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Ich war mit meinen drei Meilen fast fertig, als ich bemerkte, dass der Bahntrainer der Männer, Aubrey Moon, nach draußen gekommen war und irgendwie einsam in seinem tropfenden Regenanzug am Rand der Bahn stand. Er hielt Stoppuhren in jeder Hand, deren Bändsel zwischen seinen Fingern baumelten. Aber es gab keine Läufer auf der Bahn, deren Zeit er nehmen könnte. Nach meiner letzten Runde rief er mich zu sich.

»Kannst du eine Meile laufen?« fragte er mich.

Leicht indigniert sagte ich: »Ich kann drei Meilen laufen.«

»Das ist gut. Denn ich habe in dieser Saison nur sechzehn Jungen auf der Bahn, und zwei davon sind 2-Meilen-Läufer, Mike Lannon und Jim Tiffany. Wenn du für uns eine Meile läufst, können wir noch mehr Punkte bekommen. Du musst nur ankommen. Mehr nicht.«

Er hätte auch seinen Cockerspaniel gebeten, wenn er ihn dazu hätte bringen können, vier Runden lang auf der Innenseite der Bahn zu laufen, nur um seine Punkte zu kriegen, aber es freute mich trotzdem, dass ich ihm und dem Team aus der Patsche helfen sollte. Es war keine große Sache. In Lynchburg wurde dem Bahnlauf sowieso keine große Aufmerksamkeit geschenkt.

»Sicher, Trainer, stellen Sie mich auf«, sagte ich lachend. Diesen klassischen Kinospruch wollte ich schon immer mal sagen können.

Lynchburg College war Mitglied in zwei Athletic Conferences (Sportligen). Die eine, Mason-Dixon Conference, verbot die Teilnahme von Frauen in männlichen Teams, die andere, die Dixie Conference, ließ sie zu. Die kommenden drei Wettkämpfe waren mit drei Colleges angesetzt, die Mitglieder der Dixie Conference waren. An diesen Rennen konnte ich also teilnehmen.

Am selben Abend noch rief ich meinen Freund Mike Lannon an und bat ihn um Rat. Denn noch nie war ich eine Meile unter Wettkampfbedingungen gelaufen. Ich glaube, Mike war der einzige Student, der als Läufer in Lynchburg so etwas wie ein Stipendium hatte. Er war ein sehr guter Läufer und wohnte im oberen Stockwerk der alten Turnhalle, was wahrscheinlich eine Art Gegenleistung in Form von Unterkunft war. Mike holte sich ein Stück Papier und sagte, seiner Meinung nach könne ich die Meile in sechs Minuten laufen, was bedeutete, eine Runde in neunzig Sekunden zu schaffen. Wichtig wäre, die erste Runde nicht schneller als neunzig Sekunden zu laufen, sonst würde mir die Luft ausgehen. Mike war sehr lebhaft, er machte mir Mut, ohne mich zu bevormunden. Wie sich beim Training in den kommenden Tagen zeigte, blinzelte mir kein Junge zu oder grinste vieldeutig. Das waren offensichtlich nicht die Kerle, die mir aus den Wohnheimfenstern hinterhergebrüllt hatten. Ich fühlte mich wohl.

Ein paar Tage später forderte Coach Moon auch Marty auf, am Wettkampf teilzunehmen. Sie sollte die 880 Yards laufen. Gott sei Dank musste ich das nicht! Da es keine Wettkampfhemden für uns gab, gingen wir in ein Sportgeschäft und kauften uns rot-weiße Oberteile, die einigermaßen zum Rot der Lynchburg College Hornets passten.

Es ist mir peinlich, das zuzugeben, aber in der Zeit war ich auch Teilnehmerin des Schönheitswettbewerbs Miss Lynchburg. Ich fand, dass alle Schönheitswettbewerbe nur dumm waren und sagte das auch eines Abends während des Essens zu meinen Freundinnen. Unter ihnen war auch meine Mitbewohnerin, Hockeymitspielerin und beste Freundin Ronette ­Taylor, die meine radikalen Ansichten über Frauenrechte teilte. Meine Freundinnen buhten mich aus, die Schönheitswettbewerbe hätten sich geändert, sie würden heutzutage Interviews beinhalten und die Beurteilung von Talent, außerdem könnte man Stipendien gewinnen, Reisen, schöne Kleider und ein paar Wochen lang ein nagelneues Auto fahren. Als wir wieder in unserem Zimmer waren, meinte Ronnie, ich wäre verrückt, mich nicht zu bewerben, ich hätte ebenso gute Chancen wie die anderen. Ich schätzte ­Ronnies Urteilsvermögen, und schließlich hatte ich diese Abendkleider! Also nahm ich am Wettbewerb teil.

