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»Können Sie sich ausweisen?«

Dasher verdrehte genervt die Augen, schnappte sich den Ausweis aus seiner Jackentasche und hielt ihn vor das Fischauge des Spions.

»Zufrieden?«

Anstelle einer Antwort wurde an der vorgelegten Kette genestelt, dann öffnete sich die Wohnungstür. Dahinter stand eine ältere, mehr als füllige Lateinamerikanerin. Ihr hellbraunes Haar war scheckig gefärbt und graue Ansätze zeigten sich bereits wieder. Ihr Kinn war eingepackt in fleischige Wangen, die ohne Übergang in einen dicken Hals mündeten. Ihre Mundwinkel hingen nach unten, gaben dem Gesicht zusammen mit der eher knolligen Nase den Ausdruck einer angriffslustigen Bulldogge. Hinzu kamen ihre Augen, die in tiefen und dunkel umrandeten Höhlen lagen und den Detective anblitzten. Ob bloß mürrisch oder gar zornig mochte Dasher nicht entscheiden. Noch nicht.

»Misses Hernandez?«, begann Dasher.

»Miss Hernandez«, korrigierte sie ihn mit aggressiver Stimme.

Der Detective blickte die Frau kalt und abweisend an. Bei solchen Schnepfen verspürte er schon zeitlebens seine liebe Mühe, die Ruhe zu bewahren.

»Na gut. Dann also Miss Hernandez. Ich untersuche den Mord an Ihrem Wohnungsnachbarn, Hank Publobsky.«

Falls Dasher mit einer Reaktion der älteren Frau gerechnet hatte, so lag er falsch. Nur die Augen der Frau glühten einen Moment lang auf. Es war aber diesmal bestimmt kein feindliches oder gar besorgtes Glühen, sondern eher ein nach Sensationen lüsternes, wie auch ihr schlaffer Mund bewies, dessen Lippen sich für einen kurzen Moment zugespitzt hatten.

»Wissen Sie etwas über den Ermordeten? Hatte er Familie? Oder öfters Freunde zu Besuch? Ist Ihnen in letzter Zeit vielleicht etwas Außergewöhnliches aufgefallen?«

»Liegt eine Belohnung drin?«, war die wenig überraschende Gegenfrage, die den Blutpegel in Dashers Kopf zusätzlich ansteigen ließ.

»Nein, es gibt keine Belohnung, Miss Hernandez«, war seine grobe Entgegnung, »doch ich warne Sie. Selbst meine Geduld kennt gewisse Grenzen. Oder möchten Sie gerne, dass ich Sie aufs Revier mitnehme oder dort befragen lasse?«

Die Frau schien tatsächlich abzuwägen, welchen Weg sie gehen wollte. Dann endlich lenkte sie ein.

»Also gut. Ich lass Sie rein. Kommen Sie.«

Die Frau gab die Türe frei und ging dem Detective voraus in ein kleines Wohnzimmer, das mit alten Möbeln vollgestopft war und dessen einziges Fenster von einem fadenscheinigen Vorhang verdeckt war. Im Halbdunkel erkannte Dasher zwei graubraune Katzen, die sich auf den beiden vorhandenen Plüschsesseln eingerollt hatten und zu schlafen schienen. Eine dritte richtete sich gerade steifbeinig auf dem Sofa auf, blickte ihn gleichgültig an, streckte sich dann gähnend, verharrte in dieser Stellung lang und ausgesprochen genüsslich. Bei ihrem Anblick fühlte Dasher eine bleierne, lähmende Müdigkeit in seinen Knochen.

»Setzen Sie sich«, befahl die alte Frau, worauf der Detective mit einer Hand die Katze auf dem Sofa zur Seite drückte und die mit Haaren verfilzte Tagesdecke verschob, bevor er Platz nahm. Die Frau packte währenddessen die schlummernde Katze auf einem der Sessel mit ihren beiden Händen grob um den Leib und warf sie achtlos über die Rückenlehne hinweg nach hinten. Das Tier landete instinktiv auf ihren Pfoten, schüttelte unwillig ihren Kopf und schlich beleidigt aus der Tür. Die Frau hatte sich derweil ächzend gesetzt, ohne das aufgeschreckte Tier oder seine etwas unglückliche Landung auf dem Teppichboden auch nur im Geringsten zu beachten.

»Gehören nicht mir, die verdammten Viecher«, meinte sie, den Blick von Dasher richtig deutend, »ich hüte sie bloß ein paar Tage für meine Tochter.«

Der Detective sagte nichts dazu, blickte Miss Hernandez bloß abwartend an.

