Читать книгу: «Zehn Tage, die die Welt erschütterten», страница 5

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Am 29. entwarf eine gemeinsame Kommission der Regierung und des Rates der Russischen Republik in aller Hast zwei neue Gesetze, deren eines die vorübergehende Übergabe des Landes an die Bauern bestimmte, während das andere die Einleitung einer energischen auswärtigen Friedenspolitik bedeuten sollte. Einen Tag darauf beseitigte Kerenski die Todesstrafe in der Armee. Am selben Nachmittag erfolgte die feierliche Eröffnung der ersten Sitzung der »Kommission zur Festigung des republikanischen Regimes und Bekämpfung der Anarchie und Konterrevolution«, die allerdings in der ferneren Entwicklung nicht die geringsten Spuren hinterlassen hat ... Am folgenden Morgen interviewte ich, zusammen mit zwei anderen Journalisten, Kerenski – das letzte Mal, dass dieser Journalisten empfing. »Das russische Volk«, meinte er bitter, »leidet unter seiner ökonomische Ermattung und den Enttäuschungen, die die Alliierten ihm bereiteten! Die Welt gibt sich dem Wahn hin, dass die Russische Revolution zu Ende sei. Irre man sich nicht. Die Russische Revolution steht erst an ihrem Beginn.« Worte, prophetischer, als er es selbst geahnt haben mochte.

Am 30. Oktober fand eine die ganze Nacht währende ungemein stürmische Sitzung des Petrograder Sowjets statt, auf der ich zugegen war. Die »gemäßigten« sozialistischen Intellektuellen, Offiziere, Armeekomitees, das Zentralexekutivkomitee der Sowjets waren zahlreich erschienen. Gegen sie erhoben sich, leidenschaftlich und einfach, Arbeiter, Bauern und niedere Soldaten. Ein Bauer berichtete von den Unruhen in Twer, die, wie er sagte, durch die Verhaftung des Bodenkomitees verursacht waren. »Dieser Kerenski«, rief er, »ist nichts anderes als ein Schild für die Grundbesitzer, die wissen, dass auf der Konstituierenden Versammlung wir uns das Land irgendwie nehmen werden, und die diese darum unmöglich machen wollen.« Ein Maschinist aus den Putilow – Werken schilderte, wie die Direktion die Abteilungen, eine nach der anderen, schließe, unter dem Vorwande, dass man weder Feuerung noch Rohmaterialien habe, währenddessen die Fabrikkomitees riesige Mengen an Materialien entdeckt hätten, die versteckt worden waren. »Das ist Provokation«, sagte er, »Man will uns aushungern oder zur Gewalt treiben!« Ein Soldat begann mit den Worten: »Genossen! Ich überbringe euch Grüße von dorther, wo Männer ihre eigenen Gräber schaufeln und diese Schützengräben nennen.«

Dann erhob sich, von mächtigem Beifallssturm begrüßt, ein langer, hagerer, noch junger Soldat. Es war Tschudnowski, als in den Julikämpfen gefallen gemeldet und jetzt mit einem Male von den Toten auferstanden: »Die Soldatenmassen trauen ihren Offizieren nicht mehr. Sogar die Armeekomitees, die es ablehnten, unsern Sowjet einzuberufen, haben uns verraten. Die Massen der Soldaten bestehen auf dem Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung genau an dem Tag, für den sie einberufen war. Die es wagen sollten, sie hinauszuschieben, werden ihre Strafe finden, und nicht nur platonisch – die Armee hat auch Kanonen.« Er berichtete von der im Augenblick in der Fünften Armee geführten Wahlkampagne für die Konstituierende Versammlung. »Die Offiziere, und besonders die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, tun alles, um die Wahltätigkeit der Bolschewiki unmöglich zu machen. Man verbietet die Verbreitung unserer Zeitungen in den Schützengräben und verhaftet unsere Redner.«

»Warum sprichst du nicht davon, dass wir kein Brot haben?« rief ein anderer Soldat dazwischen. »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein«, antwortete Tschudnowski streng. Ihm folgte ein Offizier und menschewistische Sozialpatriot des Witebsker Sowjets. »Es handelt sich nicht darum, in wessen Händen die Macht liegt. Nicht die Regierung ist das Problem, sondern der Krieg ... , und der muss gewonnen werden, bevor an irgendeine Änderung zu denken ist.« (Lärm und ironische Beifall.) »Die bolschewistischen Agitatoren sind Demagogen.« (Allgemeines Gelächter.) »Lasst uns nur einen Augenblick den Klassenkampf vergessen.« Weiter kam er jedoch nicht.

