Читать книгу: «In Fesseln», страница 3

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»Nein, ich habe alles hier, was ich brauche.«

»Sie werden mir Ihre Adresse senden?«

Sie reichte ihm die Hand. »Ich fühle, Sie sind ein Felsen.«

»Auf Sand gebaut«, erwiderte Jolyon und drückte ihr fest die Hand, »aber es ist mir ein Vergnügen, irgend etwas für Sie zu tun, zu jeder Zeit, denken Sie daran. Und wenn Sie sich anders besinnen –! Komm, June, verabschiede dich.«

June kam vom Fenster und schloß Irene in die Arme.

»Denke nicht an ihn«, sagte sie leise, »genieße es und laß dir's gut gehen!«

Sie konnten die Tränen in Irenens Augen und das Lächeln auf ihren Lippen nicht vergessen und gingen in tiefem Schweigen fort, an der Dame vorbei, die ihre Unterredung unterbrochen hatte und sich jetzt über die Zeitungen auf dem Tisch beugte. – Der Nationalgalerie gegenüber rief June aus:

»Weg mit allen rohen Gesellen und schauderhaften Gesetzen!«

Aber Jolyon antwortete nicht darauf. Er hatte etwas von dem Gleichgewicht seines Vaters und konnte die Dinge unparteiisch betrachten, wenn seine Gefühle auch in Aufruhr waren. Irene hatte recht, Soames' Lage war so schlimm oder schlimmer als die ihre. Was das Gesetz anbelangte, so war es für menschliche Naturen bestimmt, die einen niedrigen Standpunkt einnehmen. In der Furcht, irgendeine Indiskretion zu begehen, wenn er jetzt noch länger in der Gesellschaft seiner Tochter blieb, sagte er, daß er seinen Zug zurück nach Oxford erreichen müsse, rief eine Droschke herbei und überließ sie, mit dem Versprechen, über die Sache mit der Galerie nachzudenken, den Aquarellen Turners.

Doch er dachte statt dessen an Irene. Mitleid, sagte man, sei der Liebe verwandt! Wenn es so war, befand er sich wahrlich in der Gefahr, sie zu lieben, denn er bemitleidete sie tief. Dieser Gedanke, sie so allein und gedrückt in Europa umherstreifen zu wissen! »Ich hoffe, sie behält den Kopf oben!« dachte er; »sie könnte sich leicht der Verzweiflung überlassen.« Jetzt, wo sie die spärlichen Fäden ihrer Tätigkeit durchschnitten hatte, konnte er sich tatsächlich kaum vorstellen, wie sie weiterleben würde – ein so schönes Geschöpf, so hoffnungslos, und der Spielball eines jeden! In seiner Erbitterung war mehr als eine leise Furcht und Eifersucht. Frauen taten seltsame Dinge, wenn sie in die Enge getrieben wurden. »Ich bin begierig, was Soames jetzt tun wird!« dachte er. »Ein niederträchtiger, blödsinniger Zustand! Und ich glaube, man wird sagen, daß sie selbst schuld daran sei.« Zerstreut und bekümmert stieg er in seinen Zug, verlegte sein Billett und grüßte auf der Plattform in Oxford eine Dame, deren Gesicht er zu kennen glaubte, ohne sich ihres Namens zu erinnern, selbst als er sie im »Regenbogen« beim Tee sah.

Viertes Kapitel: Die Wege, die Forsytes scheuen

In zitternder Erregung über die Niederlage seiner Hoffnungen, das grüne Saffianetui noch flach auf dem Herzen, quälte Soames sich mit Gedanken, die bitterer waren als der Tod. Ein Spinnennetz! Er ging rasch und sah nichts in dem Mondlicht, er brütete über der Szene, die er eben durchlebt, und dachte an ihre Gestalt, die erstarrt war bei seiner Berührung. Und je mehr er brütete, desto gewisser ward er, daß sie einen Geliebten hatte – ihre Worte: »Ich würde lieber sterben!« waren lächerlich, wenn sie keinen hätte. Hatte sie ihn auch nie geliebt, so hatte sie doch nie viel Wesens daraus gemacht, bis Bosinney auf der Bildfläche erschienen war. Nein, sie liebte wieder, sonst hätte sie nicht diese theatralische Antwort auf seinen Vorschlag gegeben, der jedenfalls vernünftig war. Sehr gut! Das vereinfachte die Dinge!

