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Wir verbrachten viel Zeit in Padua auf der Pferderennbahn, wovon ich sehr fasziniert war, obwohl ich nur sehr wenig Geld für Wetten einsetzte. Allein das Ambiente gefiel mir sehr. Ich bin kein Spieler, deshalb erlag ich der Faszination dieser Location nicht, begleitete Stelio aber immer gern, da er mich für seinen Glücksbringer hielt.

Er gewann immer wenn ich anwesend war.

Ferner unternahmen wir Touren in die nahe gelegenen Berge, oder machten einen Abstecher nach Verona, wo wir ausgezeichnete Speiselokale besuchten, oder einfach unter dem Balkon der Julia standen und uns über die Touristen amüsierten, die völlig hingerissen von dieser Kulisse waren.

Wie ich damals erfahren konnte, ist es tatsächlich so, dass auch impotente Männer einen Orgasmus bekommen können, es kommt nur keine Flüssigkeit heraus und es dauert sehr lange. Stelio sah Antonia und mir zu, wie wir uns liebten und onanierte dabei. Er war sehr glücklich und ich fand es schön, ihm eine Freude machen zu können.

Antonella verliebte sich leider in mich und wurde sehr anhänglich.

Mir hat der Sex mit ihr sehr viel Spaß gemacht, aber ich bin keine Lesbe, mir fehlte nach einiger Zeit das Maskuline und so war ich sehr froh, dass Stelio, wegen des Treffens mit ihrem Bruder Lucio, so sauer auf mich war und mir den Kontakt mit Antonella verbot. Eine Klasse Ausrede um aus der Beziehung auszusteigen.

Ziemlich feige im Nachhinein betrachtet, aber so war es einfacher und Antonella hielt sich, zu meiner Überraschung auch strickt an das Kontaktverbot.

***

Die Wochen vergingen wie im Fluge, inzwischen war es bereits Mitte August und der Gardasee wurde überschwemmt von Touristen. Unzählige Frauen darunter, die sich ihre Liebesdienste nicht bezahlen ließen.

Meine Einnahmequelle schwand dahin.

Es wurde immer schwieriger für Stelio, geeignete Partner für mich zu finden. Nach wie vor, war ich doch ziemlich wählerisch, was die Auswahl meiner Sexualpartner betraf.

Langsam keimte in mir der Gedanke auf, wieder nach Deutschland zurück zu kehren, wenigstens für die nächsten Wochen, solange der Touristenansturm anhält, als Stelio mir den Vorschlag unterbreitet, einem deutschen Hotelier, der jedes Wochenende hier in seinem Ferienhaus verbringt, Gesellschaft zu leisten.

Rückblickend war das die nächste Stufe auf meiner „Karriereleiter“ zur Prostituierten.

Beginnend damit, nur mit Männern meiner Wahl ins Bett zu gehen. Vorwiegend charmante, attraktive Geschäftsmänner, stehe ich nun vor der Entscheidung, meine Zeit und meinen jungen Körper, einem wenig ansehnlichen Herrn zu überlassen.

Gustl war sein Name, ein Hotelier aus Heidelberg, der erst vor kurzem seine Frau verloren hatte und mit einem Freund, jedes Wochenende am Gardasee verbrachte.

Wenn dir, mein liebes Tagebuch, der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß ein Begriff ist und du dir diesen in Blond vorstellen könntest, dann hast du einen ungefähren Eindruck von seinem Aussehen.

Zunächst weigerte ich mich entschieden, diesen Mann auch nur kennen zu lernen, Stelio bat mich jedoch eindringlich, mich wenigsten einmal auf ein Essen mit ihm zu treffen und rückblickend darauf, was er alles für mich getan hat, willigte ich dann doch widerstrebend ein.

Gustl war dann auch, abgesehen von seinem wenig ansprechendem Äußeren, ein vollkommener Gentleman und überraschend angenehmer Gesprächspartner. Zeit mit ihm zu verbringen, erschien mir auf einmal nicht mehr als ein so großes Opfer, obwohl ich anfangs die Bezahlung immer noch für viel zu gering hielt. Da ich mit meinem potenziellen Sexpartnern nie über Geld sprach, regelte dies Stelio für mich. Ausgemacht waren 500 DM für einen Tag Gesellschaft mit Übernachtung.

