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Das Erdreich

Fenrick und der Wachmann marschierten im schnellen Schritt schweigend nebeneinander her. Doch letztlich unterbrach die Wache die Stille.

„Wer ist sie Fenrick? Sie ist keine Elfin, oder?“

„Ich sagte dir bereits Tamlyn, dass ich es dir erst sage, wenn ich mit Thuriell gesprochen habe.“ Der Wachmann sah ihn finster an, doch erwiderte nichts. Nachdem sie durch weitere steinerne Gänge gehastet waren, erreichten sie endlich ein großes, hölzernes Tor. Es war reich verziert mit vergoldeten Schnitzereien, welche wunderschöne Landschaften mit hohen Baumkronen und weiten Feldern zeigten. Doch die Beiden beachteten es kaum. Achtlos liefen sie durch das spitz verlaufende Tor. Dann hob der Wachmann die Hand, und bedeutete Fenrick, dass er stehen bleiben sollte. Fenrick kannte das Verfahren des Erdreiches. Schon früher hatte er viele Stunden damit verbracht, auf Thuriell, die Herrscherin dieses Reiches, zu warten. Oft hatte sie sich mit Absicht Zeit gelassen, bis sie ihn endlich empfangen hatte, doch das war Fenrick egal. Die kleinen Machtspielchen der Anführerin waren ihm bekannt und er wusste, dass sie ihr Gegenüber damit prüfte. Sie testete, wie geduldig der Gast war und wie seine Gepflogenheiten sind. Fenrick hatte von Bewohnern des Erdreiches gehört, dass manche gar nicht erst empfangen wurden. Es gab Besucher, die tagelang auf eine Audienz warteten, bis ihnen der Kragen platzte. Doch Thuriell war ihre größte Hoffnung und so war er gezwungen, ihre Eigenheiten in Kauf zu nehmen. Fenrick ärgerte sich, dass er Rakna nicht darauf vorbereitet hatte, sich auf eine lange Wartezeit einzustellen. Jetzt blieb ihm nur zu hoffen, dass sie einen kühlen Kopf bewahrte und nichts Dummes anstellte. Zu seiner großen Überraschung dauerte es jedoch nur einen Augenblick, bis die Anführerin in Erscheinung trat. Zielstrebig schritt sie auf ihn zu. Ohne ihn zu begrüßen, rief sie im Vorbeigehen:

„Wir haben schon auf Euch gewartet, wo ist sie?“

„Woher wisst Ihr von Rakna?“, erwiderte Fenrick verdutzt. Doch sie sah ihn nur spöttisch an.

„Früher hast du mich charmant begrüßt, Fenrick. Was ist nur aus deiner guten Erziehung geworden?“ Auf ihre Anspielung erwiderte er nichts. Stattdessen sah er sie weiter fragend an.

„Ach ... Also gut. Von wem werde ich es wohl wissen? Von Lynthriell natürlich.“

„Lynthriell? Wie habt Ihr ...?“ Das Entsetzen war Fenrick ins Gesicht geschrieben. Wie hatte sie es geschafft, mit ihr zu reden? Das war unmöglich!

„Sie war vor einer Ewigkeit hier und hat mir erzählt, dass du mit einem Menschenkind kommen würdest. Es sei von größter Wichtigkeit, dass wir sie trainieren.“, sagte Thuriell leichtfertig, als wäre es selbstverständlich. Ihr angegrautes Haar war zu vielen kleinen Zöpfen entlang ihres Kopfes verschlungen und im Nacken elegant verknotet. Ein paar Strähnen des dunkelgrauen Schopfes fielen ihr locker ins Gesicht, was sie deutlich jünger erscheinen ließ. Nicht nur ihr Aussehen trügte, ihre ganze Art wirkte jugendlich, freundschaftlich aber auch bestimmend und streng.

„Sie trainieren?“ Mit allem, was die Herrscherin sagte, hatte Fenrick das Gefühl weniger zu wissen. Was war hier los? Wieso wusste Thuriell mehr als er selbst?

„Du bist überrascht? Lynthriell hat mich eindringlich darum gebeten. Hat sie mit dir nicht darüber gesprochen? Weißt du, woher das Menschenkind kommt?“ Es dauerte einige Augenblicke, bis Fenrick sich wieder gesammelt hatte und die Konzentration auf die eben gestellten Fragen richtete.