»Ich werde Schritte unternehmen, um zu wissen, woran ich bin«, dachte er. »Als erstes werde ich morgen früh zu Polteed gehen.«

Aber selbst als er diesen Entschluß faßte, wußte er, wie widerwärtig ihm die Sache sein würde. Er hatte in seinem Beruf öfter von Polteeds Agentur Gebrauch gemacht, sogar eben erst in Darties Fall, aber er hätte es nie für möglich gehalten, sie zur Beobachtung seiner eigenen Frau benutzen zu müssen.

Es war zu beschämend für ihn selbst!

Er fand keinen Schlaf, denn dieser Plan und sein verwundeter Stolz hielten ihn wach. Beim Rasieren jedoch fiel ihm plötzlich ein, daß sie sich jetzt bei ihrem Mädchennamen Heron nannte. Polteed würde nicht wissen, wenigstens anfangs nicht, wessen Frau sie war, würde ihn nicht servil anschauen und dann hinter seinem Rücken lächeln. Sie würde eben die Frau eines seiner Klienten sein. Und so war es auch – denn war er nicht sein eigener Sachverwalter?

Aus Furcht, daß er es schließlich vielleicht wieder unterlassen könnte, beschloß er, sein Vorhaben so bald wie möglich auszuführen. Er ließ sich von Warmson eine Tasse Kaffee bringen und stahl sich vor dem Frühstück aus dem Haus. Schnell ging er in eine der kleinen Straßen des Westens, wo die Firma Polteeds neben andern den wohlhabenderen Klassen zur Verfügung stand. Bisher hatte er Polteed stets in seinem Bureau empfangen, aber er kannte die Adresse und war zur Stelle, als geöffnet wurde. In dem Vorzimmer, einem Raum, der so behaglich eingerichtet war, als wäre es der eines Geldverleihers, empfing ihn eine Dame, die man für eine Schulvorsteherin hätte halten können.

»Ich wünsche mit Mr. Claud Polteed zu sprechen. Er kennt mich – mein Name tut nichts zur Sache.«

Niemand wissen zu lassen, daß er, Soames Forsyte, seine Frau beobachten lassen mußte, war von wesentlicher Bedeutung für ihn.

Mr. Claud Polteed – so verschieden von Mr. Lewis Polteed – war einer jener Männer mit dunklem Haar, leicht gebogener Nase und lebhaften braunen Augen, die leicht für Juden gehalten werden können, tatsächlich aber von Phöniziern abstammen, die sich einst in Cornwall angesiedelt hatten. Er empfing Soames in einem Raum, dessen dicke Teppiche und Decken jeden Laut dämpften. Die Ausstattung war wirklich vertrauenerweckend, und nirgends war eine Spur von Dokumenten zu sehen.

Er begrüßte Soames ehrerbietig und drehte den Schlüssel in der einzigen Tür ostentativ um.

»Wenn ein Kunde nach mir schickt«, pflegte er zu sagen, »gebraucht er jede mögliche Vorsicht. Kommt er hierher, so überzeugen wir ihn, daß er ganz sicher vor Horchern ist. Ich darf ruhig sagen, wir machen in Sicherheit, wenn in sonst nichts ... Nun, Sir, womit kann ich Ihnen dienen?«

Soames war die Kehle zugeschnürt, so daß er kaum sprechen konnte. Es war durchaus notwendig, vor diesem Manne zu verbergen, daß er ein anderes als berufliches Interesse an der Sache hatte, und mechanisch nahm sein Gesicht das gewohnte schiefe Lächeln an.

»Ich komme so früh zu Ihnen, weil keine Stunde zu verlieren ist« – verlor er eine Stunde, so unterließ er es vielleicht doch wieder! »Steht Ihnen eine wirklich zuverlässige Frau zur Verfügung?«

Mr. Polteed schloß ein Schubfach auf, aus dem er ein Notizbuch nahm, überflog es mit den Augen und verschloß das Schubfach wieder.

»Ja«, sagte er, »ganz wie wir sie brauchen.«

Soames hatte sich hingesetzt und schlug die Beine übereinander – nur eine leise Röte, die aber seine normale Gesichtsfarbe hätte sein können, verriet ihn.

»Dann schicken Sie sie gleich fort, um eine Mrs. Irene Heron, Truro Mansions, Chelsea, bis auf weiteres zu beobachten.«

»Sofort«, sagte Mr. Polteed; »Scheidung vermutlich?« und rief durch ein Sprachrohr: »Ist Mrs. Blanch da? Ich möchte sie in zehn Minuten sprechen.«

»Nehmen Sie selbst alle Berichte entgegen«, fing Soames wieder an, »und schicken Sie sie mit der Bezeichnung ›vertraulich‹ versiegelt und eingeschrieben an mich persönlich. Mein Klient verlangt äußerste Verschwiegenheit.«

Mr. Polteed lächelte, als wolle er sagen: »Sie belehren Ihre Großmutter, Sir«, und für einen nicht »beruflichen« Augenblick glitten seine Augen über Soames' Gesicht.

