Читать книгу: «Wie schaffen das die Schwäne?», страница 3

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Patrick

Britt macht ihm eine Szene. Voll übertrieben. Dabei hat er sich doch nur etwas länger mit der Neuen unterhalten. Sie ist gerade erst in ihre Stufe gekommen. Und als Schulsprecher kümmert Patrick sich halt darum, dass sie direkt in den Tritt kommt. Schließlich stehen bald die Vorprüfungen fürs Abi an. Die Neue hätte also ebenso gut ein Neuer sein können. Patrick hätte sich bemüht, der Person den Einstieg zu erleichtern. Ist doch Ehrensache.

Aber Britt muss ja unbedingt etwas Anderes da reinlesen.

„Wie du sie angeguckt hast!“

„Wie habe ich sie denn angeguckt?“, fragt er gegen.

„Dir lief der Sabber runter. Voll der Abschleppwagen.“

„Ach, laber nicht! Das ist doch ekelhaft. Ich war ganz sachlich.“

„Sachlich, klar.“

„Wenn du das nicht aushältst, dass ich mit anderen spreche, dann hast du doch das Problem!“

Britt sagt jetzt gar nichts mehr. Sie wendet sich ab und geht.

Und Patrick lässt sie. Was kann er anderes tun?

Warum sind Frauen eigentlich immer so kompliziert? Das fragt er sich tatsächlich nicht zum ersten Mal. Seine Mutter ist auch voll kompliziert. Seine Schwester ist dafür megasüß. Aber sie hat ja auch noch nichts mit Jungs. Vielleicht wird sie dann ja auch so. Er kriegt nur mit, wie albern ein paar seiner Freunde sich verhalten, wenn Lena in der Nähe ist. Anderen verschlägt ihr Anblick allerdings auch die Sprache. Sie sieht auch echt voll süß aus. Das sieht er selbst als Bruder. Aber wie gesagt, zum Glück interessiert sie sich noch nicht für Jungs. Und kompliziert findet er sie auch nicht. Sie ist halt ein bisschen ängstlich, wegen der Sache, die da gerade zwischen Mam und Paps abgeht. Das ist auch echt schräg. Aber was können sie schon machen? Mam ist eh etwas bescheuert. Woran die sich aufhängt und was die oft für Stress macht, wegen nichts und weniger als nichts. Aber bald ist er volljährig und dann will er studieren, so weit weg von zu Hause wie nur irgendwie möglich. Paps ist ja ganz in Ordnung, aber den Knall hat er auch nicht gehört, was Erderwärmung und so betrifft. Die denken echt, es geht immer so weiter, ohne dass sie was ändern müssen. Haben die fetten Jahre erlebt und meinen, dass würde niemals aufhören. Dabei hat selbst Paps mitgekriegt, dass kaum noch Insekten an seiner Windschutzscheibe kleben. „Ich muss meinen BMW viel seltener putzen als früher“, hat er letztens noch gesagt. Aber daraus schließt er nicht, dass er die Kiste mal häufiger stehen lassen sollte. Und von seinen Kindern lässt er sich natürlich auch nichts sagen.

Patrick seufzt.

Eigentlich sind nicht nur die Frauen in seinem Leben kompliziert.

Alle Menschen um ihn herum sind es gerade.

Obwohl die Neue eigentlich ganz vernünftig wirkt.

Anouk heißt sie. Ihre Mutter ist Französin. Und ein großer Fan von Anouk Aimée. Die kennt Patrick nicht.

„Eine tolle französische Schauspielerin hat Anouk ihm erzählt.

Daher hat sie ihren Namen.

„In den Sechziger Jahren hat Anouk Aimee in Un Homme et une Femme, also Ein Mann und eine Frau mitgespielt. Die weibliche Hauptrolle. Sehr schön und sehr melancholisch, in Schwarz-Weiß.“

Wie sie den französischen Titel ausspricht und dass sie das Wort melancholisch benutzt, findet Patrick so abgefahren wie scharf.

