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AMERIKA

1892 siedelte er mit seinen Brüdern James und William nach Amerika über und setzte seine Studien an der Columbia University in New York fort. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen übernahm er schon bald die Leitung des Amity College in College Springs, Iowa. Seine Beschwerden besserten sich allerdings nicht und so kam es 1895 in Kirksville zur schicksalhaften Begegnung mit Dr. Still. Bereits wenige Behandlungen führten zur deutlichen Linderung. Da Still dringend qualifizierte Lehrer an seiner 1892 gegründeten American School of Osteopathy benötigte, bot er Littlejohn einen Posten in seiner Fakultät an. Tief beeindruckt von Stills Naturkonzept der Osteopathie willigte er ein, begann 1898 seine Arbeit, schrieb sich im gleichen Jahr später als Student ein und wurde bereits 1899 zum Präsident der Schule gewählt.

Innerhalb der Fakultät gab es jedoch schon bald einen tiefen Konflikt: Stills Anhängern galt der anatomische Zugang zur Osteopathie als heilig (lesionists). Littlejohn und seinen Brüdern schien dies zu einfach; sie betrachteten die komplexere Physiologie als Kern der Osteopathie und befürworteten auch Therapien, die den osteopathischen Prinzipien und den Prinzipien der Natur entsprachen (broadists). Aber es ging auch um einen zeitlosen Konflikt: Die analytisch orientierten Akademiker in der Fakultät standen den der Intuition vertrauenden Nichtakademikern gegenüber. Nach massiven Intrigen entschlossen sich die Littlejohn-Brüder schließlich Kirksville bereits 1900 wieder zu verlassen, um in Chicago das Chicago College (School) of Osteopathy zu gründen. Die Einrichtung entwickelte sich rasch zum Wissenschaftszentrum der Osteopathie.

Man vermutet, dass der inzwischen verheiratete Littlejohn mit seinem feinen Gespür für politische Entwicklungen die verheerenden Folgen des von der American Medical Association (A.M.A.) initiierten Flexner-Reports zur Eradikation der immer stärker werdenden Osteopathie, Chiropraktik und Homöopathie, voraussah und daher möglicherweise sein weiteres Glück in England vorzog. Auch der schwindende Einfluss in seiner eigenen Schule mag dazu beigetragen haben.

ENGLAND

1913 zog die inzwischen achtköpfige Familie Littlejohn nach Bagger Hall nahe London und John Martin begann noch während der Kriegsjahre mit Krankenhausarbeit und ‚Unterweisungen‘. 1917 gründete er die British School of Osteopathy in London und mit dem Journal of Osteopathy legte er endgültig das osteopathische Fundament Europas. Aber auch in England hatte er sich schon bald den Angriffen der British Osteopathic Association (B.O.A.) und der British Medical Association (B.M.A.) zu erwehren. Ähnlich den Folgen des Flexner-Reports führte eine Kampagne der B.M.A. 1935 zum Paliamentary Bill. Der Osteopathie wurde die Anerkennung verweigert und Littlejohn zu Unrecht als unehrenhaft bezeichnet. Der Zweite Weltkrieg tat sein übriges und die BSO schrumpfte schon bald auf eine kleine Klinik zusammen. Schließlich verstarb der neben Still wohl wichtigste Vertreter der Osteopathie 1947 in Bagger Hall.


OSTEOPATHISCHE DIAGNOSTIK UND THERAPIE

EINFÜHRUNG
DIAGNOSE11

Das Fundament der osteopathischen Therapie bildet die Diagnose. Das einzig Wahre ist die osteopathische Ätiologie, die sich nicht nur mit der Grundursache beschäftigt, sondern auch alle späteren Befunde mit dieser ersten Ursache in Verbindung bringt. Die osteopathische Diagnose umfasst:

1. die Ausschluss-Methode. Sie heißt so, weil bei ihr sämtliche Symptome durchgegangen und mit den Symptomen der verschiedenen Erkrankungen verglichen werden, wobei man all jene Symptome ausschließt, die nicht mit denen der letztlich zu diagnostizierenden Erkrankung übereinstimmen. Man sollte eine vollständige Aufzeichnung der Symptome erstellen, sie dann mit jenen Erkrankungen vergleichen, die ähnliche Symptome aufweisen, und dabei schrittweise die nicht übereinstimmenden Symptome ausklammern. Durch diese Methode ist man in der Lage, alle Symptome bis auf zwei oder drei auszuschließen.

