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Falschmünzer

Das Herzle und ihre Mutter saßen einander vor dem Häusle am Tisch gegenüber. Über diesen war ein weißes Tuch gebreitet, denn die Spitzen, die beide klöppelten, waren so kostbar, dass man sie mit der größten Vorsicht und Sauberkeit behandeln musste. Zwischen den Klöppelkissen lag ein Muster. Es war nicht gedruckt, sondern mit der Hand gezeichnet und stellte eine Handmanschette vor, wie sie nur von feinen Damen bei festlichen Gelegenheiten getragen wurden. Die Figuren bildeten Schmetterlinge, die sich um ein Herz gruppierten.

Die Mutter hatte graues Haar, doch war ihrem lieben, stillen Gesicht anzusehn, dass sie eigentlich noch nicht in dem Alter stand, in dem man grau zu werden pflegt. Sie hatte rote, gesunde Wangen, aber einen Zug um den Mund, der auf das Vorhandensein schwermütiger Gedanken schließen ließ.

Dem Herzle sah man an, dass sie die Zwanzig überschritten hatte. Ihr Anzug war aus weißem, frisch gewaschenem Leinen. Wenn es nicht Winter war, ging sie nur selten in einer anderen Farbe. Sie liebte das Weiß, obgleich es nicht geeignet war, eine Unschönheit zu verbergen, die wohl jedes andere Mädchen mit aller Mühe verborgen hätte. Daher sei es aufrichtig gesagt, dass das Herzle ‚bucklig‘ war. Aber wenn man sie ohne Vorurteil betrachtete, so kam man gar nicht darauf, sie wegen dieser Verkrümmung des Rückens zu bemitleiden. Wie klein, fein und schön die Händchen waren, in denen die Klöppel fast melodisch klapperten! Wie reich und weich das hoch aufgesteckte, dunkelbraune Haar! Auf der Stirn gab es nicht das kleinste Fältchen. Die Wangen waren voll, gesund gerötet, die Nase fein, ein wenig aufgerichtet, der Mund wohlgestaltet, das Kinn weich gerundet, mit einem schelmischen Grübchen.

In diesem Gesichtchen gab es keine Spur von jener bitteren, oft beißenden Schärfe, die oft die unliebsame Begleiterin der oben erwähnten Verkrümmung zu sein pflegt. Und nun gar die Augen! Fast hätte man behaupten mögen, sie gehörten nicht auf das Dorf, sondern ganz woanders hin. Solche Augen hatte Murillo gemalt, wenn er beabsichtigte, der Seelenreinheit menschliche Gestalt zu geben. Sie sind sehr selten. Wer sie besitzt, der ist ein guter Mensch.

Unweit des Tisches lag das Karlinchen auf einem Haufen frisch geschnittenen Grases. Das sollte ihr heutiges Frühstück sein. Sie hatte es aber vorgezogen, es als Kanapee zu verwenden. Sie schien überhaupt etwas aufgebracht zu sein, innerlich beschäftigt oder gar gedankenschwer. Dachte sie vielleicht darüber nach, warum ihr heute in aller Frühe ein Kranz aus duftenden Tannenzweigen um den Hals gelegt worden war? Oder galt der ungewisse Blick, den sie zuweilen nach dem Tisch warf, den kleinen Blumensträußen, die Mutter und Tochter vorgesteckt hatten? Es ist ja gar nicht auszusagen, wie es eine Ziege überraschen und aus dem Gleichgewicht bringen muss, wenn sie vom Herzle gleich früh den Kaffeezucker in das Maul gesteckt bekommt und ihr dabei gesagt wird: „Heut werd ich vierundzwanzig Jahr alt und du, mein gutes Karlinchen, bist nur erst acht!“ Jetzt wendete sie den Kopf. Ein frohes Meckern folgte, dann sprang sie auf. Dadurch aufmerksam gemacht, schauten die Frauen zur Wiese hinunter, über die ein schmaler Pfad nach der Brücke zum Häusle führte.

„Der Herr Lehrer kommt“, sagte die Mutter.

