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Читать книгу: «Der moderne Knigge», страница 4

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Wer lange keinen Kater und keine Magenbeschwerden hatte und sich danach sehnt, lehne die Einladung zu einem Herrendiner nicht ab.

Ist man eine hervorragende Persönlichkeit, so sei man rücksichtslos, so daß die Gesellschaft etwas lange warten muß, bis zu Tisch gegangen wird. Denn es macht dem Wirt Vergnügen, daß die hervorragende Persönlichkeit oft und sei dies auch in feindseliger Stimmung genannt wird, wodurch der bedeutende Mann recht hervortritt.

Wenn man selbst dieser bedeutende Mann sein sollte, so entschuldige man sich nicht, wenn man endlich erscheint, um anzudeuten, daß man mehr ist, als die anderen. Man höre auch nicht, daß man als ungezogen und rücksichtslos bezeichnet wird, und sei überzeugt, daß jeder Gast frägt, was man sich denn eigentlich einbilde.

Ist kein so hoher Gast geladen, sondern gehören die Gäste derselben Gesellschaftsklasse an, so erscheine man pünktlich, um noch eine Weile vor Beginn der Tafel herumzustehen, sich die Hände zu reiben und »Wie geht‘s?« zu fragen. Auf diese Weise trainiert man sich für die meist folgende Langeweile.

Sind die Plätze schon belegt, weil der Wirt gern zwei Männer, die sich nicht ausstehen können, nicht zusammen oder einander gegenübersetzt, so zittere man, bis man die Gewißheit hat, daß man nicht neben einem Zuckerkranken placiert worden ist. Nur wenn man mit Vergnügen von körperlichen Leiden und nötiger Diät reden hört, freue man sich.

Da die Tafelrunde gewöhnlich aus älteren Herren besteht, so sage man jedem, er sehe vortrefflich aus, besonders wenn es nicht wahr ist. Ist man ein Vierziger und spricht mit einem Sechziger, so frage man, ob man nicht mit diesem in einem Alter sei. Dies macht Beiden Vergnügen.

Sind angenehme Mitbürger anwesend, so erwarte man mit Sicherheit, gefragt zu werden: »Leben Sie auch noch?« Man verneine, damit der Frager meint, man sei angenehm berührt, und damit er nicht merke, daß man ihn für einen Dummkopf halte.

Wenn nach der Suppe das Anekdotenerzählen ausbricht, so erzähle man gleichfalls eine alte Schnurre. Man muß sich nicht freihalten lassen. Muß man eine Anekdote zum sechsten oder achten Mal erzählen hören, so grolle man dem Erzähler nicht. Er weiß, daß er ein Wiederkäuer ist, und verläßt sich auf die Engelsgeduld seiner Opfer.

Man sehe sein Hemd nicht an, so weit es sichtbar ist, denn es sind einige Rotweinflecke zu entdecken. Aber man betrachte die Mitglieder der Tafelrunde, die Rotweinflecke haben sich bei allen schon eingestellt, und es macht den Eindruck, als sei dies Mode.

Man trinke mehr, als dem Wirt angenehm ist, aber nicht mehr, als man vertragen kann. Kommt ein herber Sekt, so bitte man um süßen. Kommt ein süßer Sekt, so bitte man um herben. Dann hat man beide Sorten. Ich habe dies von einem Tischnachbar in einer Herrengesellschaft gelernt. Er hieß – ich werde seinen Namen nie vergessen – Müller.

Man thue alles, was möglich ist, um die Umgebung in angenehmer Laune zu erhalten. Hat man einen Nachbar, der sehr undeutlich spricht und den man deshalb nicht versteht, so sage man dies nicht, sondern nicke immer mit dem Kopf als Zeichen, daß man kein Wort aus seinem Munde verloren habe. Erzählt ein Nachbar eine Anekdote, so lache man, selbst wenn sie durchaus pointenlos und schlecht vorgetragen sein sollte. Hat der Erzähler die Pointe ganz vergessen, so lache man noch herzlicher und nenne ihn einen Tausendsassa und unerschöpflichen Causeur. Hat ein Nachbar allerlei an einem Gang auszusetzen, der tadellos ist, so schließe man sich seinem Tadel an und verbeuge sich vor der feinen Zunge des Nörglers. Dies und ähnliches thue man im eigenen Interesse, um ungestört die Tafelfreuden genießen zu können.

