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Viertes Kapitel

»Er ist fort«, rief Mar­tha, die her­bei­ge­lau­fen kam, als er die Haus­tür so hef­tig zu­schlug, dass von dem Schmet­tern das gan­ze Haus er­schüt­tert wur­de.

»Ja«, er­wi­der­te ich, »ganz und gar fort!«

»Nun! Und sein Mit­ta­ges­sen?« sag­te die alte Die­ne­rin.

»Er wird nicht zu Mit­tag spei­sen!«

»Und sein Abendes­sen?«

»Er wird auch nicht zu Abend spei­sen!«

»Wie?« sag­te Mar­tha und rang die Hän­de.

»Nein, gute Mar­tha, er wird nicht mehr es­sen, und nie­mand im gan­zen Hau­se. Mein On­kel lässt uns alle fas­ten, bis es ihm ge­lingt, ein al­tes Ge­krit­zel, das durch­aus un­le­ser­lich ist, zu ent­zif­fern!«

»Je­sus! So bleibt uns also nichts, als Hun­gers ster­ben.«

Ich ge­trau­te nicht, ein­zu­ge­ste­hen, dass bei ei­nem so un­be­ding­ten Mann, wie mei­nem On­kel, dies uns un­ver­meid­lich be­vor­ste­he.

Ernst­lich be­un­ru­higt be­gab sich die alte Die­ne­rin mit Seuf­zen in ihre Kü­che zu­rück.

Als ich al­lein war, kam mir der Ge­dan­ke, zu Gret­chen zu ei­len und ihr al­les zu er­zäh­len. Aber wie konn­te ich das Haus ver­las­sen? Der Pro­fes­sor konn­te je­den Au­gen­blick heim­kom­men. Und wenn er nach mir rief? Und wenn er sei­ne En­trät­se­lungs­ar­beit, die man dem al­ten Ödi­pus ver­geb­lich vor­ge­legt ha­ben wür­de, wie­der an­fan­gen woll­te? Und was wür­de es ge­ben, wenn ich auf sein Ru­fen nicht Ant­wort gebe?

Die alte Dienerin ging stöhnend in ihre Küche zurück.

Das Klügs­te war, zu blei­ben. Eben hat­te uns ein Mi­ne­ra­log aus Be­sancon eine Samm­lung Klap­per­stei­ne vom Kie­sel­ge­schlecht zu­ge­schickt, wel­che zu klas­si­fi­zie­ren wa­ren. Ich mach­te mich an die Ar­beit. Ich son­der­te aus, mach­te Eti­ket­ten, ord­ne­te in ih­rem Glas­kas­ten alle die hoh­len Stei­ne, worin klei­ne Kris­tal­le ein­ge­schlos­sen wa­ren.

Aber die­se Tä­tig­keit be­schäf­tig­te mich nicht völ­lig. Das alte Do­ku­ment mach­te mir in den Ge­dan­ken viel zu schaf­fen. Mein Kopf glüh­te, und eine un­be­stimm­te Un­ru­he er­griff mich. Ich ahn­te eine be­vor­ste­hen­de Ka­ta­stro­phe.

Nach Ver­lauf ei­ner Stun­de wa­ren mei­ne Klap­per­stei­ne ge­ord­net. Da­rauf wieg­te ich mich in dem großen Lehn­stuhl, den Kopf rück­wärts, die Arme bau­melnd. Ich zün­de­te mei­ne Pfei­fe an, de­ren lan­ge krum­me Röh­re am Kopf mit dem Bild ei­ner Nym­phe ge­ziert war, und er­götz­te mich dar­an, die Fort­schrit­te der Ver­koh­lung zu be­ob­ach­ten, wo­durch die Nym­phe zu ei­ner voll­stän­di­gen Ne­ge­rin ge­wor­den war. Von Zeit zu Zeit lausch­te ich, ob sich nicht Trit­te auf der Trep­pe ver­neh­men lie­ßen. Nichts zu hö­ren. Wo moch­te mein On­kel eben sein? Ich sah ihn in Ge­dan­ken die schö­ne Al­lee der Al­to­na­er Stra­ße ent­lang­lau­fen, ges­ti­ku­lie­rend, mit kräf­ti­gem Arm die Kräu­ter zer­schla­gen, Dis­teln köp­fen und die Schwä­ne in ih­rem Frie­den stö­ren.

Wird er tri­um­phie­rend oder ent­mu­tigt heim­kom­men? Soll­te er das Ge­heim­nis her­aus­be­kom­men ha­ben? So frag­te ich mich und nahm ma­schi­nen­mä­ßig das Blatt Pa­pier in die Hand, wor­auf die von mir ge­schrie­be­nen un­ver­ständ­li­chen Zei­len sich be­fan­den. Ich wie­der­hol­te:

»Was be­deu­tet dies?«

Ich ver­such­te die Buch­sta­ben so zu grup­pie­ren, dass sie Wor­te bil­de­ten. Un­mög­lich. Man moch­te sie zu zwei, drei, fünf oder sechs zu­sam­men­stel­len, es kam durch­aus nichts Ver­ständ­li­ches her­aus. Doch ließ sich aus dem vier­zehn­ten, fünf­zehn­ten und sech­zehn­ten Buch­sta­ben das eng­li­sche Wort »ice« bil­den, aus dem vier-, fünf- und sechs­un­dacht­zigs­ten das Wort »sir«. End­lich er­kann­te ich mit­ten in dem Do­ku­ment auf der drei­ßigs­ten Zei­le die la­tei­ni­schen Wör­ter »rota«, »mu­ta­bi­le«, »ira«, »nec«, »atra«.

