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Teil II

»Die meisten Menschen gehen in ein Rennen,

um zu sehen, wer der Schnellste ist.

Ich starte, um zu sehen, wer den meisten Mumm hat.«

Steve Prefontaine

In den Bergen von Santa Barbara
Sommer 2001

Chris Dickson, Chef von Larrys America’s-Cup-Team, stand hinter der geöffneten Bustür und starrte Bill Erkelens’ Sekretärin wütend an. Diese wiederum befand sich auf dem Gehweg und hielt ein Klemmbrett in ihren Händen.

»Steig in den Bus ein. Wir fahren«, sagte Dickson.

»Es fehlen noch zwei Leute, und Bill sagt, dass wir noch nicht losfahren können«, antwortete die Sekretärin.

Die 140 zu Oracle Racing gehörenden Männer und Frauen schwitzten in der Hitze und waren müde. Sie wollten das Pfadfinder-Camp verlassen, das sie in den bewaldeten Hügeln von Santa Barbara für ein Teambuilding-Wochenende gemietet hatten. Erkelens war bemüht, nicht selbst in Rage zu geraten. Er hatte dem Team gesagt, dass sie warten müssten, und war gerade dabei, einem Assistenten bei der Suche nach den Nachzüglern zu helfen, als er plötzlich lauter werdende Stimmen hörte.

»Wir müssen warten«, beharrte die Sekretärin.

Dickson stieg die Stufen herab und baute sich direkt vor der Sekretärin auf, die im sechsten Monat schwanger war.

»Nein«, sagte Dickson. Er pochte ihr mit seinem Zeigefinger auf den Brustkorb und machte seinem Ärger in verändertem Tonfall mit wütenden Worten Luft: »Wir … werden … jetzt … fahren.«

Erkelens stand ganz in der Nähe. Bewegungsunfähig. Ganz im Gegensatz zum Ehemann der Frau. Er war einer der Köche des Teams, stürzte nun vom hinteren Teil des Busses nach vorn und konnte gerade noch aufgehalten werden, bevor er Dickson erreichte. »Nimm sofort deine verdammten Hände von meiner Frau«, schrie der stellvertretende Küchenchef aus dem Inneren des Busses.

Erkelens schüttelte den Kopf. Und das alles nach einem Wochenende, an dem es um Teamgeist gegangen war. Er hatte alles in seiner Macht Stehende für einen besseren Zusammenhalt getan, Barbecues mit dem Team veranstaltet, an Freitagabenden ganze Restaurants für das Team gebucht und nun sogar zum Preis von 50 000 US-Dollar ein ganzes Wochenende für ein besseres Miteinander organisiert. Doch statt der erhofften Einheit hatte die Spannung zwischen den amerikanischen Seglern und Bootsbauern, die mit »AmericaOne« gekommen waren, und den Kiwi-Seglern und Bootsbauern aus dem SAYONARA-Team noch weiter zugenommen.

Dickson sah es so: Der Erwerb des AmericaOne-Pakets beinhaltete eine giftige Pille – die Leute. Die AmericaOne-Crew verhielt sich arrogant gegenüber der von Kiwis beherrschten SAYONARA-Crew und war überzeugt, dass es ihre Kampagne war, in die Larry sein Geld pumpte. Nach Erkelens’ Ansicht waren in Wirklichkeit die Kiwis besser. Sie arbeiteten härter, hatten mehr Talent und stellten weniger Ansprüche. Darin waren sich Erkelens und Dickson sogar einig. »Wenn ein Müllberg beseitigt werden muss«, sagte Dickson, »dann werden die Amerikaner im Team zunächst darüber debattieren, wie das zu geschehen hat und wer es macht. Gleichzeitig werden die Neuseeländer sich die Schaufeln greifen und den Haufen einfach beseitigen.« Auch innerhalb der Organisationsstruktur schien sich jede Gruppe der anderen überlegen zu fühlen: Die Ingenieure hatten den Verstand, die Segler aber die Muckis. Und die Landmannschaft hatte gar beides. So oder ähnlich schienen die sich bekriegenden Gruppierungen zu denken.