»Beruhigen Sie ihn vollkommen darüber«, sagte er. »Rauchen Sie?«

»Nein«, sagte Soames. »Es wäre möglich, daß das Ganze zu nichts führt, verstehen Sie? Wenn der Name bekannt wird oder die Beobachtung Verdacht erregt, kann es sehr ernste Folgen haben.«

Mr. Polteed nickte. »Es kann in die Geheimschriftkategorie kommen. Bei dem System wird nie ein Name genannt, wir arbeiten mit Zahlen.«

Er schloß ein anderes Schubfach auf und nahm zwei Streifen Papier heraus, schrieb etwas darauf und reichte sie Soames. »Behalten Sie das, Sir; es ist Ihr Schlüssel. Ich behalte dies Duplikat. Den Fall wollen wir 7x nennen. Die beobachtete Partei ist 17; der Beobachter 19; das Gebäude 25; Sie selbst – ich meine Ihre Firma – 31; ich selbst 2; falls Sie Ihren Klienten in einem Schreiben zu erwähnen haben, nenne ich ihn 43; irgendeine Person, die wir im Verdacht haben, 51. Haben Sie sonst noch irgendwelche Winke oder Instruktionen zu geben?«

»Nein«, sagte Soames, »nur – gehen Sie, bitte, möglichst rücksichtsvoll vor.«

Wieder nickte Mr. Polteed. »Die Kosten?«

Soames zuckte die Achseln. »Innerhalb vernünftiger Grenzen«, erwiderte er kurz und erhob sich. »Die Sache bleibt doch völlig in Ihrer Hand?«

»Völlig«, sagte Mr. Polteed, der plötzlich zwischen ihm und der Tür stand. »Ich suche Sie in der andern Sache sehr bald auf. Guten Morgen, Sir.« Seine Augen glitten nochmals – nicht beruflich – über Soames' Gesicht, und er öffnete die Tür.

»Guten Morgen«, sagte Soames und blickte weder nach links noch rechts.

Auf der Straße draußen haderte er eifrig mit sich selbst. Ein Spinnennetz, und es zu zerschneiden, mußte er diese Späher benutzen, eine geheime, unsaubere Methode, und so überaus abstoßend für jemand, der sein Privatleben als das geheiligtste Stück seines Besitztums betrachtet. Aber der Würfel war gefallen, er konnte nicht mehr zurück. Und er ging in sein Bureau, schloß das grüne Saffianetui und den Schlüssel zu der Geheimschrift weg, die bestimmt war, seinen häuslichen Bankrott kristallklar zu machen.

Merkwürdig, daß jemand, der sein Leben damit zubrachte, alle privaten Vermögensschwierigkeiten und die häuslichen Mißhelligkeiten anderer in die Öffentlichkeit zu bringen, diese so sehr fürchtete, wenn es sich um die eigenen handelte; und doch nicht merkwürdig, denn wer kannte so gut wie er die gefühllose Prozedur gesetzlicher Entscheidungen?

Er arbeitete emsig den ganzen Tag. Winifred war für vier Uhr bestellt, er wollte sie zu einer Konferenz mit Dreamer mitnehmen, und während er auf sie wartete, las er noch einmal den Brief, den sie auf seine Veranlassung an dem Tage von Darties Abreise geschrieben hatte, um ihn zur Rückkehr aufzufordern.

»Lieber Montague!

Ich habe den Brief mit der Nachricht, daß Du mich für immer verlassen hast und auf dem Wege nach Buenos Aires bist, erhalten. Es ist natürlich ein großer Schlag für mich gewesen. Ich benutze diese erste Gelegenheit, Dir zu schreiben, daß ich bereit bin, Vergangenes vergangen sein zu lassen, wenn Du sofort zu mir zurückkehrst. Ich bitte Dich, es zu tun. Ich bin sehr angegriffen und will weiter nichts sagen. Ich sende diesen Brief eingeschrieben an die Adresse, die Du im Klub hinterlassen hast. Bitte kable mir.

