Читать книгу: «Fall Jeanmaire, Fall Schweiz», страница 3

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Was war der Grund dieser Aufregung? Morat wollte den Sowjetoffizier lediglich fragen, ob er abends vielleicht mit ihm zum Hotel Silvahof fahren könne, wo «die Italiener» einen Cocktail gaben zum Tag der Armee. Morat wohnte ganz in der Nähe der Davidovs, und da er auf solchen Cocktails gern mehr als ein Glas trank, trachtete er in der Regel danach, mit jemandem fahren zu können.

Doch der auffällige Telefonverkehr löste eine gesteigerte, jedenfalls raumgreifende Beschattung aus.

Ins Visier nahmen die Polizisten ausser Morat und Davidov auch Leonid Larine, der zum Militärbüro des Sowjetattachés zählte und den Gendarmen einschlägig bekannt war. Larine, in Gümligen wohnhaft, hatte sich immer wieder «aussergewöhnliche Bogen und Tricks» geleistet, war durch eine ungewöhnliche Fahrweise aufgefallen und auch dadurch, dass er, war sein Wagen in der Tiefgarage seines Wohnblocks einmal parkiert, rätselhafterweise nicht, wie man hätte annehmen können, ein paar Minuten später in seiner Wohnung erschien. Diese Eigentümlichkeit irritierte die Beamten und bewog sie wiederholt, in jene Garage zu schleichen, die Kühlerhaube zu befühlen und zu versuchen, den Kilometerstand zu eruieren. Also war es nur natürlich, dass sie sich auch am Abend jenes 4. November an die Fersen Larines hefteten. Viel schaute dabei freilich nicht heraus:

Ungefähr um 21.11 muss L. zu Hause sein und man wartet noch etwas zu um nachzusehen, ob L. wirklich sein Domizil erreicht hat.

21.25 wird am Domizil Nachschau gehalten, aber L. ist noch nicht in der Wohnung, kein Licht in Wohnung und Treppenhaus. Es ist somit anzunehmen, L. gehe nochmals weg oder reviere10 in der Umgebung, wie das schon früher festgestellt wurde.

Ihre Kräfte konzentrierte die Polizei an jenem Novembertag aber auf Davidov und Morat. Tatsächlich konnte sie beobachten, wie der Russe den Schweizer abends nach 18 Uhr abholte und ihn im Auto zum Hotel Silvahof mitnahm. Und wie ein anderer Herr, der sich später als EMD-Pressechef Ernst Mörgeli herausstellte, den Brigadier wieder nach Hause brachte.11

Den Fahndern war an jenem Abend zwar verborgen geblieben, dass Davidov sich während der kurzen Fahrt das «Reglement Zivilschutz und Luftschutztruppen Ausgabe 1972, in drei Sprachen, ein nicht klassifiziertes Reglement»12 aushändigen liess. Aber sie hatten immerhin einen Hinweis darauf, dass der Kontakt, den Morat mit dem Russen pflegte, den Rahmen des Üblichen irgendwie sprengte. Gleichzeitig aber schien ihnen sein Verhalten «vollends unverständlich», denn im Lauf jenes Herbstes hatte der Brigadier Generalstabschef Johann Jakob Vischer ersucht, ihn von den protokollarischen Verpflichtungen gegenüber den sowjetischen Militärpersonen zu entbinden, und zwar mit der Begründung, diese «Saukommunisten» stünden ständig in seinem Büro13.

Es muss also im Kreis der Ermittler eine gewisse Ratlosigkeit geherrscht haben. Und die hielt auch an, denn in den kommenden Wochen sackte das Rendement ihrer Bemühungen wieder auf null ab. Die Rapporte der Waadtländer Polizisten, ohnehin kürzer als jene ihrer Berner Kollegen, beschränkten sich darauf, die Orte anzugeben, an denen Morat gesichtet wurde, beim Käsehändler, auf dem Steueramt, beim Pâtissier, im Lausanner Café des Philosophes, wo er regelmässig «un verre» genehmigte. Wenig Interessantes hatten auch die Berner Beamten zu vermelden, deren Tage oft am Sonnenhofweg 40 ihren Abschluss fanden. In Ermangelung zielführender Erkenntnisse verlegten sie sich darauf, zumindest die Licht- und Schattenspiele in den auf gleicher Etage liegenden Wohnungen von Morat und Fräulein Ogg aufzuzeichnen:

18.30 ist in Morats Wohnung überall das Licht eingeschaltet. Die Nebenwohnung ist noch dunkel. Um

18.40 wird das Licht in der Küche der Nebenwohnung eingeschaltet. Morat selbst hantiert in der Küche.