Laut rief eine Stimme: »Das könnte dir wohl so passen!« Petrograd bot in jenen Tagen ein eigenartiges Schauspiel, die Komiteeräume in den Fabriken starrten vor Waffen, Kuriere kamen und gingen, die Roten Garden exerzierten ... In den Kasernen Abend für Abend Versammlungen und tagsüber heiße Diskussionen. In den Straßen drängten sich gegen Abend riesige Menschenmassen, den Newski auf- und niederflutend und sich um die herauskommenden Zeitungen reißend ... Raubüberfälle mehrten sich in einem Maße, dass es gefährlich war, sich in die Nebenstraßen zu wagen. Auf der Sadowaja sah ich eines Nachmittags, wie eine Volksmenge von einigen hundert Menschen einen beim stehlen erwischten Soldaten niederschlug und zu Tode trampelte. Geheimnisvolle Individuen strichen um die in der Kälte stundenlang nach Brot und Milch anstehenden, vor Frost zitternden Frauen herum, tuschelnd, dass die Juden die Lebensmittel auf die Seite brächten und dass, während das Volk hungere, die Sowjetmitglieder im Luxus schwelgten.

Der Smolny wurde aufs schärfst bewacht. Niemand kam hinein und heraus, der keinen Passierschein hatte. In allen Komiteeräumen herrschte geschäftiges Leben den ganzen Tag hindurch, und auch des Nachts waren dort Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die auf dem nackten Boden schliefen, wo immer sich ein Plätzchen bot. Oben, in dem großen Saal, strömten die Menschen zu den lärmerfüllten Sitzungen des Petrograder Sowjets. In der Stadt taten sich zahllose Spielklubs auf, die bis zum Morgengrauen in Betrieb waren, wo der Champagner in Strömen floss und Einsätze von zwanzigtausend Rubeln keine Seltenheit waren. Im Zentrum der Stadt promenierten Dirnen, juwelen- und pelzgeschmückt, und drängten sich in die Cafés. Monarchistenverschwörungen, Schmuggler, deutsche Spione, die ihre Unternehmungen vorbereiteten. Und in dem kalten Regen, unter einem unfreundlichen grauen Himmel, die große pulsierende Stadt, die rascher und rascher dahinstürmt – wohin?

III. Am Vorabend

Wo immer ein revolutionäres Volk einer schwachen Regierung gegenübersteht, kommt unausbleiblich früher oder später der Moment, da jede Handlung der Regierung die Massen erbittert und jede Unterlassung ihre Verachtung weckt. Der Plan, Petrograd preiszugeben, beschwor einen Sturm herauf; Kerenskis öffentliche Erklärung, dass die Regierung eine derartige Absicht nie gehabt hätte, wurde mit einem Hohngelächter beantwortet. »Durch den Vorstoß der Revolution an die Wand gedrückt«, so rief die Zeitung »Rabotschi Put« aus, »versucht sich die Regierung der bürgerlichen Favoriten mit Lügen und Ausflüchten aus der Affäre zu ziehen. Nie habe sie daran gedacht, aus Petrograd zu flüchten; niemals sei es ihr in den Sinn gekommen, die Hauptstadt preiszugeben.« In Charkow akzeptierte eine Versammlung von dreißigtausend organisierten Bergarbeitern den Grundsatz der IWW [Industriearbeiter der Welt; Anm. der Redaktion].

»Die arbeitenden und die besitzenden Klassen haben nichts miteinander gemein.« Kosaken jagten die Bergarbeiter auseinander; einige wurden von den Bergwerksbesitzern ausgesperrt, der Rest rief den Generalstreik aus. Der Minister für Handel und Industrie, Konowalow, gab seinem Vertreter Orlow unbeschränkte Vollmacht, der Schwierigkeiten mit allen ihm gutdünkenden Mitteln Herr zu werden. Die Bergarbeiter hassten Orlow. Aber das Zentralexekutivkomitee der Sowjets bestätigte nicht nur seine Ernennung, sonder lehnte auch die Forderung ab, die Kosaken aus dem Donezbecken zurückzurufen. Dazu kam die Sprengung des Sowjets in Kaluga. Die Bolschewiki hatten dort die Mehrheit erlangt und einige politische Gefangene freigesetzt. Die Stadtduma rief mit Zustimmung des Regierungskommissars Truppen aus Minsk herbei, die das Gebäude des Sowjets mit Artillerie beschossen. Die Bolschewiki kapitulierten.

