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Читать книгу: «Der moderne Knigge», страница 13

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Man sage dies dem Apotheker, wodurch er nicht beleidigt wird, wenn man ein viertes Mittel kauft, welches gleichfalls nichts wert ist. Dies wiederholt man noch ein fünftes und sechstes Mal mit gleichem Erfolg, alsdann sage man dem Apotheker, daß das sechste Mittel geholfen habe, was ihn sehr ärgert. Wenn man ihm wahrheitsgetreu mitteilte, daß das sechste Mittel gleichfalls nicht geholfen habe, so ärgert er sich gleichfalls sehr, wenn man nicht wiederkommt.

Man komme auch nicht wieder, sondern wende sich den Bonbons zu, zuvörderst denen von Benno von Donat, dann den anderen, denn man möchte doch kein Mittel unversucht lassen. Auch die Bonbons helfen nicht, aber sie sind den Universalmitteln der Apotheke vorzuziehen, da man sich durch die Bonbons bei Kindern, die sich daran den Magen und die Zähne verderben, beliebter macht, als bei den Eltern.

Auch gegen den Schnupfen giebt es viele Mittel, welche seine Existenz nicht gefährden. Will man dies konstatieren, so treffe man, wenn man den Schnupfen hat, viele Freunde, und jeder derselben wird ein ganz wirkungsloses Mittel, das als rasch helfend bezeichnet wird, namhaft machen. Wird dabei versichert, daß man den Schnupfen übermorgen los sei, so wende man das Mittel nicht an, da man den Schnupfen vielleicht schon morgen los ist und ihn dann durch das Mittel um einen ganzen Tag verlängert haben würde.

Unter den minder unangenehmen, aber auch nicht völlig angenehmen Erscheinungen des Sommers nimmt die Gesellschaftsreise eine der ersten Stellen ein. Wer eine solche mitmacht, hat sie und die Folgen sich selbst zuzuschreiben, was bei einer Erkältung nicht immer der Fall zu sein pflegt.

Der Verheiratete wird eine Gesellschaftsreise leichter antreten und vollenden, als der noch ungebundene Mann, da der Gatte und Familienvater bereits daran gewöhnt ist, abhängig, nicht sein eigener Herr und an Befehle und Anordnungen gefesselt zu sein. Der moderne Knigge kann Unverheirateten nur raten, allein zu reisen und darin einen Ersatz für die Annehmlichkeiten zu finden, welche eine Gesellschaftsreise bieten kann.

Hat man sich einer Reisegesellschaft angeschlossen, ohne daß man Kartensammlerinnen und Kartensammlern das Versprechen gegeben hat, von jeder Station des Dampfers oder der Eisenbahn eine bunte Karte an sie abzusenden, so büßt man dadurch das Vergnügen ein, es zu unterlassen und nach der Heimkehr zu versichern, die Karten seien gewissenhaft abgeschickt, aber unterwegs gestohlen worden und zwar von Postbeamten, welche selbst sammeln.

Man freunde sich auf der Fahrt nicht zu sehr an, sondern begnüge sich damit, sich anzubekannteln. Es giebt Reisende mit außerordentlichem Namens- und Physiognomieen-Gedächtnis, welche ihre Begabung dadurch in das hellste Licht rücken, daß sie jeden, den sie einmal gesehen und gesprochen, nur dann, wo sie ihn treffen, nicht sofort anreden, wenn sie zufällig Geld von ihm geborgt haben. Hat man sich nun angefreundet, so hat man die Pflicht, sich glücklich zu schätzen, daß man den neuen Freund einmal wiedersieht, auch wenn man ihm nichts geborgt hat, während man sich nur einfach zu freuen braucht, wenn man einen Reisegefährten wieder trifft.

Man nehme sich unterwegs in Acht, liebenswürdig gegen die Frau eines Teilnehmers zu sein, denn es giebt Männer, welche der Treue ihrer Gattin so sicher sind, daß sie sie gern der Führerschaft eines Fremden überlassen, um selbst sich freier bewegen zu können. Ein solcher Mann ist vielleicht dieser Teilnehmer und imstande, die teure Last erst am Schluß der Reise wieder auf sich zu nehmen.

