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3. Kapitel:
Samstagnachmittag

Die erste Besprechung nach dem Einsatz war rasch über die Bühne gegangen. Allzu viel gab es nicht zu berichten, und ohnehin bestand zunächst nur ein anfänglicher Verdacht, es könne sich um ein Tötungsdelikt handeln. Sobald erste Obduktionsergebnisse vorlagen und diese auf eine Fremdeinwirkung schließen ließen, wollten sich alle wiedertreffen.

Jana und Clemens hatten gemeinsam auf Janas Dachterrasse zu Mittag gegessen und waren gerade mit Usti an der Ahr unterwegs. Von ihrer Wohnung in der Ahrweiler Altstadt aus erreichten sie den Fluss in nur wenigen Gehminuten. Das Wasser glitzerte in der Sonne. Seitdem es in den Sommermonaten weniger regnete, konnten sie den Fluss an manchen Stellen leicht überqueren. In der Nähe des Klosters Kalvarienberg staute sich das Wasser an einem Wehr. Hier gönnte Jana Usti den Spaß eines Bades. Jana wusste durch ältere Bewohner der Stadt, denen sie auf ihren zahlreichen Spaziergängen begegnet war, dass sie früher hier noch selbst geschwommen waren. Das wäre es jetzt, dachte Jana, denn im Laufe des Tages wurde es immer heißer.

»Ich wäre jetzt gerne am Meer«, seufzte sie.

Sie und Clemens hatten sich auf einen großen Stein am Flussufer gesetzt und beobachteten Usti bei seinen Spielchen im Wasser. Immer wieder brachte er den Ball zurück ans Ufer, den Jana unermüdlich ins Wasser warf. Doch bald hatte er genug davon, denn er kam allmählich in die Jahre, in denen es auch Hunde gern gemütlicher angingen. Sein nasses Fell, das er an Janas Beine drückte, brachte eine willkommene Abkühlung mit sich. Bevor Clemens’ Telefon klingelte, hatten sie beschlossen, zurück in die Stadt zu gehen, um ein Eis zu essen. Daraus wurde jedoch nichts mehr, denn der Anruf kam aus der Rechtsmedizin. Daniel Bender starb keines natürlichen Todes. Mehr wollte der Rechtsmediziner später während einer Videokonferenz mitteilen, zu der Clemens die Kollegen telefonisch zusammentrommelte, während Jana und er zurück zur Wohnung in der Altstadt liefen. Nachdem Jana Usti mit lauwarmem Wasser abgeduscht hatte, machte sie sich frisch und nahm gemeinsam mit Clemens eine kleine Mahlzeit im Stehen zu sich. Als sie die Wohnung verließen, war Usti bereits eingeschlafen.

Im Besprechungsraum trafen sie auf die Kommissarin Melanie Siemer, einen Kollegen der Spurensicherung, zwei Polizeibeamte und einen IT-Spezialisten. Per Video waren der Leiter der Spurensicherung aus Koblenz und der Rechtsmediziner aus Bonn zugeschaltet.

Alle lauschten gespannt Burgdorfs Ausführungen, der jedoch gleich zu Beginn einräumte, dass die toxikologischen Analysen noch nicht vorlagen. Dafür jedoch hatte er am seitlichen Rücken des Verstorbenen eine Einstichstelle entdeckt, die bereits mindestens vierundzwanzig Stunden alt war, eher noch älter, und die er deshalb relativ rasch entdeckt hatte, da sie leicht gerötet war. Die Stelle, an der die Injektion angesetzt worden war, sei äußerst untypisch für eine ärztliche Verabreichung, eigentlich könne er eine solche sogar gänzlich ausschließen.

»Woran ist er denn verstorben?«, wollte Clemens ungeduldig wissen. Auch Jana und den anderen brannte diese Frage auf den Nägeln. Jana war wohl die Einzige, die die Herausforderung einer Ermittlung auch an einem Samstagnachmittag nur allzu gerne annahm.

»An einem von einem Lungenödem hervorgerufenen Atemstillstand«, referierte Dr. Burgdorf.

»Also doch eine natürliche Ursache«, rief Melanie Siemer in den Raum.

