Читать книгу: «Aphrodite Schatzsucherin», страница 5

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Zsófia steht auf und schliesst die Tür, ganz leise. Dann stellt sie einen Stuhl davor. Endlich schläft sie ein, von Traumschlaf, den Schlafforscher als hypnagogische Halluzinationen bezeichnen zu Tiefschlaf oder NREM und schliesslich zu REM-Schlaf, der Phase des Träumens. Neuropsychologe Hobson beschreibt den Traum als eine Form von Irrsinn. Aber Zsófias Traum beginnt wie ein Ferienfilm.

Sie ist auf einem kleinen Boot, mitten im Meer. Die See ist ruhig, es ist ein sonniger, warmer Tag. Sie ist nicht allein, da sind andere Leute, die ihr bekannt vorkommen, die sie aber nicht einordnen kann. Sie weiss, warum sie hier auf dem Boot ist. Es ist auf Kurs zur 'Theés Várka' - dem weissen Fährschiff, das zwischen den kleinen griechischen Inseln kreuzt. Sie will auf ihre Insel. Sie will zu Georgos.

Das kleine Boot kommt nur langsam voran. Zsófia ist ungeduldig und voller Vorfreude. Sie hat so lange gewartet und jetzt zieht sich jede Minute endlos dahin. Aber die Mitfahrenden wollen auf einmal einen anderen Kurs einschlagen. Sie wollen nicht auf die 'Theés Várka' und sprechen von dringenden Plänen. Zsófia versucht sie mit Engelszungen zu überreden. Aber die anderen wollen nicht verstehen, wie wichtig diese Reise für sie ist. Das für sie alles davon abhängt. Was, wenn die anderen sie aufhalten? Da kann sie in der Ferne bereits das weisse Schiff ausmachen. Aufgeregt winkt sie. Das Fährschiff schlägt tatsächlich genau ihre Richtung ein. Sie rudert wie im Rausch. Sie muss es schaffen.

Doch die Mitreisenden reden wild auf sie ein, sind böse auf sie. Zsófia fühlt sich, als würde der Unfrieden ihr Herz zerreissen. Sie weiss, das sie die Gewogenheit der anderen verlieren wird, wenn sie nicht innehält. Was, wenn sie wütend werden? Der Gedanke macht ihr Angst. Aber hat sie eine Wahl? Sie muss auf das Schiff, das nun fast neben ihnen im Wasser treibt. Jeden Moment wird es zu spät sein und die 'Theés Várka' vorbeigezogen sein. Sie muss springen. Verzweifelt fleht Zsófia die Reisenden an, sie ziehen zu lassen. Es sind so viele. Sie haben soviel Macht.

Jetzt ist die 'Theés Várka’ genau neben ihr. Das ist der Moment. Jetzt muss sie die anderen verlassen. Sie schaut sich noch einmal nach ihnen um, sieht zwei der Frauen weinen und plötzlich steht ein riesenhafter Mann auf, sieht sie herausfordernd an: "Das schaffst du nicht! Du kannst das nicht! Niemals Zsófia!", verhöhnt er sie mit dröhnender Stimme.

Sie weiss, sie dürfte nicht auf den Riesen hören, müsste an ihm vorbei und springen. Aber sie hat Angst vor ihm. Und was er ruft, zieht von einem Moment auf den anderen alle Energie aus ihr heraus. Sie sinkt in sich zusammen, so als habe sie keine Knochen im Körper, liegt nur da, ohne jede Muskelkraft, völlig gelähmt. Dumpf hört Zsófia das mächtige Schiffshorn der 'Theés Várka', unzählige Menschen dort hängen sich über der Reeling, feuern sie an, bereit, sie hinaufzuziehen. Aber sie kann sich nicht rühren und schon ist es zu spät, der Moment des Absprunges verpasst.

Sie weint und weint, hasst den Riesen, der sie von oben triumphierend auslacht, aber mehr noch hasst sie sich selbst.

'Theés Várka', Zsófia murmelt den Namen der weissen Fähre während ihre Hand über den Schreibtisch fährt. Sie kann die Bilder aus dem Traum nicht abschütteln und fühlt sich wie eine Schlafwandlerin. "Du schaffst das nicht! Niemals!", schallt es in ihren Ohren. Es ist qualvoll.

