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So verweigerte er Johannes Kepler eines der begehrten Teleskope, verschickte sie aber zugleich an politische Größen in halb Europa, die damit kaum mehr anzufangen wussten als ein bisschen Sterneschauen. Kepler kam erst voran, als der Herzog von Bayern ihm seines lieh. Ein andermal teilte Galilei seine Kenntnisse Kepler als Buchstabenrätsel mit – im Wissen, er würde es nicht lösen können. So macht man sich Feinde. Galilei reklamierte den Ruhm vieler Entdeckungen für sich und posaunte sie hinaus, auch wenn sie überaltert waren.

Seine Egozentrik reichte so weit, dass er in sich überhaupt den Einzigen sah, der irgendetwas Neues entdeckte. Seinem Anhänger Orazio Grassi, Astronom, Mathematiker, Architekt und Jesuit, der unter dem Pseudonym Sarsi publizierte, schrieb er: »Sie können daran nichts ändern, Herr Sarsi, dass es mir alleine gegeben wurde, alle die neuen Phänomene am Himmel zu entdecken und niemandem sonst. Das ist die Wahrheit, die weder Böswilligkeit noch Neid unterdrücken kann.«

Die andere Wahrheit ist: Galileo hat sehr viel entdeckt, noch viel mehr aber nicht. Weder Trägheitsgesetz noch die Parallelogramme zu Kraft und Bewegung noch die Entdeckung der Sonnenflecken gehen auf seine Kappe. Den Beweis für Kopernikus’ Weltbild erbrachte nicht er. Ebenso wenig erfand er Mikroskop, Teleskop, Pendeluhr und Thermometer. Auch die Fallbeschleunigung, die manchen als g = 9,81 m/s2 bekannt ist, ermittelte er nicht auf empirischem Weg. Die Gewichte, die er dafür vom Schiefen Turm von Pisa warf, fielen nur in der Fantasie seines Schülers und Biografen Vincenco Viviani. Die Genauigkeit damaliger Uhren hätte dafür nicht ansatzweise ausgereicht. Das Gedankenexperiment allerdings, Geschwindigkeit wachse beim Fall mit dem Quadrat der Zeit, machte er sehr wohl.

Sogar sein berühmtester Ausspruch, den man ihm bis heute zuschreibt, stammt nicht von ihm. Den er im Trotz gemurmelt haben soll, als das Gericht der römischen Inquisition ihn in der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom zum Abschwören der Lehre zwang, die Erde drehe sich um die eigene Achse. Diese Worte: »Und sie bewegt sich doch!« Nicht ein schriftlicher Beleg existiert dafür. Der Satz wurde ihm vielmehr in den Mund gelegt, postum in der Zeit der Aufklärung.

Nichtsdestotrotz waren Galileis Leistungen enorm. Weil er die moderne Wissenschaft der Dynamik begründete, die Jupitermonde entdeckte, den Nachweis des Gewichts der Luft führte und vieles mehr. Alles war der handwerklich hochbegabte Universalgelehrte aus Arcetri bei Florenz in einem: Bahnbrecher. Märtyrer. Zerrissener Held. Opfer des Dogmas, Glaube und Forschung würden einander ausschließen, war er nicht.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, wie auch in einer kontroversen Abhandlung über Galilei zu lesen ist: »… in theologischen Werken erscheint er als ein Störenfried, während die rationalistische Mythographie ihn als Jungfrau von Orleans der Naturwissenschaften oder als St. Georg hinstellt, der den Drachen der Inquisition erschlug.« Dazu wurde er von jenen Akteuren gemacht, deren Anliegen es ist, Wissenschaft und Glauben als unvereinbar darzustellen. Dafür verwendeten sie Testimonials wie eben Galilei.

Weder schmachtete Galilei jahrelang im Verlies, noch wurde er gefoltert. Nicht Bibelkritik oder Gotteslästerung trugen ihm neun Jahre Hausarrest (auf seinem Landsitz in Arcetri) ein, sondern die Stimmungsmache aus Kollegenkreisen und sein Ungehorsam gegenüber einem Erlass von Papst Urban VII.

