Читать книгу: «England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]», страница 9

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»Was? Was meinst du? Wozu? Nein: nur ohne Melodie und außerdem spiele ich Geige«, erwiderte Lydon, als würde er mit einem Idioten sprechen. McLaren war natürlich nur noch mehr angetan und lud ihn ein, die Band am selben Abend im Roebuck zu treffen. Trotz Lydons offensichtlicher Gleichgültigkeit war sich McLaren bewusst, dass dies ein Angebot war, das er nicht ausschlagen konnte.

Lydon tauchte mit John Grey als moralischer Unterstützung auf und saß schweigend herum, während er die Gruppe beobachtete. »Ein paar Idioten hatten sich bereits vorgestellt«, sagt Steve Jones, »und dann kam Rotten rein. Er sah wirklich interessant aus. Es war etwas an ihm, das einen magnetisch anzog. Er hatte dieses ganze Punk-Zeug an, die Sicherheitsnadeln und alles: Das hatte nichts mit McLaren zu tun. Er sah wild aus. Ich mochte ihn überhaupt nicht: Er schien ein echtes Arschloch zu sein.«

Jones wurde immer ärgerlicher wegen Lydons Hochnäsigkeit, und kurz vor einem Gewaltausbruch ging er zu McLaren, der am Ende der Bar auf der Lauer lag. Die einzige Lösung war, ein spontanes Vorsingen zu veranstalten. Lydon zögerte und war nervös. Zurück im Laden wurde ihm ein Duschkopf als Mikrofon in die Hand gedrückt. Vor die Jukebox gestellt sollte er bei Alice Coopers ›Eighteen‹ mitsingen. Alle zogen sich zurück, ließen Lydon allein mitten im Laden stehen.

»Ich war zu Tode erschrocken«, sagt Lydon. »Ich war nie auf die Idee gekommen, dass das Musikgeschäft möglicherweise ein Ort sei, an dem ich, welchem Talent auch immer freien Lauf lassen könnte.« Er erstarrte, aber dann, angestachelt von Grey, dem klar wurde, dass in dieser lächerlichen Situation echtes Potential lag, fing er an, auf spastische Art und Weise auf und ab zu hüpfen und einen improvisierten Text herunter zu leiern: »Ich bin achtzehn, Sex im Gras, ich bin achtzehn...« Jones knurrte weitere Gewaltandrohungen, und Lydon warf sich unter beträchtlicher Anspannung in eine Reihe buckliger Posen schrie, wimmerte und kotzte, bis sich sein erstes Publikum vor Lachen krümmte.

Die Gruppe war sich nicht sicher, aber McLaren war es. »Ich hatte ein Auge dafür«, sagt er, »und ich sah Rottens Fähigkeit, ein Image aufzubauen. Es war nur ein Gefühl. Ich wusste, dass er was hatte, genau so wie ich wusste, dass Jones etwas hatte.« Er überredete Cook, Jones und Matlock, eine Woche mit Lydon über einem Pub, dem Crunchie Frog in Rotherhithe, zu proben. Am ersten Tag kam niemand außer Lydon. »Ich kam mir vor wie ein Idiot, wie ich da in Bermondsey Wharf herumlief«, sagt er, »es war dort nicht ungefährlich, besonders wenn man so aussah wie ich damals.«

»Ich rief am nächsten Tag an, um zu sagen, dass es mir leid täte«, erzählt Glen Matlock. »Lydon meinte, ›Ich bring dich um, ich tu’s, ich komme mit einem Hammer vorbei.‹«

»Wir hatten eine Probe«, sagt Malcolm McLaren, »und keiner von ihnen kam, weil sie Rotten für ein Arschloch hielten. Ich mochte ihn nie. Ich mochte Jones; Jones hatte nichts gegen mich. Ich mochte Cook ganz gern, aber er war ein bisschen langweilig. Ich brachte Matlock als Anker der Normalität in die Gruppe: Er verfügte über eine gewisse Intelligenz, die nötig war, um Cook und Jones beim Schreiben von Songs zu helfen. Rotten war einfach nur ein arroganter kleiner Schreier, der dachte, er wüsste alles. Er hasste ihre Musik. Cook und Jones fuhren auf die Tradition mutierter, unverantwortlicher Hardcore Raw Power ab: Iggy Pop, New York Dolls, MC5, die Faces. Rotten stand mehr auf die Musik der 60er Jahre Captain Beefheart, dieses merkwürdige Zeug.«

Als die Sex Pistols begannen, keimten in ihnen bereits Missverständnisse und gegenseitige Verdächtigungen. McLaren, mit seinem Gespür für Ärger, mochte diese unbeständige Atmosphäre: Er dachte, sie könnte Funken schlagen. Dennoch richtete diese Instabilität echten Schaden an, und der Person, die dachte, sie hätte alles unter Kontrolle, nicht gerade den geringsten. McLaren liebte es, mit dem Feuer zu spielen, aber nachdem er die Welt von John Lydon und dessen Freunden betreten hatte, sollte er es mit psychischen Stoffen zu tun bekommen, die viel explosiver waren als das, was er von Cook, Jones und Matlock kannte.

