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2.2Orientierung mittels traumatischer Ereignisse

Die Definition traumatischer Ereignisse ist ein weites und viel diskutiertes Feld. Sie bewegt sich neben den durch das DSM-5 und die ICD-10 festgelegten Kriterien von der Mahnung vor der Inflation des Traumabegriffs (Quindeau 2019, S. 26) bis hin zum Aufzeigen von Grenzen der Traumadefinition und dem Vorschlag von Ergänzungen (Sack 2013). Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb bietet sich die Betrachtung der traumatischen Ereignisse ebenfalls als eine Orientierung in der Traumalandschaft, d. h. zur Behandlung von Traumafolgestörungen an.

Traumatische Ereignisse werden entsprechend der ICD-10 als kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß definiert, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden.

Für das ICD-11 werden folgende Beispiele angeführt (Pfeiffer, de Haan u. Sachser 2019, S. 42):

•direktes Erleben von durch Menschen verursachten Katastrophen oder Naturkatastrophen, Krieg, schweren Unfällen, Folter, sexueller Gewalt, Terrorismus, körperlicher Gewalt oder lebensbedrohlichen Krankheiten

•Zeugenschaft von bedrohlicher oder plötzlicher Verletzung oder vom Tod anderer in einer unerwarteten oder gewaltsamen Weise

•Erfahren über den unerwarteten oder gewaltsamen Tod eines geliebten Menschen

Martin Sack (2013, S. 14) schlägt eine Ergänzung der Traumadefinition vor, die Vernachlässigung und psychische Gewalt einbezieht:

»Die betroffene Person war Situationen ausgesetzt, in denen die folgenden Bedingungen erfüllt waren:

•Die Person war in ihrer Kindheit wiederholt Situationen emotionaler oder physischer Vernachlässigung ausgesetzt oder wurde wiederholt vorsätzlich und ohne Grund entwertet, gedemütigt oder angeschrien.

•Die betroffene Person reagierte mit starker Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen.«

Der wissenschaftlichen und vermeintlich nüchternen Definition und Betrachtung von traumatischen Ereignissen und ihren Folgen steht das traumatische Erleben betroffener Menschen gegenüber. Die Orientierung wird häufig schwierig, wenn wir auf eine (teilweise extrem ausgeprägte) Kombination, Häufung oder Ausprägung (Intensität) von Traumata stoßen. Nüchtern hieße es: Multitrauma oder Komplextrauma. Was dies für das Leben und die Entwicklung der betroffenen Person bedeutet, ist damit noch nicht beantwortet. Vielleicht geht es hier mehr um eine Sensibilisierung als um eine Orientierung im engeren Sinne.

Hecker und Maercker (2015, S. 549) geben über alle Studien und Traumaarten zusammengefasst eine bedingte Wahrscheinlichkeit, eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, von 8 bis 15 % an. Die bedingten Wahrscheinlichkeiten sind in verschiedenen Ländern annähernd gleich hoch:

•ca. 50–65 % nach direktem Kriegserleben als Zivilist

•ca. 50 % nach Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch

•ca. 25 % nach anderen Gewaltverbrechen

•ca. 5 % nach schweren Verkehrsunfällen

•unter 5 % nach Natur-, Brand- und Feuerkatastrophen

•unter 5 % bei Zeugen von Unfällen und Gewalthandlungen

Traumata sind ihrem Wesen nach unerträglich, schreibt Bessel van der Kolk (2017, S. 9). Entsprechend viel Aufwand wird von betroffenen Menschen betrieben, all das, was mit Trauma und Traumafolgen zu tun hat, aus ihrem Bewusstsein, aus ihrem Leben zu verbannen, um jeden Preis. Sie zahlen in einer spezifischen Währung. Die Währung besteht aus den Strategien, sich selbst vor dem eigenen Schrecken zu schützen, zu distanzieren, in Sicherheit zu bringen. Die Strategien sind für die Patienten nicht verhandelbar. Sie lassen sich nicht »auf Zuruf« verändern. Sie können bewusst oder unbewusst sein und ermöglichten die Bewältigung des traumatischen Ereignisses.