Eine andere Größe der Forschung, Gregor Mendel, kannte und lebte den Widerspruch von Wissenschaft und Religion ebenso wenig. Mendel war mährisch-österreichischer Augustiner-Chorherr und Abt in Brünn. Er hat die Vererbungslehre begründet, den Vorläufer der Genetik.

Selbst der Brite Charles Darwin mag bei genauem Hinsehen nicht so recht ins Schema passen. Darwin, ein Pastorensohn, der neben Medizin Theologie studierte, war sein Leben lang ein Suchender. Auch nach Verfassen seines monumentalen Werkes Über die Entstehung der Arten. Mit der Absolutheit seiner Theorie hat er mehr gehadert als seine Jünger, die Neo-Darwinisten. Heute, 160 Jahre danach, wissen wir, dass Darwins intuitive, innerste Unruhe gute Gründe hatte. Die Evolution ist nicht Abbild eines einzigen, grenzenlosen Zufalls. Sie verfolgt ein konkretes Ziel. Weil sie mitnichten bloß dient, dem Recht des Stärkeren zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wenn es für uns oft danach aussehen mag. Besonders im Alltag. Tatsache ist: Das Bild des Survival of the Fittest bröckelt.

Vor allem die Mutation per Random. Denn man kann das Leben nicht allein durchs Nadelöhr der Zufälligkeiten erklären. In der Fachwelt ist eine hitzige Diskussion darüber entbrannt. Dabei dachte man, dieses Thema wäre lückenlos beforscht.

Wären da bloß nicht diese neuen Erkenntnisse der Epigenetik. Die Lehre, die sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Gene beschäftigt. Dieses Wissen ist bahnbrechend und doch erst ein Anfang.

Schriftverkehr mit

Sir Karl Popper

Vor mehr als 25 Jahren wurde mir die Ehre zuteil, mich darüber in einem Briefwechsel mit einem der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts auszutauschen: Sir Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph und Begründer des kritischen Rationalismus. Einer Denkschule, die für die Lebenseinstellung steht, die – um es in Poppers Worten zu sagen – »zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen der Wahrheit vielleicht auf die Spur kommen werden.«

Den Begriff Epigenetik gab es damals, 1992, schon. In Wahrheit war er ein Schreckgespenst der Fachwelt. Ich schilderte Sir Karl Popper meine Thesen. Was Evolution und Zufall betrifft. Und was die mehrheitlichen Gen-Abschnitte unserer DNA anbelangt, die nach vorherrschender Meinung nutzlose Teile des Erbgutes darstellten. Junk-DNA also. Ein totes Anhängsel, das keiner braucht und sich trotzdem im Körper herumtreibt.

Könnte es womöglich eine Art Reserve sein? Aus der sich das Genom, vergleichbar der offenen Gesellschaft, weiterentwickeln und stets anpassen kann? Ein Back-up, das die Natur sich in der Hinterhand hält, um gerüstet zu sein? Für den Fall der Fälle. Eine Reserve für jene Situation, wenn das Abtasten der Umwelt durch das Genom ergibt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, etwas zu ändern. Eine neue Richtung einzuschlagen. Weil die Umstände es verlangen, die es dem Genom über das Epigenom melden. Damit und mit weiteren Thesen konfrontierte ich Sir Karl Popper. Er teilte meine Ansichten nicht nur, er bestärkte mich darin, diesem Pfad unbeirrt zu folgen.

Was die Epigenetik betrifft, hat dieser bloße Anfangsverdacht heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, längst seinen Siegeszug angetreten. Schritt für Schritt bestätigt er sich. Und Schritt für Schritt kommt er auch in den Köpfen der Wissenschaft an. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr am enormen Einfluss, den anderes Leben und Wirken auf unser Erbgut ausübt. Die Umwelt. Der eigene Lebenswandel. Der Lebenswandel unserer Vorfahren. Alles hängt zusammen, fantastisch holistisch.

Das Verhältnis zwischen Forschung und Glaube kann sich auch wieder bessern. Das haben zwei große Namen vorgezeigt. Albert Einstein und Max Planck.