Nachdem Lydon dazugestoßen war, hatte McLaren ein Problem mit seinem Anspruch auf alleinige Urheberschaft. »Was uns zunächst zusammenführte, war, dass wir hassten, was im Fernsehen lief«, sagt McLaren. »Rotten mochte ›Eighteen‹ und ›School’s Out‹, aber er fand sie ein bisschen hirnlos. Er hielt Hirnlosigkeit für eine gute Einstellung.

Sobald ich begriffen hatte, dass er es entsetzlich fand, Teil einer Gruppe zu sein und sich selbst ankündigen zu müssen, wusste ich, dass er ein Star war. Ich wusste, die Leute würden diese Verletzbarkeit erkennen und darauf abfahren. Und das taten sie. Wir wussten, dass er nicht singen konnte und kein Rhythmusgefühl hatte, aber er hatte diesen Charme eines Jungen, der unter Schmerzen versuchte, so zu tun, als sei er cool. Das war es, was ins Auge sprang. Man wusste, dass ihn alle Mädchen lieben würden. Ich dachte, sie könnten die Bay City Rollers werden: Das hatte ich im Kopf. Ich hatte sie nicht mehr alle. Zu glauben, dass er die Alternative zu den Bay City Rollers sein könnte: so eigensinnig und zäh, das Wahre. Eine echte Teenager Gruppe. Für mich war das Anarchie im Plattengeschäft: Das genügte mir. Es war das beste Verkauftsargument: Sie waren wie junge Attentäter. Der Rest war das Sahnehäubchen und nichts, was ich unbedingt gefördert hätte. Es bekam ein Eigenleben.«

John Lydon brachte dieses Leben mit: Die Sex Pistols hätten ohne ihn niemals diese Wirkung erzielen können. Trotz McLarens Spott war es eben genau Lydons Interesse an den Eigenheiten von Post-Hippie-Pop – dem Expressionisten Peter Hammill und dem hochexplosiven Captain Beefheart –, die den Sex Pistols einen Ausweg aus der Nostalgie oder dem Jungsrock bot und den Zugang zu einem neuen, unbekannten Gebiet ermöglichte. Lydons Interesse an musikalischen Experimenten verlieh den Sex Pistols den Schneid, ihre immer extravaganteren Forderungen durchzuziehen. McLaren wollte einen Sturm entfachen, und Lydon katapultierte sich in sein Blickfeld und versuchte, seine Wut und seine Schuld abzuladen.

»Die Kids wollen Elend und Tod«, schnaubt Lydon, »sie wollen bedrohliche Geräusche, weil die sie aus der Apathie reißen.« Hier ähnelt Lydon einem Archetypus. McLaren fühlte sich von jenem Charakter angezogen, den Graham Greene in Am Abgrund des Lebens (ein Buch, das Lydon für seine Schulprüfungen lesen musste) umrissen hatte: den rachsüchtigen, katholischen jungen Gangster Pinkie. »Gift wühlte in seinen Adern, wenn er auch lachte und es sich verbiss. Er war beleidigt worden. Nun, er wollte es der Welt schon zeigen! Wenn sie meinten, weil er erst siebzehn war...« Wie Pinkie war John Lydon bereit, eine ganze Welt in die Luft zu jagen.


Die neue Generation bekommt einen Namen, Dezember 1975 (© John Holmstrom)

10

Im Herbst 1975 stand die mainstreamorientierte Musikindustrie neuen Gruppen, die soziokulturell Krach schlagen wollten, keineswegs wohlwollend gegenüber. Wie Dave Laing in One Chord Wonders bemerkt, hatte die Musikindustrie auf den riesigen Markt reagiert, der sich in den 60er Jahren eröffnet hatte, indem sie sich global organisierte: Über 60 Prozent des englischen Markts wurden von sechs multinationalen Firmen kontrolliert. Die Popmusik wurde beherrscht von ihrem »Gigantismus«, einem Marktansatz, den man als »Scheiße gegen die Wand werfen« umschreiben könnte. Der bevorzugte Musikstil war Progressive Rock, also alles, was teuer und aufwendig war.