Das Herzle senkte den Kopf. Das Karlinchen aber eilte den Garten hinab und auf die Brücke zu, um den wohl bekannten Freund ihrer Herrschaft freudig zu begrüßen. Das tat sie immer, wenn er kam, denn sie hatte ihn innig in ihr warmes Ziegenherz geschlossen. Warum? Wohl aus verschiedenen Gründen, von denen einer jetzt offenbar wurde, denn der junge Lehrer zog eine seiner Morgensemmeln, die er ihr mitgebracht hatte, aus der Tasche, gab sie ihr und sagte:

„Hier, dein Teil, Karlinchen. Geh voran und sag, dass ich Glück zu wünschen komme!“

Sie drehte sich, als ob sie ihn verstanden hätte, um und kehrte mit den sonderbarsten Sprüngen nach ihrem Grashaufen zurück.

Der Lehrer hatte eine Rose in der Hand, nur eine einzige. Sie war weiß. Er gab, als er hinaufgekommen war, den Frauen die Hand, fügte für das Herzle die Rose hinzu und sagte:

„Da kommt man, um Glück zu wünschen, und sieht doch, dass es gar nicht nötig ist. Es ist grad umgekehrt: Mich sollte ich beglückwünschen, dass ich zu euch beiden kommen darf.“

Das Herzle wollte hineingehen, um ihm einen Stuhl herauszuholen, er tat es aber selbst. Er war bei ihnen wie daheim.

„Ich hab auch anderswo schon einen Glückwunsch ausgesprochen“, sagte er, als er sich niedergesetzt hatte.

„Beim Rösle?“, fragte die Mutter.

Die Tochter schwieg.

„So hieß sie früher, als sie noch Kind war“, antwortete er. „Jetzt aber lässt sie sich Rosalia nennen. Ich brachte ihr einen großen Busch von roten Nelken. Die sind ihre Lieblingsblumen. Andere mag sie nicht. Es gab Kuchen und Sekt.“

„So in der Frühe?“

„Ja.“

Dass er nicht mitgetrunken hatte, sagte er nicht. Dann fuhr er fort:

„Ich wäre lieber erst zu euch gekommen, aber ich musste hin, eines Briefes wegen, den ich Herrn Frömmelt zu zeigen hatte, weil er der Vorsitzende vom Komitee ist. Die Regierung hat unsere Ausstellung genehmigt. Der Minister schreibt, er freue sich darüber, dass solche einfache Dorfbewohner so einsichtsvoll und mutig gewesen seien, ein Werk zu unternehmen, dessen weit tragende Bedeutung von den Städten nicht erkannt worden sei.

„Das ist schön! Das ist eine Freude!“, rief das Herzle aus. „Das haben wir dir zu verdanken, dir und dem Herrn Pfarrer!“

„Mir wohl kaum. Er aber war es, der die Sache in seine kräftige Hand und auf seine beredte Zunge nahm.“

„Von dir aber ist der Gedanke ausgegangen. Du hast ihn ausgesonnen und klar durchdacht. Dann bist du der Schriftführer vom Komitee geworden und hast wie ein Feldherr in alle Gegenden hinausgewirkt, um uns den Zuspruch und Erfolg zu sichern. Von dir stammen auch die Schreiben an die Amtshauptmannschaft, an die Kreishauptmannschaft und an das Ministerium. Auf diese Schreiben ist es angekommen, ob wir die Genehmigung erhalten oder nicht. Der Minister wollte durch diese Ausstellung die verarmte Handweberei des Gebirges heben. Er wollte zeigen, dass die Hungernden nicht zu verzagen brauchen, wenn sie ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Aber keine einzige der Städte ist so herzhaft gewesen, sich dazu herzugeben. Da ist er unwillig geworden und hat gesagt, dass er verzichte. Nur deinen Plänen und Berichten ist es zu verdanken, dass er den guten Willen wiederbekommen hat.“

Man sah ihr an, wie gern sie hiervon sprach. In ihren Augen lag ein schönes, frohes Licht, und in ihrem Ton klang die Stimme ihres Herzens. Er sah sie dankbar lächelnd an und erklärte:

