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Zum Aufbau des Buches

Ich werde mich zunächst ausführlich mit dem beschäftigen, was eigentlich »Buddhismus« bedeutet (Kapitel 1 und 2), bevor ich ethische und ökonomische Fragen erörtere. Nach Klärung der philosophischen und psychologischen Grundlagen (Kapitel 2) ergeben sich ethische Lösungsvorschläge (Kapitel 3) und die Folgerungen für die Ökonomie als logische Konsequenz (Kapitel 4). Im fünften Kapitel wird daran anschließend das Verhältnis der buddhistischen Wirtschaftsethik zu anderen ethischen Systemen diskutiert. Die gewonnenen Einsichten erläutere ich im sechsten Kapitel an einzelnen Fragen der Wirtschaftsethik (Beruf, Führungsprinzipien, Bevölkerungs- und Familienpolitik, Konsum, Ökologie, Armut, Globalisierung etc.) und im siebten Kapitel zusammenfassend mit Blick auf Probleme des technischen Fortschritts und des Wirtschaftswachstums.

Vorab möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Leserin und der Leser den Begriff »Leiden«, der immer wieder auftauchen wird, einfach auch mit »Erleiden ökonomischer Sachzwänge«, »Abhängigkeit von Sachzwängen« übersetzen kann.

Zugang

»Die unglücklich sind in der Welt, sie alle sind es

durch das Verlangen nach eigenem Glück.

Die glücklich sind in der Welt, sie alle sind es

durch das Verlangen nach dem Glück der anderen.«9

Die buddhistische Wirtschaftsethik in dem hier vorgestellten Verständnis verkündet keine Gebote oder Regeln, die man befolgen soll. Sie erklärt vielmehr, weshalb aus irrtümlichen Wahrnehmungen und Gedanken Handlungen entstehen, deren Konsequenzen Leiden verursachen. Aus der Erkenntnis der Ursachen ergeben sich Folgerungen für das wirtschaftliche Handeln. Um negative Konsequenzen für das Handeln zu beseitigen oder zu mildern, muss man die zugrunde liegenden Gedanken verändern. »Wenn man mit verblendetem Geist denkt und handelt, dann folgt das Leiden nach«, heißt es im ersten Vers der ältesten buddhistischen Spruchsammlung, dem Dhammapada. Somit rückt für eine buddhistische Wirtschaftsethik die Veränderung der Motivation und der Erkenntnis in den Mittelpunkt. Ansprechpartner ist hierbei jeweils das Individuum und sein Handeln; erst darauf gegründet lassen sich institutionelle Fragen beantworten.

Der Ausgangspunkt

Die Wirtschaft, so lautet eine alte Lehrbuchdefinition, umfasst alle menschlichen Handlungen, die der Produktion und Verteilung knapper Güter zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen. Man kann weder sagen, dass die globale Wirtschaft diese Aufgabe erfüllt, noch lässt sich feststellen, dass die Ökonomie als Wissenschaft dazu gedient hat, das Allgemeinwohl der Menschen und anderer Lebewesen auf diesem Planeten besonders zu fördern. Sicherlich gibt es und gab es immer wieder Länder, wenigstens Regionen, die über einen sehr hohen Wohlstand verfügen und verfügten. Es gibt aber nur noch wenige Landstriche auf der Erde, in denen Tiere gemäß ihrer natürlichen Ausstattung leben können, und insgesamt zeigt unser Planet das Bild einer wachsenden Desorganisation der Ökosysteme, der »Deregulierung« traditioneller Kulturen, sozialer Strukturen und eine nicht enden wollende Abfolge von Hunger, Krieg, wirtschaftlichen Zusammenbrüchen und Verarmung.