Schönheitswettbewerb und Laufwettbewerb sollten am selben Tag stattfinden. Nach dem Lauf am Nachmittag würde ich duschen, mich umziehen und bereit sein für den Schönheitswettbewerb. Das hatte ich schon unzählige Male in der Highschool im College gemacht: Ich hatte Hockey gespielt oder Basketball, mich dann umgezogen und war dann »glamourös« zum Tanzen gegangen. Für mich war das nicht weiter ungewöhnlich. Die Medien, meine Mitschülerinnen und die Öffentlichkeit sahen das anders.

Es fing ganz harmlos an, als ein freundlicher Typ vom Pressebüro des Colleges beim Lauftraining erschien und ein paar Fotos von mir machte. Er schickte sie an die Lokalzeitungen von Lynchburg, die die Termine für die bevorstehenden Ereignisse veröffentlichen sollten. Plötzlich wurde daraus ein großes lokales Ereignis. Ein Mädchen würde im Team der Jungen mitlaufen, und zwar eine ganze Meile! Als ob das Laufen einer Meile gleichbedeutend wäre mit der Besteigung des Mount Everest. Sogar mein Wunsch, Mädchen sollte der 3-Meilen-Lauf erlaubt sein, wurde in einer Zeitung ­zitiert. Die Drähte im Campus glühten. Manche fanden den Vorschlag gut und bewunderten meinen Mut, andere flüsterten düster, dass das Laufen einer Meile gefährlich sei und mich in einen Mann verwandeln könne (schlimmer noch, in eine Lesbierin!). Die Typen, die mir so anzüglich hinterhergeschrien hatten, lästerten, ich würde mit den Läufern schlafen, warum sonst wäre ich in Shorts mit ihnen auf der Bahn? Ich war am meisten unter Beschuss, weil die Geschichte über mein Laufen zuerst kam, aber Marty bekam auch ihren Teil ab. Meine engsten Freundinnen aus meinem Jahrgang und auch noch fünf Mädchen aus meinem Wohnheim, außerdem Mr. Barrett, Wilma ­Washburn, eine Lehrerin, sowie Robert traten lautstark für mich ein, und so konzentrierte ich mich auf sie und blendete den Rest aus.

Als die Zeitungen von den Veranstaltern des Schönheitswettbewerbs erfuhren, dass ich unter den Finalistinnen war, ging die Meldung an die Tageszeitung Richmond Dispatch und an die Nachrichtenagenturen. Am nächsten Tag stand sie in allen Zeitungen. Mein Dad las morgens beim Frühstück die Washington Post, aus der ihn mein Foto ansprang. Ich hatte meine Eltern nicht angerufen, um sie nicht damit zu belästigen.

Der erste Lauf war am Donnerstag, der zweite am darauffolgenden Sonnabend, und als Marty und ich am Start standen, waren wir doch sehr unvorbereitet auf die Menschenmassen. Anscheinend waren alle Studenten gekommen, mehr als zum Fußball! Die armseligen Tribünen waren rappelvoll, und die Zuschauer standen reihenweise an der Mauer auf dem Hügel. An der Start- und Ziellinie sowie an den Kurven der Bahn standen viele Kameras auf Stativen. Irgendwo waren auch meine Eltern, die beschlossen hatten, lieber gleich selbst mit dem Auto aus Washington zu kommen, um mit eigenen Augen zu sehen, was da los war.

Ich hatte dem Trainer eine Zusage gegeben, und jetzt hatten wir hier die Reporter von sonstwoher, sogar von der New York Times und der Herald ­Tribune, dazu von etlichen Fernsehsendern. Und ich war noch nie zuvor eine Meile auf Zeit gelaufen! Tatsächlich wurde von mir auch nur erwartet, ­irgendwie anzukommen, und hier waren nun diese Menschenmengen und erwarteten – was? Dass ich gewann? Dass ich zusammenbrach?