»Hank war ein lieber Junge«, begann die ältere Frau endlich zu erzählen, »ist bloß in schlechte Gesellschaft geraten.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, sein neuer Freund, dieser Jim. Der taugte ganz einfach nichts. Gar nichts. Hab ich Hank von Anfang an gesagt. Doch der wollte nicht hören, der Dummkopf.«

»Und warum taugte dieser Jim nichts?«

Dasher hatte in seinem Leben unzählige Zeugen befragt. Die meisten gaben sich zu Anfang recht verstockt und man musste sie erst einmal verunsichern, bevor sie mit der Polizei zusammenarbeiteten. Miss Hernandez schien dagegen zur zweiten, weit selteneren Kategorie zu gehören. Dieser Art musste man bloß einen kleinen Stoß versetzen und dann sprudelten die Informationen nur so aus ihnen heraus, als wenn man den Wassergraben einer Sandburg an einer Stelle anbohrte. Und wie bei der Burg kam mit dem Wasser oft auch sehr viel zusätzlicher Schlamm mit. Aufschlussreicher Schlamm.

»Na, der Junge hatte diesen Jim doch im Internet kennengelernt. Wissen Sie, Hank war schwul, aber sonst ein ganz Lieber, wirklich. Doch dann kam er mit diesem Jim hier an. Der Kerl behauptete doch tatsächlich, dass er aus Seattle stamme. Aus Seattle, verstehen Sie?«

Dasher verstand nicht, blieb aber stumm und ließ die Alte weiterreden.

»Nie im Leben kam der aus Seattle. Das war ein Kalifornier, Santa Barbara, in der Ecke herum, da wette ich drauf. Doch das hat dieser Jim glattweg abgestritten, selbst als ich es ihm direkt ins Gesicht sagte.«

»Warum glauben Sie, dass dieser Jim aus Santa Barbara stammt?«

»Na, sein Slang selbstverständlich. Und ein paar von seinen Ausdrücken. So spricht keiner aus Seattle.«

»Und woher wissen Sie das? Sind Sie Sprachwissenschaftlerin?«

»Nonsens. Aber ich war früher Schauspielerin. In der Werbebranche. Vielleicht kennen Sie noch die Werbespots für das Pacific Blue Waschmittel? Anfang der sechziger Jahre?«

Ihre Stimme klang fast beschwörend, hoffte augenscheinlich auf ein Nicken des Detective. Doch Dasher schüttelte verneinend seinen Kopf.

»Ich bin 1959 geboren«, gab er der sichtlich enttäuschten Frau bekannt, »aber zurück zu diesem Jim. Was können Sie mir noch über ihn erzählen? Kennen Sie seinen Nachnamen? Wie sah er aus?«

»Na, das müssten Sie ja wohl besser wissen«, lautete die befremdliche Antwort der alten Frau.

»Wie meinen Sie das denn schon wieder?«

»Na, Sie haben ihn doch verhaftet?«

»Wer wurde verhaftet? Hank Publobsky?«

»Nein, sein angeblich schwuler Freund, dieser Jim. Doch der war bestimmt nicht schwul. Der hat nur so getan. Ein miserabler Schauspieler, das sag ich Ihnen.«

Die Frau sprach mit dem Detective wie mit einem kleinen Jungen. Doch Dasher beachtete es nicht, sondern hakte sofort nach: »Wann und wo wurde dieser Jim denn verhaftet?«

»Na, letzte Woche, am Dienstagabend, nein, am Mittwochabend, so gegen acht Uhr, schätze ich. Vier Polizisten läuteten erst Sturm und nachdem Hank die Wohnungstür geöffnet hatte, stürmten sie hinein und führten kurz darauf diesen Jim in Handschellen ab.«

»Am Mittwochabend sagen Sie? Am zwölften?«

»Ja, am zwölften.«

»Und diesen Jim haben Sie seither nicht mehr gesehen?«

Die ältere Frau schüttelte stumm ihren Kopf. Dann begannen ihre Augen wieder zu funkeln.

»Gibt es wirklich keine Belohnung?«

Dasher zog erst seine Augenbrauen hoch und dann die Brieftasche aus seiner Jacke. Er pickte sich einen Fünfziger heraus, legte ihn, ohne ein Wort zu verlieren auf den niedrigen Tisch. Dann stand er auf, klemmte sich den Laptop von Hank Publobsky unter den Arm und ging. Er hatte eine erste Spur gefunden.