„Mein ganzes Verdienst liegt darin, dass ich der Ausstellung einen gesunden Körper und ein einfaches Kleid gegeben hab. Man wollte ein großes Gebäude mit teurer Ausstattung, eine weithin schallende Reklame und allerlei andere Kostspieligkeiten. Das war falsch. Auch hätten wir den Neid der Nachbarschaft erregt. Da hab ich ein ehrliches Wort gesprochen und freu mich, dass ich damit durchgedrungen bin. Die Ausstellung wird sich über alle Dörfer unseres Tales erstrecken, die dieselbe Not und dieselben Bedürfnisse haben, und auf einen großen, prunkenden Ausstellungspalast können wir verzichten, weil wir in jedem Haus und in jeder Hütte ausstellen werden. Es wird jedermann seine Wohnung säubern und schmücken, um den Besuchern die Früchte seines Fleißes, die Tränen seiner Armut und das Lächeln seiner Hoffnung vorzuzeigen. Wer da kommt, der soll den strebenden Geist und die gottvertrauende Seele unserer Bevölkerung kennenlernen. Er soll sehen, dass uns der Kampf zwischen Menschenhand und Maschine, zwischen Armut und Reichtum keineswegs vernichtet hat. Wir wollen nicht etwa gegen das Kapital kämpfen, denn wir brauchen es, aber es soll sich nicht mehr zwischen den Erzeuger und Verbraucher stellen, um beide auszubeuten. Und das wollen wir nicht durch Sturm und Kampf, sondern auf dem friedlichen Weg des Gesetzes und christlicher Liebe erreichen. Und weil wir diesen Frieden betonen, hat der Minister sich ohne unser Ansuchen bereit erklärt, in eigener Person zu kommen, um die Ausstellung zu eröffnen.“

Da schlug das Herzle die kleinen, fleißigen Hände zusammen und rief aus:

„Der Herr Minister selbst? Welch eine große Ehre! Hermann, das ist wieder etwas, was wir nur dir zu verdanken haben! Weiß man das auch im Gasthof schon?“

„Ja, freilich weiß man es. Ich hab ja den Brief vorzeigen müssen.“

„Bitte, zeig mir ihn auch!“

„Das darf ich nicht, Herzle, denn es stehen Komiteegeheimnisse darin.“

Sie sah ihm forschend in das gute, jetzt lächelnde Gesicht und sagte dann:

„Du, ich durchschau dich! Du bist vom Herrn Minister gelobt worden und das willst du mir nicht zeigen. Was du sagst und was du schreibst, das hat stets Hand und Fuß. Ich glaub, man hat sich da droben im Ministerium den Namen Hermann Burgau besonders angemerkt. Was sagt denn das Rösle zu diesem hohen Besuch?“

„Fräulein Rosalia? Das brauch ich dir nicht erst zu berichten, weil sie zu dir kommen wird, um es dir selbst mitzuteilen. Ihr erster Gedanke warst gleich du.“

„Ich? Und der Minister? Wie komm ich mit dem zusammen?“

„Das wirst du schnell erfahren. Dort kommt sie schon. Da muss ich gehen, denn von dem, was nun bei euch gesprochen wird, versteh ich ja nichts.“

Er stand auf, gab beiden die Hand und ging. Man sah ihm an, dass er wohl gern noch länger geblieben wäre.

Unten an der Brücke begegnete er der Nahenden. Er zog vor ihr den Hut, als ob sie etwas Vornehmeres als nur ein Kind des Dorfes sei.

Sie hatte ihm ja gesagt, dass sie das so wolle und dass es sie ärgere, wenn man sie jetzt noch Rösle nenne, sie heiße doch Rosalia, wie es im Kirchenbuch geschrieben stehe.

Sie war eine hohe, sehr voll gebaute Person, die sich ganz städtisch trug. An ihrer Brust prangte die Hälfte des roten Nelkenbusches, den Burgau ihr gebracht hatte. Sie grüßte kurz, als sie den Tisch erreichte, gab nur die Fingerspitzen ihrer Hand, setzte sich auf den leer gewordenen Stuhl und fiel dann sofort mit der Tür ins Haus:

„Herzle, es gibt Festjungfern, zwölf Stück, alle weiß gekleidet. Ich bin die oberste von ihnen und sag dem Minister das Gedicht, das mir der Herr Lehrer machen muss. Er will zwar nicht, aber ich weiß, ich setze es noch durch!“

„Festjungfrauen?“, fragte die Näherin erstaunt.

„Ja; was sollte der Minister von uns denken, wenn er nicht von weiß gekleideten Damen mit einem Gedicht empfangen würde! Dieser Gedanke ist von mir. Fein, nicht wahr? Es müssen zwölf sein, grad ein ganzes Dutzend. Ich such sie mir aus. Dich kann man nicht mit wählen, weil du bucklig bist. Der Herr Lehrer bracht den Brief, dazu einen großen Nelkenstrauß, zweiunddreißig Stück. Ich hab sie gezählt. Für dich hatte er nur eine kleine Rose. Da ist sie ja; ich seh sie. Warum bist du nicht auch gekommen, mich zu beglückwünschen? Wir sind an demselben Tag geboren und an demselben Tag in derselben Kirche getauft worden. Da schickt es sich doch, dass man sich das Wort vergönnt!“