Viel zu wenig meines Erachtens, aber gut, ich wollte mir die Sache ansehen.

Wahrscheinlich wollte ich dies Leben auch einfach noch nicht loslassen und lies mich deshalb darauf ein. Wieder zurück nach Deutschland zu fahren, war noch keine Option.

Überraschenderweise wurden die Wochenenden mit Gustl zu meinen Highlights am Gardasee. Nicht nur, weil er über das schnellste und teuerste Rennboot auf dem gesamten See verfügte. Er holte mich morgens an einem beliebigen Bootssteg ab und die Leute reckten die Hälse um einen Blick auf das Boot zu erhaschen. Ich war Stolz wie Oskar und genoss die bewundernden Blicke, der Leute, die mich dabei beobachteten, wie ich über den Steg stolzierte und das Boot bestieg.

Gustl war auch ein äußerst liebevoller, intelligenter und charmanter Mann. Er hatte Stil, war weltoffen und stellte seinen Reichtum, den er ohne Zweifel hatte, niemals zur Schau.

Wir verbrachten wunderbare Tage auf dem Wasser, nur unterbrochen von sündhaft teureren Besuchen in seinem Lieblingsrestaurants.

Die Nächte waren ausgesprochen stressfrei, Gustl war ebenfalls impotent.

Er begnügte sich damit, meine Füße in hohen Schuhen zu bewundern, sozusagen ein Fußfetischist, was ich damals jedoch noch nicht wusste, mich zu streicheln und was tatsächlich auch vorkam, mich oral zu befriedigen.

Im Nachhinein leicht verdientes Geld, zugegeben nicht mehr so viel wie zu Beginn, aber für mich völlig ausreichend, da ich über Stelios Beziehungen, ein sehr günstiges Hotel bezogen hatte und von den früheren Aktivitäten noch genug Geld übrig war.

An eine Rückkehr nach Deutschland war nicht zu denken.

Dachte ich.

Leider hatte ich die Rechnung ohne Stelios, unkontrollierte Wutanfälle, gemacht.

Mir war in den letzten Wochen immer wieder aufgefallen, dass Stelio ein ausgesprochener Choleriker war. Es kam vor, dass er von jetzt auf gleich, wegen einem nichtigen Anlass, einen solchen Wutanfall bekam, dass er kaum wiederzuerkennen war und es kam wie es kommen musste.

Eines Tages meldete sich Gustl bei mir und erklärte, dass er zwar dieses Wochenende wieder am Gardasee wäre, er sich jedoch nicht mit mir treffen könne, da er Bekannte dabei hätte, die so kurz nach dem Tod seiner Frau nichts von mir wissen dürften.

Ich verstand das sehr gut und hatte damit kein Problem, anders Stelio.

Er schäumte vor Wut - warum auch immer.

Bis heute ist mir nicht klar, warum er so unbedingt darauf bestand, dass ich mir das nicht gefallen lassen dürfte. Ich sollte an der Anlegestelle seines Bootes auf Gustl warten und mich nicht abspeisen lassen.

Als ich dies energisch verweigerte, brach zwischen uns ein böser Streit aus, der damit endete, dass ich ins Hotel fuhr, meine Koffer packte, mich mit einem Taxi nach Verona fahren lies und im nächsten Zug, Italien den Rücken kehrte.

Ich habe Stelio nie wieder gesehen.

DREI

Ich musste mich gestern Abend geradezu zwingen, das Buch zur Seite zu legen, so aufregend und spannend fand ich die Lektüre.

Niemals käme mir in den Sinn, mich von Männern aushalten zu lassen.

Einerseits stößt die Schreiberin des Tagebuchs mich ab, andererseits fasziniert sie mich. Diese Sorglosigkeit mit der diese Frau durchs Leben geht ringt mir Respekt ab, allerdings steigt in mir der Verdacht auf, dass dies kein gutes Ende nehmen kann.