Die Welt ist auch im ökonomischen Sinn durch die Allgegenwart von Leiden charakterisiert. Daran hat sich in 2.500 Jahren wenig geändert, seitdem der Buddha die einfache Einsicht aussprach, dass das wesentliche Kennzeichen des Lebens das Leiden ist. Ich spreche hier gar nicht von den unsäglichen Leiden durch Naturkatastrophen, Kriege oder tyrannische Regierungen, sondern nur vom wirtschaftlich bedingten Leiden. Ein paar Zahlen10: Man spricht von einer »Fünftel-Gesellschaft«. Das weltweit reichste Fünftel (20 %) der Weltbevölkerung verbraucht 86 % des gesamten privaten Welteinkommens für Konsumzwecke; das ärmste Fünftel konsumiert dagegen nur 1,3%. Genauer aufgeschlüsselt: Das obere Fünftel konsumiert 45% der Weltfleisch- und Fischproduktion, das ärmste Fünftel 5 %; es verbraucht dabei nur 4 % der Weltenergieproduktion, während das obere Fünftel der Konsumenten 58 % der Weltenergie verwendet. Als eine Hauptursache für nahezu alle sozialen, politischen und auch ökologischen Probleme durch Ressourcenverschwendung lässt sich die ungleiche Verteilung der Einkommen identifizieren, die auch in den entwickelten Ländern in den letzten Dekaden teils rapide zugenommen hat.11

Die Zahl der Hungernden hat 2009 nach Angaben der FAO den höchsten bislang erfassten Wert erreicht: Über eine Milliarde Menschen. Der leichte Rückgang des Hungers nach der Jahrtausendwende wurde durch die horrenden Spekulationen mit Lebensmittelpreisen und durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wieder zunichte gemacht.12 80% der weltweit unterernährten Kinder leben in Ländern, in denen gleichzeitig ein Überschuss in der Nahrungsmittelproduktion besteht.13 Die Weltwirtschaft ist also offenkundig bislang nicht in der Lage, die Weltbevölkerung effizient zu ernähren, dies trotz oder wegen der zunehmenden Globalisierung. Stattdessen werden weltweit, allen voran in den USA, immer mehr Mittel für Rüstung und Kriege ausgegeben. Nach Angaben des Forschungsinstituts SIPRI betrugen im Jahr 2009 die weltweiten Rüstungsausgaben trotz Wirtschafts- und Finanzkrise 1,5 Billionen US-Dollar mit einem Anstieg von knapp 50 % seit 2000.

Zunehmend werden fruchtbare Böden in Wüsten verwandelt. 41 % der Erdoberfläche sind Wüsten. Etwa eine Milliarde Menschen sind von dieser Desertifikation und Bodendegradation bedroht, rund ein Drittel aller landwirtschaftlich nutzbaren Flächen – in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika sowie in Südeuropa. Wesentliche Mitursache dieser zunehmenden Desertifikation ist die immer noch fortschreitende Globalisierung; regionale Barrieren werden niedergerissen und die lokalen Kreislaufsysteme geschwächt. Die Folgen sind Nahrungsmangel und Krankheiten.14 Dem steht eine zunehmende Konzentration von Menschen in Städten gegenüber, die durch wachsende Slums immer weniger Lebensqualität bieten.15

An den wirtschaftlichen Handlungen der Menschen leiden nicht nur andere Menschen; eine große Zahl der übrigen Lebewesen ist vollständig abhängig von menschlichen Begierden und der Blindheit gegenüber dem Leiden dieser Kreaturen. Täglich sterben unzählige Tiere durch ökologischen Raubbau oder durch die industrielle Fleischproduktion. Ein Beispiel aus der Mitte der 1990er Jahre: In 9.000 Betrieben der USA wurden jährlich 4 Milliarden Hühner, 33 Millionen Rinder, 88 Millionen Schweine, 1,5 Millionen Kälber und 5,8 Millionen Schafe geschlachtet und verarbeitet.16 Das Leiden der Menschen und anderer Lebewesen hat also weltweit nicht abgenommen, sondern hat sich seit den Tagen des Buddha weiter differenziert und vervielfältigt.