In der Agentur ist es ruhig. Verträge abgeschlossen und ihre Entwürfe sind im Druck. Nach dem Tag und Nacht Durcharbeiten in der letzten Woche hat die Produktionsphase etwas friedvolles. Nur Karl ist angespannt. Dauergespräche mit seinem Anwalt hinter verschlossener Tür. Er verbringt viele Abende mit seinem Anwalt. Auch Geschäftsbesprechungen scheinen mehr und mehr ohne sie stattzufinden. Als sie es anspricht, wird Karl wütend. "Traust du mir etwa nicht. Ohne Vertrauen können wir unsere Beziehung gleich vergessen.” Und so nimmt sie es hin.

Zsófia trinkt zuviel. Sie ist schon mittags so müde und niedergeschlagen, dass sie einen Ramazzotti zur Aufmunterung braucht. Ohne würde sie es nicht mehr schaffen, in die Agentur zurückzukehren. Abends braucht sie etwas zu Trinken, um einschlafen zu können. So sterbensmüde sie sich tagsüber auch fühlt, sobald sie endlich im Bett liegt, kreisen ihre Gedanken. Stauen sich im Raum, sodas sie das Gefühl hat, von ihnen erdrückt zu werden. Manchmal beginnt ihr Herz wild zu schlagen und sie hat Angst, nur noch Angst. Sie kann mit Karl nicht darüber reden. Er würde ihr Vorwürfe machen, sich noch mehr von ihr abwenden. Ihr Blick fällt auf die kleine Schwarz Weiss Photographie ihrer Grosseltern, der Eltern ihrer Mutter. Sie leben nicht mehr aber mit ihnen verbindet sie wohlige Kindheitserinnerungen. Wenn sie die Augen schliesst und sich konzentriert, kann sie den Pfeifengeruch in den Kleidern des Grossvaters riechen, vermengt mit Erde, Sonne, herbem O’de Cologne. Das alles hatte sich zu einem Alt-Männer-Geruch verwoben, der auf dem alten Bauernhof der Grosseltern zu finden gewesen war. Im dunklen Stall hatten Milchkühe gestanden, die Namen gehabt hatten. Dort hatte ein wilder Hahn gelebt, der Kindern die Augen auskratzen wollte, wenn sie keinen Besen dabei hatten. Zsófia erinnert sich an ihre schwergewichtige, kleine Grossmutter, die immer zu kochen schien, immer in Bewegung, sich hin und wieder stöhnend das Kreuz reibend. Dort im Haus war Wärme gewesen und die Umarmungen hatten sich herzhaft und gut angefühlt. Einmal hatte sie eine der Hofkatzen haben wollen. Die Grossmutter hatte gelacht und den wilden, alten Kater für sie eingefangen. Stolz hatte sie das Tier mit nach Hause gebracht und er hatte viele Jahre in ihrem Flachdach-Bungalow gelebt. Er hatte keinen Menschen gemocht und sich nie streicheln lassen. Gerade das hatte ihr an ihm gefallen.

“Eine starke Persönlichkeit”, sie sagt es halblaut. Starrt auf die blaue Vase auf ihrem Schreibtisch. Streicht behutsam über die etwas unebene Keramik. Fast drei Jahre ist es nun her. Georgos schreibt ihr manchmal. Karten, kleine Reiseberichte. Sie schreibt ihm seitenlange Briefe zurück. Verfolgt in den Zeitungen den Erfolg seiner Band. In den Presseartikeln ist Georgos von schönen Frauen eingerahmt. Vielleicht wäre sie für eine gewisse Zeit eine dieser Frauen gewesen, wenn sie geblieben wäre. Zsófia glaubt nicht, dass sie für das Rock’n’Roll Leben geschaffen gewesen wäre und so hat sie Frieden damit geschlossen, damals nicht in Athen geblieben zu sein. Als ‘Socrates’ in Deutschland touren, schickt Georgos ihr Backstage-Pässe und Tickets. Aber sie hat auf dem Weg zum Konzert einen Autounfall. Ein Blechschaden, aber sie kann nicht weiter fahren.

"Es hat nicht sein sollen." Zsófia hat laut gesprochen.

"Kaffee?"