Mit einer solchen Lebenseinstellung ist die Katastrophe doch vorprogrammiert.

Wäre meine gesamte Barschaft geklaut worden, oder hätte ich sie verloren, hätte mein erster Weg mich zur Polizei, oder in das nächste deutsche Konsulat geführt, um an Papiere und noch wichtiger, wieder nach Hause zu kommen. Niemals wäre ich auf das Angebot dieser Männer eingegangen, wie lange hat sie diese gekannt?

Zwei oder drei Tage?

Ich schwanke zwischen Bewunderung und fassungslosem Kopfschütteln.

Ihre lockere und offene Art, mit Sex umzugehen und ihre sexuelle Ausrichtung fasziniert mich und stößt mich aber zur selben Zeit ab. Sie spricht mit keinem Wort von Zuneigung oder Liebe. Für sie zählt der Trieb, das Aussehen und eine sexuelle Anziehung reichen ihr völlig aus. Das ist so weit von meiner persönlichen Ansicht über zwischenmenschliche Beziehungen entfernt, dass ich mit offenem und staunendem Mund die jeweiligen Passagen gelesen habe.

Männern schreibt man ja ganz gern mal zu, dass sie Sex auch ohne Liebe praktizieren, doch bei einer Frau hätte ich ein solches Verhalten niemals für möglich gehalten.

Im Grunde kann ich kaum erwarten weiterzulesen, möchte jedoch mein Vorhaben nicht aufgeben und so packe ich nach einem kleinen Frühstück, meinen Rucksack für die Wanderung, auf die ich mich seit Wochen freue.

Viel nehme ich nicht mit, ein kleiner Rucksack mit etwas Unterwäsche zum Wechseln, zwei T-Shirts und zwei Paar Socken, ein gutes Buch und mein Smartphone. Zahnbürste, Seife, Haarshampoo, das muss reichen.

Ich habe vor, mich einfach treiben zu lassen.

***

Die Wertach fließt auf einer Länge von 13 Kilometern direkt durch Augsburg hindurch. Nach einen tragischen Hochwasser 1999 wurde sie, nach und nach auf ihrer gesamte Länge renaturiert, wie man es so schön nennt.

Ihr Flussbett wurde erheblich verbreitert und die Fließgeschwindigkeit gedrosselt, indem man in großen Abständen Steinbarrieren errichtet hat. Die Wertach ist ein sehr flacher Fluss, der sich sehr gut dafür eignet, mittels durchdachter Natursteinwälle gezähmt zu werden. Läuft man den Fluss entlang, weisen Hinweisschilder darauf hin, dass die TU München für die Eindämmung der Fließgeschwindigkeit verantwortlich ist. Ein Wehr, welches vorher den Fluss gestaut hatte, wurde durch diese gut durchdachte und sich natürlich einfügende Eindämmung, überflüssig und konnte abgerissen werden.

Die Dämme rechts und links des Flusses erhöhte man um einige Meter und beschwerte sie, mit großen Findlingen, ferner wurde dieser Bereich mit Bäumen und Gräsern bepflanzt. So ist ein Naherholungsgebiet von 13 Kilometern Länge, mitten in Augsburg entstanden, welches von Joggern, Hundebesitzern und Naturliebhabern freudig genutzt wird. Da der Fluss nahezu tagtäglich entweder ansteigt, oder abnimmt, legt er in unregelmäßigen Abständen, Kiesbänke frei, die vor allem im Frühjahr, oder im Sommer zum Verweilen einladen.

Da ich heute sehr früh unterwegs bin, begegnen mir auf dem kiesbedeckten Weg nur wenige Menschen. Einige sind mit dem Rad, wahrscheinlich zur Arbeit unterwegs, ich treffe auf zwei Hundebesitzer, die schon früh am Morgen ihrer Tiere „Gassi“ führen und zu guter Letzt sind die unvermeidlichen Jogger unterwegs. Obwohl man heut zu Tage ja nicht mehr Jogger sagt, die Leute gehen heute „Laufen“.

Dieser Sportart konnte ich noch nie etwas abgewinnen.