Ist man verheiratet und bekommt von dem galanten Wirt ein Bouquet für die Gattin mit auf den Weg, so betrachte man dies als einen Wink des Schicksals, noch in ein Café zu gehen, wo man das Bouquet vergessen kann. Beachtet man diesen Wink nicht, sondern geht direkt nach Hause, so sage man der Gattin die Wahrheit über den Ursprung des Bouquets, da sie ja doch nicht glaubt, daß man es auf dem Heimweg gekauft hat. Für die Gattin scheue man kein Opfer.

Wird bei Tisch auf die abwesenden Damen getoastet, so zeige man nicht zu deutlich die Freude darüber, daß man eine Ausrede hatte, ohne die Gattin auszugehen. Man wisse, sich zu beherrschen. Man erhebe sich nicht zu begeistert und stoße nicht zu stürmisch an. Dem Heuchler, der den Toast sprach, rufe man innig zu: »Sehr liebenswürdig. Werde meiner Frau heute noch von Ihrem galanten Trinkspruch erzählen.« Das Loos des Toastes auf die abwesenden Damen ist immer beklagenswert, denn entweder freut sich, wie gesagt, der Hörer, daß sie abwesend sind, oder man hält mit mir ein Diner ohne Damen für uninteressant. Mir kann selbst der älteste und mit Orden bedeckteste Geheime Regierungsrat zu meiner Rechten die Dame nicht ersetzen.Welch eine üble Gewohnheit es ist, unter Tafeln mit bunter Reihe einen Damenfuß auf die Probe zu stellen, habe ich einmal bei einem Herrendiner konstatieren können, indem ein gesetzter Mann, der bereits die letzten Diners mitmachte, plötzlich aufschrie, weil ihm auf den Fuß getreten war. Man vergesse also keinen Augenblick, wenn man an der Füßesucht leidet, daß man an einem Herrendiner teilnimmt.

Ist man ein Freund der böhmischen und anderer Bäder, so nehme man von dem getrüffelten Fasan recht reichlich. Im anderen Fall sei man stark und lasse ihn unberührt vorüber. Der getrüffelte Fasan ist ein Mörder, der viele Menschen auf dem Gewissen hat, was der Wirt außerhalb seines Hauses zu wissen scheint. Auch die Ärzte wissen es, verschweigen es aber aus guten Gründen. Jedenfalls ist es gesünder, Fasanen zu schießen, als sie zu essen.

Gäste, die mit ihrer Blasiertheit prahlen, also geaichte Tafelprotzen, nehme man nicht ernst, aber man gehe vorsichtig mit ihnen um. Einer derselben sagte einst zu mir: »Sie essen Forellen? Forellen fängt man, aber man ißt sie nicht.« Er geht meines Wissens heute noch ohne Wärter in Gesellschaften!

Ist der Gastgeber ein Jude, so würde man im Kreise der Herren den Antisemiten sehr ungern vermissen, er ist aber jedenfalls anwesend. Seine Verdienste um den herrschenden Rassenhaß werden nicht unterschätzt, aber den Titel Judenfresser verdankt er trotzdem nur dem Eifer, mit dem er gern bei Juden speist und zwar so, als wolle er sie um die Ecke essen. Wenn er dem Gastgeber zutrinkt, macht er den Eindruck, als sei ihm dieser lieber als Herr Ahlwardt, was aber nicht viel sagen will. Er hetzt keinen Augenblick, im Gegenteil glaubt man, während er tapfer ißt, anstatt »Nieder mit den Juden« von ihm zu hören: »Nieder mit den Trüffeln und Artischocken!« Erst, wenn er sich beim Fortgehen genötigt sieht, dem Diener ein Trinkgeld zu geben, bricht die alte Wunde wieder auf, und schon auf der Treppe fällt ihm ein, daß an der Fleischteuerung allein die Juden Schuld haben.

Viel unangenehmer ist der Anwesende, der fortwährend den Wirt herabsetzt, weil ihm selbst die Mittel fehlen, solche Diners zu geben. Er unterbricht sein leises Gespräch mit seinem Nachbar dann und wann nur, um mit dem Wirt anzustoßen und ihm ein herzliches Prost! zuzurufen. Strahlenden Auges leert der Wirt sein Glas.

Man versäume es nicht, wenn man kein Börsenmann ist, einen Vertreter der hohen Finanz laut zu fragen: »Wie kommt Wien?« Dies macht einen guten Eindruck. Lautet die Antwort: Fest, oder matt, oder anders, so schüttele man den Kopf, obschon es einem ganz gleichgültig ist, wie Wien, Paris oder London kommt.