Deine Dich noch liebende Frau

Winifred Dartie.«

Hu! Welch bitterer Humbug! Er erinnerte sich, wie er sich über Winifred gebeugt, während sie abschrieb, was er aufgesetzt hatte, und wie sie, als sie die Feder hinlegte, mit einer sonderbaren Stimme, als wisse sie selbst nicht recht, was sie wollte, gesagt hatte: »Nimm an, er kommt, Soames!« »Er wird nicht kommen«, hatte er erwidert, »bis er sein Geld verbraucht hat. Daher müssen wir sofort handeln.« Der Kopie dieses Briefes war das Original von Darties trunkenem Gekritzel aus dem Iseeum-Klub beigefügt. Soames hätte gewünscht, daß der Einfluß der Getränke ihm nicht so deutlich anzumerken gewesen wäre. Gerade auf solche Dinge würde das Gericht sich stützen. Er meinte die Stimme des Richters schon sagen zu hören: »Sie nahmen das ernst? Ernst genug, um ihm zu schreiben, wie Sie es taten? Glauben Sie, daß es so gemeint war? Mochte er nur! Die Tatsache, daß Dartie abgereist und nicht wiedergekommen war, konnte nicht bestritten werden. Auch seine Kabelantwort: »Rückkehr unmöglich. Dartie.« war beigefügt. Soames schüttelte den Kopf. Wenn die ganze Sache nicht in den nächsten paar Monaten erledigt war, würde der Bursche wieder auftauchen wie eine falsche Münze. Ihn loszuwerden war eine Ersparnis von mindestens tausend Pfund im Jahr, ganz abgesehen von all dem Ärger für Winifred und seinen Vater. »Ich muß Dreamer den Kopf warm machen«, dachte er, »wir müssen es beschleunigen.«

Winifred, die eine Art Halbtrauer angelegt hatte, die sie mit ihrem hellen Haar und der hohen Gestalt sehr gut kleidete, kam in James' Kalesche mit den Braunen davor. Soames hatte das Gefährt nicht in der City gesehen, seit sein Vater sich vor fünf Jahren vom Geschäft zurückgezogen hatte, und dessen altmodisches Aussehen fiel ihm auf. »Die Zeiten ändern sich«, dachte er, »man weiß nicht recht, was die nächste Mode bringen wird!« Selbst Zylinderhüte wurden seltener. Er fragte nach Val. »Val«, sagte Winifred, »schrieb, daß er im nächsten Semester Polo spielen möchte.« Sie glaubte, daß er einer sehr guten Verbindung angehörte. Und mit vornehm unterdrückter Angst fügte sie hinzu: »Kommt meine Angelegenheit in die Öffentlichkeit, Soames? Muß es in den Zeitungen stehen? Es ist so peinlich für ihn und die Mädchen.«

Soames, der selbst noch an seinem Elend litt, erwiderte:

»Zeitungen sind ein zudringliches Gesindel, es ist sehr schwer, ihnen etwas vorzuenthalten. Sie behaupten, die Moral des Publikums zu wahren, dabei korrumpieren sie es mit ihren widerlichen Berichten. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir müssen heute mit Dreamer über den Sühneversuch sprechen. Natürlich weiß er, daß es zu einer Ehescheidung kommen muß, doch mußt du tun, als wünschtest du sehnlichst, Dartie zurückzuhaben – du kannst dich heute in dieser Rolle üben.«

Winifred seufzte.

»Oh! Was für ein Clown Monty gewesen ist!« sagte sie. Soames sah sie scharf an. Es war ihm klar, daß sie ihren Dartie nicht ernst nehmen konnte und die ganze Sache fallen lassen würde, wenn ihr die kleinste Chance gegeben wurde. Sein eigener Instinkt war in dieser Angelegenheit von Anbeginn richtig gewesen. Jetzt einen kleinen Skandal zu vermeiden, hieße nur Schimpf und Schande über seine Schwester und ihre Kinder bringen und später vielleicht Ruin, wenn Dartie sich weiter an sie hinge, es bergab mit ihm ginge und er das Geld verschwendete, das James seiner Tochter hinterlassen würde. Wenn es auch sicher festgelegt war, würde dieser Bursche sich doch irgendwie schadlos halten und seine Familie kräftig zahlen lassen, um ihn vor dem Bankrott oder gar dem Gefängnis zu bewahren! Sie ließen den glänzenden Wagen mit den glänzenden Pferden und den Dienern mit den glänzenden Hüten am Ufer zurück und gingen in das Bureau des Justizrats Dreamer in der Crown Office Row.

»Mr. Bellby ist hier, Sir«, sagte der Schreiber; »Mr. Dreamer wird in zehn Minuten da sein.«

Mr. Bellby saß da und warf noch einen letzten Blick auf seine Papiere. Er war vom Gericht gekommen und noch in Robe und Perücke, die gut zu ihm mit seiner Nase, die wie der Schwengel einer winzigen Pumpe hervorragte, seinen schlauen blauen Äuglein und der ziemlich vorstehenden Unterlippe paßte – niemand hätte Dreamer besser ergänzen und unterstützen können.