Mike Lannon hatte frappierend genau gerechnet. Ich lief so schnell, wie er gesagt hatte, und war nach fünf Minuten und achtundfünfzig Sekunden im Ziel. Ich war wie erwartet die Letzte, aber ich holte die Punkte. Dann lief Marty die 880 Yards, und besiegte einen Jungen vom Frederick College im Zielsprint! Das war fantastisch, denn die Menge sah plötzlich, dass wir Mädchen nicht nur einfach ein bisschen Joggen konnten – Mädchen konnten laufen! Wir waren begeistert, dem Team geholfen zu haben, und wussten nicht, dass wir Geschichte schrieben. Die Zeitung Lynchburg News berichtete, unser College in Virginia sei mit zwei Läuferinnen im Männerlaufteam »eine der wenigen Einrichtungen des Landes, wo Mädchen und Jungen unter denselben Voraussetzungen an Wettkämpfen teilnehmen«. Es war aber nicht das erste Mal, dass ein Mädchen, den Regeln der Dixie Conference entsprechend, an einem Wettkampf teilnahm. 1964 hatte das Charleston College bereits eine Sprinterin in einem kleinen Team aufgestellt.


23. April 1966: Keiner von uns im College in Lynchburg war auf das Interesse der Medien vorbereitet, als durchsickerte, dass Mädchen in einer Jungenmannschaft antreten würden. Berichterstatter des NBC-Fernsehens und der MGM-­Wochenschau standen am Ziel.

Beim Schönheitswettbewerb am Sonnabend nach dem Lauf musste ich meine geschwollenen Füße in hochhackige Schuhe zwängen und stundenlang darin herumstehen. Das war der Todesstoß für meine Zehennägel, die ich schon in zu kleine Spikes gezwängt hatte, die ich bei den Läufen trug. Später wurden die Nägel schwarz und fielen ab. Ich dachte, ich hätte so etwas Ähnliches wie Wundbrand. Das war der Beginn ständiger Fußprobleme in den nächsten zehn Jahren.

Als »Talent« für den Schönheitswettbewerb hatte ich das Akkordeonspiel gewählt. In den Zeitungen hieß es: »Nachdem Kathy Switzer ihre Füße auf der Bahn malträtiert hatte, malträtierte sie das Akkordeon beim Schönheitswettbewerb.« Ich spielte pflichtschuldig »Lady of Spain« oder eine ähnliche für das Akkordeon geeignete Melodie, was, wie man sich vorstellen kann, niemanden interessierte, zumal ich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck musizierte. Ich gewann den Titel »Miss Lynchburg« nicht und habe nie wieder Akkordeon gespielt.

Der Trubel ging weiter – von überallher kamen Briefe. Fanpost von meinen früheren Schulkameraden, von Verwandten, Marines von Quantico wollten sich mit mir verabreden, GIs aus Vietnam wollten mir schreiben, und ein Fleischer aus Alabama machte mir unumwunden einen Heiratsantrag. Ich verteilte die Briefe päckchenweise an meine Mitbewohnerinnen, und wir ergötzten uns daran. Außerdem gab es noch die Hasspost, meistens von Menschen, die vorgaben, gläubig zu sein, und die mich da­rüber informierten, dass ich in der Hölle schmoren würde. Diese Briefe warf ich weg. Das Ganze war eine Lektion in Sachen Polarisierung und unterschiedlicher Wahrnehmung, ob es nun um die unterschiedlichen Meinungen auf dem Campus ging oder um die in den Briefen. Neutral schien niemand zu sein.

Es war auch eine interessante Lektion in Journalismus und bestärkte mich in dem Wunsch, Reporterin zu werden. Ich war jetzt die Sportreporterin des Critograph und musste unter anderem einen Artikel über Martys und meine Teilnahme an den Wettkämpfen schreiben. Das war, soweit mir bekannt ist, der einzige objektive Bericht über unsere Leistung. Gleichzeitig musste ich über andere Ereignisse schreiben, nicht zuletzt über Robert und seinen Freund Jim Tiffany, die am Boston Marathon teilgenommen hatten. Niemand hatte bemerkt, dass sie dafür trainierten, selbst ich nicht. Als sie zurückkamen, interviewte ich Robert und erfuhr, dass ein Marathon 26 Meilen und 385 Yards (42,195 Kilometer) lang ist und dass Jim nach 3:45 Stunden ins Ziel gelaufen war. Nachdem ich mich immer beschwert hatte, dass alle meine Strecken zu kurz wären, gab es hier einen Lauf namens Marathon, meiner Meinung nach das interessanteste Ereignis der ganzen Welt. Ich war fasziniert und hatte den Wunsch, es selbst zu versuchen. Ich fragte, ob auch Frauen mitliefen, und Robert sagte: »Eine«, und dass sie um die 3:20 Stunden gerannt sei. Ich konnte es mir nicht verkneifen und sagte: »Du hast dich von einer Frau schlagen lassen?«