Unter den Gästen, einerlei welcher Konfession, findet man solche, welche einen italienischen, oder spanischen Orden, oder beide besitzen, deren Statuten den Inhaber verpflichten, Andersgläubige zu verfolgen und zu vernichten, wo er sie finden mag. Man sei deshalb keinen Augenblick ängstlich. Der Ordensinhaber hat meist diese Statuten nicht gelesen, und wenn er sie kennen sollte, so ist er froh, wenn man ihm nichts thut, indem er gewöhnlich selbst ein Andersgläubiger ist.

Bei Herrendiners verstehe man vor allem etwas vom Wein. Es ist nicht nur dem Wirt angenehm, wenn seine teuren Tropfen nicht als Blaubeerenwein getrunken werden, sondern man gilt dann auch in den Augen des vielleicht in der Nähe sitzenden Pinikers als ein Barbar. Da man nun gewöhnlich nichts vom Wein versteht, so trinke man so, als trinke man mit Verständnis. Es ist dies nicht leicht, aber durch Übung kann man dieser Lüge das Aussehen der Wahrheit geben, so daß selbst der gebildetste Trinker nicht die rote Gurke rümpft. Hat man also ein Gläschen Wein vom Präsentierbrett des Dieners genommen, so trinke man nicht ohne weiteres, sondern strecke zuvörderst die Nase über den Rand des Glases, als wolle man die Blume prüfen. Dann mache man eine Bewegung mit dem Kopf nach oben und blicke dann den Wirt an, der, stolz auf seine kostbare Gabe, die Gläserparade abnimmt, als sage man: »Ein Prachtweinchen!« Hierauf nehme man einen kleinen Schluck, spitze den Mund und peinige den Schluck, indem man ihn zwingt, einen Seiltanz auf der Zunge auszuführen. Dann erst trinke man das Glas aus und sei derart entzückt von der Güte des Weines, daß man ausruft, man finde keine Worte und fortwährend welche findet. Auf diese an die angeborene Komödiantennatur keine große Ansprüche erhebende Weise kommt man rasch zum Namen eines Kenners, so sehr garnicht man solcher sein sollte.

Hat man einen Nachbar, der sehr interessante Liebesabenteuer erzählt, so lüge man gleichfalls nach Kräften. Erzählt er etwas unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, so sei man überzeugt, daß man der einzige ist, dem er es bis dahin noch nicht erzählt hat.

Behauptet jemand, er habe seine Frau so erzogen, daß er lebe, wie es ihm beliebe, so hat man einen unrettbaren Pantoffelhelden vor sich, der eigentlich sagen wollte: »Wir Deutschen fürchten unsere Frau und sonst nichts in der Welt!«

Hat man einen höchst langweiligen Nachbar und ist ihm das Bein eingeschlafen, so wundere man sich, daß man noch wach ist, und beneide das Bein, das sich nicht zu beherrschen braucht.

Trifft man jemand in der Herrengesellschaft, den man längere Zeit nicht gesehen hat, so erkundige man sich nicht ohne weiteres nach dem Befinden seiner Frau, denn sie hat ihn mittlerweile vielleicht verlassen. Mir hat einmal ein Bekannter auf meine Frage, wie es seiner reizenden Frau gehe, geantwortet: »Sie wollen mich wohl zum Besten haben!« Ich habe dadurch nichts über den Gesundheitszustand seiner Gattin erfahren, obschon sie sich seit einiger Zeit zum erstenmal seit ihrer Vermählung sehr wohl befand. Allerdings nicht im Hause ihres Gatten.

Trifft man unter den älteren Herren einen, der sich wieder verheiratet hat, so drücke man sein Beileid durch ein herzliches Gratulor aus und schüttele ihm die Hand. Man erleichtere dann sein sorgenvolles Herz durch einige Worte des Bedauerns, die man in dieser Sache an einen anderen richtet.

Werden zum Nachtisch Selleriestangen gereicht, so nehme man eine, auch wenn man sie nicht gerne ißt. Es sieht aber besser aus.

An fast jeder Herrentafel pflegt man wenigstens ein Gemüt zu finden, dessen im Schornstein des Börsenwitzes sorgfältig geräucherte Zunge allgemein gefürchtet ist. Mit einer Tapferkeit, welche am wenigsten durch die Abwesenheit seiner Opfer zu bändigen ist, vermeidet er jede Glosse, welche die Abwesenden nicht lächerlich machen konnte, und weiß er ihnen immer neue Schwächen anzudichten. Man nehme sich vor ihm nicht in Acht, denn es nützt nichts.