An dem Wochenende in Santa Barbara hatten sie alle teilgenommen: die Ingenieure, die Bootsbauer, die Manager, die Sekretärinnen, die Landmannschaft, die Köche, die Trainer und die Segler. Erkelens hatte die bekannte britische Firma Enabling Visions angeheuert. Deren Motto lautete »Die Kunst des Erfolgs«. Die Agentur arbeitete mit Sportmannschaften und größeren Unternehmen und rühmte sich ihrer Mitarbeiter, die aus den Reihen früherer Marinesoldaten rekrutiert wurden. Erkelens arbeitete sich in die Grundlagen einer America’s-Cup-Kampagne ein, in deren Rahmen Teammitglieder entwurzelt werden und ihr Zuhause zurücklassen müssen. Sie müssen sieben Tage die Woche zusammen arbeiten und zusammen leben. Der Wettbewerb läuft über Jahre. Das sich ständig verändernder Umfeld erfordert eine konstant hohe Motivation sowie die Fähigkeit zur Anpassung.

America’s-Cup-Veteran Tom Ehman, Oracle Racings Chef für externe Angelegenheiten, hatte Erkelens gewarnt: »Der America’s Cup besteht aus drei Jahren voller Besprechungen, bevor ein Segelrennen folgt.« Erkelens eigenes Familienleben war dem operativen Geschäft angepasst worden. Erkelens nannte seine Kinder SAYONARA-Kids. Sein Sohn Josh war 1998 geboren worden und fünf Jahre alt, als die Familie ans Mittelmeer umsiedelte, um sich auf den King’s Cup vorzubereiten. Ashley kam im Jahre 2000 in Neuseeland zur Welt. Seine Frau Melinda war die Anwältin des Teams.

Es waren immer noch zwei Jahre bis zum Beginn der Rennen der neun Herausforderer, die um das Recht stritten, Team New Zealand im Kampf um den America’s Cup herausfordern zu dürfen. Doch schon jetzt absolvierten die Teammitglieder zwölf- bis 16-stündige Arbeitstage. Es ging zum einen um Organisation und Management für die alten Boote, zum anderen um Konstruktion, Design und Bau der beiden neuen. Da waren das Marketing, die Betreuung von Firmenkunden, das Sponsoring, der Vertrieb von Teamprodukten, die Markenentwicklung, die Pressearbeit und die Geschäftsführung. Es galt, sich um die Teambekleidung zu kümmern, um die Verpflegung, die Unterkünfte und die Versicherung für mehr als 140 Menschen aus 16 verschiedenen Ländern. Teile mussten verschifft werden, darunter Segel, Rümpfe, Ausrüstung und Begleitboote. Dazu kam der Papierkram für die Zollbehörden, der schon für sich genommen Kopfschmerzen verursachte. Der ganze Betrieb kostete den Boss erstaunliche 100 000 US-Dollar pro Tag. Sie führten Sponsoring-Gespräche mit mehreren Großunternehmen, doch noch gab es keine unterzeichneten Verträge.

Erkelens, der als Kind davon geträumt hatte, im Winter als Gebirgsjäger auf Skiern und im Sommer als Segelboot-Designer zu arbeiten, hatte seinen Universitätsabschluss als Industriedesigner mit Schwerpunkt Herstellung gemacht. Er hatte damit gerechnet, dass er nach dem Abschluss für ein großes Unternehmen in der Warenproduktion arbeiten würde. Bereits während seiner Collegezeit hatte er an Segelbooten gearbeitet, um sich etwas Geld dazuzuverdienen. Einer seiner Kunden war David Thomson gewesen, jener Nachbar, der Larry Ellison ermutigt hatte, in die Regattaszene der Maxis einzusteigen. Erkelens war sehr versiert im Einmaleins von Bootsbaukunst und -design, ebenso in Betriebswirtschaft. Doch nichts, wirklich gar nichts hatte ihn auf die aufgeblasenen Egos der Segelsuperstars, die Risse im Team, die Anspannung und das Gerangel um die Positionen vorbereitet. An Bord von SAYONARA war alles einfacher gewesen. Da wurden Segler für ein Rennen verpflichtet, trafen in der Vorbereitungsphase ein, leisteten während der Regatta ihren Beitrag und reisten wieder ab. Einige von ihnen wurden für die nächste Regatta verpflichtet, andere nicht. Die Segler – so auch Dickson – waren unabhängige Dienstleister. Auch Dicksons Rolle war genau umrissen: Er war entweder Steuermann oder – wenn Larry steuerte – der Coach. Brad Butterworth, entspannt und professionell im Auftritt, diente SAYONARA als Taktiker, als »Augen auf dem Wasser«. Er hatte Windwechsel und Geschwindigkeit im Abgleich zur Konkurrenz im Blick, wobei er gleichzeitig die nächsten Schritte der Gegner antizipierte. Zu SAYONARAS festangestellten Mitarbeitern zählten Erkelens, seine Frau und noch ein oder zwei andere.