Während sie das Gebäude verließen, wurden sie plötzlich von Kosaken mit dem Ruf überfallen: »So werden wir es mit allen bolschewistischen Sowjets machen, die von Petrograd und Moskau nicht ausgenommen!« Der Zwischenfall hatte eine durch ganz Russland wogende zornige Erregung zur Folge. In Petrograd ging gerade ein Bezirkssowjetkongress für Nordrussland zu Ende, dem der Bolschewik Krylenko präsidierte. Der Kongress sprach sich mit überwältigender Mehrheit für die Übernahme der Macht durch den Gesamtrussischen Sowjetkongress aus. Er grüßte die in den Kerkern schmachtenden Bolschewiki, ihnen Mut zurufend, da die Stunde der Befreiung nahe sei. Zur selben Zeit erklärte sich der Erste Gesamtrussische Kongress der Fabrik- und Werkstättenkomitees mit Entschiedenheit für die Sowjets. Ein Beschluss dieses Kongresses erklärte: »Nachdem die Selbstherrschaft auf politischen Gebiet gestürzt worden ist, strebt die Arbeiterklasse danach, auch auf dem Gebiet ihrer Produktionstätigkeit der demokratischen Ordnung zum Siege zu verhelfen. Ausdruck dieses Bestrebens ist die Idee der Arbeiterkontrolle, die in der bestehenden Situation der wirtschaftlichen Zerrüttung durch die verbrecherische Politik der herrschenden Klasse heraufbeschworen wurde ...« Der Verband der Eisenbahner forderte den Rücktritt Liwerowskis, des Verkehrsministers ... Im Namen des Zentralexekutivkomitees bestand Skobelew darauf, dass der »Nakas« der Konferenz der Alliierten vorgelegt werden müsse, und protestierte formell gegen die Entsendung Tereschtschenkos nach Paris. Tereschtschenko bot seinen Rücktritt an ... General Werchowski, außerstande, seine Reorganisation der Armee durchzuführen, kam nur in langen Zwischenräumen in die Kabinettssitzungen ... Am 3. November kam Burzews »Obschtscheje Delo« mit großen Schlagzeilen heraus:

»Bürger! Rettet das Vaterland!

Ich erfahre eben, dass gestern in einer Sitzung der Kommission für Verteidigung im Rat der Russischen Republik der Kriegsminister, General Werchowski, einer der Hauptschuldigen für den Sturz Kornilows, den Vorschlag der Unterzeichnung eines Sonderfriedens, unabhängig von den Alliierten gemacht hat. Das ist der Verrat Russlands! Tereschtschenko erklärte, dass die Provisorische Regierung es abgelehnt habe, den Vorschlag Werchowskis auch nur zu prüfen. ›Man könnte meinen‹, erklärte Tereschtschenko, wir wären in einem Irrenhaus.‹ Die Mitglieder der Kommission waren über die Worte des Generals erstaunt. General Alexejew weinte. Nein! Das ist nicht Wahnsinn! Das ist Schlimmeres. Das ist der direkte Verrat Russlands! Kerenski, Tereschtschenko und Nekrassow müssen unverzüglich auf die Worte Werchowskis antworten. Bürger, wacht auf. Russland soll verkauft werden! Rettet es!«

In Wirklichkeit hatte Werchowski darauf hingewiesen, dass man die Alliierten zwingen müsse, einen Friedensvorschlag zu machen, weil die russische Armee nicht länger kämpfen könne ... Sowohl in Russland wie im Auslande war die Sensation ungeheuer. Werchowski erhielt »unbeschränkten Krankenurlaub« und trat aus der Regierung aus. »Obschtscheje Delo« wurde verboten. Zum Sonntag, dem 4. November, war eine riesige Veranstaltung geplant, ein sogenannter Tag des Petrograder Sowjets, mit Massenversammlungen in der ganzen Stadt, nach außen hin zum Zwecke der Sammlung von Geld für die Organisation und die Presse, in Wahrheit eine Demonstration, bestimmt, die Macht der revolutionären Massen zu zeigen. Plötzlich wurde bekannt, dass am gleichen Tag auch die Kosaken einen »Krestni Chod« (Kreuzprozession) zu veranstalten beabsichtigten, zu Ehren des Heiligen von 1912, dessen wunderbares Eingreifen die Vertreibung Napoleons aus Moskau ermöglicht haben soll. Eine ungeheure Spannung lag in der Luft. Ein Funke konnte den Bürgerkrieg entfachen. Der Petrograder Sowjet veröffentlichte ein Manifest, betitelt:

»An unsere Brüder, die Kosaken!