Wird man von einem guten Freunde, der für seine Belesenheit Reklame machen will, gefragt, wo das Wort stehe: »Es wandelt Niemand ungestraft unter Palmen«, so antworte man gefällig: Im »Nathan«. Dann giebt er ganz richtig und lächelnd die »Wahlverwandtschaften« als Quelle an und ist glücklich. Wenn man mit einer solchen Kleinigkeit einen Menschen glücklich machen kann, so soll man es thun.Ist bei Tisch Musik mit auch nur einer einzigen Trompete, so bedeutet dies einen unumstößlichen Beweis dafür, daß der Wirt der Geduld seiner Gäste felsenfest vertraut. Man füge sich also, indem man sich sagt, daß es kein Konzert ohne Pausen giebt. Man beneide aber die Orchestermitglieder, weil sie nachher ohne Musik essen.

Man wird nicht daran denken, mir den Vorwurf zu machen, daß ich dem ehrenwerten Stand der Angestellten zu nahe treten will, wenn ich mich vorübergehend mit dem peinlichen Mittagessen beschäftige, zu welchem sie von ihrem Chef befohlen werden. Ein Angestellter wie jeder, der einen Chef sein nennt, ist ein Untergebener, aber wer ist nicht Untergebener? Die Sprache hat das Wort Übergebener nicht. Wir alle sind untergeben. Aber nicht alle Untergebenen werden von ihrem Chef eingeladen, viele werden von solch schmerzlicher Überraschung nicht erreicht.

Man weiche der Einladung nicht aus, so leicht dies durch einen künstlichen Sturz mit dem Zweirad, oder durch die etwas mildere Form eines ärztlichen Attestes zu bewerkstelligen wäre. Man zöge sich den Haß des Chefs zu, so gleichgültig diesem es wäre, wenn man nicht erschiene. Er würde sich dadurch in dem Entschluß stärken, keine Zulage zu geben, obschon er an solche auch nicht denken würde, wenn man erschiene, da er das Mittagessen nach dieser Richtung hin sehr hoch einschätzt und schon als Zulage betrachtet.

Man esse etwa sechs Tage vor dem Fälligwerden der Einladung Probe, indem man anhaltend so ißt, daß man auf den scharf beobachtenden Chef keinen üblen Eindruck macht. Man probiere also ganz anders zu essen, als man in seiner Familie, oder unter guten Freunden zu essen wagt. Man esse ungemein bescheiden, artig, immerfort befriedigt und ohne Bemerkungen zu machen, ganz einerlei, ob der Chef Minister, Regiments-Kommandeur, Fabrikant, Bankier, Kaufmann oder etwas anderes ist.

Man stelle sich pünktlich ein und vor allem ohne kostspielige Garderobestücke. Käme man unpünktlich, so würde der Chef behaupten, man komme immer zu spät und sei überhaupt unzuverlässig. Kommt man im noblen Anzug, trägt eine schwere Uhrkette und Lackschuhe, so denkt er vielleicht an eine Herabminderung des Gehalts, um den jungen Mann vor fernerer Verschwendung zu schützen.

Fragt man nach dem Befinden des Chefs und dieser gesteht herablassend Erkältung oder Nervosität ein, so erbleiche man und könne sich nicht fassen. Keinenfalls äußere man große Freude über das Vernommene.

Wird auf das Wohl des Chefs getrunken, so springe man wie besessen auf und schreie, anstatt nur einzustimmen. Auch hier bewache man sorgfältig die geheimen Gedanken.

Bevor man sich nach dem Befinden der Schwiegermutter des Chefs erkundigt, suche man erst festzustellen, wie er mit der Dame steht. Erfährt man, daß er in Wut gerät, wenn er an sie erinnert wird, – es giebt ja solche Barbaren, – so frage man ihn sofort nach ihrem Befinden. Er wird sich hüten, deshalb unfreundlich zu sein.

Den Wein finde man vorzüglich, auch wenn er ein so leichter Mosel sein sollte, daß er die Kasse des Chefs nicht im geringsten beschwert.

Man finde den Chef brillant aussehend, besser als im vorigen Winter.