19.20 wird die Nebenwohnung dunkel und kurz darauf kann die Mieterin in der Küche bei Morat gesichtet werden. Um

19.25 wird die Store bei Morats Küche hinuntergelassen. Das Licht brennt jedoch. Um

20.40 wird es in der Küche dunkel und das Wohnzimmer bei zugezogenen Vorhängen beleuchtet. Die Nebenwohnung bleibt dunkel. – Um

21.00 wird die weitere Überwachung aufgehoben.14

Zu Beginn des Jahres 1976 durften die Polizisten neue Hoffnung schöpfen. Von den ersten Hinweisen auf das Leck hatten sie noch den Hinweis in Erinnerung, die Sowjetagenten hätten in den Wäldern zwischen Lausanne und Bern möglicherweise einen toten Briefkasten eingerichtet. Diesem Versteck glaubten die beiden Wachtmeister der Berner Sikripo, Ba. und Bä., die an jenem kühlen, aber sonnigen Wintermorgen des 9. Januar im Filatüren-Einsatz standen, unmittelbar auf der Spur zu sein.

Noch als es dunkel war, hatten sie mit der Observierung Morats am Sonnenhofweg begonnen. Wir verzichten hier auf die Wiedergabe des morgendlichen Spiels der Lichtquellen und hängen uns den beiden Wachtmeistern zwei Stunden später an die Fersen.

08.56 fährt Morat via Thunstrasse–Kirchenfeldstrasse […] Richtung Flamatt und um

09.15 auf die Autobahn Richtung Freiburg. Die Fahrt geht über Romont–Militärkaserne–Siviriez–Esmonts–Ursy–Rue–Ecublens nach Mézières zur bekannten Metzgerei, wo er um

10.20 durch die Kollegen aus Lausanne übernommen wird. –

Anlässlich dieser Überwachung hat sich folgende Begebenheit zugetragen:

Zwischen Ecublens und Mézières, d. h. 1700 Meter nach der Kapelle in Ecublens und auf der Anhöhe im Wald, ist Morat mit seinem Wagen von der Durchgangsstrasse nach links in den ersten Fahrweg abgebogen und hat nach ca. 50 Metern angehalten. Bei unserm Passieren hatte Morat bereits den Rückwärtsgang eingeschaltet, was anhand der Rückblende sichtbar war. Wir sind zugefahren, haben nach 100 Metern rechts in einen Fahrweg abgebogen und das Auto abseits in den Wald gestellt. Durch den Tannenwald und Kleinholz sind wir nach der Stelle hin, wo sich Morat aufhalten musste, um dessen Tun beobachten zu können. Aus Distanz sahen wir, dass Morat seinen PW inzwischen auf die Durchgangsstrasse manövriert und diesen unmittelbar bei der Einmündung des Fahrweges, Kühler Richtung Mézières, parkiert hatte. Morat selbst befand sich im Waldstück auf unserer Seite. Wegen den einfallenden Sonnenstrahlen konnte nicht gesehen werden, was Morat machte. Jedenfalls begab er sich unvermittelt zu seinem Wagen zurück und fuhr um 10.10 Uhr Richtung Mézières weg. –

Wir haben die ungefähre Stelle, wo sich Morat aufgehalten hat, kurz besichtigt und uns auf einem Umweg auf die Strasse begeben. Gegenüber der Stelle, wo Morat seinen Wagen parkiert hatte, befindet sich ein Grenzstein der Kantone Freiburg und Waadt mit der Jahrzahl 1957, also ein markanter Punkt. –

Von Romont aus haben wir Herrn Kom N. von unsern Wahrnehmungen telefonisch Kenntnis gegeben. Herr Kom N. ordnete an, dass die Stelle zu beobachten und allfällige Passanten oder Motorfahrzeuge zu notieren seien. Er, N., werde mit Herrn Kom Pilliard unverzüglich nachkommen. Nach dem Eintreffen der beiden Kommissäre wurden die Örtlichkeiten gründlich nach einem eventuellen TB [toten Briefkasten] abgesucht. Es konnte festgestellt werden, dass jemand 15 Meter im Waldesinnern und zwar auf der Höhe des erwähnten Grenzsteines, seine Notdurft verrichtet hat. Der Kot, eher dünnflüssig, schien noch frisch. In der Nähe lagen Teile von Papierservietten. Etwas entfernter lag eine Schokoladenhülle, Marke Frigor, mit dem auf der Rückseite aufgeklebten Preis von Fr.1.80.