Die Frage ihres hereinkommenden Assistenten reisst sie aus ihren Erinnerungen. Der junge Mann lehnt sich an den Schreibtisch, um mit ihr zu plaudern. Da klingelt das Telefon und ein Freund sagt ihr, dass Zugo gestorben ist. Ihr ehemaliger Bassist. Zsófia hatte seit geraumer Zeit gewusst, das es nicht gut um ihn stand. 31 Jahre alt. Zsófia braucht Zeit, um die Nachricht zu begreifen. Zugo tot. Mürrischer, liebenswerter Zugo nicht mehr da? Er hatte in den letzten Jahren eine Kneipe geführt. Sie hatte oft bei ihm am Tresen gesessen. Die ganze Musikerszene hatten bei ihm am Tresen gesessen. Für einen Handschmeichler Stein hatte Zugo ihr seine P.I.L. Single 'This Is Not A Love Song' abgetreten. Menschen hatten sich zu Zugo hingezogen gefühlt. Unter der rotzig, lauten Front war er verletzbar gewesen und weich. Seine Kneipe war urig gewesen, hatte aber nur wenig eingebracht. Seine Familie und Freunde hatten ihm aushelfen müssen über die Jahre. Geld war ihm nicht wichtig gewesen.

31. Wie lange kann ein Mensch von einem Neuanfang träumen? Wann ist träumen nicht mehr genug? Was, wenn man den Absprung verpasst hatte und es dann für immer bereute?

Zsófia faltet sorgsam die Papiere zusammen und greift nach ihrer Jacke. Ihr Assistent schaut sie verwundert an und sie streicht ihm leicht über die Schulter. Schon ist sie auf der Strasse. Zugo hatte getan, woran er geglaubt hatte. 31 Jahre. Er hätte gewollt, dass sie auf das Schiff springt.

Kapitel 8

Das weisse Schiff liegt schwer und scheinbar bewegungslos im schwarzen Wasser und doch spaltet es die Wellen in gleichmässiger Fahrt, ein unterschwelliges Motorbrummen in die Nacht sendend. Georgos steht schweigend am Bug des Schiffes und schnippt seine Zigarette ins Wasser. Nach dem Konzert mit seiner Band im Lycabettus Theater ist er zum Hafen von Piraeus gefahren und auf das nächstbeste Fährschiff gestiegen, das den Hafen verliess. Zu viele Stimmen um ihn herum. Er will allein sein.

Georgos betrachtet stirnrunzelnd Photographien, die er in seiner Konzerttasche mit sich trägt. Ein Jugendbild seiner Mutter, seine kleine Tochter Electra. Lange verweilt er auf ihrem Bild. Sie zu vermissen ist ein andauernder Schmerz. Andere Bilder. Er in einer Gruppe von Freunden aus Athen. Orfeo, Bandphotos. Bilder von der Insel und vom Festland. Zsófia. Er hatte vergessen, dass er ein Photo von ihr besass. Neben Orfeo in Tonys Bar. Mit ihren tiefliegenden dunklen Augen scheint sie ihn fragend anzusehen. Erinnert ihn wage an etwas Wohliges. An Tage, an denen der Schmerz für einen Moment in den Hintergrund getreten war. Mit ihr zusammen zu sein, war Harmonie gewesen. Er liest gerne ihre Briefe. Mit Ernsthaftigkeit setzt sie alles in Zusammenhang, sucht nach Mustern, sucht nach Sinn. Als Georgos in einiger Entfernung Lichter ausmachen kann, entschliesst er sich auf der ersten Insel der Fährroute abzusteigen.

Er kennt sie gut. Als Kind war er hier mit seinen Eltern und Schwestern abgestiegen für die jährlichen Sommerurlaube. Sein älterer Bruder war da bereits erwachsen gewesen und nur selten für einige Tage hinzugekommen.

Georgoses Vater residiert dieser Tage in Athen. Ein achtzigjähriger Familienpatrone, in seinen besten Jahren in Charakter und Statur den schillernden Figuren amerikanischer Mafia Filme nicht unähnlich. Patriarch Christos war in der Blüte seiner Jahre selten zuhause gewesen und wenn er es war, hatten ihn alle Frauen des Hauses bedienen und unterhalten müssen wie einen Herrscher. Georgos war das Jüngste von acht Kindern gewesen, verwöhnt und geliebt – soviel Liebe. Er war wild gewesen, war immer wieder ausgerissen, ein Meister im Verstecken, Verbarrikadieren und Schule schwänzen. Er hatte nur verlangen müssen und er hatte bekommen. Damals war er der Augapfel seines Vaters gewesen. Christos war der beste Geschichtenerzähler der Welt gewesen, wenn er bei Laune gewesen war. Er hatte Menschen in seinen Bann geschlagen. Doch Christos hatte auch eine andere Seite gehabt. Eine, die alle im Haus gefürchtet hatten.