Außerdem bewarb ich mich als Transfer-Studentin an der Syracuse University, weil ich zusätzlich zum Hauptfach Englisch auch Kunst, Naturwissenschaften und Publizistik an der Newhouse School studieren wollte. Ich war gern in Lynchburg, wollte mich aber unbedingt spezialisieren und freute mich, als ich angenommen wurde. Im Frühling 1966, an meinem letzten Schultag am LC, wurden zum Semesterende Urkunden verteilt. Ich war in Gedanken bereits bei meinem Studium in Syracuse, sodass ich fast den Aufruf meines Namens überhört hätte. Trainer Moon zeichnete ­Marty und mich mit Ehrenurkunden des Bahnlauf-Teams der Männer aus. Wir hatten nur an drei Wettkämpfen teilgenommen und ich war nicht der Meinung, sie verdient zu haben, aber sie gehören zu den schönsten Urkunden, die ich je erhalten habe.

Kapitel 4 »Ich schätze, ich habe sie abgewimmelt.«

Mein Wohnheim auf dem Campus der Syracuse University hieß Huey ­Cottage. Es war ein baufälliges altes Haus in der Comstock Avenue, die reins­te Feuerfalle. Ich hatte die einfachste Wohnmöglichkeit gewählt, da ich den beträchtlichen finanziellen Druck auf meine Eltern reduzieren wollte. Syracuse war schon damals teuer, und ich hatte Schuldgefühle.

Mein Zimmer lag im obersten Stock, drei Treppen, und ich teilte es ­offensichtlich mit zwei anderen Frauen, denn in der geräumigen Dach­geschosswohnung standen drei Betten. Wir erhielten Schlüssel und konnten kommen und gehen, wann wir wollten, und als die »Hausdame« (eine Studentin im letzten Semester, die mit dieser Arbeit ihre Miete verringerte) mir meinen Schlüssel aushändigte, bekam ich vor Aufregung über die Freiheit weiche Knie.

Als ich mich nach ein paar Tagen eingerichtet hatte, kam ich nach einem langen Tag der Orientierung nach Hause und siehe da: Meine Mitbewohnerinnen waren da. Sie saßen auf der Bettkante, rauchten und unterhielten sich. Sie kannten sich offensichtlich, sie wohnten bereits seit zwei Jahren hier zusammen. Ich war die Neue. Ich sagte fröhlich und selbstbewusst: »Hi, ich bin Kathy!«, aber die beiden starrten mich wortlos an und rauchten weiter. Schließlich stieß eine von ihnen den Rauch aus und sagte: »Ach herrje.«

Ich brauchte keine zwei Sekunden, um zu merken, dass ich ihnen wie die Langeweile in Person vorkam. Hier, hatte ich gedacht, sei ich total »in« mit meinem geblümten Sommerkleid mit rundem Ausschnitt, Handtasche und dazu passenden Schuhen. Die beiden trugen Jeans, schwarze Rollkragenpullover und Creolen.

Der Code hier hieß »cool«, also eilte ich in die Marshall Street und kaufte Jeans und einen Rollkragenpullover. Nicht, dass das etwas geändert hätte – ich war und blieb das fünfte Rad am Wagen. Und dass ich sie gleich fragte, ob sie wüssten, wo hier die Geschäftsstelle der AAU sei, machte es nicht besser.