Sind einige Skatspieler in der Gesellschaft, welche sich von keiner schönen Aussicht in ihrer Partie stören lassen, so wisse man solche Leute über Gebühr zu schätzen. Sie lassen sich zwar nicht stören, aber sie stören auch nicht. Nur die Enthusiasten stören, welche außer sich sind, wenn man nicht mit ihnen alles bewundert und kein Talent hat, auf Befehl zu schwärmen.

Wenn ein Zeitungsberichterstatter die Reise mitmacht, so bitte man ihn um ein Autogramm, und wenn er sich diese Bitte nicht erklären kann und auch nicht recht weiß, was er schreiben soll, so sage man ihm auf den Kopf zu, daß er einer der besten Schriftsteller der Gegenwart sei. Dies ist ihm angenehm, weil er noch nie etwas Neueres gehört und geschrieben hat. Dafür wird man von ihm in seinem Reisebericht der liebenswürdigste Gesellschafter und geistvollste Causeur genannt, obschon man das Gegenteil zu sein pflegt. Hat man aber ganz besonderes Glück, so wird man gar nicht genannt.

Macht man eine Gesellschaftsreise zur See, so ist die Seekrankheit unvermeidlich. Sie hat allerdings auch ihr Unangenehmes, aber man darf nie vergessen, daß sie auf einer Gesellschaftsreise dem von ihr befallenen Teilnehmer Gelegenheit giebt, »Endlich allein!« zu sagen.

Fühlt man die Seekrankheit nahen, so bittet man die Damen, in deren Gesellschaft man in diesem Augenblick sich befindet, um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Wartet man die Antwort zu lange ab, so gehen die Damen fort, da die Katastrophe eingetreten ist; dann kann man es sich bequem machen.

Fragt man einen älteren Seemann, ob er nicht ein sicheres Mittel gegen die Seekrankheit wisse, so bejaht er und rät, eine Cigarre zwischen die Lippen zu stecken. Solange man die Cigarre zwischen den Lippen trage und rauche, habe man die Seekrankheit nicht. Man probiere dies nur, ein anderes ebenso sicheres Mittel existiert nicht, weil es überhaupt keins giebt.

Wer jemals seekrank gewesen ist und hingestreckt die Hoffnung aufgegeben hat, jemals die Kajüte lebendig wieder zu verlassen, weiß, daß man in dieser tückischen Krankheit alle Engel im Himmel singen oder pfeifen hört. Wer also einem Feinde, der nicht musikalisch ist, die Seekrankheit wünscht, ist ein Gemüt.

Führt man ein Reisetagebuch, so giebt man Beweise von klassischer Bildung am bequemsten dadurch, daß man in den verschiedenen Städten sich der Stücke, die man gesehen hat, erinnert und daraus Betrachtungen herleitet. Etwa wie folgt:

In Verona: Mir war‘s, als hörte ich die Lerche und nicht die Nachtigall in dieser Stadt Amors singen, als ich durch die Straßen ging, und in jeder glaubte ich Romeo zu sehen, wie er hastig nach dem Klostergarten eilte, um mit Bruder Lorenzo zu sprechen.

In Venedig: Wie glücklich bin ich in dieser Stadt, obschon ich darin die elektrische Straßenbahn schmerzlich vermisse! Aber plauderte da nicht Shylock mit Tubal über das gute Geschäft, das er mit Antonio zu machen gedenkt, indem er für dreitausend Dukaten ein Pfund Fleisch bekommen wird? Ja, und dann machen die beiden vor Othello Front, der zu seiner Desdemona geht, bei der er Jassica und Porzia finden wird.

In Genua: Eben weilte ich an der Stelle, wo Fiesko ins Wasser gestoßen wurde und den Tod fand. Vielleicht stand da auch einst Kolumbus und blickte über die Wasserfläche nach der Gegend, wo er Amerika zu entdecken hoffte. Welch eine Fülle von Gedanken bestürmte meinen Geist!

In Madrid: Hier also ging einst die Sonne nicht unter. Nun, auch heute existiert hier noch kein rechtes Nachtleben, wie in Berlin. Das sagte ich eben – nachts 11 Uhr – als ich nach dem Hotel ging. Morgen wollen wir nach Aranjuez, obschon dort die schönen Tage nun zu Ende sind. Aber öfter noch als an den Karlos, der den genannten Ort nicht heiterer verließ, denke ich an den gleichnamigen Freund Clavigos, den Archivarius des Königs. Woran mag das wohl liegen?

Diese wenigen Sätze werden vielleicht genügen, um zu zeigen, wie lohnend die Bekanntschaft mit unserem klassischen Repertoir für ein Reisetagebuch zu verwenden ist.