Planck, einer der Väter der Quantenphysik. Auf ihn geht nicht nur eine Reihe von Begriffen zurück, denen wir im ersten Teil bei unserer Reise zum Urknall begegnen werden, weil sie alle – räumlich, zeitlich, die Größe betreffend – sich rund um die Stunde null tummeln. Planck war ein Mann, der über sich einmal im Rahmen einer seiner beliebten Vortragsreihen sagte: »Meine Herren, als Physiker, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, der Erforschung der Materie widmete, bin ich sicher vom Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden.«

Und doch fuhr er in seiner Ansprache 1944, ein Vierteljahrhundert nach Erhalt des Nobelpreises, mit diesen Worten fort:

»Und so sage ich nach meinen Erforschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt – es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden –, so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht –, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre. Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott! Damit kommt der Physiker, der sich mit der Materie zu befassen hat, vom Reich des Stoffes in das Reich des Geistes. Und damit ist unsere Aufgabe zu Ende, und wir müssen unser Forschen weitergeben in die Hände der Philosophie.«

In puncto Denkmauern durchbrechen war auch Albert Einstein jemand, der mit der Abrissbirne durch die Gesellschaft donnerte. Er brachte so manches Wissensgebäude zum Einsturz. Allein dadurch, dass er seine zwei Relativitätstheorien auf die Menschheit losließ und das Denken bis heute prägte. Als Einstein 1955 in Princeton, USA, starb, überschlugen sich die Nachrufe auf ihn in Superlativen – Kopernikus des 20. Jahrhunderts. Bedeutendster schöpferischer Denker der Moderne. Magier der modernen Physik. Immerhin hatte er das Weltkonzept von Raum, Zeit und Masse torpediert.

Durch sein E = mc2 erkannte er, dass Energie und Masse in einem Zusammenhang stehen. Einstein erklärte das Phänomen, warum elektromagnetische Wellen mitunter als Teilchen der Materie auftreten. Warum radioaktive Substanzen über Jahrmillionen energiegeladene Strahlung aussenden. Warum Sterne wie die Sonne Licht und Wärme über Jahrmilliarden spenden können. Auch beschrieb er exakt das Verhalten Schwarzer Löcher.

Einstein selbst schrieb seine Leistung zwei Dingen zu: Vorstellungskraft und Fantasie. Sie seien wichtiger als jedes Wissen. Nur durch sie könnten menschliche Wesen »Göttern ähneln und zu den Sternen sprechen«.

Solche Aussagen zeigten sein Kokettieren mit dem Transzendenten. Ausgerechnet ihm, diesem fleischlichen Sinnbild rationaler Wissenschaft, wollte man das nicht nachsehen. Einer wie er durfte den Blick nicht hinüberwerfen. Und doch: »Gott würfelt nicht.«

In einem Brief schrieb er: »Was ich in der Natur erblicke, ist eine großartige Struktur, die wir nur bruchstückhaft verstehen können. Diese Struktur muss jedem denkenden Menschen ein Gefühl von Bescheidenheit vermitteln, ein authentisches religiöses Gefühl, das mit Mystizismus nichts zu tun hat.«

Einsteins Weltenbaumeister war ein universeller kosmischer Geist. Nicht mehr und auch nicht weniger. »Gott kümmert sich nicht um unsere mathematischen Schwierigkeiten. Er integriert empirisch.«

Ludwig Feuerbach, deutscher Philosoph und Anthropologe, hat die Religion im 19. Jahrhundert vehement kritisiert. Sein Argument: Die Menschen machen sich ihren Gott selber. Als Stütze gegen den unvermeidlichen Tod. Ist das so? Ist Religion nichts anderes als Angst im Sonntagskleid der Hoffnung?

Die Antwort der religiös Gestimmten besteht darin, dass nicht wir Ihn, sondern Er uns geschaffen hat. Nach Seinem Abbild. Dadurch tragen wir den Gedanken an diesen Abbildgeber in uns. Wir erfinden Gott nicht, wir sind von Ihm geprägt. Der Gedanke an Transzendentes ist keine Lebensversicherung für Illusionen. Denn wir wurden von dem Transzendenten geprägt.

Das ist die Epigenetik des Glaubens.

Die Prägung für oder gegen Gott.

Außerdem gibt es den theologischen Ansatz, dass das Subjektive in die Offenbarung miteinbezogen werden muss. Denn die Wissenszuwächse der Jetztzeit zwingen zu einer neuen Formulierung religiöser Inhalte. Dabei beginnt das Christentum, sein sogenanntes inkarnatorisches Prinzip zu aktivieren. Die Anpassung an Fleisch und Zeit. Glaube 4.0. Modernisiert als Wahrnehmung einer Spiritualität.