Innovationen hatten ebensoviel mit Marketing wie mit Musik zu tun. Abba kamen als »der klassische transnationale Sound Mitte der Siebziger« groß raus. Nachdem sie 1974 den Eurovision de la Chanson-Wettbewerb gewonnen hatten, machten sie Aufnahmen in Schweden, unterschrieben bei einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Amerika und sangen auf Englisch, ein globales Pop-Esperanto, das aus fünfzig Jahren amerikanischer Pop-Kultur synthetisiert war. Ein noch eklatanteres Recycling fand statt, als die Musikindustrie die Macht des Fernsehens entdeckte: 1972 hatte eine Firma namens K-Tel mit einer Reihe von Compilation-LPs, die im Fernsehen beworben wurden, unmittelbaren Erfolg. 1976 machten diese Sampler 30 Prozent aller Verkäufe aus.

Fernsehwerbung, stromlinienförmiger Einzelhandel, Steuertricks und eine institutionalisierte Nostalgie füllten den gesamten luftleeren Raum der Pop-Kultur aus. Ein Artikel im Melody Maker über den »Zustand des Rock« im Juni 1975 fasste die Situation zusammen: »Im Herzen des Rock-Traums steht eine Registrierkasse«. Im selben Artikel stellte der unabhängige Produzent Pete Jenner fest: »Ich denke an jemanden, der 16 ist und der sagen wird, ›schaut euch dieses Zeug an, das diese Bands mit diesen riesigen PAs und Lichteffekten machen. Darum kann es nicht gehen. Das hat doch mit den Leuten nichts zu tun.‹«

Es gab bereits einen Ort für junge Musiker, die versuchten, den eingeschlagenen Weg der gestriegelten Anpassung und der hohen Investitionen zu sprengen. Im Herbst 1975 hatte der Eindruck, den Dr Feelgood hinterlassen hatte, die Pub-Szene für eine neue Generation aufregender, leidenschaftlicher Gruppen geöffnet: die Stranglers, Eddie And The Hot Rods und Joe Strummers 101er. »Uns wurde klar, dass wir uns beeilen mussten«, sagt Paul Cook, »es gab da eine unterirdische Strömung mit vielen Leuten, die Bands gründen wollten. Man konnte spüren, dass etwas passieren würde.«

Auch Bernard Rhodes versuchte, eine Teenager-Pop-Gruppe zu formieren, die sich aus Musikern einer Band zusammensetzten sollte, die sich London SS nannte. Gegründet von dem Kunststudenten Mick Jones und Tony James, war London SS eine hochgradig stilbewusste Band, laut James »langhaarig wie eine Londoner Ausgabe der New York Dolls mit Mädchenschuhen«. Rhodes’ setzte der Gruppe wegen ihres Namens zunächst so zu, dass sie ihn ablegten. Dann besorgte er ihnen im Praed Street Café in Paddington einen Stützpunkt, wo sie Dutzende Möchtegern-Gitarristen, Sänger und Schlagzeuger vorspielen ließen.

»Tausende von Leuten behaupten jetzt, sie wären bei London SS gewesen«, sagt James. »Chrissie Hynde kam und ging. Wir haben damals auch Aufnahmen gemacht, Coverversionen von MC5-Nummern und ›Protex Blue‹. Bernie und Malcolm waren am hilfreichsten, indem sie unser Selbstverständnis veränderten. Sie stellten uns Glen, Steve und Paul vor: Damals hatten sie sehr kurze Haare, und wir hatten sehr lange Haare. Wir hassten die Vorstellung, unsere Haare schneiden zu lassen. Lange Haare waren noch immer ein Symbol der Rebellion. Es gab also zwei Fraktionen. Die Sex Pistols waren King’s Road, wir waren Paddington, aber wir brachen auseinander, weil wir keinen Sänger finden konnten.«

Selbst mit einem Sänger hatte die neu geschaffene SEX-Band noch einen Berg an Problemen zu bewältigen. Einen Monat nach ihrer ersten Probe, war noch immer alles vorläufig. Abgesehen von musikalischen Defiziten hatten die vier Schwierigkeiten, einen Übungsraum zu finden. Im September übernahm schließlich McLaren die Verantwortung für die Gruppe: Als Glen eine Anzeige für einen Proberaum im Melody Maker fand, übernahm er die 1000 Pfund Kaution.