Nach vier Jahren mit Teilnahmen an Veranstaltungen rund um den Globus hatte SAYONARA bei den Maxis vier WM-Titel in Folge gewonnen und nicht eine einzige küstennahe Regatta verloren. Diese Siegesserie war 1999 einmal fast unterbrochen worden, als Larry sich bereit erklärt hatte, CNN-Gründer und Turner-Broadcasting-Vorstand Ted Turner das SAYONARA-Steuer zur Cowes Race Week zu überlassen. Turner, der den America’s Cup 1977 mit COURAGEOUS gewonnen hatte und insgesamt viermal zum Rolex-Segler des Jahres in den USA gewählt worden war, segelte nicht besonders gut und fand sich nach den Vorrennen und der ersten Wettfahrt der Regatta im hinteren Teil der Flotte wieder.

In jener Nacht rief Larry Erkelens an und bat ihn, an Bord seiner Yacht KATANA zu kommen. »Ich habe genug gesehen«, sagte Larry zu Erkelens, »Ted steuert nicht besonders gut. Ich nehme mir mein Boot zurück. SAYONARA hat bislang immer alle Kurzrennen gewonnen. Wir werden jetzt nicht mit dem Verlieren beginnen. Ich werde alle Rennen der Cowes Week steuern.« Er sagte, Turner könne SAYONARA für das Fastnet Race haben. »Da kann er dann steuern, soviel er will«, sagte Larry, »ich werde dem Steuer nicht einmal nahe kommen.«

Am nächsten Morgen musste Erkelens mit dem Begleitboot zu Turners Yacht fahren, um ihm die Botschaft zu überbringen. Erkelens war mit großem Respekt für Turner aufgewachsen. Dessen Frau Jane Fonda hatte einmal auf seine Kinder aufgepasst. Erkelens war von Turner beeindruckt gewesen, der seine Mitsegler stets mit Namen begrüßte, seine Mannschaftstreffen gut führte und sich am Ende eines Regattatages bei jedem persönlich für seine Zeit und seinen Einsatz bedankte.

Gleich nach der Begrüßung an Bord kam Erkelens beim Frühstück von Ted und Jane zur Sache.

»Es tut mir wirklich leid, Ted, aber Larry will sein Boot wiederhaben«, sagte Erkelens. Er war sich der Tatsache bewusst, dass er einem America’s-Cup-Gewinner sagte, er sei nicht gut genug zum Steuern von SAYONARA.

Turner schaute Erkelens an, als verstünde er nicht, was dieser ihm gerade gesagt hatte.

Erkelens entschuldigte sich und sagte: »Es tut mir leid. Ich bin nur der Überbringer der Nachricht.«

Ab dem zweiten Rennen steuerte Larry – und SAYONARA gewann die Cowes Week. Am Tag danach startete das Fastnet Race. Die Langstrecke startet vor Cowes auf der Isle of Wight, führt ihre Teilnehmer durch den Englischen Kanal und die Irische See einmal um den Fastnet-Felsen vor der Südwestküste Irlands herum und zurück in östlicher Richtung zur Ziellinie vor Plymouth an der englischen Südküste. Mit Turner am Steuer erlitt SAYONARA ihre schlimmste Niederlage. Sie erreichte die Ziellinie nach Booten, gegen die sie zuvor nie verloren hatte und gegen die sie nie wieder verlieren würde. Larry verbrachte die gesamten drei Renntage schlafend unter Deck, kam nur zu den Mahlzeiten herauf – und um herauszufinden, wie weit sie hinter den führenden Booten zurücklagen. Er schwor, dass er sein Boot nie wieder einem anderen leihen würde. Später sagte er zu Erkelens: »Das Regattasegeln ist heute ganz anders als noch zu Teds Zeiten. Es wird nicht mehr länger von den Eigengewächsen der Yacht-Clubs bestimmt, sondern von Profis, die diese schöne neue Welt dominieren.«

Als Turner den America’s Cup 1997 gewonnen hatte, hatte ihn das Rennen keine drei Millionen Dollar gekostet. Inzwischen hatten sich die Budgets der 100-Millionen-Dollar-Grenze genähert. Die besten Segler und Taktiker agierten auf den unglaublichsten Booten, die von den klügsten Design-Köpfen erdacht und für Geld zu haben waren. Sie agierten auf einem unberechenbaren flüssigen Rennkurs, auf dem es für Geschwindigkeiten keine Grenzen gab. Erkelens tat sein Bestes, um sein Team vorzubereiten.