Man will euch, Kosaken, gegen uns Arbeiter und Soldaten aufhetzen. Diese Kainsarbeit stammt von unseren gemeinsamen Feinden: von den Gewalttätern – den Adligen, Bankiers, Gutsbesitzern, alten Beamten und ehemaligen Lakaien des Zaren ... Sie hassen uns bitter, die Spekulanten, Kapitalisten, Fürsten, der Adel, die Generale, mit Einschluss eurer Kosakengenerale. Sie sind jeden Moment bereit, den Petrograder Sowjet auseinanderzujagen und die Revolution niederzuschlagen. Irgend jemand hat zum 4. November eine Kirchenprozession für die Kosaken organisiert. Es ist eine persönliche Angelegenheit jedes einzelnen, ob er dorthin gehen will oder nicht. Wir werden uns da nicht einmischen oder jemanden hindern. Wir warnen euch aber, Kosaken! Seid achtsam, dass unter dem Vorwand einer Kreuzesprozession eure Kaledins euch nicht gegen die Arbeiter und Soldaten hetzen!«

Die Prozession wurde eiligst abgesagt. In den Fabriken, in den Arbeitervierteln propagierten die Bolschewiki ihre Parole: »Alle Macht den Sowjets«, während die Agenten der Schwarzhunderter unaufhörlich zur Abschlachtung der Juden, Geschäftsinhaber und der sozialistische Führer hetzten. Auf der einen Seite die monarchistische Presse, blutige Unterdrückungsmaßregeln fordernd, auf der anderen Lenins mächtige Stimme: »Aufstand! ... Man darf nicht länger warten!« Auch der bürgerlichen Presse war nicht wohl. Die »Birshewyje Wedomosti« (Börsennachrichten) nannten die bolschewistische Propaganda einen Angriff auf die elementarsten Grundlagen der Gesellschaft: die persönliche Sicherheit und die Achtung vor dem Privateigentum. Am wütendsten gebärdeten sich jedoch die »gemäßigten« sozialistischen Blätter. »Die Bolschewiki sind die gefährlichsten Feinde der Revolution«, schimpften »Delo Naroda« und der menschewistische »Den«, »die Regierung muss sich und uns schützen.« Das Blatt Plechanows, »Jedinstwo«,wies die Regierung auf die Tatsache hin, dass die Petrograder Arbeiter bewaffnet wurden, und forderte die aller strengsten Maßnahmen gegen die Bolschewiki. Die Regierung wurde von Tag zu Tag hilfloser. Selbst die Stadtverwaltung hörte auf zu funktionieren. Die Spalten der Morgenzeitungen waren voll von Nachrichten über verwegene Raubüberfälle und Morde. Den Banditen geschah absolut nichts. Andrerseits begannen die Arbeiter einen Sicherheitsdienst zu organisieren. Bewaffnete Patrouillen durchstreiften die Stadt, die den Kampf mit dem Verbrechertum aufnahmen und Waffen beschlagnahmten, wo sie welche fanden. Am 1. November erließ der General Polkownikow, der Petrograder Stadtkommandant, folgenden Befehl:

»Ungeachtet der für das Vaterland angebrochenen schweren Tage hören die unverantwortlichen Aufrufe zu bewaffneten Demonstrationen nicht auf, in Petrograd zu zirkulieren, und Räuberei und Anarchie nehmen täglich zu. Dieser Zustand der Dinge desorganisiert das Leben der Bürger und hindert die Arbeit der Regierung und der Stadtverwaltung. Im vollen Bewusstsein meiner Verantwortung und Pflicht gegenüber dem Vaterlande befehle ich:

1. Jede militärische Einheit hat, ihren besonderen Instruktionen gemäß, in ihrem Gebiet die Stadtverwaltung, die Kommissare und die Miliz kräftig zu unterstützen und die Regierungsinstitutionen zu verteidigen.