*

Die Abklärung über den Polizeicomputer im Revier ergab, dass im besagten Mietshaus am zwölften Januar ein Mann namens Timothy Allen verhaftet wurde. Ihm wurde ein Drogenvergehen vorgeworfen, der Handel mit einer kleinen Menge Koks. Er war wohl ein Gelegenheitsdealer, der sich seinen eigenen Stoff mit gestreckter Ware finanzierte. Als er vor vier Wochen nicht zu seiner Gerichtsverhandlung erschienen war, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben. Ein telefonischer Tipp durch einen Unbekannten führte die Polizei dann zur richtigen Zeit zum richtigen Haus und in die Wohnung von Hank Publobsky. Mehr oder weniger Daily Business auf einem Revier in Manhattan.

Doch dann stutzte Detective Dasher und blickte überrascht auf die Zeile auf seinem Bildschirm, hinter der jeweils der Ort aufgeführt war, an dem sich ein Inhaftierter augenblicklich befand.

»Transferred« stand da zu lesen.

Der Detective klickte das Wort an und das Programm verzweigte auf eine Detailansicht, zeigte ihm das eingescannte Formular zur Übergabe des Verhafteten mit den Unterschriften aller beteiligten Beamten. Dasher staunte. Der kleine Drogendealer war doch tatsächlich von der DEA abgeholt worden, von der Drug Enforcement Administration.

War dieser Timothy Allen vielleicht ein Informant, der für die Drogenfahndung arbeitete? War die DEA darum an ihm interessiert?

Dasher überflog noch einmal den Polizeibericht zur Verhaftung von Allen, verglich den Zeitpunkt mit dem Protokoll der Übergabe an die Drogenfahnder. Der Junkie war kaum eine Stunde auf dem Revier gewesen. Es schien, als ob die DEA auf diesen Timothy Allen gewartet hätte, um ihn sogleich abzuholen, bevor jemand anderer ihn vernehmen konnte.

Detective Dasher schüttelte unwillig seinen Kopf.

»Was zum Teufel...?«, murmelte er leise vor sich hin.

Da ist die DEA hinter einem kleinen Drogendealer her, weiß ganz offensichtlich, wo er zu finden ist, benutzt für seine Verhaftung jedoch den lokalen Polizeiapparat? Dann holen sie den Mann so rasch als möglich vom Revier ab und am nächsten Tag wird der schwule Freund dieses Kerls ermordet aufgefunden, hingerichtet von professionellen Killern?

Luke Dasher wurde es flau im Magen.

Eine ganze Zeit lang stierte er in Gedanken versunken vor sich hin. Seine Augen blickten stumpf, schienen nichts um sich herum wirklich bewusst wahrzunehmen. Dann schüttelte er die aufsteigende Benommenheit mit einem Kopfschütteln ab. Es war wohl doch das Beste, die Akte Publobsky ohne Ermittlungsergebnis möglichst rasch abzuschließen. Zumindest schien ihn das die klügste Lösung.

Februar 2010

Toni Scapia war in den letzten zwei Wochen mächtig aktiv geworden. Vom Warrington College of Business Administration hatte er fünf Studenten verpflichtet. Sie sollten ihm sämtliche Anwaltskanzleien in Delaware und Nevada ausfindig machen, die sich auf die Gründung von Briefkastenfirmen spezialisiert hatten. Den Studenten gegenüber gab er sich als freischaffenden Journalisten aus, der Recherchen für einen Hintergrundbericht über Steuerschlupflöcher sammelte. Schon eine Woche später hielt er zwei Listen in Händen. Die aus Delaware führte mehr als dreihundert Adressen auf. Dreihundert! So viele Anwaltskanzleien schienen in diesem Staat größtenteils davon zu leben, für irgendwelche Personen auf dieser Welt Briefkastenfirmen zu gründen, den Postverkehr und die Telefonate für sie zu verwalten und auch die regelmäßig anfallenden Dokumente für allerlei Ämter und Behörden auszufüllen oder weiterzuleiten.

Diese hohe Zahl an spezialisierten Büros war ein starkes Indiz dafür, dass es solche Briefkastenfirmen nicht nur zu Hunderttausenden, sondern wohl gar zu Millionen geben musste.

Toni ließ daraufhin als kleiner Test ein paar Scheinfirmen über einige dieser Kanzleien eröffnen. Er wollte erfahren, wie solche Gründungen abliefen und welche Informationen der Eigentümer zu diesem Zweck von sich selbst Preis geben musste. Das Ergebnis war erschütternd.