Der Raum befand sich im Erdgeschoss und konnte nur über einen zerfallenen Durchgang zwischen Nummer 6 und 8 in der Denmark Street erreicht werden. John mochte ihn, weil er feucht und deprimierend war; Steve Jones mochte ihn, weil er eine W1-Postleitzahl hatte; Malcom McLaren mochte ihn, weil er eine Art trojanisches Pferd direkt im Herzen von Tin Pan Alley war, die der Angelpunkt des englischen Pop in den 40er, 50er und 60er Jahren gewesen war. Es spielte keine Rolle, dass das Zentrum der Musikindustrie nun woanders lag. Mit diesem winzigen Raum konnte er Larry Parnes oder Laurence Harvey in dem Film »Expresso Bongo« sein.

Am nächsten Tag rief Paul Cook McLaren an, um ihm zu sagen, dass er die ganze Nacht nachgedacht hatte, und dass er aus der Band aussteigen wolle. Er fand, die Gruppe sei ein Scherbenhaufen und dass McLaren mit dem Proberaum Geld verschwenden würde. »Ich dachte, Malcolm würde die ganze Zeit Scheiße reden«, sagt Cook, »er sagte immer, dass etwas passieren würde, aber es passierte nie.« McLaren gewann Zeit, indem er Vorspieltermine für einen fähigen Gitarristen ansetzte. Die Anzeige für einen »Whizz Kid-Gitarristen, nicht älter als 20, nicht schlechter aussehend als Johnny Thunders« erschien am 27. September in Melody Maker. Eine Antwort kam sofort.

Laut McLaren »kamen ein paar unglaublich komische, verrückte Kids. Einer hieß Fabian Quest und drehte beim Gitarrespielen seinen Kopf zur Wand. Als sie ihn vorspielen ließen, merkten sie, dass sie immerhin schon mal besser waren als dieser Typ. Jones machte sich in die Hosen vor Lachen. Sie benahmen sich schrecklich. Aber sie hatten plötzlich eine Identität: Es kamen diese ganzen Kids, also war es nicht so, dass jeder mitmachen konnte. Sie hatten eine gemeinsame Basis: Sie kritisierten diese Leute und deren unterschiedliche Vorstellungen, die nicht zu ihren eigenen passten, obwohl sie nicht wussten, welche Vorstellungen sie eigentlich hatten.« Cook wurde überredet, dabei zu bleiben, und Proben wurden um seine Arbeitszeiten herum angesetzt. Lydon und Jones waren arbeitslos, während Matlock gerade wieder nach St. Martin’s zurückgekehrt war.

»Ich lebte lange Zeit alleine in der Denmark Street«, sagt Steve Jones. »Ich nahm Black Bombers und spielte stundenlang zu Platten: Raw Power und die New York Dolls. Meine Finger waren runter bis auf die Knochen.« »Wir probten fast jeden Tag«, sagt Glen, »selbst wenn es nur für eine halbe Stunde war.«

Die Sex Pistols taten, was jede andere Gruppe in ihrer Lage auch tat: Sie spielten ihre Lieblingsoldies und machten sie zum Prüfstein. Im Oktober probten sie ein Repertoire, das vor allem aus experimentellem Mod-Pop bestand: »Psychotic Reaction« von Count Five, »Through My Eyes« von The Creation, fünf Songs von den Small Faces, darunter »All Or Nothing« und »My Mind’s Eye«, der brutale R&B von Dave Berry »Don’t Gimme No Lip Child«, und die inzestuösen Zeilen aus »Substitute« von The Who. Trotz der Gewalt in diesen Songs war Lydon nicht zufrieden: »Alle fanden, ich wäre gemein und widerwärtig, weil ich keine Coverversionen oder Small Faces-Songs spielen wollte. Wir spielten ein paar gute Songs, wir haben sie wirklich verstümmelt, aber man muss irgendwo anfangen. ›Don’t You Gimme No Lip, Child‹, ›Don’t You Talk Back To Me‹: Aus dem Mund eines 18jährigen ist das ziemlich sarkastisches Zeug. Sobald ich die Gelegenheit hatte, kam ich mit Ideen an: ›vergiss sie‹, dachte ich, ›die wollen Who-Nummern klauen. Mir egal. Ich werde die Songs schreiben, die ich schreiben will.‹ Ich hasste das Proben. Ich fühlte mich unsicher, also schrieb ich diese kleinen Dinger, kroch in eine Ecke, nuschelte vor mich hin und hoffte, dass es niemand hören würde.«

Um nicht einfach nur eine bessere Pub-Rock-Band zu sein, brauchten die Sex Pistols eigenes Material. McLaren drängte sie. »Damals war Malcolm wie ein Bandmitglied«, sagt Cook, »er hing gerne mit jüngeren Leuten ab, lebte von deren Energie.« Lydon hatte den Text zu »Scarface« geändert, der zu »Did You No Wrong« wurde, bevor Matlock mit »Pretty Vacant« kam.