Christos hatte mehrere Restaurants besessen und als Junge war Georgos nachts oft aus dem Haus geschlichen, um seinen Vater zu besuchen. Schon als Achtjähriger war er mitten in der Nacht selbstbewusst in die väterlichen Bars marschiert. “Vater, ich brauche Geld für das Taxi draussen.”

Lachend hatte ihm sein Vater die Geldscheine zugeschoben und sich stolz zu seinen hochrangigen Gästen umgedreht. “Das ist Georgos, mein Sohn!”

Autohupen reisst Georgos aus seinen Erinnerungen. Die 'Theés Várka' hat angelegt und die ersten Wagenmotoren heulen auf, um aus dem Schiffsmaul an Land zu fahren. Geistesabwesend folgt Georgos den wenigen Fussgängern. Nur noch Einheimische, die im Herbst den Weg von Athen auf diese kleine Insel machen.

Georgos wandert die geschwungene Hafenstrasse entlang. Der Wind fegt kalt in seine Glieder und er klappt fröstelnd den Kragen seiner dünnen Jacke hoch. Ein Gewitter scheint im Anzug zu sein. Eben hat er einen Blitz gesehen, ungewöhnlich für diese Jahreszeit.

Als er zum ersten Restaurant des Platzes gelangt, verharrt er ungläubig. Es ist, als sei auf dieser Insel die Zeit stehengeblieben.

Ein anderer Besitzer vielleicht, andere karierte Decken auf den Tischen, aber es ist unverkennbar das windschiefe Restaurant in dem seine Familie vor vielen Jahren verkehrt hatte.

Georgos setzt sich in eine dunkle Ecke, geschützt vom Meerwind und abgesondert von den wenigen Gästen, die sich um die Theke gesammelt haben. Eine alte Frau schlurft aus der Küche und wischt sich das Gesicht mit ihrer fleckigen Schürze. Seine Mutter kommt ihm in den Sinn.

Immer in Bewegung. Immerzu arbeitend. Seine Mutter schien damals in der Küche zu leben und wenn er sie sehen wollte, musste er nur in diesen Raum des Hauses gehen, um sie zu finden. Einen Ort der Wärme und Geborgenheit, den seine Mutter zu erfüllen und zu erhellen schien. Dort hatte er ihr beim Gemüse zerkleinern und kochen geholfen. Sie hatte nie viel gesprochen, hatte ihm im Vorbeigehen liebevoll über die dunklen Locken gestreichelt. Sie schien auch nie in ihrem Ehebett geschlafen zu haben. Spätabends nach getaner Arbeit hatte sie im Sessel des Wohnzimmers mit einer Häkelarbeit gesessen. Wenn er nachts von seinen Erkundungszügen zurückgekehrt war, hatte er an dem Sessel mit der schlafenden Mutter vorbei schleichen müssen.

Sie hatte dort auf seinen Vater gewartet. Manchmal war der gekommen, manchmal nicht. Niemand hatte die Augen seiner Mutter zum Leuchten gebracht, wie sein Vater. Ein Mann der viele Frauen gehabt hatte und sich wenig Mühe gemacht hatte, dies zu verbergen.

Jetzt versteht er die Wut und Verzweiflung die seine Mutter manchmal befallen hatte. In solchen Momenten hatte sie Geschirr zerschlagen und ihn und seine Schwestern für kleine Vergehen hart bestraft. Am Schlimmsten aber war es gewesen, wenn sie am Küchentisch in haltloses Schluchzen ausgebrochen war. Es war ihm unheimlich gewesen und hilflos hatte er dann auf ihren bebenden Rücken geschaut. Zaghaft über ihre abgearbeitete Hand gestrichen, gleichzeitig fürchtend, dass sie ihn schlagen könnte. Doch ihre Stimmungen hatten nie angehalten und bald war sie wieder die ausdauernde, respekteinflössende Mutter gewesen, die er kannte.