Das Herzle schwieg, die Mutter aber fragte:

„Und du, Fräulein Rosalia?“

„Ich? Ich bin da!“

„Um Herzle zu beglückwünschen?“

„Ja. Was sonst?“

„Ich hab noch kein Wort davon gehört!“

„Ach so! Ich soll euch eine Rede halten? Das hab ich nicht nötig. Es genügt vollauf, dass ich gekommen bin!“

„Doch nur wegen des neuen Kleides für die weiße Festjungfrau! Wegen Herzles Geburtstag gewiss nicht!“

„Du bist noch immer des Musterantons Frau, die uns nicht leiden kann, obgleich ihr uns euer ganzes Bergle zu verdanken habt. Und heut ist deine Laune doppelt schlecht. Ich weiß, woran du immer denkst, wenn du mich siehst. Warum war das Herzle immer so krank und immer so still, wenn ich mit ihm reden wollte? Warum spielte es nur mit andern? Das hat mich wütend gemacht. Hätte es mir gehorcht, so hätte ich ihm damals nicht die Ohrfeigen gegeben und es auch nicht den Berg hinabgeworfen, worauf es bucklig geworden ist. Es ist ein Unterschied, ob man den reichen Musterwirt oder den armen Musteranton zum Vater hat. Wer nicht hört, der muss eben fühlen. Jetzt aber bin ich da, um mit euch über das weiße Kleid zu reden. Das meinige muss natürlich von Seide sein. Der Vater spannt nach dem Mittagessen an. Da fährst du mit in die Stadt, Herzle, um den Stoff für mich auszusuchen.“

„Das kann ich nicht, ich hab keine Zeit“, antwortete die Näherin.

„Das geht doch mich nichts an! Ich bezahle dich. Und eine Wagenfahrt mit mir ist doch wohl eine Auszeichnung, auf die du dir etwas einbilden kannst. Was hast denn so nötig zu tun?“

„Dieser Spitzenbesatz muss bis zur Ausstellung fertig werden. Und heut ist mein Geburtstag, da geb ich mir für den Nachmittag frei. Man will doch auch einmal zu Atem kommen.“

„Wenn du mit dem Besatz fertig werden musst, so arbeite in der Nacht! Oder meinst du damit auch, dass du keine Zeit für mein neues Kleid hast? Die Näherinnen in der Stadt mag ich nicht. Sie sagen zwar, dass sie mich nicht mögen, aber umgekehrt ist es richtiger. Willst du es machen?“

„Ja. Dann muss ich allerdings des Nachts arbeiten.“

„Und fährst mit mir in die Stadt?“

„Nein. Such dir den Stoff selbst aus!“

„Das kann ich nicht, dein Geschmack ist mir lieber als der meinige. Und du sagtest ja soeben, dass du dir freigeben willst.“

„Nicht für die Stadt. Ich hab mit dem Herrn Lehrer die Muster zu besprechen. Er ist an meinem Geburtstag stets zum Kaffee zu uns gekommen und wird dies wahrscheinlich auch heut wieder tun. Da muss ich also zu Haus sein.“

Da fuhr die Tochter des Musterwirts schnell auf:

„Hat er es dir etwa vorhin versprochen?“

„Nein.“

„So kommt er heut nicht, ich werde dafür sorgen! Ich weiß gar wohl, was du denkst und was du willst. Aber das schlag dir nur aus dem Sinn. Der Herr Lehrer ist nichts für dich! Der braucht eine Frau, die gerade gewachsen ist und die das Geschick besitzt, mit feinen Leuten zu verkehren. Der hat eine Zukunft, sagt der Vater, und der versteht es wohl. Er wird nicht lange mehr Lehrer bleiben. Die Behörde ist auf ihn aufmerksam geworden, wir wissen es. Auch der Vater hat mir neulich anvertraut, dass er noch Großes mit ihm vorhabe. Wenn so ein Mann sich eine Frau sucht, so geht er nicht zum armen Damenhäusle, sondern zum reichen Musterwirt, der ganze Säcke voll von blanken Talern hat und dazu eine Tochter, auf die man selbst in Dresden Augen macht, wenn man sie sieht. Also, willst du mir das neue Kleid machen?“