Anstatt eines Aufschreis, vorgetragen von Wirtschaftswissenschaftlern, die sich für die Erkenntnis der Ursachen von Armut und Reichtum zuständig erklären, finden wir aber nur wenige Ökonomen, die sich angesichts der globalen Situation veranlasst sehen, ihre Theorien zu überdenken. Mehr noch. Ihr praktisch-politischer Einfluss als Ratgeber ist wesentlich mit verantwortlich für die wachsende globale Destruktion in den ökologischen, sozialen und kulturellen Systemen. Sie erklären sich in ethischen Fragen aus Gründen der vorgeblichen »Wertneutralität« ihrer Wissenschaft für nicht zuständig und treten mit einem tiefen Kotau vor dem Markt zurück. Sogar die Funktion der moralischen Erziehung will man dem Markt übergeben.

Einige Stimmen hierzu17: Herbert Giersch meint: Das »mobile Kapital erzieht die Wirtschafspolitik zur Verantwortung« – nicht etwa umgekehrt. Und der Nobelpreisträger Gary S. Becker verkündet als seine Hauptsorge: »Die Liebe zur Marktwirtschaft ist abgekühlt.« Vor allem bei Unternehmensberatern ist ein atemberaubender Zynismus zu beobachten. So fertigte z. B. Arthur D. Little International im Auftrag des Tabakkonzerns Philip Morris eine Studie für die tschechische Regierung an, in der festgestellt wurde, dass jeder tote Raucher dem Staat 1.227 Dollar Ersparnis bringt, Rauchen deshalb als besonders förderungswert empfohlen wird. Blindheit gegenüber dem Leiden, Profitgier und Aggression im Wettbewerb beherrschen die wirtschaftliche Praxis: »Konkurrenten – Betrachten Sie sie einfach als Ihre Feinde«, meinen die beiden Unternehmensberater Jack Trout und Steve Rivkin. Die Zeitschrift »Arbeitgeber« betont, einen guten Manager zeichne »Kampfwillen« und »Killerinstinkt« aus. Die Ethik habe keinen Platz im Management; sie sei sogar »ideologieverdächtig«, weiß D. Schneider. H. Maucher, zu der Zeit Vorstandsvorsitzender der Nestlé AG, konnte deshalb zweifellos ideologiefrei feststellen, er könne das »ethische und soziale Gesäusel« nicht mehr hören, wenn es um die Beseitigung von Menschen gehe, die er als »Wohlstandsmüll« bezeichnete. Wirtschaftsethisch wird dies so übersetzt: Die Marktwirtschaft wurde »zur effizientesten (!) Form der Caritas, die die Weltgeschichte (!) bisher gesehen (!) hat«.18 Die »Weltgeschichte« übersieht dabei ungeniert eine Milliarde hungernde, jährlich Millionen verhungernde und 1,2 Milliarde Menschen, die täglich von weniger als einem Dollar ihr Leben fristen – »Wohlstandsmüll«, von dem die moderne Wirtschaftsethik nur eines zu sagen weiß: Pech gehabt, nicht effizient nutzbar. Der Markt geht vor – Punkt.

Diese Beispiele scheinen auf den ersten Blick Einzelfälle zu sein, die womöglich in polemischer Absicht ausgewählt wurden. Doch das ist nicht der Fall. Bereits diese wenigen (und leider beliebig vermehrbaren) Beispiele bringen sehr deutlich ein Prinzip zum Ausdruck, das die Wirtschaft und die Wissenschaft von der Wirtschaft dominiert. Dieses Prinzip ist die selbstverordnete Blindheit gegen die praktischen Wirkungen des eigenen Denkens – ein Denken, das in seiner wissenschaftlichen Form vorgibt, eine objektive wirtschaftliche Wirklichkeit im fernen Elfenbeinturm der Theorie zu erklären, während man diese Wirklichkeit selbst aktiv als Schreibtischtäter mit hervorbringt. Diese Haltung der vermeintlichen Wertneutralität oder Ideologieferne beruht auf einer Täuschung, der Täuschung des Ego-Prozesses. Dieser Ego-Prozess, der uns in den nächsten Kapiteln ausführlich beschäftigen wird, erscheint in der ökonomischen Wissenschaft unschuldig als bloße methodische »Annahme« (homo oeconomicus). Doch dieser Annahme entspricht eine zynische Praxis, und sie ist das verbreitete Motiv egoistischen Handelns.