„Ich habe sie mit Hilfe des Ringes gefunden, sie hat mich aus ihrer Welt heraus gerufen.“

„Ah ja, eines von Lynthriells legendären Schmuckstücken, selten und mächtig. Aber das heißt, dass der Mensch den anderen, den Zwilling, bereits besessen hat? Wie ist das nur möglich?“ Das war ebenso eine Frage, auf die Fenrick keine Antwort wusste. Ihm wurde klar, dass er so gut wie nichts über Rakna in Erfahrung gebracht hatte. Als Lynthriell ihn um diesen Gefallen bat, hatte er einfach zugesagt, ohne wirklich darüber nachzudenken. Jetzt war es zu spät, er war nicht in der Lage, ihr irgendwelche Fragen zustellen. Ihm kam ein schrecklicher Gedanke und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, wie viel Lynthriell damals bereits gewusst hatte. Also wovon hatte sie noch Kenntnis gehabt, dass sie zwei in ihr Geheimnis einweihte. Und wieso war Rakna für sie so wichtig? Was hat sie in ihr gesehen, was er nicht sah? All das waren Fragen, auf die er Antworten brauchte, doch er war sich nicht sicher, woher er sie bekommen sollte. Zuerst einmal würde er mit Thuriell sprechen und vielleicht wusste Rakna mehr, als sie bisher zugegeben hatte. Ein Anliegen hatte sich jedoch von selbst bereinigt. Nun war klar, warum Lynthriell das Erdvolk als sicheren Ort für Rakna auserwählt hatte. Es war geplant und ausgemacht, dass sie hierher kommen würde.

„Hat sie Euch gesagt, wieso es so wichtig ist, Rakna zu unterrichten? Hat sie irgendetwas erzählt?“, fragte Fenrick verzweifelt, in der Hoffnung irgendeine Erklärung zu bekommen.

„Ich dachte, das wüsstest du? Habt ihr nicht darüber gesprochen, als du den Auftrag angenommen hast?“ Das wurde immer kurioser, fand der Elf und schüttelte nachdenklich seinen prächtigen Kopf. Fenrick war derart in Gedanken verstrickt, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie weit sie bereits gegangen waren. Plötzlich vernahm er laute Stimmen. Das ließ nichts Gutes verheißen. Sie bogen um eine letzte Ecke und würden jeden Moment Rakna erreichen. Mit jedem Schritt wurden die Klänge stärker und als sie endlich zu dem Eingang gelangten, hatte sich eine Traube aus Elfen um Rakna und die Wache gebildet. Fenrick sah, dass der Wachmann verzweifelt versuchte, einen Elf von ihr fernzuhalten. Dieser stürmte aber immer wieder auf ihn zu, um an Rakna heranzukommen. Einige Umstehende forderten ihn auf, sich zu beruhigen. Andere brüllten ihn zur Verstärkung an und wieder Andere standen einfach nur da und beobachteten das Treiben.

„Seid ruhig.“ War die dröhnende Stimme Thuriells zu vernehmen. Mit einem Mal stoben die Elfen auseinander und stellten sich der Reihe nach an den kahlen Steinwänden auf. Nur der Unruhestifter und die Wache blieben in dem Gang aus Elfen stehen und blickten in die Richtung, aus der die Herrscherin gekommen war.

„Was ist hier los?“, fragte sie mit gebieterischer Stimme. Sofort stürzte der impulsive Elf auf sie zu und die Wache hatte endlich einen Augenblick Zeit zum Verschnaufen.

„Ein Menschenscheusal hat sich unter uns gemischt Herrin und dieser Wachmann gibt sie nicht frei.“ Mit drohendem Finger zeigte er auf die erschrockene Rakna und den atemlosen Elfen. Doch Thuriell sah ihn nur abschätzend an und sagte:

„Das hat seine Richtigkeit, Solas.“ Fenrick sah, wie der Mund des Mannes aus der Verankerung sprang und vor Entsetzen aufklappte.

„Was ...? Das ist nicht Euer Ernst, Gebieterin? Wisst Ihr nicht, was ihr Volk uns angetan hat? Habt Ihr vergessen, dass wir wegen ihrer Missgunst hier festsitzen? Wie könnt Ihr so jemanden in unsere Reihen lassen?“

„Das ist mir durchaus bewusst Solas ...“ Unbeeindruckt wandte sie sich von dem bestürzten Elfen ab. Doch als er noch immer keine Ruhe gab, riss ihr der Geduldsfaden.