Dann hat sie auch noch die Titelmelodie gesummt: „da da da da ba da ba da da ba da ba da da da da da ba da ba da da ba da ba da da da da da ba da ba da ...“

Und wahrscheinlich hat Britt Recht.

Während sie so geredet und gesungen hat, konnte Patrick den Blick nicht von ihren Lippen losreißen.

Anouk hat den perfekten herzförmigen Mund.

Krass süß!

Hannah und Lena

„Ist mir doch egal, ob wir jetzt schwimmen oder klettern gehen oder nicht. Ich freue mich auf Bayreuth und die Zeit mit den anderen Mädels und Jungs“, sagt Lena zu Hannah.

Und dann wird die Klassenlehrerin eine Woche vor dem Schulausflug krank und der Geschichtslehrer springt ein.

Er schreibt an die Eltern, dass es ein tolles Freibad neben der Jugendherberge gibt und einen Kletterwald ganz in der Nähe. Da wolle man unbedingt hin. Nichts liegt in seinen Augen näher, als diese tollen Möglichkeiten auch zu nutzen. Die Eltern mögen doch bitte unterschreiben, dass sie einverstanden sind, dass er mit den Kids schwimmen und klettern gehen wird.

Natürlich sind Hannah und Philipp einverstanden.

Aber Hannah findet nicht gut, dass die Kinder im Bus nach Bayreuth fahren werden. Sie schlägt der Schulleitung vor, die Polizei zu benachrichtigen, damit die Beamten den Bus vor der Abfahrt inspizieren. Es passieren ja immer wieder schlimme Unfälle. Gerade auch auf Klassenfahrten. Weil der Bus nicht verkehrstauglich ist oder der Busfahrer seine fünfzehn Stunden Arbeitszeit überzogen hat und einschläft. Das kennt man ja aus den Nachrichten.

Die Schulleitung findet die Idee sehr gut und bittet Hannah den Anruf bei der Polizei zu übernehmen. Schließlich hat der Direktor ja noch andere Dinge zu tun.

Hannah nimmt diese Aussage nicht persönlich. Sie findet gut, dass sie die Polizei anrufen soll. Dann weiß sie wenigstens, dass es auch geschieht. Obwohl ihr Vater, als er noch Schuldirektor war das sicher selbst in die Hand genommen hätte. Aber heute ist ja jeder mit seinem Job überfordert. Manchmal glaubt Hannah, keiner lernt mehr zu arbeiten. Fleiß ist altmodisch und wurde längst von Ehrgeiz abgelöst, der einen aber ohne großes Zutun möglichst weit bringen soll. Ihr Vater hat sie als Kind immer sehr unter Druck gesetzt mit seiner Disziplin und seinen völlig überhöhten Erwartungen. Mittlerweile mischt sich Bewunderung in ihre Erinnerungen.

Und lächelnd denkt Hannah jetzt an ihren neuen Chef, der schon fast neunzig Jahre alt ist, seinen Familienbetrieb aber nicht so recht aus den Händen geben kann, wenn sein Sohn auch schon lange mit in der Firma ist und selbst fast das Rentenalter erreicht hat.

Kürzlich hat er sie gefragt – „Können Sie noch Schreibmaschine?“.

„Ja, kann ich“, hat Hannah geantwortet. „Ich habe als Übersetzerin gearbeitet, bevor ich geheiratet habe. Da habe ich sehr schnell auf meiner Gabriele vor mich hin getippt.“

Ihr Chef hat sich gefreut und genickt.

Manchmal schickt er Hannah jetzt Bänder, die sie abtippen muss. Ganz schön altmodisch. Aber Hannah tut diese Entschleunigung gut. Sie guckt nicht gerne ständig auf leuchtende Bildschirme. Das bekommt den Augen nicht. Sie ist ihrem Chef für diese Rückkehr zu alten Medien regelrecht dankbar.

Am Morgen der Abfahrt nach Bayreuth ist Hannah die einzige Mutter vor der Schule. Die anderen Mütter haben ihre Kinder mit ihren Rucksäcken nur abgesetzt und sind dann wieder ab gedüst.