So wird ein Gedanke des Philosophen Peter Sloterdijks weiterentwickelt, der schon meinte: »Durch die Wendung zum Subjekt entpassifiziert sich die Offenbarung – die Ära der bloß empfangenen Offenbarung ist zu Ende. Offenbarung kommt nicht als Verlautbarung eines transzendentalen Absenders, sondern auch als Offenheit gegenüber der Welt.«

Es geht nicht um eine gleißende Erscheinung oder einen alten Mann mit langem weißen Bart, der aus den Wolken heraus auftaucht und »Seid gegrüßt, Erdlinge« sagt. Sondern um das Gefühl eines jeden Einzelnen von uns.

Ebendiese Ergriffenheit, die das Gemüt in Schwingung versetzt.

Eine leise Zufriedenheit, die einem sagt: Alles wird gut, glaub mir, es wird gut. Ein inneres Lächeln. Skepsis ist erlaubt, freilich. Immerhin ist da noch die Neugier, die in uns brennt. Und am Ende stehen da die drei größten Fragen der Menschheit.

Woher kommen wir?

Was sind wir?

Wohin gehen wir?

Zeit für drei Antworten, vorab in aller Kürze.

Erstens: Die Hardware unserer Existenz war ab dem Urknall da.

Zweitens: Wir sind Abbild des Weltenbaumeisters.

Drittens: Uns erwartet die Verschränkung. Der Schöpfer und das Geschöpf – beide kommen zusammen, wenn wir es wollen.

Und das schauen wir uns jetzt einmal im Detail an. Wir reisen zurück in die Ewigkeit. Bis ganz zum Anfang. Dem Anbeginn des Universums. Dort macht es –

BUUUUUMMMMM!

Woher wir kommen

Bevor wir einsteigen und in die Ewigkeit abheben, müssen wir packen. Und zwar ein paar Gedanken. Die kommen ins Handgepäck, manche sind ein bisschen schwerer. Aber die brauchen wir auf der Reise. Dringender als Bikini und Badehose. Die Gedanken helfen, zu verstehen.

Es ist alles eine Frage der Geisteshaltung. Megalopsychos gegen Anthropologos.

Das klingt wie ein Actiongame für eine Spielekonsole, bezeichnet aber vielmehr die Gesinnung im Ganzen. Aristoteles stellte fest: Der großgesinnte Mensch, megalopsycho auf Griechisch, steht im Gegensatz zum anthropologo, dem, der alles nur aus menschlicher Sicht sieht. Die 50, 70 oder vielleicht 100 Jahre, die sie oder er auf diesem Planeten lebt.

Anthropologos genügt diese Zeit auf der Erde, mehr ist nicht drin in der Schöpfung. Sie beginnt bei der Geburt und endet mit dem letzten Atemzug. Dann wird alles schwarz, und die anderen sollen sich drum kümmern, wie es weitergeht.

Megalopsychos sehen das Dasein in größeren Dimensionen. Sie dehnen ihr Verständnis über die wenigen Jahrzehnte, die man als Mensch durch die Welt spaziert, großzügig aus und leben im Angesicht des gesamten Universums. Ihre Schöpfung beginnt nicht bei der Geburt, sondern zu Beginn des Universums und endet nicht mit dem letzten Atemzug. Denn dann wird alles weiß. Ihr Geist erreicht die Ewigkeit.

Weites Gesichtsfeld oder Tunnelblick.

Aristoteles hat den Sinn dahinter schon schriftlich dargelegt, in der Nikomachischen Ethik. Das Werk ist ein Leitfaden, wie man ein guter Mensch wird, ein Lifeguide zur Freude. Glückseligkeit erlange man durch drei Dinge. Äußerliche, körperliche und seelische Güter. Äußere Güter sind vom Zufall abhängig. Herkunft, Reichtum, Freundschaft, Geld, kurzum: ein gut aufgelegtes Schicksal. Gesundheit, Schönheit und Stärke sind körperliche Güter, die man teilweise beeinflussen kann, durch Sport und Ernährung. Seelische Güter können nur wirklich gute Menschen erlangen. Alles zusammen ergibt hundert Punkte auf der Skala der Glückseligkeit.