„Aber Herrin wie könnt Ihr dann ...?“

„Es reicht Solas, du wirst jetzt wieder an die Arbeit gehen. Und kommt mir irgendetwas zu Ohren, dass unser Gast wegen dir Schaden genommen hat, egal ob von deiner Hand oder von der eines Freundes, dann bekommst du ein ernstes Problem. Haben wir uns verstanden?“ Das kurze, schwarze Haar hing dem aufgebrachten Elfen leicht über die weit aufgerissenen Augen. Er war groß und schlank und seine Haut war besonders blass gegenüber der der anderen Elfen. Sein genauso dunkler Kinnbart war fein säuberlich gestutzt. Jetzt war Solas Blick nicht mehr bestürzt oder überrascht. In jenen Augen stand die blanke Wut. Doch er unterdrückte diese Gefühle und verließ, wie ihm geheißen, den Ort des Geschehens. Thuriell wandte sich zum Rest ihres Volkes, welches noch immer reglos an den Wänden Spalier stand, und fragte laut in die Menge:

„Hat sonst noch jemand ein Problem mit meinen Entscheidungen?“ Niemand rührte sich, obgleich sie einverstanden waren oder einfach nur keinen Ärger wollten. Aber Thuriell reichte der Gehorsam und sie fuhr fort, als sei nichts geschehen. Jetzt richtete sie erstmals ihre Worte an Rakna, welche mit erhobener Waffe an einer der hintersten Wände gedrängt stand. Von dort aus hatte sie hilflos zugesehen.

„Sei gegrüßt Rakna von den Menschenkindern, ich heiße Euch im Namen aller ...“, sie ließ eine kurze Pause, um die Umstehenden streng anzusehen, dann sprach sie weiter:

„... hier in unserer Mitte willkommen. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch gern unter vier Augen sprechen.“ Als Thuriell ihre Worte direkt an Rakna richtete, ließ diese ihre erhobene Waffe zögerlich sinken und schaute fragend zu Fenrick. Er nickte ihr besänftigend zu. Daraufhin steckte Rakna ihr Schwert in die Scheide und marschierte an den immer noch aufgebrachten, aber regungslosen Elfen vorbei. Die Meisten machten ihr Platz, doch einige verharrten stur in ihrer Stellung, sodass sie sich zwischen ihnen hindurchzwängen musste. Es war sofort klar, dass diese Elfen auf Solas Seite standen und nicht erfreut über ihren neuen Gast waren. Als sie Fenrick und Thuriell erreichte, liefen sie gemeinsam tiefer ins Innere des Reiches und in die Halle der Herrscherin.

„Ich gehe davon aus, dass du unter sechs Augen meintest, Thuriell.“, sagte Fenrick mit fragendem Unterton.

„Tust du das? Ich dachte, eigentlich ich hätte mich klar ausgedrückt.“ Strenge lag in ihrer Stimme, doch Fenrick kümmerte das nicht, er kannte sie und er würde sich nicht zurückweisen lassen.

„Ich bin nicht Euer Feind Thuriell. Wäre ich sonst hier? Ich brauche nur Gewissheit, dass Rakna hier in Sicherheit ist.“