»Zusammen mit der verabreichten Injektion würde ich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen wollen.«

»Kommen Sie, Dr. Burgdorf«, sagte Clemens. »Sie haben doch einen Verdacht. Ich kenne Sie zu gut.«

Der Rechtsmediziner lächelte, rückte ein wenig näher an das Kameraobjektiv heran und räusperte sich. »Also gut. Es gibt nur einen Ort, an dem wir noch Reste der Substanz nachweisen können. Bei einer oralen Aufnahme wäre das der Mageninhalt. Wegen der schnellen Verstoffwechselung werden wir im Blut nichts finden.«

Er spannte sie wirklich auf die Folter.

»Aus meiner langjährigen Praxis kenne ich nur einen einzigen Fall, an dem ich mitarbeiten durfte. Ansonsten nur Fälle aus der Literatur. Sie erinnern sich doch bestimmt an den als Regenschirmattentat in die Geschichte eingegangen Mord an dem bulgarischen Dissidenten Georgi Markow 1978 in London …«

»Rizin?« Clemens’ Frage hallte noch eine Weile im Raum nach.

»Ja, Rizin. Aber dazu müssen wir noch die Analyse des Darminhaltes abwarten. Es ist möglich, dass wir die Substanz selbst nicht mehr nachweisen können, womöglich nur ein Mittel, in dem sie gelöst wurde.«

»Also ein nahezu perfekter Mord?«, fragte jemand in den Raum.

Jana drehte sich um. Der Kollege der Spurensicherung hatte das wissen wollen.

Dr. Burgdorf hatte offensichtlich die Frage verstanden. »Aber nur nahezu. Ich hoffe, dass unsere Geräte sensibel genug sind. Dass die Flecken an den Armen post mortem entstanden sind, darüber hatten wir ja bereits gesprochen«, ergänzte er. »Wenn sonst nichts mehr anliegt, würde ich gerne weiterarbeiten.«

»Doch, natürlich. Wir benötigen noch den Zeitpunkt, an dem der Tod eingetreten ist«, sagte Clemens.

»Hatte ich das nicht schon erwähnt? Gestern Abend gegen 21 Uhr.«

Da hatte Jana das Bad gerade verlassen.

»Aber der Zeitpunkt des Todes ist eigentlich gar nicht wirklich relevant, nicht wahr?«, sagte Clemens.

»Exakt«, antwortete Dr. Burgdorf. »Eine Injektion mit dem Giftstoff kann sechsunddreißig bis zweiundsiebzig Stunden davor erfolgt sein.«

»Das bedeutet, dass wir seine letzten drei Lebenstage rekonstruieren müssen«, murmelte Jana.

»War es das jetzt? Der Bericht geht Ihnen noch zu«, sagte Dr. Burgdorf und schaltete den Monitor aus. Er hörte nicht mehr, wie Clemens sich bei ihm für seine Ausführungen bedankte. Als Nächstes ließ er sich vom Leiter der Spurensicherung, der ebenfalls live zugeschaltet war, auf den neuesten Stand bringen. Doch viel gab es nicht zu berichten. An dem Armbändchen mit dem Spindschlüssel befand sich Fremd-DNA. Alle waren sich einig, dass diese vermutlich von einem der beiden Schwimmmeister stammte. Zur Sicherheit würde jedoch eine Untersuchung durchgeführt. Man wollte keinesfalls etwas übersehen.

Melanie Siemer berichtete im Anschluss über den Verlauf des Gesprächs mit Daniel Benders Eltern, das sie mit einem Kollegen der örtlichen Polizei zusammen geführt hatte. Die Todesmitteilung habe die Eltern nach einer kurzen Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens in Verzweiflung gestürzt. Hinweise zu einem möglichen Motiv konnten sie nicht geben.

»Wir haben also nicht wirklich viel«, begann Clemens sein Resümee. »Aber das ist normal zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen.«

Jana wies darauf hin, dass es aus ihrer Sicht am dringlichsten sei, sich mit den journalistischen Tätigkeiten von Daniel Bender zu beschäftigen. »Wenn schon Rizin im Spiel ist – ich weiß, es gibt bislang nur Indizien dafür –, dann sollten wir bedenken, dass er etwas recherchiert haben könnte, was sehr brisant war.«

»Woran denkst du, Jana?«, fragte Clemens.