„Ja.“

„Und am Nachmittag mit mir in die Stadt fahren?“

„Nein.“

„So lass es bleiben! Wenn du nicht mitfährst, darfst du es auch nicht machen. Jede Näherin leckt die Finger danach, für Fräulein Rosalia zu arbeiten. Ich geh jetzt. Wir sind geschiedene Leute. Aber vorher sag ich dir noch einmal: Der Herr Lehrer ist nicht für dich gewachsen, und wenn du ihn dir nicht aus dem Kopf schlägst, bekommst du es noch ganz anders mit mir zu tun als damals, wo ich dich nur bucklig machte!“

Sie war von ihrem Stuhl aufgesprungen. Nun drehte sie sich um und ging, ohne einen Gruß zu sagen, durch das Gärtle hinunter, über die Brücke und auf dem Wiesenweg nach dem elterlichen Haus, wo sie sogleich bekannt gab, dass sie nicht heute, sondern erst morgen nach der Stadt fahren werde.

„Heut muss ich daheim bleiben“, dachte sie. „Ich werde auf den Lehrer warten und mit ihm reden. Dann soll es sich zeigen, wo er den Geburtstagskaffee trinkt, bei ihr oder bei mir!“

Von da ging sie nach dem Innern des Hauses, in die große Gaststube, wo auf einem besonderen Tisch alle ihre Geburtstagsgeschenke ‚aufgebaut‘ waren, damit jedermann sie sehen und bewundern möge. Der Musterwirt liebte es, auch in dieser Weise zu zeigen, dass er der reichste Mann im ganzen Dorf, ja, wohl in der ganzen Umgegend war.

Obgleich es noch am Vormittag war, hatte sich schon eine Anzahl von Gästen eingestellt, die von der Nachricht herbeigelockt worden waren, dass der Feldjäger im Gasthof gewesen sei und etwas Neues vom ‚Geldmännle‘ erzählt habe. Auch das Ausstellungskomitee hatte sich eingefunden, es war wegen des Briefes aus dem Ministerium vom Wirt zusammenberufen worden. Die Tochter kam gerade, als ihr Vater zu erzählen begann, was er von dem Sicherheitsbeamten erfahren hatte. Er sagte soeben:

„Es ist zwar schade um den Neubertbauern, aber er hat immer groß hinaus gewollt. Mit solchen Protzen sollte man eigentlich gar kein Mitleid haben. Er hat ein einziges Kind, eine Tochter. Nun schaut die mal an, wie sie dahergeht! Wie eine Fürstin tritt sie auf und nichts ist ihr gut und teuer genug gewesen. Ein solches Gehabe musste den Neuberthof herunterbringen. Die Tochter hat nach und nach den Vater aufgefressen und er dabei sein schönes Bauerngut. Und alles, alles hat er besser verstanden als andere Leute. Und Recht hat er gehabt in allem, was man mit ihm sprach. Er hat sich sogar oft mit mir herumgestritten, und das will schon was sagen! Als es immer mehr und mehr abwärts gegangen ist und er bald nichts mehr gehabt hat, da hat er sich nach dem Geldmännle umgeschaut und dieses ist schnell zu ihm gekommen. Denn das Geldmännle ist allwissend und findet jeden, der es haben will. Der Neubertbauer hat für jeden guten, echten Schein fünf falsche, nachgemachte bekommen, die er gern wieder losgeworden ist, weil sie keinen anderen Fehler haben als einen ganz, ganz kleinen, den nur der richtige Kenner entdecken kann. Ich hab zwar noch keinen gesehen, ihr wisst ja alle, dass ich nie ein Papiergeld annehme, denn es ist mir einmal eine große Summe in Papier verbrannt, aber ich hab gehört, dass man ein sehr gutes Vergrößerungsglas haben muss, um die falschen Scheine von den echten zu unterscheiden. Darum ist gar keine Gefahr dabei, sich von dem Geldmännle sogar viele tausend Taler oder Gulden umwechseln zu lassen, nur muss man beim Ausgeben vorsichtig sein und es nicht merken lassen, dass man mehr Geld besitzt, als einem zuzutrauen ist.“

Er machte hier eine Pause, durch die seine letzte Darstellung zur besonderen Betonung kam. Wer ihn nicht besser kannte, hätte beinahe denken mögen, dass er die Ausgabe von falschem Geld empfehlen wolle. Aber jedermann kannte seine unüberwindliche Abneigung gegen alles, was Papiergeld heißt. Er hatte schon oft fremden Gästen, die von dieser Besonderheit nichts wussten und mit Scheinen zahlen wollten, die Zeche gestundet oder gar geschenkt, weil er nur gemünztes Geld mit seiner Hand berührte. Der Herr Pfarrer, der sich auf gelehrte Worte verstand, hatte einmal gesagt, das sei eine so genannte Idiosynkrasie, nämlich eine Abneigung, bei der sich die ganze Natur des Menschen sträube, etwas zu tun, was doch eigentlich ganz natürlich ist.