Thuriell blieb abrupt stehen, sodass Rakna fast mit ihr zusammenstieß. Sie hatte den beiden Streitenden kaum zugehört. Zu großartig war das, was sie hier erblickte. Der anfängliche schmale Gang war aus gewöhnlichen grauem Stein, so wie sie es aus Bergwerken in ihrem Land kannte. Doch umso weiter sie vordrangen, umso außergewöhnlicher wurde alles. Sie waren durch einen hohen Torbogen aus massivem Gold gegangen und als wäre das nicht schon genug, schloss sich ein größerer Gang mit einem Boden aus schwarzen Marmor an. Glatt und glänzend, dass man sich darin spiegelte. Die Decke verlor sich in einem scharf verlaufenden Bogen, wie ein spitzes Gewölbe. Alle zehn Fuß erhoben sich rechts und links filigran verzierte Säulen, welche sich zur gegenüberliegenden Seite erstreckten. In der Mitte hing ein akkurat geschliffener Bernstein, der aus dem Inneren heraus orange leuchtete und sein Licht an die Wände warf. Sie gingen einige Schritte und jener Gang endete in einem geschwungenen Tor. Zu beiden Seiten standen Wachen. Die Tür war mit einem gusseisernen Riegel verschlossen, welcher sich wie von Zauberhand öffnete, sobald sie näher herantraten. Die Wachmänner verbeugten sich tief vor ihrer Gebieterin, während sie durch das Tor hindurch schritten. Die Halle, die sich dahinter verbarg, war noch größer und schöner. An jeder ihrer Acht Ecken befand sich eine weitere spiralförmige Säule, die mit vielen feinen goldenen Adern durchzogen war. Auch hier sah man eine vollkommen runde Decke. Rakna erkannte keine einzige Ungenauigkeit. Überall standen Elfen, die in grüne, transparente, schimmernde Gewänder gekleidet waren. Darunter trugen sie eng anliegende braune Kleider. Mal Hose und Oberteil, mal mit langen oder kurzen Ärmeln. Auch wunderschöne Kleider und Röcke waren dabei. Aber immer schimmerten sie in bräunlicher Farbe. Manche der weiblichen Elfen trugen aufwendig geflochtene Zöpfe, die mal über den ganzen Kopf verliefen, mal nur im Nacken verflochten wurden oder von der Stirn ausgehend, wie der Kamm eines Hahns, am Hinterkopf endeten. Es herrschte ein buntes Treiben, manche unterhielten sich miteinander, tauschten Dinge aus oder gingen nur ihrer Wege. Überall waren lustige und aufgeregte Stimmen zu hören. Doch als die drei sehr unterschiedlichen Personen den Raum betraten, wurde es plötzlich still. Die Elfen hielten, bei dem, was sie gerade taten, inne und sahen interessiert zu dem kleinen Grüppchen. Rakna wurde es mulmig zu Mute. Immer mehr drang es in ihr Bewusstsein, was für eine Besonderheit es war, dass sie hier unter ihnen wandelte. Sie verstand, dass es von äußerster Großzügigkeit zeugte, was Lynthriell für sie getan hatte, was Fenrick für sie tat oder was Thuriell gerade im Begriff war für sie zu tun. Doch jetzt mischte sich eine leise böse Stimme unter ihre Gedanken. Wieso nehmen sie das für dich auf sich? Niemand bringt sich in Gefahr, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen? Wenn sie wollten, könnten sie diese Leistung jederzeit einfordern. Noch während sie das dachte, fasste Fenrick sie zart an der Schulter, beschwichtigend und schützend zu gleich. Bei dieser sanften Berührung seinerseits, war sie nicht länger in der Lage zu glauben, dass er etwas Böses im Schilde führte. Sie sah keine Hinterlist in seinen Augen oder straff gespannte Muskeln, die auf gezwungene Mimik hinwiesen. Nein, sie hatte sich schon dazu entschlossen ihm zu folgen, es gab keinen sinnvollen Grund jetzt damit aufzuhören. Er hatte sie gerettet, er brachte sie hier her und er setzte sich immer noch für sie ein. Er war ihr Fels in der Brandung und wo er hinging, dahin würde sie ihm folgen. Der Gedanke ein Ziel, einen Sinn in ihrem Leben zu haben, ermutigte sie und baute sie auf. Fenrick, der noch immer seine Hand auf ihrer Schulter hatte, bemerkte ihre Veränderung. Verwundert sah er sie an, dann lächelte er ebenfalls und gemeinsam durchschritten sie die Tür, die in die Räumlichkeiten Thuriells führte.

Zwei Neuankömmlinge

In der Mitte des, im Vergleich, kleinen Raumes, stand ein langer, hölzerner Tisch. Auf ihm lagen unzählige Pergamente und Schriftrollen. Hier und da waren Kerzen aufgestellt, die ihren warmen Schein auf der Oberfläche verbreiteten. An der Decke darüber hing ein weiterer Bernstein, aus dem ein pulsierendes Licht hervortrat. Doch die Form glich in keiner Weise den Steinen, die sie in dem langen Gang hierher, entdeckt hatte. Während die ersten Edelsteine spitz und eckig waren, wirkte dieser geschwungen. Aus seiner runden, breiten Mitte entsprangen wellenförmige Spitzen, die alle am unteren Rand endeten. Tatsächlich ähnelte er mehr einer orangenen Krone. Jetzt fiel Raknas Blick auf die steinernen Wände. Bis auf ein paar wenige Landkarten und einen einzigen großen Waffenhalter wirkten sie leer und kahl. Um den Tisch herum standen reich verzierte Stühle aus massivem Kastanienholz. Wie schon in den vorherigen Räumen waren hier mehrere goldene Details eingearbeitet und ließen die Sitzmöbel wertvoll aussehen. Thuriell und Fenrick unterhielten sich ausgelassen, während Rakna es kaum schaffte, alle neuen Eindrücke zu verarbeiten. Erst als Thuriell zu ihr sprach, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Herrscherin.