Im Lager in den Hügeln von Santa Barbara waren die Nachzügler inzwischen gefunden worden. Alle, sogar Dickson, hatten sich inzwischen wieder beruhigt und saßen auf ihrem Platz. Die Busse konnten nun in das 32 Kilometer entfernt liegende Basiscamp in Ventura zurückkehren.

Während er aus dem Fenster schaute, sinnierte Erkelens über die Höhen und Tiefen des hinter ihnen liegenden Wochenendes. Es hatte fast so qualvoll begonnen, wie es geendet hatte. Sie hatten die erste Nacht vor der Ankunft im Lager noch in einem Hotel verbracht und waren dort von einem inspirierenden Redner namens Alan Chambers begrüßt worden. Dieser hatte einst das erste erfolgreiche britische Team ohne Unterstützung von außen von Kanada zum Nordpol geführt und sprach nun darüber, was es zur Planung und Durchführung einer Spitzenleistung bedürfe. Chambers beschrieb, wie er fünf Jahre in die Planungen und Erkundungen für die Expedition investiert hatte. Er hatte mit Inuit-Familien gelebt und während seiner zehn Wochen im Eis gefahrenvolle Momente überstanden, in denen er einmal sogar allein auf einem Eisberg abgetrieben war.

Tugsy Turner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hörte zu, sein Kinn hielt er dabei auf die Hände gestützt. Er hatte schon befürchtet, dass sich dieses Wochenende als Pleite entpuppen und nur Zeit für die Arbeit an den Booten stehlen würde. Er hörte zu und bemühte sich um Aufgeschlossenheit, während Chambers vom Umgang mit Widrigkeiten berichtete. Tugsy begann abzuschalten, als Chambers sagte, dass »alle als Team zusammenarbeiten« und »es gemeinsam erreichen« müssten. Als Chambers sagte, dass »die Grenzen nur in der Vorstellungskraft existieren« und eine gefühlte Stunde über »einsam treibende Eisberge« sprach, rollte Tugsy mit den Augen. Erkelens zuckte zusammen.

In der ersten Nacht im Pfadfinder-Camp war das Team in vier Gruppen mit jeweils 35 Leuten aufgeteilt worden: Rot, Blau, Gelb und Grün. Nachdem sie ihre Taschen in den Schlafbaracken zurückgelassen hatten, wurden die Teammitglieder aufgefordert, große Zelte aufzubauen, die am nächsten Tag gebraucht würden. Diese Aufgabe sollte sie vermutlich dazu animieren, von Beginn an als Team zu operieren. Den Teams wurde eine ganze Reihe weiterer Aufgaben gestellt, zu deren Bewältigung die Farbgruppen noch einmal in jeweils vier Teams unterteilt wurden. Als die erste Übung darin bestand, für diesen Tag einen Anführer zu wählen, war Tugsy klar, dass es direkt lustig losgehen würde. Er musste sich bemühen, nicht laut loszulachen, als der amerikanische Star Cayard und der neuseeländische Skipper und Taktiker Dickson um die Position rangen. Die Szene wirkte wie der Kampf zweier Jungs um ein neues Spielzeug. Dickson und Cayard, aber auch einige andere, bewarben sich im Cup-Team um die Skipper-Position. Die Situation erinnerte an die Zeit, in der sowohl Steve Young als auch Joe Montana für die San Francisco 49ers spielten. Doch Dickson und Cayard kamen in etwa so gut miteinander aus wie die Basketball-Stars Shaquille O’Neal und Kobe Bryant oder die Baseball-Legenden Barry Bonds und Jeff Kent. Nämlich gar nicht.

Während der Übungen für mehr Teamgeist lief es schließlich darauf hinaus, dass Cayard sein Team führte. Sie bauten Brücken und arbeiteten daran, ihre Leute über Strickleitern und Felsen auf die andere Seite zu bringen. Erkelens schöpfte ein bisschen Mut, als er die Designer und Segler dabei beobachtete, wie sie gemeinsam am Lagerfeuer saßen oder im Pool Wasserball spielten. Was Erkelens aber nicht gesehen hatte – und erst jetzt im Bus nach und nach hörte –, waren die Grabenkämpfe, die in den Gruppen ausgebrochen waren. Sogar im Pool.