Herr Kom N. ersuchte uns, abzuklären, wo die Schokolade allenfalls gekauft wurde. Bekanntlich hat Morat bei der Drogerie Schütz am Ostring, beim Kiosk bei der Tramhaltestelle Sonnenhof und Tea Room Tschirren, Kramgasse 73, Einkäufe getätigt. Die getroffenen Erhebungen ergaben, dass die Schokolade beim Kiosk gekauft worden sein könnte, da die dort vorhandenen Frigor-Schokoladen den auf der Rückseite angebrachten Kleber mit dem aufgedruckten Preis aufweisen. Bei der Drogerie Schütz ist keine Schokolade erhältlich und diejenigen vom Tea Room Tschirren weisen keine Kleber auf. –

Es ist somit mit Sicherheit anzunehmen, dass Morat im erwähnten Gebiet seine Notdurft verrichtet hat.»15

Da standen nun die vier Männer im Winterwald und mussten sich damit abfinden, dass ihr kleiner Hoffnungsschimmer, kaum aufgeleuchtet, schon wieder verblasst war.

Wenig später fand wieder ein Cocktail statt, diesmal auf der jugoslawischen Botschaft. Franzosen, Deutsche, Bulgaren, Ungaren, Polen, Rumänen, Norweger, Schweden, Thailänder und Russen fuhren mit ihren Wagen auf, auch die Schweizer stellten eine Delegation, die sich sehen lassen durfte: zwei Korpskommandanten, ein Divisionär, der Chef des Auslandnachrichtendienstes, Spitzenbeamte des EMD – und Morat, der jetzt bereits pensioniert war. Die Polizei setzte nicht weniger als elf Kommissäre, Inspektoren und Wachtmeister in Trab. Ihr Aufgebot mochte deshalb so gross gewesen sein, weil die Ermittler hofften, den am 4. November 1975 gewonnenen Verdacht unüblicher Kontakte von Morat zu erhärten. Aber nichts dergleichen. Der Rapport hält fest, der Observierte habe sich in keiner Weise verdächtig verhalten und sei gemächlichen Schrittes nach Hause gebummelt.16

Ähnlich enttäuschend wie dieser Grosseinsatz verlief, ganz abgesehen von den täglichen Routineüberwachungen, die Aktion Kehrichtsack.

Aus abgehörten Telefongesprächen war der Bupo zur Kenntnis gelangt, dass Morat nach seiner Pensionierung grössere Mengen militärischer Unterlagen von seinem vormaligen Chefbüro der Luftschutztruppen an der Wylerstrasse 52 in seine Absteige am Sonnenhofweg verbracht und nach Neujahr 1976 begonnen hatte, diese Unterlagen neu zu ordnen und jene Schriften, die ihm uninteresssant schienen, zwecks Abfuhr in Plastiksäcke zu stopfen. Also richtete die Bupo nun ihr «besonderes Augenmerk» auf die herausgestellten Abfallbehälter, wenn die städtische Kehrichtabfuhr den Sonnenhofweg bediente.

Die Arbeit an der Abfallfront oblag indes wiederum den Berner Polizisten. Sie fischten Jeanmaires Säcke heraus, überprüften eingehend den Inhalt und gaben sich alle Mühe, zerrissene Aktenstücke «im Puzzle-Verfahren wieder zusammenzusetzen».17 Die Ausbeute war gleich null.

Auch in den folgenden Wochen und Monaten ereignete sich nichts, das als Aha-Erlebnis hätte gewertet werden können. Morat kaufte Trauben, verköstigte sich in der Schmiedstube oder im Schützengarten, machte seine Abstecher zum Metzger in Mézières, arbeitete an der Zivilschutzstudie – courant normal also. Am 13. Februar 1976 wussten die Waadtländer Kollegen zu berichten:

Man erfährt, dass JM in seinem Hotelzimmer18 gefallen sein und ev. ein oder zwei Rippen gebrochen haben soll. Als er um 13.43 mit dem Zug von Bern ankommt, wird festgestellt, dass er sich effektiv mit Mühe bewegt.19