Ganz fürchterlich finde ich die Personen, die auch noch mit Smartphone und Ohrstöpsel unterwegs sind und sich dadurch komplett von der Umwelt abschotten.

Dabei ist es den größten Teil des Weges einfach nur ein Genuss, dem Rauschen des Flusses, oder dem Gesang der unterschiedlichen Vogelstimmen zu lauschen.

Für mich ist ein Spaziergang an der Wertach fast einer Meditation gleichzusetzen. Wobei ich erwähnen muss, dass ich ein sehr schneller Spaziergänger bin. Dem „Laufen“ kann ich nichts abgewinnen, doch gegen ein schnelles, zügiges Spazieren gehen, ist nichts einzuwenden.

Bis vor knapp einem Jahr war ich sportlich sehr aktiv, verbrachte zwei bis dreimal die Woche, mindestens ein bis zwei Stunden im Fitnessstudio. Nach einem Bandscheibenvorfall und einer Operation habe ich das Laufen, im Sinne von Spazierengehen für mich entdeckt. Da ich im Nachhinein und auch von Ärzten bestätigt, erkennen musste, dass der Bandscheibenvorfall durch eine falsche Haltung beim Sport passiert sein muss, habe ich das Fitnessstudio aufgegeben. Doch was bleibt dann, ohne einen persönlichen Trainer, den ich mir nicht leisten konnte und wollte?

Laufen im Sinne von Joggen, Schwimmen oder Radfahren.

Joggen kam für mich nicht in Frage, Schwimmen schon eher, klappte nach der OP aber leider nicht mehr so richtig. Das leichte Hohlkreuz, welches beim Brustschwimmen entsteht, vertrug sich nicht mit meinem Rücken und auf Rückenschwimmen hatte ich auf Dauer keine Lust. Radfahren wäre wohl machbar, macht mir jedoch keine Freunde. Außer zur Arbeit und dies auch nur aus Zeitersparnis fahre ich kaum mit dem Rad. Alle Wege, die nicht mit dem Faktor Zeit in Verbindung stehen, erledige ich zu Fuß.

Deshalb bin ich, da ich mich nach wie vor sehr gern und viel bewege, beim zügigen Spazierengehen hängen geblieben. Das optimale Training für meine kleine Wanderung.

Die Wertach ist eine geeignete Location dafür.

Je nachdem, wie lange man Laufen möchte, durch die, alle paar Kilometer über den Fluss führenden Brücken, kann man den Spaziergang auf nahezu jede gewünschte Länge ausdehnen. Meine Lieblingsstrecke ist der Weg bis zum Stadtteil Inningen.

Er verläuft circa zwei Stunden in eine Richtung, dann über die Brücke und auf der anderen Seite der Wertach wieder zurück. Ein super Sonntagsspaziergang von vier Stunden. Da man nicht dieselbe Strecke wieder zurück laufen muss ist der Weg sehr abwechslungsreich. Bänke oder große Findlinge, laden auf der gesamten Strecke zum Verweilen ein. Ich genieße es, mich ans Ufer des Flusses zu setzen und dem Plätschern des Wassers, oder den Vogelstimmen zu lauschen. Deshalb gehe ich niemals mit einem Ziel los, für mich ist der Weg das Ziel. Die Entscheidung, wie weit ich laufe, treffe ich grundsätzlich unterwegs und ist oft Stimmungs-, und/oder Wetterabhängig.

Die weiteste Strecke, die ich bis heute gelaufen bin, führte mich an den Bobinger Stausee. Für die einfach Strecke benötigt man drei Stunden, mit Pausen natürlich.

Allerdings führen die letzten 40 Minuten nicht direkt am Fluss vorbei. Dieser Weg wurde bereits vor Jahren gesperrt, da das Ufer, beziehungsweise der Damm nachgibt und einzustürzen droht. Da der Fluss nicht mehr eingeengt, oder gestaut wird, verbreitert er sein Bett Jahr für Jahr ganz natürlich und deshalb wurde der Weg für Spaziergänger mit der Zeit zu gefährlich. Was der Strecke aber keinen Anbruch tut, denn dieses letzte Teilstück führt durch ein Waldstück, welches einen ganz besonderen Reiz und Abwechslung bietet. Nicht zuletzt deshalb, weil man auf diesem Abschnitt kaum noch auf Spaziergänger trifft. Da sich dieser letzte Teil des Weges in einer Zone befindet, die so gut wie überhaupt nicht besiedelt ist, begegnen einem nur noch vereinzelt wenige Radfahrer.