2. Zusammen mit den Bezirkskommandanten und Vertretern der Stadtmiliz sind Patrouillen zu organisieren und Maßnahmen zur Verhaftung der Verbrecher und Deserteure zu treffen.

3. Alle Personen, die in den Kasernen zu bewaffneten Demonstrationen und Metzeleien aufrufen, sind zu verhaften und an das Hauptquartier des Zweiten Stadtkommandanten auszuliefern.

4. Straßendemonstrationen, Versammlungen und Prozessionen sind nicht zugelassen.

5. Bewaffnete Demonstrationen und Pogrome sind mit allen zur Verfügung stehenden bewaffneten Kräften sofort im Keime zu ersticken.

6. Den Kommissaren ist jede erdenkliche Hilfe zum Zwecke der Verhinderung unbefugter Haussuchungen und Verhaftungen zu leisten.

7. Dem Stab des Militärbezirks ist über alle sich im Bezirk abspielenden Vorkommnisse Bericht zu erstatten.

An alle Armeekomitees und Organisationen richte ich die Aufforderung, die Kommandeure bei der Ausführung der ihnen aufgetragenen Aufgaben zu unterstützen.«

Im Rat der Russischen Republik gab Kerenski die Erklärung ab, dass die Regierung die bolschewistischen Vorbereitungen mit Aufmerksamkeit verfolge, dass sie aber stark genug sei, um keinerlei Demonstrationen fürchten zu müssen. Er klagte »Nowaja Rus« und »Rabotschi Put« an, die gleiche Wühlarbeit zu leisten. »Sie sind«, sagte er, »nur die zwei Seiten derselben Propaganda, deren Endzweck die von den reaktionären Mächten so heiß ersehnte Konterrevolution ist. Aber«, fügte er hinzu, »die Regierung ist durch die bestehende Freiheit der Presse gehindert, gegen die gedruckten Lügen ihrer Feinde vorzugehen.«

Am 2. November waren erst fünfzehn Kongressdelegierte angekommen. Am nächsten Tag waren es hundert und am übernächsten hundertfünfundsiebzig, davon hundertdrei Bolschewiki. Vierhundert Delegierte mussten mindestens zusammenkommen, und bis zum Eröffnungstermin waren es nur noch drei Tage. Ich habe einen großen Teil dieser Zeit im Smolny zugebracht. Dort hineinzugelangen war nicht mehr leicht. Die Tore waren von doppelten Postenketten bewacht, und auch, wenn man das Hauptportal hinter sich hatte, war man noch nicht drinnen, sondern musste sich einer langen Reihe schon wartender Leute anschließen, die, nachdem sie einem peinlich genauen Verhör über ihre Identität und ihre Geschäfte unterzogen worden waren, immer vier auf einmal, eingelassen wurden. Ausweise wurden ausgestellt und das Ausweissystem alle paar Stunden geändert, um den zahllosen Spionen das Durchschlüpfen unmöglich zu machen.

Eines Tages kam ich gerade dazu, als Trotzki und seine Frau von einem Soldaten angehalten wurden. Trotzki suchte in allen seinen Taschen, fand aber seinen Ausweis nicht. »Macht nichts«, sagte er endlich, »Sie kennen mich ja. Mein Name ist Trotzki.« »Wenn Sie keinen Ausweis haben, kommen Sie nicht hinein«, versetzte hartnäckig der Soldat. »Namen bedeuten mir gar nichts.« »Aber ich bin der Vorsitzende des Petrograder Sowjets.« »Wenn Sie eine so wichtige Persönlichkeit sind, dann müssen Sie doch auch irgendein Papier bei sich haben.« Trotzki verlor die Ruhe nicht. »Lassen Sie mich den Kommandanten sehen«, sagte er. Der Soldat zögerte und brummte, er könne nicht wegen jedes x-beliebigen den Kommandanten behelligen. Schließlich rief er den Wachhabenden herbei. Dem setzte Trotzki seinen Fall auseinander und wiederholte, dass er Trotzki sei. »Trotzki?« Der Soldat kratzte sich am Kopf. »Den Namen habe ich schon einmal gehört«, meinte er endlich. »Ich denke, es wird seine Richtigkeit haben, Sie können hineingehen, Genosse.«