Vermutlich beugten sich die Fahnder in Anbetracht dieses unspektakulären Lebenswandels nochmals über den ursprünglichen Hinweis der Verbindung XX und versuchten, aus jenem ziemlich rätselhaften Text weitere Ansatzpunkte für ihre Ermittlungen herauszulesen. Darin war angedeutet worden, die Eheleute Mur und Mary, die mit Denissenko in Kontakt standen, seien «im Juni 1964 bei einem Treffen in St. Gallen einem andern GRU-Führungsoffizier übergeben» worden. Nur so ist zu erklären, dass die Bundesanwaltschaft im Frühsommer 1976 ihre Netze auch in die Ostschweiz auswarf. Am 16. Juni ersuchte sie den Nachrichtendienst des Polizeikommandos St. Gallen, in der Hotelkontrolle der Jahre 1964/65 nach den Namen Denissenko, Issaev, Zapenko und Khomenko zu forschen. «Die Nachschlagung liegt im Interesse der Abwehr nachrichtendienstlicher Umtriebe», begründete sie ihr Gesuch, in dem aus Gründen der Diskretion von Jeanmaire nicht die Rede war.

Am 7. Juli meldete die St. Galler Kantonspolizei zurück, die Kontrollen seien negativ verlaufen: «Zu erwähnen ist, dass die grössere Anzahl der Polizeistationen keine Nachschau mehr halten konnte, da die Unterlagen fehlten.» Man sei, belehrte die Kantonspolizei den Bundesanwalt, nur verpflichtet, «die Hotelkontrolle während fünf Jahren aufzubewahren». Dennoch fand sie heraus, dass Denissenko am 24. Juni 1961 im Gasthaus Traube in Sevelen und am 4. Mai 1963 im Hotel Hirschen in Wattwil abgestiegen ist. Doch diese Erkenntnis half den Fahndern auch nicht weiter.

Als unergiebig erwies sich auch die Abhörung der Telefone. Was die Protokollanten vernahmen, waren Alltäglichkeiten eines Mannes, der seiner Frau meldete, wann er heimzukommen gedenke, ob er etwas mitbringe oder ob man auswärts essen gehe, welche Namen sie auf die Stimmzettel zu schreiben habe und dergleichen. Telefonierte er im Büro neben Geheimdienstler Bachmann, regte er sich regelmässig über die miserable Qualität seines Apparats auf:

Wr.: Ja

M.: Morat, hören Sie mich gut?

Wr. Ja normal, ja.

M.: Normal?

Wr. Ja ja.

M.: Sehr bestens.

Wr.: Ich nehme auch immer die Hand zur Sprechmuschel, sonst versteht man mich schlecht.

M.: Diejenigen, welche von auswärts kommen, verstehe ich also alle zusammen gut, aber jetzt ist es das dritte Mal, dass man mir heute sagt, man verstehe mich fast nicht.

Wr.: Eben ja, das ist eine Sauerei, mit dem muss man eben rechnen, hähähä, ich hab’s schon gemeldet. Der Herr St. ist schon im Bild, der Chef vom Telefonwesen […].

M.: Weiss er, dass unsere Apparate schlecht sind?

Wr.: Ja ja ja, ja ja, der ist schon durch, hähä, ich kenne ihn gut.

M.: … wer tut abhorchen dort, wer wer?

Wr.: Jä, eben, das ist die Frage.

M.: (lachen) Moskau, nicht wahr, der Kreml?

Wr.: Vermutlich schon. Ich habe schon manchmal etwa, wenn ich es knacken höre und ein Stromabfall drauf habe, wenn ich irgendjemand am Telefon oder wenn ich heim angeläutet habe, habe ich gesagt: «… die verdammten Saucheiben, die verfluchten Sidiane können nur mit Spionage vorwärts kommen, die Sauhunde» und so tue ich etwa am Telefon.

M.: Mh, ich habe bei der alten Abteilung, die ich hatte, auch gemerkt hie und da ist es plötzlich ein wenig leiser geworden, nicht wahr, und da habe ich einfach immer gesagt: «Der Hörer an der Wand hört seine eigene Schand», dann ist es plötzlich wieder gut gegangen.20

Mittlerweile war es Sommer geworden, Morat arbeitete schon ein halbes Jahr an seiner Zivilschutzstudie, und der Bund finanzierte brav die Leistungen des Verdächtigen. Am 8. Juli orientierte er seinen Auftraggeber, UNA-Chef Weidenmann, über den Stand seiner Arbeit:

M.: Und nun wegen der Kadenz der Militär- und Verteidigungsattachés wird sie auf Mitte Jahr nicht fertig, ich möchte das aber gerne fertig machen, diese Arbeit interessiert mich nämlich. Ich möchte nicht künstlich den Auftrag verlängern, ja nicht, das möchte ich also ehrlich gesagt haben. Aber, ich habe Dir sagen wollen, wie wir weiter vorgehen wollen wegen Finanzen usw. damit keine Geschichten entstehen. Du hast schliesslich den Geldsäckel in der Hand.