»Teu­fel«, dacht’ ich, »die­se letz­te­ren Wör­ter könn­ten wohl mei­nem On­kel Aus­kunft über die Spra­che des Do­ku­ments ge­ben!« Und da sehe ich gar, auf der vier­ten Zei­le noch das Wort »luco«, das einen »hei­li­gen Hain« be­deu­tet. Zwar auf der drit­ten Zei­le ist das Wort »ta­bi­led« zu le­sen, wel­ches ganz he­brä­isch aus­sieht, und auf der letz­ten die Wör­ter »mer«, »arc«, »mère«, die rein fran­zö­sisch sind.

Dar­über konn­te man den Kopf ver­lie­ren: Vier ver­schie­de­ne Spra­chi­dio­me in ei­ner sinn­lo­sen Phra­se! In wel­chem Zu­sam­men­hang konn­ten die Wör­ter »Eis«, »Herr«, »Zorn«, »grau­sam«, »hei­li­ger Hain«, »wech­selnd«, »Mut­ter«, »Bo­gen«, »Meer« ste­hen? Das letz­te und ers­te al­lein lie­ßen sich leicht an­ein­an­der­rei­hen, es wäre nicht zu ver­wun­dern, wenn in ei­nem auf Is­land ge­schrie­be­nen Do­ku­ment von »Eis­meer« die Rede wäre. Aber den üb­ri­gen Teil des Ge­heim­schrift­stücks zu be­grei­fen, war doch eine an­de­re Auf­ga­be.

Ich rang also mit ei­ner un­lös­li­chen Schwie­rig­keit; mein Ge­hirn er­hitz­te sich, mei­ne Au­gen blin­zel­ten bei dem Blick auf das Blatt; die hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben schie­nen um mich her­um zu hüp­fen, wie die Sil­ber­trop­fen, die in der Luft un­sern Kopf um­flim­mern, wenn das Blut stark da­hin-dringt.

Es wan­del­ten mich Fan­ta­sie­ges­ich­te an; der Atem ging mir aus, ich be­durf­te Luft. Un­will­kür­lich fä­chel­te ich mich mit dem Blatt Pa­pier, so­dass sei­ne Vor­der- und Rück­sei­te ab­wech­selnd mir vor Au­gen ka­men. Wie war ich über­rascht, als ich bei ei­nem sol­chen ra­schen Um­wen­den voll­kom­men les­ba­re Wör­ter zu er­ken­nen glaub­te, la­tei­ni­sche Wör­ter, z.B. »cra­te­rem«, »ter­re­stre«.

So drang auf ein­mal ein Licht­strahl in mei­nen Geist; die­se ein­zi­gen Spu­ren führ­ten mich auf den Weg der Wahr­heit; ich hat­te das Ge­setz der Chif­fre ge­fun­den. Um das Do­ku­ment zu ver­ste­hen, brauch­te man nicht ein­mal quer über auf die Rück­sei­te des Blat­tes zu le­sen! Nein. Gera­de so, wie es war, ge­ra­de so, wie mir’s dik­tiert wur­de, konn­te es ge­läu­fig buch­sta­biert wer­den. Alle sinn­rei­chen Ge­dan­ken des Pro­fes­sors ver­wirk­lich­ten sich. Er hat­te recht in Hin­sicht der Zu­sam­men­rei­hung der Buch­sta­ben, so­wie in Hin­sicht der Spra­che. Um die­ses la­tei­ni­sche Schrei­ben von An­fang bis zu Ende le­sen zu kön­nen, be­durf­te es nur noch »et­was«, und die­ses »et­was« wur­de mir vom Zu­fall ge­ge­ben.

Na­tür­lich war ich sehr im Ge­müt er­grif­fen. Mei­ne Au­gen wur­den trü­be, so­dass sie mir den Dienst ver­sag­ten. Ich hat­te das Pa­pier auf dem Tisch aus­ge­brei­tet. Ich brauch­te nur einen Blick dar­auf zu wer­fen, um das Ge­heim­nis in Be­sitz zu be­kom­men.

End­lich ward ich mit Mühe mei­ner Be­we­gung Herr. Um mei­ne Ner­ven ru­hig wer­den zu las­sen, leg­te ich mir auf, zwei­mal durch das Zim­mer zu ge­hen, dar­auf wieg­te ich mich wie­der in dem großen Lehn­stuhl.

»So will ich le­sen«, rief ich aus, nach­dem ich aus tiefer Brust ge­at­met.

Ich neig­te mich über den Tisch, ver­folg­te mit dem Fin­ger der Rei­he nach je­den Buch­sta­ben, und las, ohne an­zu­hal­ten, ohne einen Au­gen­blick zu sto­cken, mit lau­ter Stim­me den gan­zen Satz.

Aber wel­che Be­stür­zung, wel­cher Schre­cken be­fiel mich! Ich stand an­fangs wie vom Schlag ge­rührt. Wie! Was ich eben ge­lernt hat­te, war schon am Ziel! Ein Mensch war kühn ge­nug, da­hin zu drin­gen! …

»Ah!« rief ich hüp­fend aus, »nein! Nein! Mein On­kel soll’s nicht er­fah­ren! Er wür­de un­fehl­bar eine sol­che Rei­se vor­neh­men! Er wür­de auch die­sen Ge­nuss ha­ben wol­len! Nichts wür­de ihn ab­hal­ten kön­nen! Ein so ent­schlos­se­ner Geo­log! Er wür­de je­den­falls hin­rei­sen, trotz al­lem! Und er wür­de mich mit­neh­men, um nim­mer heim­zu­keh­ren! Nie­mals! Nie!«

Ich war in un­be­schreib­li­cher Auf­re­gung.