Hannah aber hat eine Mission. „Mama, du bist echt peinlich“, sagt Lena. „Immer machst du dir Sorgen.“ Sie umranken Lena wie Efeu und beengen sie, das merkt sie, kann es aber nicht so recht in Worte fassen.

„Alle einsteigen, gleich geht’s los!“, ruft Lenas Mathelehrer. „Herrgott, was sind denn das alles für Busse?“, fragt Hannah rhetorisch. Sieben weitere Busse warten ebenfalls auf ihre kostbare Fracht. Die Polizei ist auch schon da. Aber statt den Bus für Lenas Klasse, der zehn d zu inspizieren, haben sich die Beamten den Bus der acht d vorgenommen.

„Guten Tag“, sagt Hannah zu einem der Beamten, der gerade wieder ins Auto steigen will, „Das ist der falsche Bus.“ Verständnislos schaut der Mann sie an. „Ich hatte sie angerufen, aber für diesen Bus.“ stellt Hannah richtig und zeigt auf den Reisebus, der für Lenas Klasse parat steht.

Das wäre ja noch mal schöner. Von den anderen Eltern hat sich schließlich niemand gekümmert. Ihnen scheint es egal zu sein, in welcher Zeitbombe ihre Sprösslinge durch die Weltgeschichte fahren.

Unterm Strich ist mit dem Bus der zehn d jedenfalls alles in bester Ordnung wird Hannah wenig später versichert.

Auch der Fahrer macht einen ausgeschlafenen Eindruck. Er grinst Hannah an und sagt:

„Für Busfahrten sind Helikoptermütter doch total überqualifiziert.“

Hannah schüttelt das ab, wie ein nasser Hund. Aber so richtig spurlos geht der Spruch nicht an ihr vorbei.

Philipp

„Wir haben kein Mehl mehr! Gehst du mal kurz runter zur Nachbarin im Parterre rechts und fragst, ob sie welches hat“, sagt Hannah zu Philipp. „Ich will Pfannkuchen machen.“

Eines von Gilas Rezepten, die Hannah aus dem Effeff beherrscht. Ihre Mutter hat es ihr früh beigebracht und es hat Hannah schon durch die Studentenzeit gebracht.

Die Nachbarin ist schon viele Jahre Witwe. Hannah erwähnt sie in letzter Zeit häufiger. Sie schwärmt regelrecht von ihr. „Sie ist immer so freundlich, dabei hat sie schon so viel durchgemacht. Sie hat ihre Tochter fast allein großgezogen, weil ihr Mann so früh gestorben ist. Und sie ist noch so attraktiv, dabei ist sie schon über fünfzig.“

Philipp nervt dieser Botengang, aber er läuft gehorsam nach unten, klingelt und wartet.

Eine ganze Weile tut sich nichts und er will gerade wieder gehen, da öffnet sich die Tür.

Im Rahmen steht die schönste Frau, die er je gesehen hat und es verschlägt ihm die Sprache. Es ist, als würde es heller im Flur. Was natürlich auch daran liegen mag, dass Licht aus der Wohnung der Witwe ins Treppenhaus scheint. Aber das sieht Philipp nicht. Auch sämtliche Geräusche sind ausgeblendet, als wären seine Ohren mit Ohropax verstopft.

Das kann doch unmöglich die Nachbarin sein, denkt Philipp. Diese Frau ist höchstens Anfang dreißig. Philipp starrt sie an. Und ist sich dabei selbst ein bisschen peinlich.

Aber sie scheint das nicht zu bemerken, denn sie lächelt erfreut und sagt „Guten Abend, Herr Schwarz. Sie wollen sicher zu meiner Mutter. Die ist im Kino. Ich wohne gerade für ein paar Wochen hier. Ich wechsele meine Stelle und habe meine Wohnung schon aufgegeben.“ Es sprudelt alles wie selbstverständlich von diesen kirschroten, saftigen Lippen und Philipp kann kaum den Sinn ihrer Worte verstehen, so gebannt ist er von der Ausstrahlung der jungen Frau.