Der Kernsatz des Buddhismus lautet: Das Ego wurzelt in einem grundlegenden Irrtum, einer Täuschung über die Natur des Menschen und der Gesellschaft. Mit der globalen Wirtschaft und der globalen ökologischen Krise ist diese Täuschung wie in einem Hohlspiegel vergrößert erkennbar geworden. Der Zusammenhang zwischen einer falschen Wahrnehmung der Welt und globalem Leiden ist die Grundeinsicht des Buddhismus. Es ist dieser Zusammenhang, der die Formulierung und Anwendung der buddhistischen Wirtschaftsethik wünschenswert macht.

Die buddhistische Ethik als Selbstbefreiung

Die buddhistische Wirtschaftsethik unterscheidet sich – bei zahlreichen Berührungspunkten in praktischen Fragen (vgl. Das Verhältnis zu anderen ethischen Systemen, S. 125 ff.) – grundlegend von anderen ethischen Systemen, sofern die Ethik als Teil eines umfassenden Erkenntnisprozesses betrachtet wird. Man könnte sagen, dass der Buddhismus nicht nur in der Ethik einen vernünftigen Kern erblickt, Ethik und Vernunft erweisen sich letztlich als dasselbe. Der »Ort« der Vernunft ist jedoch keine jenseitige Macht, sondern das Individuum: In ihm gründet die Ich-Verblendung, damit auch deren Erkenntnis und schließliche Überwindung.

Die Ökonomie des 19. und des 20. Jahrhunderts – sowohl die liberale als auch die sozialistische – war gekennzeichnet durch den Gegensatz von Staat und Markt. Die liberale Ethik geht von egoistischen Individuen aus, deren Wettbewerb auf den Märkten zu einem stabilen, sich selbst organisierenden Marktsystem führen soll. F. A. von Hayek hat die These vertreten, dass die »Vernunft des Marktes« jedes einzelne Bewusstsein übersteigt und deshalb der Markt in seinen Funktionen nicht verbessert werden könne.19 Sozialistische Ethiken bestreiten das. Sie gehen davon aus, dass Märkte ohne Staat überhaupt nicht funktionieren können und deshalb weitgehend durch staatliche Aufgaben ersetzt werden sollen. Auch die katholische Soziallehre sieht in der staatlichen Ordnung ein höheres Prinzip, das respektiert werden müsse.

Gemeinsam ist diesen Auffassungen, dass sie entweder dem Markt oder dem Staat eine Vernunft zuschreiben, die prinzipiell die Vernunft der einzelnen Menschen übersteigt, weshalb die Individuen sich in ihrem Verhalten entweder dem Markt oder dem Staat unterzuordnen hätten – auch dann, wenn Millionen Menschen und andere Lebewesen darunter vielfältig leiden. Kommunisten vertrösteten die Menschen (sofern sie ihnen nicht als Klassenfeinden das Lebensrecht absprachen) auf die Zukunft, die das Paradies für die Werktätigen verwirklichen sollte. Aber auch neoliberale Ökonomen lieben es, den Politikern »schmerzhafte Reformen« zu empfehlen, mit dem uneingelösten Versprechen, langfristig werde der Markt seine Segnungen für alle entfalten. Das 20. Jahrhundert lieferte für diese schlechten Apologien des Staates und des Marktes in einem bislang unbekannten Ausmaß Beispiele. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts schien der Glaube an die höhere Macht des Marktes, unbeeindruckt durch vergangene Erfahrungen, wieder einmal einen Sieg davon getragen zu haben. Die dramatischen Wirtschaftskrisen in Asien, Russland und Südamerika und die gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der New Economy und dem allgemeinen Crash an den Märkten nach 2008 sind aber dabei, hier das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen zu lassen.