»Es ist zwar noch zu früh, uns auf mafiöse oder sogar geheimdienstliche Vorgänge einzuschießen, woran man sicherlich zunächst denken könnte. Mittlerweile hat sich die Wirkung des Rizins ja herumgesprochen, wie wir ja immer wieder feststellen können, wenn es um Razzien im kriminellen Milieu geht.« Jana war bewusst, dass Melanie Siemer es ihr übel nahm, wenn sie sich als Tatortfotografin so sehr in den Vordergrund rückte. Doch von ihr kamen solche Gedankenspiele und Beiträge zum Fortgang der Ermittlungen viel zu selten. Und das, obwohl sie die Kriminalbeamtin war.

»Ja, das denke ich auch«, bestätigte Clemens. Er nahm sein Handy und wählte eine Nummer, die er von einer Seite in seinem Notizbuch ablas. Alle hörten, wie er mit Katrin Anders, Daniel Benders Freundin, einen Besuchstermin innerhalb der kommenden Stunde vereinbarte. Mit einigen Anweisungen an seine Kolleginnen und Kollegen löste er die Besprechung auf, wobei Melanie Siemer der Part zugeteilt wurde, ähnlich gelagerte Fälle zu recherchieren, während sich der IT-Fachmann um Daniel Benders Handy kümmern sollte. Nun war auch klar, wer Clemens zu Katrin Anders begleiten sollte.

»Schade, dass du keine Kriminalbeamtin bist«, sagte Clemens zu ihr, während sie in seinem Auto nach Bad Neuenahr unterwegs waren. Sie waren von der Dienststelle aus zunächst zur nahe gelegenen Tankstelle gefahren und hatten eilig ihr ausgefallenes Frühstück nachgeholt.

»Ja, du weißt ja, ich bin leider zu alt, um noch ein Studium zu beginnen«, antwortete Jana.

»Ich weiß«, seufzte Clemens. »Es wird immer schwieriger, Gründe zu finden, warum ich dich so intensiv in die Ermittlungen einbinde.«

Jana traf dieses Bekenntnis noch nicht einmal unvorbereitet. Dieser Punkt war gelegentlich Bestandteil ihrer Gespräche, von Anfang an. Und es ärgerte sie, dass sie von seiner Unterstützung derart abhängig war. Fühlte sie sich doch als eigenständige und emanzipierte Frau. Sie lehnte es eigentlich ab, von einem Mann protegiert zu werden. Aber das Dienstrecht war nun einmal so, wie es war. Und darin gab es keinen Raum für eine ermittelnde Tatortfotografin. Der Kniff, den er zuletzt anwandte, bestand darin, dass sie ihm für seine Dozententätigkeit an der Polizeischule im Hunsrück zuarbeitete. Jedoch galt dies eigentlich nicht für aktuelle Ermittlungen. Immer offensichtlicher trat hervor, dass Jana sich Gedanken um ihre berufliche Zukunft machen musste.

Als sie vor dem Mietshaus parkten, in dem sich die Wohnung von Daniel Bender und Katrin Anders befand, hatte sich der Himmel zugezogen, und ein Wärmegewitter lag drückend in der Luft. Beim Öffnen der Autotür kam Jana ein Schwall feucht-warmer Luft entgegen. Sie nahmen einige Plastikboxen mit ins Haus, in denen sie die Unterlagen des Mordopfers verstauen wollten, die sie für relevant hielten. Clemens ließ Jana den Vortritt im Treppenhaus. Gleich beim Hineingehen, nahm sie einen Geruch wahr, der in ihr unangenehme Erinnerungen auslöste. Irgendein künstlicher Duft, stechend und schwülstig zugleich. Intuitiv blickte sie sich um und vergewisserte sich, dass Clemens seine Dienstwaffe bei sich trug. Je weiter sie das Treppenhaus hinaufstiegen, desto mehr verflüchtigte sich der Geruch.

Oben angekommen, stellten sie fest, dass die Wohnungstür nur angelehnt war.

Jana machte Clemens mit einem Handzeichen darauf aufmerksam. Es musste nichts zu bedeuten haben, aber nachdem Daniel Bender ermordet worden war, befand sich möglicherweise auch seine Freundin in Gefahr.

Clemens stellte die Boxen leise ab, führte seine Hand zur Waffe und öffnete die Sicherung am Holster.