»Es war noch nicht lange her, dass Malcolm mit Postern aus den Staaten zurückkehrte«, sagt Matlock, »eins war von Television, die Band, in der Richard Hell war. Da waren diese ganzen großartigen Songs drauf, ›Blank Generation‹, ›Venus De Milo‹, und daher hatten wir die Idee für ›Pretty Vacant‹.«

Der Song beginnt mit einem einzelnen, aber theatralisch wiederholten Gitarrenlauf, bevor er in eine von Matlocks besten Melodien und prägnantesten Strukturen übergeht. Der Refrain des Songs, »We’re so pretty«, war die Antwort auf einen Artikel in der Sunday Times über die Bay City Rollers, wo das Bild einer 17jährigen Kunststudentin mit der Bildunterschrift »They’re so pretty« versehen war. Lydon verkehrte Glens Refrain und das, was ein hübsches kleines Rock-Liedchen hätte sein können, in etwas vollkommen anderes: Seine negativen Verszeilen sind eine entschiedene Weigerung, obwohl sie gleichzeitig auch als Absage an Definitionen verstanden werden können: »There’s no point in asking: you’ll get no reply.«

»Pretty Vacant« fing die Spannungen zwischen Lydon und Matlock ein. »Ich und Glen waren nie auf einer Wellenlänge«, sagt Lydon. »Die Sachen, die er mochte, die hübsche, sauberrasierte Seite von Pop, finde ich abstoßend und öde.« »John ist ein durchgeknallter Katholik«, sagt Matlock, »und das kam im Text zum Vorschein. Einer der Songs, den wir nie benutzt haben, handelte vom Erzengel Gabriel.«

Genau genommen fand bereits der Kampf um die Kontrolle statt.

»Glen war Malcolms Handlanger«, sagt Bernard Rhodes, »er machte alles, besorgte die College-Auftritte. Es wurde eine Sache zwischen John und Malcolm: sie verstanden sich gut, aber wenn man den Aufrührer unterstützt, um ein Problem zu lösen, dann arbeitet man am Ende für den Aufrührer. Glen war Malcolms Trumpf.«

Lydon hatte sich durch eine lange, morbide Phase zu kämpfen.

»Den einzigen Job, den ich wirklich haben wollte, als ich arbeitslos war, gab es in einem Bestattungsinstitut, aber sie haben mich nicht ernst genommen«, sagt er. Ein früher Song, eine Antwort auf Hells

»Please Kill Me« T-Shirt, hieß »Kill Me Today«. Unter dem Druck, Hymnen über den Generationskonflikt produzieren zu müssen, begann Lydon mit einer systematischen Verwirrung der Sinne, die ihn dazu brachte, selbstreflexive Versuche wie »Concrete Youth« und »Mindless Generation« zugunsten instinktiverer, unbewussterer Ansätze fallen zu lassen.

»Ich dachte eine Woche lang darüber nach«, sagt Lydon, »und dann kam es in einem Rutsch heraus.« Das Ergebnis war eher anspielungsreich als spezifisch. »You’re only twenty-nine, got a lot to learn, but when your business dies, you will not return«, sang er auf »Seventeen«, dem Song, mit dem die Sex Pistols einem Gründungsmanifest vielleicht am nächsten kamen: »We make noise ’cos it’s our choice, it’s what we want to do. We don’t care about long hair: we don’t wear flares.« »I don’t work«, schloss er, »I just speed that’s all I need.«

Die verschiedenen Erklärungen von McLaren und Lydon, alljährlich in den Medien veröffentlicht, belegen ganz deutlich, dass keiner von beiden Einfluss auf den anderen hatte und noch schlimmer: »Wir waren nie Freunde, nie« (Lydon); »Niemals, nie« (McLaren). Unabhängig von diesen Kabbeleien wird aber noch eine andere Seite der Geschichte sichtbar. »Ich sah McLaren einige Wochen, nachdem er auf John gestoßen war«, erzählt Nick Kent, »er schwärmte von ihm. Was mich schließlich davon überzeugte, dass er es geschafft hatte, war: Er ist das Beste an der Band, er schreibt großartige Texte, er hat einen Song, der heißt ›You’re only twenty-nine, but you got a lot to learn‹.«