Es ist jetzt nicht gut möglich, vom Sommer zu sprechen, ohne der Maifeier zu gedenken, welche die sozialdemokratische Partei seit einigen Jahren am ersten des, wenn es nicht kalt ist, wunderschönen Monats begeht und jetzt darin besteht, daß sich eine große Anzahl Arbeiter weigert, nicht zu arbeiten. Es finden an diesem Tage für die Arbeiter, welche feiern, Volksversammlungen statt, in welchen von den Agitatoren Reden gehalten werden, welche die Arbeiter anzuhören haben. Und das soll keine Arbeit sein? Ist man ein vernünftiger Arbeiter, so wird man antworten: Na ob!

Will man als sozialdemokratischer Agitationsredner den Arbeitern eine schöne Maifeier bereiten, so sage man ihnen, es sei nun bereits mehr als genug geschwätzt, dann halte man den Mund, schweige, rede keine Rede und schließlich sei man stumm. Hierauf lasse man die Arbeiter ungestört in die Werkstatt gehen und wie wir alle arbeiten, weil dies besser bezahlt wird als das Anhören von Agitationsreden, wofür man keine Semmel für die Kinder kaufen kann.

Selbst nicht die bestgesungene Arbeitermarseillaise baut den Kindern Häuser, sondern nach Jes. Sir. 3, 11 des Vaters Segen. Aber das Anhören von Agitationsreden ist kein Segen.

Außer der Maifeier finden in diesem Monat die Maikäfer statt, welche sehr schädlich sind. Man findet sie überall, wo sie nicht sein sollen, und sie erscheinen alle drei oder vier Jahre in großer Masse. Leider hat sich ihnen noch nicht die Sammelwut wie den Marken, Liebigbildern und Postkarten zugewendet, was wohl darin seinen Grund hat, daß der Sport der Maikäfersammler ungemein nützlich wäre. Man hat berechnet, daß, wenn alle Markensammler statt der Marken Maikäfer sammelten und einer immer wenigstens eine mit Maikäfern gefüllte Cigarrenkiste mehr als der andere aufzuweisen suchte, das sogenannte Maikäferjahr völlig unschädlich vorübergehen würde.

Ist man sehr human, so tritt man dem Maikäferhandel kräftig entgegen, welcher von jungen Spekulanten auf offener Straße getrieben und allgemein als Tierquälerei gebrandmarkt zu werden pflegt. Man wird den Handel zwar nicht vernichten, aber sagen können, daß man human gewesen, oder versucht hat, zu beweisen, daß man die Fahne der Humanität hochzuhalten oder zu schwingen bestrebt ist. Aber nützlicher würde man sich machen, wenn man in die Firma der Maikaferhändler einträte und mit ihnen die Zahl der schädlichen Kerbtiere verminderte, und man wäre dann nicht nur nützlich, sondern auch human gewesen.

Geht man mit einer Dame spazieren und erbleicht sie mit einem Schrei des Entsetzens aus gepreßtem Herzen, weil sie sieht, daß ein Vogel im Fluge einen Maikäfer erwischt hat und ihn verspeist, so tröste man sie damit, daß es auch einen schlimmen Eindruck auf einen gefühlvollen Maikäfer machen würde, wenn er sie einen Vogel verspeisen sähe. Hierauf sei man gegenüber dieser Dame vorsichtig, da sie wahrscheinlich auch bei anderen Gelegenheiten lügen wird.

Entfaltet nun der Sommer alle seine Reize und wird er so schön, wie sich eines solchen die ältesten Leute nicht zu erinnern vermögen, wobei nicht vergessen werden darf, daß sich die ältesten Leute niemals durch ein tadelloses Gedächtnis auszuzeichnen pflegen, so darf man mit einigem Bedenken an die Hundstage denken, welche zu erwarten sind. Schon die Thatsache, daß sich die erwähnten ältesten Leute eines so schönen Sommers wie des gerade diesjährigen nicht erinnern, mag als ein Beweis dafür gelten, welchen schädlichen Einfluß die Hundstage auch auf die Menschen auszuüben imstande sind.

