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Читать книгу: «DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS», страница 2

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Die beiden Waffenschmiede

Eine Geschichte, die in zwei Teile zerfällt

[1]

In einem fernen Land – denn in einem Land, welches uns näher liegt, hätte sich eine solche Geschichte wie die, die wir nun erzählen wollen, gar nicht ereignen können, sind die Herrscher dort doch aufgeklärt und weniger leicht mit lebenserhöhendem Lohn oder lebensverdammender Strafe bei der Hand – in einem fernen Land also rief eines Tages der herrschende Sultan die beiden berühmtesten Waffenschmiede seines Reiches, zwischen denen seit jeher eine tief eingewurzelte Rivalität herrschte, zu sich.

»Schmiedet mir«, so sprach er, »den Krummsäbel mit der feinsten Klinge und der schärfsten Schneide, der je von Menschenhand geschmiedet worden ist! Sechs Monde gebe ich euch dafür Zeit, dann werdet ihr wieder vor mich treten, um mir euer Werk zu präsentieren. Demjenigen aber, der die perfekte Klinge schmiedet, will ich sein Gewicht in Diamanten und anderen Edelsteinen aufwiegen!«

»Wir hören und gehorchen!«, sprachen die beiden Waffenschmiede wie aus einem Mund, und sogleich zogen sie sich in ihre Werkstätten zurück, ein jeder in die seine, wo sie drei Monde lang, ängstlich auf Geheimhaltung bedacht, die kostbarsten Metalle legierten, sie anschließend glühten, hämmerten, fältelten und erneut glühten, wiederum hämmerten und auf ein neues fältelten, bis sie diesen Prozess (vom Abkühlen im Eiswasser sei hier gar nicht die Rede) so oft wiederholt hatten, dass eine vollständige Beschreibung nicht nur den Umfang dieser Geschichte, sondern auch die Geduld eines jeden, ja selbst des geneigtesten Lesers aufs Äußerste strapazieren würde, weshalb wir an dieser Stelle tunlichst auch darauf verzichten werden.

Drei weitere Monde brachten sie sodann mit dem immer feineren Schleifen der Schneide zu, spalteten zunächst nur Tier- und Menschenhaare, um die Feinheit des Schliffs je wieder aufs Neue zu erproben, dann Fäden aus Spinnenseide und endlich sogar Staubkörner, die in der Luft ihrer rußigen Schmieden ja zur Genüge herumflogen; und dann gingen sie, immer noch unzufrieden, wieder an ihre Schleifbänke zurück und schliffen die Schneiden mit höchster Kunstfertigkeit noch feiner … und feiner … und immer noch feiner …

Wie fein, davon werden wir an angemessener Stelle dieser Geschichte Kunde erhalten, und zwar gemeinsam mit dem Sultan und seinem Hofstaat, denn schließlich würde es sich für uns als Erzähler und als Leser wohl kaum schicken, das Ergebnis dieses Wettstreits noch vor dessen Auftraggeber zu erfahren.

Nebenbei aß jeder der beide Waffenschmiede in dieser Zeit so üppig, wie er es eben vermochte, ohne seinen Magen zu ruinieren, auf dass es sich auch wirklich lohne, wenn er am Ende der Frist von sechs Monden sein Gewicht in Edelsteinen aufgewogen bekommen würde – denn dass er es wäre, dem diese Belohnung zuteilwerden würde, davon war ein jeder der beiden selbstverständlich mit äußerster Selbstgewissheit überzeugt.

Und so kam es, dass sie beide sehr schwer und kurzatmig waren, als sie nach Ablauf der sechs Monde wieder vor den Sultan zitiert wurden, um ihm und dem versammelten Hofstaat ihre Meisterwerke vorzuführen. Die in der langen Abgeschiedenheit geschmiedeten Krummsäbel aber trugen sie in kostbaren, mit Silber- und Goldornamenten verzierten Scheiden an ihren nun um einiges lockerer geschnürten Gürteln.