»Eigentlich mochte John Malcolm am Anfang«, meint Helen Wallington-Lloyd, »vielleicht als Vaterfigur oder als Spiegelbild seiner selbst. Und für Malcolm war John eine jüngere Ausgabe seiner eigenen Person. Wenn du jung bist, bist du furchtlos, du kannst alles mögliche machen.« 1975 verließ Malcolm Vivienne, um mit Helen, die gerade aus Südafrika zurückgekehrt war, in ihrer Wohnung in der Bell Street zu leben. »Er trug Lederhosen und sprach wie ein Amerikaner; ich traf Johnny und seine Kumpel. Johnny sah in seinem Mohair-Pullover umwerfend aus: wie ein junger Albert Steptoe. Sehr schwuchtelig und immer am jammern. Er hatte sehr eindeutige Ansichten, und er brachte sie zur Sprache: laut. Ich sah ihn an und dachte: ›Was hat sich Malcolm da bloß angelacht?‹ Seine Freunde wirkten auf mich wie diese National Front-Typen, wie Rüpel. Sie schubsten sich ständig und erzählten was von Schwuchteln, Juden und Schwarzen. John war auch ein bisschen so: sehr misstrauisch gegenüber Leuten aus der Mittelklasse. Ich habe mit seiner Mutter telefoniert. Sie fragte mich: ›Wie ist dieser Malcolm McLaren wirklich? Glauben Sie, der ist echt? Denkt er auch an den Jungen?‹ Ich glaube nicht, dass es ihnen gefallen hat, dass Malcolm Jude war. Da gibt es ein tiefsitzendes katholisches Ressentiment gegenüber Juden, besonders gegenüber jemandem wie Malcolm, der die Fäden zog. Ich kam John sehr nahe: Er mochte mich. Seine Mutter sagte: ›Er ist ein komischer Junge, widerspricht sich dauernd.‹ Ich glaube, er ist insgeheim schwul. Ich glaube, mit Malcolm war es eine sexuelle Angelegenheit. Es war narzistisch: Sie sahen sich sehr ähnlich. Beide Wassermänner, beide denselben Knochenbau. Sie haben diese Augen und sind beide absolut furchtlos. Sie sind hart. Offensichtlich haben sie sich durch unterschiedliche Vorkommnisse in ihrer Vergangenheit verschieden entwickelt, aber beide hatten ein loses Mundwerk. Sie kamen mit den bizarrsten Neuheiten an.«

Es gibt keinen Zweifel, dass es zwischen beiden gefunkt hat. Die Spannungen allerdings kamen auch in einem anderen frühen Sex Pistols Song, »Submission«, zum Vorschein. »Malcolm war solch ein Poser«, sagt Paul Cook, »mit seinen ganzen Phantasien über Sex und Gewalt.« McLaren sagte der Band, sie sollten einen Song über den SEX-Laden schreiben über SM, Fesseln, Herrschaft und sowas. Mit Glen schrieb Lydon etwas völlig anderes: einen langsamen, beinahe mystischen Song über das unerreichbar Weibliche.

McLarens Kontrolle war alles andere als absolut. Im November 1975 hatte er außerdem Probleme, die Gruppe dazu zu bringen, sich auf einen Namen zu einigen. Nachdem sie einen Monat lang hart geprobt hatten, waren die Sex Pistols so weit, sich der Welt zu stellen. Obwohl sie den Namen bereits benutzt hatten, gab es keine endgültige Übereinkunft. Glen wurde beauftragt, Konzerte in Colleges aufzutun. Zwei hatte er arrangiert: eins in der Central School of Art and Design in Holborn am 7. November und eins in einem kleinen Raum im ersten Stock in St.Martin’s am Tag davor. Der Name der Gruppe musste nun endgültig geklärt werden.