Wenn man Raucher ist, so verneine man aus zwei Gründen die Frage des Chefs, ob man rauche. Erstens ist es ihm angenehm, wenn der Angestellte nicht raucht, und zweitens befindet sich die Cigarre, die nach solchem Mittagessen umgeht, schon seit einigen Jahren nicht auf dem Wege der Besserung.

Regt einer der älteren Angestellten die Idee, dem Chef zur Erinnerung an den schönen Speisezettel ein Album mit den Porträts sämtlicher Angestellten zu stiften und stellt eine Tellersammlung zu den Kosten des Albums an, so gebe man, wenn man keinen größeren Knopf bei sich hat, zehn Pfennig.

Bittet der Chef, wenn aufgebrochen wird, man möchte doch noch einen Augenblick bleiben, so mißverstehe man ihn nicht, sondern bleibe nicht länger. Dann gehe man und sage sich zum Trost, dieses Mittagessen werde den Angestellten doch nur einmal im Winter zugefügt. Dann aber urteile man über das Vorgefallene möglichst milde, denn man kann ja selbst eines Tages Chef werden.

So schwierig der Umgang mit den zahlreichen Gästen des Herrendiners sich gestaltet, so schwierig ist er auch mit einzelnen Personen. Ein erstes Muster einer solchen Person ist der Logierbesuch, ein zweiter der Fremde, den man hat. Die erstere Person erfährt dadurch eine gefährliche Verschärfung, daß sie gewöhnlich ein Verwandter ist.

Ein Familienmitglied, welches sich entschließt, einige Tage in der Residenz zuzubringen, wird wahrlich, wie es brieflich versichert, nicht Logierbesuch, weil es das Geld einer Hotelwohnung sparen will. Nein, sagt der Briefleser, wegen der größeren Billigkeit.

Der Logierbesuch, der aus einer kleinen Stadt herbeieilt und von den Verwandten auf dem Bahnhof mit Blumen erwartet wird, ist eine anspruchsvolle und unzufriedene Persönlichkeit. Kommt er nun gar aus einer Stadt, in welcher es noch keine Droschken giebt, so findet er schon auf der Taxameterfahrt in die Wohnung, daß die Verkehrsmittel Berlins noch in den Windeln liegen. Namentlich wünscht er die Züge der Stadtbahn, die auf dieser Fahrt über seinem Haupt verkehren, weniger geräuschvoll.

Beklagt er sich darüber, daß das Asphaltpflaster noch nicht allgemein sei und nur zu häufig vom Steinpflaster unterbrochen werde, so fasse man Mut und erkläre kurz und bündig und der Wahrheit gemäß, daß man unschuldig daran sei.

Man sorge dafür, daß das Fremdenzimmer nach hinten hinaus liege, damit der Besucher nicht zu früh von dem Straßenlärm aufgeweckt werde. Aus demselben Grunde gebe man ihm abends keinen stärkeren Kaffee, sondern schweres Bier zu trinken.

Giebt es in der Heimat des Besuchers kein Theater, oder nur ein solches, das alljährlich auf vierzehn Tage in den großen Kasinosaal gastieren kommt, so sei man in der Wahl des Theaters doppelt vorsichtig. Denn der Logierbesuch stellt an Darstellung und Inscenierung die höchsten Ansprüche. Wenn dies irgend möglich, führe man ihn in eine Novität, damit er keine Vergleiche anstellen kann, welche immer zum Nachteil der Berliner Bühnen ausfallen. Selbst Schillers »Räuber« kennt er bereits.

Will der Verwandte einer Reichstagssitzung beiwohnen, so wähle man eine solche, in welcher die hervorragendsten Abgeordneten und Bundesratsmitglieder das Wort ergreifen. Sonst hat man Unannehmlichkeiten, namentlich muß man auf den Vorwurf gefaßt sein, daß man sich wenig um den Verwandten bekümmere.

Man führe den Logierbesuch, wenn man ihm das Nachtleben zeigen will, von den Linden durch die Friedrich- und die Leipzigerstraße nach dem Potsdamer Platz. Man gebe ihm aber Recht, wenn er behauptet, es sei nicht viel los, auch schien ihm die Straßenbeleuchtung mangelhaft. Stehen ihm die Feuermelder im Wege, so teile man ihm mit, daß sie, wenn er, so Gott will, im nächsten Winter wiederkomme, sämtlich auf der Chaussee nach Charlottenburg stehen würden.

