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3. Kapitel. Mazarin

Der König schritt, nur von einem Kammerdiener begleitet, dem Flügel zu, wo der allgewaltige Diplomat wohnte. Inzwischen trat aus einem kleinen Kabinett, das von dem Vorzimmer – dem Aufenthalt des Wachthabenden – durch eine dünne Bretterwand getrennt war, der Offizier mit dem Schnauzbart und kehrte leise an seinen früheren Platz zurück. Er hatte mitangehört, was zwischen den beiden Königen gesprochen worden war. Er schüttelte den Kopf und sprach in gaskognischem Dialekt: »Fürwahr, ich diene da einem traurigen Herrn!«

Darauf ließ er sich in seinen Lehnstuhl fallen, streckte die Beine von sich und schloß die Augen.

Mazarin hatte einen leichten Anfall von Gicht gehabt und war zeitig zu Bett gegangen. Aber er schlief noch nicht, sondern arbeitete an einem Pult, das er sich auf das Bett hatte legen lassen. – »Diese verwünschten Zahlen,« sprach er, während er seinem Kammerdiener Bernouin in die Feder diktierte. »Hast du geschrieben? – 3 900 000 Livres auf Lyon – 7 Millionen auf Bordeaux – 4 Millionen auf Madrid. Das Geld gehört dem König, Bernouin, ich zahle des Königs Geld. Die Leute sind verrückt, wenn sie mich für unermeßlich reich halten. Albernes Geschwätz das! Hast du geschrieben? Weiter! Allgemeine Einkünfte 7 Millionen – Grundbesitz 9 Millionen – Kassenbestand 600 000 Livres – Mobiliar verschiedener Schlösser 2 Millionen – was macht das alles zusammen, Bernouin? Sind 40 Millionen voll?«

»Nein, Eminenz, es fehlen daran noch 740 000 Livres.« – »Nicht einmal 40 Millionen!« rief Mazarin, wie bei sich selbst. »Diese Summe muß erreicht werden. Aber wie? Ich werde alt, wer weiß, ob mir noch Zeit verbleibt. Ei nun, ich werde aus Spanien noch etwas herausschlagen können. Die Leutchen haben jetzt Peru entdeckt, ein neues Goldland.«

Bernouin war hinausgegangen, denn ein Geräusch war vor der Tür zu hören gewesen, jetzt kam er ganz bestürzt zurück und meldete: »Seine Majestät der König!«

»Der König? Zu solcher Stunde noch?« rief Mazarin und versteckte rasch die Papiere mit den Rechnungen. »Was gibt es denn?« – »Nichts, Kardinal,« antwortete Ludwig selbst, indem er ins Zimmer trat. »Ich habe Ihnen nur etwas Wichtiges mitzuteilen.« – »Ich sollte Eure Majestät stehend anhören,« unterbrach ihn der Minister, »allein meine Gicht –« – »Keine Etikette zwischen uns, Eminenz,« versetzte der König. »Auch komme ich nicht als König, sondern als Bittender zu Ihnen. Hören Sie – soeben war mein königlicher Vetter Karl II. von England bei mir ...«

Mazarin, der schon vermutet hatte, der König wolle von Maria Mancini sprechen, fuhr wie elektrisiert auf. »Karl II.!« rief er in heiserm Tone, »Karl II. hat Sie besucht?« – »König Karl II.,« antwortete Ludwig mit einigem Nachdruck. »Der unglückliche Fürst hat mir sein Herz ausgeschüttet, und ich weiß ja auch schon aus Erfahrung, was es heißt, wenn einem König der rechtmäßige Thron streitig gemacht wird.« – »Ei, warum hat Karl II. nicht auch einen Giulio Mazarini?« entgegnete der Kardinal. »Dann würde sich niemand an seiner Krone vergriffen haben!« – »Ich weiß, was ich Ihnen verdanke, Eminenz, und werde es nie vergessen,« erwiderte der König stolz. »Aber da mein königlicher Vetter von England keinen so genialen Mann an der Seite hat, so bedarf er eben um so mehr des Beistandes.« – »Majestät,« versetzte Mazarin kalt, »die Briten sind tolle Kerle, sie haben ihren König geköpft, sie haben sich mit Fürstenblut besudelt, wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.«

»Es handelt sich aber jetzt darum, Karl II. wieder auf den Thron zu setzen.« – »Mein Gott,« rief Mazarin, »sollte die arme Majestät wirklich solchen Hirngespinsten nachjagen?« – »Seine Aussichten sind vielmehr sehr günstig,« antwortete Ludwig eifrig, »und um zum Ziele zu gelangen, braucht er nur eine lumpige Million.«