Heute würde man sagen: Gute Gene, Spiritualität und ideale Work-Life-Balance, dann hast du es geschafft.

Megalopsychos begreifen den Kosmos umfassend und als Konzept, das nicht zufällig da ist, weil es Buuummm gemacht hat, sondern weil jemand oder etwas das verursacht hat.

Das Kafka-Universum

Unsere Software, das Leben hier, ist im Vergleich zum Alter des Kosmos ein Wimpernschlag. Der Astrophysiker Peter Kafka – er arbeitete mehr als drei Jahrzehnte am Max-Planck-Institut in München und starb im Jahr 2000 – lieferte einen interessanten Vergleich. Er legte die 13,82 Milliarden Lebensjahre des Universums auf ein Kalenderjahr um. Das heißt, er hat die Ewigkeit auf 365 Tage heruntergebrochen. Vom Urknall bis zu uns heute. Ein Jahr. Und dabei hat er die Relativität der irdischen Existenz illustriert. Obwohl sie vom Anfang des Universums mitprogrammiert war.

Kafkas Rechnung zufolge begannen die Menschenaffen von den Bäumen zu steigen, aufrecht zu gehen und die Hände zu gebrauchen, als die Uhr vier Stunden vor Mitternacht anzeigte. Und zwar am 31. Dezember, dem letzten Tag in diesem gedachten Jahr des Universums.

Bis die langwierige Entwicklungsprozedur von Australopithecus und Homo erectus und Homo habilis hin zum modernen Homo sapiens abgeschlossen war, verging abermals ziemlich viel der kaum noch verbliebenen Zeit. Die Zeiger standen nun auf sechs Minuten vor zwölf.

Eine Minute und zehn Sekunden vor Korkenknallen, Sektglasgeklirre und ersten Walzerklängen im Radio starben die Neandertaler aus. Fünfzehn Sekunden vor Mitternacht entwickelten sich die Weltreligionen. 4,6 Sekunden vor Null schlugen die Römer Jesus Christus ans Kreuz. Und heute: Ein großzügig mit hundert Jahren bemessenes Menschenleben setzt exakt 0,23 Sekunden vor Ende des gedachten Universum-Jahres ein.

0,23 Sekunden für eine gefühlt ewige Spanne Leben. Das entspricht einem Wimpernschlag, wenn man müde ist. 0,23 Sekunden im Jahr des Universums, und das war’s?

Das ist der Unterschied zwischen Anthropologos und Megalopsychos. In größeren Dimensionen zu denken.

Die Vorstellung einer zentralen Idee, einer fundamentalen Information oder Intelligenz ist unsere Ausgangsbasis. Egal, wie wir diese Idee oder Intelligenz bezeichnen. Sagen wir Weltenbaumeister. Die Theorie eines intelligenten Designs – das hat nichts mit den Kreationisten zu tun – ist genauso legitim wie die Vorstellung einer chaotischen Zufallsentwicklung. Das war, wie wir wissen, nicht immer so. Erst als die Naturwissenschaften ihre Erfolge feierten, griff die Verunglimpfung um sich. Gefolgt von der prinzipiellen Ablehnung dieser Auch-Möglichkeit. Das hat mit dem Begriff Ewigkeit zu tun.

Lange Zeit hielt die Naturwissenschaft die Existenz des Universums für ewig. Daran gab es nichts zu rütteln. Das hatte den Vorteil, dass man die Frage eines Weltenbaumeisters an der Oberfläche recht schlüssig vom Tisch wischen konnte: Universum? War immer. Ist immer. Ist also ewig. Und was ewig besteht, hat keinen Vorläufer. Keinen Urheber. Keinen Planer. Keinen Designer. Ende des Gedankens.