Der Liberalismus und der Kommunismus sind formal immer noch ein heimlicher Theismus, ein Glaube an eine Gottheit, wenn sie der staatlich-kollektiven »Vernunft« (verkörpert in der Kommunistischen Partei) oder der »Vernunft« des Marktes eine gottähnliche Autorität zuschreiben. Der Buddhismus formuliert dagegen eine konsequent nicht-theistische Ethik. »Nichttheismus« heißt, dass im Buddhismus weder dem Staat noch dem Markt eine innere, höhere Vernunft eingeräumt wird. Der Buddhismus ist somit mittlerer Weg, der die Extreme vermeidet. Das bedeutet nicht, einen lauwarmen Kompromiss zwischen Staat und Markt zu befürworten, sondern beide Begriffe als täuschende Abstraktionen zu erkennen, denen getrennt vom menschlichen Handeln und Erkennen keine selbständige Existenz zukommt.

Die buddhistische Wirtschaftsethik lehnt es ab, fiktive Wesenheiten wie »Markt« und »Staat« vorauszusetzen, denen man dienen müsse und die es rechtfertigen würden, unheilvolle Mittel einzusetzen. Der junge Karl Marx hat in diesem Zusammenhang einmal einen urbuddhistischen Satz formuliert: »Aber ein Zweck, der unheiliger Mittel bedarf, ist kein heiliger Zweck.«20 Es gibt keinen Zweck, der unheilvolle Mittel rechtfertigt. Es gibt keinen staatlichen oder wirtschaftlichen »Sachzwang«, der es rechtfertigt, Menschen oder anderen Lebewesen im Namen abstrakter Prinzipien Leid zuzufügen.

»Sachzwänge«, »objektive Tatsachen« usw. sind in der sozialen Welt, in der menschlichen Gesellschaft, die das Ergebnis von menschlichen Handlungen ist, letztlich Illusionen. Der Grund gesellschaftlicher Strukturen liegt im Handeln, das Handeln wiederum beruht auf einer (teils irrtümlichen) Wahrnehmung der Welt, nicht auf jenseitigen Ordnungsprinzipien. Weil es keine transzendenten Prinzipien gibt, die im Markt oder im Staat wirksam sind, weil also die Welt das Resultat von Handlungen ist, die in einer bestimmten Wahrnehmung der Welt gründen, deshalb kann man die Welt auch verbessern, deshalb kann man das Leiden mindern.

Dieses Ziel von Reformen, von Verbesserungen der Lebenssituation für Menschen und andere Lebewesen, wird aber nur erreicht, wenn man die Ursachen des Leidens erkennt. Und diese Ursachen gründen im menschlichen Handeln, nicht in einem guten/bösen Markt oder einem guten/bösen Staat. Weder der Markt noch der Staat besitzt eine sittliche Substanz oder ist die Verkörperung einer »sittlichen Idee«. Die Ethik hat damit nur einen einzigen Ort: den Geist jedes Individuums. »Veränderungen des Zustands der Welt beruhen auf individuellem Verhalten«, sagt der Dalai Lama.21