»Hallo, Frau Anders?«, rief Clemens in die Wohnung. »Hier ist Hauptkommissar Wieland.«

Jana beschlich ein ungutes Gefühl. Clemens wirkte ruhig und konzentriert. Sie hörten Geräusche aus einem der Zimmer. Als ihnen Katrin Anders im Wohnungsflur entgegenkam, löste sich ihre Anspannung.

»Ach, da sind Sie ja noch mal. Sie haben Ihren Kollegen gerade verpasst«, sagte sie.

Jana und Clemens sahen einander an. Sie wussten beide nur zu gut, dass sie niemanden zu Benders Freundin geschickt hatten.

»Von welchem Kollegen sprechen Sie?«, fragte Clemens. In seiner Stimme konnte Jana ein leichtes Zittern ausmachen.

»Na, der junge Mann mit dem Schutzanzug. Der sagte, er sei von der Kripo und solle die Unterlagen aus Daniels Arbeitszimmer abholen. So hatten wir es doch vorhin am Telefon besprochen.«

»Und Sie haben sich keinen Ausweis zeigen lassen?«, fragte Clemens ungehalten.

Katrin Anders merkte allmählich, dass sie überrumpelt worden war.

Jana stellte sogleich eine Verbindung zu dem im Hausflur wahrgenommenen Geruch her. Wenn sie sich doch nur erinnerte, wo sie diesen schon einmal wahrgenommen hatte.

»Was hat er denn alles mitgenommen?«, fragte Clemens, während sie in der Tür zum Arbeitszimmer standen, in das Jana vor wenigen Stunden so gern einen Blick hineingeworfen hätte.

»Einige Notizen und seinen Laptop«, sagte Katrin Anders. Sie war ganz blass geworden.

»Wissen Sie, ob Ihr Freund seine Daten gesichert hat, vielleicht in einer Cloud oder auf einem Stick, den er irgendwo versteckt hat?«

Katrin Anders gab sich ahnungslos.

Clemens blieb nichts weiter übrig, als die Spurensicherung zu verständigen. Vielleicht fanden sie ja DNA des Mannes, der sich hier unter Vorspiegelung einer falschen Identität Zugang verschafft und Beweismittel gestohlen hatte. Da er einen Schutzanzug und – wie ihnen Katrin Anders berichtete – zusätzlich noch Handschuhe und Schuhüberzieher getragen hatte, sah Jana die Chance als äußerst gering an. Aber vielleicht hatte er alles irgendwo in der Nähe entsorgt.

»Clemens, ob er die Schutzkleidung weggeworfen hat?«, fragte Jana.

»Ich gehe mal nachschauen«, antwortete Clemens. »Wo haben Sie Ihre Mülltonnen?«, fragte er an Katrin Anders gerichtet.

»Vor dem Haus in einer Box. Aber für die benötigt man einen Schlüssel.«

»Trotzdem, ich schaue mich in der Nähe um. Du bleibst bei Frau Anders?«

Jana bejahte.

»Mir ist nicht gut«, sagte Katrin Anders, als die beiden Frauen miteinander allein waren.

»Sie sollten einen Arzt aufsuchen«, riet Jana.

»Heute ist doch Samstag«, antwortete Katrin Anders.

»Dann setzen Sie sich wenigstens und trinken etwas. Ich kann auch gerne den Notarzt anrufen. Oder jemanden, der Sie psychologisch betreut.«

»So schlimm ist es nicht«, entgegnete Katrin Anders. Mittlerweile hatten sie im Wohnzimmer Platz genommen.

»Hatte Ihr Freund einen Social-Media-Account?«, fragte Jana.

»Ja, bei Facebook und Twitter, aber er nutzt diese, soweit ich weiß, nur sporadisch.«

»Seine Passwörter kennen Sie nicht zufällig, oder?«

Katrin Anders schüttelte den Kopf.

Clemens kam, ohne etwas gefunden zu haben, zurück. Dafür hatte er Janas Fotoausrüstung aus dem Auto mit nach oben gebracht. Jana nahm ihn beiseite und schilderte ihm die gesundheitliche Verfassung von Katrin Anders.

»Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, sagte sie leise. »Aber ich würde mich gerne etwas hinlegen.«

Jana und Clemens ließen sie im Wohnzimmer allein.

Um keine Spuren zu zerstören, blieben sie im Flur stehen, während sie auf die Kollegen warteten. Die Vorgänge waren wirklich besorgniserregend. Jemand hatte offensichtlich Beweismaterial an sich gebracht, Unterlagen, die der Polizei unter keinen Umständen in die Hände fallen sollten. Es handelte sich wohl kaum um einen Zufall, dass diese Person ausgerechnet im Zeitfenster zwischen Clemens’ Anruf und ihrem Eintreffen hier hereinspaziert war. Hatte dieser Mann möglicherweise sogar von ihrem Vorhaben gewusst und den Moment abgepasst, bevor sie hier ankamen? Dann war diese Person im engen polizeilichen Umfeld zu suchen oder hatte Kontakte zu einem von ihnen. Clemens trieben mit Sicherheit ähnliche Gedanken um, denn als die Kollegen der Spurensicherung eintrafen, reagierte er ihnen gegenüber distanzierter als üblich. Misstraute er einem?

»Darf ich dein Notizbuch nutzen?«, fragte sie.

»Wozu?«, fragte Clemens, der gerade seine Einweisung an die Kollegen beendet hatte.

»Ich will mir notieren, was mir bei unserem ersten Besuch aufgefallen ist, als ich einen Blick ins Arbeitszimmer geworfen habe.«

»Das ist gut«, sagte Clemens und reichte Jana sein Notizbuch zusammen mit einem Stift. Nachdem Jana einige Punkte notiert hatte und die Seite mit ihrem Handy abfotografiert hatte, gab sie Clemens das Notizbuch zurück und versuchte, sich von den Vorbehalten gegenüber den Kollegen freizumachen, während sie Seite an Seite mit ihnen arbeitete. Zunächst fotografierte sie jeden Winkel des Arbeitszimmers, danach sah sie sich noch weiter in der Wohnung um, lichtete einige Erinnerungsfotos ab, die an den Wänden hingen, und die Zettel, die an der Pinnwand in der Küche befestigt waren. Plötzlich tauchte neben ihr Katrin Anders auf.

»Geht es Ihnen ein wenig besser?«

»Nein, nicht wirklich. Es wird mir gerade alles ein wenig zu viel.«

Jana tat die junge Frau leid. Ein Blick in ihr Gesicht bestätigte Jana in ihrem Vorhaben, für sie einen Arzt zu rufen. Für solche Fälle hatte die Polizei Hilfsangebote. Jana zögerte nicht lange und ging die Kontaktliste in ihrem Handy durch, bis sie eine geeignete Ärztin in der Nähe fand. Es war nun nicht mehr daran zu denken, weitere Fragen zu stellen. Katrin Anders brauchte Ruhe und professionelle Hilfe.

Die Ärztin traf ein, als sie mit ihrer Arbeit gerade fertig waren. Guten Gewissens konnten Jana und Clemens Katrin Anders nun allein lassen.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Jana mit einem sorgenvollen Blick gen Himmel. Ihr Hund Usti neigte seit wenigen Wochen zu einer gewissen Unruhe, wenn sich ein Gewitter aufbaute.

»Ich schlage vor, ich setze dich in Ahrweiler ab. Sollte ich dich brauchen, melde ich mich bei dir.«

Jana war einverstanden. Überstunden hatte sie genug, und Usti während des Gewitters beistehen zu können, kam ihr sehr gelegen. In der Straße vor ihrer Wohnung angekommen, entnahm Jana die Speicherkarte aus ihrer Kamera und übergab sie Clemens.

»Ich wünsche erfolgreiche Ermittlungen«, sagte Jana beim Aussteigen.

»Wir werden sehen …«, sagte Clemens und lächelte.