»Eine lumpige Million,« versetzte Mazarin in spöttischem Tone. »O, diese erbärmliche Familie von Bettlern!« – »Herr, diese Familie ist ein Zweig meines Hauses!« rief Ludwig und warf das Haupt in den Nacken. – »Haben Sie denn so viel Geld, daß Sie gleich eine Million wegschenken können? Wahrlich, Majestät, wir brauchen selber Geld – es fehlt uns an allen Enden daran. Sehen Sie hier!« rief er und zog das Blatt Papier unter seinem Kopfkissen hervor, indem er es nun mit kecker Stirn als einen Beweis für seine Behauptung verwendete, während es doch vielmehr das Gegenteil hätte beweisen können. »Hier sehen Sie die Summe, die wir selber haben müssen, um die notwendigen Ausgaben zu decken. Annähernd 40 Millionen!«

Der König ballte die Fäuste. »So muß also der König von England verhungern?« rief er zornig. – »Sire,« versetzte Mazarin kalt, »ich nannte Ihnen schon oft als Ausdruck der gesundesten Politik das alte Sprüchwort: Freue dich deiner Armut, wenn nur dein Nachbar auch arm ist.« – »Und es ist ganz unmöglich, mir die Million zu beschaffen, die ich verlange?« – »Ganz unmöglich.« – »Bedenken Sie, Karl II. wird unser Feind, wenn er später doch noch den Thron wieder besteigt.« – »Wenn das Ihre einzige Sorge ist,« antwortete Mazarin, »so können Sie einstweilen noch ruhig schlafen. Doch, Majestät, wenn ich Ihnen auch dies abschlagen muß, verlangen Sie etwas anders, und ich will all Ihre Wünsche erfüllen.«

»Gut!« rief Ludwig freudig, »ich halte Sie beim Wort. Ich verlange etwas, das leichter zu beschaffen ist als eine Million.« – »Etwas für sich selbst, Majestät?« fragte Mazarin, in der Erwartung, daß nun endlich die Rede auf Maria Mancini kommen würde. – »Nein, nicht für mich, sondern ebenfalls wieder für meinen Vetter Karl.« – »Majestät!« unterbrach Mazarin ihn in strengem Tone, »ich weiß sehr wohl, was nun kommen soll. Soll ich Ihnen wiederholen, was der Brite zu Ihnen gesprochen hat. ›Wenn dieser Geizhals,‹ hat er gesagt, ›dieser filzige Italiener –‹ – »Nicht doch, Eminenz!«

»In diesem Sinne hat er sich ausgedrückt, vielleicht genau in diesen Worten,« fuhr Mazarin unbeirrt fort. »Ich bin ihm deshalb nicht böse, Sire. Jeder Mensch sieht durch die Brille seines Temperaments. ›Wenn dieser filzige Italiener,‹ hat er also gesagt, ›Ihnen die Million verweigert, ob aus wirklichem Geldmangel, ob aus politischen Rücksichten, so fordern Sie für mich fünfhundert Mann –‹«

Der König sah den Kardinal betroffen an. Mazarin fuhr fort: »›Wenn sie Frankreichs Banner, französische Uniformen um mich geschart sehen,‹ – so hat Karl II. gesprochen – ›dann wird der Sieg mein sein. Ihnen aber wird die Ehre gehören.‹ Und das hat er wahrscheinlich noch mit ein paar Phrasen aufgeputzt, denn die ganze Familie ist geschwätzig; der König hat sich sogar noch auf dem Schafott als Schwätzer gezeigt.« – Ludwig war entrüstet, als er seinen Blutsverwandten so beschimpfen hörte, allein er wußte nicht, was er Mazarin entgegnen sollte. »Herr Kardinal,« antwortete er, »ich habe nie an Ihrem Scharfblick gezweifelt, und Sie haben im Grunde auch hier wieder richtig geraten; allein es handelt sich nicht um 500, sondern nur um 200 Mann. Ich war überzeugt, Sie würden meinem Vetter Karl eine solche Kleinigkeit nicht abschlagen.«

