen auf mich zugelaufen und umdrängten mich dicht. Ich blies ihnen das Lied, und sie folgten mir, singend und jubilierend. Es half kein Gewaltmittel der Alten, der Altern, der Eltern und Priester. »Herr Gott, erhöhe die Christenheit! Stoß in den Abgrund die Heiden! Herr Gott, gib uns das wahre Kreuz wieder!« schrien sie zwischen den einzelnen Gesängen. Durch Dörfer und Städte zogen wir, und je mehr unser wurden, um so williger ließ man uns ziehen. Es war bei hunderttausend Kriegern nicht gelungen, das Heilige Grab den Ungläubigen zu entreißen. Gott hatte sie geschlagen, weil er in ihre schwarzen Herzen sah. Er sah darin, worum sie in Wirklichkeit kämpften: das war nicht der heilige Leib, die Gebeine der Märtyrer, die geschändete heilige Erde, die in Schutt und Asche gelegten Zinnen Jerusalems. Die einen hatten das Kreuz auf dem Mantel, weil sie reiche Beute beim Sultan zu machen gedachten, die andern lockten die braunen, heißen Frauen der türkischen Heiden. Die dritten aber zogen mit, weil sie unterwegs durch Diebstahl, Mord, Plünderung im Namen Jesu Christi wohl auf ihre Kosten zu kommen gedachten. Wir Knaben und Kinder aber, wir trugen Gott in unsern Herzen und wollten das Heilige Grab mit unsern Herzen erobern. Kein Blut sollte fließen, kein Mord geschehn, keine Untat, kein unziemlicher Gedanke. Da wurden die Dörfler und Städter von uns bezwungen: ohne Rede, ohne Wort: nur daß wir zogen, wie die Heuschrecken ziehen, wie die Winde wehen, wie die Fische im Meer ziehen. Sie gaben uns Almosen in Hülle und Fülle, und wo wir übernachteten, übernachteten wir in den Domen und Kirchen, und wo wir zu Mittag speisten, da waren es die Tafeln der Bürgermeister, Barone, Chorherren und Bischöfe. Der König von Frankreich sandte uns einen königlichen Kurier mit der Lilienstandarte und befahl uns, zu unsern Eltern zurückzukehren. Wir aber kannten keinen König von Frankreich und keine Eltern, denn unser Gedanke war nur des Gottes voll.

Wir zogen durch Frankreich und zogen am Mittelmeer entlang nach Italien. Wir erreichten Piacenza und Genua und wandten uns nach Rom. Tagelang vor Rom schon sah ich die Peterskuppel in den Wolken glänzen. Ich stieg mit meinen Knaben und Mädchen die Freitreppe auf dem Vatikanischen Platz zum Petersdom empor. Schweigend bildete das sonst so laute römische Volk Spalier. Oben unter der Säulenhalle stand Papst Innozenz. Er hob die Hand, wie um uns abzuwehren. Da machte ich das Kreuz über ihn und segnete ihn. Danach fielen wir, dreißigtausend Kinder an der Zahl, in die Knie, und ich sprach: »Segne uns, Heiliger Vater, für unsern Zug über das Meer!« Und der Papst, blaß und schweigend, segnete uns. Ich aber höre noch seine leise zum Kardinalstaatssekretär geflüsterten Worte: »Wir schlafen. Diese Kinder sind erwacht. Wie fröhlich ziehen sie zum Grabe.« – Da war es, daß ich zum erstenmal erschrak. Ich schlief in dieser Nacht in einem Saal des Vatikans, der mit prächtigen Bildern aller Heiligen geschmückt war. Der heilige Sebastian war diese Nacht bei mir und schloß mich in seine Arme und küßte mich. Wir zogen weiter durch die Campagna und bis nach Brindisi. In der Campagna, an einer Ruine der römischen Wasserleitung, traf ich ein neunjähriges Mädchen namens Maria. Es hatte mich kaum an der Spitze des Zuges erblickt, so fiel es vor mir nieder, küßte mir die Füße und folgte mir demütig. Da glaubte ich, die Mutter des neuen Heilandes gefunden zu haben, und vergrub meine weinenden Augen in ihrem dunklen Haar, das süß nach Feigen roch. Und es überkam mich eine grenzenlose Begierde und Sehnsucht, Gott zu zeugen, und angesichts der ganzen Pilgerschaft, die in die Knie gefallen war und die Köpfe im Staube barg, erkannte ich sie fleischlich. – Von Rom aus folgte allerlei liederliches Gesindel unserm Kreuzzug: Laienmönche, Bettler, entlassene Landsknechte, Kuppler und Kupplerinnen. Endlich war Brindisi erreicht, das Meer, das wir durchschreiten mußten, lag vor uns. Ich schlug mit meinem Stab in das Meer – aber die Wogen teilten sich nicht wie vor Moses. Es waren aber zwei Schiffsherren in Brindisi, die erklärten sich bereit, uns für Gotteslohn um des heiligen Zweckes willen nach Alexandria überführen zu wollen. Wir segelten mit sieben Schiffen ab. Zwei Schiffe kenterten in der Nähe von Sardinien bei der Insel San Pietro. Es schien mir ein gutes Vorzeichen, daß es die beiden Schiffe waren, auf denen sich der erwachsene Troß unseres Zuges eingeschifft hatte: die Bettelmönche, Landsknechte, Kuppler und Kupplerinnen. Mit lautem Geschrei »Herr Gott, erhöhe die Christenheit!« begrüßten wir die aus silbernen Nebeln tauchende afrikanische Küste. Jubelnd und singend durchzogen wir Alexandria. Aber als wir auf dem Markt ankamen, fanden wir plötzlich alle Straßen, die aus dem Markt hinausführten, von bewaffneten Matrosen abgeriegelt. Auf dem Markt aber standen, Pistolen im Gürtel, mit feisten, grinsenden Gesichtern unsere beiden Schiffsherren Hugo Ferreus und Guilelmus Porcus, letzterer in der Tat wie ein bekleidetes Schwein anzusehen. Der erstere schoß eine Pistole in die Luft ab und schrie in das allgemeine Schweigen, das eingetreten war: »Die Versteigerung kann beginnen! Wer bietet als erster?« – Wir waren gerade rechtzeitig zum jährlichen großen Sklavenmarkt eingetroffen und wurden, noch zehntausend an der Zahl, von einem Abgesandten des Kalifen für die Summe von achtzigtausend Goldstücken den Schiffsherren abgekauft. Der Kalif sann uns zuerst an, unsern Glauben abzuschwören, da wir aber standhaft beharrten, ließ er von seinem Plan ab. Maria, das kleine Mädchen aus der Campagna, die Mutter des künftigen Heilandes, hatte allein der Seelenverkäufer Porcus für sich zurückbehalten. Sie hat, wie ich erfahren konnte, in seinem Harem ein Kind geboren, von dem ich nicht weiß, was aus ihm geworden ist. Der Kalif, dessen Kammerdiener ich geworden bin, hat mir einmal einen Besuch des Heiligen Grabes verstattet. Es liegt verfallen und ungepflegt außerhalb der Stadt Jerusalem in einer dürren Einöde. Eine Herde weidete darauf, und ein Hirt blies auf einer selbstgeschnitzten Flöte ein lustiges Lied in das fahlgrüne Frühlicht. Da Christus von den Toten auferstanden und zum Himmel emporgefahren sein soll, wie uns die Evangelien berichten, so meinte ich, ein leeres Grab zu finden. Dem war aber nicht so. Vielmehr lag ein wohlerhaltener Totenschädel darin und allerlei Gelenk- und Hüftknochen eines menschlichen Skeletts. Ich nahm den Totenschädel in die Hand und sah lange in seine leeren Augenhöhlen. Freilich, dachte ich, da du gestorben bist wie andere Menschen auch sterben, und tot bist und nicht zu Gott emporgefahren und nicht neben ihm auf dem diamantenen Thron sitzest, hast du mir auch nicht helfen können auf meiner Fahrt. Ein trügerischer Engel ist mir erschienen, der mich narrte, daß ich die anderen narren mußte. Nun ist Gott tot in mir, und ich weiß gar nichts mehr von ihm. Hätte er sich meiner wie ich mich seiner erbarmt! Nun werde ich meinen christlichen Glauben abschwören, das Kreuz an meinem Halse zerbrechen und ein Heide werden wie der Kalif, mein gnädiger Herr. Als ich am Abend bei der Tafel dem Kalifen meinen Entschluß anzeigte, war er hocherfreut. Er umarmte mich und küßte mich wie einst das Phantom des heiligen Sebastian im vatikanischen Saal in Rom. »Du sollst nicht mehr Stephan heißen«, sprach er, »ich werde dich Ali taufen, wie der erste Sohn Mohammeds hieß.« Meine Hand zitterte, als ich ihm aus der weißen Kristallkaraffe roten Wein eingoß, und eine Träne fiel aus meinen Wimpern in sein Glas, das er schweigend leerte.