»So tritt denn vor«, sprach der Sultan zum ersten der beiden Waffenschmiede, »und zeige mir, was deine Kunst zuwege gebracht hat!«

Etwas kurzatmig ob seines Körpergewichts und mit demütig niedergeschlagenem Blick folgte der erste Waffenschmied diesem Befehl. In geziemlichem Abstand blieb er sodann vor dem Pfauenthron des Sultans stehen und zog sehr langsam, damit in den schwerbewaffneten Leibwächtern zur Rechten und zur Linken des Herrschers nicht der Verdacht aufkeime, er plane unter der Hand womöglich einen mörderischen Anschlag auf den Sultan, den so kunstreich geschmiedeten Krummsäbel aus der Scheide. Das Geräusch, das die Klinge dabei machte, war so fein wie der Klang der Sphären hoch über den Himmeln dieser Erde, und als das Licht der tausend Kandelaber im Thronsaal sich auf ihr in tausendfältigem Glitzern brach, als sei sie gar nicht aus legierten Metallen, sondern womöglich gar aus den Diamanten geschmiedet, mit denen ihr Schöpfer vor dem Ende dieser Audienz aufgewogen zu werden hoffte, ja, wessen er sich im Stillen sogar sicher war – als dieses Licht, so sage ich, sich auf dieser überirdisch vollkommenen Klinge brach, da ließen die umstehenden Höflinge, vom Großwesir und den anderen verbeamteten Speichelleckern bis hinunter zu den Leibwächtern, den Luftzufächlern und dem nubischen Fußbänkchen (letzteres aber nur ganz leise, so leise nämlich, dass es für die erlauchten Ohren des Sultans unhörbar blieb und er nicht einmal ein winziges Zittern unter seinen Fußsohlen und den goldbestickten Pantoffeln verspürte) wie aus einer Kehle ein ungläubig bewunderndes »Ooohhh!« ertönen, denn einen so herrlich gearbeiteten Krummsäbel hatte noch keiner von ihnen je gesehen.

Selbst der Sultan konnte sich ein anerkennendes Nicken nicht verkneifen. »Das ist ein wirklich köstliches Stück Waffenschmiedekunst«, sprach er nachdenklich. »Aber nun zeige Uns, ob diese Waffe nur zum Anschauen taugt … oder noch zu etwas anderem.«

»Zu diesem Zweck«, erwiderte der erste Waffenschmied demütig, »möchte ich Euch, o Sultan, bitten, einen Sklaven vortreten zu lassen, und zwar einen, den Ihr, wenn’s möglich ist, recht leicht entbehren könnt.«

Wortlos wies der Sultan auf einen der diensteifrig in einigem Abstand vom Pfauenthron eben zu diesem Zwecke aufgereihten Sklaven. Jener trat vor, sichtlich bemüht, nicht am ganzen Leibe, sondern nur ein bisschen an dem oder jenem Körperteil zu zittern; das Klappern seiner Zähne hingegen konnte er nicht ganz unterdrücken, was aber nicht weiter von Bedeutung war, da er, Zähneklappern oder nicht, ohnehin nicht mehr gewärtigen musste, für unziemliches Benehmen vom Sklavenmeister einer schmerzhaften Strafe zugeführt zu werden.

Als der Sklave nun vor ihm stehen geblieben war, vollführte der erste Waffenschmied eine ganz nachlässige Handbewegung. Gedankenschnell flirrte die Klinge des Krummsäbels durch die Luft.

Und es geschah – gar nichts.

»Du hast ihn verfehlt, erster Waffenschmied«, sprach der Sultan in das atemlos erstaunte Schweigen seiner Höflinge hinein, und ein ungnädiges Glitzern zeigte sich in der Tiefe seiner schwarzen Herrscheraugen, da er diese Art von Ungeschicklichkeit in der Ausübung des edlen Waffenhandwerks so ganz und gar nicht liebte.

»Um Vergebung, o erhabener Sultan«, sprach der erste Waffenschmied und schlug demütig die Augen nieder, »aber ich habe ihn nicht verfehlt.«

»Das werden wir sehen«, sagte der Sultan und wandte sich an den Sklaven. »Sprich, Sklave: Hast du die Klinge irgendwo an deinem Leib gespürt?«

»Ich ha… habe ga… ga… gar ni… nichts gespürt«, stotterte der Sklave, sichtlich erleichtert über diesen – wenngleich gewiss nur kurzen – Aufschub, den ihm das Schicksal in Gestalt der ungeschickten Hand des Waffenschmieds gewährte. »N… n… nur einen l… l… leichten Windhauch.«

»Nun, Waffenschmied?«, fragte der Sultan drohend.