Wenn der Vater nach Hause gekommen war, war sie sogleich eilfertig von ihrem Sessel aufgesprungen, hatte ihn nach seinen Wünschen befragt und war dann in der Küche verschwunden, um ihm die Speisen seiner Wahl zuzubereiten. Eine Küchensklavin, denkt Georgos.

Irgendwann von Junge zu Mann hatte Georgos aufgehört, seinen Vater zu verherrlichen. Irgendwann hatte auch sein Vater aufgehört, den Sohn zu preisen. Fortan war nichts, was Georgos tat, gut genug. Der Vater hatte nur noch harte Worte für Georgos. Zorn und Bitterkeit standen nun zwischen Vater und Sohn.

Eines Tages, Georgos lebte bereits mit Frau und Tochter, war seine alte Mutter mit Einkaufstüten beladen auf dem Gehweg zusammengebrochen. Sie war dort gestorben, inmitten ihrer Pflichten. Christos musste fortan selber kochen, wenn er essen wollte.

Die Frau mit der Schürze lässt sich schwer auf einen der wackligen Stühle fallen und beginnt Speisekarten zu sortieren. Georgos nippt an seinem Ouzo und taucht frischgebackenes Brot in eine ölige Paste.

Ein mittelalter Mann schreitet mit schweren Schritten zu seinem Tisch. Er hält zwei Ouzo in Händen und lächelt Georgos freundlich an. “Alleine trinken bringt schmerzvolle Gedanken. Gemeinsam trinken bringt Geschichten.” Ohne eine Erwiderung abzuwarten, lässt er sich seufzend auf den Hocker neben Georgos fallen.

“Nicht von hier?”

Georgos schüttelt langsam den Kopf.

“Finster und verloren über das Meer schauend; so fand Kalypso Odysseus wie jeden Tag am Strande von Ogygia. Sieben Jahre schon hatte sie um seine Gunst geworben und an diesem Tage erlaubte sie ihm endlich weiter zu segeln auf seiner langjährigen Irrfahrt.”

Georgos schaut überrascht in das wettergegerbte Gesicht seines Gegenüber.

“Alexis”, der Mann reicht ihm eine Pranken Hand und als er lächelt, scheint es den Raum wie ein Blitzstrahl zu erhellen. “Wie Alexis Zorbas”, der Mann lacht nun so heftig, dass ihm Tränen in die Augen schiessen. “So hat mich mal eine Pensionsgäste genannt.” Er scheint nachzusinnen. Dann lacht er wieder. “Hast etwa auch du dir den Zorn des Poseidon zugezogen, wie schon Odysseus vor langer Zeit? Hast du dich verirrt, mein Sohn?”

Georgos lacht. “Nein. Ich kenne meinen Weg. Morgen fahre ich zurück nach Athen. Du lebst hier, Alexis?”

“Hab weiter oben auf dem Hügel mein Haus.” Alexis macht eine raumgreifende Bewegung. Georgos registriert die mächtigen Muskeln des Mannes, studiert sein Gesicht. Buschige Brauen, funkelnde Augen, eine kräftige Nase und wulstige Lippen, ein wüstes und doch anziehendes Gesicht. Er sieht wahrhaftig aus wie der Schauspieler Anthony Quinn, der im Film den alten Zorbas gespielt hatte.

“Was machst du in Athen, Sohn?”

“Musiker.” Georgos wartet, aber Alexis schaut ihn nur unbeweglich an. “Habe eine Rockband. Vielleicht hast du von uns gehört? ’Socrates'.”

“Hmm, Musiker also. Und warum bist du hier ganz alleine, ohne deine Band?”

Georgos kneift die Augen zusammen und sinnt über die Frage nach. Warum ist er hier?

Alexis lächelt herausfordernd. “Ein junger Mann in der Blüte seiner Jahre, auf der Höhe der Manneskraft und dann Melancholie?” Er lacht dröhnend und klopft sich dabei über die mächtige, silberbehaarte Brust.

Georgos lächelt müde zurück. Was weiss der Alte schon über das Musikerleben, über seine gescheiterte Ehe, seine Tochter, die in einem anderen Land lebt?

“Ja, ja”, Alexis klopft Georgos gutmütig die Schulter. “Was weiss schon ich?”

Georgos ist verblüfft. Hat er laut gedacht?

“Mein Leben ist gut, Alexis. Ich habe Erfolg, ich verdiene gut. Aber ich habe den Hunger nicht mehr. Keinen Drang mehr Stücke zu schreiben. Ich bin träge, der Rockzirkus ödet mich an."