»Nein! Nein! Das wird nicht ge­sche­hen«, sag­te ich mit Ener­gie, »und da es in mei­ner Macht steht, zu ver­hin­dern, dass mei­nem Ty­ran­nen eine sol­che Idee in den Sinn kom­me, so will ich’s tun. Wenn er das Do­ku­ment um- und her­um­wen­det, könn­te er zu­fäl­lig den Schlüs­sel des­sel­ben ent­de­cken! So will ich’s ver­nich­ten.«

Im Ka­min war noch ein we­nig Feu­er. Ich er­griff nicht al­lein das Blatt Pa­pier, son­dern auch das Per­ga­ment des Sak­nus­semm; mit fie­ber­haft zit­tern­der Hand war ich im Be­griff, es mit­ein­an­der auf die Koh­len zu wer­fen, und so das ge­fähr­li­che Ge­heim­nis zu ver­nich­ten. Da öff­ne­te sich die Tür des Zim­mers und mein On­kel trat ein.

Fünftes Kapitel

Ich hat­te nur noch Zeit, das un­glück­se­li­ge Do­ku­ment wie­der auf den Tisch zu le­gen.

Der Pro­fes­sor Li­den­b­rock schi­en gänz­lich er­schöpft. Der ihn be­herr­schen­de Ge­dan­ke ließ ihm kei­nen Au­gen­blick Ruhe; er hat­te wäh­rend sei­nes Spa­zier­gangs of­fen­bar die Sa­che durch­forscht, zer­glie­dert, alle Hilfs­quel­len sei­nes Geis­tes er­schlos­sen, und er kam zu­rück, einen neu­en Ge­dan­ken in An­wen­dung zu brin­gen.

In der Tat setz­te er sich in sei­nen Lehn­stuhl, er­griff die Fe­der und fing an, For­meln nie­der­zu­schrei­ben, die ei­nem al­ge­brai­schen Re­chenexem­pel gli­chen.

Mei­ne Bli­cke be­glei­te­ten sei­ne zit­tern­de Hand; ich ließ mir nicht eine ein­zi­ge sei­ner Be­we­gun­gen ent­ge­hen. Soll­te wohl un­ver­se­hens ein un­ver­hoff­tes Re­sul­tat sich er­ge­ben? Ich zit­ter­te, doch ohne Grund, denn da die ein­zig rich­ti­ge Ver­bin­dungs­wei­se be­reits auf­ge­fun­den war, so muss­te not­wen­dig je­des an­de­re Nach­for­schen ver­geb­lich sein.

Drei Stun­den lang ar­bei­te­te mein On­kel, ohne zu re­den, ohne den Kopf zu he­ben, tilg­te aus, fuhr fort, ra­dier­te, fing tau­send­mal von Neu­em an.

Ich wuss­te wohl, dass, wenn er’s da­hin bräch­te, die­se Buch­sta­ben in alle mög­li­chen Ver­bin­dun­gen mit­ein­an­der zu brin­gen, die Phra­se da­bei her­aus­käme. Aber, ich wuss­te auch, dass aus nur zwan­zig Buch­sta­ben sich zwei Quin­til­lio­nen, vier­hun­dertzwei­und­drei­ßig Qua­dril­lio­nen, neun­hun­dert­und­zwei Tril­lio­nen, acht Mil­li­ar­den, hun­dert­sechs­und­sieb­zig Mil­lio­nen, sechs­hun­dert­vier­zehn­tau­send Ver­bin­dun­gen bil­den las­sen. Nun wa­ren in der Phra­se hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben vor­han­den, und die­se hun­dertzwei­und­drei­ßig er­ga­ben eine An­zahl ver­schie­de­ner Phra­sen, die aus hun­dert­drei­und­drei­ßig Zif­fern min­des­tens be­stan­den, eine Zahl, die fast zu zäh­len un­mög­lich ist, und über alle Schät­zun­gen hin­aus­geht.

Ich war be­ru­higt in Hin­sicht die­ses he­ro­i­schen Mit­tels, das Pro­blem zu lö­sen.

In­zwi­schen ver­floss die Zeit; es ward Nacht; der Lärm der Stra­ßen ver­stumm­te; mein On­kel, stets über sei­ner Auf­ga­be, sah nichts, selbst die gute Mar­tha nicht, als sie die Tür öff­ne­te; er hör­te nichts, selbst die Stim­me die­ser gu­ten Die­ne­rin nicht, als sie sag­te:

»Wird der Herr die­sen Abend spei­sen?«

Auch Mar­tha muss­te ohne Ant­wort sich zu­rück­zie­hen.

Ich mei­nes­teils, nach­dem ich ei­ni­ge Zeit wi­der­stan­den, ver­fiel in einen un­über­wind­li­chen Schlaf, und ich schlief an ei­nem Ende des Kana­pee ein, wäh­rend mein On­kel Li­den­b­rock im­mer fort­rech­ne­te und stets aus­strich.

Als ich am fol­gen­den Mor­gen wie­der er­wach­te, war der un­er­müd­li­che For­scher im­mer noch bei der Ar­beit. Sei­ne ro­ten Au­gen, sei­ne blei­far­bi­ge Haut, sei­ne ver­wirr­ten Haa­re un­ter sei­ner fie­ber­haf­ten Hand, sei­ne ge­röte­ten Wan­gen ga­ben hin­läng­lich sei­nen Kampf mit dem Un­mög­li­chen zu er­ken­nen, und in wel­cher Er­schöp­fung des Geis­tes, wel­cher An­stren­gung des Ge­hirns ihm die Stun­den ver­flie­ßen muss­ten.