Nachdem er Winifred vorgestellt war, sprangen sie auf das Wetter über und sprachen dann vom Kriege. Soames unterbrach sie plötzlich:

»Wenn er nicht einwilligt, können wir das Verfahren nicht vor sechs Monaten beginnen. Ich möchte vorwärtskommen mit der Sache, Bellby.«

Mr. Bellby lächelte Winifred zu und murmelte mit einer Spur von irischem Akzent: »Aufschub des Prozesses, Mrs. Dartie.«

»Sechs Monate!« wiederholte Soames; »es würde dann bis in den Juni hinein dauern! Wir können die Klage ja erst lange nach den Ferien einbringen. Wir müssen es beschleunigen, Bellby« – er würde seine liebe Not haben, daß Winifred standhaft blieb.

»Mr. Dreamer läßt bitten, Sir.«

Sie gingen der Reihe nach hinein. Mr. Bellby voran und Soames mit Winifred nach einer Pause von einer Minute nach seiner Uhr.

Justizrat Dreamer in der Robe, aber ohne Perücke, stand vor dem Kamin, als betrachte er diese Konferenz als ein besonderes Vergnügen; er hatte eine lederne, beinah ölige Gesichtsfarbe, wie vom vielen Studieren, eine ansehnliche Nase mit einem Kneifer darauf und einen kurzen, leicht ergrauten Backenbart; er zog fortwährend die eine Augenbraue in die Höhe und ließ die Unterlippe unter der Oberlippe verschwinden, was seiner Sprache etwas Kehliges gab. Auch hatte er eine Manier, plötzlich auf die Person zuzugehen, mit der er sprach; alles dies, mit einem entnervenden Ton in seiner Stimme und einer Angewohnheit, ein Brummen hören zu lassen, bevor er anfing zu sprechen, hatte ihm zu einem Ruf in Vormundschafts- und Ehescheidungssachen verholfen, wie ihn nur wenige haben. Nachdem er Mr. Bellbys lebhafte Wiederholung der Tatsachen angehört und die eine Augenbraue wieder in die Höhe gezogen hatte, brummte er und sagte:

»Das weiß ich alles«, wandte sich plötzlich Winifred zu und stieß kehlig die Worte hervor:

»Wir wollen ihn gern zurückhaben, nicht wahr, Mrs. Dartie?«

Soames unterbrach ihn scharf:

»Die Lage meiner Schwester ist natürlich unerträglich.«

Dreamer brummte: »Gewiß. Können wir uns nun auf die gekabelte Weigerung verlassen, oder müssen wir bis nach Weihnachten warten, um ihm Gelegenheit zum Schreiben zu geben – das ist die Sache, nicht wahr?«

»Je eher –« begann Soames.

»Was sagen Sie, Bellby?« fragte Dreamer und ging auf ihn zu. Mr. Bellby schien nach Luft zu schnappen wie ein Hund. »Wir werden damit nicht vor Mitte Dezember anfangen. Mehr Spielraum brauchen wir ihm nicht zu geben.«

»Nein«, sagte Soames. »Weshalb sollte meine Schwester dadurch in Ungelegenheit gebracht werden, daß er in –«

»Die weite Welt will!« sagte Dreamer, »ganz recht. Man sollte nicht in die weite Welt gehen, nicht wahr, Mrs. Dartie?« Und er hob seine Robe wie zu einer schützenden Pelerine. »Ich stimme mit Ihnen völlig überein. Ist noch etwas zu sagen?«

»Augenblicklich nicht«, meinte Soames bedeutsam. »Ich wollte nur, daß Sie meine Schwester kennenlernten.«

Dreamer brummte leise: »Sehr erfreut. Guten Abend!« Und er ließ die schützende Robe wieder fallen.

Sie gingen hintereinander hinaus. Winifred stieg die Treppe hinunter. Soames zögerte. Wider Willen hatte Dreamer Eindruck auf ihn gemacht.