“Nur der Narr meint glücklich zu sein, wenn alle seine Wünsche befriedigt sind. Ein Krieger ist glücklich ohne Grund. Glücklich sein ohne Grund ist die höchste Disziplin. Aber vielleicht auch die schwierigste.” Alexis schaut Georgos tief in die Augen. “Du bist in den Fängen der Melancholie mein Freund. Eine gefährliche Gefährtin. Weisst du, geistige Müdigkeit, Kummer. All das hält dich nur fest. Vielleicht sollst du statt kummervoll zu sein wütend über dein Feststecken werden? Eine gesunde Wut kann einem helfen, den Arsch zu bewegen. Es gibt eine Zeit der Einkehr und es gibt eine Zeit des Handelns. Aber”, Alexis grinst, “wo du gerade bist, musst du selbst entscheiden.”

Georgos will es nicht hören.

“Wenn ein Ziel erreicht ist, dann setze dir ein Neues. Bekannt in Griechenland? Warum nicht bekannt in der ganzen Welt?” Wieder das dröhnende Lachen. “Einkehr hat ihr Gutes, mein Sohn. Innere Sammlung vor dem nächsten Sprung. Doch im faulig, grünen See der Melancholie zu waten, tut keiner Menschenseele gut.”

“Hast du auch einmal in diesem grünen See gebadet?”

Alexis schüttelt heftig den Kopf. “Ich? Niemals!” Dann grinst er. “Natürlich hab ich das. Könnte ich dir sonst davon erzählen?”

Goergos lacht auch, fühlt sich leichter. Alexis spricht wie ein Vater zu ihm. George und Alexis sitzen lange in Schweigen.

“Die Liebe meiner Mutter hat er nie verstanden.”

Alexis schaut Georgos verblüfft an.

“Mein Vater. Er hat sie nicht wertgeschätzt.”

Alexis nickt.

"Meine Mutter. Meine Schwestern. Gelitten haben sie."

“Du warst nur ein Kind. Du konntest nichts tun. Es war nicht deine Schuld Georgos.”

“Ich weiss, ich weiss.”

Alexis winkt der Frau, “Mehr Ouzo Eleni”.

Sie trinken sich in einen bläulichen Ouzo Rausch und plötzlich beugt Alexis sich dicht vor Georgos’ Gesicht und starrt ihn durchdringend an. “Willst du deine Rockband um die Welt bringen Erdensohn?”

Georgos nickt.

“Dann mache es nicht, wie der Priester, der an seine Predigt denkt, wenn er seine Frau liebt und ans Liebe machen mit seiner Frau, wenn er beim Gebet ist.

Betrachte nicht hoch oben auf dem Olymp deinen Arsch. - Jetzt Georgos, guck mal nach vorne und zeig der Welt was für ein Kerl du bist.”

Alexis bricht in donnerndes Gelächter aus und Georgos lacht mit, einfach weil es ihm gut tut. Mit dem Lachen schüttelt er die Gefährtin der Melancholie von seinen Schultern und er fasst einen Entschluss.

So beschreibt Georgos Papandreou den Abend, der, wie er glaubt, sein Leben veränderte. Danach sollte seine Band zum globalen Ereignis werden. Die Band ging nach London und von Grossbritannien aus schafften Socrates den Durchbruch in den Staaten. Socrates war für eine gewisse Zeit eine der grössten Rockbands ihrer Zeit. Georgos würde schliesslich eine Solo-Karriere machen. Ende der 1990’er Jahre bis etwa 2004 war er einer der bekanntesten Musiker der westlichen Welt. Ich habe seine Autobiographie auf der Internet nachgelesen. Dazu Interviews und Berichte. Was nicht geschrieben steht, habe ich aus Zsófia’s Tagebüchern eingefügt. An ihn selbst komme ich nicht heran. Seine Freunde wollen nicht mit mir sprechen. Ich könnte eine Reporterin sein. Nur eine seiner Schwestern ist bereit, am Telefon mit mir zu reden. Wohl aus Wut, denn Georgos hat sich seit Jahren von seiner Familie abgewandt und lebt wie ein Einsiedler, so sagt sie mir.

“Hat er mit Ihnen über Zsófia gesprochen?”