In den Hundstagen gilt es hauptsächlich, mit den Menschen mehr Geduld zu haben, als in den anderen Tagen des Jahres, und sei dies auch nicht jedermanns Sache. Trifft man jemand, der vor einer halben Stunde die Quadratur des Zirkels – es kann natürlich auch das Fliegen sein – erfunden haben will, so sage man: »Ach, das ist nett von Ihnen«, und dann habe man leider Eile und müsse fort. Dieselbe Eile habe man, wenn man einem Bekannten begegnet, der ganz bestimmte Nachrichten von den Bewohnern des Mars erhalten hat. Derartige vertrauliche Mitteilungen über weltreformierende Erfindungen und Entdeckungen gehören aber zu den Ausnahmen, geltend machen sich die Hundstage meist in einer viel weniger verdächtigen Weise.Man ertappt einen bis dahin ganz vernünftigen Freund beim Dichten. Zum Glück sucht er einen Reim auf Droschke und kann daher nicht weiter, weil er das Wort Droschke gebraucht, denn eine Jungfrau ist in einer Droschke an ihn vorübergesäumt, und er will ihr nur seine Liebe reimen. Man sage ihn nicht, daß er Droschke erster oder zweiter Klasse oder Preisanzeiger singen soll, weil hierauf jeder Stümper reimen könnte, und verhindere ihn so am verderblichen Weiterdichten. Die Hundstage dauern nicht ewig, und er wird wieder prosaisch werden und zur Ruhe kommen.

Gefährlicher ist um diese Zeit der junge hoffnungsvolle Mann, der das Komödienschreiben bekommt. Trifft man ihn auf der Straße mit der Absicht, zu seinem realistischen Stück, welches in einer Bedürfnisanstalt endet, das Milieu zu studieren, so sei man auf das tiefste ergriffen und lade ihn zu einem Glas Bier ein. Kaltes Bier vollbringt, in solcher Zeit genossen, Wunder.

Erhält man in den Hundstagen von einem Freunde Geld zurück, das man ihm geborgt hat, so ist das Schlimmste zu befürchten. Jedenfalls nehme man sich in Acht, daß man nicht von ihm gebissen wird.

Hört man von einem Bekannten, es sei ein Mord geschehen und die Polizei habe schon die Leiche, so braucht dies durchaus kein Krankheitssymptom zu sein. Nur dann, wenn er mitteilt, die Polizei habe schon den Mörder aufgefunden, führe man ihn zu einem Arzt.

Im Freien wird die Glut der Sonne am verderblichsten. Hier sind es in erster Reihe diejenigen, welche plötzlich behaupten, sie kennten die Geschichte der Männer, deren Denkmäler sie sehen, ganz genau. Alsbald vermeide man es, sie um Angabe einiger Daten zu ersuchen, da aus der Antwort sofort hervorgeht, daß sie leidend sind.

Man habe mit einem Angehörigen Geduld, wenn er sich durch wirre Reden verdächtig machen sollte, und schone ihn. Denn vielleicht schon nach einigen Tagen bezeichnet er einen gut aussehenden Herrn in einem Restaurant bei einer Flasche Champagner für einen notleidenden Landwirt, woraus hervorgeht, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet.

Man beobachte sich indes auch selbst so genau wie möglich, auch dann, wenn man sich für absolut gesund erklärt. Gerade dies kann vielleicht ein Zeichen für das Gegenteil sein. Man wird dergleichen schon früher konstatiert haben. Will man also eines Tages eine Ballonfahrt unternehmen, möchte man nach dem Hundepark, um sich einen Bulldogg zu kaufen, tobt man wütend in einem Zwischenakte, weil man in einer Posse keinen Sinn und keinen Verstand entdeckt habe, legt man plötzlich eine Tischglocken-, eine Abreißkalender-, eine Pincenez-, eine Hosenträger-, eine Pferdebahnbillet-, eine Bleistift- oder eine Wachskerzchenkästchenbilder-Sammlung an, – diese Liste ist keine erschöpfende, – ergiebt man sich unerwartet dem Angelsport, fährt man wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Inserate nieder, um behufs späterer Verheiratung Damenbekanntschaft zu machen, verspürt man die Lust, eine rote Kravatte zu tragen, oder möchte man sich das Schnupfen angewöhnen, so verlasse man den Ort, an welchem man sich in solchem Augenblick befindet, und suche eine kühlere Gegend auf.

