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Читать книгу: «Winnetou 4», страница 26

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Wir kehrten zu der Stelle zurück, an der wir beschäftigt gewesen waren, und folgten von da aus dem neu entdeckten, schmalen Seitengang, dessen Mündung wir noch nicht kannten. Der riesige lntschu-inta war erstaunt.

»Es ist, als ob du Winnetou seist«, sagte er. »Alles hörst du; alles siehst du; alles findest du! Wir aber, die wir schon ewig hier wohnen, hören nichts, sehen nichts und finden nichts! Du bist wie er, und er war wie du!«

Auch dieser Pfad führte von Höhle zu Höhle empor, aber viel steiler als der andere. Dann gab es künstliche Stufen, die in hartem Stein gehauen waren. Schließlich standen wir vor dem Ende. Aber dieses Ende bestand nicht aus einer Tür, einer Mauer, einem Stein, sondern aus unzähligen Wurzeln und Wurzelfasern, die aus dem Boden traten, der hier nicht aus Stein, sondern aus Erde gebildet war, und die schier undurchdringlich vorwärts strebten. Da mußten wir unsere Messer zu Hilfe nehmen. Und sie halfen. Indem wir alles, was uns im Wege war, wegschnitten und hinter uns schafften, drangen wir Schritt für Schritt vor und standen schließlich nicht mehr vor Wurzeln und lichtscheuen Ranken, sondern hinter einem dichten Gebüsch, durch dessen Gezweig hindurch das Tageslicht uns grüßte. Wir löschten die Fackeln aus.

Das Gebüsch wuchs mit noch anderem Gesträuch aus einem Steinhaufen heraus, der jedenfalls nicht natürlich entstanden, sondern künstlich hierhergebracht worden war, um den Gang, aus der wir kamen, zu verbergen. Indem wir hindurchkrochen, gaben wir uns Mühe, die Aeste und Zweige so wenig wie möglich zu verletzten. Dann standen wir – – – wo? Am linken »Ohr des Teufels«, also ganz so, wie ich vermutet hatte; das rechte Ohr lag jenseits des Fahrweges grad gegenüber.

»Uff, uff!« sagte Intschu-inta. »Es geschehen Wunder!«

»Die Neuentdeckung von etwas so sehr Altem ist kein Wunder« antwortete ich. »Wir befinden uns an eurer Devils pulpit.«

»Deren Geheimnis kein Mensch entdecken kann!«

»Nicht? Wirklich nicht!«

»Nein. Nicht einmal Winnetou hat es gekonnt!«

»So warte! Vielleicht bist du es, der es kann!«

»Ich?« fragte er erstaunt.

»Ja, du! »

»Unmöglich!«

»Ganz und gar nicht unmöglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Willst du schweigen, sogar gegen Tatellah-Satah, wenigstens einstweilen?«

»Ich will!« versicherte er, mich erwartungsvoll anschauend.

»Gut! Sehen wir uns erst um! Steigen wir hinauf, auf das ,Ohr des Teufels‘, um seine Verhältnisse kennen zu lernen!«

Wir stiegen hinauf. Als wir oben waren, befand ich mich fast ganz genau in derselben Lage und in denselben Verhältnissen, wie auf der ersten Devils pulpit, wo der »junge Adler« den Bär erlegte und ich mich dann mit dem Herzle von Kanzel zu Kanzel unterhielt. Es gab auch hier zwei Kanzeln, genau wie dort. Und drüben über der Straße gab es wieder zwei, die in ganz derselben Ausmessung zueinander standen. Für einen oberflächlichen Denker schien es hier also nicht nur eine, sondern zwei Ellipsen zu geben, in deren Brennpunkten man das leise Gesprochene laut hören konnte, nämlich die eine diesseits und die andere jenseits des Fahrweges. Der schärfer Denkende aber mußte gleich bei dem ersten Blick sehen, daß es weder hüben noch drüben eine besondere, wirkliche Ellipse gab, sondern daß diese Figur erst dann zustande kam, wenn man beide Abteilungen durch Verbindungslinien über den Fahrweg herüber vereinigte. Dann gab es allerdings eine große Doppelellipse mit vier Brennpunkten, hüben zwei und drüben zwei, bei deren richtiger Benutzung sich verschiedene Schallexperimente ermöglichten, die dem nicht Eingeweihten als Wunder erscheinen mußten.

Das sah man, wie gesagt, schon bei dem ersten Blicke, doch wurde dieser Blick schnell wieder von seinem Gegenstand abgezogen, und zwar durch eine höchst augenfällige Veränderung, die sich seit unserm letzten Hiersein in der umgebenden Szenerie vollzogen hatte. Nämlich die angefangene Winnetoustatue war inzwischen gewachsen, und zwar in einer Weise, die mir nur dann begreiflich wurde, wenn ich sah, wie groß heut die Zahl der Lastgeschirre war, auf denen die fix und fertig zubereiteten Quader von den Steinbrüchen herbeigeschleppt wurden, und wie groß die Zahl der Arbeiter, welche damit beschäftigt waren, diese Quader zur Figur zusammenzusetzen und mit schon vorgebohrten eisernen Spindeln, Klammern und Bolzen zu befestigten. Die Figur war bereits bis zum Unterleib gediehen; der künstliche Felsen, an den sie sich anzulehnen hatte, war im Entstehen, und die Gerüste, auf denen die Monteure zu arbeiten hatten, waren zwar erst heut entstanden, ließen aber Dimensionen vermuten, die in das Riesenhafte gingen. Als Intschu-inta sah, daß ich meine Aufmerksamkeit jetzt darauf richtete, sagte er:

»Sie arbeiten wie im Fieber. Sie sind ihrer Sache nicht mehr sicher. Sie sehen jetzt täglich mehr und mehr, daß nicht alle Welt ihrer Meinung ist. Darum soll diese Figur schleunigst fertiggestellt werden, um auf die Tausende von Festgenossen, welche man erwartet, den Eindruck zu machen, den man sich von ihr verspricht. Als ich vorhin die Fackeln holte, erfuhr ich, daß man entschlossen ist, jetzt Tag und Nacht an der Figur zu arbeiten, weil man gehört hat, daß auch du dagegen bist. Man hatte geglaubt, dich leicht auf die Seite schieben zu können.«

»Ah! Besonders wohl Mr. Okih-tschin-tscha, genannt Antonius Paper? Laß ihn schieben, laß ihn schieben! Wir aber wollen zu unsern jetzigen Pflichten zurückkehren. Es war doch unsere Absicht, zu versuchen, ob du es nicht vielleicht bist, der imstande ist, da Geheimnis eurer Devils pulpit zu entdecken. Wir haben hier zwei Kanzeln. Drüben sind auch zwei. Wir befinden uns hier auf der ersten; da bleibe ich jetzt; du aber gehst hinüber, auch auf die erste. Da stellst du dich hin und nennst in ganz gewöhnlichem Tone zehn Zahlen. Ich kann das hier hüben nicht hören, werde dir aber so dieselben Zahlen sagen.«

»Mir sagen?« fragte er. »Höre ich es denn?«

»Ja.«

»Unmöglich!«

»Warte es ab! jetzt geh‘! Aber tue geheim! Sag‘ niemand, wohin du gehst und was du dort willst!«

Er machte ein sehr ungläubiges Gesicht und entfernte sich. Ich schaute ihm nach, ohne mich aber von den Arbeitern und Fuhrleuten, welche auf dem Fahrweg verkehrten, sehen zu lassen. Sie beachteten ihn nicht. Er ging über den Weg hinüber und stieg auf die erste Kanzel. Man kann sich wohl denken, wie gespannt ich darauf war, ob das Experiment gelingen werde. Ich lauschte. Da, Gott sei Dank, da kamen sie, die zehn Zahlen, nämlich alle geraden der Reihe nach von zwei bis zwanzig. Ich wartete nur einen Augenblick, dann wiederholte ich sie ebenso langsam und deutlich, wie er sie ausgesprochen hatte.

»Uff, uff!« hörte ich ihn dann verwundert rufen. »Bist du das wirklich, oder bist du es nicht?«

»Ich bin es«, antwortete ich.

»Und du hast mich gehört?«

»So genau wie du jetzt mich. Nun gehst du jetzt auf die andere Kanzel, auf die zweite, und sagst etwas anderes.«

»Was?«

»Irgend etwas. Du sprichst eine Frage aus, und ich antworte dir. Also, jetzt!«

»Gut, ich geh‘!«

Auch ich stieg von meiner Kanzel herab und ging nach der anderen. Da gab es kein Gebüsch; ich war also schnell oben. Da hörte ich ihn drüben kommen. Büsche raschelten, Zweige knackten. Dann war er oben und fragte:

»Bist du noch dort? Hörst du mich?«

»Ja, ich höre dich«, antwortete ich ihm, ohne ihm aber zu sagen, daß ich inzwischen auch meinen Platz gewechselt hatte.

»Soll ich vielleicht wieder zählen?«

»Ja. Zehn andere Zahlen.«

Er sagte die ungeraden Zahlen von einunddreißig bis neunundvierzig auf, und ich wiederholte sie ihm. Dann ließ ich ihn wieder nach der ersten Kanzel zurückkehren, um noch weitere zehn Zahlen auszusprechen. Ich sah ihn drüben kommen. Er stieg hinauf. Jedenfalls zählte er jetzt; ich hörte aber nichts. Nun wußte ich alles. Es handelte sich wirklich um eine Doppelellipse. Man konnte hören oder nicht hören, gehört werden oder nicht gehört werden, ganz wie es einem beliebte. Es kam nur auf die Orte an, die man wählte. Ich stieg von meiner Kanzel herab und ging nach dem Fahrweg zu. Da sah er mich und kam auch.

»Du hast beim letztenmal nicht geantwortet«, sagte er. »Oder habe ich dich überhört? Welch ein Wunder, welch ein Wunder! Uff, uff! Auf so weit kann kein Mensch das gewöhnliche Wort verstehen, und doch habe ich dich verstanden! Wie ist das zu erklären?«

»Denke darüber nach! Du bist es doch, der das Geheimnis erraten soll!«

»Du scherzest! Warum soll ich mühsam erraten, was du genau schon weißt! Denn wüßtest du es nicht, so hättest du mir nicht die richtigen Plätze anweisen können. Werde ich es erfahren?«

»Wenn Tatellah-Satah es erlaubt, ja.«

»Aber jetzt darf ich ihm nichts davon sagen?«

»Keinem Menschen! Du könntest großes Unheil anrichten, wenn du es auch nur einem einzigen verrietest. Jetzt komm‘ hinauf nach dem Schloß; die Sonne geht schon unter!«

Der Himmel war, so weit man ihn hier im Tal sehen konnte, von golddurchsichtigen Wölkchen überhaucht. Ein diamantenes Flammenzucken ging von Westen aus. Das blitzte und flimmerte im herrlichen Spiegel des Schleierfalles wider. Wie schade, wie jammerschade, daß die grad vor dem Fall sich erhebende tote steinerne Figur den Genuß dieser Schönheit fast unmöglich machte! Wir standen an der Krümmung der Straße und des Tales, an welcher man, von der oberen Stadt kommend, den Schleierfall zum erstenmal erblickte. Wir waren da stehen geblieben, um seinen Anblick zu genießen. Und nun störte uns diese fatale Figur, die, dem leichten duftigen Schleier entgegengesetzt, so schwer, so belastend, so bedrückend wirkte. Die Holzgerüste, welche sich vor diesem Schleier erhoben, taten dem Auge förmlich wehe, zumal man sie ohne Lot errichtet zu haben schien. Sie standen schief. Es gab nur einen einzigen Träger, der wirklich senkrecht stand. Diese Beobachtung machte ich nur so nebenbei. Sie erschien mir völlig unwichtig. Aber im Verlauf der irdischen Ereignisse gibt es nichts wirklich Bedeutungsloses; das sollte ich auch hier bald sehen.

Wir gingen nun nach dem Schlosse. Intschu-inta war unterwegs sehr still. Das Ergebnis unserer Nachforschung beschäftigte ihn innerlich. Oben angekommen, trennten wir uns. Er ging zu Tatellah-Satah, ich aber nach meiner Wohnung, wo ich das Herzle vermutete. Sie war auch da, und zwar nicht allein. Kolma Putschi war bei ihr. Beide saßen nebeneinander, Hand in Hand. Als ich eintrat, standen sie auf und kamen mir entgegen. Ihre Gesichter hatten den Ausdruck tiefer, ernster Rührung. Der Name Kolma Putschi ist dem Moquidialekt entnommen. Er bedeutet so viel wie Schwarzauge oder Dunkelauge. An diesem Auge, welches seinen Glanz noch immer besaß, erkannte ich sie sogleich wieder, obwohl sie sich übrigens se verändert hatte. Sie war bedeutend älter als ich. Ihre früher elastische Gestalt hatte sich gebeugt. Ihr grauglänzendes Haar war dünn gewordenen Zöpfen um den unbedecktem Kopf gelegt. Ihr sehr gealtertes Gesicht bestand aus lauter kleinen, winzigen, eng aneinander liegenden Fältchen. Und doch war es schön, dieses Gesicht. besaß jene von innen heraussprechende Schönheit, welche man Altersschönheit bezeichnet. Sie pflegt das Produkt vielen Leidens und Denkens zu sein. Ganz selbstverständlich war Kolma Putschi nicht mehr männlich, sondern weiblich gekleidet. Sie blieb vor mir stehe schaute mich lange, lange prüfend an und sagte dann, in ernstes Gesicht zu lächeln begann:

»Ja, das ist er! Noch ganz wie früher! Trotz der vielen, vielen Jahre, welche vergangen sind, seit wir uns nicht mehr sahen! Darf Shatterhand begrüßen?«

Sie fragte das, ohne mir die Hand entgegenzustrecken. Ich antwortete:

»Was gäbe es für einen Grund, dies nicht zu dürfen?«

»Die Feindschaft!«

»Welche Feindschaft? Ich kenne keine.«

»Auch ich kannte sie nicht; nun aber habe ich sie kennengelernt. Old Shatterhand ist in Beziehung auf das Denkmal unser Gegner!«

»Vielleicht Gegner, keineswegs aber Feind. Ich habe Kolma Putschi geachtet, geliebt und bewundert, so lange ich sie kenne, und werde ihr diese Freundschaft bewahren, so lange ich lebe. Ich bitte um ihre Hand, die so kühn und tapfer sein konnte und doch so mild und so edel zu gleicher Zeit.«

Da wurde ihr Gesicht wie heller, warmer Sonnenschein, der aus jedem Fältchen zu mir ausstrahlte. Wir reichten uns die Hände. Ich zog sie fest an mich heran und küßte sie auf die lieben, guten, einst so tieftraurigen Augen. Dann nahmen wir beieinander Platz, um das durch mein Kommen unterbrochene Gespräch fortzusetzen. Da sah und hörte ich denn, daß Kolma Putschi im Verlauf der letzten Jahrzehnte viel, sehr viel gelernt hatte. Sie war mit Young Surehand und Young Apanatschka, ihren Enkeln, geistig emporgewachsen, aber leider nicht über die Anschauungen und Ansichten dieser Enkel hinaus. Sie schwärmte für die geplante, rein äußerliche Winnetou-Apotheose, und sie war überzeugt gewesen, daß ich und das Herzle ganz ebenso schwärmen würden. Als Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen entstanden, hatte sie geglaubt, daß es nur unseres Kommens bedürfe, um diese Konflikte zu lösen. Sie war in den letzten Tagen nicht hier gewesen und erst mit Old Surehand und Apanatschka zurückgekehrt. Da hatte sie dann alles erfahren, daß wir angekommen seien, daß man uns abstoßend und geringschätzig behandelt habe und daß uns aber von Tatellah-Satah die große Genugtuung bereitet worden sei, von ihm persönlich nach dem Schlosse abgeholt zu werden, um dort als seine besonderen Gäste in seiner Nähe zu wohnen. Das hatte die Spaltung zwischen Oberstadt und Unterstadt erweitert. Man befürchtete in der Unterstadt, daß nun grad Old Shatterhand, den man hatte auf die Seite schieben wollen, sich in der Denkmalsfrage das entscheidende Wort anmaßen werde, und das hatte Old Surehand und Apanatschka veranlaßt, zu erklären, daß sie fest entschlossen seien, mich in meiner Wohnung bei Tatellah-Satah nicht aufzusuchen. Kolma Putschi aber hatte es nicht über das Herz gebracht, in derselben Weise schroff zu sein. Sie hatte sich bei dem »Bewahrer der großen Medizin« anmelden lassen, um ihn um die Erlaubnis zu bitten, uns bei ihm besuchen zu dürfen, und er hatte sehr gern eingewilligt. Nun hatten die beiden Frauen während meiner Abwesenheit schon stundenlang beisammen gesessen und inniges Wohlgefallen aneinander gefunden. Das war zwar nur eine kurze Zeit, aber dem Herzle schien es trotzdem schon gelungen zu sein, ihrer Gastin das zu geben, was diese von ihr erwartete. Der Brief, den Kolma Putschi zu uns hinübergeschrieben hatte, schloß bekanntlich mit den Worten: »So komm also, und bring mir Deine Menschenliebe, Deine Herzensgüte und – – – Deinen Glauben an den großen, gerechten Manitou, den ich gern ebenso deutlich fühlen möchte, wie Du, meine Schwester, ihn fühlst.« Diese Liebe, diese Güte und dieser Glaube, sie waren jetzt da. Was ich als Mann in scharfem Tone hätte sagen müssen, das hatte das Herzle in freundlicher Eindringlichkeit gesagt. Als ich jetzt kam, war Kolma Putschi schon mehr als halb zu unserer Ansicht herüberbekehrt, und es bedurfte nur noch weniger Worte, um ihr meine Ansichten und Entschlüsse zu präzisieren. Als sie mich bat, doch nach der Unterstadt zu kommen und Old Surehand und Apanatschka aufzusuchen, antwortete ich:

»Das darf ich nicht. Ich bin Gast Tatellah-Satahs, und wer ihn meidet, den habe auch ich zu meiden.«

»Steht es so, wirklich so?« fragte sie besorgt.

»Ja, so!« bestätigte ich. »Nach den Gesetzen der roten Männer ist das Haus meines Wirtes auch mein Haus. Wer es verachtet verachtet auch mich!«

»Verzeih! Wenn du von Verachtung sprichst, so irrst du dich. Niemand wird es wagen, dich zu verachten!«

»Falsch! Nicht ich bin es, der sich irrt. Ich wurde eingeladen, dem Mount Winnetou zu kommen. Ich kam. Man hatte mich zu empfangen, mich zu begrüßen, mich willkommen zu heißen. Wer das getan? Niemand kam zu mir. Ich wurde aufgefordert, zu euch kommen, euch nachzulaufen. Nun sollst du die Antwort hören, ich euch hierauf erteile.«

Das Herzle gab mir einen heimlichen Wink, doch nicht in energischen Ton zu sprechen; es war ja doch eine Frau, die ich vor mir hatte. Ich aber wußte gar wohl, was ich wollte, und fuhr in der Weise fort:

»Ich bitte Kolma Putschi, zu Old Surehand und Apanatschka zu gehen und ihnen zu sagen, daß ich sie für morgen zum Mittagessen zu mir einlade, hierher, in meine Wohnung. Es werden auch noch Personen geladen sein, doch wer sie sind, das weiß ich jetzt nicht.«

Da wurde ihr Gesicht noch ernster, als es so schon war.

»Du meinst, daß meine Söhne kommen werden?« fragte sie.

»Ich hoffe es!«

»Zu Mittag?«

»Genau zu Mittag, keine Minute später.«

»Und wenn sie nicht kommen?«

Bei dieser Frage waren ihre Augen in größter Spannung auf mich gerichtet. Ich antwortete:

»So nehme ich das als die größte Beleidigung, die mir widerfahren ist; der Kampfplatz wird sofort abgesteckt, und die Kugeln werden sprechen!«

»Zwischen solchen Freunden, wie ihr gewesen seid?«

»Ein Freund, der mich beleidigt, ist schlimmer als ein Feind! Sag ihnen das! Teile ihnen mit, daß ich zwar grau geworden, aber noch immer der Alte bin! Wenn sie nicht kommen, schießen wir uns. Und dann wird euer ganzes Komitee zum Teufel gejagt und ein anderes, würdigeres gewählt. Winnetou war Häuptling der Apatschen. In welcher Weise er zu ehren ist, darüber haben nur Apatschen zu bestimmen!«

»Wenn Old Shatterhand droht, so ist das, was er droht, so sicher und gewiß, als sei es bereits geschehen. Du sprichst im Ernst?«

»Im vollsten Ernst! Weshalb hat Winnetou gelebt? Weshalb ist er gestorben? Etwa um einen jungen Maler und einen jungen Bildhauer berühmt zu machen? Und wie haben diese beiden unerfahrenen Leute ihn dargestellt? Wo ist sein Geist, wo seine Seele? Jeder Cowboy, Runner, Loafer oder Tramp kann genau in derselben Rowdy-Pose stehen wie die tönerne Figur da unten, von der man uns sagte, daß sie Winnetou bedeute! Bitte, liebes Herzle, zeige ihr einmal einen anderen Winnetou, nämlich den unseren!«

Meine Frau ging, den betreffenden Koffer zu öffnen, und brachte die photographischen Abzüge, welche sie daheim gemacht hatte. Als ich zu ihr trat, um den betreffenden herauszusuchen, benutzte sie diese Gelegenheit, mir leise zuzuraunen:

»Sei doch gut! Nicht so grob! Sie weint ja beinahe! Sie ist doch nicht schuld daran!«

»Mehr als du denkst!« antwortete ich ebenso leise. »Sie versteht nichts von Kunst und vergöttert ihre Enkel. Laß mich nur!«

Ich habe schon früher gesagt, daß ich den Sascha Schneiderschen, zum Himmel strebenden Winnetou mitgebracht hatte. Wir besaßen mehrere Abzüge davon. Ich nahm einen und befestigte ihn mit vier Nadeln an die Wand; dann brannte ich die Lampe an, denn es war inzwischen fast dunkel geworden. Das Licht fiel von beiden Seiten auf das Bild. Das Kreuz, welchem Winnetou entgegenschwebt, begann zu leuchten.

»Das ist unser Winnetou«, sagte ich, »nicht der eurige. Schau dir ihn an!«

Sie hob die Augen und sagte nichts. Sie trat näher hinzu und sagte nichts. Sie trat wieder zurück, Schritt um Schritt, und sagte nichts. Dann, an der gegenüberliegenden Wand angekommen, ließ sie sich in sitzende Stellung nieder, hielt ihre Augen unablässig auf das Bild gerichtet und sagte noch immer nichts. Aber in ihrem Gesichte glänzte der Schein einer höheren Freude. Es war etwas seelisch Schönes und seelisch Glückliches über sie gekommen, was sie nicht verstand und nicht zu deuten wußte. Da bewegte sich der Türvorhang neben ihr, und es trat jemand herein, dessen Kommen wir am allerwenigsten erwartet hatten, nämlich Tatellah-Satah. Er hatte mir vollständige Freiheit gewährt und sich vorgenommen, mich so wenig wie möglich zu stören; nach der heutigen Entdeckung aber und nach dem Bericht, den Intschu-inta ihm höchstwahrscheinlich erstattet hatte, war es ihm Bedürfnis gewesen, mich aufzusuchen, um Näheres zu erfahren. Er sah das Bild, blieb unter der Türe stehen und beobachtete es mit immer größer werdenden Augen. Dann trat er herein in das Zimmer, schritt langsam näher und näher, wich wieder zurück, tat einige Schritte vorwärts, während in seinem Gesicht die Gedanken kamen und gingen. Seine Augen leuchteten mehr und mehr. Es kam ein frohes Erkennen über ihn.

»Uff, uff!« rief er endlich aus. »Das ist Winnetou? Der wirkliche Winnetou? Also unser Winnetou?«

Ich nickte.

»Aber nicht sein Körper, sondern seine Seele!« fuhr er fort. »Sie schwebt zum Himmel! Ueber ihm das Kreuz! ähnlich dem Passiflorenkreuz, welches er in meinem Haus und in meinem Herzen pflanzte! Seinem Haar entfällt die Häuptlingsfeder! Das letzte Irdische, was noch an ihm haftete! Nun ist er erlöst! Nun ist er frei! Wie schön, wie schön!«

Er stand wie verzückt. Seine Lippen bewegten sich, doch hörte man die Worte nicht, die ihnen entschlüpfen wollten. Erst nach einiger Zeit sprach er laut:

»Das ist er; ja, das ist er! Könnten wir ihn unsern Völkern doch so zeigen, wie wir hier ihn sehen! Könnten wir ihm doch ein Denkmal setzen, welches ihn genauso gibt, wie ich ihn in diesem Augenblick empfinde – als Seele!«

»Das können wir!« antwortete ich.

»Wirklich?« fragte er.

»Ja! Das können wir, und das werden wir!«

»Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Ihn als Seele zu zeigen? In Erz, in Marmor oder in sonstigem Gestein?«

»Nicht in Erz und nicht in Stein! Und doch höher und herrlicher ragend als die steinerne Gestalt, welche sich auf dem Mount Winnetou erheben soll!«

»Ich verstehe dich nicht!«

»Du wirst mich verstehen. Vielleicht schon morgen. Komm! Setz dich! Ich habe dir noch mehr zu zeigen.«

Er folgte dieser Aufforderung. Da erhob Kolma Putschi sich von ihrem Platz. Sie hatte ihr erstauntes Schweigen bis jetzt beibehalten; nun aber sagte sie, sich an mich wendend:

»Old Shatterhand hat gesiegt, wie immer. Doch nicht allein. Sondern mit seinem Freund und Bruder Winnetou.«

Bei diesen Worten deutete sie auf das Bild und fuhr dann fort:

»Freilich, einen solchen Winnetou bringt weder Young Surehand noch Apanatschka fertig! Ich gehe jetzt. Ich werde deine Einladung zum Mittagessen überbringen, und ich hoffe, sie stellen sich ein, die du zu sehen wünschest. Würdest du ihnen deinen Winnetou zeigen?«

»Wenn sie ihn zu sehen wünschen, ja.«

»So lebt wohl! Ich wußte bisher nicht, daß es Bilder gibt, die mächtiger und eindringlicher predigen, als Worte predigen können!«

Sie ging.

Ja, sie hatte bisher nicht geahnt, welche eine Sprache die wahre Kunst besitzt. Ich aber wußte es. Und darum hatte ich ihr dieses Bild gezeigt, für dessen Stimme in ihrem Herzen die tiefste Resonanz zu hoffen war. Sie hatte ihn ja persönlich gekannt, den es darstellte. Sie hatte ihn verehrt und geliebt. Und sie hatte es ihm zu verdanken, daß ihr einst so freudeloses Leben eine so unerwartete Wendung zum Glück genommen hatte. Da konnte sein Bild ja ganz unmöglich ohne Wirkung auf sie sein. Und diese Wirkung nahm sie jetzt mit sich heim. Meine Strenge war berechnet, und ich erwartete, daß diese Rechnung stimmen werde. Als sie sich entfernt hatte, begann Tatellah-Satah:

»Ich komme, um dich über deine Höhlenforschung zu hören und dir sodann die Bibliothek zu zeigen, aus welcher die Karte gestohlen worden ist. Doch sprechen wir vorher erst über dieses Bild. Hast du vielleicht nur dieses eine? Dann darf ich den Wunsch nicht aussprechen, den ich hege.«

»Ich besitze mehrere.«

»So bitte ich dich, mir eines davon zu schenken!«

»Nimm dieses hier! Es ist dein!«

»Ich danke dir! Ist es nicht sonderbar, daß Old Shatterhand immer der Gebende ist, so oft er zu seinen roten Brüdern kommt? Was er von ihnen bekommt, ist wenig, denn sie sind arm. Was aber er gibt, das sind innere Reichtümer, für die es keine »äußere Bezahlung gibt. Wenn ich in dieser Weise von Old Shatterhand spreche, so meine ich nicht ihn allein, sondern das Bleichgesicht überhaupt, dem wir von jetzt an nur noch Gutes zu verdanken haben werden. Glaubst du, mit diesem Bild die Gegner zu besiegen?«

»Nicht mit Winnetous Bild, sondern durch Winnetou selbst. Das Bild soll nur der Schlüssel sein, der mir die Herzen und das Verständnis öffnet. Während die da unten am Schleiersee am Monument bauen, lasse auch ich bauen.«

»Was?«

»Auch eine Figur, eine Winnetoufigur. Aber unendlich größer, schöner und edler, als sie je ein Künstler herstellen könnte.«

»Und wer baut sie? Du?«

»Ich? O nein! Wenn kein Künstler das vermag, so vermag ich es doch noch viel weniger! Der Baumeister, der Bildhauer ist Winnetou selbst! Und sein Werk ist ein Meisterwerk. Es ist schon vollendet. Ich brauche es nur aufzustellen.«

»Wo hast du es?«

»Hier, im Nebenzimmer. Ich grub es aus. Am Nugget-tsil. Es ist sein Vermächtnis. Es sind die Manuskripte, welche er schrieb. Laß also die Surehands und die Apanatschkas da unten am Wasserfall bauen! Wir bauen auch! Hier oben, bei dir, im Schlosse. Wessen Bau eher fertig wird und welcher der wertvollere ist, das wird sich finden! Ich bitte dich um die Erlaubnis, morgen ein Mittagessen zu geben. Punkt zwölf. Ich ließ Old Surehand und Apanatschka durch Kolma Putschi laden.«

»Uff! Die kommen nicht!«

»Sie kommen! Denn ich ließ ihnen sagen, daß ich, falls sie mich durch Absage beleidigen, die Kugeln sprechen lassen werde.«

»So kommen sie!«

»Ich lade alle deine Häuptlinge dazu. Auch Athabaska und Algongka, Wagare-Tey, Avaht-Niah, Schako Matto und andere. Nur dich nicht. Denn du hast höher zu stehen, als alle die, welche ich nannte.«

»Tue, was dir beliebt: du weißt, daß du Herr hier bist. Sag‘ Intschu-inta alles, was du brauchst, besonders die Speisen, welche du wählst. Er wird dir alles besorgen. Darf ich fragen: Wozu dieses Mittagessen?«

»Erstens, um Old Surehand und Apanatschka herbeizuzwingen. Zweitens und hauptsächlich aber, um mit diesen Häuptlingen allen das zu bilden, was die Bleichgesichter als einen Lesezirkel bezeichnen. Sie haben täglich des Abends hier oben im Schloß zu erscheinen. Du übernimmst den Vorsitz, und ich lese vor, was Winnetou geschrieben und allen roten, weißen und anderen Menschen hinterlassen hat.«

»Uff, uff! Vortrefflich, vortrefflich!« rief der »Bewahrer der großen Medizin« aus.