Dann, 1931, kam Georges Lemaître, belgischer Physiker und nebenbei Jesuit, mit seiner Urknall-Theorie. Sie sprach von einem Anfangszustand des Kosmos bei Raumzeit und Materie. Natürlich wurde der Vater des Big Bang zu Beginn verspottet. Dennoch setzte er sich durch, und plötzlich war das Universum alles, nur nicht ewig. Auf einmal hatte es einen sehr konkreten Anfang, der sich mit mathematischer Finesse zurückberechnen und in eine Zahl gießen ließ. 13,82 Milliarden Jahre vor unserer Zeit. Ein Produkt puren Zufalls obendrein – wenngleich es bis heute keinen Beweis dafür gibt. Also wieder kein Weltenbaumeister. Diesmal nicht, weil ewig, sondern diesmal nicht, weil nicht ewig und zufällig. Unser Dasein als Ergebnis einer sogenannten Singularität. Allerdings wären in dieser Singularität ebenfalls die Bausteine unserer Existenz enthalten.

In der Mathematik ist mit einer Singularität der einzelne, also singuläre Punkt einer Kurve gemeint. Der Internetriese Google meint damit die Entwicklung einer Superintelligenz, indem wir uns noch mehr als bisher, also komplett, dem Gebrauch der stets neuesten Technologien verschreiben. Das soll der Hightech-Schlüssel zur – wenigstens digitalen – Unsterblichkeit von uns Menschen sein, den wir in geschätzt dreißig Jahren in Händen halten dürfen. Mit ebenso offenem wie zweifelhaftem Ausgang.

Die Singularität, von der wir hier sprechen, ist die der Physik: jenes Phänomen, bei dem Raum und Zeit verschwinden und alle Materie so gut wie unendlich verdichtet wird. Zu einem einzigen, unfassbar kleinen Punkt. In Form von Information und purer Energie. Der Urknall. Das gültige Standardmodell vom Anfang von allem.

Die Begriffe Standard und Modell sagen schon einiges aus. Sie suggerieren: Der Umgang damit hilft, ein Knäuel voller Fragen zu entwirren und viele zu beantworten. Das Modell hat sich in vielerlei Hinsicht theoretisch bewährt. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich über weite Strecken so und nicht anders verhält, hoch. Sehr hoch. Hundertprozentig wissen wir es nicht. Was das Standardmodell vom Urknall nicht liefert, ist das Warum. Das Wohin. Das Wodurch. Oder durch wen.

»Am Anfang war die Information«, sagte Quantenphysiker Anton Zeilinger im Interview mit der Wiener Zeitung und meinte, man müsse das Johannesevangelium in diese Richtung umschreiben. Zeilinger ist weit entfernt vom kreuzbraven Kirchgänger. Er ist Naturwissenschaftler. Und trotzdem Vertreter einer akademischen Minderheit, die den Grenzen der Wissenschaft sehr offen gegenübersteht. International berühmt geworden durch die erfolgreiche Teleportation von Teilchen, schwebt Zeilinger nicht wie andere ausnahmslos in der eigenen Wissens- und Meinungsblase. In der Echokammer der Forschung. Zeilinger hat in seinem Team seit Jahren auch einen Philosophen.

»Die Philosophen haben sehr viel dazu beigetragen, Grundlegendes zu klären. Zum Beispiel die Frage: Was ist der Messprozess? Ich teile ja nicht diesen Hochmut gegenüber den Geisteswissenschaften, der derzeit Mode ist. Die Geisteswissenschaften gehören zur Software der Gesellschaft.«

Schneller als das Licht

Megalopsychos können Hürden überwinden und Denkmauern mit dem Meißel der Zuversicht pulverisieren. Auf der Reise in die Ewigkeit, die wir gemeinsam unternehmen, kommen wir an einer Mauer an. Der des Lichts. Licht ist nicht nur eine physikalische Größe, sondern ein philosophischer Begriff. Eine transzendentale Größe. Ein Welthorizont. Wir durchbrechen also die erste Mauer, das Licht.

Wir kennen das Licht mit seiner Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern pro Sekunde als sogenannte Naturkonstante. Eine unabänderliche Größe. Was bedeutet: Jagen wir mit Hightech ein Lichtteilchen auf das andere los, verhält es sich nicht wie bei einem Frontalcrash zweier Autos, wo sich die Geschwindigkeiten beider addieren. Beim Licht lautet die Formel: Ein Licht + ein Licht = immer noch ein Licht.

Auch darum ist Licht als Größe fundamental. Mehr als Licht geht nicht.