So habe ich mir, auch für heute kein Ziel gesteckt.

Auch auf dieser Wanderung ist der Weg das Ziel.

Ich genieße die noch frische Morgenluft und freue mich auf einen sonnigen Frühlingstag.

***

Kurz vor 12.oo Uhr habe ich die Strecke bis zum Bobinger Stausee geschafft, nicht ohne einige Rauchpausen am Rande des Flusses einzulegen. Es ist so entspannend, dem Rauschen der Wertach zu lauschen, die sich auf der gesamten Strecke immer wieder anders anhört. Je nach Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit, hört sie sich manchmal wild und ungestüm an und dann, ganz unvermittelt, plätschert sie weich und sanft vor sich hin. Ich genieße die Stille an diesem Wochentag, an dem nur sehr wenige Menschen unterwegs sind, lausche dem Wasser, und lasse mich von den, im Hintergrund ertönenden Vogelstimmen verzaubern.

Am Stausee mache ich eine länger Pause, breite eine Kälteisolierende Decke aus und mache es mir darauf bequem. Schwäne lassen sich über den See treiben und einige Gänse kommen von der nahen Wertach herüber geflogen. Die Idylle und die Ruhe dieses Ortes nehmen mich gefangen. Die Sonne wärmt bereits und ich strecke mich auf der Decke lang aus und beobachte die wenigen vorüberziehenden Wolken.

Bis hierher ist mir der Weg bekannt, ab jetzt muss ich mir den weiteren Weg entlang der Wertach suchen. Zwei bis drei Stunden möchte ich noch weiterlaufen, dies ist das einzige Ziel, welches ich mir für meine Wanderung gesteckt habe. Fünf bis sechs Stunden am Tag laufen, dann eine Pension oder Hotelzimmer für die Nacht suchen, je nach dem was sich bietet und am nächsten Morgen entscheide ich dann, ob ich weiterlaufe, oder umkehre.

Jetzt bin ich doch tatsächlich kurz eingenickt.

Für Mai strahlt die Sonne bereits ziemlich intensiv und langsam wird es mir zu warm. Ich ziehe meine Jacke aus und verstaue sie, zusammen mit der Decke, in meinem Rucksack und weiter geht’s.

Eine weitere Stunde führt mich mein Weg direkt am Stausee entlang.

Der See ist ca. 20 ha groß und ich hatte mir schon immer einmal vorgenommen, ihn zu umwandern, heute führt mein Weg allerdings nur in eine Richtung und ich wandere an seinem Ende etwas Ziellos durch die Gegend, bis ich zufällig an einem Schild vorbeikomme, welches Radfahrern einen Weg nach Schwabmünchen weißt.

Da dies meiner angestrebten Richtung entspricht laufe ich in diese Richtung weiter und siehe da, nach etwa 100 Metern, finde ich mich auf einem Weg entlang der Wertach wieder. Ich denke doch, dass es die Wertach ist, könnte auch der Fluss Singold sein, da dieser jedoch um einiges reißender und vor allem tiefer ist, gehe ich stark davon aus, immer noch an der Wertach entlang zu wandern.

Hier ist der Fluss noch richtig ursprünglich.

Dieser Teil des Flusses wurde niemals begradigt, hier mäandert das Gewässer still vor sich hin und da weit und breit keine menschlichen Ansiedlungen mehr zu sehen sind, umgibt mich nach einer weiteren halben Stunde eine perfekte Stille. Ich atme mehrmals tief durch und genieße die Luft, die Ruhe und die Wärme der Frühlingssonne in vollen Zügen.