Ich habe unter meinem gnädigen Sultan Al-Kamil in den Reihen der Sarazenen gegen Friedrich den Zweiten gekämpft und sein christliches Heer. Ich habe manchen Christen mit dem Morgenstern erschlagen. Durch einen Zufall gerieten in den Wechselfällen des Krieges die beiden Seelenverkäufer Hugo Ferreus und Guilelmus Porcus, die sich diesmal als Streiter Christi kostümiert hatten, weil sie in dieser Tracht bessere Geschäfte zu machen glaubten, in meine Hand. Ich ließ die beiden Schacher in Jerusalem auf dem Ölberg kreuzigen und errichtete in der Mitte zwischen ihnen ein drittes Kreuz, daran ließ ich den Totenkopf und das Skelett Christi, daran ließ ich Christus zum zweiten Male kreuzigen.

Die 99. Wiederkehr des Buddha

Buddha kam zum 99. Male auf die Erde. Er fand, daß sie gar nicht so grau anzusehen sei, wie sie ihm das letztemal erschienen. Es war allerlei Liebenswertes und Schönes auf ihr anzutreffen. Schmetterlinge, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und –untergänge, ein silberner Mond, ein singender Wasserfall. Die wilden Tiere und vollends die Menschen gefielen ihm schon weniger. Aber er gedachte des großen Wortes, das einmal gesprochen ward: »Wer zu mir gut ist, zu dem bin ich gut, und wer zu mir nicht gut ist, zu dem bin ich auch gut.« Der Buddha gründete eine Akademie, »Die Stimme der Wälder« –, und lehrte die jungen Inder sein wie er selbst: sanft, leise und gütig. Um sie zu unterrichten, schrieb er aus der Tradition seines Volkes allerlei kleine und große Dichtungen und Gedichte. In denen sprach er von Schmetterlingen, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und –untergängen, einem silbernen Mond, einem singenden Wasserfall. Diese Verse waren nun nichts Besonderes, sondern ganz und gar Indisch-Typisches. Schon tausend indische Dichter hatten solche und ähnliche Verse geschrieben. Aber da trug der Wind einige seiner Klänge wie verwehte Blüten von Indien nach Europa, und dort klangen sie einer kahlen, unnatürlichen, unmenschlichen Welt unerhört. In Europa hatte ein Wohltäter und Menschenfreund, der Erfinder des mörderischen Dynamits, eine Stiftung für Dichter gegründet: auf einige Millionen, die er zum Tode beförderte, kam immer einer, den er zum Leben erweckte, das heißt zur Berühmtheit und zum Ruhme, und dieser eine wurde, als seine Verse bekannt wurden, der Buddha, der sich aus Bescheidenheit Thakur nannte. Thakur war hocherfreut ob dieses tiefen Eindrucks, den seine sanfte, stille Lehre auf das wilde Europa machte. Er zog sich seinen seidenen Mantel an, strich sich seinen weißen Vollbart und begab sich nach Europa, um seinem Gedanken durch seine Persönlichkeit mehr Nachdruck zu verleihen. Er sprach in der Universität Berlin, und die Pforten, die sich keinem großen deutschen Dichter geöffnet hatten, sprangen vor ihm auf. Er sprach von der Weisheit der Wälder zu Menschen, die nur von der Schlauheit der Maschinen wußten. Er predigte: »Liebet eure Feinde!« Und die Rapiere der Studenten klirrten jubelnd ineinander, und von ihren Lippen stieg die »Wacht am Rhein«. Er sagte: »Wer zu mir gut ist, zu dem bin ich gut, wer zu mir nicht gut ist, zu dem bin ich auch gut.