Kaum war er weitergefahren, fielen dicke Tropfen vom Himmel. Auf der Haut fühlten sie sich unerwartet kalt an. Jana huschte ins Gebäude. Hinter ihrer Wohnungstür wartete Usti auf sie. Er zitterte ein wenig, machte ansonsten allerdings einen recht unaufgeregten Eindruck. Nachdem sie ihn einige Minuten gestreichelt hatte, hörte auch das Zittern auf. Als Nächstes sprang Jana unter die Dusche, zog sich bequemere Kleidung an und setzte sich dann mit einem Glas Minztee auf ihre Dachterrasse. Das Gewitter war mittlerweile gen Rheintal weitergezogen. Ihre Terrassenmöbel hatten kaum Regen abbekommen. Abgekühlt hatte es sich so gut wie gar nicht. Sie dachte eine Weile über den Fall Daniel Bender nach, holte ihr Handy, um die Notizen durchzusehen, und schrieb schließlich alles noch einmal auf ein großes Blatt Papier. Das Schreiben mit der Hand half ihr, die Gedanken zu sortieren. Hatte sie früher über Clemens gelächelt, dem sein Notizbuch nahezu heilig war, so verstand sie ihn jetzt immer besser. Dieser Fall bereitete ihr größere Sorgen als die früheren Ermittlungen. Rizin, das klang nach Dissidenten, Spionage und Geheimdienste. Unvorstellbar, dass sie es hiermit zu tun hatten. Und doch, da war zum einen dieser Mann, der sich als Mitarbeiter der Polizei ausgegeben hatte und genau jene Beweismittel weggeschafft hatte, die ihnen weiterhelfen würden, um überhaupt erst einmal ein Motiv für den mutmaßlichen Mord an Daniel Bender zu finden. Sie rief Clemens an und fragte, ob sich vielleicht doch noch herausgestellt hatte, dass jemand aus ihrem Team eigenmächtig zu Daniel Benders und Katrin Anders’ Wohnung gefahren war. Das wäre für alle Beteiligten eine Erleichterung. Doch diese vage Hoffnung bestätigte sich nicht. Wer war nun im Besitz der Unterlagen und des Laptops? Benders Mörder? Ein Konkurrent, der ebenfalls an einer Story Interesse hatte? Die Vorstellung, dass es bei der Polizei jemanden gab, der den Unbekannten über Interna informiert hatte, ließ sie nicht los. Und dann eben das verabreichte Rizin. Die Tat und die Verabreichung mussten länger geplant worden sein, keine Affekthandlung. Aber was hatte Daniel Bender in Erfahrung gebracht, dass er derart hinterhältig getötet wurde? Jana fragte sich, ob sie nicht gerade dabei waren, in etwas hineinzugeraten, das eine Nummer zu groß für sie war. Clemens würde schon wissen, ob die Einschaltung des Landeskriminalamtes erforderlich war.

4. Kapitel:
Sonntagnachmittag

Die Ermittlungen gestalteten sich zäh. Üblicherweise hatten sie am Anfang eines Falls schnell eine Spur, der sie nachgehen konnten, manchmal sogar zu viele Informationen. Die Auswertung des Handys von Daniel Bender ließ auf sich warten, das Bewegungsprofil des Opfers zu erstellen, gestaltete sich komplizierter als gedacht, lediglich seine Aufenthalte in den Ahr-Thermen während der vergangenen Tage waren gut zu dokumentieren. Es schien so, als habe Daniel Bender den tatrelevanten Zeitraum vorwiegend in Bad Neuenahr verbracht. Sein Auto hatte er kaum bewegt. Auch wenn es nicht Daniel Benders Gewohnheit entsprach, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, hatte man die Überwachungsvideos der Stationen der Ahrtalbahn, die das Tal mit der Rheinschiene verband, angefordert. Auch die örtlichen Taxiunternehmen waren befragt worden, ob jemand Daniel Bender befördert hatte. Mit wem er während der letzten Tage beruflichen Kontakt gehabt hatte, hatten Clemens’ Kollegen ebenfalls noch nicht herausgefunden. Katrin Anders war kurzfristig in einer Klinik aufgenommen worden, sodass man sie zunächst nicht mehr befragen konnte. All das wusste Jana von Clemens, der gestern Abend noch kurz bei ihr war, bevor er nach Koblenz gefahren war. Dort wohnte er unter der Woche, die Wochenenden hingegen verbrachte er zumeist bei Jana. Er entschuldigte sein Wegbleiben damit, dass er sein Seminar in der Polizeischule vorzubereiten habe und wegen des aktuellen Mordfalls dafür nachts arbeiten müsse und sie nicht stören wolle.