Zügig führt mich mein Weg entlang des Flusses immer weiter weg von jeglicher Zivilisation. Kurz kommt der Gedanke auf, dass ich mich hoffentlich nicht total verirre, doch dann fällt mir ein, dass ich mein Handy zwar wie immer ausgeschaltet habe, doch ich habe es dabei. Sollte ich mich also völlig verlaufen, habe ich Hilfe dabei.

Glücklich lächelnd schweifen meine Gedanken ab und bleiben nach kurzer Zeit an dem Tagebuch hängen, welches ich mit dem Koffer ersteigert habe.

Schon witzig, die Idee meiner Freundin, mir zum Geburtstag eine so ausgefallene Überraschung zu breiten. Erst konnte ich damit ja nichts anfangen und der Inhalt der Koffer haut mich nicht eben vom Hocker, dass sich in meinem jedoch ein Tagebuch befand, welches mir Einblicke in ein mir völlig fremdes Leben bietet, finde ich ausgesprochen spannend.

Habe ich das Buch eingesteckt?

Ich glaube nicht, bedauere ich, hatte mir schon alles für die Wanderung zurecht gelegt, was ich mitnehmen wollte und glaube mich zu erinnern, dass das Buch im Schlafzimmer neben meinem Bett liegt.

Schade eigentlich.

VIER

Inzwischen bin ich in Schwabmünchen angekommen.

Für diese letzte Wegstrecke habe ich ziemlich genau drei Stunden gebraucht, also, Tagesziel erreicht.

Schwabmünchen gehört noch zum Landkreis Augsburg und ist mit ca. 15.000 Einwohnern eine kleine Gemeinde. Auf meiner Suche nach einem Zimmer komme ich am Rathaus vorbei und entdecke daneben zwei weiße, runde Türme durch einen Torbogen in der Mitte verbunden. Ein Ortskundiger klärt mich auf, dass es sich hierbei um die Sehenswürdigkeit „Hexentürmchen“ handelt. Die Türme wurden im 16. Jahrhundert errichtet und führten damals zur bischöflichen Vogtei, die heute allerdings nicht mehr existiert.

Warum sie „Hexentürmchen“ heißen, konnte der Mann mir leider nicht erklären.

In Anbetracht der Tatsache, dass im 16. und auch im 17. Jahrhundert Hexenverbrennungen auch in Deutschland sehr verbreitet waren, nehme ich an, dass dies vielleicht das Tor war, durch welches Hexen zu ihrem Prozess geführt wurden. Eine schreckliche Vorstellung, doch irgendwie müssen diese Türme ja zu ihrem Namen gekommen sein. Ich nehme mir vor, Wikipedia bei Gelegenheit danach zu befragen.

Inzwischen machen sich meine Beine bemerkbar. Noch schmerzen sie nicht, aber sie beginnen langsam über die ungewohnte Beanspruchung zu protestieren, deshalb sehe ich mich um und mein Blick fällt auf eine ansprechende Pension.

Pension Wertachau.

Ein sehr hübsches Haus, viel größer als ich mir meine Unterkunft vorgestellt habe, hoffentlich ist es nicht zu teuer. Da ich jedoch nicht vor habe, weiter durch die Stadt zu laufen und mich einfach nur auf ein schönes Essen, eine Dusche und ein frisches Bett freue, nehme ich mir vor, nahezu jeden Preis zu akzeptieren.

Da ich an einem Wochentag unterwegs bin, klärt mich die Dame an der Rezeption auf, habe ich Glück und sie haben noch Zimmer frei. Für knapp 40 Euro kann ich das Zimmer für eine Nacht mieten. Auf ein Frühstück verzichte ich, da ich sehr früh los möchte und bevor ich nicht mindestens zwei Stunden wach bin, bekomme ich selten ein Frühstück runter.

Nachdem ich die Übernachtung sofort bezahlt habe, die Dame mir den Zimmerschlüssel ausgehändigt und den Weg zum Zimmer gewiesen hat, finde ich dieses auch sehr schnell, werfe meinen Rucksack in die Ecke und lasse mich mit einem lauten Seufzer auf das einladende Bett fallen.