Hinsichtlich der Orientierung und Topografie lassen sich hier bei Patientinnen und Patienten deutliche und für die Behandlung wichtige Unterschiede finden. Der Behandlungsverlauf bei Betroffenen, die sich gut gewappnet und sicher ihrem traumatischen Ereignis stellen können und wollen, sieht anders aus als der von Patientinnen, denen dies nicht möglich ist. Ebenso wie im Hinblick auf die Diagnosen der Traumafolgestörungen und unterschiedlicher Störungsbilder finden wir auch im Bereich der traumatischen Ereignisse Unterscheidungen und somit Entscheidungshilfen für die Behandlungsplanung. Die Art der Traumatisierung, der Zeitpunkt, der Zeitraum, die Umstände, die Verfassung der jeweiligen Person und das Umfeld spielen eine wichtige Rolle.

Die betroffenen Menschen fragen sich, warum sie dem inneren Schrecken nicht entkommen können, warum sie immer wieder daran erinnert werden, warum sie nicht zur Ruhe kommen. Sie erleben, wie sie die Kontrolle über sich selbst und ihr eigenes Leben verlieren, und sie erleben, wie sich ihre Identität verändert oder bei manchen zu verabschieden scheint. Sie schämen sich angesichts ihrer Traumata und ihrer Traumafolgestörung. Scham ist eine zusätzliche Bürde, die im Behandlungsprozess einen angemessenen Raum benötigt. Sie tritt sowohl aufgrund des Erlittenen auf als auch aufgrund von Taten, die Patienten begangen haben oder zu denen sie gezwungen wurden und die nicht mit ihrem eigenen Selbst- und Weltbild vereinbar sind.

Patientinnen kennen die erneute Erniedrigung und die Ohnmacht, die beispielsweise in einem Begutachtungsverfahren oder einem juristischen Verfahren ausgelöst werden können. Diese Prozedere glichen ihren Einschätzungen nach eher einem Casting, bei dem man erneut keine Chancen hat und das nicht selten bizarre Einschätzungen zutage fördert. Die Tatsache, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, potenziell traumatisierende Ereignisse zu bewältigen, ohne eine Traumafolgestörung zu entwickeln, lastet zusätzlich auf vielen Patienten, da sie sich unter anderem fragen, warum gerade sie diese Störung entwickelt haben, während andere, die Vergleichbares erlebten, »besser« waren, ohne Schaden davonkamen.

Ich erachte es als selbstverständlich, die von Patientinnen erlebten traumatischen Ereignisse in Bezug zu ihrer Biografie einschließlich psychischer, somatischer, persönlichkeitsbezogener, sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Faktoren zu bringen. Die mitunter fehlende Anerkennung der erfahrenen Gewalt, Vernachlässigung und des Unrechts sowie fehlende Würdigung des Leids können eine zusätzliche Belastung darstellen und den Heilungsprozess deutlich erschweren.

2.2.1Trauma-Typen

Leonore Terr schlug 1991 als Erste die Unterscheidung zwischen Trauma-Typ I und Trauma-Typ II vor (Streeck-Fischer 2011, S. 450).

Der Trauma-Typ I bezieht sich auf akute und einmalige Traumatisierung, der Trauma-Typ II auf die Folgen chronischer bzw. multipler Traumatisierung (Streeck-Fischer 2011, S. 450).

Die Traumatypen haben einen hohen therapiepraktischen Wert, da sich die Behandlungspläne je nach Typ voneinander unterscheiden. Die Differenzierung und Berücksichtigung der spezifischen Folgen von sogenannten Man-made disasters (interpersonell), d. h. menschlich verursachten Traumatisierungen, gegenüber Traumatisierungen, die nicht gezielt von Menschen ausgingen, wie beispielsweise Naturkatastrophen (akzidentell), dient ebenso der Orientierung in einer Traumalandschaft (Hecker u. Maercker 2015, S. 549).