Findet während der Hundstage die Sitzung irgend einer parlamentarischen Körperschaft statt, und hat man so viel Zeit, daß man ein Stündchen auf eine ganz wertlose Sache verwenden kann, so entschließe man sich, in solche Sitzung zu gehen. Man wird Reden hören, welche von ernsten Männern über ganz ernsthafte Fragen gehalten, aber den Eindruck von Polterabendscherzen machen werden. Man erzähle aber nicht, daß man der Sitzung beigewohnt habe, da solcher Besuch leicht mißverstanden und als Folge der großen Hitze betrachtet werden könnte.

Während der Dauer der Hundstage sind als leichtere Anfälle anzusehen, so daß man nicht ängstlich zu werden und die Hoffnung auf einen guten Verlauf nicht aufzugeben braucht: Appetit auf Austern, ein Tanz im geschlossenen Raum, der Entschluß, ein Theater zu besuchen, Anschaffung einiger Goldfische, Etablierung einer Vogelhecke, Auftauchen der Absicht, sich photographieren zu lassen, den Grundstein zu einer Goldmünzensammlung zu legen, Sues Geheimnisse von Paris nochmals zu lesen und einem vorüberfahrenden Wagen der Feuerwehr nachzulaufen, um das betreffende Schadenfeuer zu beobachten. Hierher gehören auch: längere Betrachtung eines Mückentanzes, das Fliegenfangen, das Durchlesen alter Liebesbriefe, die Wette, daß in der kommenden Saison weniger als sechs Novitäten vom Publikum abgelehnt werden, das Hoffen auf einen Lotteriegewinn, das Verzehren von drei Portionen Vanilleeis und ähnliche fast wie Ausschreitungen aussehende Harmlosigkeiten.

Gattinnen und Gatten ist für die Hundstage eine noch größere gegenseitige Rücksicht auf Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten zu empfehlen, als sie an weniger heißen Tagen zu nehmen gewöhnt sind, da die Sonnenglut leicht aus einer leichten Verstimmung eine Scene zurechtkocht, deren Ende nicht so abzusehen ist, als das des Geschirrs, dessen Zertrümmerung als ein Beruhigungsmittel gilt.

Es mag hier ein Wort über Scenen überhaupt eingeschaltet sein, da solche im Sommer besonders leicht aufgeführt werden, wenn die Hitze das eheliche Blut erheblicher erregt macht. Hierbei will sich der moderne Knigge weder an den Mann, noch an die Gattin, sondern an beide zugleich wenden, da nach seiner Erfahrung das Talent, Scenen zu arrangieren gleichmäßig an die Geschlechter verteilt ist.

Eheliche Scenen sind im Winter und im Sommer gleich überflüssig, weil sie in den meisten Fällen zu nichts führen als zur Versöhnung. Aber sie sind auch überflüssig, weil sie langweilig sind, und das ist ihre schlimmste Eigenschaft, langweilig schon dadurch, daß sie sich überraschend ähnlich sehen. Aus diesem Grunde namentlich sollten sie unterlassen werden, vor allem aber im Sommer, wo alles, was warm macht, sorgfältiger als im Winter vermieden werden sollte.

In jeder Ehe vertritt das Regietalent, eine Scene herbeizuführen, entweder der Gatte, oder die Gattin. Beide haben es vielleicht in die Ehe mitgebracht, aber gewöhnlich hat er oder sie es allmählich verloren, wenn er oder sie das größere Talent an den Tag legte und dann vertrauensvoll das Arrangement dem anderen Teil überließ. Der moderne Knigge rät aber nicht dazu, dieses Thema auf die nächste Tagesordnung des Mittagsessens zu setzen, weil dadurch eine Scene unvermeidlich ist.

Man vermeide aber schon deshalb jede Scene, weil sie an einem bedenklichen Wachstum leidet. In den Flitterwochen war, wie man sich mit Vergnügen erinnern wird, die Scene nur klein, kaum nennenswert, eine Skizze. Dann wurde sie aber größer, je länger man sich auf dem Vormarsch zur silbernen Hochzeit befand. Aus der Scene wurde langsam, aber sicher ein Einakter und hierauf eine Komödie mit kurzen Zwischenakten, welche sich dann zu einem abendfüllenden Stück auswuchs.

Scenen sind gewöhnlich inhaltlos. Es fehlt ihnen wie den meisten modernen dramatischen Werken eine spannende Handlung. Statt deren bieten sie nichts als einen Dialog, der sich in den meisten Fällen um ein nichts dreht, um eine Vorgeschichte, die nicht der Rede wert ist, um ein Wort, das gefallen ist, oder um ein Wort, das nicht gefallen ist.