Nach dem offiziellen Beginn des Semesters eilte ich zum Büro der Sportfakultät im Manley Field House. Um genau zu sein: zum Büro der Sport­fakultät für Männer, denn das Büro für Frauen war gerade nicht besetzt. Was bestätigte, dass an den großen Universitäten Sport gleichbedeutend war mit Fußball und Basketball, alles für kräftige, von Stipendien unterstützte männliche Studenten. Für Frauen waren keine Stipendien vorgesehen. Für Frauen gab es »Spiel- und Sporttage«. Das hatte ich bereits vor Syracuse gewusst und es war mir, offen gestanden, auch egal. Ich ging davon aus, dass die Frauen in Syracuse und vergleichbaren Universitäten eben keine Wettkämpfe mit anderen Colleges wollten, sonst hätten sie sie. Damals hatte ich mich bereits für das Laufen als Sportdisziplin entschieden und soweit ich wusste, gab es keine wettkampforientierten Frauenlaufgruppen. Wenn möglich, würde ich also in einem Männerteam laufen, sonst eben allein. Da ich nichts zu verlieren hatte, ging ich voller Selbstvertrauen zum Büro des Leichtathletiktrainers Bob Grieve und erkundigte mich, ob ich mit der Crosslaufmannschaft laufen könnte. »Stimmt, ich habe von dir gelesen. Ja, in der Sports Illustrated, in der Rubrik Gesichter in der Menge«, sagte er, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich in Lynchburg für das Männerteam gestartet war. Ich fand ihn recht nett. Mit ihm befanden sich noch zwei Männer im Büro, die so taten, als hörten sie nicht zu. Einer war um die fünfzig, dünn und absolut harmlos. Der andere war fünfundzwanzig, sehr groß, sehr attraktiv, und jedes Mal, wenn er aufsah, starrte ich ihn an mit meinem »Leg-dich-bloß-nicht-mit-mir-an-du-Klugscheißer«-Blick, bis er die Botschaft verstand und das Büro verließ. Dann sagte Trainer Grieve freundlich: »Schau, Syracuse ist Mitglied der NCAA-Conference, nur für Männer, das heißt, es verstößt gegen die Regeln, Frauen an den Wettkämpfen teilnehmen zu lassen. Aber ich habe nichts dagegen, wenn du mit den Männern trainieren willst.« Das reichte mir voll und ganz, mehr noch, ich wollte nicht gegen jemand von Lynchburg antreten und gewinnen, und mit Sicherheit würde ich nicht schneller sein als jemand von den großen Universitäten.

Er erklärte mir noch, dass das Team auf dem Golfplatz von Drumlin trainierte, etwa eine Meile von der Halle entfernt. »Wie kommt man hin?« fragte ich. Er zögerte einen Moment und in seinem Gesicht bemerkte ich leisen Zweifel. »Wir laufen hin«, sagte er.

Ich ging die eine Meile zum Wohnheim zurück und überlegte, dass ich nach Drumlin zwei Meilen hin- und zwei Meilen zurücklaufen müsste, was mehr war als mein tägliches Laufpensum. Und wer weiß, wie viel ich im Training laufen müsste! Ich kam mir wie eine Idiotin vor, die sich für das Superlaufgenie hielt, nur weil sie täglich drei Meilen rannte, aber ich hatte gesagt, dass ich hingehen würde, und ich ging hin. Im Büro sagte Trainer Grieve zu dem älteren Mann: »Ich schätze, ich hab sie abgewimmelt.«

Am nächsten Tag nahm ich ein Taxi zum Golfplatz. Als ich bezahlte, witzelte ich im Stillen, dass Laufen letztlich doch kein billiger Sport sei und dass ich schnell besser werden müsste, um nicht pleite zu gehen. Ich brauchte eine Tasche für das Geld, deshalb trug ich lange Hosen und eine langärmlige Bluse. Ich hatte noch nie Crosslauf trainiert und wusste daher nicht, was man dafür anzog. Jetzt war ich nervös, weil ich in die Mitte des Fairways musste, wo all die mageren Typen in orange-weißen Shorts im Kreis herumliefen. Sie würden mich hassen. Die coolen Mädchen von Syracuse traten in Studentinnenverbindungen ein und sahen jede Minute gut aus. Sie liefen nicht.

Als ich auf sie zuging, rannte der harmlose ältere Typ aus dem Büro von Trainer Grieve auf mich zu, begrüßte mich, hoppelte um mich herum wie ein Hase. »Hey, ich bin Arnie, wir hatten hier noch nie ein Mädchen! Du bist Kathy, stimmt’s? Hallo, Jungs, das ist Kathy, und sie wird mit uns trainieren!« Die Jungen begrüßten mich, hießen mich willkommen. O mein Gott, dachte ich, so weit, so gut. Plötzlich gerieten sie in Bewegung, standen dann in einer Reihe, und Coach Grieve pfiff auf der Trillerpfeife. Dann rannten sie wie eine Windhundmeute los, über den sanft gewellten Rasen. Ihre Schnelligkeit und Schönheit nahm mir den Atem. Sie stoben über die grüne Weite und schienen die langen Steigungen hinaufzutreiben, verschwanden zwischen den Bäumen. Der attraktive Assistent nahm die Zeit mit der Stoppuhr, schrieb etwas auf sein Clipboard. Er hieß Tom, und bei seiner Statur war er mit Sicherheit kein Läufer. Ich hatte ihn im Büro des Trainers niedergestarrt, und jetzt würdigte er mich keines Blickes.