Ach ja, klar, die Nachbarin hat eine Tochter, aber hat er sie jemals gesehen? Sie kennt ihn offensichtlich. Aber kennt er sie? Er müsste sich doch erinnern.

Dann fällt ihm das Mehl wieder ein. Er räuspert sich und sagt mit rauer fremder Stimme „Haben Sie wohl etwas Mehl für uns. Wir haben keins mehr.“

„Bestimmt“, sie lacht. „Ich schaue gleich mal nach. Wollen Sie kurz hereinkommen?“

Philipp stellt sich gehorsam und verlegen in den Flur.

Er lässt den Blick wandern.

Raufaser Tapete.

Naturfarbener Sisalteppich.

Große weiße Deckenlampe. Schwedisches Design, tippt er. Auf einer dunkelroten Kommode stehen Bilderrahmen mit Schnappschüssen. Ein unscheinbares Mädchen mit Brille schaut ihn aus den meisten Fotos an. Es hat entfernte Ähnlichkeit mit der jungen Frau, die ihn gerade hereingebeten hat.

Und dann erinnert er sich.

Du meine Güte! Sie hat seine Kinder babygesittet. Als junges Ding, sie war damals kaum älter als Patrick jetzt. Eine kleine blasse Brillenschlange. Wie hieß sie doch gleich?

Da steht sie plötzlich wieder leibhaftig vor ihm und hält ihm das Mehl entgegen. Sie lächelt ihn voller Wärme an. Sie hat sehr gerade weiße Zähne. Ihre Augen, anders als auf den Bildern jetzt ohne Brille, leuchten.

„Sie haben mich nicht wiedererkannt, oder?“ Sie schaut verschmitzt.

„Ehrlich gesagt, nein“, sagt Philipp.

„Ich werte das jetzt einfach mal als Kompliment“, sagt die junge Frau und lacht.

Er lacht auch und wieder klingt es rau und fremd in seinen Ohren.

„Dann gutes Gelingen für die Pfannkuchen und viele Grüße an die Kinder und an Ihre Frau“, sagt sie noch. Und fügt hinzu „Von Chiara, falls sie meinen Namen auch vergessen haben.“ Sie lacht.

Da steht er mit dem Mehl schon wieder vor der Tür, fühlt sich wie sechzehn Jahre alt, höchstens und total albern.

„Vielen Dank“, sagt er. „Und schöne Grüße an Ihre Mutter.“

Die Tür schließt sich hinter ihm. Kurz bleibt er stehen, vor der geschlossenen Tür. Dann steigt er die Treppe hoch zur Wohnung.

Und er ist verwirrt, sehr verwirrt.

Hannah

Hannahs Herz schlägt bis zum Hals.

Sie dreht sich immer wieder nach allen Seiten um.

Aber keiner guckt. Niemand scheint sie überhaupt zu bemerken.

Sie greift nach einer Mannerwaffel und steckt sie in die große Tasche ihres weiten roten Rocks.

Dann schlendert sie betont langsam zur Kühltheke und legt wie in Zeitlupe Butter, Käse und Milch in den Einkaufswagen. Sie schiebt den Wagen durch fast alle Gänge. Dabei lässt sie sich viel mehr Zeit als nötig. Sie studiert förmlich die Etiketten von Olivenöl, Pasta und Knäckebrot – dreht und wendet die Packungen. Die Nudeln und das Olivenöl legt sie in den Einkaufswagen, das Knäckebrot zurück ins Regal.

Das dauert eine ganze Weile.

Hannah will sich ausliefern. Sollen sie doch mitkriegen, was sie da tut. Das steigert die Aufregung in ihren Eingeweiden. Endlich fühlt sie mal wieder etwas. Der Schweiß steht ihr auf der Stirn. Durch ihr Inneres vibriert ein Zittern. Sie erwartet sekündlich, dass ein Verkäufer oder eine Verkäuferin sie anspricht oder auf die Schulter tippt.

Doch nichts geschieht.