»Befehlt ihm zu nicken, und Ihr werdet sehen, dass ich die Wahrheit spreche.«

Der Sultan hob bedrohlich eine Augenbraue, kam der demütig vorgetragenen Bitte aber nach.

»Nicke!«

Und der Sklave nickte, woraufhin sein Kopf sich vom Körper löste und vor seinen Füßen zu Boden fiel.

Und wieder ließen die umstehenden Höflinge, vom Großwesir und den anderen verbeamteten Speichelleckern bis hinunter zu den Leibwächtern, den Luftzufächlern und dem nubischen Fußbänkchen wie aus einer Kehle ein ungläubig bewunderndes »Ooohhh!« ertönen, das diesmal indes nicht dem Anblick, sondern ebenso der wundersamen Funktionstüchtigkeit dieses Krummsäbels wie der schwertmeisterlichen Geschicklichkeit ihres Schmiedes und Trägers galt.

»Dies«, sprach der Sultan mit einem anerkennenden Nicken, bei dem sich sein Kopf jedoch im Gegensatz zu dem des Sklaven in keinem Augenblick in der Gefahr befand herunterzufallen, »dies ist gewiss die kunstreichste Klinge, die ich je erblickt habe, ja womöglich die kunstreichste, die die Welt jemals erblicken mag. Und ist sie es allemal wert, dass das Gewicht ihres Schöpfers in Diamanten aufgewogen wird.«

[2]

Doch seien wir nicht voreilig, denn diese Geschichte zerfällt ja, genau wie der bedauernswerte Sklave, in zwei Teile. Den ersten Teil, der weithin bekannt ist, haben wir nun bereits erzählt, wenngleich im Grunde einzig der Vollständigkeit halber. Nicht so bekannt – es mag sein: sogar gänzlich unbekannt – ist hingegen der zweite Teil, welcher nun folgen soll.

»Nun tritt vor, zweiter Waffenschmied, und zeige Uns, was deine Klinge wert ist«, befahl der Sultan, nachdem der Leichnam des Sklaven fortgeschafft und das reichlich vergossene Blut vom Boden aufgewischt worden war.

»Allemal mehr als die meines verehrten Zunftgenossen«, sagte der zweite Waffenschmied recht selbstgefällig und trat vor an die Stelle, an der jener »verehrte« – in Wirklichkeit aber zutiefst verachtete – Zunftgenosse, welcher nun jedoch ins zweite Glied zurückgetreten war, eben noch gestanden hatte. »Ich bitte Euch, o Sultan: Schaut aufmerksam her.«

Mit einer eleganten Bewegung zog er den von ihm geschmiedeten Krummsäbel aus der Scheide, die womöglich noch kostbarer verziert war als die der anderen Waffe. Doch als er den Säbel nun in der Hand hielt, war nichts anderes sichtbar als das Heft; eine Klinge aber konnte der Sultan selbst beim genauesten Hinschauen nicht entdecken.

»Was ist denn das für ein Gaukelspiel?« sprach er stirnrunzelnd. »Nur ein Heft und keine Klinge? Wollt ihr mich zum Narren halten, Waffenschmied?«

Dieser lächelte nur, ein wenig eitel, wie es den Umstehenden schien, und drehte sein Handgelenk. Da erschien wie aus dem Nichts die Klinge, die zu dem Heft gehörte, und sie war so über alle Maßen prächtig, dass sie, wie aus sich selbst leuchtend, das Licht der tausend Kandelaber im Thronsaal zu überstrahlen schien. Diesmal ließen die umstehenden Höflinge, vom Großwesir und den anderen verbeamteten Speichelleckern bis hinunter zu den Leibwächtern, den Luftzufächlern und dem nubischen Fußbänkchen (Letztere sogar so laut, dass es bis an die erlauchten Ohren des Sultans gedrungen wäre, wäre dieser nicht vom überirdischen Anblick der Klinge wie betäubt gewesen) wie aus einer Kehle ein »OOOOHHHH!« ertönen, wie sie es in diesem Thronsaal in Anwesenheit des Sultans noch nie gewagt hatten ertönen zu lassen.