Schellong stellt eine Erweiterung der Trauma-Typen vor, die das breite Störungsspektrum abbildet und auf die Notwendigkeit angepasster Behandlungspläne verweist (Schellong 2013, S. 47). Sie unterteilt die Traumafolgestörungen nach einem intensiven Dialog mit Praktikerinnen in vier Typen:


•Typ I »einfache« posttraumatische Belastungsstörung
•Typ II Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« traumakompensatorische Symptomatik
•Typ III Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« persönlichkeitsprägende Symptomatik
•Typ IV Posttraumatische Belastungsstörung oder partielle posttraumatische Belastungsstörung »plus« komplexe dissoziative Symptomatik

Die Übersicht in Tab. 4 zeigt die Empfehlungen zur Diagnostik der Traumafolgestörungen entsprechend den vier Typen. Bei Typ I handelt es sich meist um ein einzelnes potenziell traumatisches Ereignis, das eine Traumafolgestörung nach sich zieht. Hier stehen Symptome der klassischen Symptomtrias im Vordergrund: Intrusion, Vermeidung und/oder Numbing sowie Hyperarousal. Die weitere Typisierung folgt nach Schellong einem »Add-on«-System im Sinne einer »Plus«-Symptomatik.


Empfehlungen zur Diagnostik von Traumafolgestörungen
Typ I •CAPS (Clinician-Administered PTSD Scale)
•PDS (Posttraumatic Diagnostic Scale)
•IES-R (Impact of Event Scale, revised)
Typ II Speziell auf komorbide Störungen abgestimmt, z. B.:
•BDI (Back-Depressions-Inventar)
Hamilton-Depressionsskala
Typ III •IPDE (International Personality Disorder Examination)
•SKID-II (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV)
•SKID-D (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Dissoziative Störungen)
•SIDES (Structured Clinical Interview for Disorders of Extreme Stress)
Typ IV •SKID-D (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Dissoziative Störungen)
•FDS (Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen)
•DDIS (Dissociative Disorders Interview Schedule)

Tab. 4: Empfehlungen zur Diagnostik von Traumafolgestörungen (nach Schellong 2013, S. 50)

Kommt eine weitere psychische Erkrankung hinzu, liegt eine Typ-II-Traumafolgestörung vor. Das Störungsbild einer Traumafolgestörung vom Typ III ist durch eine zusätzliche persönlichkeitsprägende Symptomatik mit vorwiegend expansiven Reaktionsmustern gekennzeichnet, die dem impulsiven Verhalten bei einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ähnelt oder durch internalisierende Persönlichkeitsmerkmale mit negativer, sozialphobischer und dissoziativer Symptomatik imponiert, die häufig von somatoformen Körperbeschwerden begleitet wird. Der schwerste Ausprägungsgrad einer Traumafolgestörung liegt mit dem Typ IV vor. Hier überwiegt die dissoziative Symptomatik einschließlich der Störung der Identitätswahrnehmung mit Amnesien, Teilidentitätsstörungen und Identitätswechseln.

2.3Orientierung entsprechend dem aktuellen Funktionsniveau und der Persönlichkeit
2.3.1Stabilitätskontinuum

Der aktuelle Zustand, die Verfassung, Stabilität, also das Funktionsniveau sowie die gesamte Persönlichkeit unserer Patientinnen und Patienten sind ebenfalls ausschlaggebend für die Orientierung im Bereich der Traumafolgestörungen und deren Behandlung. Wir finden in der Praxis eine große Bandbreite dieser Aspekte vor und müssen darauf entsprechend eingehen.

Zu diesem Zweck ließe sich ein Kontinuum annehmen, dessen linkes Ende durch eine hohe Stabilität und weitere förderliche Faktoren, wie Ressourcen, Zuversicht, soziale Einbindung, finanzielle Sicherheit, bzw. das Fehlen weiterer Störungen oder psychosozialer Stressoren gekennzeichnet ist. Das rechte Ende des Kontinuums wäre durch das Gegenteil geprägt: eine sehr hohe Instabilität, das scheinbare Fehlen von Ressourcen oder protektiven Faktoren, eine starke komorbide somatische und psychopathologische Belastung einschließlich dissoziativer und Persönlichkeitsstörungen, chronische Suizidalität, starke soziale Belastungen wie ein fehlendes soziales Netz, fehlende positive Beziehungen, Täterkontakt, finanzielle Not, finanzielle Abhängigkeit von Tätern, drohender Verlust der Wohnung, abgewiesene Anträge auf Sozialleistungen im Sinne des Opferschutzes oder der Erwerbsunfähigkeit und weitere Schwierigkeiten.