2. die differenzialdiagnostische Methode. Man kann sie anwenden, indem man analoge und sich widersprechende Aspekte miteinander vergleicht. So werden z. B. Augensymptome, Ausschläge, Fieberart, Rachensymptome usf. bei Scharlach anders aussehen als bei einfachem Fieber.

3. die individuumsbezogene Methode. Hier achtet man äußerst sorgfältig auf die Symptome beim einzelnen Patienten und unterscheidet zwischen subjektiven und objektiven Symptomen. Bei den subjektiven Symptomen handelt es sich um jene, die nur vom Patienten wahrgenommen werden können, das heißt, sobald der Patient Durst empfindet, kann er Durst als Symptom angeben. Ohne solche Angaben des Patienten ist es dem Arzt nicht möglich, derartige Symptome festzustellen. Auch mentale12 Symptome fallen unter diese Rubrik. Sie dominieren alle anderen Symptome, weil der Geist den Körper kontrolliert. Bei Typhusfieber z. B. empfindet der Patient ein mentales Schwanken, das einen sehr ernsten Befund darstellt. Ohne Delirium hat er in diesem Fall bessere Chancen, wieder zu gesunden. Ein komatöser Befund ist insbesondere bei Nervenerkrankungen sehr ernst. Objektive Symptome, z. B. Pulsschlag, Temperatur, ossäre und muskuläre Läsionen, stellt – im Unterschied zu den nur vom Patienten wahrnehmbaren Symptomen – der Arzt fest. Sie bezeichnen den anatomischen Aspekt der Diagnose.

4. Die rein physische Methode. Hier gibt es keine Symptome. Diese Methode stellt die physischen und mechanischen Anormalitäten dar. Ein Symptom, das physiologisch gedeutet werden kann, ist ein Indiz für einen anomalen Befund des Körpers. Pathologie umfasst anomale und morbide Physiologie, die eine Veränderung in der Funktionsweise des Körpers bzw. seiner Organe darstellt, und morbide Anatomie, die sich in einer histologischen Abweichung ausdrückt. Die Ätiologie kann sowohl strukturell als auch funktionell sein.

Beim Diagnostizieren einer Erkrankung ist es stets wichtig, zwischen akut und chronisch zu unterscheiden. Eine akute Erkrankung stellt eine plötzliche Störung bestimmter vitaler Prozesse dar und offenbart sich in Akutsymptomen wie etwa hoher Temperatur, schnellem Puls, raschem Kollaps, rapider Auszehrung. Chronische Fälle sind dagegen solche, die schon einige Zeit andauern.

ZUSÄTZLICHE BEMERKUNGEN

Ist der Knorpel in bestimmten Gelenken im Ossifizierungsprozess, lässt sich dies heilen.13 Ist er zerstört, vereinigt die Natur die entsprechenden Knochen und sollte dabei nicht gestört werden.

Versuchen Sie nicht, Adhäsionen in tuberkulären Gelenken aufzubrechen. Der thermische Apparat besteht aus folgenden Zentren:

1. dem thermogenen,

2. dem thermolytischen,

3. dem thermotoxischen.

Die Weichteilgewebe umfassen auch

1. die Korrelation der Gewebe,

2. die Beweglichkeit – funktionelle Aktivität,

3. die strukturelle Integrität der Gewebe,

4. im sensorischen Bereich die Termini des Nervensystems.

Die Wärmezentren sind im Gehirn und im oberen Teil der Wirbelsäule lokalisiert. Das große Wärmezentrum befindet sich im zervikalen Bereich.

1. Die vasomotorische Behandlung befasst sich mit den zerebralen und zervikalen Ganglien.

2. Behandlung der Körpertemperatur – schwingen Sie tief im subokzipitalen Bereich zwischen den Processus spinosi und transversi.

DER SPEZIFISCH OSTEOPATHISCHE ASPEKT DER DIAGNOSE

Der Bereich der osteopathischen Diagnose umfasst auch die chemische, physische und physiologische Diagnostik. Bei der chemischen Diagnostik werden Blut, Urin und Sputum untersucht, wobei es um die Ermittlung von Keimen und ihren Stoffwechselprodukten geht. Die physische Diagnostik beschäftigt sich dagegen mit der Architektur des Körpers und bezieht auch dessen strukturelle und funktionelle Aktivitäten mit ein:

1. das Skelettsystem,

2. die Weichteilgewebe,

3. die Beweglichkeit jedes einzelnen Teils des Körpers.14

Der Zweck der Beweglichkeit besteht darin, die Integrität des Körpers zu erhalten. Sie hängt von der Elastizität der Gewebe und der artikulären Beweglichkeit ab. Dies wird auf drei Arten erreicht: durch artikuläre Verbindungen, muskuläre Befestigungen und vegetative Versorgung. Solange Beweglichkeit besteht, findet deren Stimulation durch die Erregung der Gewebe statt, die von der selbstregulierenden Kraft des Organismus abhängt.