„Ich werde Euch die einmalige Gelegenheit bieten, unter meinem Volk zu wandeln und gemeinsam mit unseren Junglingen zu trainieren. Falls Ihr Euch gut anstellt, habt Ihr sogar die Chance, ein Teil dieses Volkes zu werden. All das stelle ich in Aussicht, jedoch verlange ich dafür eine Gegenleistung. Wenn wir Eure Unterstützung brauchen, dann bekommen wir sie bedingungslos.“ Ein Moment der Stille trat ein. Rakna sah von Thuriell zu Fenrick und wieder zurück. Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem sie sich entscheiden musste. Sie fühlte sich furchtbar verwirrt. Ihr war bereits vorher bewusst gewesen, dass es eine Bedingung geben würde und da war sie. Aber hatte sie überhaupt eine echte Wahl? Entweder weigerte sie sich und verbaute sich damit die Chance vorerst in Sicherheit zu sein, oder sie stimmte dem Deal zu und einem Schicksal, welches sie von hier an nicht mehr bestimmte. In ihrem Kopf tobte es und sie war hin und her gerissen. Unweigerlich suchte sie den Blick Fenricks und da war es wieder. Sein warmes, gewisses Lächeln, welches ihre Bedenken hinweg wehte. Er hatte eine Art an sich, die ihr jeden Zweifel nahm. Eigentlich hatte sie ihre Wahl schon getroffen. So streckte sie Thuriell entschieden ihre Hand entgegen. Diese packte sie fest und schüttelte sie. Der Griff der Herrscherin war hart und schwielig, aber warm.

„Also gut, jetzt sind wir einen Schritt weiter. Ich kann Euch nicht sagen, ob es leicht werden wird. Schon seit hunderten von Jahren hatten wir keine Menschen mehr um uns und es ist bereits nahezu tausend Jahre her, als ich einen ausgebildet habe.“ Bei diesen Worten wurde es Rakna ganz anders. Hatte sie da richtig gehört? Seit tausend Jahren? Wie ist das möglich? Doch es blieb keine Zeit um darüber nachzugrübeln, denn Thuriell steuerte schon wieder auf die Tür zu. Sie sprach im Gehen weiter:

„Aber ich glaube, es ist besser, wenn Ihr es mit eigenen Augen seht.“ Dann rief sie einen Namen:

„Echna! Bitte führe doch unseren Neuankömmling ein bisschen herum. Am besten du beginnst mit den Lehrräumen, denn da wird sie euch bald Gesellschaft leisten.“ Dann wandte sie sich um.

„Fenrick .... mit dir muss ich noch etwas besprechen.“

Somit verschwand sie mit dem Elfen im Zimmer. Die Tür schloss sich geräuschvoll hinter ihnen und Rakna blieb mit tausenden Fragen zurück. Abermals hatte sie keine Zeit, um über das eben Besprochene nachzudenken, denn es löste sich eine junge Elfe von einem Wachposten an der Wand und kam im schnellen Schritt auf sie zu. Sie trug, wie alle anderen Wachen, eine schwarze Rüstung mit vielen goldenen Riemen und Verzierungen, mit dem einzigen Unterschied, dass auf dem Brustpanzer ein junger Vogel in goldener Farbe prangte. Während sie auf Rakna zuschritt, nahm sie ihren Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Ihr Blick war sanft und ihr schmales Gesicht war wunderschön. Die hohen Wangen wirkten rosig und ihr kurzes, braunes Haar stand wild in alle Richtungen, was sie draufgängerisch wirken ließ. Doch am beeindruckendsten waren ihre großen, blauen Augen, die Rakna an Schnee und Eis erinnerten. Die langen Wimpern verliefen in einem leichten Schwung und verliehen ihr einen neugierigen Ausdruck. Aber es war kein Lächeln auf ihren vollen Lippen zu sehen. Stattdessen reichte sie ihr steif die Hand und sprach mit überraschend rauer Stimme.

„Ich bin Echna. Ich führe dich ein bisschen herum.“ Von dem achteckigen Saal, mit den vielen Elfen, liefen sie schnurstracks über das hinterste Areal, in einen weiteren steinernen Gang. Hier waren die Wände ebenfalls mit Gold verziert, aber anders als vorher breitete sich, entlang der gesamten Fläche, eine zusammenhängende Abbildung aus. Rakna erkannte grüne Bäume mit prächtigen Blüten und vollen Baumkronen, wie sie es von zu Hause kannte. Es ließ die kalten Wände heimelig wirken. Hier und da waren Elfen zu entdecken, die ebenfalls grünbraune Roben trugen, aber auch welche in roten, weißen, gelben und blauen Gewändern. Bis hier her war das Bild in bunten Farben gehalten. Dann plötzlich erschienen Heerscharen von Elfen in Rüstungen und dunkle Gestalten wurden zwischen ihnen sichtbar. Das gesamte Wandgemälde wurde düster und Rakna erblickte etwas Seltsames. Es war, als wäre das Bild in tausend Teile zerrissen. Doch während sie stehen blieb, um sich das genauer anzusehen, ertönte Echnas Stimme hinter ihr.