Schließlich stellt sich Hannah in die längste Kassenschlange. Sie legt ihre Einkäufe aufs Band. Eins nach dem anderen. Ganz in Ruhe. Sie lächelt die Kassiererin freundlich an und sagt „Guten Abend“.

Nachdem sie bezahlt hat, sagt sie wieder mit einem Lächeln „Auf Wiedersehen!“. Wie einfach es ist so zu tun, als wenn nichts wäre, denkt sie. Sie freut sich. Hält sich plötzlich für eine gute Schauspielerin.

Mit der vollen Tasche geht sie zur Bahnhaltestelle.

Sie muss nicht lange warten, die Bahn kommt beinahe sofort.

Hannah steigt ein. Wieder hämmert das Herz gegen ihren Brustkorb.

Sie hat kein Ticket entwertet und eh keins gekauft. Sie fährt schwarz.

In der Bahn holt sie die Mannerwaffel aus ihrer Rocktasche. Sie löst den Verschluss und bricht die ersten beiden Waffeln ab. Sie beißt in eine hinein. Sie ist knusprig und nussig und schmeckt ihr so gut, wie noch nie.

Es ist ein gutes Gefühl über die eigenen Grenzen zu gehen, sich zu spüren.

Bevor der Kontrolleur kommt, muss Hannah schon wieder aussteigen.

Hannah geht jeden Schritt ganz bewusst. Sie empfindet ihren ganzen Körper dabei intensiv, während sie das letzte Stück nach Hause läuft. Sie ist dabei immer noch total aufgeregt, als schaute sie einen spannenden Film. Nur dass sie in diesem Film die Hauptrolle spielt. Sie bestimmt die Action.

Verdammt, wann hat sie sich das letzte Mal so lebendig gefühlt?

Sie kann sich nicht erinnern.

Patrick

Britt hat ihm ein unwiderstehliches Angebot gemacht.

„Lass uns übers Wochenende nach Arnheim fahren. Ein Friedenspfeifchen rauchen“, hat sie gesagt.

Dazu kann er nicht nein sagen.

Auch wenn Anouk in ihm herumspukt. Er hat sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Sie sind sich noch nicht mal zufällig über den Weg gelaufen. Auch nicht in der Schule. Sie haben nicht die gleichen Kurse.

Aber solange Britt nicht stresst, ist sie ja auch megasüß. Mit diesem Angebot jedenfalls ist sie nicht zu toppen.

„Das geht klar!“ sagt er. „Ich muss nicht mal auf Lena aufpassen. Die ist in Bayreuth auf Klassenfahrt. Dann haben unsere bekloppten Eltern eben mal sturmfreie Bude.“

Britt gibt ihm einen Kuss auf den Mund. „Ich mach das Auto klar“, sagt sie dann.

Britt hat ihren Führerschein letztes Jahr in den USA gemacht. Dort hat sie ein Auslandsjahr verbracht. Überhaupt kriegt Britt alles, was sie will. Ihre Mutter arbeitet nicht und ist von morgens bis abends für sie da. Kein Wunder ist Britt manchmal etwas fordernd. Aber das ist jetzt mal nebensächlich. Er freut sich auf die Zeit mit ihr.

Da geht was, er ist sich ganz sicher. Also gibt er ihr, was sie will.

Hannah

Hannah zieht das geblümte Seidenkleid über ihren Kopf. Das, in dem ihre beste Freundin Astrid sie besonders weiblich findet. Ein Blick in den Spiegel bestätigt ihr das. Der zarte Stoff schmiegt sich um ihre Taille und bringt den Ansatz ihres wohlgeformten Busens, der durch den BH hochgedrückt wird, gut zur Geltung.

Hannah lässt ihr Parfum von oben wie eine Dusche über ihre Haare und in ihren Ausschnitt rieseln.

Philipp hat sie gesagt, dass sie ausgeht, aber nicht mit wem. Sie will ihn nicht quälen, doch es wird Zeit, alte Geschichten aufzuwärmen und etwas für ihr Ego zu tun.