Das Faxen einer Kopie des Führerausweises und die Überweisung von ein paar hundert Dollar über Western Union reichten völlig aus, um innerhalb weniger Tage eine Briefkastenfirma zu gründen, egal, ob in Delaware oder Nevada. Es wäre sogar noch viel schneller abgelaufen, hätte er den fälligen Betrag gleich online und mittels Kreditkarte bezahlt. Weniger als eine Stunde, wurde ihm auf seine Nachfrage hin am Telefon versprochen. Doch gerade Kreditkarten konnte man problemlos zurückverfolgen, einen gestohlenen Führerschein und den so ausgeführten anonymen Geldtransfer über Western Union dagegen nicht.

In manchen Fällen wurden ihm von den Anwaltskanzleien für einen Aufpreis von bloß fünfzig Dollar gleich noch ein Bankkonto eröffnet. Er könne innerhalb von zwei Stunden nach Bezahlung des Betrages frei darüber verfügen.

Mit diesem völlig sorglosen Umgang mit Firmengründungen und Bankkontoeröffnungen wurde die Geldwäscherei zu einem einfachen und risikolosen Geschäft.

Man beschaffte sich einige gestohlene Führerscheine, eröffnete damit ein paar Dutzend Briefkastenfirmen über unterschiedliche Kanzleien, ließ kleinere Mengen Geld auf die verschiedenen Konten einzahlen, sammelte das Geld anschließend auf einem zentralen Konto ein und überwies den Gesamtbetrag an ein Unternehmen im Ausland.

Das Steueramt besänftigte man, in dem man keinerlei Geschäftstätigkeit vorgab und den Mindestbetrag zwei Jahre lang überwies, bevor man die Firma ohne Aufsehen zu erregen auflösen ließ. Das Entdecken der Geldwäsche durch Behörden oder die Polizei war mit dieser Abwicklungsmethode praktisch ausgeschlossen oder zumindest auf einen äußerst dummen Zufall reduziert.

Und die Kosten einer solchen staatlich tolerierten Waschmaschine?

Mit Sicherheit bloß wenige tausend Dollar für jede gereinigte Million.

Die USA, das finanzielle Schlaraffenland für sämtliche kriminellen Organisationen dieser Welt.

Lag es da nicht auf der Hand, dass sich auch die Geheimdienste des Landes dieser Mechanismen bedienten? Durch so lasche Gesetze wurden Gangstersyndikate doch förmlich in die USA gelockt. Deren Repräsentanten ließen sich später bestimmt für die Ziele der Behörden einspannen. Eine Hand wäscht nun mal die andere.

Toni erschauderte bei diesem Gedanken und er entschloss sich, erst einmal Rücksprache mit Jules zu halten.

Für ihre geheime Kommunikation benutzten die beiden seit einigen Jahren das Electronic Banking eines Kontos, auf das beide übers Internet weltweiten Zugriff besaßen. Sie loggten sich jeweils ein und speicherten für den Partner unter der Nachrichten-Funktion des Kontos einen Text als Entwurf ab. Danach konnten sie einander eine unverfängliche E-Mail senden und darin auf die neue Nachricht hinweisen. Eine Überwachung ihrer Korrespondenz durch Behörden oder Geheimdienste war damit praktisch ausgeschlossen.

Hallo Jules,

Eine Briefkastenfirma in Delaware und Nevada zu gründen und zu betreiben, dazu benötigt man tatsächlich nichts, außer ein wenig Geld und einen gestohlenen Führerschein. Es gibt allein in Delaware mindestens dreihundert Anwaltskanzleien, die von diesem Geschäft leben können. In Nevada sind es immerhin mehr als einhundert. Wir müssen also davon ausgehen, dass viele Hunderttausend, wenn nicht Millionen von Briefkastenfirmen existieren. Sonst würde sich das Ganze für die vielen Kanzleien gar nicht rechnen.

Wo aber soll ich mit meinen Recherchen beginnen? Hast du einen Vorschlag für mich? Im Moment komme ich mir klein wie David vor, der den Riesen Goliath zwar herausgefordert hat, ohne aber eine Steinschleuder zu besitzen.

Gruß, Toni

Jules Antwort ließ nur einen Tag auf sich warten.