Das Zimmer ist sehr einfach gehalten und wird von einem großen Doppelbett dominiert. Ein Einzelzimmer war nicht mehr zu haben, so erhielt ich, nicht ohne Hinweis, welch Glück ich doch hätte, ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung. Der Kleiderschrank ist in die Wand eingelassen und ein kleiner Tisch mit zwei schmalen Sesseln davor, vervollständigen die Einrichtung. Das Bad, beziehungsweise die Dusche und das WC ist sehr klein, aber zweckmäßig und vollkommen ausreichend.

Nach einer langen und ausgiebigen Dusche begebe ich mich erfrischt und bester Laune in den Speisesaal, mein Magen knurrt bereits, da ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen habe.

***

Das Essen war einfach köstlich.

Erst überlegte ich kurz, ob ich mich in den, wirklich sehr ansprechenden Biergarten setze, doch da die Sonne langsam im Begriff ist unterzugehen, wird es der Jahreszeit entsprechend, zunehmend kühler und ich habe doch lieber den Gastraum gewählt.

Gesättigt und rundum zufrieden schnappe ich mir meinen Rucksack und will nach meinem Buch greifen, welches ich dachte, eingepackt zu haben. Noch ein paar Seiten lesen und dann früh einschlafen, das ist der Plan.

Zu meiner Überraschung halte ich jedoch nicht den oft gelesenen, aber immer wieder lustigen Terry Pratchett in den Händen, sondern die Kladde.

Das Tagebuch der Prostituierten.

Ich kann mich nicht daran erinnern, es eingesteckt zu haben. Muss es wohl unbewusst am Morgen vom Schlafzimmer in die Küche getragen und beim Packen des Rucksacks verwechselt haben.

Seltsam, aber auch gut, bin sowieso gespannt, wie es weitergeht.

Montag

25.Aug.1980

Gut erkannt liebes Tagebuch,

ich war mit meiner Einleitung noch nicht fertig, aber heute geht es weiter, lehne dich zurück und lausche.

Zurück in Deutschland.

Weiter bei Mutti wohnen und kein Einkommen zu haben, war nach den Monaten in Italien keine Option mehr. Ich hatte das „Dolce Vita“ Italiens nicht nur gerochen, sondern verinnerlicht. Das „süße Nichtstun“, muss man sich selbstverständlich auch leisten können, es war mir ins Blut übergegangen. Ein paar Hunderter waren noch übrig und ich überlegte, wie ich es auch in Deutschland schaffen könnte, mit wenig Arbeit viel Geld zu verdienen.

Kurz zur Erklärung, warum mir finanzielle Unabhängigkeit so wichtig war.

Ich wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen auf, für heutige Verhältnisse in sehr ärmlichen. Der Grad der Armut definiert sich heute doch hauptsächlich darin, in welchem Land man lebt. Während ich noch ohne Kinderzimmer und mit Kohleheizung, groß geworden bin, steht heute selbst Sozialhilfeempfängern, eine Dreizimmerwohnung zu, die vom Staat finanziert wird, sobald ein Kind im Haushalt vorhanden ist.

Bitte versteh mich nicht falsch liebes Tagebuch, ich finde es richtig und toll, dass ich in einem Land leben darf, in dem die soziale Absicherung so gut funktioniert.

Ich wollte damit nur aufzeigen, wie sehr sich die Zeiten verändert haben.

Meine Mutter war die Alleinverdienerin, mein Vater Frührentner und mein Schlafplatz war ein Schrankbett im Wohnzimmer. Ich glaube gar nicht, dass es heute noch so etwas zu kaufen gibt. In frühester Jungend formte sich bei mir bereits der Gedanke, später ein besseres Leben zu führen. Mir eine schöne Wohnung mit Zentralheizung und fließend Warmwasser leisten zu können, war der Mindestanspruch.

Was dann auch später dazu führte, keine Lehre zu machen, sondern sofort Geld zu verdienen, obwohl ich, wäre mein Interesse an der Schule größer gewesen, sicherlich einen super Abschluss und eine gute Ausbildung hätte machen können.

O- Ton sämtlicher Lehrer meiner Schulzeit.