Sie weiß noch ganz genau, was sie damals an Oliver hatte. Sie weiß, was sie damals an ihm vermisste. Aber da sie gegenwärtig so ziemlich alles vermisst, mag Oliver genau der Richtige sein, dieses Defizit zu füllen.

Sie sind in einem Biergarten verabredet.

Bei Tageslicht sind Makel nicht zu übersehen und sie läuft nicht so leicht Gefahr in eine Falle zu tappen, aus der sie sich anschließend reumütig befreien muss.

Die meisten der schmalen gelben Bierbänke an den schmalen gelben Biertischen sind leer.

Jetzt am Nachmittag ist noch nicht viel los.

Sie sieht ihn sofort.

Er sitzt allein auf einer Bank. Er wirkt kleiner als früher. Er scheint versunken, in sich, vielleicht nervös.

Jetzt sieht er auf. Ihr Herz hüpft kurz ein paar Etagen höher kommt dann aber wieder an seiner gewohnten Stelle zu liegen und findet in seinen normalen Rhythmus zurück.

Hannah winkt.

Albern, denkt sie im nächsten Moment – wie ein kleines Mädchen. Sie senkt die Hand abrupt.

Oliver steht auf und sie drückt ihm Küsse auf jede Wange. Sie wäre ihm auch um den Hals gefallen, aber er scheint sich zu sträuben. Das spürt sie so. Und weicht zurück.

„Hallo“, sagt sie, nach den Wangenküssen.

„Hallo“, antwortet Oliver.

Er riecht genau wie früher. Etwas herb und nach Waschmittel. Eine unwiderstehliche Mischung, findet sie immer noch.

Sie holt Apfelschorle für sich und für ihn auch, weil seine schon fast leer ist.

Oliver ist zu Besuch bei seinen Eltern. Eigentlich lebt er längst in einer anderen Stadt. Hannah und er haben sich seit sechs Jahren nicht mehr gesehen.

Das letzte Mal waren sie und Philipp noch ein Paar. Und es war ein Paar-Treffen gewesen. Denn Oliver war damals auch noch mit seiner Frau zusammen.

Er ist mittlerweile geschieden.

„So schnell kann’s gehen“, sagt er und guckt wie ein Hund.

Sie nickt.

Sie sitzen sich jetzt still gegenüber und Oliver schaut sie forschend an.

Ob er findet, dass sie gealtert ist? Ob er sie noch hübsch findet?

„Wie geht es dir?“, fragt Oliver und Hannah antwortet „Gut“. Obwohl sie in diesem Moment nicht mehr so sicher ist, dass es stimmt.

Sie fragt ihn, wie es ihm geht und er sagt „Auch gut“.

„Schade ist das natürlich immer, wenn eine Beziehung in die Brüche geht“, setzt er hinzu. „Keine Ahnung, wie die Schwäne das schaffen.“ Er lacht.

Hannah lacht auch. „Man sollte sie mal fragen!“

„Ja“, er lacht wieder. „Eine lustige Vorstellung. Eine Art Schwanentherapie.“

Hannah stellt sich das vor. Sie kichert.

„Für mich ist das mit der Trennung nicht schlimm“, sagt Oliver. Meine Ex sieht das anscheinend genauso. Die Kinder haben zuerst schon gelitten.“

Hannah nickt: „Am Ende leiden immer nur die Kinder darunter“, sagt sie. Und weiß, dass es nicht stimmt. Das sagt sie aber Oliver nicht. Sie fürchtet, sonst irgendwie bedürftig zu wirken und ihn dadurch abzuschrecken. Denn sie will ihn unbedingt küssen. Unbedingt. Das Küssen fehlt ihr noch viel mehr, als das Fummeln oder richtiger Sex.

Neben dem Küssen fehlt ihr außerdem dieses aufgeregte Kribbeln, das vom Verliebt-sein kommt.

Sie seufzt, nicht nur innerlich und Oliver fragt noch einmal, „Wie geht es dir?“

Sie sagt noch einmal „Gut“.

Er lächelt. Sein Lächeln ist echt schön. Noch immer. Es berührt sie. Noch immer.