„Der Neubertbauer ist aber nicht so vorsichtig gewesen“, fuhr er fort. „Anstatt das nachgemachte Geld an verschiedenen Orten auszugeben, wo man ihn nicht kannte, hat er nur stets daheim auf seinem Hof damit bezahlt. Das war dumm. Denn es musste auffallen, dass er, der fast gar nichts mehr hatte, nun plötzlich für jede Kleinigkeit einen Hunderttalerschein auf den Tisch legte. Dadurch ist die Polizei aufmerksam auf ihn geworden und ich hab sie auf die richtige Spur gelenkt.“

„Du, Vater, du?“, fragte seine Tochter.

„Ja, ich!“, antwortete er, indem er sich mit einem triumphierenden Blick im Kreis umschaute.

„Das ist recht! Das ist die richtige Antwort auf die Beleidigung, die uns geworden ist vom Neuberthof. Die Tochter hat gesagt, dass wir das Blut der armen Weber saugen, nun mag sie sehen, was es für sie zu saugen gibt!“

Der Eindruck dieser Worte auf die Anwesenden schien kein guter zu sein, darum fügte der Wirt schnell hinzu:

„Das war nicht mein Grund, ich hatte einen anderen. Ich bin ein Christ, ich gehe sonntags zweimal in die Kirche und bete oft das Vaterunser. Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern! Ich hab also diese Beleidigung sofort und gern vergeben, denn alle Welt weiß, dass gerade ich es bin, der für die armen Weber Sorge trägt. Das hab ich durch die Ausstellung von Neuem bewiesen. Ich bin der Vorsitzende des Komitees. Aber ich bin auch Untertan des Königs und weiß genau, was ich seinen Gesetzen schuldig bin. Ein guter Untertan darf kein Verbrechen dulden, und wenn er eins erfährt, so hat er Anzeige zu machen. Das hab ich getan, weiter nichts. Es war meine Pflicht.“

„Hast du denn gewusst, dass der Neubertbauer mit dem Geldmännle Geschäfte macht?“, fragte einer der Anwesenden.

„Ja. Er hat es mir erzählt, beim Kartenspiel, als er betrunken war. Er hatte viel an mich verloren und wollte mit einem großen Schein zahlen, den nahm ich aber nicht. Da steckte er ihn schnell wieder ein. Das fiel mir auf. Ich machte ihn noch betrunkener und fragte ihn aus. Alle anderen waren gegangen, wir befanden uns allein. Da begann er im Rausch zu erzählen. Ich erfuhr sogar die Stelle, wohin er des Nachts das gute Geld trägt. In der nächsten Nacht kommt dann das Geldmännle und wechselt es mit falschem aus. Das hab ich der Polizei gemeldet. Die hat sich bei dem Ort aufgestellt. Er kam und legte fünfhundert gute Taler in das Loch. Die ließen die Feldjäger liegen, um das Geldmännle zu fangen. Dieses aber war klüger als die Polizei. Als sie in der nächsten Nacht kam, waren die Taler schon fort und es lagen fünfundzwanzig falsche Hunderttalerscheine an der Stelle. Heute früh ist dann der Neubertbauer gekommen, um sie zu holen. Gerade, als er sie schon in den Händen hatte, wurde er abgefasst. Nun sind sie noch bei ihm, um alles auszusuchen, dann wird er in die Untersuchung geschafft, wobei er hier bei uns vorüber muss. Das ist es, was mir der Feldjäger vorhin erzählte. Ich muss wahrscheinlich als Zeuge vor Gericht. Man tut das gar nicht gern, denn auch der Falschmünzer ist ein Mensch, aber wer ein gutes Gewissen behalten und ruhig sterben will, der hat zu erfüllen, was das Gesetz von ihm verlangt. Warum schaust du mich so sonderbar an, Gevatter Weigelt?“

„Ich weiß nicht, ob ich ihn an deiner Stelle verraten hätte“, antwortete der Genannte.