Wahr­lich, er dau­er­te mich. Trotz der Vor­wür­fe, die ich glaub­te ihm ma­chen zu dür­fen, war ich ei­ni­ger­ma­ßen ge­rührt. Der arme Mann war der­ma­ßen von sei­ner Idee be­fan­gen, dass er sich zu er­zür­nen ver­gaß. Alle sei­ne Le­bens­kräf­te kon­zen­trier­ten sich auf einen ein­zi­gen Punkt, und da sie nicht ih­ren ge­wöhn­li­chen Ablei­tungs­weg hat­ten, so konn­te man fürch­ten, es wer­de ihre Span­nung ihm je­den Au­gen­blick den Kopf zer­spren­gen.

Ich konn­te den ei­ser­nen Schraub­stock, worin sein Schä­del ge­spannt war, mit ei­ner Hand­be­we­gung, mit ei­nem ein­zi­gen Wort ihm lo­ckern! Und ich tat’s nicht.

Doch war ich gut­mü­tig. Wes­halb blieb ich denn stumm un­ter sol­chen Um­stän­den? Im ei­ge­nen In­ter­es­se mei­nes On­kels.

»Nein, nein«, sag­te ich wie­der­holt, »nein, ich wer­de nicht re­den! Er wür­de hin­rei­sen wol­len, ich ken­ne ihn; nichts wür­de ihn zu­rück­hal­ten kön­nen. Es ist ein vul­ka­ni­scher Ge­dan­ke, und um zu tun, was an­de­re Geo­lo­gen nicht ge­tan ha­ben, wür­de er sein Le­ben ris­kie­ren. Ich will schwei­gen; ich will das Ge­heim­nis, in des­sen Be­sitz mich der Zu­fall ge­setzt hat, für mich be­hal­ten! Es ihm mit­zu­tei­len wäre sein Tod. Er mag’s er­ra­ten, wenn er kann. Ich will mir nicht einen ein­zi­gen Tag den Vor­wurf auf­bür­den, ihn in sein Ver­der­ben ge­führt zu ha­ben!«

Nach­dem ich die­sen Ent­schluss ge­fasst hat­te, kreuz­te ich die Arme und war­te­te ab. Aber ich hat­te doch die Rech­nung ohne den Wirt ge­macht.

Als die gute Mar­tha aus dem Hau­se auf den Markt ge­hen woll­te, fand sie die Tür ver­schlos­sen, und es war kein Schlüs­sel im Schloss. Wer hat­te ihn weg­ge­nom­men? Of­fen­bar mein On­kel, als er am Abend von sei­nem Aus­gang heim­ge­kehrt war.

Ich kreuzte die Arme und wartete ab.

War’s ab­sicht­lich oder aus Ver­se­hen? Woll­te er uns der Pein des Hun­gers aus­set­zen? Das wäre doch ein we­nig stark. Wie! Mar­tha und ich, wir soll­ten un­ter der Ver­le­gen­heit lei­den, die uns auf der Welt nichts an­ging? Ganz ge­wiss, und ich er­in­ner­te mich ei­nes an­de­ren Fal­les der Art, wel­cher uns in Schre­cken set­zen konn­te. In der Tat, vor ei­ni­gen Jah­ren, zur­zeit als mein On­kel an sei­ner großen mi­ne­ra­lo­gi­schen Klas­si­fi­ka­ti­on ar­bei­te­te, ent­hielt er sich ein­mal achtund­vier­zig Stun­den des Es­sens, und das gan­ze Haus muss­te sich die­ser wis­sen­schaft­li­chen Diät fü­gen. Ich be­kam da­mals Ma­gen­krämp­fe, die ei­nem Jun­gen von et­was ge­frä­ßi­gem Cha­rak­ter sehr we­nig er­quick­lich wa­ren.

Nun dünk­te es mich, das Früh­stück wer­de eben­so in Aus­fall kom­men, wie tags zu­vor das Abendes­sen. Doch ent­schloss ich mich, he­ro­isch zu sein, und den For­de­run­gen des Ma­gens nicht nach­zu­ge­ben. Mar­tha nahm das sehr ernst und ward trost­los, die gute Frau. Mir mach­te die Un­mög­lich­keit, das Haus ver­las­sen zu kön­nen, viel zu schaf­fen, aus gu­tem Grun­de.

Mein On­kel ar­bei­te­te im­mer­fort; sei­ne Fan­ta­sie ver­lor sich in der idea­len Welt der Kom­bi­na­tio­nen; er leb­te fern von der Erde, und wahr­haf­tig au­ßer­halb der ir­di­schen Be­dürf­nis­se.

Ge­gen Mit­tag sta­chel­te mich der Hun­ger ernst­lich. Mar­tha hat­te in al­ler Un­schuld tags zu­vor alle Vor­rä­te der Spei­se­kam­mer auf­ge­zehrt; es war gar nichts mehr im Hau­se vor­han­den. Doch hielt ich stand­haft aus; es war mir eine Art Ehren­sa­che ge­wor­den.