W.: Jetzt, wie lange hast Du noch?

M.: Nehmen wir an, bis Ende Jahr kann es fertig sein, nicht wahr.

W.: Also das ganze Jahr noch?

M.: Ende Jahr, jawohl, dann ist es fertig, nicht wahr. Wenn ich vorher fertig werde, tant mieux.

W.: Gut, ich muss das da mit meinem Finanzminister besprechen.

M.: Jawohl. Es geht mir also nicht darum, Geld zu verdienen, ich habe mit meiner Pension und mit meiner AHV genug, nicht wahr, das gebe ich Dir unumwunden zu. Wenn Ihr sagen wollt, Ende Juli wollt Ihr abklemmen und wollt mir etwas geben, wenn alles fertig ist, gesamthaft oder irgend etwas, das ist mir gleich, es geht mir also nicht um Geld.

W.: Du hörst noch von mir.

M.: Dann tue ich schön weiter machen und …

W.: … hörst du noch von mir.

M.: Und bekomme Nachricht von Dir.

W.: Richtig.21

Morat konnte sich also, auch wenn ihm die vorsichtige Ungeduld Weidenmanns kaum verborgen geblieben war, weiterhin seines netten Arrangements erfreuen, konnte zwischen Lausanne und Bern pendeln, mal ein paar Tage in der Bundesstadt bleiben und dort das Leben geniessen. Das Geschwätz über die sowjetischen Sidiane, die angeblich sein Telefon abhörten, war mit Sicherheit nicht ernst gemeint; solche Bemerkungen waren damals gang und gäbe. Und darauf, dass es die PTT sein könnte, die sein Telefon abhörte, wäre er nicht im Traum gekommen.

So präsentierte sich der Pensionär in jenen Sommertagen – nicht ahnend, dass es für lange Zeit seine letzten in Freiheit sein würden – in ausgesprochen fröhlicher Laune, schwatzend, trinkend, das Kalb machend. Die Beschatter notierten:

18.53 Morat kommt ebenfalls mit dem Tram von der Stadt her, steigt am Helvetiaplatz aus und geht ins Rest. Kirchenfeld. Er ist mit einem dunklen Blazer, weissem Hemd und Kravatte bekleidet und hat einen hochroten Kopf. So wie er geht, scheint er leicht angetrunken zu sein.

20.30 Uhr Morat und Frl. O. verlassen das Rest. Kirchenfeld. Morat hat nun schwere «Schlagseite» und muss von Frl. O. geführt und gehalten werden. Zusammen besteigen sie die Strassenbahn in Richtung Zentrum. Vor dem Aussteigen bei der Haltestelle Bärenplatz ruft M. mit lauter Stimme durch das Tram: «Chefiturm, tout le monde descend»!22 In der Folge wird Morat von seiner Begleiterin an der Hand aus dem Tram geführt und mit einiger Mühe über den Bärenplatz und durch die Neuengasse direkt ins Hotel Krebs verbracht, wo sie um 20.55 Uhr eintreffen.23

IV. Die Verhaftung

Der Bundesanwalt in Zugzwang

Im Gegensatz zu Morat wurden dessen Bewacher und vor allem ihre Vorgesetzten, Bundespolizeichef Amstein und Bundesanwalt Gerber, zunehmend nervös. Insbesondere der Bundesanwalt sah sich in einer wenig beneidenswerten Lage.

Der 1928 im aargauischen Brugg geborene Rudolf Gerber hatte in den Zürcher Justizbehörden Karriere gemacht. Nach seiner Tätigkeit als Bezirksanwalt in Horgen war der dem Freisinn nahestehende Jurist zunächst zum ausserordentlichen, später zum ordentlichen Staatsanwalt des Kantons Zürich aufgerückt. Auf den 1. Oktober 1973 berief ihn der Bundesrat an die Spitze der Bundesanwaltschaft. Seine Person umgab allerdings eine merkwürdige, dem Prestige eines obersten Anklägers kaum förderliche Aura. Im Herbst 1975, als die geheime «Aktion Morat» bereits auf Hochtouren lief, beschuldigte ihn Detektivwachtmeister Kurt Meier, besser bekannt als «Meier 19», vor dem Zürcher Geschworenengericht, er habe seinerzeit als Bezirksanwalt während der Untersuchung des berühmt gewordenen Diebstahls von Zahltagstäschchen Zeugenaussagen manipuliert.