Was wohl aus ihnen geworden wäre, wenn sie sich nicht getrennt hätten? Sie wagt nicht, die Frage laut auszusprechen.

Sie lächelt ebenfalls.

Sie hofft, dass er ihr Lächeln auch schön findet.

Früher fand er es schön.

Sie hat sich damals von ihm getrennt. Es war ihr zu ernst geworden zwischen ihnen. Er wollte schnell mit ihr zusammenziehen und ein Nest bauen. Da waren sie gerade mal vierundzwanzig Jahre alt gewesen und noch im Studium.

Sie brauchte noch einmal zwei Jahre. Dann hat sie es mit Philipp gewagt. Da gab es aber auch gar kein Vertun.

Philipp hat sie umgehauen.

Brutal.

Hundertprozentig zum Niederknien attraktiv, Rhetoriker, Querdenker, Seelenverwandter, Honigsüßküsser, konservative Werte wie sie.

Es war innerhalb eines halben Jahres alles total klar gewesen zwischen ihnen. Und sie war innerhalb von einem weiteren halben Jahr schwanger gewesen. Ungeplant, aber total gewollt. Sie haben geheiratet und leben glücklich bis an das Ende ihres ... ihrer Liebe.

Plötzlich liegt Olivers Hand auf ihrer.

„Wollen wir gehen?“, fragt er.

Sie nickt. Kann gar nicht anders. Etwas wie ein Schwächeanfall durchschwappt sie. Sie fühlt sich nicht ganz sicher auf den Beinen. Aber sie geht trotzdem immer weiter. Hinter Oliver her.

Sie steigen in die Tram ein und Oliver stempelt für sie beide ab. Er lächelt sie an.

Ist da Zärtlichkeit in seinem Blick? Sie weiß es nicht. Irgendetwas ist da jedenfalls, dass jede Membran ihres Körpers durchdringt bis in ihre Magenwände. Wieder werden ihre Beine weich.

Irgendwie schafft sie es trotzdem mit Oliver die Tram zu verlassen und plötzlich stehen sie an der Rezeption eines Hotels.

Dann vor einer Zimmertür mit der Nummer 212.

Dahinter herrscht sterile Ordnung und mitten drin steht ein breites Bett. Seufzend lassen sie sich darauf fallen.

Sie hat diese Art, ihren Morgenmantel zu tragen, die Oliver immer in den Wahnsinn getrieben hat, so hat er es mal gegen ihren Hals gestöhnt.

Sie trug ihn immer morgens im Bett beim ersten grünen Tee.

Diese Tasse grüner Tee war ihr Morgenritual.

Die rechte Hälfte klaffte auf und heraus blitzte ihre rechte Brust. Weiß. Ihre Brustwarze stand aufrecht, wie eine bräunliche Stupsnase. Keck. Provokant. So beschrieb er es einmal.

„Deine Brüste haben noch immer dieselbe Form“, sagt Oliver jetzt und schaut offensichtlich verzückt. „Schon als du ein junges Mädchen warst, hatten sie diese Form.“

Ihre Brüste waren klein, rund und fest. Apfel nannte sich diese Form, das hatte er einmal gelesen, hat er ihr damals gesagt.

Während er sich jetzt an sie schmiegt, spürt Hannah, wie auch die Wirkung sich keinen Deut verändert hat.

Seine Hand ist ganz warm. Besitzergreifend legt sie sich auf Hannahs rechte Brust. Greift zu. Suchend. Findend. Gleichzeitig küsst er sie auf den Mund. Mit warmen Lippen und gieriger Zunge.

Hannah versinkt in einem dunklen Ozean von geistiger Diesigkeit und schwappenden Wellen der Lust.

Als sie daraus auftaucht, fühlt sie sich so leicht, wie damals an den Sonntagnachmittagen mit Gene Kelly oder Fred Astaire. Sie hat Shirley Temple sein wollen später dann Ginger Rogers.

Steppen lernte sie nach der Schule – im Nachmittagskurs.

Am glücklichsten war sie immer in Bewegung.

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190 стр. 1 иллюстрация
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9783752934922
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