So aber begann ich nach einem eher mäßigen Realschulabschluss, meiner Mutter zu liebe, eine Lehre als Schuhverkäuferin. Ein absolut untauglicher Versuch.

Nicht nur, dass dieser Job aber so gar nichts für mich war, landete ich, im Verkauf von orthopädischen Schuhen, eine Horrorvorstellung für ein gerade mal sechzehnjähriges Mädchen.

Nun, lange habe ich das nicht durchgehalten und warf die Ausbildung hin.

Da ich leider noch keine achtzehn Jahre alt war und man in Deutschland bis zu diesem Alter berufsschulpflichtig ist, musste ich ein weiteres Jahr Schule über mich ergehen lassen um die Berufsschulfreiheit zu erlangen.

Dieses Jahr zog ich mit erstklassigen Noten durch, um mir danach sofort eine Arbeitsstelle suchen zu können, was auch geklappt hat. Ich hatte extrem viele Fehlzeiten, da mich diese Schule völlig unterforderte. Die schulischen Anforderungen glichen in etwa jenen einer achten Klasse der Hauptschule und waren mir nicht nur bekannt, sondern auch ohne mich im geringsten anzustrengen zu erreichen. Mein Abschlusszeugnis wies ohne Ausnahme nur Einsen und Zweier auf, gut mit einer lächerlichen Ausnahme.

In Sport hatte ich eine Vier.

Über diese Bewertung amüsiere ich mich heute noch, da ich ein ausgesprochen sportlicher Mensch bin und während meiner gesamten Schulzeit nur Bestnoten in Sport vorweisen konnte. Die schlechte Note war der Tatsache geschuldet, dass ich das zweite Halbjahr zu keiner Sportstunde erschienen war, was dazu führte, dass die Note des ersten Halbjahres, einer Eins, mit der, des zweiten Halbjahres zusammengezählt wurde. Eins plus sechs ergibt sieben, dann wird durch zwei geteilt und aufgerundet.

Vorlas – sportliche Leistung – ausreichend.

Ich kann dich hören, liebes Tagebuch, du verachtest Schulschwänzer.

Lass mich das kurz erklären.

Im ersten Halbjahr schloss sich der Sportunterricht direkt an die anderen Fächer an, im Zweiten war das plötzlich anders. Der Stundenplan änderte sich und die Sportstunde wurde nach hinten verlegt, er fand jetzt nach der großen Mittagspause statt und ich hatte einfach keine Lust, nach der Stunde Mittagspause noch einmal in die Schule zu gehen.

Eine lahme Ausrede, ich weiß, aber so war ich nun mal.

Ich achtete schon früh auf eine ausgeglichene work – live - balance.

Bla, bla, bla, jetzt bin ich völlig vom Thema abgekommen.

Wo war ich?

Ah ja.

Also ich hatte noch ein paar Hunderter übrig und dachte darüber nach, auch in Deutschland meinen Körper zu verkaufen.

Ich hörte mich also um, was nicht so schwer war, da ich in unmittelbarer Nähe eines Lokales aufgewachsen bin, in welchem fast ausschließlich Nutten und Zuhälter verkehrten und mischte mich unter die Leute um mehr über den Job einer Prostituierten zu erfahren.

Überraschenderweise rieten mir sowohl die Nutten, wie auch die Zuhälter weitestgehend von dieser Tätigkeit ab.

Ich wäre nicht der Typ dafür.

Ist ein beschissener Job – frisst auf Dauer deine Seele auf.

Freier sind Arschlöcher und vieles mehr.

Na, rate mal!

Klar konnte mich das nicht abschrecken.

Ich redete mir ein, dass es bei mir ganz anders laufen würde.

Ich freundete mich sehr schnell mit einigen Mädchen und auch mit einem so genannten Zuhälter an, ja ein kleines bisschen verliebte ich mich sogar in ihn.

War auch ein toller Typ.

Die Frauen standen sämtlich auf ihn, hatte den Charme eines „Monaco Franze“.

Sorry – die Serie kennt heute wohl keiner mehr.

Egal, der Mann war toll.

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9783754176672
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