„Wenn Ihr bei uns bleibt, dann werdet Ihr diese Malerei noch lange genug anstarren. Kommt, es gibt viel zu sehen.“ Mit sanfter Gewalt drängte sie Rakna in den nächsten Raum. Hier wirkten die Wände seltsam fleckig. In einer Ecke stand ein massiver Steintisch. Auf ihm lagen einige Schriftrollen ausgebreitet. In der Mitte des Bodens prangte ein riesiges Gemälde, welches an manchen Stellen schon leicht verblasst war. Unterschiedlichste Landschaften wurden auf den Grund gezeichnet. Rakna erkannte eine Berglandschaft, weite Felder und Wiesen, dunkle Wälder und ein raues Meer. Während sie den Raum durchstreifte, stellte sie fest, dass die Flecken an der Wand gar keine waren, sondern Bücher die bis unter die Decke aufgereiht wurden. Jeder Zentimeter wurde von ihnen bedeckt. Mit einem Finger fuhr sie über die Buchrücken. Seltsame, in Leder eingebrannte Zeichen, die sie nicht kannte, prunkten darauf. Mit einem dumpfen ‚klonk‘ stieß sie gegen Etwas zu ihren Füßen. Es klirrte laut, als es umfiel. Das Geräusch kam von vielen kleinen Figuren aus Stein, die wahllos in die Ecke gestellt worden waren.

„Hier lernen wir Taktiken und Vorgänge, die uns im Kampf helfen. Teamarbeit ist oberstes Gebot. Was du draußen als Malerei gesehen hast, ist die Geschichte unseres Elfenvolkes. Wir analysieren sie, um nicht die gleichen Fehler erneut zu machen.“ Dies sagte sie unbeeindruckt und mit leerer Stimme. Rakna erkannte, dass es nicht gerade das Lieblingsfach von Echna sein konnte.

„Es unterrichtet uns Bahar und wenn du mich fragst, dann glaubt er selbst nicht an das, was er sagt. Wenn es nach ihm geht, ist keine Taktik die Richtige. Ständig verstrickt er sich in seinen eigenen Vorgehensweisen. Ich glaube, er ist einfach zu alt für den Job. Aber er hat immer die besten Geschichten auf Lager. Ich denke, er ist der Letzte, der den großen Kampf selbst miterlebt hat.“ In diesem Moment huschte Echna das erste Lächeln über ihre Lippen. Doch so schnell wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder. Ihre unergründlichen Augen musterten Rakna eingehend. Dann nickte sie in Richtung Tür und sagte:

„Na los, lasst uns weiter gehen.“ Rakna gehorchte wortlos. Gemeinsam verließen sie den Raum durch die enge, einfache Holztür und liefen den über und über bemalten Gang entlang. Nach wenigen Schritten folgte eine weitere Tür, welche aussah wie die vorherige. Hinter ihr verbarg sich ein langer, schmaler Raum. Am anderen Ende befanden sich Zielscheiben in unterschiedlicher Entfernung und Höhe. An der Wand lehnten Bögen und Köcher, darin waren einige Pfeile zu erkennen. Doch sie schienen nicht sonderlich spitz zu sein.

„Hier lernst du, mit Schusswaffen umzugehen.“, vernahm Rakna, Echnas tiefe Stimme. Aber dieses Mal drehte Rakna sich nicht zu ihr um, stattdessen nahm sie einen der Bögen und stellte sich schussbereit in Position. Der Pfeil war am Ende mit einer Feder geschmückt, welche Rakna nicht kannte. Sie war rotorange und verlief in einer langen Krümmung. Die gesamte Struktur war anders, feiner. Erwartungsvoll, wie der Pfeil sich verhalten würde, spannte sie ihn in den Bogen, welcher wunderbar leicht erschien. Es gelang ihr mühelos, die Sehne bis zum Anschlag zu spannen. Sie wählte das oberste Ziel aus, hob den Bogen auf Höhe ihres Gesichtes und hielt die Luft an. Der Pfeil surrte rasend schnell an ihrer Wange vorbei und traf genau ins Schwarze. Dabei durchstieß er die Scheibe. Hoch erfreut über ihren Schuss, drehte sie sich zu Echna. Diese wirkte weiterhin unergründlich, keine Spur des Beeindruckens lag in ihrem Gesicht.