“Georgos hatte viele Frauen. Ganz wie unser Vater.” Ich höre ihr hartes Lachen und stelle sie mir in einer Stadtwohnung in Athen vor. Einem der Altbauten, dunkel verhängt, um die unbarmherzige Hochsommer-Sonne auszusperren. In einem grau-weissen Häuserblock, umgeben von Häuserblocks.

“Wie war Ihr Vater denn so?”

“Ein Tyrann. Wir Mädchen wurden streng erzogen, mein kleiner Bruder Georgos hatte mehr Rechte als ich. Ohne ihn durfte ich gar nicht aus dem Haus obwohl ich bereits siebzehn Jahre alt war - Georgos war da gerade mal elf. Meine älteste Schwester hatte es am Schwersten. Ist darüber verrückt geworden. Sie hat immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, bis das Blut nur so strömte.”

Ich schweige betreten.

“Ja, er war ein Tyrann. Meine arme Mutter. Aber auch sie konnte böse werden. Wir Mädchen waren so etwas wie Blitzableiter.”

“Und Georgos?”

“Na, er war der Kleinste. Er hat den ganzen Irrsinn wohl nicht so mitbekommen. Wissen Sie, unser Vater war ein Trinker. Und ein Spieler. Wenn er verloren hatte, dann war zuhause niemand mehr sicher. George hat es leichter gehabt als wir. Er war ein Junge. Ihn hat unser Vater verwöhnt. Vielleicht zu sehr. Erst jahrelang verhätschelt und schliesslich", die Frau macht eine lange Pause. Dann ist ihre Stimme leise, gepresst. "Unser Vater war ein jähzorniger Mann. Gewalttätig. Darauf war Georgos wohl nicht vorbereitet. Na ja, ist schliesslich weggelaufen. Hatte mit 16 seine erste Band. Musik war immer schon sein Leben. Und das mit den Drogen wissen sie sicherlich aus den Zeitungen. Ein Wunder, dass er die Zeiten überlebt hat.”

Ich mache eine ausweichende Bemerkung.

“Georgos hat in seiner eigenen Welt gelebt. Vielleicht umso mehr, weil es bei uns so laut und chaotisch zuging. Er war ein eigenwilliger Junge und immer etwas seltsam. Hat auf niemanden gehört. Draussen die meiste Zeit. Oft ganz für sich alleine.”

“Kennen Sie seinen Freund Orfeo?” Georgos’ Schwester sagt mir nur weniges, was ich nicht bereits aus meinen Nachforschungen weiss, und sie scheint nichts über seine Zeit mit Zsófia zu wissen.

“Lebte früher in Athen. Aber wo er jetzt ist, weiss ich nicht. Ich kenne seine Mutter gut.”

Ich bitte die Frau, ein gutes Wort für mich einzulegen und sie verspricht mir, dass sie mit Orfeos Mutter reden wird. Ich lege auf und mache mir Notizen. Die Umzugskartons sind geliefert worden. Aber ich kann mich noch nicht aufraffen, die Wohnung zu leeren, ihr Maximilians Besitztümer zu entreissen. Ich will ihn spüren, ihm nahe sein. Aufgeschlagene Bücher, Photos, Notizen, Notar-Briefe, Rechnungen. Ich habe nichts verändert. Das Studio Flat in der Delancey Street. Wie so viele Reihenhäuser ist das ehemalige Familienhaus in einzelne Flats umgewandelt worden. Wohnraum in der Innenstadt ist kostbar, London nach Japan die teuerste Stadt der Welt. Maximilians Bleibe ist eine ehemalige Double-Reception, ein zweiteiliges Wohnzimmer von einer Hausseite zur anderen, durch hohe Schiebetüren geteilt. Wir hatten aus der einen Seite eine Küche und aus der anderen einen Wohn-Schlafzimmerbereich gemacht. Ein paar Treppenstufen tiefer sind Bad und ein kleines Studier-Zimmer. Ich habe es noch nicht betreten. Ein Brückengeländer führt vom Bad in den Garten, das mit dem Basement Flat geteilt wird. Ich weiss nicht, wer jetzt dort wohnt. Als wir die Wohnung kauften, hatte ein Musikmanager dort unten gelebt. Wir hatten manchmal im Garten Wein mit ihm getrunken, aber das ist nun so viele Jahre her.