Es schlug zwei Uhr. Es wur­de lä­cher­lich, un­er­träg­lich so­gar. Ich mach­te über die Ma­ßen große Au­gen. Ich fing an, zu der An­sicht zu kom­men, dass ich die Wich­tig­keit des Do­ku­ments über­trieb; dass mein On­kel nicht dar­an glau­ben, eine blo­ße My­sti­fi­ka­ti­on1 dar­in fin­den wür­de; dass im schlimms­ten Fal­le, wenn er das Aben­teu­er ver­su­chen woll­te, man ihn wi­der Wil­len zu­rück­hal­ten kön­ne; dass er end­lich doch selbst den Schlüs­sel der Chif­fre fin­den könn­te, und dann hät­te ich um­sonst ge­fas­tet.

Die­se Grün­de, die ich am Tag zu­vor mit Un­wil­len ver­wor­fen hät­te, schie­nen mir jetzt vor­treff­lich; es kam mir so ganz lä­cher­lich vor, dass ich so lan­ge ge­war­tet hat­te, und ich ent­schloss mich, al­les zu sa­gen.

Ich such­te da­her, als der Pro­fes­sor auf­stand, und, um aus­zu­ge­hen, sei­nen Hut auf­setz­te, eine Ge­le­gen­heit, der Sa­che bei­zu­kom­men, aber nicht zu grell.

Wie! Das Haus ver­las­sen, und uns aber­mals ein­schlie­ßen! Nim­mer­mehr.

»On­kel!« sag­te ich.

Er schi­en mich nicht zu hö­ren.

»On­kel Li­den­b­rock?« rief ich noch­mals laut.

»Was?« sag­te er, wie ein Mensch, der plötz­lich auf­wacht.

»Nun! Die­ser Schlüs­sel?«

»Wel­cher Schlüs­sel? Von der Haus­tür?«

»Nein«, rief ich, »der Schlüs­sel des Do­ku­ments!«

Der Pro­fes­sor sah mich über die Bril­le hin­weg an; er be­merk­te wohl et­was Un­ge­wöhn­li­ches in mei­nen Ge­sichts­zü­gen, denn er fass­te mich leb­haft beim Arm und frag­te mich, un­fä­hig zu re­den, mit dem Blick. Doch war die Fra­ge klar aus­ge­spro­chen.

Ich be­weg­te den Kopf von oben nach un­ten.

Er schüt­tel­te den sei­ni­gen et­was mit­lei­dig, als habe er’s mit ei­nem Nar­ren zu tun.

Ich mach­te ein noch stär­ke­res Zei­chen der Be­ja­hung.

Sei­ne Au­gen glänz­ten leb­haft; sei­ne Hand wur­de dro­hend.

Die­se stum­me Un­ter­hal­tung un­ter die­sen Um­stän­den hät­te den gleich­gül­tigs­ten Zuschau­er in­ter­es­siert. Und wahr­lich, ich wag­te nicht ein­mal ein Wort zu sa­gen, aus Be­sorg­nis, mein On­kel möge in den ers­ten freu­di­gen Umar­mun­gen mich er­sti­cken. Aber es war doch drin­gend ge­wor­den, zu ant­wor­ten.

»Ja, die­ser Schlüs­sel! … Zu­fäl­lig! …«

»Was sagst du?« rief er in un­be­schreib­li­cher Ge­müts­be­we­gung.

»Hier«, sag­te ich, und hielt ihm das Blatt Pa­pier hin, wor­auf ich ge­schrie­ben hat­te, »le­sen Sie.«

»Aber das be­deu­tet nichts!« er­wi­der­te er, in­dem er das Blatt zer­knit­ter­te.

»Nichts«, und fing an, den An­fang zu le­sen, aber vom Ende an …

Ich hat­te mei­ne Phra­se noch nicht fer­tig ge­le­sen, als der Pro­fes­sor einen Schrei, mehr noch, ein wah­res Ge­brüll hö­ren ließ! Es war sei­nem Geist ein Licht auf­ge­gan­gen. Er war ganz um­ge­wan­delt.

»Ach! sinn­rei­cher Sak­nus­semm!« rief er aus, »du hat­test also an­fangs dei­ne Phra­se um­ge­kehrt ge­schrie­ben?«

Und er fiel über das Pa­pier her, mit trü­bem Auge, be­weg­ter Stim­me, und las das Do­ku­ment voll­stän­dig vom letz­ten Buch­sta­ben auf­wärts bis zum ers­ten.

Es lau­te­te also:

In Snef­fels Yo­cu­lis cra­te­rem kem de­li­bat um­bra Scar­ta­ris Ju­lii in­tra ca­len­das de­scen­de, au­dax Via­tor, et ter­re­stre Cen­trum at­tin­ges. Kod feci.

Arne Sak­nus­semm.

Was in gut Deutsch sich so über­set­zen lässt:

Steig hin­ab in den Kra­ter des Snef­fels Yo­cul, wel­chen der Schat­ten des Scar­ta­ris vor dem ers­ten Juli lieb­ko­set, küh­ner Wan­de­rer, und Du wirst zum Mit­tel­punkt der Erde ge­lan­gen. Das hab ich voll­bracht.

Arne Sak­nus­semm.

Als mein On­kel dies ge­le­sen, hüpf­te er, als habe er un­ver­se­hens eine Ley­de­ner Fla­sche ge­trun­ken. Vor Freu­de, Über­zeu­gung und Kühn­heit war er pracht­voll. Er ging hin und her, fass­te sei­nen Kopf mit bei­den Hän­den, rück­te die Stüh­le, leg­te sei­ne Bü­cher auf­ein­an­der, spiel­te – kaum glaub­lich – Ball mit sei­nen kost­bars­ten Klap­per­stei­nen, schlug mit der Faust hier­hin, mit der Hand dort­hin. End­lich wur­den sei­ne Ner­ven ru­hi­ger und er sank er­schöpft in sei­nen Lehn­stuhl.