Hallo Toni,

Knochenarbeit scheint angesagt zu sein. Konzentriere dich doch auf möglichst kleine Kanzleien, die nicht prominent im Internet für ihre Dienste werben. Ich denke, da sind die Chancen am größten, auf eine Kanzlei zu stoßen, die für Regierungsstellen arbeitet. Denn wie du selbst schreibst: nur das Massengeschäft kann in diesem Business gewinnbringend betrieben werden. Bei allen kleineren, wenig bekannten Playern ohne Werbung stellt sich darum die Frage, wie sie genügend Erträge für sich generieren können.

Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, ein paar Firmennamen und Adressen von meinen Auftraggebern in Erfahrung zu bringen. Ich werde dir alle neuen Erkenntnisse laufend auf diesem Weg hier weiterleiten. Schau also jeden Tag mal rein.

Ich wünsche dir schon einmal viel Spaß bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen,

Jules

Lederer hatte sich unverzüglich mit Wermelinger in Verbindung gesetzt und ihm von den Schwierigkeiten erzählt. Der Präsident des Vereins der privaten Banken sagte ihm seine Unterstützung zu und bereits ein paar Tage später lieferte er Jules die Adressen von sechs Briefkastenfirmen in Delaware und von zwei weiteren in Nevada. Sie waren dem automatischen Datencheck der Banken als mögliche Drehscheiben für Geldwäscherei aufgefallen und standen im Verdacht, Regierungsstellen der USA zu gehören.

Die Zahlungssysteme der Banken sortierten jeden Tag hunderte von verdächtigen Transaktionen aus. Ganze Stäbe von Mitarbeitenden waren mit deren Klärung beschäftigt. Wenn die Auftraggeber oder Empfänger die Zahlungshintergründe nicht hinreichend erläutern konnten, wurde die Weiterleitung des Geldes verweigert und die Informationen zur Transaktion direkt an die zentrale Behörde in Bern für weitere Abklärungen geleitet. Was den Mitarbeitenden dagegen ausreichend plausibel erschien, und das waren über 99,9 % der untersuchten Zahlungen, wurde zur Überweisung freigegeben. Doch immer wenn eine große und renommierte US-Bank an einer der Transaktionen beteiligt war, ging man von einer korrekten Überweisung aus. So lauteten die internationalen Verträge und die gängige Praxis. Wäre noch schöner, wenn man den Töchtern und Söhnen von Uncle Sam etwas Illegales unterstellen wollte.

Die von Wermelinger gelieferten Daten betrafen insgesamt mehr als fünfzig verdächtige Zahlungen, an denen die acht US-Unternehmen beteiligt waren. Diese acht Firmen wiesen jedoch nur zwei unterschiedliche Geschäftsadressen auf, eine in Wilmington, die andere in Las Vegas.

Bei den Überweisungen handelte es sich um Beträge zwischen 250’000 und 1,5 Millionen Dollar. Die Gelder waren jeweils wenig später von den Konten der Schweizer Banken an irgendwelche Empfänger mit Sitz in der Karibik transferiert worden.

Die Aufgabe für Toni war mit diesen Informationen bereits ein wenig klarer umrissen. Er würde die beiden Adressen durchleuchten und gegebenenfalls versuchen, Mitarbeitende der Anwaltskanzleien zu bestechen, die für deren Gründung und Betreuung zuständig waren. Eventuell konnte er auch gleich eigene Leute dort einzuschleusen.

Wie er all das bewerkstelligte, überließ Jules voller Vertrauen seinem Freund in Florida.

*

An diesem frühen Morgen stand Henry Huxley mitten auf der Brücke zur Ciudad Juárez, hatte seine Unterarme auf dem Geländer aufgestützt und blickte hinunter auf das Wasser des Rio Grande, diesem großen, meist träge dahinfließenden Grenzstrom zwischen den USA und Mexiko. Derzeit führte der Rio Bravo del Norte, wie er von der mexikanischen Bevölkerung genannt wurde, sehr viel braunes Schlammwasser mit sich, ein sicheres Zeichen für heftige Regenfälle im Norden, in Colorado oder New Mexiko. Der Fluss grub sich an seinem Oberlauf immer tiefer in den Boden, das Ufer wurde von den Wassermassen unterspült und der Abraum in Richtung Golf von Mexiko getragen. Ähnlich dem Missouri, der auch Big Muddy genannt wurde, sagte man über das Wasser im Rio Grande scherzhaft, zum Trinken zu dick und zum Pflügen zu dünn.