Eine weitere Drehung des Handgelenks, und die Klinge verschwand wieder, denn nun sahen der Sultan und sein Hofstaat wieder genau auf die Schneide des Krummsäbels, so man denn von »sehen« sprechen darf, wenn man eben – gar nichts sieht.

»Es ist die dünnste Klinge mit der feinsten Schneide, die jemals geschmiedet worden ist«, sagte der zweite Waffenschmied stolz.

»Das ist in der Tat ein Meisterstück«, sprach der Sultan beinahe ehrfürchtig, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. »Nun zeige Uns, was sie vermag.« Und er deutete auf den Nächsten in der Reihe der Sklaven, die zu diesem Zweck an der Seite des Thronsaals standen.

Mit, was unter diesen Umständen nicht überraschen mag, eher zögerlichem Schritt nahm der Auserwählte an genau dem Platz Aufstellung, an dem auch sein unglücklicher Bruder schon gestanden hatte. Der zweite Waffenschmied vollführte eine Handbewegung, die womöglich noch lässiger war als die seines Konkurrenten. Und es geschah – gar nichts. Was aber, wie wir nun schon wissen, auch nicht anders zu erwarten gewesen war.

»Nicke!« sprach der Sultan zu dem Sklaven.

Zitternd, mit dicken Schweißperlen auf der Stirn, neigte dieser ergeben den Kopf. Und nun geschah, was diesmal keiner erwartet hätte, nämlich – wiederum gar nichts. Das Einzige, was zu Boden fiel, war eine der Schweißperlen von der schwarzen, angstverzerrten Stirn, nicht aber der ganze Kopf.

Zorn wallte in der Seele des Sultans auf. »Ein großartiger Schmied magst du sein«, fuhr er den zweiten Waffenschmied an, »aber als Säbelschwinger bist du offenbar erbärmlich. Oder willst du etwa leugnen, dass du den Hals dieses Mannes mit der Klinge verfehlt hast, obwohl jener kaum mehr als einen Schritt vor dir stand?«

»Gewiss will ich das leugnen«, sagte der zweite Waffenschmied eitel. »Die Klinge hat ihr Ziel nämlich durchaus nicht verfehlt. Sie ist so fein, dass sie durch den Hals des Sklaven hindurchgegangen ist, ohne ihn zu zertrennen.« Und zum Beweis seiner Worte führte er die Klinge für alle sichtbar noch zwei-, dreimal geschickt durch den Hals des Sklaven, ohne dass diesem dabei auch nur das Geringste geschah.

»Dies«, sagte der Sultan mit einem Unterton in der Stimme, den die klügeren Höflinge längst zu fürchten gelernt hatten, »ist wahrhaft ein Wunder, wie es noch niemand auf der Welt zuvor erblickt ab. In der Tat, es kann kein Zweifel bestehen, dass diese Klinge und nicht die, welche dein Zunftgenosse geschmiedet hat, den Preis verdient, den ich ausgesetzt habe, dass mithin du es bist, der für seine Kunst in Diamanten und anderen edlen Steinen muss aufgewogen werden.« Er klatschte in die Hände.

»Bringt die Waage herein!«

Also geschah es, und der zweite Waffenschmied wurde unter dem Beifall des Hofstaats und dem verehrungsvollen und nur ein ganz klein bisschen neidischen Blick des ersten Waffenschmieds von einigen Dienern auf einer riesigen Waage mit Diamanten und anderen Edelsteinen aufgewogen, wobei ihm die zusätzlichen Pfunde, die er sich während der sechs Monde angefressen hatte, sehr wohl zustattenkamen.

Dann, als die Wägung abgeschlossen war, ließ der Sultan ihn durch den Scharfrichter mit einer Krummsäbelklinge von ganz gewöhnlicher Dicke enthaupten.