Jedes Gewebe des Körpers trägt seinen Teil zu dessen Wärmeenergie und Temperatur bei. Letztere ist von besonderer Bedeutung, da im Körper ein thermischer Mechanismus existiert, der die Temperatur anregt und reguliert. Dieser thermische Apparat besteht aus Wärme- und Kältezentren sowie aus den dazugehörigen Nervenfasern. Vorrangig unterstützt das vasomotorische System dieses thermische System bei der Distribution von Wärme und deren Umwandlung in Energie. Der thermische Apparat hängt in hohem Maße vom muskulären System ab. Die sekretorischen Drüsen, insbesondere die Leber, beteiligen sich ebenfalls aktiv an der Temperaturfunktion. Bei Fieber kommt es zu einer Desorganisation der Temperaturfunktion und der Körper unterliegt der Abnahme oder Zunahme seiner Kerntemperatur. Beim Behandeln sollte man anstatt auf die Erkrankung besser auf den thermischen Apparat achten.

Bei der physischen Untersuchung geht es hauptsächlich darum, die Anpassung der verschiedenen Teile des Körpers zu beurteilen. Sind alle Strukturen und Organe des Körpers normal aufeinander bezogen, existiert keine Läsion. Sind sie anomal aufeinander bezogen, existiert eine. Um sie zu identifizieren, legen Sie Ihren Patienten mit dem Gesicht nach unten auf Ihre Behandlungsbank. Unter der Brust wird ein Kissen platziert. Weder die Fersen noch die Zehen sollten sich berühren. Untersuchen Sie nun die Oberfläche und die Beweglichkeit der Wirbelsäule. Beginnen Sie dabei im zervikalen Bereich, wobei Sie auf jeden Processus spinosus jeweils einen Finger legen, und wandern Sie dann mit jedem Finger langsam abwärts. Suchen Sie nach

1. Kontraktionen in der oberflächlichen Muskulatur,

2. anomalen Variationen in den Processus spinosi – und nach

3. heißen und kalten Stellen.

Danach sollte die Untersuchung in gleicher Weise wiederholt werden – diesmal aber im Hinblick auf tiefer liegendes Gewebe, sodass ausschließlich nach Kontraktionen der tiefer liegenden Strukturen gesucht wird.

Nun folgen die Rippen. Führen Sie zuerst eine posteriore und dann eine laterale Untersuchung durch, indem sie die Handfläche auf die Rippen legen und dann nach oben und unten einen tief gehenden Druck ausüben. Achten Sie hierbei darauf, dass die Finger nicht über die Haut gleiten. Prüfen Sie anschließend mit zwei oder drei Fingerflächen, die Sie in spitzem Winkel zur Körperoberfläche platzieren, ob die Rippe sich in Fehlstellung befindet. Als Nächstes stellen Sie zwischen den Rippen und den Wirbelkörpern fest, ob die Abstände normal groß sind. Untersuchen Sie nun, ob eventuell irgendeine Spannung oder Empfindlichkeit im muskulären oder ligamentären Gewebe besteht, und befunden Sie als nächsten Punkt durch palpierenden Druck die umliegende Muskulatur.

Nun sind die freien Rippen an der Reihe. Das kann vom Rücken aus geschehen, wobei Sie die beiden mittleren Finger benutzen und starken Druck jeweils an jener Stelle ausüben, an welcher die freie Rippe an der Wirbelsäule befestigt ist. Ist die Rippe anomal, wird der Patient bei dieser Untersuchung Schmerz verspüren. Während Sie mit den Fingern der einen Hand Druck ausüben, drücken Sie mit der zweiten Hand auf das andere Ende der Rippe. Dadurch erreichen Sie Druck auf beiden Enden, ähnlich wie beim Zusammendrücken einer Feder. Lokalisieren Sie die möglichen Anormalitäten im Rippenverlauf.