»Wie viel Uhr ist’s doch?« frag­te er nach ei­ner klei­nen Wei­le.

»Drei Uhr«, er­wi­der­te ich.

»Höre! Mein Es­sen war bald vor­über. Ich habe Hun­ger zum Um­fal­len. Zu Ti­sche. Her­nach …«

»Her­nach …«

»Wirst du mei­nen Kof­fer pa­cken.«

»Gut«, rief ich.

»Und den dei­ni­gen!« er­wi­der­te der un­barm­her­zi­ge Pro­fes­sor beim Ein­tritt in das Spei­se­zim­mer.

1 Ver­schleie­rung, Ver­dun­ke­lung <<<

Sechstes Kapitel

Bei die­sen Wor­ten lief mir ein Schau­der über den gan­zen Kör­per. Doch nahm ich mich zu­sam­men. Ich ent­schloss mich so­gar, mich wa­cker zu hal­ten. Wis­sen­schaft­li­che Grün­de al­lein konn­ten den Pro­fes­sor Li­den­b­rock ab­hal­ten. Nun gab’s de­ren, und zwar ge­wich­ti­ge, ge­gen eine sol­che Rei­se. Nach dem Mit­tel­punkt der Erde zu rei­sen! Wel­che Tor­heit! Ich spar­te mei­ne Ein­wen­dun­gen für den güns­ti­gen Mo­ment auf und mach­te mich ans Es­sen.

Wie fluch­te mein On­kel, als er den Tisch nicht ge­deckt sah. Al­les klär­te sich auf. Die gute Mar­tha be­kam wie­der ihre Frei­heit, eil­te auf den Markt und rühr­te sich der­ge­stalt, dass nach ei­ner Stun­de mein Hun­ger ge­stillt war und das Be­wusst­sein der Lage mir wie­der­kam.

Wäh­rend der Mahl­zeit war mein On­kel fast lus­tig; er ließ Scher­ze hö­ren, die bei ei­nem Ge­lehr­ten nie sehr ge­fähr­lich sind. Nach dem Des­sert wink­te er mir, ihm in sein Ka­bi­nett zu fol­gen.

Ich ge­horch­te. Er setz­te sich ans eine Ende des Ti­sches, ich ans an­de­re.

»Axel«, sag­te er mit ziem­lich sanf­ter Stim­me, »du bist ein sehr ge­schei­ter Jun­ge; du hast mir da einen wa­cke­ren Dienst ge­leis­tet, als ich des Rin­gens müde, schon den Ge­dan­ken auf­ge­ben woll­te. Wo­hin wäre ich ge­ra­ten? Nie­mand kann das wis­sen! Ich wer­de dir’s nie­mals ver­ges­sen, und du wirst an dem Ruhm, den wir er­lan­gen wer­den, dei­nen An­teil ha­ben.«

Nun, dacht ich, ist er gu­ter Lau­ne; da ist’s Zeit, über den Ruhm zu dis­pu­tie­ren.

»Vor al­lem«, fuhr mein On­kel fort, »emp­feh­le ich dir völ­li­ges Ge­heim­nis, ver­stehst du mich? Es fehlt in der Ge­lehr­ten­welt nicht an Nei­di­schen, und es wür­den vie­le die Rei­se un­ter­neh­men wol­len, die bis zu un­se­rer Rück­kehr nichts mer­ken sol­len.«

»Mei­nen Sie«, sag­te ich, »die Zahl sol­cher Ver­we­ge­nen sei so groß?«

»Ganz ge­wiss! Wer wür­de sich be­sin­nen, solch einen Ruhm zu ge­win­nen? Wäre dies Do­ku­ment be­kannt, so wür­de ein gan­zes Heer von Geo­lo­gen hin­ei­len, Arne Sak­nus­semms Spur zu ver­fol­gen.«

»Da­von bin ich aber gar nicht über­zeugt, lie­ber On­kel, denn die Echt­heit des Do­ku­ments ist durch nichts er­wie­sen.«

»Wie? Und das Buch, worin wir’s ge­fun­den ha­ben?«

»Gut! Ich gebe zu, dass Sak­nus­semm die­se Zei­len ge­schrie­ben hat, aber folgt dar­aus, dass er wirk­lich die Rei­se vor­ge­nom­men hat, und kann nicht das alte Per­ga­ment eine Fop­pe­rei ent­hal­ten?«

Es war mir fast leid, dies letz­te­re et­was ke­cke Wort her­aus­ge­sagt zu ha­ben. Der Pro­fes­sor run­zel­te die Stirn, und ich fürch­te­te Schlim­mes für die Fort­set­zung die­ser Un­ter­hal­tung. Zum Glücke hat­te es nichts zu be­deu­ten. Mein stren­ger Ge­nos­se er­wi­der­te mit leich­tem Lä­cheln:

»Das wer­den wir se­hen.«

»Ach!« sag­te ich et­was ver­dutzt; »aber er­lau­ben Sie mir vor­zu­brin­gen, was sich al­les über das Do­ku­ment sa­gen lässt.«

»Rede, lie­ber Jun­ge, ge­nie­re dich nicht. Ich las­se dir alle Frei­heit, dei­ne Mei­nung zu sa­gen. Du bist nun nicht mehr mein Nef­fe, son­dern mein Kol­le­ge. Also vor­wärts.«