»Die Zeugenaussagen sind ganz sicher«, bemerkte er zu Bellby. »Unter uns gesagt, wenn wir die Sache nicht schnell durchbringen, gelingt es uns nie. Glauben Sie, daß er das einsieht?«

»Ich werde ihn dazu bringen«, sagte Bellby. »Er ist sonst ein tüchtiger Mensch – ein tüchtiger Mensch.«

Soames nickte und eilte seiner Schwester nach. Er fand sie im Flur stehend, sah, wie sie sich hinter ihrem Schleier auf die Lippen biß, und beeilte sich zu sagen:

»Das Zeugnis der Stewardeß wird völlig ausreichend sein.«

Winifreds Gesicht wurde hart; sie nahm sich zusammen, und sie gingen zum Wagen. Und auf der ganzen schweigsamen Fahrt zurück zur Green Street beschäftigte die Seelen der beiden der einzige Gedanke: »Warum, ach, warum muß ich mein Unglück der Öffentlichkeit preisgeben? Warum Spione anstellen, die in meine Privatsorgen die Nase hineinstecken? Ich bin nicht schuld daran.«

Fünftes Kapitel: Jolly als Richter

Das Streben nach Besitz, das zwei Mitglieder der Familie Forsyte nach tiefer Enttäuschung bewog, loszuwerden, was sie nicht länger besitzen konnten, wurde täglich stärker im britischen Volk. Obwohl Nicholas ursprünglich seiner Investitionen wegen so voll Zweifel in bezug auf den Krieg gewesen war, hatte man ihn sagen hören, daß die Buren eine starrköpfige Bande wären und eine Menge Kosten verursachten; je eher sie ihre Lektion bekämen, desto besser wäre es. Er würde Wolseley hinschicken! Da die Forsytes immer ein wenig weiter sahen als andere Leute – sie waren dadurch zu ihrem sehr beträchtlichen Vermögen gekommen –, hatte er schon bemerkt, daß Buller nicht der rechte Mann war – »ein wahrer Bulle, dieser Mann«, meinte er, »der darauflosstieße, und wenn sie sich nicht vorsähen, würde Ladysmith fallen!« Das war Anfang Dezember gewesen, und als dann die Schwarze Woche kam, konnte er jedem vorhalten, daß er es »ihnen gleich gesagt habe«. Während dieser Woche düsterer Sorge, wie kein Forsyte sie je erlebt, wurde der jüngste Nicholas in seinem Korps – dem »Teufelskorps« – so gedrillt, daß sein Vater den Familienarzt der Gesundheit seines Sohnes wegen konsultierte und beunruhigt war zu hören, daß er vollkommen gesund sei. Der Junge hatte eben sein etwas kostspieliges Studium beendet und sollte gerade seine juristische Laufbahn beginnen, es war daher ein beklemmendes Gefühl für seine Eltern, daß er sich in einer Zeit dem Militärdienst widmen mußte, wo die Zivilbevölkerung wahrscheinlich dazu herangezogen werden würde. Sein Großvater natürlich machte sich lustig über diese Idee, denn er war zu gründlich in dem Gefühl aufgewachsen, daß kein britischer Krieg anders als kurz sein und dabei nur Berufssoldaten in Frage kommen könnten, und er war sehr mißtrauisch gegen Regierungsmaßnahmen, durch die er überdies noch Verluste haben würde, denn er besaß De Beers, die jetzt schnell heruntergingen, und das betrachtete er als ein mehr als genügendes Opfer seines Enkels.

In Oxford dagegen herrschten ganz andere Gefühle. Die einem Konglomerat von jungen Leuten eigene Erregung hatte sich in den beiden Monaten des Semesters vor der Schwarzen Woche allmählich zu lebhafter Opposition kristallisiert. Die normale Jugend, in England immer konservativ, wenn sie die Dinge auch nicht allzu ernst nimmt, verlangte ungestüm nach einem Kampf und einer gehörigen Züchtigung der Buren. Dieser größeren Partei gehörte Val natürlich als Mitglied an. Die radikale Jugend dagegen, eine kleine, aber vielleicht stimmkräftigere Partei, war dafür, den Krieg zu beendigen und den Buren Autonomie zu geben. Bis zur Schwarzen Woche indessen gab es gestaltlose Gruppen, ohne scharfe Kanten, und die Streitfrage blieb nur akademisch. Jolly war einer von denen, die nicht recht wußten, wo sie standen. Seine Gerechtigkeitsliebe, die sich von seinem Großvater, dem alten Jolyon, auf ihn vererbt hatte, hinderte ihn, nur eine Seite der Sache zu betrachten. Überdies war in seiner Verbindung »Die Besten« ein eifriger »Schwärmer« mit außerordentlich vorgeschrittenen Anschauungen und einiger persönlicher Suggestivkraft. Jolyon schwankte. Sein Vater schien ebenfalls unentschieden in seiner Meinung. Und wenn er auch, wie es bei zwanzig Jahren üblich ist, seinen Vater scharf im Auge behielt und auf Fehler fahndete, denen vielleicht noch abzuhelfen war, lag doch etwas in dem Auftreten dieses Vaters, das seiner ironischen Toleranz einen geheimen Reiz verlieh. Künstler natürlich waren notorisch Hamletnaturen, und das mußte man bei einem Vater mit in Betracht ziehen, wenn man ihn auch liebte. Aber Jolyons eigenste Ansicht, daß »seine Nase da hineinzustecken, wo man nicht gewünscht wird (wie die »Uitlander« es getan hatten), und dann andere auszunutzen, bis man sein Ziel erreicht hatte«, nicht gerade vornehm gehandelt war, übte – sie mochte auf Tatsachen beruhen oder nicht – eine gewisse Anziehungskraft auf Jolly aus, der sehr auf Vornehmheit hielt. Andererseits konnte er »Wirrköpfe«, wie man es in seiner Verbindung, und »Snobs«, wie man es in Vals Verbindung nannte, nicht vertragen, so daß er immer noch schwankte, als die Stunde der Schwarzen Woche schlug. Eins – zwei – drei kamen jene verhängnisvollen Rückschläge bei Stormberg, Magersfontein und Colenso. Die hartnäckige englische Seele setzte nach dem ersten ihre Hoffnung auf Methuen, nach dem zweiten auf Buller, dann aber verhärtete sie sich in wachsendem Unmut. Jolly sagte sich: »Nein, zum Teufel! Jetzt müssen wir die Bande unterkriegen, einerlei, ob wir recht haben oder nicht.« Und hätte er es nur gewußt, sein Vater dachte ebenso.