Huxley hatte die Nacht im Camino Real Hotel in El Paso verbracht. Zuvor war er nach Fabens zum Abendessen gefahren, das etwa dreißig Kilometer südlich der Stadt lag. Die Cattleman’s Ranch servierte dort seit vielen Jahren eines der besten Steaks von ganz Nordamerika. Jedes Mal, wenn eine Reise Henry Huxley auch nur fünfhundert Meilen an El Paso heranführte, machte er diesen Abstecher zur Working Ranch mit ihrem riesigen Restaurant. Dort gönnte er sich stets den Cowboy, ein rund ein Kilogramm schweres T-Bon Steak, zusammen mit einer Baked Potato und begleitet von zwei bis drei Margheritas.

Michael Stern vom People Magazin hatte das T-Bone der Cattleman’s Ranch vor Jahren zum besten Steak der USA gekürt. Und das konnte durchaus stimmen, denn selbst sein dünner Fettstreifen entlang des butterweichen Fleisches war eine Delikatesse, zart, rauchig und voller Geschmack.

Am späteren Vormittag wollte sich Huxley in Juárez mit einem alten Freund treffen, der seit vielen Jahren dort lebte, die hiesigen Verhältnisse bestens kannte und seinen Daumen ständig am Puls der Stadt hielt.

Der lange Leidensweg der fünftgrößten Stadt von Mexiko begann vor fünfzehn Jahren. Innerhalb weniger Jahre fand man mehr als dreihundert weibliche Leichen in und um Juárez herum. Weitere vierhundert Frauen wurden zusätzlich vermisst und nie gefunden. Wer die Frauen entführt hatte und warum man sie ermordete, blieb ungeklärt.

Wenige Jahre später begann aber ein unerbittlicher Drogenkrieg an der Grenze zu den USA zu toben. Er fraß sich wie ein Krebsgeschwür in sämtliche Straßen und Gassen der Stadt hinein, machte auch vor Morden an Politikern, Journalisten oder der Polizei nicht halt. Die Verlockung, durch die Kontrolle eines wichtigen Zollübergangs in die Vereinigten Staaten mit organisiertem Drogen- und Waffenschmuggel viele Milliarden an Dollar jedes Jahr zu generieren, war in diesem Drittweltland ganz einfach zu verlockend. Doch das gerade in letzter Zeit entstandene Ausmaß an Kriminalität in und um Juárez konnte im Grund genommen nur eines bedeuten: Hier mussten mexikanische und amerikanische Behörden ganz besonders kräftig im Drogengeschäft mitmischen und mitverdienen. Juárez erschien Henry Huxley darum der perfekte Ort, um die Spur des Drogengeldes an seiner Entstehung aufzunehmen und zu verfolgen.

Der Brite passierte den mexikanischen Zoll am Ende der Brücke. Ein Beamter in schlecht geschnittener Uniform saß auf einem einfachen Holzstuhl hinter einem alten, weißen Tisch mit abblätterndem Lack und porkelte mit der Spitze seines Zeigefingers im rechten Ohr. Aus übernächtigten, roten Augen betrachtete er den hochaufgeschossenen Besucher aus El Paso, zeigte jedoch keinerlei Interesse an ihm oder den anderen Touristen von der anderen Seite des Rio Grande. Ausweise wurden auf der mexikanischen Seite der Grenzbrücke äußerst selten verlangt. Der Unterschied zur Zollstation der US-Behörden am linken Flussufer konnte kaum größer sein. Hier warteten in der Regel mehr als ein Dutzend Beamte auf eine Flut von Einreisewilligen. Jeder Ausweis wurde genau kontrolliert, viele davon elektronisch überprüft, sämtliches Handgepäck durchsucht, mit Drogen- und Sprengstoffhunden zudem Autos und Busse umrundet und mit Spiegeln alle Fahrzeugböden von unten abgesucht.

Henry schlenderte zusammen mit einigen Tagestouristen die Straße in Richtung Zentrum hinunter. Vor einhundert Jahren musste dies eine prachtvolle Einkaufsgegend gewesen sein. Alte Porzellankacheln pflasterten an manchen Stellen immer noch den Gehweg oder die Hausmauern und zeugten von einer goldenen Zeit. Doch seitdem folgten viele Jahrzehnte des wirtschaftlichen Niedergangs, unterbrochen durch einzelne, nur kurze Zeit aufflackernde Aufschwüngen, zu wenige und zu schwache, um die ehemalige Substanz der Stadt zu erhalten und den Abstieg zu einem billig Eldorado amerikanischer Schnäppchenjäger aufzuhalten.