Der Busvorfall bestätigte Erkelens’ Sorge, dass Dickson, den alle nur »Dicko« nannten, offenbar noch eine andere Seite hatte. Als sich der Bus Ventura näherte, hatte Erkelens beschlossen, dass er darüber mit Larry würde sprechen müssen. Larry hatte fünf Maxi-Weltmeisterschaften mit Dickson als Taktiker gewonnen.

Erkelens wusste, dass sein Boss mehr an Leistung als an Persönlichkeit interessiert war. Darüber hinaus würde Larry eine Teambuilding-Veranstaltung wie diese vermutlich als dämlich abtun. Das Problem war, dass Larry Dickson noch nie so aus dem Gleichgewicht geraten erlebt hatte. Außer im Sydney-to-Hobart-Race. In dem Fall aber fiel Dickson nicht weiter auf, weil ohnehin alle seekrank waren.

Larry hatte noch nicht gesehen, was die anderen erlebt hatten: die Beinahe-Faustkämpfe an Bord mit den eigenen Teammitgliedern oder das zänkische Verhalten. Larry hatte nur Siege erlebt, zu denen Dickson als Taktiker beigetragen hatte. Dickson war ein großartiger Segler. Vielleicht der beste von allen. 1987 war er im Alter von erst 26 Jahren Skipper der ersten Cup-Kampagne Team New Zealands gewesen. 1992 hatte Dickson auch das japanische Team als Skipper geführt, das im Louis Vuitton Cup Platz drei belegte. Und er war 1995 Initiator und Skipper einer in Neuseeland beheimateten und von TAG Heuer gesponserten Kampagne, die ebenfalls Platz drei in der Herausfordererserie erreichte. Doch Dickson war ebenso aufbrausend wie talentiert. In Seglerkreisen galt er als harter Knochen.

In den Match Races zwischen den Teammitgliedern ging es vor der Küste von Ventura immer hitziger zu. Dickson überzog seine Crew mit Verbalattacken wie diesen: »Du bis ein verdammter Idiot und solltest gar nicht auf dem Boot sein dürfen« oder »Du bist ein Blender« oder »Wie kannst du damit nur deinen Lebensunterhalt verdienen?«.

Glücklicherweise mangelte es aus Erkelens’ Sicht nicht an Leistungsträgern, falls Dickson das Team würde verlassen müssen. Erkelens hatte Vertrauen in die anderen Segler, die sich um die Position des Steuermanns bewarben: Cayard und Peter Holmberg von den Amerikanischen Jungferninseln, der bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul vor Pusan Silber in der Einhandklasse Finn gewonnen hatte. Dazu der in England geborene John Cutler, der in der gleichen Bootsklasse in Pusan Bronze gewonnen hatte.

Erkelens wusste, dass Larry für Überlegungen anderer Menschen durchaus zugänglich war. Er wusste aber auch, dass Larry in der Geschäftswelt gerade deswegen nahezu einzigartig erfolgreich war, weil er allgemein herrschende Meinungen in der Regel ignorierte. Erkelens hatte miterlebt, wie schnell Larry Entscheidungen treffen und damit alle überraschen konnte.

Atherton/Kalifornien
September 2001

»Mr. Ellison, machen Sie sofort den Fernseher an«, sagte ein Mitglied seines Hauspersonals, das in sein Arbeitszimmer gestürmt kam. Es war noch früh am Morgen des 11. September 2001, und Larry war bereits vor Sonnenaufgang auf den Beinen gewesen. Ein arbeitete in seinem Büro mit Ausblick auf den japanischen Garten seines Anwesens in Atherton. Er schaltete CNN gerade in dem Moment ein, in dem eine Boeing 767 in den Südturm des World Trade Centers in New York krachte. Als Pilot wusste er, dass es sich hier auf keinen Fall um einen Unfall handeln konnte, wie es in einigen Spekulationen angenommen wurde. Ein weiteres Flugzeug war 15 Minuten zuvor in den Nordturm gerast. Binnen Minuten würde ein drittes Flugzeug auf das Pentagon stürzen und ein viertes, ursprünglich auf dem Weg nach San Francisco und als Flug Nummer 93 identifiziert, auf ein Feld in Pennsylvania.