Es folgt die Untersuchung der Skapula. Achten Sie auf normale und anomale Beziehungen der Skapula. Dies geschieht von hinten, wobei die beiden mittleren Finger, wie zuvor beschrieben, starken Druck ausüben. Beginnend am unteren Ende gleiten Sie dann mit dem Finger die Skapula medial hinauf, um sie herum und dann um ihren äußeren Rand, wobei Sie die Finger zwischen Skapula und Rippen schieben. Die Arme des Patienten sollten dabei über die Tischseiten ausgestreckt sein, um maximale Entspannung zu erreichen.

Für weitere Anweisungen zur Untersuchung der verschiedenen Bereiche des Körpers siehe Die osteopathische Technik von Dr. J. M. Littlejohn (L. S. H.).15

THEORIE DER BEHANDLUNG

Die osteopathische Behandlung basiert auf mechanischen Prinzipien, wobei die mechanische Behandlung ihr Äquivalent auf physiologischer Ebene besitzt.

Die erste Wirkung besteht in der Beruhigung und Linderung einer bestimmten körperlichen Verfassung. Die zweite Wirkung ist heilend. In Akutfällen ist die Arbeit stets lindernd, bis der Zustand beendet oder überwunden ist. Bei der Behandlung akuter Fieberzustände muss die Behandlung bis zur Krise fortgesetzt werden, um die Kraft des Patienten zu erhalten. In chronischen Fällen müssen sämtliche strukturelle Läsionen angepasst werden. Stimulieren Sie anschließend die Blut- und Nervenversorgung im Hinblick auf diese drei Aspekte:

1. Zirkulation

2. Respiration

3. Nutrition

Die zirkulatorische Behandlung durch Beschleunigung des Herzschlags wird über eine Behandlung im Bereich Th3–Th4 erreicht. Th4–Th5 repräsentieren den Kommunikationspunkt zwischen den oberen und den unteren Teilen des Körpers. Der Herzschlag kann auch vom mittleren zervikalen Bereich aus beschleunigt und über den pneumogastrischen Nerv im Bereich des Ganglion cervicale superius gehemmt werden. Gleiches gilt für die Stimulierung des Ganglion cervicale inferior. Die respiratorische Behandlung besteht im Anheben der Rippen und in einer Stimulierung der lungenrelevanten vasomotorischen Nerven im Bereich Th3–Th7.

Bei der nutritiven Behandlung stimuliert man den Magen im Bereich Th4–Th5 sowie Th6–Th7, wobei Letztere den Magenausgang repräsentieren. Stimulieren Sie auch die Leber im Bereich Th6–Th10 auf der rechten Seite. Die Karbonisierung des Blutes wirkt als Reiz. Der gewöhnliche Typ der Diarrhö geht auf hyperkarbonisiertes Blut zurück. In diesem Fall hemmen Sie die zervikal gerichteten Impulse.

KLASSIFIKATION DER ERKRANKUNGEN

1. Infektionserkrankungen, einschließlich Fieber

2. Erkrankungen des respiratorischen Systems

3. Erkrankungen des Blutes, des Herzens und der Zirkulation

4. Erkrankungen des Verdauungssystems

5. Erkrankungen der Leber, der Milz und des Pankreas

6. Erkrankungen des ableitenden Systems

7. Erkrankungen des Bluts im Sinne eines Gewebes

8. Erkrankungen des Nervensystems

9. Erkrankungen der Haut

10. Erkrankungen von Rektum und Anus

11. Erkrankungen des Auges, des Ohrs, der Nase und des Rachens

12. Erkrankungen der Knochen und Gelenkverbindungen

13. Erkrankungen des Muskelsystems

14. Erkrankungen paralytischen Typs

15. Geschlechtserkrankungen

16. Geburtshilfe und Gynäkologie

17. Zahnerkrankungen, Psychiatrie

18. Physische Diagnose und Behandlung

FIEBER16
ALLGEMEINE BEMERKUNGEN

1. Anstieg der Temperatur; physiologisch

2. Veränderung der Funktionsweise, Reaktion; Hyperphysiologie

3. Veränderung der Struktur, Pathologie

Bei der Untersuchung des zervikalen Bereichs beginnen Sie am Atlas, wobei Sie zuerst eine oberflächliche und im Anschluss daran eine tief gehende Untersuchung in umgekehrter Richtung vornehmen. Bei Atlas und Axis vergleichen Sie die relative Position. Befindet sich der Atlas zu stark anterior:

Palpieren Sie die Musculi sternocleidomastoideus und trapezius. Lokalisieren Sie die Schilddrüse mittels ihres Isthmus. Untersuchen Sie die Klavikula.