»Majestät,« erwiderte Mazarin, »ich treibe nun schon 30 Jahre lang Politik: erst unter Richelieu und nun selbständig. In dieser Politik habe ich nicht immer das Gebot der Ehrlichkeit befolgt, das gebe ich gern zu, aber ungeschickt waren meine Schachzüge nie. Die Politik jedoch, die Eure Majestät in diesem Augenblick befolgen will, ist beides zugleich: unredlich und ungeschickt.« – »Unredlich, Eminenz?« brauste der König auf. – »Sire, wir haben einen Vertrag mit Cromwell geschlossen, und dieser Vertrag besteht, obwohl Cromwell tot und sein Sohn das Protektorat niedergelegt hat, dennoch zu Recht. Warum wollen Sie ihn nun umgehen, Sire? Es hat sich ja noch nichts geändert in England. Das Unrecht würde auf unserer Seite sein. Ein Krieg könnte daraus entstehen; denn ob Sie 500 oder 200 Mann nach England schicken, das bleibt sich gleich. Ja, eine einzige französische Uniform repräsentiert in solchem Falle schon die ganze Nation, stellt eine Armee vor. Karl II. wird bereits von Holland beschützt. Nun, lassen Sie doch Holland mit ihm fertig werden. Lassen Sie doch England und Holland um seinetwillen aneinandergeraten und sich befehden. Es sind die beiden einzigen Seemächte, und sie mögen getrost ihre Flotten gegeneinander aufreiben. Aus den Trümmern bauen wir uns Schiffe. Nein, nein, Majestät, lassen Sie die Finger davon! Karl II. gibt Ihnen nicht die geringste Gewähr für einen vorteilhaften Ausgang des Unternehmens, und was er als Heerführer leisten kann, das hat er bei Worcester bewiesen.«

»Dort focht er gegen Cromwell, und Cromwell ist nicht mehr,« versetzte Ludwig. – »Aber Monk ist noch da, und der ist noch gefährlicher als Cromwell,« antwortete die Eminenz. »Cromwell war ein Bierwirt und zugleich ein Schwärmer. In Augenblicken der Begeisterung, der Verzückung deckte er seine ganze Seele auf. Aber Monk! O, Gott bewahre Eure Majestät vor Monk! Wegen dieses Menschen habe ich seit einem Jahre graue Haare bekommen. Monk offenbart uns nie, was in seiner Seele vorgeht, was für Ziele er verfolgt. O, fallen Sie nur nicht diesem verschlossenen, starrsinnigen Politiker in die Hände, der nicht nur Politiker, sondern auch Soldat und Feldherr ist. Sein Helm ist ein eiserner Koffer, der alle seine Pläne enthält, und den Schlüssel dazu hat kein Mensch. Und ebenso soll Karl II. sich ja hüten, mit Monk zusammenzugeraten, es würde vernichtend für ihn ablaufen. Majestät könnten Ihrem Vetter allenfalls eine Jahresrente aussetzen und eins Ihrer Schlösser zur Wohnung überlassen – doch nein! auch das können Majestät nicht, denn der Vertrag mit England enthält für Sie ausdrücklich die Verpflichtung, Karl II. nicht in Ihrem Lande aufzunehmen.«

»Halt!« rief Ludwig dazwischen, »Sie haben das Recht, mir eine Million und 200 Soldaten zu verweigern, denn Sie sind der leitende Staatsmann meines Reichs, aber Sie haben nicht das Recht, mir Gastfreundschaft gegen meinen Vetter zu verbieten. Hier endet Ihre Macht, hier beginnt mein Wille.« – »Majestät,« antwortete der Kardinal, der froh war, seinen Zweck soweit erreicht zu haben, »den Willen meines Königs werde ich stets respektieren. Geben Sie Karl II. Obdach auf einem Ihrer Schlösser, Mazarin darf darum wissen, der Minister allerdings nicht.« – Mit einem flüchtigen Gruß entfernte sich der König. Er fand Karl II. in fast unveränderter Haltung auf dem gleichen Fleck sitzend. Der Brite stand auf und sah den Franzosen prüfend an. »Sie bringen mir keine gute Nachricht,« sprach er, »doch gleichviel, Sie sind gut und freundschaftlich zu mir gewesen, und das werde ich Ihnen nie vergessen.« – »Es muß allerdings leider bei meinem guten Willen bleiben,« antwortete Ludwig traurig. – Karl wurde blaß und taumelte ein wenig. »Dann habe ich nichts mehr zu hoffen,« murmelte er und machte eine Bewegung, als wollte er gehen. – »Uebereilen Sie nichts, Vetter,« rief Ludwig, ihn zurückhaltend. »Begeben Sie sich auf eines meiner Schlösser und warten Sie ab, wie die Dinge sich entwickeln werden. Wir können dann gelegentlich beraten, was weiter zu tun ist.«