Der Zustand unserer Patientinnen zu Behandlungsbeginn lässt sich auf diesem Kontinuum abtragen und hinsichtlich der Stabilität einschätzen. Wir werden Patientinnen und Patienten begegnen, die sich eher auf der linken Seite des Kontinuums bewegen und durch eine hohe Stabilität und psychische Gesundheit auszeichnen, welche sich aus inneren und äußeren Ressourcen und einer hohen Resilienz speisen. In den meisten Fällen geht es hier eher um Menschen ohne auffällige Vorbelastungen und ohne komorbide Störungen. Der folgende Fall stellt ein Beispiel für diese Gruppe von Patienten dar.

Fallbeispiel 2

Der junge, sympathische, zugewandte und sportliche Patient hatte gegen seinen Willen eine gewisse Berühmtheit erlangt. Von einem Hai angegriffen zu werden, gehörte nicht zu den alltäglichen Ereignissen der Menschen, die mit ihm zu tun hatten. Er war »der mit dem Hai«, was bei vielen eine gewisse Faszination auslöste, die den Blick auf die von ihm erlebte Lebensbedrohung verstellen kann. Ein solcher Angriff gehörte natürlich auch nicht zu seinen eigenen alltäglichen Erfahrungen. Er stellte für ihn ein Extremereignis dar. Ein stabiles und dichtes soziales Netz hatte bei der Organisation der Hilfemaßnahmen einschließlich der Ermöglichung einer traumatherapeutischen Behandlung gute Dienste geleistet. Der Patient spielte dabei eine wichtige und aktive Rolle. Er habe die unterstützenden Menschen von Anfang an an seiner Seite gespürt und äußerte sich ihnen gegenüber sehr dankbar. Die Liste war lang. Sie umfasste Familienmitglieder ebenso wie seine Lebensgefährtin, befreundete Taucher aus seinem Verein, die bei dem Unfall anwesend waren und vorbildlich reagiert hatten, hinzugerufene Ärzte, weitere an dem Tauchgang und der Rettung Beteiligte, Ärzte der Zweitversorgung sowie Ärzte, Therapeuten und Kollegen an seinem Heimatort. Der Patient berichtete davon, wie viel Glück er gehabt habe und wie gut alles den Umständen entsprechend gelaufen sei. Als angehender Tauchlehrer zeigte er sich auch erfreut, die viel geübten Notfallmaßnahmen für lebensbedrohliche Zwischenfälle beim Tauchen tatsächlich angewandt zu haben. Selbst nach dem Haiangriff konnte er noch unter Wasser für sich sorgen. Er betrachtete sich insgesamt als umsichtig, verantwortungsvoll, aktiv und optimistisch. Tauchen gehörte zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Er hatte diesem Sport viel Zeit und Energie gewidmet und dabei viel Freude erlebt. Seine Herkunftsfamilie stellte für ihn eine große Unterstützung dar. Seine Partnerschaft erlebte er als glücklich und seiner beruflichen Entwicklung blickte er freudig, interessiert und zuversichtlich entgegen.

Nach dem völlig überraschenden lebensbedrohlichen Angriff eines Hais, der eine Schwerstverletzung nach sich zog, das kontrollierte Aufsteigen an die Wasseroberfläche gefährdete, mit einem entsprechend dramatischen Blutverlust verbunden war, zu einem Nahtoderleben führte und das Überleben zunächst ziemlich infrage stellte, ließ sich der Zustand des Patienten während des Erstkontakts in meiner Praxis als erfreulich stabil einschätzen. Die Behandlungsziele konnten sehr differenziert aufgestellt werden. Die Behandlung erwies sich als überaus konstruktiv. Sie ließ sich zügig und ohne Komplikationen durchführen. Der Patient zeigte sich durchgehend optimistisch, was ihm deutlich dabei half, sich in der Therapie mit dem Unfall auseinanderzusetzen und sich dem traumatischen Geschehen und seinen Folgen zu stellen.