Trainer Grieve saß auf einem motorisierten Golfcart, und Arnie setzte sich neben ihn. »Okay, wollen wir mal sehen, was du kannst«, sagte der Trainer. Er zeigte auf die lange Begrenzung des Golfplatzes und fragte, ob ich die Strecke laufen könnte. »Klar«, sagte ich, es waren ja höchstens zwei Meilen. Lachend fügte ich hinzu: »Nur nicht so schnell!« Dann lief ich los, beschloss, ein gleichmäßiges Tempo zu laufen, da ich nicht wusste, was sie noch mit mir vorhatten. Als ich zurückkam, hatten einige Erstsemester ihr Training beendet, und der Trainer bat einen Studenten, mit mir über ­ihren Kurs zu joggen. Ich entschuldigte mich für mein langsames Tempo, aber den jungen Mann störte das nicht, er würde sich sowieso gerade auslaufen, was immer das bedeuten mochte. Und so endete mein erster Trainingstag mit insgesamt fünf Meilen in langer Hose und Bluse, ich hatte ein gutes Gefühl und war glücklich, dass ich mich nicht ganz zum Narren gemacht hatte. Arnie bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Er konnte nicht wissen, wie dankbar ich sein Angebot annahm, und erzählte ohne Punkt und Komma von seinen guten Zeiten als Läufer, dass er sogar Zehnter beim Boston Marathon geworden sei und immer noch, nach all den Jahren, den Upstate-New-York-Marathon-Rekord hielt, kannst du dir das vorstellen, aber jetzt sei er verletzt, er hatte es am Knie und an der Achillessehne, nun, das kam vor, er sei zum Laufen zu alt, die Arbeit als Briefträger sei schon hart genug, er war wirklich der Postbote in der Comstock Avenue, und deswegen würde er mit dem Auto zum Golfplatz fahren und nicht laufen, und er sei seit 25 Jahren verheiratet, aber seine Frau habe das Laufen von Anfang an gehasst, habe einfach nie verstanden, was er daran so liebte, nun, das wissen wir ja auch nicht, nicht wahr? Jedenfalls arbeitete er mit dem Team und half beim Training der Jungen, seit er aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt war. Im Zweiten Weltkrieg hatte er sich beim Absprung mit dem Fallschirm über Frankreich den Rücken gebrochen. Der Arzt dort meinte, er solle laufen, um Arthritis zu vermeiden, also könnte er auch gut Trainer Grieve hier helfen, der ihn brauchte, er wurde ja auch nicht jünger, und so bin ich hier der »inoffizielle Team­manager«. Er grinste. Wir gaben uns die Hand, und ich bedankte mich. »Bis morgen«, rief er mir zu, als ich aus dem Auto stieg.

Ich trainierte jeden Tag. Manchmal lief ich zum Golfplatz, aber meistens holte Arnie mich am Huey Cottage ab, sobald er seine Briefträgertour beendet hatte. Wir fuhren erst zur Sporthalle, wo wir uns umzogen, und dann zum Country Club. Ich hatte beschlossen, während der ganzen Zeit auf dem Golfplatz zu laufen, aber ich war sehr langsam und konnte nicht mal mit dem langsamsten Läufer mithalten. Ich wusste auch nicht, welche Strecke ich nehmen sollte, da ich den Golfkurs nicht kannte. Bald fing Arnie an, ein bisschen mit mir zu joggen, wahrscheinlich tat ich ihm leid, aber er dachte auch, dass er trotz seiner Behinderung mit mir Schritt halten könnte. So wurden wir zu einer festen Größe, der humpelnde und schlurfende ältere Mann neben der jungen Frau, die locker, aber langsam lief.

Arnie schnatterte die ganze Zeit wie eine Ente. Er war voller Geschichten, und für mich war dieses viele Laufen so ungewohnt, dass ich nicht noch die Puste hatte, dabei zu reden. So lief ich, schnaufend wie ein Zug, neben ihm, und manchmal stieß ich eine keuchende Antwort aus. Es war erstaunlich, wie wenig kardiovaskuläre Kapazität Arnie im Lauf der Jahre verloren hatte und wie fit er wirkte. Sicher, seine Haare waren grau, er wurde kahl, er hatte tiefe Falten im Gesicht, aber er war schlank und, wie alle Läufer, hatte er fabelhafte Beine. Er trug immer graue Shorts und ein graues T-Shirt, und wegen seiner grauen Haare und seinem leicht aschefarbenen Gesicht nannte ich ihn immer Mr. Monochrom. Ich konnte ihn aufziehen, und er mochte das. Aber, um die Wahrheit zu sagen: Wenn er nicht dieses verletzte Knie gehabt hätte, hätte er es mit etlichen dieser jungen Männer aufnehmen können, und ich habe ihn von Anfang an bewundert. Immerhin war er schon fünfzig! Uralt!