Karl trat zurück. »Ich habe den größten König der Erde erfolglos um Hilfe gebeten,« sprach er in schmerzlichem Tone, »nun kann ich nur noch Gott um ein Wunder bitten.« – Er verneigte sich und ging in stolzer Haltung, mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes in den Zügen, hinaus. Der Musketier-Leutnant schritt ihm auf dem Korridor mit einer Fackel voran. An der Tür richtete der verstoßene König das Wort an den Offizier. »Sie sagen, Sie haben meinen Vater gekannt?« sprach er, »vielleicht haben Sie für ihn gebetet. Ist dem so, dann vergessen Sie auch mich in Ihren Gebeten nicht. Begleiten Sie mich nicht weiter!« – Der Offizier verneigte sich und kehrte mit seinen Musketieren ins Schloß zurück. – »Ein erbärmlicher Dienst!« brummte er vor sich hin. »Ich habe es satt, mich für einen König aufzureiben, der am Gängelbande eines Ministers und einer Mutter hängen bleibt.«

Er trat eben ins Vorgemach, als aus dem Innenzimmer jemand ihn rief. – »Was gibt's?« versetzte er. – »Der König will Sie sprechen,« war die Antwort. – »Hollah!« murmelte der Recke, »vielleicht wird's nun doch anders.«

4. Kapitel. Maria von Mancini

Als der König den Offizier eintreten sah, entließ er den Kammerherrn und Kammerdiener, schritt einige Male im Zimmer auf und ab, wie jemand, der gern reden möchte, aber den rechten Anfang nicht findet, und blieb schließlich vor dem Haudegen stehen, der in kerzengerader Haltung vor ihm stand und ihn fest ansah. Nach einer Pause drehte sich der König wieder um und begann von neuem hin und her zu schreiten. – »Er hat nicht für einen Heller Courage,« murmelte der Leutnant in seinen Schnauzbart. »Er ist nicht nur hochmütig und geizig, sondern auch furchtsam. Der Teufel hole solch einen Dienst.« – Endlich blieb Ludwig abermals stehen, und jetzt öffnete er zögernd die Lippen und sprach: »Leutnant, hören Sie mich an.« – »Ob nun doch einmal eine Probe von persönlichem Willen und Mut kommen soll?« dachte der mit dem Schnauzbart bei sich, warf die grauen Locken in den Nacken und schnarrte: »Zu Befehl, Majestät.«

»Morgen früh um 4 Uhr,« sagte Ludwig, »setzen Sie sich aufs Pferd und halten ein zweites für mich in Bereitschaft, aber keins aus meinem Marstall, sondern eins von Ihren Leuten. Sie werden mich begleiten.« – »Zu Befehl. Habe ich Eure Majestät abzuholen oder zu erwarten?« – »Sie erwarten mich an der kleinen Pforte des Parks.« – Der Leutnant verneigte sich stumm, und da er wußte, daß der König nun alles gesagt hatte, was zu sagen war, verließ er das Gemach und kehrte in seine Wachtstube zurück. »Das ist doch wenigstens was,« sprach er zu sich selbst. »Der König in ihm bleibt doch eine Null, aber der Mensch in ihm rafft sich nun doch einmal auf. Mazarin hat heute abend ganz laut und deutlich gesagt, so daß der König es hören mußte: ›Meine Nichten reisen auf dem linken Ufer und kommen morgen früh über die Loire-Brücke.‹ Damit hängt das zusammen. Es ist sonnenklar. Er soll ja ganz vernarrt sein in die italienische Zierpuppe. Er soll schon einmal seine Mutter fußfällig gebeten haben, sie ihm zur Frau zu geben.« – Wenige Minuten später schlief der Leutnant schon fest in seinem Stuhle.

Die ersten Sonnenstrahlen fielen kaum in die Baumwipfel des Parks, als der junge König aufstand, sich selbst ankleidete, indem er den Diener ruhig schlafen ließ, und, ans Fenster tretend, auf den Schloßhof hinabsah. Die große Uhr unten zeigte schon ein Viertel auf fünf. Durch das Geräusch geweckt, trat der Diener herein, aber der König schickte ihn zurück und befahl ihm strenges Schweigen. Dann ging er die Treppe hinunter und verließ das Schloß durch eine Seitentür. An der Mauer wartete der Offizier mit den Pferden. Der König schwang sich in den Sattel, und beide trabten der Brücke zu.