»Nun, so will ich Sie erst fra­gen, was sind die­se Yo­kul, Snef­fels und Scar­ta­ris, wo­von ich nie ein Wort habe re­den hö­ren?«

»Das ist ganz leicht. Ich habe just vor kur­z­em von mei­nem Freund Au­gust Pe­ter­mann in Go­tha eine Kar­te be­kom­men, die mir ge­ra­de zu rech­ter Zeit kam. Nimm den drei­ßigs­ten At­las im zwei­ten Fach der großen Biblio­thek, Rei­he Z. Brett 4.«

Ich stand auf und fand in Ge­mäß­heit die­ser ge­nau­en An­ga­be rasch den be­gehr­ten At­las. Mein On­kel schlug ihn auf und sag­te:

»Hier ist eine der bes­ten Kar­ten von Is­land, die Han­der­son­sche; ich glau­be, die wird uns alle Schwie­rig­kei­ten lö­sen.«

Ich beug­te mich über die Kar­te.

»Sieh die­se aus Vul­ka­nen be­ste­hen­de In­sel«, sag­te der Pro­fes­sor, »und mer­ke, dass sie alle mit dem Na­men Yo­kul be­zeich­net sind. Dies Wort be­deu­tet im Is­län­di­schen ›Glet­scher‹, und un­ter dem ho­hen Breit­grad Is­lands ge­sche­hen die meis­ten vul­ka­ni­schen Aus­brü­che durch die Eis­de­cke.«

Ich beugte mich über die Karte.

»Gut«, er­wi­der­te ich, »aber was ist dann Snef­fels?« Ich hoff­te, er wis­se die­se Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten. Wie irr­te ich mich! Mein On­kel fuhr fort:

»Fol­ge mir auf die west­li­che Küs­te Is­lands. Siehst du sei­ne Haupt­stadt Rey­kja­wik? Ja. Gut. Fah­re über die un­zäh­li­gen Fjor­de die­ser zer­ris­se­nen See­küs­te, und hal­te et­was un­ter dem fünf­und­sech­zigs­ten Brei­ten­grad an. Was siehst du da?«

»Eine Art Halb­in­sel, gleich ei­nem ab­ge­nag­ten Kno­chen.«

»Der Ver­gleich ist rich­tig, lie­ber Jun­ge; jetzt, siehst du nichts auf die­ser Halb­in­sel?«

»Ja, einen Berg, der aus dem Meer em­por­ge­wach­sen scheint.«

»Gut! Die­ser Snä­fields Jö­cul ist der Snef­fels.«

»Der Snä­fields Jö­cul?«

»Der ist’s, ein fünf­tau­send Fuß ho­her Berg, ei­ner der merk­wür­digs­ten auf der In­sel, und ge­wiss der be­rühm­tes­te der gan­zen Welt, wenn sein Kra­ter den Ein­gang zum Zen­trum der Erde bil­det.«

»Aber das ist un­mög­lich!« rief ich mit Ach­sel­zu­cken, und ge­gen eine sol­che An­nah­me mich sträu­bend.

»Un­mög­lich!« er­wi­der­te der Pro­fes­sor Li­den­b­rock mit stren­gem Ton. »Und warum?«

»Weil die­ser Kra­ter of­fen­bar mit Lava ver­stopft ist, die Fel­sen glü­hen, und dann …«

»Und wenn’s ein aus­ge­brann­ter Kra­ter ist?«

»Aus­ge­brannt?«

»Ja. Die Zahl der noch tä­ti­gen Vul­ka­ne auf der Erd­ober­flä­che be­trägt ge­gen­wär­tig nur etwa drei­hun­dert; aber es gibt eine noch weit grö­ße­re An­zahl er­lo­sche­ner Vul­ka­ne. Un­ter die letz­te­ren ge­hört der Snef­fels, der seit den his­to­ri­schen Zei­ten nur einen Aus­bruch ge­habt hat, im Jah­re 1219; seit­dem ist er all­mäh­lich stil­le ge­wor­den, und er ge­hört nicht mehr zu den tä­ti­gen Vul­ka­nen.«

Auf die­se be­stimm­ten An­ga­ben hat­te ich durch­aus nichts zu er­wi­dern; ich warf mich also auf die üb­ri­gen Schwie­rig­kei­ten, die das Do­ku­ment ent­hielt.

»Was be­deu­tet das Wort Scar­ta­ris«, frag­te ich, »und was ha­ben die Ka­len­den des Juli da­bei zu schaf­fen?«

Mein On­kel be­sann sich ei­ni­ge Au­gen­bli­cke. Ei­nen Au­gen­blick hat­te ich Hoff­nung, aber auch nur einen Au­gen­blick, denn bald ant­wor­te­te er mir fol­gen­der­ma­ßen:

»Was du Dun­kel­heit nennst, ist für mich Licht. Dies be­weist die sinn­rei­che Sor­ge, wo­mit Sak­nus­semm sei­ne Ent­de­ckung ge­nau be­zeich­nen woll­te. Der Snef­fels hat meh­re­re Kra­ter, und es war da­her er­for­der­lich, den­je­ni­gen, wel­cher zum Mit­tel­punkt der Erde führt, an­zu­ge­ben. Wie hat’s nun der ge­lehr­te Is­län­der ge­macht? Er hat be­merkt, dass beim Her­an­na­hen des ers­ten Juli, also ge­gen Ende des Juni, eine der Berg­spit­zen, der Scar­ta­ris, ih­ren Schat­ten bis zu der Mün­dung des frag­li­chen Kra­ters wer­fe, und hat die­se Tat­sa­che in dem Do­ku­ment nie­der­ge­legt. Dies war die ge­naues­te An­ga­be, so­dass man, wennn man ein­mal auf dem Gip­fel des Snef­fels sich be­fin­det, un­mög­lich mehr in Zwei­fel sein kann, wel­cher Weg ein­zu­schla­gen.«