Jeden Tag hatte Arnie eine neue Geschichte vom Boston Marathon auf Lager. Er war ihn fünfzehn Mal gelaufen. Und obwohl ich auch manchmal etwas über die heiße Zeit in Yonkers erfuhr, die Buddy Edelen ruinierte, oder von Arnies Triumphen beim Around-The-Bay-Lauf, erzählte er doch meistens eine weitere Geschichte über Boston. Darüber, wie er trotz der großen Hitze im Jahr 1952 Zehnter wurde oder vom legendären Johnny Kelley, dem Älteren, der dutzende Male den Boston Marathon gelaufen war, und von Johnny Kelley, dem Jüngeren, der nicht mit dem anderen Kelly verwandt war und 1957 gewann, oder von Tarzan Brown, der während des Wettkampfes in einen See sprang, einfach weil ihm zu warm war. Arnie lief inzwischen schmerzfrei; das weiche Gras und das lockere Tempo taten ihm gut. Die Tage und die Meilen flogen vorbei, und bald würde Arnie alle seine fünfzehn ­Boston-Geschichten erzählt haben und wieder von vorn anfangen. Es war wie die Schleife eines Films, die alle zwei Wochen von vorn anfängt. Er hätte mir genauso gut Geschichten über Achilles und Hector, Ajax und ­Apollo erzählen können, denn Arnies Helden wurden meine Götter, und Boston wurde für mich heiliger als die olympischen Gefilde.

Drei Monate später, im Dezember 1966, saß ich auf den Zuschauerplätzen in der Sporthalle und wartete darauf, dass Tom, der attraktive Trainer-Assistent, Student im letzten Semester, seine Arbeit als Trainer ­beendete. Ich fühlte mich rundherum wohl. Arnie und ich waren zehn Meilen auf der Straße gelaufen, draußen war es dunkel und kalt. Bei Wind und Wetter zu laufen erfrischte mich, ich fühlte mich wie gereinigt. Und dass ich die zehn Meilen geschafft hatte, konnte ich mir im Kalender rot anstreichen. Tom und ich hatten jetzt eine Beziehung auf freundschaftlicher Basis. Er hatte gesagt, dass meine einfachen Stoffturnschuhe ungeeignet wären, und als er merkte, dass ich keine anderen Schuhe kannte, hatte er mir freundlich angeboten, mit mir zu einem Spezialgeschäft zu gehen, wo ich Schuhe in guter Qualität aus Deutschland bestellen konnte. Heute Abend war Shoppingabend.

Außer mir trainierte die gesamte Crosslaufmannschaft seit einem Monat drinnen, in der Halle. Sie liefen auf der Bahn, elf Runden waren eine Meile. Ich hasste natürlich das Bahnlaufen. Mir missfiel nicht nur der Drill, wie Hamster im Laufrad, sondern auch das Ziel, nämlich möglichst schnell zu laufen. Ich wollte lange laufen können, nicht schnell. Als ich meine ersten Sprinteinheiten in der Halle absolviert hatte, schmeckte es danach jedes Mal wie Blut in meiner Kehle, und meine Beine waren weich wie Gelee.

Außerdem hasste ich das Innere der Sporthalle, damals war der Innenraum mit Sand belegt, und alles war voller Staub. Um den Staub einzudämmen, kam alle zwei Tage eine Maschine und spritzte Öl auf den Sand. Die Folge war, dass man nicht nur staubig, sondern auch schmierig wurde, das Haar roch nach Motoröl, und Nase und Lunge füllten sich mit Partikeln, die meinem Gefühl nach bestimmt nicht ungefährlich waren. ­Einer der wichtigsten Gründe für das Laufen war schließlich, meine Lunge täglich mit frischer, sauberer Luft zu füllen. Ich war überzeugt davon und bin es heute noch, dass eine Stunde tiefes Ein- und Ausatmen an der frischen Luft mehr Krankheiten heilen kann als jedes Medikament. Deshalb hatten Arnie und ich beschlossen, dem Winter die Stirn zu bieten und weiterhin draußen zu laufen. »Bisher ist niemand mit mir den Winter durchgelaufen!«, jubelte Arnie.