Am nächsten Sonntag, dem letzten des Semesters, war Jolly von einem der »Besten« zum Wein eingeladen. Nach dem zweiten Toast »Buller und Vernichtung den Buren!« – er leerte sein Glas – bemerkte er, daß Val Dartie, ebenfalls als Gast, ihn grinsend anblickte und etwas zu seinem Nachbarn sagte. Er war sicher, daß es etwas Geringschätziges war. Nichts lag ihm ferner, als es sich anmerken zu lassen oder eine öffentliche Störung zu verursachen, aber das Blut schoß ihm ins Gesicht, und er preßte die Lippen zusammen. Die sonderbare Feindseligkeit, die er seinem Vetter gegenüber immer empfunden hatte, steigerte sich noch. »Schon gut!« sagte er zu sich. »Warte nur, mein Freund!« Der Genuß von mehr Wein, als ihm gut und er gewohnt war, bestärkte ihn in seinem Vorhaben, und als alle zusammen aufbrachen, zupfte er Val am Arm.

»Was hast du da drinnen über mich gesagt?«

»Darf ich nicht sagen, was mir beliebt?«

»Nein.«

»Nun, ich sagte, du seist Pro-Bure – und das bist du!«

»Du lügst!«

»Du willst dich also schlagen?«

»Natürlich, aber nicht hier, im Garten.«

»Gut! Komm.«

Sie gingen, einander von der Seite ansehend, erregt und entschlossen weiter und kletterten über das Gartengitter. An den Stacheln kam ein kleiner Riß in Vals Ärmel, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Jolly beschäftigte der Gedanke, daß sie im Begriff waren, im Bereich eines Gebäudes zu kämpfen, das ihnen beiden fremd war. Es war eigentlich nicht das Rechte, aber einerlei – dieser Lümmel!

Sie gingen über den Rasen an eine ziemlich dunkle Stelle und zogen ihre Röcke aus.

»Du bist doch nicht bezecht, wie?« sagte Jolly plötzlich. »Ich kann mich nicht mit dir schlagen, wenn du bezecht bist.«

»Nicht mehr als du.«

»Gut denn.«

Ohne sich die Hand zu reichen, stellten sie sich sofort in Verteidigungspositur. Sie hatten zuviel getrunken, um sachgemäß vorzugehen, und bemühten sich daher, besonders korrekte Stellungen einzunehmen, bis Jolly Val beinah zufällig eins auf die Nase gab. Danach war alles nur wüste, häßliche Rauferei im tiefen Schatten der alten Bäume, und niemand da, »Schluß« zu rufen, bis sie keuchend und atemlos voneinander abließen und zurücktaumelten, während eine Stimme rief:

»Ihre Namen, meine Herren!«

Bei dieser freundlichen Frage unter der Laterne an der Gartenpforte, die ihnen wie vom Himmel zu kommen schien, hielten ihre Nerven nicht länger stand, sie griffen nach ihren Röcken, rannten an das Gitter, stiegen hinüber und kehrten an die Stelle zurück, von der aus sie den Kampf begonnen hatten. Hier, in dem matten Licht, wischten sie sich die Gesichter ab und wandelten, ohne ein Wort, zehn Schritt voneinander, bis zum Tor des College. Schweigend gingen sie hindurch, Val an der Brauerei entlang, Jolly die Gasse hinunter. Ihm rauchte noch der Kopf, er bedauerte lebhaft, daß er nicht mehr Sachkenntnis entfaltet hatte, und dachte an die Gegenstöße und Knockoutschläge, die er versäumt. Im Geiste sah er einen andern Kampf vor sich, unendlich verschieden von dem, den er eben ausgefochten, einen unendlich tapfereren, mit Schärpe und Schwert, mit Angriff und Abwehr, als läse er seinen geliebten Dumas. Er sah sich selbst als La Mole, als Aramis, Bussy, Chicot und d'Artagnan in einer Gestalt, doch es war ihm unmöglich, sich Val als Conconnac, Brissac oder Rochefort vorzustellen. Dieser sein Vetter war eben nichts weiter als ein ungehobelter Bengel. Aber einerlei! Er hatte ihm doch ein paar versetzt! »Pro-Bure!« Das Wort brannte ihn noch, und der Gedanke, sich anwerben zu lassen, über das Schlachtfeld zu reiten, tapfer zu schießen, während die Buren sich wie Kaninchen am Boden wälzten, arbeitete in seinem schmerzenden Kopf. Und als er die brennenden Augen hob, sah er die Sterne zwischen den Giebeln scheinen und sich selbst im Karoo (was immer das auch sein mochte) in eine Decke gewickelt, das Gewehr geladen und den Blick auf den flimmernden Himmel gerichtet.

Er hatte einen fürchterlichen »Kater« am nächsten Morgen und behandelte ihn, wie es sich für einen der »Besten« gehörte, mit kaltem Wasser und einem Gebräu von Kaffee, den er nicht trinken konnte, und schlürfte zum Frühstück nur ein Gläschen Hochheimer. Das Märchen, daß »ein Tölpel« ihn an der Ecke angerannt hatte, mußte als Vorwand für die Beule auf seiner Backe dienen. Um keinen Preis hätte er den Kampf erwähnt, denn eigentlich entsprach er durchaus nicht seinen Grundsätzen.

Am nächsten Tage fuhr er nach London und gleich durch nach Robin Hill. Es war niemand dort außer Holly und June, denn sein Vater war nach Paris gereist. Er verlebte seine Ferien unstet und regellos, völlig ohne jede Fühlung mit seinen Schwestern. June freilich war von ihren »lahmen Enten« in Anspruch genommen, die Jolly in der Regel nicht ausstehen konnte, namentlich diesen Eric Cobbley und seine Familie, »hoffnungslose Außenseiter«, die in den Ferien immer das Haus auf den Kopf stellten. Und zwischen Holly und ihm bestand ein merkwürdiges Zerwürfnis, als wäre sie im Begriff, eigene Meinungen zu haben, was so – unnötig war. Er schlug beim Kricket wütend auf den Ball los, ritt ungestüm, aber allein, im Richmondpark, wo er tollkühn über die hohen, schwierigen Hecken hinwegsetzte, die gewisse abgenutzte Graswege absperren sollten, dies alles, um, wie er sagte, seine Nerven zu stärken. Jolly hatte eine größere Furcht, Scheu zu zeigen als die meisten jungen Leute. Er kaufte eine Büchse, und in dem Gedanken, sich eines Tages vielleicht anwerben zu lassen und Südafrika für sein Land zu retten, errichtete er auf dem Felde zu Hause einen Schießstand und schoß, wobei er die Gärtner gefährdete, über den Teich hinweg in die Mauer des Küchengartens. Jetzt, da sie Freiwillige als Rekruten brauchten, war der Junge ganz unglücklich. Mußte er sich melden? Keiner von den »Besten« dachte daran mitzugehen, soviel er wußte, denn er korrespondierte mit mehreren von ihnen. Wären sie bereit dazu gewesen, so hätte er auch nicht gezögert, denn er war ehrgeizig, hatte einen starken Sinn für Form und konnte es nicht ertragen, bei irgend etwas zurückzustehen – es jedoch aus eigenem Antrieb zu tun, hätte wie Prahlerei aussehen können, weil es eigentlich nicht wirklich nötig war. Überdies lag ihm nichts daran zu gehen, denn diesem jungen Forsyte widerstrebte es, sich blindlings in etwas hineinzustürzen. Es war alles ein wüstes Durcheinander in ihm, aufregend krankhaft, und er wurde seinem heiteren, vornehmen Selbst ganz unähnlich.

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