Al­ler­dings wuss­te mein On­kel eine Ant­wort auf al­les. Ich sah wohl, dass ihm bei den Wor­ten des al­ten Per­ga­ments nicht bei­zu­kom­men war. Ich setz­te ihm da­her von die­ser Sei­te aus nicht mehr zu, und da ich vor al­lem ihn über­zeu­gen muss­te, so ging ich zu den wis­sen­schaft­li­chen Ein­wen­dun­gen über, wel­che mei­nes Erach­tens ganz an­ders be­deut­sam wa­ren.

»Nun«, sag­te ich, »die Phra­se Sak­nus­semms, ich muss es zu­ge­ben, ist klar und lässt über ih­ren Sinn kei­nen Zwei­fel mehr. Ich gebe so­gar zu, dass das Do­ku­ment denn An­schein völ­li­ger Echt­heit hat. Die­ser Ge­lehr­te ist in das In­ne­re des Snef­fels hin­ab­ge­stie­gen, hat ge­se­hen, wie der Schat­ten des Scar­ta­ris den Rand des Kra­ters vor dem ers­ten Juli be­strich; er hat so­gar aus den sa­gen­haf­ten Er­zäh­lun­gen sei­ner Zeit ent­nom­men, dass die­ser Kra­ter zum Zen­trum der Erde füh­re; aber dass er selbst da­hin ge­drun­gen, dass er von ei­ner Rei­se da­hin wie­der zu­rück­ge­kehrt sei, das glaub’ ich durch­aus nicht!«

»Und aus wel­chem Grund?« sag­te mein On­kel mit aus­neh­mend spöt­ti­schem Ton.

»Weil alle Theo­ri­en der Wis­sen­schaft be­wei­sen, dass eine sol­che Un­ter­neh­mung un­aus­führ­bar ist!«

»Alle Theo­ri­en spre­chen das aus?« er­wi­der­te der Pro­fes­sor mit gut­mü­ti­ger Mie­ne. »Ja, die schlech­ten Theo­ri­en! Die arm­se­li­gen Theo­ri­en wer­den uns ge­nie­ren!«

Ich sah, dass er sich über mich lus­tig mach­te, aber ich fuhr dem un­ge­ach­tet fort:

»Ja! Es ist eine aus­ge­mach­te Sa­che, dass die Wär­me un­ter der Erd­ober­flä­che mit sieb­zig Fuß Tie­fe um einen Grad zu­nimmt; neh­men wir nun dies stei­gen­de Ver­hält­nis als sich gleich­blei­bend an, so muss, da der Er­dra­di­us fünf­zehn­hun­dert Lieu­es be­trägt, im Zen­trum eine Tem­pe­ra­tur statt­fin­den von mehr als zwei­mal­hun­dert­tau­send Grad: Die Stof­fe im In­nern der Erde be­fin­den sich da­her im Zu­stand des glü­hen­den Gas, denn die Me­tal­le, Gold, Pla­ti­na, die här­tes­ten Stei­ne wi­der­ste­hen nicht ei­ner sol­chen Hit­ze. Ich darf also fra­gen, ob es mög­lich sei, in eine sol­che Um­ge­bung zu ge­lan­gen!«

»Also, Axel, die Hit­ze macht dir Be­den­ken?«

»Al­ler­dings. Kä­men wir bis zu ei­ner Tie­fe von nur zehn Lieu­es, so wä­ren wir an der Gren­ze der Erdrin­de, denn da ist die Tem­pe­ra­tur be­reits über drei­zehn­hun­dert Grad.«

»Und du hast Angst zu zer­schmel­zen?«

»Ich über­las­se Ih­nen die Ent­schei­dung der Fra­ge«, er­wi­der­te ich mit Hu­mor.

»So will ich dir mei­ne Mei­nung be­stimmt sa­gen«, ent­geg­ne­te der Pro­fes­sor Li­den­b­rock, in­dem er einen ho­hen Ton an­nahm: »We­der du, noch ir­gend­ein Mensch weiß ei­ni­ger­ma­ßen zu­ver­läs­sig, was im In­nern des Erd­balls vor­geht, da man kaum erst den zwölf­tau­sends­ten Teil ih­res Ra­di­us kennt; da­her ist die Wis­sen­schaft au­ßer­or­dent­lich ver­voll­komm­nungs­fä­hig und jede Theo­rie wird von ei­ner neu­en um­ge­stürzt. Hat man ja bis auf Fou­ri­er ge­glaubt, die Tem­pe­ra­tur der Pla­ne­ten­räu­me sei stets ab­neh­mend, und jetzt weiß man, dass die höchs­te Käl­te der Äther­re­gio­nen nicht über vier­zig bis fünf­zig Grad un­ter Null steigt. Wa­rum könn­te es mit der Wär­me im In­nern nicht eben­so der Fall sein? Wes­halb soll­te sie nicht in ei­ner ge­wis­sen Tie­fe eine nicht mehr zu über­stei­gen­de Höhe er­rei­chen, an­statt bis zu ei­ner Höhe zu stei­gen, wo die stör­rischs­ten Me­tal­le schmel­zen?«

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328 стр. 65 иллюстраций
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9783962817817
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