Obwohl sich Lydon und die anderen seit drei Monaten kannten, hatte er der Band immer noch nicht seinen Nachnamen verraten. John spuckte ständig, rotzte herum oder begutachtete seine verrottenden Zähne. Steve Jones fand das abstoßend und sagte zu John, »Du siehst verrottet aus«. Der Name blieb haften. Er war das Negativ der Pop-Art-Pseudonyme von Larry Parnes: Nicht Wilde, sondern Rotten; Sex Pistols, aber nicht sexy. Die anderen waren nicht ganz derselben Überzeugung. Paul wurde beinahe zu »Slave« Cook, während Glen einfach ein weiteres »N« anhängte. Jones blieb wie er war. McLaren bestand darauf, dass sie unter dem Namen, den er im Herbst 1974 geprägt hatte, an die Öffentlichkeit traten. Schließlich sollte die Gruppe für den Laden werben, und deshalb musste Sex im Namen vorkommen. Was also war falsch an Sex Pistols mit den Konnotationen »Knarre, Attentäter, jung, unmoralisch und Sex?«

Wie immer gibt es unterschiedliche Darstellungen. »Ich mochte den Namen sehr gern«, sagt Lydon, »ich fand ihn toll. Das Wort Sex war niemals zuvor auf solch krasse Weise benutzt worden, und es in Verbindung mit einer Pop-Band zu verwenden, war lustig. Ich fand ihn perfekt, um alte Damen vor den Kopf zu stoßen.« »Rotten wollte nur Sex heißen«, sagt McLaren, »Jones liebte den Namen. Cook fand ihn in Ordnung, wollte aber etwas, das normaler klang. Matlock, der ein echter Oberschüler war, schlug sich auf Johns Seite. Sie traten trotzdem als Sex Pistols auf. Ich hätte nichts anderes geduldet: Ich hatte die Kontrolle, und ich wollte nicht meine Zeit mit einem Haufen Deppen verschwenden, die unter einem Namen wie Sex auftraten. Ich wollte möglichst viele Hosen verkaufen.«

You know what I think?

I think the whole world stinks

& I don’t need no shrink I just hate it

The Electric Eels, »Agitated« (1975)

Als die Sex Pistols ihren ersten Auftritt hatten, verdrängte das sechs Jahre alte »Space Oddity« von David Bowie gerade Art Garfunkels Version eines sechzehn Jahre alten Songs »I only have eyes for you« vom ersten Platz der britischen Singles Charts. Den ersten Platz bei den Langspielplatten belegte die im Fernsehen beworbene »40 Golden Great« von Jim Reeves, der 1964 gestorben war. Die Wiederkehr der 60er Jahre war Beleg für die Armut der Gegenwart: »Remember those fabulous 60s« lautete eine Überschrift im New Musical Express in jener Woche, als alte Songs von den Beatles und den Small Faces wieder in die Top Ten gehievt wurden.

Im Innenteil war jedoch ein Artikel, der nichts für diese Nostalgie übrig hatte. Unter der Überschrift »Are you alive to the jive of ... THE SOUND OF ’75?« wurde die New Yorker Szene vorgestellt, die McLarens Geheimtip war. Charles Shaar Murrays Doppelseite über den heute noch existierenden Club CBGB’s stellte die Ramones auf einen Ehrenplatz. »Sie spielten 20minütige Sets, weil sie nur acht Songs hatten, aber jetzt bringen sie es auf 45 Minuten. Joey rotzt den Titel des Songs nur so hin, Dee Dee ruft ›1-2-3-4‹ und es geht wieder los, vielleicht mit ›53rd and 3rd‹.« Eineinhalb Minuten Songs; 1-2-3-4 Anzähl Intros; Byrds Frisuren: perfekt.

Die CBGB’s-Szene war beträchtlich gewachsen. In der zweiten Hälfte des Juli 1975 veranstaltete der Club ein Rock Festival, auf dem über 30 neue Gruppen präsentiert wurden. Obwohl der Andrang unterschiedlich war, zog das Festival zum ersten Mal eine größere Aufmerksamkeit der Presse auf sich. Innerhalb der kleinen, inzestuösen Welt der englischen Wochenblätter und den New Yorker Medien war das Festival ein Hit, aber es sprengte nicht den eng gesteckten Rahmen. Die meisten Gruppen hatten noch keinen Erfolg in den Top 40.

Noch konnte man sich nicht auf einen Namen für die neue Bewegung einigen. Hilly Kristal nannte sie Street Rock, aber nun kam eine neue Zeitschrift heraus, die den neuen Namen prägte. Punk wurde von zwei Highschool-Freunden aus Cheshire, Connecticut, Legs McNeil und John Holmstrom, erfunden. Holmstrom studierte Zeichentrickfilm bei Will Eisner und Harvey Kurtzman an der School of Visual Arts in New York. McNeil, ein irisch-katholischer Hochschulabbrecher, kam im September 1975 an die Schule: »John hatte eine klare Vorstellung. Er wollte die Zeitschrift Teenage News nennen, was ich wirklich für dumm hielt. Ich sagte zu John: ›Warum nennen wir sie nicht Punk?‹ Aber John sagte: ›Ich bin der Chefredakteur.‹ Unser Freund Jed sagte:

›Ich bin der Herausgeber.‹ Beide sahen mich an und fragten: ›Und was bist du?‹ ›Ich bin der Punk vom Dienst.‹ Dann war die Sache in zwei Sekunden beschlossen. Im Fernsehen sagten Kojak, Beretta und die Bullen, wenn sie endlich den Massenmörder geschnappt hatten: ›Du dreckiger Punk.‹ Lehrer nannten einen ebenfalls so. Punk bedeutete, dass man das allerletzte war. Wir, die Abbrecher und Versager, schlossen uns zusammen und wurden eine Bewegung. Man hat uns unser Leben lang gesagt, dass wir es nie zu etwas bringen würden. Wir sind die Leute, die durch die Lücken im Bildungssystem fielen.«

»Es war ziemlich offensichtlich, dass das Wort sehr beliebt wurde«, sagt John Holmstrom. »Das Creem-Magazin benutzte es, um die Musik der frühen siebziger Jahre zu beschreiben. Bomp benutzte es, um die Garagenbands der Sechziger zu beschreiben. Eine Zeitschrift wie Aquarian benutzte es, um zu beschreiben, was im CBGB’s vor sich ging. Das Wort wurde benutzt, um Springsteen, Patti Smith und die Bay City Rollers zu beschreiben. Als dann Legs damit ankam, dachten wir, wir nehmen den Namen lieber, bevor jemand anderes Anspruch darauf anmeldet. Wir wollten die ganze Scheiße loswerden, wir wollten wieder den reinen Rock’n’Roll. Wir wollten den Spaß und die Lebendigkeit zurück.«

»Der Krieg in Vietnam ging zu Ende, was, wie ich glaube, sehr geholfen hat«, sagt McNeil. »Als Kind wuchs man mit der Angst auf, dass man hinmüsste. Es war wie eine Befreiung, eine Party. Im vorhergehenden Jahr gab es Watergate, es war eine Zeit des Wandels. Etwas würde passieren. Das Gefühl sagte einem, dass diese Regierung krank war und Nixon ein Arschloch. Und dann hatten wir Ford, einen echten Trampel. Niemand in New York hatte Geld: Die Stadt war beinahe bankrott. Und was riet Ford der Stadt: ›Fall tot um.‹«

Punk: How old are you?

Tommy: 23,24.

Punk: Oh, that’s us!

Tommy: Lovely generation.

Punk 1: »Ramones Rock’n’Roll The Real Thing«

Die erste Ausgabe von Punk kam im Dezember 1975 an die Zeitungskioske. Sofort bündelte es die unterschiedlichsten Elemente der CBGB’s-Szene. Die Titelstory war ein Interview mit Lou Reed über dessen aktuelle Platte »Metal Machine Music«, statt eines Fotos aber gab es eine bösartig gut getroffene Karikatur von Reed als »Metal Man«.

»Ich wollte was Neues im Comic«, sagt Holmstrom, »es passte zur Musik. Johnny Ramone trug immer T-Shirts mit Cartoon-Logos.« Für die erste Ausgabe von Punk ist die künstlerische Gestaltung genauso wichtig wie die Reed-Beleidigung. Die Ramones spielen auf dem Interview-Band, und sie sind auf einer Fotografie zu sehen. In einem Cartoon sieht man die Interviewer, wie sie Reed auf der Straße verfolgen. Der Effekt war direkt und gleichzeitig distanziert, eine formale Innovation, die der Zeitschrift Mad oder den Kunstgriffen der Ramones entsprach: »Dritte Strophe anders als die erste«, rufen sie auf »Judy is a Punk«, und natürlich ist sie das.


Johnny Joey and Dee Dee Ramone im CBGB's, Anfang 1976 (© Roberta Bayley)

Mary Harron, eine Kanadierin, die in Oxford Isis herausgegeben hatte, interviewte die Ramones für die erste Ausgabe von Punk. »Als ich die Ramones zum ersten Mal sah«, sagt sie, »konnte ich nicht glauben, dass Leute so etwas machen. Diese dumpfe Flegelhaftigkeit: ›Beat on the brat with a baseball bat.‹ Es gab dieses Comic-Element, und trotzdem war man an einem realen Ort, sie hätten ganz im Ernst kriminell sein können. Es hatte was: sie sahen doof-gescheit, gescheit-doof aus.«

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9783862871759
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