Forscher finden, diese Absolutheit des Lichts würde uns sogar beschützen. Vor einer jenseitigen Welt, die zunächst mit Gott nichts zu tun hat, in der aber die Gesetze des Universums nicht mehr gelten. So ähnlich wie die Heisenbergsche Unschärfe im Bereich des winzig Kleinen. In der Welt der Quanten. Heisenbergs Unschärferelation besagt nichts anderes, als dass wir von einem Teilchen zwei komplementäre Eigenschaften nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen können.

Angenommen, Sie tragen eine Augenbinde und stehen am Billardtisch, auf dem nur eine Kugel liegt. Sie stoßen sie weg. Sie können die Bahn nicht sehen, nur erahnen. Es gelingt Ihnen, die Kugel mit der Hand zu erwischen. In dem Augenblick wissen Sie zwar, wo die Kugel ist, aber nicht, wie schnell sie war. Beides zugleich geht nicht. Durch das Anhalten wird das Messen der Geschwindigkeit vereitelt. Und umgekehrt. Entweder genauer Ort oder genaue Geschwindigkeit. Quanten sind freche Dinger. Renitent und subversiv. Die lassen sich nicht gerne einordnen.

Über Unschärfen in unfassbar kleinen Dimensionen, die womöglich aufgerollt und ziemlich vage sind, nicht näher nachdenken zu müssen, kann ein wirkungsvoller Schutz vor kausalen Unverständlichkeiten sein. Aber die Lichtgeschwindigkeit als Retter? Was ist damit gemeint? Wie schafft das eine Mauer, die wir so gerne überwinden möchten?

Von wegen: Licht ist absolut. Wir überlegen, in die Welt des überschnellen Lichts einzutauchen. Dorthin, wo Gene Roddenberry schon in den Sechzigerjahren das Raumschiff Enterprise geschickt hat. Für Kirk, Spock und den Rest der Crew war’s nur ein Kommando. Energie!

Wie ist das jetzt für uns, gibt es Überlichtgeschwindigkeit, oder ist sie Fantasie?

Glasklare Antwort des Physikers: »Natürlich gibt es die.«

Wo denn? Draußen im Weltall? Oder sogar hier? Bei uns auf der Erde?

»Ja, auch hier auf der Erde.«

Wie denn? Was denn?

Da gebe es mehrere Möglichkeiten.

Variante A:

Sie schauen in den Spiegel und erkennen: Ein Haarschnitt wäre dringend nötig. Also gehen Sie zum Friseur. Weil Sie wissen: Dort herrschen tagtäglich Geschwindigkeiten vor, die weit jenseits der 300.000 Kilometer pro Sekunde liegen, die das Licht schafft. Das Haupt frisch gewaschen, sitzen Sie im Sessel, und der Friseur, die Friseurin hält die gut geschliffene Schere hoch, lässt sie wie zum Startsignal einmal kräftig auf- und zuschnappen.

Und genau da geschieht es: Schnappt die Schere mit Schwung zu, wird sich der innerste Punkt zwischen den eben noch weit klaffenden Scherenblättern nach oben zu den Spitzen bewegen. Mit Überlichtgeschwindigkeit.

Die Krux an der Sache: Auf seinem Flug zu den Spitzen der Scherenblätter befördert der Punkt keinerlei Information. Daher ist er als physikalische Größe irrelevant. Weil wir bei Lichtgeschwindigkeit immer nur von jener Geschwindigkeit sprechen, mit der sich Information transportieren lässt. Und zwar im Vakuum. Bewegt Licht sich in anderen Medien, ist es in der Regel langsamer. Wie im Wasser.

Okay. Zweiter Versuch.

Variante B:

Wir gehen in die Offensive, machen selbst einen Vorschlag. Wir prahlen ein bisschen und werfen ein Wort in die Runde: Tunneleffekt.

Der Physiker nickt erst erstaunt.

Jetzt sind wir, ohne es zu wollen, mittendrin in der Quantenphysik. Irgendwo haben wir schon gehört, dass dieser Tunneleffekt sowas wie ein Spaltpilz innerhalb der Physik sein soll. Weil er nämlich der klassischen Physik eine physikalische Unmöglichkeit entgegenhält. Und doch real ist.