Im Korridor traf ich Karachan vom bolschewistischen Zentralkomitee, der mir erklärte, was die neue Regierung sein wird: »Eine lockere Organisation, die in vollem Einklang mit dem Willen des Volkes handelt, wie er in den Sowjets seinen Ausdruck findet, und den lokalen Kräften volle Aktionsfreiheit lässt. Zur Zeit sind die lokalen Kräfte in der Betätigung ihres demokratischen Willens durch die Provisorische Regierung genauso behindert wie früher durch die Zarenregierung. Die Initiative der neuen Gesellschaft muss von unten kommen. Die Form der Regierung wird dem Statut der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands entsprechen. Das neue Zentralexekutivkomitee der Sowjets wird das Parlament sein und den häufig zusammentretenden Gesamtrussischen Sowjetkongressen Rechenschaft abzulegen haben. An der Spitze der verschiedenen Ministerien werden nicht, wie bisher, einzelne Minister, sondern Kollegien stehen. Die Ministerien sollen den Sowjets direkt verantwortlich sein.«

Am 30. Oktober hatte ich eine Unterredung mit Trotzki. Ich traf ihn in einem im Dachgeschoß des Smolny gelegenen kleinen, völlig kahlen Zimmer, in dem sich nur ein einfacher Tisch und ein paar Stühle befanden. Ich stellte einige wenige Fragen, und Trotzki sprach schnell und ununterbrochen länger als eine Stunde. Den wesentlichen Inhalt dessen, was er sagte, führe ich hier mit seinen eigenen Worten an:

»Die Provisorische Regierung ist absolut machtlos. Es herrscht die Bourgeoisie; nur wird diese Herrschaft von einer Scheinkoalition mit den Sozialpatrioten verdeckt. Jetzt, während der Revolution, häufen sich die Aufstände der Bauern, die es müde sind, auf das ihnen versprochene Land zu warten, und auch bei den übrigen werktätigen Klassen des ganzen Landes zeigt sich die gleiche tiefe Unzufriedenheit. Die Bourgeoisie kann ihre Herrschaft nur mittels des Bürgerkrieges aufrechterhalten. Die Kornilowmethode ist die einzige, deren sie sich bedienen kann. Aber ihr geht die Kraft aus. Die Armee ist mit uns. Die Kompromissler und Pazifisten, Sozialrevolutionäre und Menschewiki, haben allen Kredit bei den Volksmassen verloren; denn der Kampf zwischen Bauern und Gutsbesitzern, Arbeitern und Kapitalisten, Soldaten und Offizieren ist heute schärfer und unversöhnlicher denn je. Nur die vereinte Aktion der Volksmassen, der Sieg der proletarischen Diktatur, kann die Revolution vollenden und das Volk retten. Die Sowjets sind die denkbar vollkommenste Vertretung des Volkes, vollkommen in ihrer revolutionären Erfahrung wie in ihren Ideen und Zielen. Direkt basierend auf der Armee in den Schützengräben, den Arbeitern in den Fabriken, den Bauern auf ihren Feldern, sind sie das Rückgrat der Revolution. Das Resultat des Versuchs, eine Macht im Lande ohne die Sowjets zu schaffen, war nur die absolute Machtlosigkeit. In den Korridoren des Rates der Russischen Republik werden zur Zeit alle möglichen konterrevolutionären Pläne ausgeheckt. Der Vorkämpfer der Konterrevolution ist die Kadettenpartei, während die Sache des Volkes von den Sowjets vertreten wird. Zwischen diesen beiden Gruppen gibt es ernstzunehmende politische Gruppen nicht. Es ist der Endkampf. Die bürgerliche Konterrevolution sammelt alle ihre Kräfte und wartet auf den Moment, um gegen uns loszuschlagen. Unsere Antwort wird entscheidend sein. Wir werden das im März begonnene und während der Kornilow -Affäre fortgesetzte Werk vollenden.«