Um an die linke Seite der 2., 3. und 4. Rippe heranzukommen, legen Sie Ihre Arme um den Patienten und ziehen die Skapulae heraus, bis Sie die linke Seite finden. Untersuchen Sie in schräger Linie von der 2.–6. Rippe den perikardialen Ton, der an der 6. Rippe am stärksten sein wird. Begleitet ihn ein pfeifender Ton, indiziert dies das Vorhandensein perikardialer Flüssigkeit.17

Untersuchen Sie die Organe im abdominalen Hohlraum – platzieren Sie die Hände im Becken so weit wie möglich nach unten und ziehen Sie die Organe nach oben, wobei Sie deren Bewegung beobachten, insbesondere das aufsteigende und absteigende Kolon, das quer liegende Kolon und das Pankreas.

Gleich zu Beginn möchten wir betonen, dass zwischen Temperatur und Fieberzuständen klar unterschieden werden muss. Zweifellos hat Graves Recht, wenn er sagt:

„Im gesamten Spektrum menschlicher Leiden gibt es keine Erkrankung, die so außerordentlich interessant und bedeutend ist wie Fieber.“

Ob in höchst zivilisierten oder in wenig entwickelten Ländern, in urbanen oder in ländlichen Regionen, in Berggegenden oder in flachen Gebieten: Fieber kommt überall vor – aber über kaum einen Befund kursieren derart wirre Meinungen wie über diesen. Die alten Ärzte sagten: Essentia vero februm est praeter naturam caladitas18, weil man sie gelehrt hatte, ein Symptom allein zu betrachten. Hautwärme oberhalb der normalen, Gesundheit entsprechenden Temperatur galt als synonym mit jenem fiebrigen oder pathologischen Befund, der zu Fieber gehört. Vor allem in solchen Fällen muss aber mehr Gewicht auf die Ätiologie als auf die Symptome gelegt werden. Sogar der berühmte Virchow definiert Fieber als

„[…] jene körperliche Verfassung, in dem die Temperatur über das normale Maß steigt.“

Obgleich wir Virchows unangezweifelte Autorität als Pathologe ersten Ranges anerkennen, weigern wir uns, diese Definition zu akzeptieren, denn hier wird offensichtlich Wirkung mit Ursache und Physiologie mit Pathologie verwechselt.

Es kann durchaus zu einer über den Normalzustand hinausgehenden Temperaturabweichung nach oben kommen, ohne dass es sich dabei um Fieber handelt. Extreme Kälte oder Hitze, der man über längere Zeit ausgesetzt ist, ständiger Aufenthalt in tropischen Regionen, exzessives Essen oder Trinken – insbesondere von Stimulanzien – sowie exzessive und lang andauernde Bewegung können die Temperatur verändern, ohne notwendigerweise Fieber hervorzurufen. Freilich können sich derartige Temperaturen auch zu messbarem Fieber entwickeln. Es besteht jedoch keine unbedingte Korrelation. Wenn also das Thermometer einen Temperaturanstieg anzeigt, ist das noch kein zuverlässiges Anzeichen für Fieber.

Dr. Soullier berichtet in einer neueren Ausgabe des Lyon Medical vom Fall einer jungen Frau unter 30, bei der über drei aufeinander folgende Tage ein Temperaturanstieg auf 43,8 Grad Celsius festgestellt wurde, ohne dass Fieber oder ein verstärkter Puls bestand. Ohne irgendeine vorhergehende hysterische Krankengeschichte verfiel sie plötzlich in einen narkoleptischen Schlaf. Der Schlaf zeichnete sich durch seine Tiefe aus, der Puls war normal, die Extremitäten waren entspannt und die Pupillen kontrahiert. Es bestand keine anomale Hauttemperatur, doch die vaginale Temperatur betrug 42,7 Grad Celsius. Die Patientin erhielt ein zehnminütiges Bad von 28 Grad Celsius. Dadurch fiel die Temperatur zwar zunächst auf unter 40 Grad Celsius, sie stieg aber danach bald wieder auf über 43,8 Grad Celsius. Die Hautoberflächen fühlten sich noch heißer an als zuvor, der Puls betrug 84. Die Patientin erhielt ein weiteres, 15-minütiges Bad von gleicher Temperatur wie beim ersten Mal. Ihre Körpertemperatur fiel dadurch auf etwa 37,8 Grad Celsius, stieg aber am nächsten Tag erneut auf 44 Grad Celsius und hielt an, bis die Patientin nach einem 36-stündigen Schlaf erwachte. Beim Erwachen hatte sie das Problem, das dem Beginn des Anfalls vorausgegangen war, völlig vergessen. Es bestand keine Fiebrigkeit, kein anomaler Harnbefund, lediglich ein leicht beschleunigter Puls. Am vierten Tag erhielt die Patientin ein drittes Bad von gleicher Temperatur wie zuvor, woraufhin ihre Körpertemperatur auf 41,1 Grad Celsius fiel. Am sechsten Tag sank die Temperatur und lag nun leicht unter den Normalwert. Soullier betrachtet dies als einen reinen Fall von Hyperthermie ohne irgendwelche anderen Fiebersymptome.