Der Fall ist ein Beispiel für Patienten des linken Bereichs des Stabilitätskontinuums. Ich bin beeindruckt von den vielen inneren und äußeren Ressourcen, die ihm den Weg der Bewältigung erleichterten. Durch eine chirurgische Meisterleistung konnte eine Amputation vermieden werden. Der Fall erinnert mich an die Zeit meiner Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin, in der es um die Erforschung der zugrunde liegenden Prozesse und Behandlungsmöglichkeiten von Phantomschmerz ging. Für dieses Vorhaben benötigten wir Daten von Menschen mit entsprechenden Schmerzen, Menschen, die mit einer Amputation und deren Folgen konfrontiert wurden. Das neurowissenschaftliche Studiendesign war sehr aufwendig, die Ausschlusskriterien scheinbar endlos. Aus meiner heutigen Perspektive wirkt es etwas befremdlich, aber wir suchten letztlich nach Menschen mit Phantomschmerzen, die sonst völlig gesund sein sollten. Es gab sie. Aber es gab auch diejenigen, die infolge der Amputation und der Umstände, die dazu geführt hatten, offensichtlich deutlich traumatisiert waren, eine schwere, teilweise komplexe Traumafolgestörung entwickelten und zusätzlich unter einer Reihe von weiteren Störungen und Belastungen litten. Es gab auch hier ein Kontinuum der Stabilität (und Gesundheit), es gibt Menschen, die weit entfernt von einem stabilen Zustand sind und von denen ich nach meiner Dissertation in meiner neu gegründeten Praxis mehr und mehr behandelte. Wir begegnen Patienten, die zunächst eher im rechten Bereich des Stabilitätskontinuums anzusiedeln sind und die eine andere Orientierung unsererseits benötigen. Das folgende Beispiel zeugt von dieser Gruppe Patientinnen.

Fallbeispiel 3

Die sehr verunsicherte und ängstliche Patientin berichtete im Erstgespräch distanziert und völlig unzusammenhängend von einer großen Zahl an Symptomen, Beschwerden, Krankheitsbildern und Belastungsfaktoren. Anfangs schien es unmöglich, einen Überblick über ihren Zustand, ihre Lebenssituation und über ihre Biografie zu erhalten. In den jeweils folgenden Sitzungen konnte sie sich nicht mehr an die vorherigen Sitzungen erinnern. Es hatte zum Teil den Anschein, als hätte sie weder meine Praxis noch mich schon einmal gesehen. Zu manchen Sitzungen erschien sie extrem verängstigt und wirkte kindlich. Zu anderen Sitzungen erschien sie sehr erwachsen, kompetent und nüchtern, dann wieder jugendlich cool und kraftstrotzend. Auffällig blieben die Erinnerungslücken und die Schwierigkeiten mit den Terminvereinbarungen. Allein schon das Setting der Therapie zu gestalten, erwies sich als große Herausforderung. Die Patientin, die unter einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) litt, hatte keine zusammenhängenden Erinnerungen. Jede ihrer Persönlichkeiten erinnerte – wenn überhaupt – jeweils nur die Sitzung und die Zeit, in der sie anwesend war.

Wir standen anscheinend vor einem Paradox: Um die ambulante psychotherapeutische Behandlung in dem Setting und in der Art und Weise durchführen zu können, wie sie gedacht war und empfohlen wird, hätte die Patientin deutlich stabiler (gesünder) sein müssen. Ich hätte sie mit dem Hinweis wegschicken müssen, erst einmal etwas gesünder zu werden, bevor ich sie anschließend behandeln könnte. Sie gehörte zu der Gruppe von Patientinnen, bei denen aufgrund der Instabilität und der therapiegefährdenden Faktoren eine ambulante traumatherapeutische Behandlung fraglich ist. Eine Klinikbehandlung, die an dieser Stelle vielleicht sofort als Lösung ins Auge springt, zeigte sich als unrealistisch, da die Patientin erstens von traumatisierenden Ereignissen während eines solchen Aufenthaltes berichtete und da dies zweitens für sie als alleinerziehende Mutter kaum möglich schien. (Wahrscheinlich fragen Sie sich, wie ein Leben als alleinerziehende Mutter mit einer solchen Traumafolgestörung funktionieren kann.) Wir entschieden uns für den ambulanten Behandlungsversuch und arbeiteten sozusagen gegen das innere und äußere Chaos der Patientin, besser gesagt: wir arbeiteten mit diesem Chaos. Schwere dissoziative Störungen wechselten ab mit weiteren extremen Symptomen der Traumafolgestörungen, erheblichen Schwierigkeiten im Zusammenleben mit den Kindern, bedrohlichen finanziellen Sorgen und vielem mehr. Von Stabilität konnte trotz eines großen Helfernetzes vorerst keine Rede sein.

5 359,34 ₽
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9783849782412
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