Am jenseitigen Ufer angelangt, hielt der König an. »Herr Leutnant,« befahl er, »reiten Sie voraus, und wenn Sie eine Kutsche bemerken, kommen Sie zurück und melden es mir; ich warte hier.« – »Was für eine Kutsche soll es sein?« – »Ein Reisewagen mit zwei Damen und wahrscheinlich auch ein paar Zofen.« – »Sonst kein Kennzeichen?« – »Allenfalls noch das Wappen des Kardinals.« – »Sehr wohl, Majestät,« antwortete der Offizier und ritt davon. Kaum war er fünfhundert Schritt weit, so erblickte er eine mit vier Maultieren bespannte Kutsche, der eine zweite folgte. Er kehrte sofort zum König zurück.

»Gut,« sagte der König, als er die Meldung vernahm, »tun Sie den Damen kund, ein Kavalier wünsche mit ihnen ohne Zeugen zu sprechen.« – »Potzblitz,« brummte der Offizier vor sich hin, indem er fortritt, »ich beklage mich über meine unbedeutende Stellung, und jetzt bin ich mit einem Schlage zum Vertrauten des Königs avanciert.« – Er ritt an den Wagen heran und entledigte sich seines Auftrags.

Es saßen zwei Damen im Wagen, die eine von ihnen war außergewöhnlich schön, wenngleich ein wenig hager, die andere weniger hübsch, aber doch auch anmutig, und nach der charakteristisch geformten Stirn zu schließen, auch von sehr energischem, herrschsüchtigem Temperament.

Ohne zu zögern, wendete der Leutnant sich an die letztere, obwohl die erstere durch ihre große Schönheit vielleicht den Vorzug verdient hätte. – »Meine Damen,« sprach er, »ich bin ein Leutnant im Dienste eines Kavaliers, der dort hinten auf der Landstraße auf Sie wartet und darum bitten läßt, Ihnen seine Reverenz machen zu dürfen.« – Die jüngere Dame mit den kohlschwarzen Augen stieß einen Schrei aus, der freudige Ueberraschung verriet; sie neigte sich zum Wagen heraus und sah nun auch schon den Kavalier, von dem die Rede war, heransprengen. Sie streckte die Arme aus und rief: »Ach, meine liebe Majestät!« Dabei rannen ihr die Tränen über die Wangen.

Der Kutscher hielt an, die Zofen standen verlegen auf, und die zweite Dame machte eine spöttische Verbeugung und verbarg unter einem diskreten Lächeln nur schlecht ihre Eifersucht. – »Marie, liebe Marie!« rief der König und streckte die Hand aus. Die Dame, aus dem Wagen gleitend, sank ihm in die Arme. Ludwig hielt sie fest umschlungen und gab dem Kutscher einen Wink weiterzufahren. Er überließ sein Pferd dem Offizier, der stumm, doch aufmerksam an seiner Seite geblieben war. Maria von Mancini brach zuerst das Schweigen. »Majestät verlassen mich also doch nicht?« rief sie. »Man hat mir gesagt, Sie würden bald nicht mehr an mich denken.« – »O, Marie, wir sind von Menschen umgeben, die uns entzweien wollen.« – »Aber weshalb geschieht diese Reise nach Spanien, Sire?« versetzte Maria, doch nur, um Sie zu verheiraten!« Bei diesen Worten blitzten ihre Augen wie ein aus der Scheide gezogener Dolch. – »Marie, fußfällig habe ich meine Mutter gebeten, mich nicht von dir zu trennen, ja, ich habe ihr sogar gedroht, und als dies alles fruchtlos blieb, verlangte ich wenigstens Aufschub meiner Vermählung mit der Infantin. Auf alle meine Tränen hat man mit Staatsgründen geantwortet, und was kann ich tun, wenn so viele sich gegen mich verbünden?« – »Dann muß ich Ihnen also auf ewig Lebewohl sagen, Sire, denn Sie wissen recht wohl,« antwortete die Italienerin, »man verbannt mich, man begräbt mich lebendig, man will auch mich vermählen. Sie sprechen von Staatsgründen, Sire. O, ich weiß recht wohl, der Kardinal hätte schließlich nachgegeben, wäre er doch durch mich der Oheim des Königs geworden! Ja er hätte sicherlich jeden fremden Widerstand überwunden, selbst einen Krieg nicht gefürchtet, um dieses Ziel zu erreichen. Als Oheim des Königs hätte er für immer die Gewißheit gehabt, daß ihm niemand das Staatsruder entreißen könne. O, jawohl, Sire, mit den Staatsgründen hätte Mazarin schon fertig zu werden verstanden.« –