Im Sommer ist die Nervosität größer als im Winter und bedarf es daher auch wohl kaum mehr als eines Wortes zum Beginn der Scene. Es genügt schon das Schnellgehen, die verweigerte Droschke, der Regen vor Eintritt des Ausflugs, die heiße Suppe, die kalte Suppe, die Fliege in der Schlafstube, oder eine andere Kleinigkeit. Man vermeide daher namentlich jede Erregung über eine Kleinigkeit.

Steckt im Gatten etwas von einem Falb, so wird er schon in aller Frühe wissen, ob ein kritischer Tag im Anzuge ist. Dann sei er so vorsichtig, als sei er die Mutter der Weisheit in Person. Nützt ihm das nichts, so erinnere er sich des nun fünfzigjährigen Worts des Ministers v. Manteuffel: »Der Starke weicht einen Schritt zurück.« Ist er, was ja meist der Fall ist, nicht der Starke, so weiche er trotzdem einen Schritt zurück

Genügt ein Schritt nicht, so weiche er zwei Schritte zurück. Genügen diese nicht, so drei, vier und mehr. In Schritten sei man ein Verschwender. Es lohnt sich.

Dasselbe sei den Frauen gesagt, in erster Linie den sanften, welche sich immer einen Tyrannen ausgesucht haben, oder einen, der es durch ihre Sanftmut erst geworden ist. Ihr Zurückweichen hat darin zu bestehen, daß sie ihrem Nero Recht geben, wenn er es nicht hat.

Thränen sollten von Frauen nur im äußersten Notfall vergossen werden. Es giebt viele Frauen, die sie vom Blatt spielen. Durch häufiges Weinen verlieren die Thränen ihren Wert, so daß sie bald nicht höher als Glas- oder Wachsperlen notiert werden. Frauen, welche mit Thränen hauszuhalten wissen, bringen dagegen mit wenigen und zwar besonders mit heimlichen Thränen, die natürlich dem Gatten gezeigt werden müssen, große Wirkungen hervor, wenn eine Scene beendet werden soll. Allerdings ist das spärliche Thränenvergießen eine Kunst, die von den wenigsten Frauen geübt wird.

Die Rolle der Thränen der Frauen nehmen bei den Männern das Zuschlagen der Thüren, das Schreien und das Pfeifen von selbstkomponierten Melodieen ein. Von solchen Äußerungen ist dasselbe wie von den Thränen zu sagen: zu häufige Anwendung macht sie wertlos. Viele Frauen haben sich an das Thürwerfen, Schreien und Pfeifen gewöhnt, wie die Müller an das Klappern der Mühle; die schlafenden Müller wachen auf, wenn die Mühle nicht klappert. Die Männer sollten also mit ihren Geräuschen, welche nichts als das ohnmächtige Kettengerassel bedeuten, sparsam sein, wenn ihnen dies ihr Temperament irgendwie gestattet, und auf Mittel sinnen, ihre Frauen auf andere Weise zu amüsieren.

Es wird immer die Sache des Gatten bleiben, Scenen zu vermeiden, indem er den durch die größere Billigkeit empfehlenswerten Weg einschlägt, der Gattin schleunigst Recht zu geben und dann nachdenklich zu schweigen, einerlei, ob er die Scene selbst begonnen hat, oder durch die Gattin zum Eintritt veranlaßt worden ist. Versäumt er dies und läßt er sich auf die Scene ein, so bleibt ihm oft nur der Weg offen, der ihn dann zu Einkäufen von Geschenken führt, welcher also der kostspieligere ist. Vermeidet man diesen konsequent, so ist dies das zweite gute Mittel, die Scenen nicht zur Hausmannskost der Ehe anwachsen zu lassen.

Noch mag erwähnt werden, daß zur Beendigung einer Scene, in welcher der Gatte sich durch Pfeifen hervorthut, eine Melodie viel beiträgt, welche die Gattin gerne hört. Ist die Gattin Wagnerianerin, so pfeife der Gatte nur Leitmotive, oder: »O du mein holder Abendstern«. Auch: »Es giebt ein Glück, das ohne Reu‘« kann Wunder thun. Schwärmt die Gattin noch für den Tanz, so pfeife der Gatte den gerade Mode gewordenen Walzer, der sie möglicherweise an einen Bewunderer erinnert, mit dem sie im vergangenen Winter viel getanzt hat. Alles dies beruhigt.