Weitere interessante Fälle reiner Hyperthermie im Zusammenhang mit dem Beginn eines Anfalls von Blutspucken sowie bei Meningitis, Peritonitis, Erkältungen usw. hat Cuzin präsentiert.

Ist die Temperatur fiebrig, steht sie diagnostisch für Fieber. Warum entsteht diese fiebrige Temperatur? Sie ist zweifellos verbunden mit einem Fehlen der Nervenkontrolle, die im physiologischen Zustand die Gewebe vor exzessiven Oxidationsprozessen schützt. Bei Fieberzuständen fehlt diese Nervenkontrolle oder verliert ihr Gleichgewicht, was wiederum einen Temperaturanstieg auslöst und zur Zerstörung oder Behinderung der Nervenregulation führt. Was genau zerstört, bremst oder behindert diese Nervenkontrolle? Möglicherweise sind es Bakterien bzw. deren Produkte, die sich in den Geweben befinden bzw. ins Blut übergehen, von dort in die Nervenzentren gelangen und diese dann irritieren. Eventuell sind aber auch die Gewebe bei Erkrankung betroffen und die davon ausgehende Reflexirritation beeinflusst die Nervenzentren. Auch traumatische Zustände oder Läsionen können die Nervenkraft vom Flüssigkeitskreislauf abschneiden, wodurch die Gewebe in Fehlernährung geraten, der in der gleichen Reflexirritation der Nervenzentren resultiert. Man hat z. B. festgestellt, dass septische Abflüsse von Wunden, Abszessen usf., die von der Nervensubstanz absorbiert werden, einen Temperaturanstieg hervorrufen können und dass die direkte Verletzung des Nervenzentrums auch ohne irgendeine äußere Ursache eine Fiebertemperatur herbeiführen kann. In beiden Fällen stört die resultierende Temperatur die gesunde Balance des Lebens und kann den Körperorganismus später in einen Fieberzustand versetzen.

In normalen Körperzuständen wird die Temperatur bei 37 Grad Celsius gehalten. Diese konstante Stabilität hängt vom thermotaktischen Mechanismus ab, der die Generierung und den Verlust von Wärme reguliert. Bei der Wärmeproduktion spielen die Muskulatur und die Drüsen die wichtigste Rolle. Am Wärmeverlust sind darüber hinaus verschiedene physische und physiologische Prozesse beteiligt: Wärme wird in den Körperfunktionen und -aktivitäten verbraucht und der Überschuss durch Verdunstung, Ableitung, Konvektion usf. aus dem Organismus ausgeschieden. Die Regulation dieser Prozesse, insbesondere die Balance von Produktion und Verlust, steht unter der Kontrolle des Nervensystems, einschließlich der thermischen Zentren, der thermischen Fasern und möglicherweise weiterer Nerven.

In pathologischen Zuständen ist dieser thermotaktische Mechanismus auf vielerlei Art gestört. So kann etwa der Wärmeverlust gebremst oder modifiziert sein, was zu Wärmeansammlung führt. Oder die Wärmegenerierung ist – bei normalem oder vermindertem Wärmeverlust – beschleunigt, was ebenfalls in einer Wärmeakkumulation resultiert. Wärmegenerierung und -verlust können gleichzeitig verstärkt stattfinden, was keine wesentliche Temperaturveränderung zur Folge hat, obgleich es zu einem fiebrigen Verfall kommt. Es kann aber auch sein, dass der Wärmeverlust auch ohne erhebliche Veränderung in der Wärmegenerierung erhöht ist, was zu einer subnormalen Temperatur führt.