„Das war nicht schlecht, aber ich habe einen gravierenden Fehler entdeckt. Man darf niemals die Luft anhalten, wenn man schießt. Im Kampf hast du nicht die Zeit über das Atmen nachzudenken, es entscheidet also über Leben und Tod.“ Überrascht von Echnas detailreichem Blick und etwas enttäuscht aufgrund der Kritik, nickte sie der Elfin missmutig zu und legte den Bogen weg. Rakna begriff, dass es nicht einfach werden würde. Es war ein fremdartiges Volk und sie hatte dessen Kraft schon an Fenrick und den Windelfen erlebt. Sie waren schnell, berechnend und lautlos. Ganz anders als ihr eigenes Volk. Nun nicht mehr so euphorisch, ging sie weiter. Es folgten drei weitere Räume auf diesem Gang. Sie verteilten sich mal zur linken und mal zur rechten Seite. Der erste war komplett mit Moos überwachsen, sonst waren dort nur seltsam geschwungene Holzstäbe in unterschiedlichen Längen und Formen. Echna erklärte ihr, dass sie hier das Fechten mit Stäben lernten. Später würden sie dann zu Schwertern übergehen. Auf Raknas ungläubigen Gesichtsausdruck erwiderte sie scharf:

„Du lernst, mit den schlechtesten Waffen zu kämpfen. Alles ist auf dem Schlachtfeld möglich und darauf wirst du hier vorbereitet.“ Im nächsten Raum waren wieder Zielscheiben angeordnet und zu Raknas großer Freude, Äxte in den verschiedensten Varianten und Ausführungen. Auch Wurfhammer, wie Fenrick einen trug, gab es hier. Aber keiner von diesen war so prächtig und einmalig wie der, den sie bei dem unergründlichen Elfen entdeckt hatte. Der letzte Raum war für Rakna ein Rätsel. Als sie ihn das erste Mal betrat, war es für sie einfach nur eine leere Kammer. Es dauerte einige Minuten, bis sie bemerkte, dass auf dem Boden verschiedene Schrittfolgen aufgezeichnet waren.

„Was ist das für ein Raum?“, fragte Rakna an Echna gewandt, während sie den aufgemalten Fußspuren folgte.

„Das ist die Königsdisziplin der Kampfkunst, genannt der waffenlose Kampf. Körperkontrolle ist hier von größter Wichtigkeit. Es unterrichtet uns Solas und ich sage dir, es gibt keinen Besseren als ihn. Wie er sich bewegt, so schnell, so grazil ...“ Echna stockte, etwas bereitete ihr Unbehagen, denn sie wandte ihren Blick plötzlich verlegen zu Boden. Das Wenige, was man von ihrem Gesicht sah, war feuerrot. Vollkommen durcheinander verließ sie schweigend den Raum und vergaß dabei ganz und gar Rakna mitzunehmen. Erst als diese keuchte, weil Echna im Sturmschritt den nächsten Korridor betrat, bemerkte die junge Wache ihren Fehler und blieb stehen. Plötzlich redete sie weiter über den Unterricht, als wäre nichts geschehen.

„In diesem Flur lehrt man uns die defensiven Lektionen. Wir haben hier die Kunst des Blockens ...“, sie zeigte ihr einen vollkommen grün bemoosten Raum.

„... gefolgt von Schleichen und Sprint.“ Hier gefiel es Rakna besonders. Als sie ihn betraten, war es, als befänden sie sich an der Oberfläche. Hier standen Bäume, Büsche, Felsen und Mauern aus massivem Stein. Sogar ein Flusslauf und mehrere Gräben waren zu erkennen. Weiter hinten umsäumten Bäume eine Lichtung, die von einem orangenen Bernstein ausgeleuchtet wurde. Der folgende Raum war nicht weniger beeindruckend. Auf mehreren steinernen Tischen standen verschiedenste Schalen, Gläser, Schüsseln und Flaschen. Die Wände waren reihum mit Blumen und Blättern, Wurzeln und Gräsern bemalt. Unter jedem Bild war etwas in fremdartiger Sprache geschrieben.

„Echna? Was ist hier niedergeschrieben?“, fragte Rakna zaghaft.

Echna zuckte bei dem Klang ihres Namens zusammen, als wäre sie aus ihren Gedanken gerissen worden.