Ludwig erblaßte und biß sich auf die Lippen. Es schien fast, als wenn diese Worte seine Leidenschaft dämpften, statt sie zu steigern. – »Ich sehe trotzdem keinen Ausweg mehr,« sagte er achselzuckend, »nichts kann uns noch helfen.« – »Außer Ihrem eigenen Willen, Majestät,« erwiderte Maria. – »Habe ich denn einen Willen?« versetzte der König. »Mein Wille wird von der Politik, von Staatsrücksichten diktiert.« – »Sie lieben mich eben nicht mehr,« sprach die Mancini, »wo Liebe ist, da ist auch ein Wille.«

Ludwig sah zu Boden, wie ein Verurteilter. Ein langes Schweigen folgte. – »So soll ich Sie morgen schon nicht mehr sehen!« fuhr die Schöne fort. »Soll fern von Paris leben, freudenlos, an der Seite eines mir fremden, alten Mannes. Es ist undenkbar!« Und sie brach in Tränen aus. Auch den König ergriff aufrichtige Rührung, er preßte das Schnupftuch vor den Mund und schluchzte. – »Die Kutschen haben haltgemacht, meine Schwester wartet auf mich,« sagte Maria. »Wir stehen beide am Wendepunkt. Entscheiden Sie, Sire. Soll ich einem andern angehören, als meinem König, meinem Herrn, meinem Geliebten? O, es kostet Sie nur ein Wort, Sire – nur das Wort: Ich will es so! so gehöre ich Ihnen fürs ganze Leben!«

Der König gab keine Antwort. – »Dann ade!« sprach sie. »Ade, Leben, Liebe und Himmel!« – Sie tat einen Schritt, der König hielt sie noch einmal zurück, ergriff ihre Hand und küßte sie. Und auf die schlanken Finger fiel eine Träne aus den Augen des Königs. Maria zuckte zusammen, als ob diese Zähre sie verbrenne.

»Was nützt es, daß sie weinen, Sire,« stieß Maria hervor, »entlassen bin ich dennoch.« – Der König antwortete nicht, er drückte wieder das Taschentuch vors Gesicht und schluchzte laut. Der Musketier-Leutnant gab einen so heftigen Laut des Unwillens von sich, daß die Pferde erschraken. Dann riß Maria von Mancini sich los und eilte zum Wagen. Sie stieg rasch ein, und die Kalesche fuhr davon.

Als sie entschwunden war, wendete der König sich zu dem Offizier. – »Aus!« murmelte er. »Aufgesessen!« – Und sie trabten beide von dannen. Jenseits der Brücke schlugen sie wieder die zum Schlosse führende Straße ein, und um sieben Uhr waren sie zurück. Der Graukopf, dessen scharfem Blick nichts entging, bemerkte, daß an einem Fenster, das zur Wohnung des Kardinals gehörte, die Ecke eines Vorhangs ein wenig gelüftet wurde. Der König hielt an und sprang vom Pferde. – »Unverbrüchliches Schweigen, Leutnant!« rief er seinem Begleiter zu. »Ich weiß, ich kann mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen.« – Der Haudegen verneigte sich. »Würden Majestät mir noch ein paar Minuten Gehör schenken?« antwortete er, und Ludwig, ins Schloß tretend, hieß ihn folgen.

Als sie im Zimmer allein waren, fragte der König: »Was haben Sie mir zu sagen, Leutnant?« – »Majestät,« antwortete jener, »ich muß Sie um eine Gefälligkeit bitten. Mit einem Worte, Sire, gewähren Sie mir huldvollst den Abschied.« – »Wie? Sie wollen Ihren Dienst quittieren?« rief der König erstaunt. – »Ich werde alt, Sire. Seit 35 Jahren trage ich den Panzer, und meine Schultern werden lahm. Ich muß jüngeren Leuten Platz machen. Wer weiß, ob ich nicht in sechs Wochen vor Podagra dienstunfähig bin.« – »Leutnant,« versetzte der König, »Sie sind ja rüstiger und kräftiger als ich. Bisher haben Sie Ihren Posten trefflich versehen und keine Spur von Ermüdung gezeigt. Sie geben nur nicht den wahren Grund an. Weshalb verhehlen Sie ihn mir? Wie soll ich dem besten Soldaten Frankreichs glauben, daß er der Ruhe bedürfe?«