Über die auswärtige Politik der neuen Regierung sagte er: »Unsere erste Handlung wird ein Aufruf zum sofortigen Abschluss eines Waffenstillstandes an allen Fronten sein. Wir werden sofort eine Völkerkonferenz vorschlagen, deren Aufgabe es sein wird, über einen Friedensschluss auf demokratische Grundlage zu diskutieren. Wie demokratisch dieser Friedensschluss sein wird, hängt von der Stärke des revolutionären Widerhalls in Europa ab. Die Errichtung einer Sowjetregierung hier in Russland wird ein mächtiger Faktor für die Beschleunigung des Friedensschlusses in Europa sein; denn diese Regierung wird sich mit ihrem Waffenstillstandsvorschlag an die Völker unmittelbar und direkt, über die Köpfe ihrer Regierungen hinweg, wenden. Im Moment des Friedensschlusses wird der Druck der russischen Revolution sich gegen Annexionen und Kriegsentschädigungen, für die Selbstbestimmung der Völker und für die Errichtung einer föderativen Republik von Europa auswirken. Ich sehe Europa am Ende dieses Krieges neugeschaffen, nicht von Diplomaten, sondern vom Proletariat. Eine föderative Republik von Europa, die Vereinigten Staaten von Europa – das ist es, was es werden muss. Nationale Autonomie genügt nicht mehr. Die wirtschaftliche Entwicklung erheischt die Beseitigung der nationalen Grenzen. Bleibt Europa auch weiterhin in nationale Gruppen zersplittert, dann beginnt der Imperialismus sein Werk von neuem. Nur eine föderative Republik von Europa kann der Welt den Frieden geben. Im Augenblick jedoch, ohne das aktive Eingreifen der Massen in Europa, sind diese Ziele nicht zu verwirklichen.«

Während alle Welt erwartete, die Bolschewiki eines Morgens auf der Straße erscheinen zu sehen, um jeden niederzuschießen, der einen weißen Kragen umhatte, ging der Aufstand in Wirklichkeit ganz anders, sehr natürlich und in aller Öffentlichkeit vor sich. Die Provisorische Regierung plante die Entsendung der Petrograder Garnison an die Front. Derselben Petrograder Garnison von zirka sechzigtausend Mann, die einen so großen Anteil an dem Siege der Revolution gehabt hatte. Die Petrograder Truppen waren es gewesen, die die Kämpfe der Märztage entschieden, die die Sowjets der Soldatendeputierten geschaffen und Kornilow von den Toren der Stadt verjagt hatten. Jetzt waren sie zum großen Teil Bolschewiki. Als die Provisorische Regierung sich mit dem Gedanken trug, Petrograd preiszugeben, war es die Petrograder Garnison, die erklärte: »Wenn ihr unfähig seid, die Hauptstadt zu verteidigen, so schließt Frieden. Könnt ihr den Frieden nicht schließen, dann tretet zurück und macht einer Volksregierung Platz, die beides vermag.«

Es lag auf der Hand, dass das Schicksal jedes Aufstandsversuchs von der Haltung der Petrograder Truppen abhing. Der Plan der Regierung war, die bisherigen Garnisonregimenter durch ihr ergebene Truppen, Kosaken, Todesbataillone usw., zu ersetzen. Die Armeekomitees, die »gemäßigten« Sozialisten, das Zentralexekutivkomitee der Sowjets unterstützten dieses Vorhaben der Regierung. Eine ausgedehnte Agitation wurde an der Front und in Petrograd in Szene gesetzt, die vor allem mit der Behauptung arbeitete, dass die Petrograder Truppen seit nun schon acht Monaten in den Kasernen der Hauptstadt ein gemächliches Leben führten, während ihre Kameraden in den Schützengräben starben und hungerten. Bis zu einem gewissen Grade traf es sicher zu, dass die Garnisonregimenter nur geringe Lust verspürten, ihr verhältnismäßig angenehmes Leben gegen die Mühsalen eines Winterfeldzuges zu vertauschen. Aber es waren andere Gefühle, weshalb sie sich weigerten zu gehen. Der Petrograder Sowjet misstraute der Regierung, und von der Front kamen hunderte Delegierte der breiten Soldatenmassen, die erklärten: »Es ist wahr, wir brauchen Verstärkung; wichtiger aber ist uns, Petrograd und die Revolution in guten Händen zu wissen. Hütet ihr die Heimat, Genossen! Wir werden die Front halten.«