Die Frau auf dem Bild an der Wand scheint mich anklagend anzustarren. So was? Ich war also lange nicht mehr hier! Ich starre wütend zurück. Ein abstraktes Ölgemälde. Die Gestalt mit wallendem Haar, sinnlich ausgestreckt. Grüne Katzenaugen. Maximilian hat vor ein paar Jahren zu malen begonnen. Weil es ihn beruhigt, wie er sagt. Zuhause hängen Landschaftsbilder von ihm. Ich wusste nicht, das er sich an Porträts versucht. Ich mag das Bild nicht aber ich wage es nicht irgend etwas hier zu verändern. Das alles ist Maximilian. Nicht der Ehemann, nicht der Familienvater, das hier ist Maximilian der Mann, der Künstler. Seine Handschrift, sein Parfum, seine filterlosen Gitanes Zigaretten. Der Mann, in den ich mich vor so vielen Jahren verliebt habe und den ich dann über Ehejahre, Kinder, Haushalt und Familienleben vergessen habe. Ich bemerkte zersplittertes Glass neben der Kommode am Eingang und finde einen Bilderrahmen zwischen Wand und Möbelstück. Ein Frauenportrait. Offenes Lächeln, blosse Arme um die eigenen Schultern geschlungen, wie um sich selbst zu liebkosen. Warum nur kommt mir die Frau bekannt vor? Aber ich kann den Gedanken nicht halten. Erinnere mich stattdessen an das Aufprallgeräusch bei meiner Ankunft. Etwas war zu Boden gefallen als ich mit meiner sperrigen Tasche durch die Wohnungstür gekommen war. Wann war das gewesen? Vor ein paar Tagen. Ich muss unter Schock gestanden haben auch wenn ich mich nicht so gefühlt hatte. War angekommen, hatte Briefe, die sich im Postfach angehäuft hatten säuberlich auf die Ablage gelegt. Hatte Kaffee getrunken, und ja! Der Koffer, der mitten auf dem Küchentisch gestanden hatte. Ein abgeschabter altmodischer Lederkoffer mit verrosteten Metallscharnieren. Warum stand er mitten auf dem Tisch?

Ich hatte auch den Koffer nicht verrücken wollen, aber ich hatte den Tisch gebraucht. Schrecklich schwer, ich hatte so wenig Kraft an dem Tag. Da war mir der Koffer aus den Händen gerutscht und mit einem Schwall waren Buchkladden, Photos, Briefe, Kassetten aus seinem Bauch hervor gequollen und hatten sich auf den Küchenfliesen verteilt. Zunächst war ich nur vorsichtig darum herum gegangen. Hatte flüchtig betrachtet, was sich mir auf dem Boden offenbarte. Ich glaube, ich hatte Angst. Von dem Moment an, als ich den Schlüssel in die blaue Haustür gesteckt hatte, war das beklemmende Gefühl in mir gewesen. Maximilians Reich und wie ich tief innen fürchtete, eine Pandora Box. Doch als ich mich vorsichtig hingehockt und den einen oder anderen Gegenstand etwas verschoben oder angehoben hatte, da hatte ich erkannt, das in der Pandora Box eine weitere Pandora Box lag. Wie in einer russischen Matrjoschka Puppe.

Ich hatte auf dem Boden liegend zu lesen begonnen. Mir Photos angeschaut, die obenauf gelegen hatten. Hatte weitergelesen, auf einmal in etwas hineingezogen. Wie eine Sucht war es gewesen. Hatte ein Adressbuch entdeckt. Begonnen Nummern zu wählen. Hatte mit fremden Menschen gesprochen, in dem Versuch, Mosaikstücke zu finden und zusammenzufügen. Als sei ich in ein Computerspiel gezogen worden. Nun kann ich nicht mehr aufhören zu spielen bis ich den höchsten Schwierigkeitsgrad geschafft habe. Und so verbringe ich meine Tage wie eine Forscherin. Erkunde das Innere des Koffers, gehe zu Plätzen, die beschrieben werden und stosse auf Menschen, die erwähnt werden. Entdecke eine Welt, die nicht die meine ist. Vielleicht will ich einfach nicht an Maximilian denken. Oder darüber nachsinnen, warum der Koffer in seiner Wohnung ist. Auf seinem Küchentisch. Als sei sie zu ihm gekommen nur wenige Tage vor mir. Denn der Koffer gehört der Schatzsucherin.

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