»Sire!« rief der Leutnant in bitterm Tone, »Sie beschämen mich! Sie rechnen mein geringes Verdienst zu hoch an! Inwiefern bin ich denn ein unentbehrlicher, unersetzlicher Mensch? Majestät übertreiben.« – »So sprechen Sie doch aufrichtig, Mann!« entgegnete der König. »Behagt Ihnen der Dienst bei mir nicht mehr? Nur keine Umschweife! das mag ich nicht.« – Der Offizier sah auf und blickte dem König ruhig ins Auge. – »Eine offene Frage erfordert eine offene Antwort,« sprach er. »Ja, Sire, ich will den Dienst meines Königs verlassen, weil ich unzufrieden bin. Wie ich schon sagte, diene ich bereits 35 Jahre meinem Vaterlande und habe für Ihr Haus, Majestät schon manches gute Schwert schartig gemacht. Ihr Vater erkannte meine Fähigkeiten, meinen Mut, meine kriegerischen Eigenschaften, aber Richelieu witterte einen Feind in mir und ließ mich nicht aufkommen. Fünf Jahre lang war ich jeden Tag ein Held – und das ist keine Kleinigkeit. Ich lobe mich nicht selbst, ich führe nur unumstößliche Tatsachen an und berufe mich dabei auf das Urteil von Männern wie Richelieu selbst, der, obwohl mir nie gewogen, dennoch meine Tüchtigkeit anerkannte, Buckingham, Beaufort und Kardinal Retz. Ja selbst König Ludwig XIII. wußte mich zu schätzen, und die Königin hatte eines Tages die Güte, zu mir zu sagen: Ich danke Ihnen. In den Tagen der Fronde war ich der Günstling Mazarins, und man schickte mich nach England zu Cromwell. Das war auch kein sehr erfreulicher Auftrag, aber ich tat mein Bestes und wurde daraufhin zum Kapitän ernannt.«

»Darin irren Sie wohl,« unterbrach ihn der König.

»Nein, Majestät, ich irre nie,« fuhr der Offizier fort, »Mazarin selbst hat mir das Patent ausgestellt, aber Sie wissen ja auch schon, Mazarin gibt selten, und wenn er mal gegeben hat, nimmt er oftmals das Gegebene wieder zurück. So geschah es auch mir, er hat mir das Patent wieder abgenommen. Man hatte mir einmal versprochen, mich an Herrn Trévilles Stelle zu setzen, und wenn ich dessen vielleicht auch nicht würdig war, was man versprochen hatte, mußte man auch halten.« – »Ich bin ein Freund der Gerechtigkeit,« antwortete Ludwig, »Ihre Reklamation gefällt mir. Ich werde mich erkundigen, und man wird Ihnen Rechenschaft geben.« – »Majestät mißverstehen mich,« antwortete der Recke, »jetzt will ich nicht mehr reklamieren.« – »Das ist übertriebene Empfindlichkeit, Mann!« rief der König. »Ich werde mich Ihrer Sache annehmen, und später –«

»O, Majestät!« versetzte der Graukopf bitter, »von diesem Worte »später« lebe ich nun schon 30 Jahre lang, und manche hohe Person hat mich bereits damit vertröstet. Später! Mit diesem Troste bin ich alt und grau geworden, ohne je einen Beschützer zu finden – und doch habe ich so viele Menschen beschützt. Nein, Majestät, ich sehne mich nach Ruhe. Die wird man mir doch gewähren können.« – »Diese Sprache hätte ich von Ihnen nicht erwartet,« unterbrach ihn der König. »Wenn ich sage: »später«, so heißt das soviel wie: »Ganz gewiß.« – »Majestät haben mir selbst befohlen, ohne Umschweife zu sprechen,« versetzte der Haudegen. »Ich bin kein Freund vom vielen Reden, aber wenn ich mal rede, dann sage ich auch alles, was ich auf dem Herzen habe. Majestät, die Zeit, in der ich lebe, gefällt mir nicht. Die Jugend ist zaghaft und arm, während sie reich und mächtig sein sollte. Gestern abend ließ ich den König von England hier ein, dessen Vater ich beinahe das Leben gerettet hätte, wenn nicht Cromwell mir in den Weg getreten wäre. Ich ließ ihn zu seinem königlichen Bruder, dem König von Frankreich, und – ach, Sire, das Herz blutet mir! – der König von Frankreich läßt es geschehen, daß sein Minister den Geächteten verstößt. Ach, und mein junger, kühner Monarch, dem ein so feuriges, mutiges Herz im Busen wohnt, demütigt sich vor diesem Pfaffen, der das Gold Frankreichs in seinen Truhen aufhäuft. Ja, ich verstehe den Blick, den Eure Majestät auf mich werfen. Ich treibe meine Kühnheit bis zur Vermessenheit; ich sage Ihnen Dinge ins Gesicht, die vor mir noch kein Mensch einem König ungestraft sagen durfte. Aber ich bin ein alter Krieger und schütte hier vor Ihnen die seit dreißig Jahren angehäufte Galle aus, so wie ich mein Blut bis auf den letzten Tropfen für Sie vergießen würde.« Er schwieg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Nach kurzem Schweigen antwortete der König: »Leutnant, andere mögen vergeßlich gewesen sein, ich bin es nicht. Ich will es Ihnen beweisen. Ich erinnere mich eines Tages, an dem eine empörte Menschenmenge gleich einem brandenden Meer in den königlichen Palast eindrang. Ich tat, als schliefe ich, und ein einzelner Mann stand mit gezücktem Degen vor meinem Bett und beschützte mich, indem er sein eigenes Leben für mich aufs Spiel setzte, wie er es schon manches Mal für mein Haus getan hatte. Damals fragte ich diesen Edelmann nach seinen Namen. Er hieß d'Artagnan.« – »Majestät haben ein gutes Gedächtnis,« antwortete der Offizier kalt. – »Sie sehen also, ich erinnere mich dieser Begebenheiten aus meiner Kindheit,« fuhr der König fort, »Meinen Sie auch nun noch nichts von der Zukunft hoffen zu sollen? Wollen Sie nicht in einem Punkte meinem Beispiel folgen?« – »In welchem, Majestät?« – »Indem Sie warten, wie ich warten muß.« – »Sire, Sie können warten, Sie sind jung, aber ich habe keine Zeit mehr dazu. Das Greisenalter steht vor meiner Tür, der Tod guckt schon in mein Haus hinein.«