Am 25. Oktober diskutierte das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets in geschlossener Sitzung die Errichtung eines besonderen Militärkomitees, um die ganze Frage zur Entscheidung zu bringen. Am nächsten tag nahm die Soldatensektion des Petrograder Sowjets die Wahl des Komitees vor, das sofort den Boykott der Bourgeoisiezeitungen aussprach und das Zentralexekutivkomitee der Sowjets aufs schärfste verurteilte, weil es sich dem Sowjetkongress widersetzte. Am 29. Schlug in öffentlicher Sitzung des Petrograder Sowjets Trotzki die formelle Anerkennung des Revolutionären Militärkomitees durch den Sowjet vor. »Wir müssen«,sagte er, »unsere besondere Organisation schaffen, um weiterzukämpfen und, wenn notwendig, zu sterben.« Es wurde ein Beschluss gefasst, zwei Delegationen an die Front zu entsenden, und zwar eine vom Sowjet und eine von der Garnison, die mit den Soldatenkomitees und dem Generalstab unterhandeln sollten. In Psowk wurde die Sowjetdelegation von dem Kommandeur der Nordfront, General Tscheremissow, empfangen, der kurz und bündig erklärte, dass er die Petrograder Garnison an die Front kommandiert und dem nichts hinzuzufügen habe. Das Garnisonkomitee durfte Petrograd nicht verlassen. Eine Delegation der Soldatensektion des Petrograder Sowjets forderte die Zulassung eines Vertreters der Sektion in den Petrograder Bezirksstab. Das wurde abgelehnt. Das gleiche Schicksal hatte ein Antrag des Petrograder Sowjets, der verlangte, dass alle herausgehenden Befehle die Gegenzeichnung der Soldatensektion zu tragen hätten. Man erklärte den Delegierten schroff: »Für uns existiert nur das Zentralexekutivkomitee der Sowjets. Euch erkennen wir nicht an. Wir werden euch einsperren, sobald ihr euch gegen die Gesetze vergeht.« Am 30. Beschloss eine Delegiertenversammlung sämtlicher Petrograder Regimenter folgende Resolution: »Die Petrograder Garnison erkennt die Provisorische Regierung nicht mehr an. Unsere Regierung ist der Petrograder Sowjet. Wir folgen nur den Befehlen des im Auftrage des Petrograder Sowjets handelnden Revolutionären Militärkomitees.«

Den lokalen Truppeneinheiten wurde befohlen, auf Instruktionen der Soldatensektion des Petrograder Sowjets zu warten. Am nächsten Tag berief das Zentralexekutivkomitee eine eigene Versammlung ein, die hauptsächlich von Offizieren besucht war. Ein Komitee wurde gewählt, zur Zusammenarbeit mit dem Stab, und für sämtliche Quartiere der Stadt wurden besondere Kommissare ernannt. Ein am 3. Im Smolny abgehaltenes großes Soldatenmeeting erklärte:

»Die Petrograder Garnison begrüßt die Errichtung des Revolutionären Militärkomitees und ist gewillt, dasselbe in allen seinen Aktionen rückhaltlos zu unterstützen und nichts zu unterlassen, um Front und Heimat im Interesse der Revolution aufs engste zusammenzuschließen. Die Garnison erklärt weiter, dass sie zusammen mit dem Petrograder Proletariat die revolutionäre Ordnung in Petrograd aufrechterhalten wird. Jeder Versuch einer Provokation seitens der Kornilowleute oder der Bourgeoisie wird erbarmungslos niedergeschlagen werden.«

Seiner Macht bewusst, richtete jetzt das Revolutionäre Militärkomitee an den Petrograder Stab die schroffe Aufforderung, sich seinem Befehl zu unterstellen. Sämtlichen Druckereien wurde verboten, Aufrufe und Proklamationen irgendwelcher Art zu drucken, die nicht die Autorisation des Komitees hätten. Bewaffnete Kommissare beschlagnahmten im Kronberg – Arsenal große Mengen Waffen und Munition und hielten einen Schiffstransport von zehntausend Bajonetten an, die für Nowotscherkassk, das Hauptquartier Kaledins, bestimmt waren. Die Regierung, ihre gefährliche Lage endlich erkennend, versprach Straflosigkeit, wenn das Komitee sich auflösen würde. Es war zu spät. Am 5. November erschien Malewski, von Kerenski selbst geschickt, um dem Petrograder Sowjet eine Vertretung im Stab anzubieten. Das Revolutionäre Militärkomitee nahm an. Eine Stunde später wurde das Angebot von dem amtierenden Kriegsminister, General Manikowski, widerrufen. Am Dienstagmorgen wurde die Stadt durch das Erscheinen eines Plakates in Aufregung versetzt, das die Unterschrift trug: »Revolutionäres Militärkomitee beim Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten.«

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