„Die Bezeichnungen und die Wirkungsweise der Pflanze. Warte kurz!“ Dann lief sie zu einem blauen Stein, der in eine Wand eingelassen war. Sie strich sanft über die glatte Oberfläche und er begann zu leuchten. Mit einem Mal blitzten alle Worte in demselben Farbton auf und verwandelten sich in andere Symbole. Echna wiederholte diesen Vorgang, bis Rakna laut aufschrie.

„Das ist es, das sind unsere Schriftzeichen!“ Jetzt war es ihr möglich, die Inschrift zu lesen. Zum Beispiel hieß es, in dünnen Buchstaben unter einem büschelig aber weich aussehenden Strauch:

Cotinus obovatus oder auch Rauchbusch, wächst meist in Gruppierungen als kleiner Baum oder großer Busch. Er liebt die Gesellschaft und kann mit vielerlei anderen Pflanzen kombiniert werden. Er hat folgende positive Eigenschaften: Wird verwendet um Angstzustände zu lindern und in einen angenehmen Zustand der Ruhe zu versetzen. Achtung! Bei einer Überdosierung neigt der Einnehmende zu maßloser Überschätzung oder zu starken Rauschzuständen mit Halluzinationen.

Rakna berührte sanft die weiße gezeichnete Blüte und fuhr mit einem Finger über die Rispen der Pflanze. Auf einmal machte sie vor Schreck einen Satz rückwärts. Durch ihre Berührung schob sich etwas Weiches unter ihren Fingerspitzen hervor. Es wirkte, als würde das Gewächs direkt aus der Wand wachsen. Mit einem leisen Rascheln fiel sie zu Boden und das Bild im Gestein verblasste.

„Oh ... Der Cotinus ist leer, wir müssen das Lager auffüllen lassen.“, sagte die Elfin, während sie die Pflanze aufhob. Schließlich zückte sie eine Feder und kritzelte etwas auf ein Stück Pergament.

„Hier lernen wir Kräuter und Pflanzen erkennen und anzuwenden, für Heiltränke und Heilungsrituale. Tränke mit negativer Wirkung oder Angriffskraft sind leider verboten. Völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst.“ Mit diesen Worten verließ Echna den Raum und Rakna war gezwungen, sich erneut zu beeilen, um mit ihr schrittzuhalten. Nun waren nur noch zwei Zimmer übrig. In dem Zimmer, das folgte, befanden sich unzählige steinerne Tische, wie Rakna sie schon gesehen hatte. Auf ihnen lagen nur Pergamentbögen und Federkiele, sowie hier und da, ein Stück Kohle. Vorne an der Zimmerfront stand in großen Buchstaben etwas geschrieben, das Rakna nicht zu entziffern vermochte.

„Feindeslehre, langweilig aber wichtig.“, hieß es nur von Echna.

„Hier kannst du auch unsere Schriftzeichen erlernen. Es ist eine tote Sprache, sie wird von fast niemandem mehr gesprochen. Nur, wenn seltene Magie gewirkt wird. Du bist also nicht verpflichtet, sie zu studieren, nur falls du möchtest.“, fügte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue hinzu, ganz als ob jetzt schon klar war, dass Rakna das tat. Zum Schluss betraten sie den ungewöhnlichsten Raum. Hier herrschte eine alles umfassende Dunkelheit. Außer einer brennenden Kerze im Zentrum des kleinen Zimmers, war hier nichts.

„Da ist der Magieunterricht.“ Echna schmunzelte, als sie das vollkommen verdatterte Gesicht von Rakna sah, dann sagte sie belustigt:

„Hier wirst du lernen, Magie zu wirken und wie du sie in die richtige Bahn lenkst.“

„Glaubt ihr, dass ein Mensch zu so etwas überhaupt imstande ist?“, erkundigte sich Rakna skeptisch.

„In jedem ach so kleinem Lebewesen und wenn es nur ein Schmetterling ist, steckt ein bisschen Magie, man muss sie nur finden und nutzen.“ Rakna fragte sich, was ein Schmetterling mit Zauberei zu tun hatte, während sie den letzten aller Lehrräume verließen. Es graute ihr schon jetzt vor dem Magieunterricht. Sie sah bereits vor ihrem inneren Auge, wie sie sich lächerlich machte. Rakna stellte sich vor, wie alle Anderen, wunderschöne Dinge hervorbrachten und sie Stunde um Stunde kein einziges Anzeichen von Magie aufweisen würde. Eine laute Stimme riss Rakna aus ihren düsteren Gedanken.

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