»Sie halten also Ihr Abschiedsgesuch aufrecht?« fragte Ludwig, erregt auf und nieder schreitend. – »Ich lege es Eurer Majestät untertänigst zu Füßen.« – »Gut. Sie sind verabschiedet. Ich werde Ihnen das Ruhegehalt anweisen lassen.« – »Ich bin Eurer Majestät dankbar dafür.« – »Herr Leutnant,« sagte der König, »ich glaube, Sie verlieren einen guten Herrn. Ob Sie je wieder einen solchen finden werden?« – »Gewiß nicht, Majestät. Auch werde ich bei keinem König der Erde mehr Dienst nehmen.« – »Ist das Ihr Ernst? Ich werde Sie beim Wort halten, und Sie wissen, ich habe ein gutes Gedächtnis.« – »Ich weiß, Sire, und dennoch wünschte ich, das Gedächtnis ließe Eure Majestät in dieser Stunde im Stich; denn ich habe vor Ihnen Erbärmlichkeiten auskramen müssen, die des Erinnerns nicht wert sind. Doch Eure Majestät sind ja über alles Armselige und Geringe weit erhaben und werden es bald vergessen haben.«

»Meine Majestät,« antwortete der junge König mit Würde, »wird es machen wie die Sonne: Groß und klein sehen, und den einen Glanz, den andern Wärme, allen aber Leben spenden. Leben Sie wohl, d'Artagnan!« – Ludwig XIV. wendete sich rasch ab und trat ins Nebenzimmer. D'Artagnan stülpte den Hut auf den Kopf und stampfte hinaus.

Wenige Minuten später trat ein Bote des Königs beim Kardinal Mazarin ein und überreichte diesem einen Brief Seiner Majestät. Die Eminenz öffnete das Schreiben mit einem hoffnungsvollen Lächeln. Mazarin wußte um den Morgenausflug Ludwigs und glaubte nun nichts anderes, als daß sein erhabener Zögling in ihn dringen würde, ihm trotz allem noch die Hand Marias zu gewähren. Beim Lesen aber verfärbte sich Mazarins Gesicht; er sah sich in seiner Rechnung getäuscht.

»Eminenz!« lautete das Schreiben, »ich danke es Ihrem Rat und Ihrer Konsequenz, daß ich nun glücklich eine Schwäche überwunden habe, die mich fast verleitet hätte, etwas zu tun, was eines Königs unwürdig gewesen wäre. Sie haben meinen Herrscherweg so fürsorglich geebnet, daß ich nicht daran denken darf, Ihr Werk durch eine voreilige Handlung zu zerstören. Das würde undankbar sein. Ein Mißverständnis zwischen mir und meinem Minister würde überdies für Frankreich nachteilige Folgen haben und auch meiner Familie Schaden bringen. Und zu einem solchen Mißverständnis wäre es gekommen, wenn ich Ihre Nichte geheiratet hätte. Ich werde mich daher nicht länger gegen die Verbindung sträuben, die man für mich plant, und bin bereit, die Infantin Maria-Theresia zu nehmen. Tun Sie die nötigen Schritte. Ihr wohlgeneigter Ludwig.«

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