„Ja, ich sehe wohl, dass mehrere da sind, die wahrscheinlich auch so denken, aber die Richter sind klug und der Neubertbauer ist dumm. Er brauchte nur zu gestehen, dass er mit mir gesprochen hat, so wäre ich als Hehler und Mitwisser festgenommen worden. Meint ihr auch jetzt noch, dass ich hätte schweigen sollen?“

„Dann freilich nicht. Jetzt sieht man wieder einmal, wie pfiffig das Geldmännle ist. Es war schon fast in der Falle, ist aber doch nicht hineingegangen. Man möchte so gern wissen, wer es eigentlich ist und wo es wohnt, aber es scheint, dass niemand es erfahren wird. Eins nur ist sicher, nämlich dass es von kleiner Gestalt ist. Niemand sagt ,der Geldmann‘, sondern im ganzen Gebirg wird nur vom ,Geldmännle‘ gesprochen. Das ist der Beweis.“

„Der aber nichts taugt“, fiel ein anderer ein. „Das Geldmännle ist nicht klein, sondern groß und stark.“

„Woher weißt du das?“

„Aus dem Österreichischen herüber. Dort ist im vorigen Jahr einer gestorben, der auch Geschäfte mit ihm gemacht hat. Auf dem Sterbebett ist die Reue über ihn gekommen und er hat alles gestanden, was er wusste. Man hat sich dann gewaltig viel Mühe gegeben, das Geldmännle zu fangen, hat es aber nicht bekommen. Doch hat man nun gewusst, was es mit seiner Gestalt für eine Bewandtnis hat. Nämlich das frühere Geldmännle ist von sehr kleiner Figur gewesen und nur darum in dieser Weise benannt worden. Nach seinem Tod hat es aber einen Nachfolger bekommen, von dem man weiß, dass er... Schaut“, unterbrach er sich, „was ist das für ein Wagen und wer sitzt darin?“

Er deutete hinaus auf die Straße. Aller Augen richteten sich nach den Fenstern.

„Das ist der Wagen vom Neuberthof und der Bauer sitzt darin mit zwei Feldjägern!“, rief der Wirt. „Sie halten draußen an. Die werden doch nicht etwa hereinkommen wollen?“

„Ja, sie kommen“, antwortete seine Tochter, „denn sie steigen ja aus.“

„Was wollen sie bei mir? Ich will im Gericht gern zeugen, aber in meinem Haus will ich keinen Falschmünzer haben, der es mit seiner Schande verschimpfiert.“

„Lass nur, Vater! Wir können nichts dagegen machen. Die Polizei wird schon wissen, warum sie ihn zu uns hereinbringt. Mir passt das gar nicht schlecht.“

Die Tür ging auf und die Genannten traten ein. Voran der Neubertbauer und hinter ihm die beiden Feldjäger. Der Bauer war von hoher, breitschultriger Gestalt. Seine Hände waren vorn zusammengefesselt, doch so, dass er sie auf- und niederbewegen konnte. Aber seine Haltung zeigte nichts von Niedergeschlagenheit, sie war aufrecht, ja fast stolz, und als seine Augen den Wirt suchten und ihn fanden, leuchtete ein Blick trotziger Verachtung in ihnen auf.

„Herr Wirt“, sagte der eine Feldjäger, „Sie wissen, was geschehen ist. Wir sind unterwegs nach dem Gerichtsamt. Der Neubertbauer bat mich, hier anhalten zu lassen, da er in dieser Angelegenheit ein Wort mit Ihnen zu reden habe. Ich hatte keinen Grund, es abzulehnen. Führen Sie uns nach einem Zimmer, in dem sich keine Gäste befinden!“

„Das ist nicht nötig“, fiel da der Gefangene ein. „Weshalb ich hierher gekommen bin, dessen brauche ich mich nicht zu schämen. Ich hätte es schon zu Haus getan; aber ich will, dass der hochangesehene Herr Frömmelt dabei ist, wenn ich mein Geständnis und meine Buße tu. Und alle, die hier anwesend sind, sollen hören, was ich sage.“

Da trat die Tochter des Wirts auf ihn zu und fragte in höhnischem Ton:

„Willst wohl Abbitte dafür leisten, dass deine Tochter schöner sein soll als ich und dass wir dem armen Webervolk das Blut aus den Adern saugen? Für diese Frechheit wirst du außer der Falschmünzerei noch eine besondere Strafe bekommen!“

„Geh mir aus dem Weg, Weibsen!“, herrschte er sie an, indem er sie mit dem Ellbogen auf die Seite schob, um an den nahen Schenktisch zu treten und einen schnell forschenden Blick auf ihn zu werfen. Dann drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken an den Tisch und blickte lang und mit eigentümlichem Ausdruck auf die erwartungsvoll vor ihm stehenden Personen.