Larry wählte die Nummer von Safra Catz, einer guten Freundin und treuen Wegbegleiterin bei der Oracle Corporation. Catz und Larry hatten sich 1986 kennengelernt, als sie noch bei Donaldson, Lufkin und Jenrette arbeitete, jener Investment-Bank, die den Börsengang seines Unternehmens durchgeführt hatte. Sie wurde 1999 von Oracle eingestellt und diente ihm nun als Assistentin und erledigte so viel Arbeit des CEOs, wie sie nur konnte.

»Wen haben wir im World Trade Center?«, fragte Larry, der immer noch seinen Frotteebademantel trug. Angesichts von mehr als 100 000 Mitarbeitern in aller Welt, war er überzeugt, dass es Verluste gegeben hatte. »Wir brauchen schnellstmöglich die Namen und die Kontakte zu den Familien.«

Nachdem er etwa ein Dutzend E-Mails verschickt hatte, nahm Larry ein schnelles Frühstück – Flunder, Reis, ein weich gekochtes Ei und grünen Tee –, zog sich an und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Es dauerte nicht lange, bis Larry erfuhr, dass Oracle sieben Mitarbeiter in den Türmen verloren hatte. Darunter einen Mann, der in das Gebäude zurückgekehrt war, um anderen zu helfen. Er erfuhr außerdem, dass ein Kundenbetreuer namens Todd Beamer an Bord des todgeweihten Fluges Nummer 93 von Boston nach San Francisco gewesen war. Beamer schien den Kampf gegen die Terroristen in der Kabine angeführt zu haben, der sie vom Erreichen ihres eigentlichen Ziels abgehalten hatte. Larry hatte die Namen und die Telefonnummern der Familien und verbrachte in seinem Oracle-Büro in Redwood Shores im elften Stock viele Stunden mit Kondolenz-Telefonaten.

In den folgenden Tagen blieben die New Yorker Börse, die Amerikanische Börse und die NASDAQ geschlossen. Larry hörte sich die Vorschläge seiner Manager und Angestellten an. Viele waren dafür, Oracle aus Respekt vor den Opfern ebenfalls zu schließen.

»Oracle kann niemals schließen. Wir sind nicht Macy’s, und wir sind nicht die NASDAQ«, sagte Larry in einer Konferenzschaltung, »das Heer und die Marine, das Marinekorps und die CIA sind alle von unseren Systemen abhängig. Jeden Tag. Jeder, der mit dieser Krise zu tun hat – die Polizei, die Feuerwehr, die Krankenhäuser –, arbeitet 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Sie erwarten von uns das Gleiche.«

Nach dem Durchstarten mit Software Development Laboratories im Jahre 1977 und dem Gewinn seines ersten großen Kunden, der CIA, hatte Larrys Unternehmen eine Reihe von Regierungsdiensten auf sich aufmerksam gemacht, die alle daran interessiert waren, riesige Datenmengen in kurzer Zeit zu verarbeiten. Zu den ersten Kunden der Oracle Corporation zählten der Geheimdienst der Streitkräfte (Defense Intelligence Agency) und die NSA (National Security Agency). (Der Name des Unternehmens war 1979 von Software Development Laboratories in Relational Software, Inc., und 1982 in Oracle Systems Corporation geändert worden.)

Oracles relationale Datenbank ermöglichte es diesen Diensten, riesige Datenmengen zu durchsuchen und zu filtern, um das eine kleine gesuchte Puzzleteil zu finden.

In seinem Büro zu Hause – mit Samurairüstungen und Kunstobjekten aus dem 16. Jahrhundert erlesen dekoriert – arbeitete Larry mit Catz und anderen daran, einige der ausgebombten Pentagon-Mitarbeiter in verschiedenen Oracle-Gebäuden in der Washingtoner Gegend unterzubringen. Larry verfolgte die Aufdeckung der Attentate, erfuhr, dass es für einen der Terroristen einen noch nicht vollstreckten Haftbefehl in Broward County in Florida gegeben hatte und dass die CIA nach anderen gefahndet hatte, weil sie in Kontakt zu Osama bin Laden gestanden hatten. Ihm fiel auf, dass sie vom Besteigen der Flugzeuge hätten abgehalten werden können, wenn die CIA ihre Ausweise kontrolliert hätte. Während er hörte, dass der in Ägypten geborene Terroristenführer Mohammed Atta in den Vereinigten Staaten eine Pilotenausbildung absolviert hatte, zog er seinen eigenen Pilotenschein aus der Tasche. Er war auf einem mieseren Papier gedruckt als ein gefälschter Teeny-Ausweis.

