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2.Franziskus, Klara und das gute Leben

„Unsere Vision ist ein Amazonien, das alle seine Bewohner integriert und fördert, damit sie das ‚buen vivir‘ – das ‚Gute Leben‘ – dauerhaft verwirklichen können. Es ist jedoch ein prophetischer Schrei und mühsamer Einsatz für die Ärmsten notwendig. Denn obschon Amazonien vor einer ökologischen Katastrophe steht, muss darauf hingewiesen werden, dass ‚ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde‘.“

Papst Franziskus, Querida Amazonia, 2. 2. 2020

Was gehört zu einem guten Leben? Freundinnen und Freunde, Familie, ein Häuschen im Grünen, ein Auto oder auch zwei, Computer und Handy, Fleisch auf dem Grill, moderne Kleidung, Skifahren im Winter, zu Ostern ans Meer und im Sommer weit in die Ferne? Ist ein gutes Leben ein immer besseres Leben?

In der sozial- und kulturwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung spielt die Frage nach dem guten Leben eine bedeutende Rolle. Grund dafür ist, dass die zeitgenössischen ökologischen Probleme nicht allein technisch zu lösen sind. Es braucht zugleich einen kulturellen Wandel. Dieser setzt neue Vorstellungen von dem voraus, was ein gutes Leben ausmacht.

Politisch stehen die technischen Nachhaltigkeitsstrategien im Zentrum. Diese werden zusammengefasst unter den Begriffen Effizienz und Konsistenz. Effizienz (von lat. efficio, hervorbringen) umschreibt das Erreichen des Erstrebten (wie Mobilität oder ein warmes Haus) mit geringeren und nachhaltigen Mitteln, bspw. durch leistungsstärkere und verbrauchsärmere Technik oder durch Dämmung. Konsistenz (von lat. consisto, zusammentreten) beschreibt das möglichst konfliktfreie Zusammenspiel von menschlichem Handeln und natürlichen Prozessen und zielt auf ein Kreislaufsystem der Stoffe, ein System ohne Abfall. Dazu gehören bspw. die Versorgung mit erneuerbarer Energie sowie die Dauerhaftigkeit, Reparatur und Wiederverwertung von Gebrauchsgegenständen. Effizienz und Konsistenz sind nötig – stoßen jedoch an soziale Grenzen: Viele der Effizienzgewinne werden durch sogenannte Rebound-Effekte aufgezehrt oder gar überkompensiert, wenn bspw. zwar der Motor oder die Heizung effizienter, aber zugleich das Auto größer, schwerer und mehr gebraucht wird und die Wohnfläche pro Person zunimmt. Konsistenzgewinne stoßen auf neue Inkonsistenzen: Die Umstellung von fossiler auf erneuerbare Energie ist aus Klimagründen unabdingbar. Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen können jedoch u. a. die Artenvielfalt beeinträchtigen – auch wenn sie Menschen und Tiere weit weniger schädigen als der Klimawandel selbst. Zudem können wir in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht so viel Energie erneuerbar erzeugen, wie aktuell fossil beansprucht wird. Es bedarf deshalb zusätzlich zur Effizienz und Konsistenz des Weniger. Dies umschreibt die dritte Nachhaltigkeitsstrategie, die Suffizienz (von lat. sufficio, ausreichen, genügen, imstande sein), also das Maßhalten, das Genüge Finden an weniger und anderen Dingen: weniger Energieverbrauch, weniger Konsum, weniger Mobilität, weniger Tempo, andere Ernährungsweisen, andere Wohnformen, andere Gärten. Zugleich gehört zur Suffizienz ein Mehr: mehr eigene Kreativität, bspw. im Gärtnern, Kochen, Tischlern und Reparieren, im Sinne der Verlängerung der Produktlebensdauer, der Verkürzung der Transportwege und der gemeinschaftlichen Widerstandsfähigkeit gegenüber der drohenden Krise. Mehr Teilen von Gebrauchsgegenständen wie Rasenmähern, Waschmaschinen, Autos, Kleidung (Kleidertauschmärkte) oder Büchern (Leihbibliothek), von Nahrungsmitteln (zu gut für die Tonne!) und Freizeitmöglichkeiten (öffentliches Schwimmbad statt Gartenpool).