Es gibt eine ganze Reihe physiologischer Temperaturschwankungen, wie etwa die zirkadianen maximalen und minimalen Veränderungen. Letztere stehen für die Ebbe des Lebens zwischen zwei und vier Uhr morgens, erstere für die Aktivitätsperiode während des Tages. Diese und die anderen, schon erwähnten Zustände müssen durch Ausschluss aus den pathologischen Veränderungen eliminiert werden. Variationen, die sich nicht auf so einer physiologischen Grundlage erklären lassen, sind als pathologisch zu betrachten. Man hat verschiedene Stufen pathologischer Temperatur aufgezeichnet, wie Kollaps, subnormale, normale, schwach fiebrige, fiebrige und hyperpyretische Temperatur. Was den Gefahrenpunkt anbelangt: Er ist nicht nur abhängig vom Temperaturanstieg, sondern auch vom Stadium des pathologischen Zustandes bzw. der Erkrankung sowie von deren Dauer. Wir befassen uns hier nicht mit den verschiedenen Typen von Fieber, weil diese von der Differenzialdiagnose abhängen.

Ein Temperaturanstieg stellt – das dürfte aus dem Gesagten klar geworden sein – kein Fieber dar. Wärmegenerierung im Körperorganismus beruht nicht allein auf einer Zunahme der Gewebeveränderungen. Die Zunahme an Wärme kann auch aufgrund von Kohlehydratoxidation bedingt sein. Aus physiologischer Sicht kann ein Temperaturanstieg erfolgt sein, ohne dass die Exkretionen, die einen verstärkten Gewebestoffwechsel darstellen, zugenommen haben. Gestiegene Temperatur allein zeigt also noch kein Fieber an. Der eigentliche Indikator ist vielmehr die Modifikation des Wärmesteuerungsmechanismus.

Zu den Phänomenen, die Fieber zugrunde liegen, gehört in erster Linie der Abbau von Gewebe. Sogar dann, wenn das Fieber nicht hoch oder lang anhaltend ist, kommt es zu einem großen Gewebeschwund, wozu auch Blutveränderungen gehören, die zu einer Störung der Gewebeaktivität führen, sowie Flüssigkeitsschwund, der sich z. B. in Durst und dürftigem Urin äußert. Ein weiteres Symptom von Fieber ist die gesteigerte Pulsfrequenz, verursacht durch den Temperaturanstieg und andere Veränderungen. Bei manchen Fieberzuständen wie etwa meningealem Fieber ist der Pulsschlag nicht erhöht. Die beschleunigte Pulsfrequenz lässt sich nicht vollständig mit der Zunahme der arteriellen Spannung und der verstärkten Frequenz des Blutflusses erklären. In der Anfangsphase des fiebrigen Zustands ist für gewöhnlich ein heftiger, starker Puls bei großer arterieller Spannung feststellbar. Später tritt dann meist eine Entspannung ein, der Puls wird schwach mit geringem Druck. Zu diesem Zeitpunkt ist der Pulsschlag schnell, der rasche Herzschlag drückt das Blut in die Arterien, ohne bei jedem Schlag die Kammer zu leeren, wodurch sich die Blutzufuhr verringert, obgleich Herz- und Pulsfrequenz erhöht sind. Diese geschwächte Herztätigkeit kann mit der erhöhten Temperatur erklärt werden, die in der Erzeugung von Gewebeabfall resultiert. Gleiche oder ähnliche degenerative Veränderungen finden in der Leber und in den Nieren statt, was zu einem geschwächten Rhythmus dieser Organe führt. Der verstärkte Herzschlag wird begleitet von einer verstärkten Respirationstätigkeit, bedingt aufgrund der engen Korrelation von Herz und Lungen im Kontext der großen rhythmischen Regulationszentren im Gehirn. Der pyrektische Befund des Blutes vermag direkt auf die respiratorischen Zentren zu wirken, oder aber die toxischen Elemente im Blut rufen den gleichen irritierenden Effekt hervor.

Es ergeben sich Reaktionen in den Organen:

1. Entzündung – Nephritis;

2. Stauung – wie die verhärtete Leber;

3. toxische – bezogen auf das Gehirn und die Ausscheidungsorgane.