Für Gattinnen und Gatten, denen die ehelichen Scenen Vergnügen machen und ein Bedürfnis geworden sind, sollen diese Zeilen nicht veröffentlicht sein. Die bittet der moderne Knigge um Entschuldigung, er will weder ein Vergnügen stören, noch erwachsenen Leuten gegenüber versuchen, sie zu veranlassen, lieber einen amüsanteren Sport als den Scenensport zu treiben. Er kann sich diesen zwar auf die Dauer nicht amüsant denken, weiß aber, daß der Geschmack verschieden ist. Er möchte nur noch hinzufügen:

Alle Großmächte erstreben den Frieden. Der Kaiser von Rußland rief sie sogar zu einer Abrüstungskonferenz zusammen. Daran sollten sich die Ehepaare ein Beispiel nehmen, namentlich solche, die nichts sehnlicher wünschen, als den Beginn des ewigen Friedens, daher dem Schritt, den der Zar auf dieser Bahn gethan, das glänzendste Lob erteilen, und die vor allem den Krieg verabscheuen. Wenn nicht alle, so müßten doch wenigstens diese Ehepaare versuchen, in ihrem Hause mit dem Abrüsten zu beginnen, um dem ewigen Frieden freies Entree zu verschaffen. Sollte sich unter allen Gatten nicht ein Ehe-Zar finden, der ein Abrüstungsmanifest veröffentlicht und eine Friedenskonferenz zusammenruft? Alle die Herren, welche den Kundgebungen zur Friedenskonferenz beigetreten sind, sollten gleichzeitig eine Agitation gegen die Fortdauer der häuslichen Scenen beginnen, eine Agitatition, die der moderne Knigge sogar für wichtiger hält, als ihre Beteiligung an dem Kampf gegen den Krieg. Vielleicht auch findet sich eine Gattin, die ein Blatt gründet: Die Scenen nieder! das gewiß weiblicher und nützlicher wäre, als das Blatt: Die Waffen nieder!

Jeder Sport wird übertrieben, nicht allein der eben erwähnte Scenensport, welcher eigentlich schon die geborene Übertreibung ist, weil er nicht einmal eines so großen Thieres wie der Mücke bedarf, um einen Elefanten daraus zu machen, sondern diesen Dickhäuter aus dem Nichts hervorstampft. Jeder andere Sport aber beginnt entweder aus einer Nützlichkeit oder aus einer Notwendigkeit heraus, um alsdann von seinen müßigen Anhängern übertrieben, verunstaltet, kompromittiert, lächerlich oder lästig, oder alles dies zugleich zu werden. Der moderne Knigge erinnert nur an das Rennen, das Sammeln, das Schwimmen, das Fußballspiel, das Bergsteigen, das Dichten, das Tanzen, das Knausern, das Süßholzraspeln, das Rauchen, das Zeitungslesen u. s. w. So ist natürlich auch das Radeln und zwar rascher als jeder andere Sport übertrieben worden, wenn man das Vierundzwanzigstundenradeln noch eine Übertreibung nennen und ihm damit schmeicheln will, statt es als eine Verrücktheit zu bezeichnen.

Will man einen Beweis für die Wahrheit des Spruchs »Ein Narr macht viele« geliefert haben, so suche man den Schauplatz einer solchen unbegreiflichen Narrheit auf, und man wird finden, daß man selbst die Zahl dieser vielen Narren vergrößert. Ist man allzu nachsichtig gegen sich selbst, so verzeiht man es sich, im anderen Fall nimmt man es sich dauernd übel. Man kann es sich aber nicht so übelnehmen, als einem dabei werden kann.

Man sehe sich die Teilnehmer an einem solchen Dauerradeln jedenfalls etwas näher an, um vollständig gegen die Versuchung, Kollege derselben zu werden, geschützt zu sein.

Um nicht mit zu verrohen, vergesse man alles rasch, was man in den betreffenden Radlerkreisen hört und sieht, auch versäume man gleichzeitig nicht, die Farbenblindheit der Behörden zu bewundern, welche jede Ausschreitung des Pöbels bestraft, aber das Dauerradeln duldet.