Märchen vom Schlüssel

Ein Schmied hatte einen Schlüssel für ein Schmuckkästlein gefeilt, der aber schien ihm misslungen; drum wollte er ihn schon zum alten Eisen werfen. Da kam einer, der sah den Schlüssel und dachte bei sich: »Der könnte just zu einer der Türen in meinem ererbten Hause passen, die noch nie geöffnet worden sind.« Also nahm er den Schlüssel, ging nach Hause, und der Schlüssel passte in die eine Tür, als sei er für sie gemacht. Dahinter aber lagerten Schätze, wie eines Menschen Auge sie noch nie zuvor geschaut hatte. – Da lief der Mann hin zu dem Schmied, um ihn an seinen neu erworbenen Schätzen teilhaben zu lassen. Der Schmied indes wollte nichts davon hören. »Und der Schlüssel ist doch misslungen«, sagte er missmutig, »denn er hat ja nicht zu dem Schloss gepasst, für das ich ihn mit all meiner Kunst zurechtgefeilt habe.«

Das Blau deiner Füße, Geliebter

»Liebst du mich eigentlich noch?«

»Dumme Frage! Natürlich liebe ich dich noch.«

»Aber das zweite Ei, das du gelegt hast, war so viel kleiner als das erste …«

»Na ja, deine Füße waren ja auch nicht mehr so blau …«

»Also liebst du mich nur wegen meiner Füße und nicht wegen meiner schönen Seele?«

»Klar mag ich das Blau deiner Füße, Geliebter, und wie du sie mir beim Balzen entgegenstreckst! Das ist nun mal das Reiz-Reaktions-Schema unserer Spezies, wenn wir uns paaren … aber deine schöne Seele liebe ich natürlich auch.«

»Aber gesprochen hast du wieder nur von den Füßen …«

»Nun hör mal, das verstehst du doch bestimmt. Als Mutter muss man schließlich für seinen Nachwuchs vorsorgen! Du könntest dir doch inzwischen Parasiten eingefangen haben … oder dein Ernährungszustand ist vielleicht schlechter geworden …« Sie blickte nach unten. »Und deine Füße sind wirklich nicht mehr so blau, wie sie mal waren, das musst du zugeben. Eher so … blass graublau.« Ihr Blick wurde noch ein wenig kritischer, bevor sie nach einer unmerklichen Pause hinzufügte: »Aber wie du schon ganz richtig gesagt hast: Darauf kommt es ja nun wirklich nicht an. Hauptsache, wir lieben uns, und das tun wir doch, oder nicht?« Und damit pickte sie noch einmal geistesabwesend nach ihm, ehe sie sich umwandte und davonwatschelte, um auf Nahrungssuche zu gehen.

Als sie außer Sichtweite war, seufzte er ein paarmal tief und tauchte seine Füße dann unauffällig einen nach dem anderen in die nächste Pfütze, um den Kreidestaub abzuwaschen, mit dem er sie sich heller gefärbt hatte. Plötzlich kam ihm diese Idee ziemlich dumm vor. Ach, hätte er doch nur auf seine Kumpels gehört!

»Was ist denn schlimm daran, wenn ein Mädel vor allem deine Füße liebt?«, hatten sie gefrotzelt, als sie sich beim Fischfang über dieses Thema unterhielten. »So ist das nun mal auf der Welt: Wenn einer blaue Füße hat, dann kriegt er auch die Weiber. Und was haben wir? Richtig: Blaue Füße! Also, wo ist da das Problem?« Wie recht sie damit hatten! Und wer war er denn, ihnen zu widersprechen?

Jetzt noch ein bisschen mit den Zehen gewackelt, damit auch die Schwimmhäute dazwischen richtig sauber wurden. So, jetzt würde seine Liebste nichts mehr an ihm auszusetzen haben! Schöne Seelen wurden ohnehin sehr überschätzt …

Mit einem wehen Gefühl im Herzen und nun wieder blitzeblauen Füßen schlurfte er zum Nest zurück, um die beiden so ungleichen Eier zu bebrüten, die sie ihm vor und nach seinem unseligen Experiment geschenkt hatte. Dabei fühlte er sich mehr denn je wie ein Blaufußtölpel – was er ja schließlich auch war.

Der Schäms-Scheuß-Virus

Von: »Karl-Ulrich Burgdorf« <kub@▬▬▬▬▬▬>

Betreff: Fröhliche Weihnachten!