Larry war klar, was getan werden musste: Den Terroristen das Leben schwerer machen, indem man die unzähligen nationalen Datenbanken in einer einzigen Datenbank zusammenfasste, die eine Liste der Namen von Personen beinhaltete, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. Neben dieser einen übergreifenden Datenbank mit einer Überwachungsliste für Terroristen müssten die Dienste des Landes das Fälschen von Ausweisen, Führerscheinen, Pilotenscheinen und Pässen deutlich erschweren. In einem im »Wall Street Journal« veröffentlichten Kommentar forderte Larry die Einrichtung einer zentralen Datenbank – anstatt 50 verschiedener – mit Zugang für alle Dienste und bessere Ausweise. »Wir sollten uns unsere bestehenden Ausweise genau ansehen und sie fälschungssicherer gestalten«, schrieb er, »nachdem wir das getan haben, sollten wir eine zentrale Datenbank einrichten, mit deren Hilfe wir die Spuren von Ausländern verfolgen können, die in dieses Land kommen.« Er sagte, es sei an der Zeit, die Datenbanken der Regierung wie etwa die der Sozialversicherungsbehörde und der Strafverfolgungsbehörden in einer nationalen Zentraldatenbank zusammenzuführen. Diese würde von der Regierung verwaltet und betrieben werden.

Oracle würde die Software dafür bereitstellen. Kostenlos.

Noch nie hatte Larry so viel zu tun gehabt. Zusätzlich zu den Bemühungen um die Stärkung des nationalen Sicherheitssystems stand er auch vor der Herausforderung, Oracle zu sanieren. Wie viele andere Großunternehmen hatte auch Oracle infolge der Terror anschläge einen gewaltigen finanziellen Schlag erlitten. Als die Börsen am 17. September nach ihrer längsten Schließung seit der Weltwirtschaftskrise wieder geöffnet wurden, war der Dow-Jones-Aktienindex um 684 Punkte gesunken – es war der größte Punktverlust seiner Geschichte. Die Oracle-Aktien waren ebenso betroffen wie der gesamte Technologiesektor. Ihr Börsenwert lag nun bei zehn US-Dollar im Vergleich zum Vorjahreswert von 38 Dollar. Oracles Vierteljahresbericht, der vor Wiedereröffnung der Börsen veröffentlicht worden war, las sich kurz und bündig: Im ersten Vierteljahr konnte ein Nettogewinn von 511 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 2,2 Milliarden Dollar erzielt werden. Der Gewinn pro Aktie war im Vergleich zu acht Cent im ersten Vierteljahr 2000 auf neun Cent angestiegen.

Das Unternehmens-Statement zu den Gewinnen lautete: »Infolge der Terroristenangriffe gegen die Vereinigten Staaten von Amerika veröffentlicht die Oracle Corporation ihre Q1-Vierteljahresbilanz ohne Kommentar und Einzelheiten. Sieben Oracle-Mitarbeiter werden im World Trade Center vermisst, einer starb auf dem United-Flug Nummer 93. Unsere Herzen und Gedanken sind bei den Familien, die ihre Angehörigen verloren haben. Wir beten dafür, dass noch weitere Überlebende gefunden werden. Wir konzentrieren unsere Anstrengungen und Energie nun darauf, den staatlichen Organen wie der Sozialhilfebehörde, dem Verwaltungsgericht, den Geheimdiensten und dem Militär im Umgang mit diesem nationalen Notfall zu helfen. Unsere Leute, unsere Computer und unsere Einrichtungen erhalten neue Aufgaben und werden die Behörden dabei unterstützen, ihren durch die Angriffe unterbrochenen Betrieb wieder aufzunehmen.«

Larry flog zu Meetings mit den wichtigsten Sicherheitsleuten des Landes nach Washington, traf dort unter anderem den FBI-Chef Robert Mueller, den CIA-Leiter George Tenet und auch die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein, stellvertretende Leiterin des Geheimdienstausschusses. Zuerst galt es, die steinalten Computersysteme des FBI zu modernisieren, die im Vergleich zu der modernen Oracle-Technologie der CIA ziemlich blass aussahen. Larry stellte in jedem Gespräch und in jedem Interview immer wieder klar, dass er nicht die Neuerfindung der nationalen Personalausweise forderte. Aber er schlug vor, auch bereits ausgestellten Ausweisen biometrische Daten hinzuzufügen und die bislang getrennten Datenbanksysteme von CIA, FBI, INS und IRS zu einer DatenbankÜberwachungsliste zusammenzuführen.