Nicht eben günstig entwickelte sich die Situation für den Bundesanwalt zu Beginn des folgenden Jahres. Am 10. Januar 1976 war Anne-Marie Rünzi, Gattin des bekannten Ballonfahrers Rünzi, in einem kleinen Wald zwischen Zumikon und Zollikon ermordet aufgefunden worden. Die Umstände, die zu ihrem Tod geführt hatten, wurden nie aufgeklärt. Bald aber kursierten Gerüchte, Gerber habe ein Verhältnis mit der Ermordeten gehabt. War damit Bundesrat Furglers Spitzenbeamter, der auf einem der sensibelsten Posten der Bundesverwaltung überhaupt sass, erpressbar geworden?

Exakt diese Frage griff, allerdings erst dreizehn Jahre später, jene Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) unter Nationalrat Moritz Leuenberger auf, die die «Vorkommnisse im EJPD» rund um den Abgang von Bundesrätin Kopp durchleuchtete.1 Im Kapitel «Erpressbarkeit von Bundesanwalt Rudolf Gerber» heisst es:

Das Verhältnis von Bundesanwalt Rudolf Gerber mit dem Mordopfer und die Tatsache, dass er auch mit einer Tatverdächtigen Kontakte hatte, führten zu Spekulationen über eine besondere Verwundbarkeit oder allenfalls sogar Erpressbarkeit des Bundesanwalts […]. Übereinstimmung besteht bei allen angehörten Personen darin, dass die Verwicklungen in den Mordfall R. dem Ansehen des Bundesanwaltes abträglich waren. Es fehlen aber Anhaltspunkte dafür, dass er durch diesen Fall tatsächlich erpressbar geworden wäre.

Diese späte Entlastung ändert indes nichts an der Tatsache, dass im Zeitpunkt des Geschehens das Verhältnis zwischen Gerber und seinem Chef nicht eben harmonisch war. Bundesrat Kurt Furgler, der sein Departement (Justiz und Polizei) rigoros führte und von seinen Leuten nicht nur Loyalität und Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, sondern auch moralische Integrität verlangte, duldete schlicht keine Affären, die den Glanz seiner Regierungstätigkeit hätten beeinträchtigen können – schon gar keine Affären dieser Kategorie. Seine Missbilligung liess er den Bundesanwalt denn auch spüren. Und just dieser Mann sah sich jetzt gezwungen, in einer andern Affäre zu handeln, die grösste Risiken in sich barg.

Bereits im Mai hatte der leitende Ermittler, Kommissär Pilliard, in einem Bericht zuhanden des Bundesanwalts gemahnt:

Die Mehrbelastung an Arbeit, die die zahlreichen Beschattungen und Überwachungen verursacht haben, ist nicht mehr erträglich, weder für die Berner noch für die Waadtländer Polizei. Daher sollte man unserer Meinung nach, was «MU R» und «MARY» betrifft, innert kürzester Frist eingreifen.2

Allein die Berner Polizisten hatten Morat während 2000 Stunden observiert.3 Dazu kam der Einsatz der Waadtländer, über deren Aufwand keine Stunden-Buchhaltung vorliegt. Zieht man in Betracht, dass an den Filatüren stets zwei, oft aber deutlich mehr Beamte teilnahmen, so kommt man auf eine Anzahl Mannstunden, die bei 10 000 oder eher darüber liegen dürfte. Hinzuzurechnen ist der Aufwand für die Telefonabhörung und die Abfassung der entsprechenden Protokolle, der, da Jeanmaire von gesprächsfreudiger Natur war, ein imposantes Ausmass annahm.

«Mit der Überführung Jeanmaires wurde möglichst lange zugewartet, um möglichst viel Material verfügbar zu haben», gaben die Berner Polizeikommandanten vor der Arbeitsgruppe Jeanmaire zu Protokoll. Diese Aussage suggerierte, die in der Tat enormen Anstrengungen hätten schöne Erfolge erzielt. Dem war nicht so. Von «Material», das im Zeitpunkt der Festnahme Jeanmaires eine «Überführung» erlaubt hätte, konnte nicht die Rede sein. Kommissär Pilliard bilanzierte die Überwachungsaktion, die beinahe ein ganzes Jahr gedauert hatte, in internen Berichten mit entwaffnender Nüchternheit:

Die technischen und physischen Überwachungen gaben der Berner und der Waadtländer Polizei viel zu tun. Doch wir müssen einräumen, dass nichts Konkretes festgestellt werden konnte, das erlaubt hätte, mit Sicherheit zu sagen, «MU R» arbeite noch immer für die Sowjets. Die Postkontrolle brachte kein Resultat. Sie konnte nicht unter normalen Bedingungen durchgeführt werden, da der Briefträger, der die Wohnung des Betreffenden bediente, nicht alle Sicherheitsgarantien erfüllte.