Das Leiden in der Welt geht nach buddhistischer Auffassung aus einer jeweils individuell reproduzierten Täuschung hervor. Deshalb kann die Welt, können die Menschen verändert werden, weil der Grund des Leidens kognitiv, nicht ontologisch ist. Was wir »Leiden« nennen, ist immer mit einer – wenn auch irrenden – Denkform verbunden. Ein Schmerz ist noch kein Leiden, sondern eine sinnliche Erfahrung. Das erkennt man daran, dass einige Menschen Dinge als unangenehm, abstoßend oder schmerzhaft empfinden, die andere lustvoll genießen können – z. B. das Rauchen, körperliche Exzesse, seltsame Sexualpraktiken, sehr laute Musik oder Motorengeräusche etc. Nicht bestimmte Dinge sind »an sich« die Ursache für Leiden, sondern ihre Wahrnehmung. Und zur Wahrnehmung gehört immer eine Interpretation dessen, was man wahrnimmt. Die Wahrnehmung wiederum ist untrennbar verbunden mit Begriffen – wir nehmen Etwas wahr, interpretieren also (vielfach unbewusst) unsere Erlebnisse. Es ist dieser Denk- und Wahrnehmungsprozess, der als Täuschung die eigentliche Quelle des Leidens darstellt. Doch eben diese Denk- und Wahrnehmungsprozesse sind beeinflussbar. Es sind keine Naturgesetze.

Die Menschen können sich also selbst verändern. Der Buddhismus ist somit auch als Wirtschaftsethik ein Weg der Selbstbefreiung. Durch ein Vertrauen auf »Mechanismen« gelingen Veränderungen nicht. Die Befreiung vom Leiden nimmt uns weder ein Staat, eine Religion noch der Markt ab. Zur Veränderung der Welt, zur Minderung des Leidens muss man vielmehr die Wahrnehmung und die Erkenntnis verändern. Wer sich lediglich auf eine »höhere Vernunft« des Staates oder des Marktes beruft und zu einem Verzicht von Handlungen, die das Leiden mindern, aufruft, der erliegt nach buddhistischer Auffassung einer schlichten Täuschung. Die buddhistische Wirtschaftsethik ist also vor allem eine Methode der Erkenntnis, die Täuschungen beseitigt und damit die Hoffnung birgt, die unheilvolle Mechanik der Märkte und der politischen Auseinandersetzungen zu verhindern – durch die Vernunft und Erkenntnis möglichst vieler Menschen. Jeder einzelne ist zur Erkenntnis befähigt und deshalb auch der Adressat der buddhistischen Ethik.

Grundzüge der buddhistischen Philosophie

Da moralische Fragen im Buddhismus untrennbar sind von der Erkenntnis, gründet auch die Ethik in der Erkenntnistheorie. Ich möchte deshalb zuerst einige Grundzüge der buddhistischen Philosophie skizzieren, die auch als methodische Prinzipien für ethische Fragestellungen von zentraler Bedeutung sind. Diese Skizze kann nur sehr knapp ausfallen und verzichtet weitgehend auf ausführliche Belege der angeführten Gedanken.22 Was hier zunächst dürr und abstrakt klingen mag, wird sich in den späteren Abschnitten an konkreteren Sachverhalten weiter klären lassen.

Buddhistische Erkenntnistheorie

Die buddhistische Philosophie erfüllt zwei Funktionen. Erstens orientiert sie sich überwiegend an einer praktischen Aufgabe: Sie zielt darauf, das Leiden der Lebewesen zu mindern und Wege zu eröffnen, die diesem Ziel dienen. Um dies zu erreichen, versucht die buddhistische Philosophie zweitens die Aussagen über die vom Buddha gewonnene Erkenntnis zu systematisieren, zu vertiefen, zeitgemäß zu adaptieren und strittige Fragen zu klären. In der Sprache der abendländischen Tradition formuliert, ist der Buddhismus also praktische Philosophie. Das schließt metaphysische Fragen nicht aus. Doch alle philosophischen Erörterungen dienen letztlich dazu, Erkenntnisse tatsächlich erfahrbar zu machen und zu praktizieren. Der Buddha drückt das so aus: Wenn jemand von einem vergifteten Pfeil getroffen wird, dann muss man als Erstes den Pfeil herausziehen und nicht umfangreiche Erörterungen über die Natur von Giften und ihre Wirkung auf den Organismus anstellen.

1 912,68 ₽
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271 стр. 2 иллюстрации
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9783942085342
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