Man lasse in seiner Gegenwart niemals das Wort Heimreise fallen, denn alsbald wird man gefragt, ob der Besuch wohl schon zu lange dauere. War man aber so unvorsichtig, so schwöre man nicht, daß sich der Besucher irre. Ein Meineid ist schauderhaft.

Man lasse dem Besucher nicht dessen Leibgerichte kochen, denn er würde sie doch nicht wiedererkennen und dann über Magenschmerzen klagen.

Sagt der Logierbesuch selbst, daß es Zeit sei, wieder an die Heimreise zu denken, und daß er übermorgen abreisen wolle, so rufe man nicht aus: I wo! oder dergleichen. Er wäre kapabel.

Nach der Siegesallee lasse man ihn allein gehen, denn man würde ihm jedes einzelne Standbild historisch erklären müssen und dies könnte man nicht. Er würde aber darin eine Unfreundlichkeit erblicken, wie sie nur ein Verwandter haben könne.

Seine Abreise beklage man erst auf der Fahrt nach dem Bahnhof, dann aber in eifrigster Weise. Dann kann es keine üblen Folgen mehr haben.

Der Fremde, den man hat, ist ja auch nur eine Person, aber er hat alle Vorzüge, auf welche der Logierbesuch opferfreudig verzichtet, weil er sich nicht einbildet, daß er die Pflicht habe, sich angenehm zu machen.

Wer verheiratet ist, habe dann und wann einen Fremden. Ein Fremder in der Hand ist angenehmer als zehn Logierbesuche unter dem Dach. Dies ist so richtig, daß man den Fremden erfinden muß, wenn er nicht existiert. Ein aus der Luft gegriffener Fremder ist sogar nützlicher als einer von Fleisch und Blut. Wer hiervon nicht überzeugt ist, erfinde einmal einen. Die Not macht ja erfinderisch. Hat man ihn erfunden, so hat man nur noch der Gattin zu sagen, man möchte ihn nicht einladen, weil er sehr anspruchsvoll sei, nach Rotwein rieche und den Salon für einen Aschenbecher halte. Dann kann man mit Freuden und mit Nutzen diese Erfindung auskosten.

Hat man einen Fremden, so ist man für einige Tage der Häuslichkeit entrückt, wenn hierzu ein Verlangen vorliegt. Ein Fremder, er sei erfunden oder Wirklichkeit, ist der Storch, der die Freiheit bringt.

Den wirklichen Fremden kündige man der Gattin unter den Ausdrücken des tiefsten Bedauerns darüber an, daß er durch seine, wenn auch kurze, Anwesenheit das Familienband lockern, die häusliche Ordnung umstoßen und namentlich die Abende erbarmungslos in Anspruch nehmen wird.

Der Fremde giebt sich gern als verwöhnt, um den Freund zu Anstrengungen zu zwingen. Man nehme das nicht ernst. In seiner Heimat ist der Regen nicht nasser als in Berlin.

Selbstverständlich ist, daß man ihn vorzugsweise dahin führt, wo man noch nicht gewesen ist und nur in Gesellschaft eines erwachsenen Fremden erscheinen kann. Es ist merkwürdig, wie viele solcher Lokalitäten in Berlin existieren. Der Gattin schildere man sie als langweilig, was ihr angenehm ist, obschon sie daran zweifelt.

Hat man irgend etwas zu thun, wobei der Fremde überflüssig ist, so stelle man ihn vor dem Brandenburger Thor oder zwischen Charlotten- und Friedrichstraße auf und sage ihm, der Kaiser werde gleich vorüberfahren. Bis der Kaiser vorüberfährt, hat man eine gute Stunde vor dem Fremden Ruhe.

Kommt der Fremde aus einer kleinen Stadt. so findet er, wie der Logierbesuch, an Berlin viel auszusetzen. Man stimme in jeden, meist blödsinnigen Tadel ein, um ihn bei guter Laune zu erhalten. Er amüsiert sich nur, wenn er Berlin rüffeln kann, abgesehen davon, daß man sich im anderen Fall langweilte, indem man, wenn er Berlin herausstriche, lauter Dinge hören müßte, die man längst und besser kennt.

Will der Fremde ins Theater gehen, so empfehle man ihm ein Stück, das man schon gesehen hat, weil er nicht darauf eingeht, sondern ein anderes Stück wählt, das man vielleicht noch nicht gesehen hat.