Auch die Telefonkontrolle brachte uns nichts Entscheidendes ausser jenem Gespräch, das Jeanmaire am 4. November 1975 mit Davidov führte und bei dem er diesen bat, ihn zu Hause abzuholen und zum Silvahof zum Empfang der Italiener zu chauffieren.4

Dennoch zweifelte Pilliard nicht im Geringsten daran, dass «Mur» und «Mary» für die Sowjets arbeiteten. Er fühlte sich in seiner Überzeugung schon deshalb bestärkt, weil in zwei ähnlich gelagerten, freilich viel weniger bedeutenden Fällen die Informationen, die man aus der Quelle XX schöpfen konnte, sich als richtig erwiesen hatten.

Es gab einen weiteren Grund, weshalb Pilliard den Bundesanwalt zum Handeln drängte. Bei den Fahndern hatte sich in jüngster Zeit der Eindruck verstärkt, ihr Objekt gleite ihnen mehr und mehr aus den Augen. Die sich abzeichnende Unübersichtlichkeit hatte mit dem «Röstigraben» zu tun. Kommissär Hofer umschrieb die Sachlage in seinem bereits erwähnten Bericht so:

Trotz des Sonderauftrages des Generalstabschefs für die Zeit nach der Pensionierung hielt sich JM im Sommer 76 immer seltener an seinem Arbeitsplatz in Bern auf, wo er intensiv überwacht werden konnte.

Die vermehrte Präsenz in Lausanne bewirkte unüberwindliche Überwachungsprobleme. Die Sicherheit der Observationsmassnahmen war in der heimischen Umgebung des Brigadiers nicht mehr gewährleistet. Es bestand zudem die Gefahr, dass die Führung des JM bei vermehrter Präsenz in Lausanne an die GRU-Residentur in Genf hätte übergehen können.

JM bemühte sich im Sommer 76 um die Erhaltung seiner Informations- und Dokumentationsquellen im EMD, verlor aber gleichzeitig (vermutl. wg. der Haltung des Departementschefs EMD) den Kontakt zu verschiedenen Kollegen in Bern. Sowohl im EMD wie auch im Kt. VD bestand die Gefahr, dass JM durch verändertes Verhalten von Bekannten und evtl. Indiskretionen hätte gewarnt werden können.

Alle diese Gründe bewogen den Bundesanwalt schliesslich zur Intervention. Dabei war ihm bewusst, dass er sich auf ein riskantes Spiel einliess. Zwar hielt Hofer in seinem Bericht fest, die im Ermittlungsverfahren zusammengetragenen Belastungsfragmente hätten «eine stabile Grundlage für die bevorstehende Einvernahme von JM» ergeben. Damit beschönigte er die Situation. Tatsache war, dass die Polizei praktisch mit leeren Händen dastand. Vor der Arbeitsgruppe Jeanmaire musste später auch der Bundesanwalt einräumen, «rechtsgenügende Beweise» für ein strafbares Verhalten hätten im Zeitpunkt der Festnahme keine vorgelegen.5

Bis jener Zeitpunkt endlich da war, befleissigte sich die kleine Schar der Eingeweihten absoluter Diskretion. Sie pflegten die formellen Kontakte mit den Sowjets und erfüllten mit staunenswerter Kaltblütigkeit selbst die Pflichten der Courtoisie, die ihnen ihre Ränge auferlegten. Anfang Juli lud der Chef des Militärprotokolls, Oberst Erich Kipfer, verschiedene Militärattachés, darunter den sowjetischen, zusammen mit den Chefs des Generalstabs, der Fliegertruppen und des Geheimdienstes in sein Wochenendhaus am Murtensee ein, wo die Herren in Begleitung ihrer Damen einen ungezwungenen Sommerabend verbrachten.6

Mitte Juli trafen sich UNA-Beamte auf dem bundeseigenen Landsitz Lohn mit einer Dreierdelegation des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes. Eines der Themen, über die man sich austauschte, war der Zivilschutz in der DDR. Eigentlich war vorgesehen, auch Jeanmaire einzuladen, war er in jenem Zeitpunkt doch der Mann, der dank seiner Studie die Materialien am gründlichsten kannte. Sein Beizug musste den Verantwortlichen dann doch zu riskant erschienen sein, jedenfalls unterblieb das Aufgebot an den Brigadier.7