Datum: 24. Dezember 2016 12:00:07 MESZ

An: <Uli195@▬▬▬▬▬▬>

Liber uhli,

ecclés gerate inn alleruhr dee finnegans=wehg=toyle fhumber schäms=scheuß=beeogravie (nathürleck maird anschloisender ausfuhrlechzer pipiloografih!) dèz ritschart helman – main chatt, detzis jaahr fuerwahn ui zick=ill vonan boork! Wass dwars alls ondtheld! Obtouse kæhnst?

Frôlicke weinnachen & a liffey noce yeahr winscht tir so, rhein oberjoyced

tyne kahn=u

Pest Scrotum ain=s: Ärgst memel ohnmaas, dann ach! wættaar eyeskald.

PeeS zwhy: Ahnbay märene anlaken.

Von: »Karl-Ulrich Burgdorf« <kub@▬▬▬▬▬▬>

Betreff: Fröhliche Weihnachten?

Datum: 24. Dezember 2016 19:10:47 MESZ

An: <Uli195@▬▬▬▬▬▬>

Scheitze! Bay Anna Livia, ij drau nock duck! Jetze ise main komm!Puter scheun dätz zwittau mail von sommem gardnet neissen schäms=scheuß=wieruß befoulen fjorden! Todtales phäsaken vann fierwohl & viehrennskenner! Allier mulde wörnitz und wiedhau nicks! DILL IT!!! Unz schone geiht dese jangtse techst wiedhau ijnmail »übel-sätzt« ahrn Deich!

Münster, 24.12.2016, spät abends

Lieber Uli,

wahrscheinlich wirst du einigermaßen verwundert gewesen sein, als meine erste E-Mail auf Heiligabend bei dir eintraf. Du kannst mir glauben: Ich war nicht weniger verblüfft, als ich auf »Senden« geklickt habe und sich der Text vor meinen Augen in das verwandelt hat, was dann hinterher bei dir ankam! Kurz gesagt, hat mein Computer sich offenbar den James-Joyce-Virus eingefangen. Als Literaturfreund wirst du sicherlich schon davon gehört haben: Hat man bestimmte Schlüsselworte eingegeben – James Joyce, Ulysses, Finnegans Wake, Anna Livia Plurabelle oder sogar nur den Namen des James-Joyce-Biografen Richard Ellmann – dann übersetzt dieser Virus den gesamten Text in eine Art »Joyce-Sprech«, sobald man bei einer E-Mail auf »Senden« und bei einem Brief auf »Speichern« oder »Ausdrucken« klickt. Wobei ich im Übrigen der Auffassung bin, dass dem Programmierer dieses verfluchten Virus auch eine gehörige Portion Arno Schmidt und ein bisschen Alfred Jarry mit in sein Übersetzungsprogramm hineingerutscht ist … aber das nur am Rande.

Natürlich habe ich sofort versucht, den Virus mithilfe des aktuellsten Virenscanners, den ich im Internet finden konnte, wieder von meiner Festplatte herunterzubekommen. Geklappt hat es leider nicht, wie du an meiner zweiten E-Mail erkennen kannst.

Folglich bleibt mir jetzt bloß noch eine einzige Möglichkeit: nämlich, dir ganz altmodisch mit der Schreibmaschine (!) einen Brief zu schreiben, den ich dann zum Briefkasten trage und mit der Schneckenpost abschicke, sodass er dich wahrscheinlich irgendwann zu Silvester erreichen wird. Das, was in den beiden E-Mails steht, werde ich allerdings nicht noch einmal im Klartext wiederholen. Ich denke, du bist James-Joyce-erfahren genug, um es auch so zu dechiffrieren, vulgo: in verständliches Deutsch zurück zu übersetzen (»übel-sätzen«).

Ich hoffe, du hattest ein schöneres Weihnachtsfest als ich!

Dein

Karl-Ulrich

P. S.: Aber wenn ich den Dreckskerl erwische, der diesen Virus programmiert hat, dann wird er auf eine ganz und gar nicht plurabelle Art und Weise erfahren, warum das Buch in der deutschen Übersetzung von Dieter Stündel »Finnegans Wehg« heißt!

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