Tom war in seinem Element, er arbeitete mit den Werfern, nicht mehr mit den Crossläufern. Ich wurde nie müde, ihn dabei zu beobachten, wie er demonstrierte, auf welche Weise man mehr Schwung aus den Drehungen in die Diskusscheibe oder aus der Hüfte in den Stoß der Kugel bringen kann. Es war faszinierend. Tom war gelenkig wie ein Tänzer, eine ungewöhnliche Eigenschaft für einen so großen und stattlichen Mann. Er war nur 1,795 Meter groß (der halbe Zentimeter war wichtig für ihn, denn er mochte den Spitznamen Big Tom) und wog über zwei Zentner. Er hatte gewaltige Oberschenkelmuskeln, einen breiten Rücken, breite Schultern, einen starken Hals, aber keine besonders auffallende Arm- oder Wadenmuskulatur. Und vergleichsweise winzige Füße – vielleicht Größe 41. Die Füße waren sein besonderer Stolz, ein echter Pluspunkt für einen potenziellen Hammerwerfer von Weltklasse, weil er dadurch seine Drehungen schneller ausführen konnte. Wenn er den Werfern zeigte, wie sie sich bewegen sollten, wirbelten seine Füße herum, sie waren ihm nie im Weg. Er vollführte beim Hammerwerfen eine geradezu phänomenale Pirouette, seine Füße waren ein einziger Wirbel. Ich fand sein Können bei diesem mir völlig fremden Vorgang fabelhaft; so unerfahren ich auch war, ich konnte ein echtes Talent erkennen. Er konnte den Hammer nicht oft werfen, weil das zu gefährlich war, und er warf ihn fast niemals in der Halle – es sei denn, sie war leer, was fast nie der Fall war, und solange das Wetter blieb, wie es war, konnte er nicht unter freiem Himmel werfen. Also trainierte er mit den jüngeren Werfern aus den niedrigeren Semestern, stemmte Gewichte und ersetzte das Hammerwerfen durch das Werfen von kiloschweren Gewichten, was er ohne Gefahr in der Halle machen konnte, da sie nie sehr weit flogen.

Seine Brust und sein Bauch waren außerhalb der Wettkampfsaison ­etwas wabblig, aber wenn er in Form war, wurde alles wieder fest und stramm, ohne besonders ausgeprägt zu sein. Er gehörte zu den Männern, die nicht so sehr Kraft ausstrahlten, als vielmehr Zuverlässigkeit. Tatsächlich sah er den Männern auf den Fotos von meinem Großvater und Urgroßvater ähnlich – sie waren breit und hatten einen tiefen Körperschwerpunkt. Man konnte Tom nicht mal eben umhauen und ein Mädchen fühlte sich sicher bei ihm. Ein sexy Typ war er eher nicht. Wäre er ein freundlicherer Mensch gewesen, ein Mann, der auch mal lächelte, hätte er als Teddybär durchgehen können. Aber so war er nur selten, dafür meistens ungeduldig! Wenn er mit den Werfern arbeitete, hörte man nie ein »Okay, das ist schon besser!«, sondern: »Jetzt aber, die Hüften, die Hüften, Hüften, Herrgott noch mal!!!«

Die Kombination dieser Eigenschaften machten ihn für mich ungeheuer attraktiv. Mit vielen seiner Charakterzüge war ich vertraut, ich schätzte sie – die Stärke, das Können –, hinzu kamen Eigenheiten, die mir völlig fremd waren und die mich faszinierten: Er war oft launisch und herrisch. Aber vor allem war er der geborene Athlet. Ich kannte niemanden, der von Natur aus talentiert war. Ich kannte nur Menschen, die hart arbeiten mussten. Wie sehr ich mich auch bemühen würde, ich wusste, dass ich keine herausragende Begabung hatte – das galt nicht nur für mein Laufen, sondern auch für mein Aussehen und meine intellektuellen Fähigkeiten. Ich war nur besser als der Durchschnitt, und deshalb fühlte ich mich Tom nie ebenbürtig, was ihn perverserweise noch attraktiver für mich machte, denn dadurch stand er für mich eine Stufe höher. In der Tat gibt es keine objektive Größe für adoleszente Logik, obwohl ich nicht weiß, ob man mit neunzehn die Adoleszenz noch als Entschuldigung anführen kann.

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9783955900274
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