« Und Geheimrat Roethe drückte ihm die Hand. Butterweck, der Vorsitzende im Aufsichtsrat der Nirwanabetriebsgesellschaft m.b.H., ließ sich ihm vorstellen und betonte, daß gleiche Interessen sie verbänden. Und er nahm ihn flüsternd beiseite: »Im Vertrauen, ich brauche zehntausend Buddhastatuen, sofort greifbar, Provision 15 Prozent …« Und der Buddha, der kein Deutsch verstand, freute sich des tiefen Eindrucks, den er überall hinterließ. Mit einem weißen Vollbart war er ausgezogen, und völlig bartlos traf er in Darmstadt ein, denn die begeisterten Backfische hatten ihm alle Haare zum Andenken ausgerauft. Auch trug er einen eleganten europäischen Gehrock, denn sein seidenes Gewand war im Dom von Berlin neben dem Kürassierhelm des Kaisers Wilhelm II. als Reliquie aufgestellt worden. In Darmstadt thronte der Buddha, bartlos und im Gehrock und mit vor Verwunderung leeren Augen, auf einem ausrangierten Thronsessel. Ein ehemaliger Großherzog machte seinen Maître de plaisir und Haushofmeister, und ein deutscher Philosoph mit blondem Vollbart, um den der Buddha ihn beneidete, hielt buddhistischen Cercle. Er hatte eine Pauke hinter sich stehen, auf die schlug er zuweilen und schrie: »Hier ist zu sehen der einzig wahre, einzig echte Buddha! Nicht zu verwechseln mit ähnlichen Unternehmungen! Es ist nur ein Buddha, und ich bin sein Prophet!« Und er schlug auf die Pauke. Der Buddha wußte nicht, was alles das zu bedeuten habe. Er lächelte hilflos und freundlich. Der blonde Philosoph hatte Einladungen in alle Gaue erlassen, wer den Buddha sehen möge, solle kommen, jeder dürfe eine Frage an ihn richten, und aus allen Gauen Deutschlands kamen sie und fragten den Buddha, der auf einem alten ausrangierten Thronsessel saß. Der eine fragte: »Wie wird der Dollar in acht Tagen stehen?« Der andere: »Soll ich Skoda-Aktien halten oder abstoßen?« Eine Dame der besten Gesellschaft fragte: »Ist mein Mann mir untreu?« Und eine Arbeiterfrau wollte das gleiche wissen. Ein Schriftsteller fragte: »Darf mein Roman auf hundert Auflagen rechnen?« Der Buddha wußte nicht, was er sagen sollte, und sagte immer dasselbe, nämlich: »Das Geheimnis aller Dinge ist das Ja-Nein.« Der blonde Philosoph, der die Pauke schon für sich selbst trefflich zu schlagen wußte, schlug sie auch für seinen Meister mit Geschick. Kleine Kinder kamen, die streuten dem Buddha, wie ehemals ihrem Serenissimus, weiße Blumen. Ja, der Serenissimus selber streute ihm Blumen und Weihrauch. Ein Männerchor sang das Lied von Andreas Hofer, vermutlich, weil auch Andreas Hofer wie der Buddha und der blonde Philosoph einen Vollbart getragen hatte. Dann aber stieg aus dem Munde des Volkes, welches von weither gekommen war, den Buddha zu sehen – sie waren gekommen mit Weib, Kind, Bier und Butterbrot –, wie improvisiert, das deutsche Lied zum sommerlichen Himmel: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.« Aber der Buddha begriff noch immer nicht, was alles das bedeuten solle. Er sah nur die Verehrung, die dem Gott in seiner Person gezollt wurde. Er schloß die Augen und dachte an Schmetterlinge, Nachtigallen, Zedern, Sonnenauf- und –untergänge, an den silbernen Mond, an den singenden Wasserfall. Der Gesang war beendet. Er hörte, wie der ehemalige Großherzog den Ton und Takt angab und die Menge brüllend einstimmte: »Seine Eminenz der Buddha – Hurra! Hurra! Hurra!« Der Buddha schlug die Augen auf. Die Sonne war untergegangen, ein Nachtschmetterling wiegte sich auf seiner zarten Hand. Er stand auf, strich sich mit seiner Hand über die Stirn und sagte: »Ich bin müde. Ich will schlafen gehen.« Und schritt die Stufen des Thronsessels hinab und schritt durch die Menge, die ihm ehrfürchtig Platz machte. Die Dämmerung war herniedergesunken. Er schritt durch den einsamen Park. Hier und da leuchtete eine weiße Statue. Vor einer derselben, auf deren Sockel das Wort »Goethe« stand, blieb der Buddha stehen. Er hob die Arme, dann sank er am Sockel nieder, und Träne auf Träne tropfte aus seinen leeren, nach innen gewandten Augen.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
130 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают