Читать книгу: «Waldröschen V. Ein Gardeleutnant», страница 3
»Ich sehe mich gezwungen, den einzigen Weg zu gehen, den man mir offengelassen hat. Aber ebenso, wie der Herr Oberst gewöhnt ist, sich nicht unterbrechen zu lassen, was ich mir merken soll, so habe ich auch meine Gewohnheiten, und zu diesen gehört, daß ich meinen Weg gehe, ohne mich hindern oder gar aufhalten zu lassen, was man sich gefälligst auch merken möge! Darf ich fragen, wann ich mich zur Verfügung zu stellen habe?«
Bei dieser kühnen Entgegnung hatte sich der Adjutant langsam erhoben; er maß den Sprecher mit einem Blick, in welchem das feindseligste Erstaunen zu lesen war. Das Gesicht des Obersten zeigte sich vom Zorn tief gerötet, doch beherrschte er sich und sagte in gebieterischem Ton:
»Was kümmern uns Ihre Gewohnheiten! Melden Sie sich morgen Punkt neun Uhr vor der Front zum Dienst. Jetzt sind Sie entlassen!«
Da zog Kurt das Schreiben hervor, überreichte es mit einer dienstlichen Abschiedsbewegung und sagte:
»Zu Befehl, Herr Oberst! Zuvor aber diese Zeilen, die ich von Seiner Exzellenz den Befehl habe, zu überreichen.«
Er drehte sich um und verließ sporenklirrend das Zimmer. Der Oberst hielt das Kuvert in der Hand, doch sein Auge ruhte auf dem Adjutanten.
»Ein renitenter Kerl«, meinte er zornig. – »Man wird ihm seine Kartoffeln unter die Nase reiben«, antwortete dieser. – »Ich kann nicht begreifen, daß die Exzellenz ihm eine dienstliche Zufertigung anvertraut! Oder sollte der Inhalt privater Natur sein? Will sehen!«
Er öffnete und las:
»Herr Oberst!
Überbringer ist von kompetenter Seite warm empfohlen. Ich erwarte, daß dies von seinen Kameraden ebenso berücksichtigt werde, wie ich bereit bin, nach Prüfung seiner Fähigkeiten dieselben anzuerkennen. Ich wünsche nicht, daß seine bürgerliche Abstammung ihn um das freundliche Willkommen bringe, das er erwarten wird.«
Der Oberst stand, als er dies gelesen hatte, mit geöffnetem Mund da.
»Alle Teufel!« rief er. »Das ist ja geradezu eine Empfehlung! Und noch dazu vom Minister selbst, eigenhändig geschrieben und adressiert! Aber es kann mir nicht einfallen, eine solche Bresche in unseren aristokratischen Zirkel sprengen zu lassen. Hier hört selbst die Macht eines Ministers auf. Und dieser Helmers ist mit seinem widerstrebenden Auftreten nicht der Mann, dem zuliebe man unsere alten und wohlberechtigten Regeln umstürzen möchte.«
Kurt fuhr zum Major, bei dem gerade er zu dieser Zeit der Gegenstand des Gesprächs war. Der Rittmeister befand sich mit seiner Frau bei Majors, und außerdem gab es da noch einen jungen Leutnant, der ein Verwandter des letzteren war. Er war heute beim Abschluß der Wette und auch während des Diners zugegen gewesen, hatte sich jedoch dabei sehr schweigsam verhalten und erzählte jetzt den Vorgesetzten und ihren beiden Damen den Vorgang. Dabei kam natürlich die Rede auch auf den neuen, bürgerlichen Kameraden, dessen Eintritt in das Regiment der Adjutant verkündigt hatte. Sowohl der Major als auch der Rittmeister schlossen sich dem allgemeinen Beschluß, Helmers abweisend zu behandeln, an, aber der Leutnant sagte mit ruhiger Freimütigkeit:
»Man sollte einen solchen Beschluß doch nicht fassen, ohne den Kameraden zuvor kennengelernt zu haben. Er ist zwar bürgerlich, aber das schließt ja doch nicht aus, ein Ehrenmann zu sein. In diesem Fall muß er sich fürchterlich beleidigt fühlen, er wird mit aller Gewalt provoziert, und es ist nicht abzusehen, welche Händel da entstehen können.« – »Pah, Sie sind zu weichherzig, mein lieber Platen«, meinte der Major. »Das ist ein Jugendfehler. In zehn Jahren werden Sie ähnliche Fälle sicher ganz anders beurteilen. Es drängt sich keine Krähe ungestraft in den Kreis der Falken und Adler ein. Plebs bleibt Plebs, ich kenne das. Dieser Eindringling wird mir heute jedenfalls seine Antrittsvisite machen, und er soll sofort merken, was er von uns zu erwarten hat.«
Bereits während dieser Worte hatte sich das Rollen eines leichten Wagens hören lassen. Jetzt öffnete sich die Tür, und der Diener meldete den Leutnant Helmers.
»Ah, lupus in fabula!« sagte der Rittmeister, indem er sein Gesicht in strenge Falten legte.
»Eintreten!« befahl der Major, indem er kampfbereit den Schnurrbart strich, sich aber keinen Zoll hoch vom Sitz erhob.
Kurt trat ein. Er sah die finsteren Blicke der beiden Offiziere und die zusammengekniffenen, hochmütigen Augen der Damen; es war ihm nicht zweifelhaft, welcher Empfang ihn auch hier erwartete. Er stellte sich in dienstliche Positur und harrte, bis man ihn anreden werde.
»Wer sind Sie?« fragte der Major schroff. – »Leutnant Helmers, Herr Major. Ich hörte, daß Ihr Diener Ihnen diesen Namen bereits nannte.«
Mit diesen Worten parierte Kurt den ersten Hieb. Der Major schien dies nicht zu beachten und fuhr fort:
»Sie waren bereits beim Oberst?« – »Zu dienen!« – »Haben Sie Ihre Instruktionen wegen Ihres Eintrittes von ihm empfangen?« – »Allerdings.« – »So habe ich nichts hinzuzufügen. Sie mögen abtreten!«
Er hatte nicht die geringste Miene gemacht, sich zu erheben, der Rittmeister ebensowenig; nur Leutnant Platen war aufgestanden und hatte Kurt mit kameradschaftlicher Freundlichkeit zugenickt. Dieser wandte sich nicht, um das Zimmer zu verlassen, wie erwartet worden war, sondern er ließ seinen Blick über die Herren schweifen und sagte höflich, aber ernst:
»Ich bemerke hier die Abzeichen meiner Schwadron, Herr Major, und bitte um die Güte, mich den Herren vorzustellen. Dann werde ich Ihrem Befehl, ›abzutreten‹, sofort Folge leisten.« – »Die Herren haben Ihren Namen bereits gehört, er ist ja kurz genug, um nicht so schnell vergessen zu werden«, antwortete der Major geringschätzig. »Rittmeister von Codmer und Leutnant von Platen.« – »Danke!« sagte Kurt gleichmütig. »Jetzt kann ich ›abtreten‹, obgleich man sich dieses Ausdruckes nur bei Rekruten, nicht aber bei Offizieren zu bedienen pflegt.«
Im nächsten Augenblick hatte er das Zimmer verlassen. Der Rittmeister sah den Major an und sagte:
»Ein frecher Mensch, auf Ehre!« – »Mir das zu bieten!« rief der Angeredete zornig. – »Pack, bürgerliches Pack! Ohne Anstand und Bildung, wie es ja auch nicht anders zu erwarten war!« beklagte sich eine der Damen. – »Hm, der Herr Kamerad scheint Schneid zu haben«, wagte der Leutnant zu bemerken. »Man muß vorsichtig mit ihm sein. Ich finde ihn gar nicht übel – elegant, schöne Haltung, famoses Gesicht. Wenn er mit dem Säbel ebenso schlagfertig ist wie mit der Zunge, so wird er bald von sich reden machen.« – »Das soll ihm wohl nicht einfallen!« rief der Major. »Man wird ihn darauf aufmerksam machen, daß Duellanten auf die Festung geschickt werden. Ich hoffe, Ihr gutes Herz wird Ihnen keinen Streich spielen, bester Platen.« – »Mein gutes Herz wird nie etwas von mir fordern, was sich nicht mit meiner Ehre verträgt«, antwortete der Leutnant etwas zweideutig.
Die Erscheinung und das ganze Auftreten Kurts hatten ihn sympathisch berührt, und er fühlte, daß er diesem neuen Kameraden nicht in ungerechter Feindseligkeit gegenübertreten könne.
4. Kapitel
Kurt kehrte nach Hause zurück, wo er dem Herzog erzählen mußte, wie er von den Herren empfangen worden war. Als er seinen Bericht beendet hatte, zuckte Olsunna die Achsel und meinte lächelnd:
»Ich habe dies so ziemlich erwartet. Die Garde ist in jedem Land das stolzeste Korps, und hier im Norden soll es ja ein Junkertum geben, das seine alten Traditionen mit außerordentlicher Peinlichkeit verteidigt. Dich darf das nicht beunruhigen, mein lieber Kurt. Während deiner Abwesenheit erhielt ich einige Zeilen vom Großherzog von Hessen, der sich in Berlin befindet, und …« – »Der Großherzog in Berlin?« unterbrach ihn Kurt schnell. »Wie kommt er nach hier? Ich habe ihn ja erst vorgestern in Darmstadt gesprochen.« – »Er ist per Telegraf zum König von Preußen gebeten worden. Ich ersehe aus den Zeilen, daß es sich um irgendeine diplomatische, sehr dringende Angelegenheit handelt. Vielleicht bezieht sie sich auf die Neustellung Hessens zu Preußen, dem es ja im beendeten Krieg feindlich gegenübergestanden hat; vielleicht aber handelt es sich auch um weitläufigere Dinge. Dieser Herr von Bismarck ist ein außerordentlicher Kopf und rechnet mit ungewöhnlichen, kühnen Zahlen. Daß die Gegenwart des Großherzogs so verzugslos gewünscht wird, läßt auf wichtige Dinge schließen. Man gibt ihm dadurch den Charakter eines bedeutenden Mannes, und darum wird sein Einfluß eine größere Tiefe erhalten. Dies freut mich auch um deinetwillen. Der Großherzog bittet mich, zu ihm zu kommen, und ich werde diese Gelegenheit benutzen, ihm zu erzählen, wie man dich, seinen Schützling, den er so warm empfohlen hat, hier empfängt. Ich bin überzeugt, daß er dir zu einer glänzenden Genugtuung verhelfen wird.«
Der Herzog hielt in seiner Rede inne, horchte und trat an das Fenster. Es hielt unten am Tor ein Wagen, doch waren die Insassen desselben bereits ausgestiegen, so daß man sie nicht mehr sehen konnte. Dann ließen sich draußen im Vorzimmer laute, muntere Stimmen vernehmen, und ohne eine Anmeldung durch den Diener wurde die Tür geöffnet. In derselben erschien Rosa Sternau, die einstige Gräfin Rosa de Rodriganda. Hinter ihr erblickte man eine schöne, obgleich nicht mehr ganz junge Dame und einen alten Herrn von sehr distinguiertem Aussehen.
»Ah, gefunden, obgleich ich noch nie in Berlin gewesen bin!« rief Rosa, indem sie näher trat. – »Meine liebe Tochter!« jubelte der Herzog voll freudiger Überraschung. »Wie ist es möglich, Sie hier zu sehen, so sehr bald nach unserer Trennung?«
Sie eilte auf ihn zu, umarmte und küßte ihn und antwortete:
»Ich komme, Ihnen zwei sehr liebe und hochwillkommene Gäste zuzuführen, lieber Papa. Sehen Sie und raten Sie!«
Sie deutete auf die anderen beiden Personen, die hinter ihr eingetreten waren, und der Herzog warf infolgedessen einen forschenden Blick auf dieselben. Sie hatten das Aussehen sehr vornehmer, aber schnell gereister, ermüdeter Touristen. Dieser Ausdruck der Ermüdung war besonders auf dem schönen Angesicht der Dame zu bemerken, denn er wurde bei ihr hervorgehoben durch einen Zug stillen, entsagungsvollen Leidens, welcher in ebendemselben Grad sich auch in den Zügen Rosas de Rodriganda bemerken ließ.
Obgleich der Herzog in dem Herrn sofort einen Engländer erkannte, schüttelte er doch den Kopf und sagte:
»Lassen Sie mich nicht raten, liebe Tochter, sondern erfreuen Sie mich sofort durch die Bezeichnung der Freude, die Sie mir bereiten wollen!« – »Nun wohl!« sagte sie. »Dieser Herr ist der von uns so lange Zeit vergeblich gesuchte und verschollen gewesene Sir Henry Lindsay, Graf von Nothingwell, und diese Dame ist …« – »Miß Amy, die Tochter des verehrten Grafen?« fiel Olsunna schnell ein. – »Allerdings, Papa!«
Da schritt der Herzog auf die beiden zu, streckte ihnen die Hände entgegen und meinte mit vor Freude strahlendem Angesicht:
»Willkommen, von ganzem Herzen willkommen! Wir haben nach Ihnen gesucht und geforscht eine ganze Reihe von Jahren, leider vergeblich. Darum ist es für uns fast wunderbar, Sie so unerwartet bei uns zu sehen.«
Sir Lindsay nickte langsam und bedeutungsvoll mit dem Kopf und erwiderte:
»Wir haben gehört, wie fleißige und sorgfältige Nachforschungen Sie hielten, um uns zu finden. Ich werde Ihnen erzählen, warum diese Nachforschungen ohne Erfolg blieben. Einstweilen will ich bemerken, daß ich aus Mexiko komme, um diplomatische Aufgaben zu lösen. Das letzte Lebenszeichen, das in unsere Hände kam, belehrte uns, daß Gräfin Rosa de Rodriganda in Rheinswalden zu finden sei, und ich konnte meiner Tochter den Wunsch nicht abschlagen, diesen Ort aufzusuchen, bevor ich an meine Geschäfte trete. Wir fanden die Gräfin und hörten, daß Sie, Herzogliche Durchlaucht, hier zu finden seien; darum reisten wir sofort ab, um uns Ihnen vorzustellen.« – »Daran haben Sie wohlgetan, Sir. Es sollte mich freuen, Ihnen in Beziehung Ihrer diplomatischen Sendung von Nutzen sein zu können. Gestatten Sie mir, Ihnen hier meinen jungen Freund, den Leutnant Kurt Helmers, vorzustellen?« —»Helmers? Diesen Namen kenne ich. So hieß ein Steuermann, dessen Bruder ein berühmter Präriejäger war.« – »Der Steuermann war mein Vater«, fiel Kurt ein. – »Ah, Herr Leutnant, so bin ich imstande, Ihnen von Ihrem Vater zu erzählen«, sagte der Engländer. »Leider aber kenne ich sein Schicksal nur bis zu dem Augenblick, als er die Hacienda del Erina verließ.«
Man nahm Platz, um die Unterhaltung fortzusetzen. Amy stand im Begriff, sich auf einem Fauteuil niederzulassen, der am Fenster stand. Dabei fiel ihr Blick ganz unwillkürlich auf die Straße, sie stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus und trat eilig vom Fenster zurück.
»Was ist‘s? Was überrascht dich?« fragte ihr Vater, indem er hinzutrat. – »Mein Gott, sehe ich recht? Ist‘s möglich?« rief sie, auf einen Mann deutend, der in einfacher, bürgerlicher Tracht langsamen Schrittes auf dem jenseitigen Trottoir herbeigeschlendert kam und dessen Augen mit einem sehr neugierigen Blick das herzogliche Palais musterten.
Es war Kapitän Parkert, den wir in Gesellschaft der Offiziere getroffen haben. Er hatte dort seine Überraschung bemeistert, als der Name Sternau genannt worden war, und sich fest vorgenommen, das Terrain zu rekognoszieren.
Jetzt kam er, und es war ihm sehr angenehm, vis-à-vis dem Palast die Restauration zu bemerken, in der er sich leicht erkundigen konnte.
»Meinst du den Herrn, der da drüben geht?« fragte Lindsay, der den Blicken seiner Tochter gefolgt war. – »Allerdings, diesen«, antwortete sie erregt. – »Kennst du ihn?« fragte er neugierig. »Es wäre fast wunderbar, wenn du so fern von den Orten, an denen wir bisher lebten, eine Person fändest, die du kennst.« – »Ob ich ihn kenne? Diesen Menschen!« rief sie, bleich vor Erregung. »Ich habe dieses Gesicht in einem Augenblick gesehen, den ich nie vergessen werde!« – »Wer ist er?« – »Es ist kein anderer als Landola, der Seeräuber!«
Es ist nicht zu beschreiben, welchen gewaltigen Eindruck diese Worte machten. Die Zuhörer standen einen Augenblick erstaunt, dann aber brach es los.
»Landola, der Kapitän der Pendola?« rief Rosa. – »Kapitän Grandeprise, der Pirat?« rief der Herzog. »Irren Sie sich nicht?« – »Nein«, antwortete Amy. »Wer dieses Gesicht ein einziges Mal gesehen hat, der kann sich nicht irren.«
Kurt hatte nichts gesagt. Er war an das Fenster getreten und heftete sein Auge auf den Mann, wie der Adler das seinige auf seinen Raub richtet.
»Er beobachtet unser Haus«, meinte der Herzog. – »Er weiß, daß wir hier wohnen«, fügte Amy hinzu. – »Der Zerstörer unseres Glückes sinnt auf neue Schandtaten«, sagte Rosa. – »Er tritt in jene Restauration«, bemerkte jetzt Kurt. »Jedenfalls wird er sich nach uns erkundigen wollen. Ah, er soll bedient werden.«
Er war mit einigen raschen Schritten zur Tür hinaus.
»Kurt, halt! Bleibe hier!« rief ihm der Herzog nach, doch vergeblich.
Die Anwesenden hörten, daß er nicht das Haus verließ, sondern die Treppe empor nach seinem Zimmer ging. Der Herzog folgte ihm nach und fand ihn im Begriff, in höchster Eile seine Uniform abzulegen.
»Was willst du tun?« fragte er ihn. – »Ich will diesen Menschen überlisten«, antwortete der Gefragte. – »Du? Diesen gewandten Bösewicht? Wirst du das fertigbringen?« – »Ich hoffe es. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ihn sehe.« – »Ah, du kennst ihn?« fragte der Herzog erstaunt. – »Ja. Ich sah ihn bereits in Rheinswalden einmal. An dem Tag, an dem ich mich vom Hauptmann von Rodenstein verabschiedete, ging ich in den Wald und sah diesen Mann aus der Hütte des Hüters Tombi kommen, ohne daß er mich bemerkte. Als er fort war, fragte ich Tombi, wer der Fremde sei, und der Zigeuner sagte, es sei ein Mainzer Bürger, der sich hier im Wald verirrt und ihn nach dem rechten Weg gefragt habe.« – »So hat er also bereits in Rheinswalden nach uns spioniert!« – »Ja, und Tombi ist sein Vertrauter, wie es scheint. Dieser Seeräuber hat mich noch nie gesehen, erkennt mich nicht, ich werde mich umkleiden und ihn aufsuchen. Aus seinen Fragen wird zu hören sein, was er beabsichtigt.« – »Du magst recht haben, mein Sohn, aber ich ersuche dich, recht vorsichtig zu sein. Wir werden unterdessen überlegen, was weiter zu machen ist.«
Der Herzog kehrte beruhigt zu den Damen zurück. Kurt aber legte seinen einfachsten Zivilanzug an und begab sich dann über die Straße hinüber nach der Restauration. Als er dort eintrat, machte er ein sehr ernstes, enttäuschtes Gesicht, etwa wie ein Bittsteller, dem sein Gesuch abgeschlagen worden ist.
Kapitän Parkert saß als der einzige Gast gerade wie zuvor Leutnant Ravenow, an einem Tisch. Er hatte Kurt aus dem großherzoglichen Palais treten sehen und beschloß sogleich, sich an ihn zu wenden. Als Kurt an einem anderen Tisch Platz nehmen wollte, sagte er daher:
»Bitte, wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Es ist so einsam hier, und beim Glas pflegt man Gesellschaft vorzuziehen.« – »Ich habe ganz dieselbe Ansicht, mein Herr, und nehme also Ihr Anerbieten an«, antwortete Kurt. – »Sie tun recht«, nickte der Kapitän, indem er sein stechendes Auge mit forschendem Ausdruck auf den jungen Mann richtete. »Mir scheint, daß eine heitere Gesellschaft Ihnen dienlicher ist als die Einsamkeit« – »Warum?« – »Weil ich bemerke, daß Sie in sehr mißmutiger Stimmung sind. Sie haben sich jedenfalls geärgert. Vermute ich richtig?« – »Hm, Sie mögen recht haben«, murrte Kurt, indem er ein Glas Bier bestellte. »Große Herren lassen es sich sehr egal sein, ob sie uns gute oder schlechte Laune bereiten.« – »Ah, so ist meine Ahnung richtig. Sie kamen da aus dem großen Haus? Sie haben sich da drüben geärgert Vielleicht waren Sie Supplikant – Bittsteller —?« – »Möglich«, lautete die zurückhaltende Antwort. – »Wer wohnt denn eigentlich da drüben?« – »Es ist der Herzog von Olsunna.« – »Das ist doch ein spanischer Name!« – »Ja, er ist ein Spanier.« – »Reich?« – »Sehr!« – »Hat dieser Herzog eine Herzogin?« – »Das versteht sich!« – »Ah, jetzt besinne ich mich. Ich habe den Namen bereits einmal gehört. Ich glaube, der Herzog soll eine Mesalliance eingegangen sein?« – »Davon weiß ich nichts. So ein Herr nimmt sich doch jedenfalls eine Frau, die seiner würdig ist.« – »So kennen Sie seine Verhältnisse nicht genau?« – »Glauben Sie, daß ein Herzog einem Supplikanten, für den Sie mich doch gehalten haben, seine Verhältnisse mitteilt?« – »Wer oder was sind Sie?«
Kurt machte ein sehr mürrisches Gesicht und antwortete: »Das tut nichts zur Sache. Sie scheinen auch so ein vornehmer Herr zu sein, und da kümmert es Sie nicht, wie ich heiße und was ich bin.«
Das Gesicht des Kapitäns zeigte nicht die mindeste Mißbilligung dieser Antwort. Sein Auge blitzte vielmehr befriedigt auf, und in einem beruhigenden Ton meinte er:
»Abgeblitzt! Das gefällt mir. Ich liebe die verschwiegenen Charaktere, denn man kann sich auf sie verlassen. Waren Sie oft im Palais da drüben?« – »Nein«, antwortete Kurt, allerdings ganz der Wahrheit gemäß. – »Werden Sie wieder hinüberkommen?« – »Ja, ich muß sogar.«
Da rückte ihm der Kapitän näher und fragte mit halber Stimme:
»Hören Sie, junger Mann, Sie gefallen mir. Haben Sie Vermögen?« – »Nein. Ich bin arm.« – »Wollen Sie sich eine gute Gratifikation verdienen?« – »Hm! Womit?« – »Ich möchte die Verhältnisse dieses Herzogs genau erfahren, und da Sie bei ihm wieder Zutritt nehmen, so ist es Ihnen leicht, Verschiedenes zu erfahren. Wollten Sie mir dies mitteilen, so würde ich Ihnen dankbar sein.« – »Ich will es mir überlegen«, sagte Kurt nach einigem Nachdenken. – »Das genügt mir. Ich sehe, daß Sie vorsichtig sind, und das bestärkt mein Vertrauen zu Ihnen. Es ist möglich, daß ich Ihnen nützlich sein kann!« Und indem sein Blick den Anzug Kurts überflog, fügte er hinzu: »Wenn Sie wollen, können Sie sich bei mir ein Sümmchen verdienen, das Ihnen von Nutzen sein wird. Und dann, nachdem Sie mich als einen Mann kennengelernt haben, der nicht zu knausern pflegt, werden Sie auch mitteilsamer werden. Ich bin hier fremd und brauche einen Mann, auf den ich mich verlassen kann.« – »Was hat dieser Mann zu tun?« fragte Kurt, indem er sich den Anschein gab, als ob er sich über die versteckte Offerte seines Gegenübers freue.
Dieser warf abermals einen stechenden Blick auf ihn. Kurt war einfach gekleidet und gab sich Mühe, ein unbefangenes, alltägliches Gesicht zu zeigen. Dies beruhigte den Kapitän. Er gewann die Ansicht, daß dieser junge, jedenfalls noch unerfahrene Mensch, dessen Züge übrigens von Klugheit zeugten, sich recht gut und ohne Gefahr benutzen lassen werde, und darum sagte er:
»Sie verschweigen, wer Sie sind. Darf ich wenigstens wissen, wer Ihr Vater ist?« – »Mein Vater ist ein Schiffer.« – »Ah, also gehören Sie nicht zu den vornehmen Leuten. Sie suchen vielleicht eine Stellung?« – »Ich habe sie zugesagt erhalten, aber man macht mir Schwierigkeiten.«
Das war dem Kapitän willkommen. Er sagte mit der Miene eines Protektors:
»Lassen Sie sie fahren. Ich kann Ihnen ein jedenfalls besseres Unterkommen verschaffen, wenn ich sehe, daß Sie sich nützlich zu machen verstehen. Sie müßten allerdings eine kleine Portion Schlauheit besitzen.«
Kurt zwinkerte höchst unternehmend mit den Augen und antwortete:
»Daran fehlt es wahrscheinlich nicht, wie Sie bald erkennen sollen.« – »Aber ich müßte erfahren, wer Sie sind und wie Sie heißen.« – »Gut. Sie sollen es erfahren, sobald ich Ihnen bewiesen habe, daß ich zu gebrauchen bin. Ich will Ihnen nämlich sagen, daß ich hier an gewissen Orten nicht gut angeschrieben stehe; das veranlaßt mich, vorsichtig zu sein.«
Der Kapitän nickte erfreut. Er gewann die Ansicht, es hier mit einem Menschen zu tun zu haben, der in irgendeiner Beziehung mit der bestehenden Ordnung zerfallen sei und sich also zu einem fügsamen Werkzeug ausbilden lassen werde. Er antwortete:
»Das genügt einstweilen. Ich engagiere Sie und geben Ihnen einen kleinen Vorschuß auf das Honorar für die Dienste, die Sie mir leisten werden. Hier haben Sie fünf Taler.«
Er zog die Börse und legte die erwähnte Summe auf den Tisch. Kurt jedoch schob das Geld zurück und entgegnete:
»Ich bin nicht so sehr abgebrannt, daß ich eines Vorschusses bedarf, mein Herr. Erst die Arbeit und dann der Lohn; das ist das richtige. Was habe ich zu tun?«
Das Gesicht des Kapitäns zeigte, daß er sehr zufriedengestellt sei.
»Ganz wie Sie wollen«, sagte er. »Auch ich bin ein Anhänger Ihres Grundsatzes, den wir also befolgen wollen. Ihr Schaden wird es nicht sein. Was Sie zu tun haben, fragen Sie? Zunächst haben Sie sich zu erkundigen nach dem Herzog von Olsunna, nach seinen häuslichen Verhältnissen, nach den Gliedern seiner Familie, nach allem, was er treibt und tut. Vor allem möchte ich erfahren, welche Personen seines Haushaltes den Namen Sternau führen und ob sich bei ihm jemand befindet, der Helmers heißt.« – »Das wird nicht schwer zu erfahren sein.« – »Gewiß. Sodann werde ich Sie vielleicht nach Mainz schicken, um eine sehr leichte Aufgabe zu lösen, die sich auf einen Oberförster bezieht, den ich beobachten lassen möchte. Sie scheinen mir ganz dazu geeignet zu sein.« – »Ah, Sie gehören wohl zur Polizei?« – »Vielleicht«, antwortete der Gefragte mit wichtiger, geheimnisvoller Miene. »Doch habe ich auch ein wenig mit der hohen Politik zu tun. Ich will aufrichtig sein und Ihnen einiges anvertrauen. Ich hoffe, daß ich es ohne Gefahr tun kann.« – »Richten Sie Ihre Mitteilungen so ein, daß Sie nicht Gefahr laufen können«, lachte Kurt. – »Hm, ich bemerke, daß Sie ein kleiner Schlaukopf sind, und das spricht zu Ihren Gunsten. Sie wissen, daß wir im Jahre 1866 stehen und daß Österreich von Preußen besiegt worden ist?« – »Wer wüßte dies nicht!« sagte Kurt mit ernster Miene. – »Nun, diese Frage war dumm, aber sie sollte als Einleitung dienen. Österreich ist also geschlagen und sucht nach einem Bundesgenossen, um die Scharte auszuwetzen. Diesen Verbündeten scheint es in Frankreich gefunden zu haben. Napoleon hat den Erzherzog Max zum Kaiser von Mexiko gemacht. Nun fragt es sich, ob diese Freundschaft von langer Dauer sein wird. England und Nordamerika wollen Max nicht anerkennen und zwingen Napoleon, seine Truppen zurückzuziehen. Max wird auf sich selbst und Österreich angewiesen sein, und dieses letztere ist durch den deutschen Krieg so geschwächt, daß es ihm unmöglich helfen kann. Das wird Mexiko benutzen, um den Kaiserthron umzustürzen. Dadurch werden und müssen in den gesamten politischen Kreisen Verwirrungen entstehen, welche jeder Staat für sich ausnutzen will. Sie finden darum am Hof des Siegers hier in Berlin zahlreiche geheime Emissäre, die das Terrain zu rekognoszieren haben, um ihre Regierungen in den Stand zu setzen, den geeigneten Augenblick zu benutzen.« – »Und ein solcher Emissär …«, fiel Kurt ein. – »Nun?« – »Sind auch Sie?« – »Allerdings«, nickte der Kapitän. – »Welche Regierung vertreten Sie?« – »Das bleibt Ihnen zunächst noch Geheimnis. Ich machte Ihnen diese Mitteilung nur, um Ihnen zu zeigen, daß ich imstande bin, Ihnen eine Zukunft zu geben, wenn ich Sie geschickt und treu finde. Ihre nächste Aufgabe ist, alles auszuforschen, was mit dem Namen Olsunna in Verbindung steht.« – »Und wenn ich dies getan habe, wie und wo kann ich Ihnen das Resultat mitteilen?« – »Ich sehe, daß ich Ihnen aus meinem Namen kein Geheimnis machen darf, wie Sie mir aus dem Ihrigen. Übrigens werden Sie finden, daß ich Ihnen nur so viel mitgeteilt habe, als ich ohne Gefahr konnte. Mein Name ist Kapitän Parkert, und ich logiere im Magdeburger Hof. In dieses Gasthaus kommen Sie, sobald Sie mir irgend etwas mitzuteilen haben.« – »Möglich, daß dies sehr bald geschieht«, sagte Kurt zweideutig. – »Ich hoffe es«, meinte Parkert, sein Glas austrinkend. »Ich denke, daß es zu unserem beiderseitigen Vorteil sein wird, daß wir uns kennengelernt haben. Für den Fall, daß Sie recht bald etwas erfahren, muß ich Ihnen sagen, daß ich vor zwei Stunden nicht in meinem Gasthof zu finden bin. Adieu!« – »Adieu!«
Der Kapitän reichte Kurt die Hand hin; dieser jedoch tat, als bemerke er dieses nicht, und verbeugte sich bloß, vorsichtshalber aber wie ein Mensch, der nicht geübt ist, eine elegante Verneigung zustande zu bringen. Parkert ging, und Kurt blieb allein zurück.
Wie kam es, daß dieser verschlagene Seeräuber so aufrichtig gewesen war? Hatte das ehrliche Gesicht Kurts ihn zu dieser unvorsichtigen Vertrauensseligkeit hingerissen? Oder war es auch hier, wie so oft der Fall, daß der Bösewicht gerade dann, wenn er meint, seinen ganzen Scharfsinn angewandt zu haben, den größten Fehler macht?
Diese Frage legte Kurt sich vor, doch ohne sie sich beantworten zu können.
Eins aber sah er ein: Er mußte schleunigst die zwei Stunden benutzen, um im Magdeburger Hof das Terrain zu rekognoszieren. Hier handelte es sich nicht bloß um private, sondern auch politische Machinationen.