Die schlichte Annahme: Wir wollen einen Ball über einen Berg rollen. Dafür brauchen wir eine bestimmte Menge kinetischer Energie. Die nötige Kraft, damit er den Weg hinauf schafft. Haben wir zu wenig, wird es nicht klappen. Der Ball rollt zurück.

Die Quantenmechanik geht anders an die Sache heran. Sie spielt mit eigenen Regeln. Die besagen: Nix ist fix, alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Das heißt nicht, dass Anarchie und Nonsens herrschen. Es ist bloß eine Welt, die sich der uns vertrauten entzieht. Eine Welt, die nicht den Umweg oben drüber in Erwägung zieht. Sondern den direkten. Indem A (der Ball) durch B (den Berg) hindurchmarschiert. Einfach so. Obwohl A und B gleichgepolt wie gleichnamige Magnete sind und einander vehement abstoßen, weil es sich – in diesem Fall – um die positiv geladenen Teilchen zweier Atomkerne handelt. Zwei Protonen.

Mit herkömmlicher Physik ist der Effekt nicht erklärbar. Trotzdem vollzieht er sich täglich ungezählte Male. Er sorgt dafür, dass unsere Sonne so arbeitet, wie sie arbeitet. Dass sie Kernfusion betreibt, demnach Wasserstoff zu Helium fusioniert und jene Unmengen von Energie erzeugt und auf die achtminütige Lichtreise zur Erde schickt, die ein Leben hier überhaupt erst ermöglicht.

Das ist der Tunneleffekt. Das Überwinden der enormen Gegenkräfte zweier gleich geladener Teilchen, indem das eine das andere durchstößt. Mit dem Kopf durch die Wand quasi. Wobei am anderen Ende des Tunnels nicht hinausdarf, was am einen Ende hineinwollte. Dazwischen geschieht Entscheidendes. Eine Metamorphose. Und: Der Tunneleffekt stellt ein Phänomen dar, das wir allein aus dem Mikrokosmos kennen. Vom Kleinsten vom Allerkleinsten.

Wir heben die Sache in unsere Vorstellungswelt empor: Angenommen, ein Mensch könnte die Barriere durchdringen. Zwei Kammern, getrennt durch eine endlos hohe Mauer. Oben drüber? Nur mit enormem Energieaufwand. Eigentlich gar nicht. Weshalb die klassische Physik sagt: Umkehren. Die Quantenphysik sagt: Geh bitte. Rein ins Vergnügen. Mittendurch.

In diesem Fall müsste das Superman sein. Ein Mensch mit Überkräften. Er folgt den Wahrscheinlichkeiten der Quantenphysik, und das Erstaunliche: Der extrem kurze Moment des Durchstoßens der Mauer vollzieht sich tatsächlich – mit Überlichtgeschwindigkeit.

Jetzt das große Aber: die Metamorphose. Was jenseits der Mauer rauskommt, hat mit der Ur-Information Superman nicht mehr das Geringste zu tun. Anstelle eines ganzen Superhelden sehen wir ein zur Unkenntlichkeit verformtes Männlein. Ein Fragment mit rotem Cape. Die Gesamt-Information von zuvor, die Clark Kent geheißen hat, ist futsch.

Mikro- und makrokosmische Gesetze würden eine solche Reise möglich machen. Doch unser Kosmos verbietet sie uns. Sie existieren, sind aber für uns nicht zugänglich. Wie können wir uns dann anmaßen, auf den Stufen dieses Mesokosmos zu sitzen und üben den Weltenbaumeister urteilen zu wollen?

So oder so: Mit dieser Art von Überlichtgeschwindigkeit kommt der normale Mensch nicht ans Ziel. Weil sie nichts vollständig von A nach B transportiert. Was tun?

Variante C:

Vorschlag des Physikers: Wir könnten eine Cäsium-Reise unternehmen. Dieses Cäsium, das schwerste uns bekannte, stabile Alkalimetall, hat eine faszinierende Eigenschaft. Sein sogenannter Brechungsindex ist kleiner als 1. Zu Deutsch: Eine elektromagnetische Welle, nichts anderes ist Licht, kann sich darin schneller bewegen als im Vakuum. Das Licht könnte sich sozusagen selbst überholen.

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