Man unterschätze die Schwierigkeit der Führung nicht. Wenn man einen aus einer kleinen Stadt gebürtigen Fremden in das Linden-Café führte, keinen Platz fände und wieder mit ihm fortgehen müßte, so wird er sich trotzdem das genannte Café voller gedacht haben. Er wird hinzusetzen, daß über Berlin doch manche falsche Nachricht verbreitet sei.

Will der Fremde das Innere der Schlösser sehen, so sage man ihm, sie seien bis Ende nächsten Monats wegen baulicher Arbeiten geschlossen. Das klingt glaubhaft. Nur wenn er die kolossale Arbeit allein verrichten will, ermuntere man ihn noch obenein und freue sich, davonzukommen.

Der Fremde pflegt einen längeren Zettel mitzubringen, welcher das Menu der Sehenswürdigkeiten bildet, von denen er keine versäumen möchte. Darunter befinden sich solche, welche der Berliner selbst nur selten aufsucht, z. B. der Juliusturm, das Wohnhaus des alten Derfflinger, der Platz, auf welchem die Spittelkirche gestanden hat, u. s. w. Da der Zettel jeden Augenblick aus der Tasche genommen werden kann, so sei man auf eine Ausrede vorbereitet.Will man den Fremden zum Frühstück einladen, so führe man ihn, um ihm zugleich ein buntes Stück Volksleben zu zeigen, zu /nAschinger. Wenn der Fremde sich durch eine Einladung revanchieren will, so schlage man ihm Dressel oder Hiller vor mit dem Bemerken, daß es auch dort nicht an Volksleben fehle. Man sei überhaupt nicht zu sparsam mit der Kasse des Fremden, denn der Geiz macht allemal einen widerlichen Eindruck.

Reist der Fremde wieder ab, so nehme man zum Bahnhof ein sauberes Taschentuch mit. Denn es giebt wenige irdische Freuden, welche der einer solchen Begleitung gleichen, und man könnte sich doch derselben derart überlassen, daß man dem absausenden Zug mit dem Taschentuch nachwinkt. Dann ist es gut, daß das Taschentuch sich sehen lassen kann.

Wir haben vielleicht zu lange bei diesen beiden einzelnen Herren verweilt und beeilen uns, zu dem großen und figurenreichen Veranstaltungen zurückzukehren, deren anstrengendste die Maskerade, der bal masqué, oder wie man dieses Karnevals-Institut nennen will, zu sein pflegt und einige wohl gemeinte Ratschläge wohl als nützlich erscheinen lassen dürfte.

Die landläufige Maskerade, wie sie sich in den Zeitungen anzukündigen pflegt, gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das nur von den Wenigen erlegt wird, welche zufällig kein Freibillet haben, zu besuchen und zum Nutzen der Küche und des Kellers irgend eines einnahmebedürftigen Wirts arrangiert, ist eigentlich keine. Man besucht sie entweder im Frack, welcher in den Kreisen solcher Wirte als Maske gilt, oder entnimmt, wenn man Grund hat, inkognito zu sein, an der Kasse irgend einen noch wenig geflickten Domino und betritt so, von allen Seiten als Sonderling betrachtet und als solcher behandelt, den Saal.

Man vergesse keinen Augenblick, daß der Karneval kein geborener Norddeutscher ist, und erwarte kein Verständnis für den Mummenschanz. Macht man also einen Maskenscherz, so hat man sich es selbst zuzuschreiben, wenn man aus dem Saal fliegt. Öffentliche Maskenbälle besuche man daher nur in einem Lokal, in dessen Nähe sich Sanitätswache und Unfallstation befinden.

Kann man aus irgend einem Grunde den Besuch nicht unterlassen, so mache man keinen Spaß mit einem, den man nicht genau kennt. Denn der eine, den man nicht genau kennt, ist vielleicht ein geborener Spaßverderber und haut zu, was er »verbitten« nennt, und dann ist doch der ganze Abend verdorben.

Wählt man eine Maske, so verfalle man nicht auf die eines Rowdy mit Ballonmütze und Dame. Denn man könnte in die Lage kommen, von den anwesenden echten Rowdies angesprochen und, da man hierauf nicht antworten kann, als der Spionage verdächtig durchgebläut zu werden. Dies schmälert jedes Vergnügen beträchtlich.

Trinkt man auf solchen Maskeraden gern deutschen Sekt, erstens: weil er billig ist, und zweitens: weil er ähnliche Kopfschmerzen wie der französische hervorruft, so bestelle man französischen Sekt. Man bekommt dann deutschen, der allerdings wie der französische berechnet wird. Dies liegt aber nur an der falschen Etikette, die sich auf der Flasche befindet.