Wer will schon suffizient leben?

Verzichten ist nicht chic. Kann ein suffizientes Leben ein gutes Leben sein? Wer will nicht das haben, was im eigenen Umfeld als normal gilt? Und ist nicht vieles schlichtweg notwendig: das Auto im Dorf mit schlechter öffentlicher Verkehrsanbindung, die Dienstreise nach Übersee, das neueste Handy? Besitz erleichtert das Leben und verschafft sozialen Status. Bestimmte Dinge nicht zu haben und zu tun, kann sozial ausgrenzen, von der Radfahrerin, die nicht überall gleich schnell und mit ähnlich feiner Kleidung wie die Autofahrenden hingelangt, bis zu demjenigen, der eine Stelle nicht annimmt, weil sie Pendeln verlangt und treibhausgasintensives Verhalten anderer unterstützt.

Viele Nachhaltigkeitsforscherinnen und -forscher halten dagegen: Suffizienz sei die zeitgemäße Form wahrhaft guten Lebens. Teilen und Tauschen, Arbeit in Gemeinschaftsgärten und Reparaturwerkstätten schenken neue Sozialkontakte. Wer selbst produziert, statt per Mausklick zu ordern, erfährt Selbstwirksamkeit, was zufrieden macht. Das Können und das Nicht-alles-Brauchen macht unabhängig von weltweiten Lieferketten, stärkt also die Sicherheit. Für weniger Konsum ist weniger Geld, also auch weniger Arbeitszeit nötig. Suffizienz kann deshalb zu Zeitwohlstand führen. Nicht zuletzt belegt die psychologische Glücksforschung, dass erhöhter Konsum ab einem bestimmten Niveau keinen Glücksgewinn mehr bringt. Konsumvermehrung kann sogar ins Gegenteil umschlagen, denn Besitz will bewahrt, vermehrt und beschützt werden. Die ersten Schritte zum Weniger verlangen Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit von den Einschätzungen anderer. Je mehr Menschen aber mitmachen, desto einfacher wird es. Wie sich aktuell beim Vegetarismus und Veganismus unter Jugendlichen beobachten lässt, kann von unten die Vorstellung einer neuen Normalität entstehen, so dass plötzlich der zuvor normale Konsum rechtfertigungsbedürftig wird. Maßhalten ist eine Lebenshaltung und verspricht, wenn man nicht allein bleibt, ein zufriedeneres, glücklicheres, ein gutes Leben. Du glaubst gar nicht, was du alles nicht brauchst!

Was aber, wenn mich das Weniger-Haben, Weniger-Verbrauchen und Selbermachen nicht glücklich machen? Dann muss die Perspektive gewechselt werden, weg von der tugendethischen Frage nach dem guten Leben hin zur normativen: Welche Handlung, Lebensform und Wirtschaftsweise lässt sich mit guten Gründen rechtfertigen?

Gerechtfertigtes Handeln?

Für die Antwort spielt es klimaethisch kaum eine Rolle, ob man utilitaristisch argumentiert, also die Folgen abschätzt, oder kantisch nach der Verallgemeinerbarkeit der handlungsleitenden Maxime fragt: Vieles von dem, was individuell Glück verspricht, wird zur Bedrohung, wenn es alle tun. Das, was einleitend als gutes Leben skizziert wurde, ist nicht verallgemeinerbar, ohne die ökologischen Grundlagen guten Lebens für alle zu zerstören. Was einleitend als gutes Leben skizziert wurde, ist nicht nachhaltig, denn eine Lebensform oder Wirtschaftsweise ist nur dann nachhaltig, wenn sie so mit der Natur umgeht, dass sie von jeder und jedem anderen überall und immer wiederholt bzw. geteilt werden kann.

Das ist breiter Konsens unter Ethikerinnen und Ethikern. Nur scheinen der Wille und die Tatkraft, das als sittlich richtig Erkannte zu tun, in Nachhaltigkeitsfragen nicht sehr weit verbreitet zu sein. Auch politisch ist kaum mehr strittig, dass die Überschreitung der planetaren Grenzen ein gravierendes zukunftsbestimmendes und zu bearbeitendes Problem darstellt. Strittig ist hingegen, ob nicht doch rein technische Strategien ausreichen und ob es nötig, wünschenswert und demokratisch durchsetzbar ist, Strukturen so zu transformieren, dass es für alle naheliegend wird, suffizienter zu leben.