„Darf ich reden, Herr Feldjäger?“, fragte er.

„Ja, aber nur, was zur Sache gehört“, antwortete der Gefragte. „Sie wissen, dass Sie Untersuchungsgefangener sind, und haben sich danach zu verhalten.“

„Keine Sorge! Ich weiß schon, was sich schickt, wenn man das ist, was ich geworden bin!“

Er schloss die Augen. Seine Lippen zuckten, als ob er weinen wolle, aber er war ein willensstarker Mann und kämpfte die innere Bewegung nieder.

Als er dann wieder aufschaute, war sein Gesicht so ruhig wie vorher.

„Wisst ihr, Leute“, sagte er, „wer hier vor euch steht? Ihr meint, es sei der Neubertbauer, aber der ist es nicht, sondern der Staatsanwalt, der euch den Steckbrief eines Verbrechers sagt, auf den das Gericht schon lange vergeblich wartet.“

Seine Augen bohrten sich in das Gesicht des Wirts, als er fortfuhr:

„Ich bin ein Falschmünzer. Wer hat mich dazu gemacht? Etwa das Geldmännle? Nein, denn das war nur der Schluss. Wer ist das Geldmännle? Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Gott sei ihm gnädig, wie er mir gnädig sein mag! Ich habe es jetzt mit dem Mann zu tun, der mich mit aller Absicht und Berechnung auf die Falschmünzerei vorbereitet hat. Er kam zu mir und bot mir seine Freundschaft an, die mich zu Trunk und Spiel verleitete. Er führte mich zu Prozessen, die ich verlieren musste, er aber gewann sie als der verborgene Hintermann. Er setzte meiner Tochter teure Mücken in den Kopf und zog mir mein treues, fleißiges Gesinde aus dem Haus. So ging es schnell bergab mit mir, weil ich der Hilfe traute, die er mir fest versprach. Als er den letzten blanken Taler von mir bekam, den ich besessen hatte, da zeigte er mir sein richtiges Gesicht. Der Freund war weg und mit ihm mein ganzer, schöner, lieber Neuberthof. Er ließ mich zwar drin sitzen, doch war dies nur zum Schein. Da bekam ich ein Schreiben vom Geldmännle. Es verhieß mir schnelle Hilfe. Der Hof könne schon in kurzer Zeit wieder mein Eigentum werden. Ich griff zu. Wer mich darüber steinigen will, der lasse es bleiben, denn ich steinige mich selbst! Man hat mich auf der Tat ertappt. Warum? Ich wurde angezeigt. Von wem? Von demselben Mann, dem ich meine Freundschaft mit dem Geldmännle verdanke! Ich komme heute zu ihm, um ihn einzuladen, mit mir vor Gericht zu gehen, nicht als Zeuge gegen mich, sondern als mein Angeklagter, denn ich bin in diesem Augenblick der Staatsanwalt. Ich komme eher hin als er, die Feldjäger haben mich ja schon. Aber ich fordere ihn auf, mir nachzufolgen. Ich versichere ihm bei dieser und auch bei jener Gerechtigkeit, dass mit ihm genau dasselbe geschehen wird, was hier mit mir geschieht. Und was das ist, das sollt ihr sogleich sehn!“

Er drehte sich schnell nach dem Schanktisch um. Man sah, dass er die gefesselten Hände ausstreckte und kräftig wieder auf sich zu bewegte. Die Feldjäger wollten auf ihn zutreten, aber da wandte er sich auch schon wieder zurück, langsam, immer langsamer. Seine Hände lagen zu Fäusten gekrümmt, als ob sie etwas hielten, übereinander auf der Brust.

„Musterwirt“, stieß er mit rauer, zitternder Stimme hervor, „so stirbst auch du – – – genau – – – mit diesem Messer!“

Sein Gesicht wurde fahl. Er wankte. Seine Fäuste öffneten sich. Die geschlossenen Hände fielen nieder. Da sah man, was geschehen war.

Er hatte sich das scharfe, spitze Fleischmesser, das stets auf dem Schenktisch bei den Tellern lag, in die Brust gestoßen. Nur der Griff schaute noch heraus. Ein langer, schwerer, röchelnder Atemzug – – – dann brach er tot zusammen.

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