Der 9. August 1976

Den Haftbefehl hatte Bundesanwalt Gerber bereits am 6. August 1976 ausgestellt. Doch erst drei Tage später war es so weit. Jeanmaire schlägt in jenen Passagen seiner Memoiren,8 in denen er aufzeichnete, wie der Schicksalstag begann, geradezu lyrische Töne an: «Es war der 9. August 1976. Ich mag die Morgenstunden, wenn die Luft frisch und fast unverdorben über der Stadt liegt …» Der Brigadier war Frühaufsteher, oft riss ihn sein Tatendrang schon um drei Uhr aus den Federn, spätestens aber um sechs, wie auch an diesem Montag, sodass er sich Zeit nehmen konnte, gemütlich die kleinen Arbeiten des Morgens zu erledigen und seiner «kranken Frau einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken». Danach machte er sich auf den Weg zum Bahnhof, die Morgenluft tief einatmend, den Anblick des ihm ans Herz gewachsenen Parks Mon Repos mit seinen ruhig und gravitätisch im Erdreich stehenden Bäumen geniessend und, wie so oft, über die moderne Volkskrankheit sinnierend, die sich darin manifestiere, «dass man zu spät aufsteht, um dann den ganzen Tag damit zu verbringen, die verschlafene Zeit einzuholen».


Den Haftbefehl stellte der Bundesanwalt am 6. August 1976 aus. Festgenommen wurde Jeanmaire am Morgen des 9. August 1976, kurz nachdem er seine Wohnung in der Avenue du Tribunal Fédéral verlassen hatte.

Auf seinem Gang durch das morgendliche Lausanne weilte er in Gedanken schon in Bern, malte sich aus, wie er «bei einem Schwatz mit Oberstleutnant Albert Bachmann, dem pfeifenrauchenden Rotschopf», einen Kaffee trinken und sich danach den Listen und Tabellen seiner Zivilschutzstudie widmen würde. Dergestalt versunken, beachtete er die beiden Männer am Rand seines geliebten Parks zunächst nicht. Dann überstürzten sich die Ereignisse:

Als ich sie bemerkte, war es zu spät auszuweichen, selbst wenn ich das gewollt hätte. Da ich jedoch für den Nachrichtendienst arbeitete, beunruhigte es mich nicht weiter, als die eine der beiden Gestalten mir den Weg vertrat. Er wies sich als Kommissär der Bundespolizei aus. Sofort schaltete mein Gehirn von Privatmann und Rentner auf Brigadier und Waffenchef. Ich sagte nichts, zog meine Brauen zum berühmten finsteren Bogen zusammen und schaute den Polizisten fragend an. Vage kam er mir bekannt vor, aber ich hätte nicht zu sagen vermocht, woher. «Mein Name ist Louis Pilliard, Kommissär Bundespolizei. Dies ist mein Kollege Lugon, Sicherheitspolizei des Kantons Waadt. Nehmen Sie bitte in diesem Wagen Platz, wir haben Ihnen einige Fragen zu stellen!»

Die zwei Beamten fuhren mit dem Brigadier zur Mercerie, dem Büro des waadtländischen Untersuchungsrichters, und führten ihn dort in einen kleinen, vergitterten und dazu schlecht gelüfteten Raum. Nachdem man Platz genommen hatte, eröffnete Kommissär Pilliard seinem Gegenüber, um was es ging:

Erstens: Es bestehen gravierende Lecks in Richtung Osten!

Zweitens: Sie haben sich mit Russen getroffen …

Drittens: Sie werden festgenommen auf Befehl von Bundesrat Furgler.

Viertens: Sie werden das Gefängnis nicht mehr lebendig verlassen.

Ob sich jene Szene wirklich so abgespielt hat, wie sie Jeanmaire in seinen Memoiren formuliert, lässt sich nachträglich nicht mehr rekonstruieren. Das erste «Abhörungsprotokoll»9 hält, aber dies liegt wohl in der Natur der Sache, einen weniger dramatischen Einstieg fest:

Frage: Sie werden einvernommen als Folge einer vom Herrn Bundesanwalt eröffneten gerichtspolizeilichen Untersuchung wegen möglichen Verstössen gegen die Artikel 27410 und 30111 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs. Was antworten Sie darauf?

JM: Ich nehme Kenntnis davon.

Frage: Sagen Sie uns, mit welchem Diplomaten oder Funktionär östlicher Länder Sie während den letzten Jahren in offiziellem oder privatem Kontakt standen.

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9783039197002
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