Wenn das Wissen und die Erkenntnis des ethisch Gebotenen nicht zum Handeln führen, kann es vielleicht helfen, sich Lebensmodelle der Tradition vor Augen zu führen. Ihre Sicht auf die Dinge kann das, was man selbst für normal hält, unterbrechen und hinterfragen. Ihre Sicht auf die Dinge kann zeigen, dass gutes Leben vielleicht auch anders geht.

Modelle anderen guten Lebens

Papst Franziskus nennt zu Beginn des einleitend zitierten apostolischen Schreibens Querida Amazonia als Vorbild einer traditionellen nachhaltigen Lebensweise ein Beispiel, das in Nachhaltigkeitskontexten immer wieder erwähnt wird: das Buen vivir, das Gute Leben oder wie es auf Quechua heißt Sumak Kawsay. Es bezeichnet eine Welt- und Lebenssicht indigener Völker des Anden- und Amazonasgebiets. Buen vivir betrachtet die Menschen als einen Teil der gesamten Natur, in die sie verflochten sind und die sie trägt. Es ist wachstums- und entwicklungskritisch, verbunden mit dem Widerstand gegen die Ausbeutung des Amazonasgebiets durch die Ölindustrie und gegen den Anbau von Soja, das wiederum u. a. als Kraftfutter für die europäische Intensivtierhaltung exportiert wird. In Ecuador genießt Buen vivir Verfassungsrang:

„Die Natur oder Pacha Mama (Mutter Erde), in der das Leben stattfindet und sich reproduziert, hat das Recht, in ihrer Existenz durch Erhalt und Regenerierung ihrer Lebenszyklen, Struktur und Funktionen und Entwicklungsprozesse ganzheitlich respektiert zu werden.“5

Buen vivir ist kein Konzept zum Schutz der Umwelt, sondern ein Konzept der gemeinsamen Welt. Es ist, wie auch Papst Franziskus oben schreibt, kein ökozentrisches Konzept. Es behauptet nur, niemand könne gut leben, wenn Tiere und Pflanzen dies nicht auch können.

Zwischen Buen vivir und der Weltsicht des Franziskus von Assisi gibt es erstaunliche Parallelen: in der Sicht der Erde, der Tiere, des Geldes. Diese und andere klimaethisch relevanten Lebensbereiche werden in den folgenden Kapiteln aus franziskanischer Perspektive skizziert. Was also gehört zu einem guten Leben? Kann die Antwort von Franziskus und Klara darauf heute inspirieren?

Der Tausch

Sie wundern sich über die Zusammenstellung von Franziskus, Klara und einem guten Leben? Ihr Leben war schließlich hart, materiell arm, Krankheiten waren häufiger Gast. Ihr Lebensstil war erkämpft und blieb zeitlebens umstritten. Doch Franziskus selbst erzählt den Beginn seines Ausstiegs im ersten Satz des Testaments als Tausch des Bitteren in Süßes. Die Adjektive bitter und süß bezeichnen dabei beide das neue Leben. Das Leben der kompromisslosen Erniedrigung ist gemessen am Üblichen, Normalen bitter. Nun ist es süß. Getauscht wird also nicht nur der Lebensstil. Getauscht werden die Bewertungskategorien. Als Paradigma dieses Tausches erzählen die Quellen die Zuwendung zu den Aussätzigen. Der Kuss der Hand des Leprösen wird zur Metapher des normalerweise abstoßenden und doch guten Lebens:

„So hat der Herr mir, dem Bruder Franziskus, gegeben, das Leben der Buße zu beginnen: denn als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Lebens verwandelt.“ (Test 1–3, FQ 59)

Die Dreigefährtenlegende erzählt dann, anlässlich der Begegnung mit dem Aussätzigen sei auch das alte Leben zu einem verachtenswerten geworden, habe sich also das Süße in Bitteres verwandelt:

„Als er eines Tages innig zum Herrn betete, wurde ihm geantwortet: ‚Franziskus, alles, was du fleischlich geliebt und zu haben gewünscht hast, musst du verachten und hassen, wenn du meinen Willen erkennen willst. Wenn du nachher zu tun beginnst, was dir bisher angenehm und süß erschien, wird es dir unerträglich und bitter sein, und was dich vorher erschaudern ließ, wird dir große Süßigkeit und immenses Glück bescheren.‘“ (Gef 11, FQ 617f)

Im Sacrum Commercium sind schließlich alle, die nicht das bequeme Leben gegen die neue Süße tauschen, die Dummen. Franziskus fragt sie, die „Großen und Weisen“, wo er denn die Armut finden könne. Und mit den Büchern Kohelet und Weisheit lässt die Erzählung sie antworten:

„Uns aber bleibt, die Üppigkeit auszukosten und Überfluss zu haben an Reichtum; denn kurz und traurig ist unser Leben; für das Ende des Menschen gibt es keine Arznei. Denn wir kennen nichts Besseres als vergnügt zu sein, zu essen und zu trinken, solange wir leben. Als der selige Franziskus das hörte, wunderte er sich in seinem Herzen …“ (SC 1, FQ 662)

Sacrum Commercium kann man übersetzen als heiliger Tausch, Tausch von Üppigkeit gegen Armut, von vergnügtem Konsum gegen das gute Leben, als Tausch der Bewertungskategorien. Dieser Tausch folgt der paulinischen Umkehrung der Normalität: „Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott“ (1 Kor 3,19). Die Franziskus-Quellen übersetzen Sacrum Commercium als geheiligten Bund mit der Herrin Armut. Diesen Bund schließen Franziskus und Klara wohl kaum, um gut zu leben, auch wenn ihnen das neue Leben süß erscheint. Sie schließen ihn wohl auch nicht, um soziale Gerechtigkeit zu befördern, auch wenn sie auf diesem Weg soziale Schranken und Hierarchien durchbrechen. Sie schließen ihn nicht aus ökologischen Gründen, auch wenn die Geschwisterlichkeit mit Tieren, Pflanzen und der Erde zur neuen Süße gehört. Vielleicht könnte man sagen: Sie schließen den Bund mit der Armut, weil sie die Nächsten, die Tiere, die Pflanzen und Gott plötzlich mit anderen Augen sehen. Sie schließen ihn, weil sie Jesus folgen. Im Bund mit der Herrin Armut spiegelt sich der Bund mit Gott.

Was hat das mit der Klimakrise zu tun?

Noch einmal kurz gesagt: Um die Klimakrise einzudämmen, bedarf es neben Effizienzsteigerung und konsistenten Abläufen auch des Weniger und Anders. Dazu muss die Vorstellung von dem, was normal ist, gewechselt werden. Das tun Menschen in westlichen Gesellschaften ständig. Wir tauschen ständig das gute Leben gegen das immer bessere. Was gestern noch Luxus war, ist heute normal: zum Frühstück die Frucht aus Übersee, Besitz eines Autos und zahlloser Haushaltsgeräte, vielfältige Kleidung, Flugreisen, Computer und Smartphone. Nötig ist, diesem Tausch eine andere Richtung zu geben. Nötig ist nicht, auf das Notwendige zu verzichten, wie Franziskus es tut. Es bedarf jedoch gesellschaftlicher Diskurse darüber, was notwendig ist, was normal sein soll – und was nur für normal gehalten wird, aber pervers ist, weil es allen den ökologischen Boden entzieht. Nötig sind Gruppen, die die Perspektive tauschen und kreativ vorleben, dass vermeintlich Bitteres süß sein kann: kein Auto, geteilte Küchen, Fahrradreisen von zuhause aus, politischer Einsatz gegen Parkplätze und Betonbauten, für Regionalisierung und handwerkliche Bildung, für Anbaumethoden, die CO2 binden …

Man braucht dafür Franziskus und Klara nicht. Es reicht die Einsicht, dass das Süße zu Bitterkeit führt, weil es auf Ausbeutung der Ärmsten und der Natur beruht. Aber beide können dazu inspirieren: Wir dürfen uns Franziskus und Klara als glückliche Menschen vorstellen.

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9783429065362
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