Tanzt man mit einer Dame, die ein Gretchenkostüm trägt, so spreche man mit ihr nicht über das Wesen Gretchens. Da sie nämlich davon nichts weiß, so wird sie verstimmt und ruft vielleicht einen anwesenden Beschützer herbei, der schon vorbestraft ist. Ebenso verhalte man sich gegenüber einer Königin der Nacht, einer Jungfrau von Orleans, einen Rautendelein oder einer Themis, da ihr der Maskenverleiher nichts näheres über diese Vermummung gesagt hat.

Eine Pappnase wird am bequemsten in der Tasche getragen. Trägt man sie im Gesicht, so hat man sich die Folgen selbst zuzuschreiben.

Wer auf einer Maskerade mit aller Gewalt nach etwas trachtet, das sein wahres Wesen verbirgt, der bestelle einen Cognac. Es ist ganz gewiß etwas anderes.

Entsteht wegen einer Dame die bekannte Differenz, die gewöhnlich durch Thätlichkeiten geschlichtet wird, so sage man, es sei spät, man habe am anderen Morgen frühzeitig zu arbeiten, und verabschiede sich rasch von dem Gedränge, von dem man umgeben ist. Dies ist allerdings in den meisten Fällen nicht mehr möglich, aber es kann auch gelingen, weil auf solchen Maskeraden alles vorkommen kann.

Wenn man die Gewohnheit hat, in Gesellschaft zu soupieren, so nehme man zur Maskerade weder Uhr, noch Ring mit und lasse auch größere Kassenscheine, an die sich angenehme Erinnerungen knüpfen, zu Hause. Dies macht an dem Tisch, an welchem man speist, nicht beliebt, verhindert aber wahrscheinlich Meldungen bei der Polizei, welche keinen Erfolg haben können.

Mit Damen, welche abfärben, tanze man nur Quadrillen. Auch sage man ihnen nicht, wo man wohnt, weil sie gewöhnlich die Adresse nicht vergessen.

Wird man durch das Vertrauen einer Dame ausgezeichnet und erfährt man von ihr, sie sei die unglückliche Frau eines eifersüchtigen Gatten, oder die verzweifelnde Tochter eines strengen Vaters, so gewinnt man jede Wette, daß alles nicht wahr ist.Man gehe auf eine Maskerade nicht ohne die Visitenkarte, auf der die genaue Adresse angegeben ist. Denn man könnte doch eine Dame nach Hause begleiten und auf dem Wege dahin bewußtlos aufgefunden werden. In solchem Fall ist es gut, daß man nach der Wohnung transportiert wird, wo man unter den Augen des Arztes längere Zeit arbeitsunfähig sein kann.

Dergleichen hat man nicht zu befürchten, wenn man Privatmaskeraden besucht, zu denen man in ein gastliches Haus eingeladen, oder wenn man ein Kostümfest mitmacht, welches von einem Verein arrangiert worden ist und zu dem man auf dem Wege der Protektion ein Billet kaufen konnte.

Eine Privatmaskerade hat das Bequeme, daß man in dem Augenblick des Eintritts, namentlich wenn man bis zur Vollständigkeit vermummt ist, sofort erkannt und mit vollem Namen und Berufsangabe angerufen wird.

Man vermeide es vor allem, durch eine Maske sich in einen vollkommenen Gegensatz zu seiner Individualität zu setzen. Einige wenige Fingerzeige mögen zur Verhinderung der schlimmsten Mißgriffe beitragen:

Für eine Dame, welche keinen Augenblick den Mund halten kann, eignet es sich wenig, als Stumme von Portici zu erscheinen, denn dieses unglückliche Mädchen hat sich nur durch die Augen- und Fingersprache verständlich gemacht.

Spricht man keine andere fremde Sprache, als nur die durch die Nase, so komme man weder als Faust, noch als Mephistopheles, weder als Don Juan, noch als Zampa, so kleidsam deren Kostüme sein mögen. Die Genannten sprachen und sprechen, wie ihnen der Schnabel, nicht aber, wie ihnen die Nase gewachsen ist. Kann man also den angedeuteten Umweg beim Sprechen nicht bis zur Maskerade loswerden, so bleibe man lieber zu Hause, wo es ja auch ganz amüsant sein kann.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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