Will man endlich einmal sehen, in welch unnützer Weise das für bessere Zwecke so gut zu verwendende schöne Geld aus dem Fenster geworfen wird, so wohne man der Auszahlung der Preise an die sogenannten Sieger bei, welche gewöhnlich ein anständiges Handwerk erlernt haben, es aber jetzt vorziehen, sich mit dem Zweirad herumzutreiben und von der Thorheit der Menschen zu leben.

Verunglückt ein Dauerradler, so bezeichne man die Veranstalter der Dauerradlerei nicht als die Schuldigen. Man hat zwar, wenn man dies thut, das Richtige getroffen, aber man könnte doch wegen Beleidigung belangt und bestraft werden und würde obenein noch ausgelacht, was man ohnedies schon wird, weil man dem Unfug beigewohnt hat.

Hat man auch sonst noch Überfluß an Zeit, so denke man darüber nach, wie es denn möglich ist, daß jemand, der nicht imstande wäre, einen ganzen Tag unausgesetzt etwas nützliches zu thun, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ganz unnützerweise herumradelt. Da dieses Nachdenken ebenso unnütz und überflüssig ist, so spreche man nicht darüber, um nicht in Einem Atemzuge mit dem Dauerradler zusammen genannt zu werden.

Hat man noch niemals einen solchen Dauerradler gesehen, der sich nach Gebühr geschämt hatte, so wird man sich doppelt wundern, wenn man sehr vernünftigen Menschen begegnet, welche sich schämen, während des Sommers keine Reise gemacht zu haben. Es giebt deren. Anstatt einzugestehen, daß sie die Heimat für die beste Sommerfrische oder für den besten Badeort halten, erweisen sie sich als von der allgemeinen Reisewut angesteckt, welche zwar nicht zum Ausbruch gekommen ist, aber sich als von ihr derart ergriffen, daß sie meinen, man könne sich nur in den Strapazen der Sommerreise erholen. Man versage ihnen das Mitleid nicht.

Es wird von der Majorität aus zwei Gründen gesommerreist. Erstens will man die Frühlingsfrage: Wohin reisen Sie im Sommer? und zweitens will man die Herbstfrage: Wo sind Sie im Sommer gewesen? mit dem Namen einer entfernt liegenden Ortschaft beantworten können. Dies geschieht, weil man fürchtet, sich durch das Nichtreisen zu kompromittieren, indem man scheinbar zugäbe, nicht das nötige Geld zu haben, um es in Menge verreisen zu können. Hat man das nötige Geld, um es in Menge verreisen zu können, so nennt man dies: Etwas für die Gesundheit thun.

War man verreist und trifft dann einen Freund, der nicht verreist gewesen, so beneidet man diesen.

War man nicht verreist und trifft dann einen Freund, der verreist war, so beneidet man diesen.

Es kommt aber auch vor, daß man in beiden Fällen den Freund nicht beneidet. Dies ist in beiden Fällen der Fall, wenn man entweder von dem Freund hört, wie bequem es sich in der Heimat lebte, oder mit wie vielen Unbequemlichkeiten der Aufenthalt in der Fremde verknüpft gewesen.

Wenn man gerne einmal wenigstens auf kurze Zeit seine Bekannten entbehrt, – und wer entbehrte sie nicht gerne einmal, wenn nicht auf kurze, so doch wenigstens auf längere Zeit! – so bleibe man mutig daheim und reise nicht, denn die Bekannten sind in großer Zahl verreist, und man würde auf der Reise mit ihnen zusammentreffen, besonders da, wo man es nicht vermutet. Man weicht seinen alten Bekannten, welche man, wie bemerkt, einmal nicht gerne sieht, am sichersten aus, wenn man im Sommer die Heimat nicht verläßt. Wer aber im Sommer reist, hat sich die Bekannten selbst zuzuschreiben und sollte sich deshalb nicht beklagen.

Ist man daheim geblieben, so versäume man nicht, die Orte aufzusuchen, an welchen man vorher immer seine lieben alten Bekannten traf und später wieder treffen wird. Dann erinnere man sich ihrer Eigentümlichkeiten, Un- und Redensarten, Anekdoten, Langweiligkeiten, Rechthabereien, Unaufrichtigkeiten, Unliebenswürdigkeiten, üblen Gewohnheiten, guten Lehren, gern vorgetragenen Lebenserfahrungen und Erfolge im Würfeln. Hierauf sehe man sich um und entdecke lauter neue Gesichter und Gestalten. Man wird einen großen Genuß haben.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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