»Bitte dieses Mal wirklich keine Alleingänge, Jana, solange wir nicht wissen, von welchem Tatmotiv auszugehen ist«, hatte er Jana inständig gebeten. Sie verstand, dass ihn die Umstände des Falls beunruhigten.

Den Samstagabend hatte Jana für einen ausgiebigen Spaziergang mit Usti genutzt, hatte danach zur Ablenkung einen Rotweinkuchen gebacken und war dann recht früh schlafen gegangen. Da es keinen Grund dafür gab, früh aufzustehen, war sie am Sonntagmorgen länger als gewöhnlich im Bett liegen geblieben. Erst der Stups von Ustis kalter Nase gegen ihren Oberarm konnte sie zum Aufstehen bewegen. Spaziergang und Frühstück lagen hinter ihr, als sie sich den Aufnahmen von gestern widmete. Sie hatte nicht nur mit der großen Kamera fotografiert, sondern auch mit ihrem Handy. Jana schickte einige der Aufnahmen an ihre Mailadresse, sodass sie diese auf ihrem Laptop ansehen konnte. Vergrößerte Ausschnitte, stellte Vergleiche zu ihrem ersten Eindruck vom Arbeitszimmer des Opfers an, dachte nach, machte sich weitere Notizen. Doch sie fand nichts Auffälliges. Vielleicht ja doch: Der Mann, der sich unberechtigterweise Zutritt verschafft hatte, hatte keine Unordnung hinterlassen. Es wirkte vielmehr so, als habe er nicht lange nach dem suchen müssen, worauf er es abgesehen hatte. Was hatte sich nur auf Daniel Benders Laptop befunden, woran hatte er gearbeitet? Was war so brisant, dass man nach seinem Leben trachtete? Oder hatte ein Dritter die Rechercheergebnisse gestohlen, um damit jemanden zu erpressen? Das würde bedeuten, dass eine weitere Person über die Recherchen Bescheid wusste. Wie dem es auch sei, alles lief auf eines heraus: Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, woran Daniel Bender gearbeitet hatte.

Jana hatte über ihre Gedanken hinweg die Zeit aus den Augen verloren. Sie machte sich ein Sandwich und schnitt sich ein Stück vom Rotweinkuchen ab. Die kleinen Schokoladenstückchen, die sie hineingegeben hatte, schmolzen langsam im Mund. Usti war müde und hatte kein Interesse an einem Spaziergang durch die nachmittägliche Sommerhitze. Jana gab Daniel Benders Namen in die Suchmaschine ihres Browsers ein und hoffte, so zu erfahren, zu welchen Themen er bevorzugt journalistisch tätig gewesen war. Frühe Artikel hatte er vorwiegend in den Lokalzeitungen zwischen Rhein und Ahr veröffentlicht. Er benutzte das Kürzel »bend«. Diese umfassten das typische Spektrum vom Polizeibericht, über Vereinssitzungen bis hin zu Kulturveranstaltungen. Im letzten Jahr hatte er sich entweder anderen Themen zugewandt oder er hatte begonnen, für andere Zeitungen zu arbeiten, jedenfalls fehlten Artikel mit seinem Kürzel oder seinem vollständigen Namen in den lokalen Zeitungsausgaben. Oder war er nicht mehr als Journalist tätig? Zu gerne hätte Jana Katrin Anders befragt, ob vor etwa einem Jahr etwas geschehen war, was das Leben von Daniel Bender in eine neue Richtung gelenkt hatte, oder er sich aus eigenem Antrieb neu orientiert hatte. Aber wenn sie sich richtig erinnerte, ging Katrin Anders immer noch davon aus, dass ihr verstorbener Freund bis zu seinem Tod als Journalist gearbeitet hatte. Dazu passte, dass das Ausstelldatum seines Presseausweises recht aktuell war. Sie schrieb ein kurzes Memo über ihre Auswertungsergebnisse und leitete es als verschlüsselte Mail an Clemens weiter. Da sie nicht so recht wusste, was sie mit sich anfangen sollte und Usti nicht hinauswollte, entschloss sie sich, mit dem Fahrrad nach Bad Neuenahr zu fahren und in den Ahr-Thermen den Tag ausklingen zu lassen. Vielleicht wirkte die Umgebung inspirierend auf sie.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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254 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783839269244
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