Nachdem er eines Nachts von einer Reise in die Hauptstadt zurückgekehrt war, griff Larry auf der Suche nach Zerstreuung nach seiner Gitarre. Das Spielen entspannte ihn nicht. Es lenkte ihn ab. Ihm gefiel das Üben und die damit verbundene Herausforderung, besser zu werden. Er hatte in den Anfängen zunächst Folk-Musik gespielt und dabei gedacht, dass die Gitarre sicher die Mädels beeindrucken würde. Doch dann hatte er sich auch mit Bach und Mozart beschäftigt und dabei Mozart als sehr viel schwieriger empfunden. Er las auch wieder mit Heißhunger. Unter den Büchern auf seinem Nachttisch fanden sich Titel wie »Fate is the Hunter: A Pilot’s Memoir« von Ernest K. Gann, »The Jordan Rules« von Sam Smith und William Manchesters mehrere Ausgaben umfassende Biografie von Winston Churchill. Nach dem 11. September dachte Larry öfter darüber nach, wie es gewesen sein musste, im England der frühen 1940er-Jahre gelebt zu haben, in denen der unsichere Ausgang des Zweiten Weltkriegs Beziehungen zwischen Menschen größeres Gewicht verliehen und den Alltag kostbarer erscheinen lassen hatte.

Seine Prioritäten waren klar – der America’s Cup musste vorerst aufs Abstellgleis geschoben werden. Es gab auch weniger Zeit für einige andere neue Spielzeuge, die schon seit geraumer Zeit in Arbeit waren: ein 35-Millionen-US-Dollar-Düsenjet und eine 456 Fuß lange Yacht mit der Länge von eineinhalb Football-Feldern. Die neue Yacht namens RISING SUN würde fünf Decks haben, ein Fitnessstudio, Spa, Sauna, Weinkeller, Privatkino und einen Basketballplatz. In der Zwischenzeit wurde sein neues Anwesen in Woodside entworfen und bebaut, das bis zur Fertigstellung etwa 100 Millionen US-Dollar kosten würde. Obwohl Larry nicht die Absicht hatte, diese Projekte in irgendeiner Weise zurückzufahren, nahm er sich doch vor, weniger Zeit mit Spielereien zu verbringen, die im Licht der jüngsten Ereignisse frivol erschienen. Dinge wie die Familienferien auf den Britischen Jungferninseln, wo er so gern surfte, würden warten müssen.

In den Wochen nach dem 11. September sprach Larry immer wieder auch mit Bill Erkelens. Oracle Racings Trainingslager war nach den Angriffen für zwei Tage geschlossen worden. Das Team bereitete sich auf den Umzug in sein dauerhaftes Quartier in Auckland vor, und Erkelens war frustriert darüber, dass Larry, der seine Steuermann-Ambitionen deutlich gemacht hatte, bislang nur ein einziges Mal ins Trainingslager nach Ventura gekommen war. Die Flugzeit vom Airport San Carlos, wo einige von Larrys Flugzeugen standen, betrug nach Ventura nur eine Stunde. Angesichts dessen fragte Erkelens sich, wie er Larry jemals zum sehr viel weiteren Weg nach Neuseeland bewegen könnte. Als das Syndikat gegründet worden war, sollte Larry die Rolle des CEO übernehmen, Erkelens die des leitenden Geschäftsführers. Zurzeit aber erledigte Erkelens beide Jobs, weil Larry einfach nicht vor Ort war. Es war klar, dass er seine Gedanken woanders hatte. Die Ereignisse des 11. September hatten Larry einen neuen Feind beschert. Einen, der nicht an Regatten teilnahm.

Um immer auf der sicheren Seite zu sein, konnte Larry einfach nicht mit dem Arbeiten aufhören, wenn er sich auch nur im Entferntesten dem Risiko eines Misserfolgs ausgesetzt sah. Wie die meisten Überflieger war er dabei weniger von der Aussicht auf Erfolg als vielmehr von der Angst vor dem Versagen getrieben. Er hatte Oracle nicht aufgebaut, um reicher als Bill Gates zu werden. Stattdessen ging es immer darum, dass Oracle Microsoft besiegte. Er war Teil des Oracle-Teams und wollte, dass sein Team jeden Rivalen schlug.

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