»In diesen Papieren ist sein Geist und ist seine Seele enthalten. Während ich lese, tritt aus ihnen seine klare, reine, edle und wahrhaft große Persönlichkeit hervor. Im Innern des Zuhörers bildet sich die seelische, also die wirkliche, die wahrheitstreue Figur meines und deines Winnetou. Und wer diese in sich fühlt, wer sie geistig gesehen und begriffen hat, der ist für das Komitee und für Mr. Okih-tschin-tscha alias Antonius Paper verloren. Stimmst du mir bei?«

Er reichte mir die Hand und sprach:

»Ich bin von ganzem Herzen einverstanden! Zwar kenne ich das, was unser Winnetou geschrieben hat, nicht wörtlich, aber er hat mich oft einen Blick in diese Gedanken tun lassen, und so vermute ich, daß der von dir vorgeschlagene Weg wahrscheinlich ohne häßlichen Kampf zum Frieden führt. Also, ich bin einverstanden.«

»So nimm dein Bild, und erlaube mir, dir noch ein zweites zu zeigen.«

Ich gab ihm das erstere und steckte einen großen Abzug von Marah Durimeh an dessen Stelle. Kaum sah er diesen, so erhob er sich von seinem Sitz und rief aus:

»Wer ist das? Bin das ich? Ist das meine Schwester? Ist es meine Mutter? Oder eine Ahne von mir?«

»Es ist Marah Durimeh, von der ich dir noch viel erzählen werde.«

»Du sagst Marah Durimeh. Ist das gleichbedeutend mit unserer Königstochter Marimeh?«

»Ja; doch davon später. Da wir einmal hier bei den Bildern sind, zeige ich dir noch ein drittes.«

Ich steckte neben Marah Durimeh einen Abzug von Abu Kital an die Wand. Es war ein ganz eigentümlicher Eindruck, den dieses Porträt auf Tatellah-Satah machte. Er sah es starr an, schloß hierauf die Augen, dachte nach und sagte dann, ohne die Augen zu öffnen:

»Den kenne ich! Den hat mir Winnetou beschrieben. Und dabei sagte er mir, er habe diese Beschreibung von dir! Das kann nur der Gewaltmensch sein, dessen bloßer Anblick schon dem Herzen weh tut! Du hast ihn Abukal genannt.«

»Richtig! Nur der Name ist falsch. Er heißt Abu Kital, nicht Abukal. Ich habe mit Winnetou oft über ihn gesprochen.«

»Ich kann ihn nicht ersehen, bitte dich aber doch, ihn später einmal genau betrachten zu dürfen.«

»Nimm ihn mit. Nimm auch Marah Durimeh mit. Du kannst sie beide behalten; ich habe mehrere Exemplare.«

»So schlage sie mir ein, und gib sie mir!«

Ich tat dies. Erst als er sie in der Hand hatte, öffnete er die Augen wieder und sprach:

»Ich gehe; ich nehme sie mit, alle drei. Sie halten mich in Gedanken fest. Ich bin ihr Gefangener. Nun fehlt mir für heut die Zeit, dir die Bibliothek zu zeigen. Ich werde es morgen tun oder später. Also, sprich mit Intschu-inta über alles, was du zum Mittagessen brauchst! Ich gehe.«

Es war ein eigentümliches Gefühl, welches er uns zurückließ Unsere Photographien hatten gar nicht den Zweck gehabt, in dem Mount Winnetou genommen zu werden, und nun schienen sie uns hier von Wichtigkeit zu sein. Für das Herzle aber gab es zunächst noch viel größere Wichtigkeiten, und es versteht sich ganz von selbst daß sich diese alle auf das morgige Mittagessen bezogen. Die Einladung war von mir ausgegangen; darum fühlte sie sich als Wirtin. Sie war der Ansicht, daß sie mit Intschu-inta den Speisezettel zu besprechen habe. Sie ließ also den riesigen Diener kommen. Das machte mir Spaß. Als er sich einstellte, gab er uns vor allen Dingen die Versicherung, daß von allem, was wir brauchten, Fleisch, Mehl und anderes, mehr als genug vorhanden sei. Das klang so tröstlich, daß das Herzle Mut bekam. Sie stellte ein Menü auf. Eine Suppe mit Schaumklößchen, Huhn, Fisch, Braten, Kochfleisch, Salat, süße Speise, Käse usw. Vor allen Dingen lag ihr sehr viel an einem Ragout von Wildbret und einem Flammeri von Gries mit Beerensauce. Intschu-inta hörte andächtig zu und nickte zu allem. Er hatte alles; er wußte alles; er kannte alles; und er versprach alles. In Wahrheit aber wurde sein Gesicht immer länger und länger. Als sie die verschiedenen Gewürze erwähnte und dabei nach einer Peppermill fragte, versicherte er, daß mehr als zwanzig Stück vorhanden seien. Da strahlte sie vor Vergnügen.

»Hörst du, es ist alles, alles da!« jubelte sie. »Das wird ein Essen, mit dem ich Ehre einlege!«

»Liebes Herzle, willst du dir diese schönen Sachen nicht vielleicht erst einmal zeigen lassen?« fragte ich.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
610 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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