Manuel Rodrigez erwartete Huxley in seinem kleinen Café, das an der Ecke zur Tlaxcala lag. Henry drückte die nur angelehnte Eingangstüre auf. Ein helles Klingeln kündigte den Wirtsleuten den neuen Besucher an und Manuel Rodrigez kam mit einem fragenden Gesichtsausdruck auch schon um die schmale Theke herum, seine feuchten Hände an einer vor den Bauch gebundenen Küchenschürze abwischend. Er erkannte im Gegenlicht der Straße seinen alten Bekannten erst nach zwei Sekunden. Doch dann begann sein eckiges Gesicht mit der mächtigen Kinnlade sogleich zu strahlen.

»Buenos Dias, alter Freund«, der Mexikaner ergriff Henrys ausgestreckte Hand und schüttelte sie überschwänglich, zog ihn näher zu sich heran und umarmte ihn herzlich, »wie lange ist es her? Vier Jahre, oder gar fünf?«

Auch Henrys Augen blickten seinen Mitstreiter vergangener Tage herzlich und freudestrahlend an: »Es sind fast sechs, Manuel, doch du scheinst kein bisschen älter geworden zu sein. Wie geht es Maria?«

Die Augen des Mexikaners verschleierten sich augenblicklich und sein Gesicht trübte sich schmerzlich.

»Sie ist letztes Jahr gestorben. Brustkrebs.«

Henry war betroffen.

»Das tut mir so leid, mein alter Freund. Ich habe Maria immer sehr geschätzt und gemocht. Sie war dir eine gute Frau und eine echte Partnerin.«

Henry umarmte den Mexikaner noch einmal herzlich, diesmal noch länger als zuvor. Er drückte ihn an sich und verharrte, ließ ihn seine Anteilnahme auch körperlich spüren. Als er ihn losließ, hatte Manuel feuchte Augen, die er sich rasch mit den Handrücken auswischte. Ein verlegenes Lächeln erschien in seinem traurig lächelnden Gesicht.

»Danke, Henry.«

Sie setzten sich an einen der kleinen, quadratischen Tische mit ihren rot-weiß gemusterten, hübschen, sauberen Decken. Auch nach ihrem Tod war die Hand der quirligen Mexikanerin im ganzen Café noch zu spüren, diesen eigenwilligen Charme, eine Mischung zwischen Gemütlichkeit und Sauberkeit, wie sie nur eine warmherzige Frau herbeizaubern kann.

Die beiden Männer waren an diesem späten Morgen allein im Lokal. Nur eine Hilfskraft werkelte in der kleinen Küche hinter der schmalen Theke herum, bereitete wohl Speisen für die Mittagszeit zu, wie Henry durch die offenstehende Tür erkannte.

»Erzähl, mein alter Freund, was führt dich wieder einmal nach Juárez?«

Huxley vertraute Rodrigez wie einem Bruder. Vor zwanzig Jahren waren sie gemeinsam hinter einer Bande von Menschenhändlern her gewesen. Die Kerle beschwatzten leichtgläubige mexikanische Mädchen vom Land, versprachen ihnen gutbezahlte Stellen in der Stadt und steckten sie anschließend in die Bordelle der Orte auf beiden Seiten der Grenze. Manuel war damals Polizeipräfekt der gesamten Region gewesen, Henry im Auftrag eines mexikanischen Millionärs unterwegs. Dieser vermutete eine seiner zahlreichen Enkelinnen in den Fängen der Bande. Die beiden fanden nützliche Hinweise, dann erste Spuren und wenig später hoben sie das Hauptquartier der Mädchenhändler aus. Zwei Polizeibeamte starben während der wüsten Schießerei. Von der Schlepperbande überlebte kein einziger. Rodrigez geriet zuvor jedoch mit einigen seiner Männer in eine geschickt gestellte Falle und wurde durch zwei Kugeln schwer verwundet. Eine Gewehrkugel traf sein rechtes Knie und zertrümmerte es, ein weiteres Geschoss hatte sich neben dem Ärmelloch seiner schusssicheren Weste von der Seite her in die Brust gebohrt und Herz und Lungenflügel nur knapp verfehlt. Henry rettete Manual damals das Leben. Der Brite stürzte trotz wildem Kugelhagel aus seiner Deckung hervor, warf sich über den Polizeipräfekten und zog ihn hinter einem Mauervorsprung in Sicherheit, brachte anschließend die stark blutende Wunde am Knie zum Stoppen und betreute den Bewusstlosen bis zum Eintreffen eines Notarztes.