Besonders beachten sollte man die zerebralen Phänomene. Neuronale Erregung und deliriöse Zustände weisen nämlich oft auf die Existenz von Reizzuständen hin. Dass dies nicht ausschließlich auf einem Temperaturanstieg zurückzuführen ist, sieht man schon daran, dass in bestimmten Fieberzuständen bereits eine Temperatur von 39,4 Grad Celsius mit mentaler Störung oder komatösen Zuständen einhergeht, während eine Temperatur von 40,5 Grad Celsius oder 41,1 Grad Celsius diese Zustände zuweilen nicht hervorruft. Bestehen solche Zustände, sind sie gekennzeichnet von Benommenheit und mehr oder weniger auch von Erschöpfung und mentaler Trägheit wie bei Typhusfieber. Teils ist das bedingt durch die Wirkung der erhöhten Temperatur auf die großen Nervenzentren im Gehirn, teils aber auch durch die sedierende Wirkung im System verbliebener, in die Gehirnzirkulation gelangter toxischer Elemente auf diese Zentren. Bei einigen Fieberarten wie etwa Scharlachfieber ist das Gegenteil zu beobachten, das heißt: Die Nervenzentren sind exzessiv stimuliert, was zu einem starken Herz- und Pulsschlag, rhythmischen muskulären Kontraktionen und gefährlichen Delirium-Formen führt. In der Mehrzahl der Fälle ist die Temperatur sehr hoch und die Haut gerötet. Sobald die Gehirnzentren erschöpft sind, neigt der Patient dazu komatös zu werden. Diesem Koma können sogar Gehirnspasmen vorausgehen. Bedingt ist das zweifellos durch ein toxisches Element, das in Kombination mit der gestiegenen Temperatur die Wärmeregulation sowie jene Funktionen stört, die speziell mit dem thermotaktischen Mechanismus verbunden sind.

Es wird klar sein, dass Fieber nicht lediglich eine erhöhte Temperatur darstellt, sondern ein systemisches Geschehen repräsentiert, erkennbar am Temperaturanstieg, an der Zunahme der kardialen und der arteriellen Pulsaktivität, an einem verstärkten katabolischen Gewebestoffwechsel sowie an einer aus der Ordnung geratenen Sekretion. Alle diese Zeichen oder Symptome hängen von der Unordnung des Wärmeregulationsmechanismus und anderer funktionaler Zentren des Körperprozesses ab, die durch entzündliche, traumatische oder septische Zustände bzw. die Produkte solcher Zustände hervorgerufen werden. Auf welche Weise auch immer ins Blut gelangte septische oder toxische Stoffe sind die Hauptursachen von Fieberzuständen. Bei der statischen Verzögerung des Blutflusses geht das dynamische Prinzip verloren – mit dem Ergebnis, dass das Blut devitalisiert und toxisch wird. Solch ein statischer Zustand als Ergebnis einer Verletzung, einer mechanischen Läsion oder einer Störung der vasomotorischen Einflüsse, die den Blutfluss regulieren, kann jeweils teilweise oder vollständig sein. Handelt es sich um eine leichte Form, mag die Vitalität noch ausreichen, um ihn zu überwinden, sodass sich kein Fieber entwickeln wird. Genügt die Störung jedoch, um die Funktion derart zu verändern, dass es zu einer Stase kommt oder auf reflektorischem Weg die kardialen, respiratorischen, sekretorischen oder metabolischen Funktionen verändert werden, dann gelangen Toxine ins Blut und durch den Blutkreislauf in die Gehirnzentren. Der Blutdruck verändert sich in der Folge und die Blutverteilung gerät durcheinander, sodass die Gefäße an der Oberfläche bzw. die kleineren Gefäße aufgrund ihrer Dilatation ein größeres Quantum erhalten als normal. Die Dilatation dieser Oberflächengefäße impliziert einen inhibierenden Einfluss auf die kontraktile Funktion, sodass die elastische Tendenz der Fasern in diesen Oberflächengefäßen von der Tendenz zu dilatieren überwältigt wird, was zu einer Hyperämie an der Oberfläche führt. Daraus entstehen eine lokale Stauung und ein Verlust an Vasotonizität, und diese Zustände beeinflussen ihrerseits die gesamte Zirkulation, das Nervensystem und die davon abhängigen Funktionen. Das Ausmaß dieser Störungen wird dann abhängig von der Differenzialdiagnose der verschiedenen Fiebertypen bestimmt.

6 702,16 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
874 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783941523357
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Издатель:
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