Manuel Rodrigez quittierte einige Monate später seinen Dienst als Präfekt. Das rechte Knie war steif gebliebenen und er war nicht mehr einsatzfähig. Die enge Verbundenheit mit Henry, dem er sein zweites Leben verdankte, wie Manuel und Maria ihm immer wieder gerne beteuerten, hatte jedoch über all die Jahre hinweg Bestand.

Zusammen mit seiner Frau übernahm Rodrigez damals das kleine Café in der aufstrebenden Grenzstadt. Es wurde zu einem beliebten Treffpunkt seiner ehemaligen Kollegen. Nach ihrer Schicht gönnten sie sich bei Manuel eine kühle Cerveza oder sie feierten eine Beförderung. Doch auch diese Zeit ging nach einigen Jahren zu Ende, starb mit der Pensionierung der alten Mitstreiter von Manuel langsam aus.

Henry Huxley wusste, dass bei Rodrigez keine Umwege notwendig waren, er sofort auf den Punkt kommen konnte.

»Ich suche nach Beweisen für Verbindungen von US-Behörden zu den mexikanischen Drogenkartellen. Mein Auftraggeber interessiert sich vor allem um Machenschaften von FBI und CIA, aber auch von anderen Regierungsstellen. Es geht ihm um Bestechungsgelder, mit denen die US-Behörden geschmiert werden, damit sie beim Drogen- und Waffenschmuggel wegschauen. Und er will anschließend den Weg dieser Gelder verfolgen können und so herausfinden, welche illegalen Operationen damit später finanziert werden. Ich bin nach Juárez gekommen, weil ich hoffte, du kannst mir weiterhelfen. Hast du einen Tipp für mich, wo ich ansetzen soll?«

Manuel schob nachdenklich seinen Kopf hin und her, dachte nach und wägte ab.

»Du begibst dich auf äußerst dünnes Eis, mein alter Freund. Doch das weißt du bestimmt schon«, schickte er seiner Erklärung voraus. Henry nickte ernst, meinte jedoch: »Schildere mir doch bitte erst einmal die Verhältnisse hier in der Region. Wer hat was zu sagen und wo könnte ich mit meinen Ermittlungen ansetzen?«

Manuel dachte einen Moment lang nach, sammelte sein Wissen. Dann begann er zu erzählen.

»Vor zwanzig Jahren war die Welt hier im Norden Mexikos noch in Ordnung. Schon damals wurden zwar große Mengen an Drogen über die Grenze in die USA geschmuggelt, doch das Geschäft lief im Verborgenen ab und Gewalt gab es eher selten. Doch vor zehn Jahren hat sich dies drastisch geändert. Man begann, die Drogen im großen Stil auch an die mexikanische Jugend zu verkaufen. Rasch bildeten sich Banden, die Straßen und ganze Viertel beherrschten. Sie übernahmen für die Bosse der Kartelle die Drecksarbeit. Im Gegenzug bekamen sie Drogen, Geld und Waffen. Bald einmal begannen sie sich gegenseitig zu bekriegen. Doch die Gewaltbereitschaft steigerte sich von Jahr zu Jahr noch. Unser Staatspräsident musste sogar Armeeeinheiten in die Grenzregion entsenden, wollte auf diese Weise den unzähligen Morden endlich Einhalt gebieten.«

»Und welche Drogenkartelle sind hier in der Stadt besonders aktiv? Geben einzelne den Ton an oder sind sie alle etwa gleich stark?«

»Das Juárez Kartell war lange Jahre unangefochten die Nummer eins in Juárez. Doch Vicente Carrillo Fuentes, ihr oberster Boss, hat in letzter Zeit stark an Einfluss verloren. Vor allem das Sinaloa-Kartell von Joaquim Guzman Loera macht ihm das Leben schwer. Der operiert zwar mehrheitlich weiter westlich, an der Grenze zu Kalifornien, drängt nun jedoch immer weiter auch nach Osten und in Richtung Golf vor. Doch auch das Zetas-Kartell und das Tijuana-Kartell mischen hier kräftig mit. Und La Familia aus dem tiefen Süden, das Golf-Kartell und die Beltrán-Leyva Organisation versuchen, ihren Machtbereich immer weiter nach Norden auszudehnen. Letztendlich gibt sich hier in Juárez die Drogenprominenz von ganz Mexiko ein blutiges Stelldichein und jeden Tag zählt die Stadt ein halbes Dutzend Morde.«

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9783847686842
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