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An dem­sel­ben Tage näm­lich kam La­va­ter,5 auf sei­nem Rück­we­ge von Ber­lin nach Hau­se be­grif­fen, durch Frank­furt und sah die­se Fei­er­lich­keit mit an. Ob nun gleich sol­che welt­li­che Äu­ßer­lich­kei­ten für ihn nicht den min­des­ten Wert hat­ten, so moch­te doch die­ser Zug mit sei­ner Pracht und al­lem Bei­we­sen deut­lich in sei­ne sehr leb­haf­te Ein­bil­dungs­kraft sich ein­ge­drückt ha­ben: denn nach meh­re­ren Jah­ren, als mir die­ser vor­züg­li­che, aber ei­ge­ne Mann eine poe­ti­sche Pa­ra­phra­se, ich glau­be der Of­fen­ba­rung Sankt Jo­han­nis, mit­teil­te, fand ich den Ein­zug des An­ti­christ Schritt vor Schritt, Ge­stalt vor Ge­stalt, Um­stand vor Um­stand, dem Ein­zug des Kur­fürs­ten von Mainz in Frank­furt nach­ge­bil­det, der­ge­stalt, dass so­gar die Quas­ten an den Köp­fen der Isa­bell-Pfer­de nicht fehl­ten. Es wird sich mehr da­von sa­gen las­sen, wenn ich zur Epo­che je­ner wun­der­li­chen Dich­tungs­art ge­lan­ge, durch wel­che man die alt- und neu­tes­ta­ment­li­chen My­then dem An­schau­en und Ge­fühl nä­her zu brin­gen glaub­te, wenn man sie völ­lig ins Mo­der­ne tra­ves­tier­te und ih­nen aus dem ge­gen­wär­ti­gen Le­ben, es sei nun ge­mei­ner oder vor­neh­mer, ein Ge­wand um­hin­ge. Wie die­se Be­hand­lungs­art sich nach und nach be­liebt ge­macht, da­von muss gleich­falls künf­tig die Rede sein; doch be­mer­ke ich hier so viel, dass sie wei­ter als durch La­va­ter und sei­ne Nach­ei­fe­rer wohl nicht ge­trie­ben wor­den, in­dem ei­ner der­sel­ben die hei­li­gen drei Kö­ni­ge, wie sie zu Beth­le­hem ein­rei­ten, so mo­dern schil­der­te, dass die Fürs­ten und Her­ren, wel­che La­va­tern zu be­su­chen pfleg­ten, per­sön­lich dar­in nicht zu ver­ken­nen wa­ren.

Wir las­sen also für dies­mal den Kur­fürs­ten Em­me­rich Jo­seph so zu sa­gen in­ko­gni­to im Kom­postell ein­tref­fen und wen­den uns zu Gret­chen, die ich, eben als die Volks­men­ge sich ver­lief, von Pyla­des und sei­ner Schö­nen be­glei­tet (denn die­se drei schie­nen nun un­zer­trenn­lich zu sein), im Ge­tüm­mel er­blick­te. Wir hat­ten uns kaum er­reicht und be­grüßt, als schon aus­ge­macht war, dass wir die­sen Abend zu­sam­men zu­brin­gen woll­ten, und ich fand mich bei­zei­ten ein. Die ge­wöhn­li­che Ge­sell­schaft war bei­sam­men, und je­des hat­te et­was zu er­zäh­len, zu sa­gen, zu be­mer­ken; wie denn dem einen dies, dem an­de­ren je­nes am meis­ten auf­ge­fal­len war. »Eure Re­den«, sag­te Gret­chen zu­letzt, »ma­chen mich fast noch ver­worr­ner als die Be­ge­ben­hei­ten die­ser Tage selbst. Was ich ge­se­hen, kann ich nicht zu­sam­men­rei­men und möch­te von man­chem gar zu gern wis­sen, wie es sich ver­hält.« Ich ver­setz­te, dass es mir ein Leich­tes sei, ihr die­sen Dienst zu er­zei­gen. Sie sol­le nur sa­gen, wo­für sie sich ei­gent­lich in­ter­es­sie­re. Dies tat sie, und in­dem ich ihr ei­ni­ges er­klä­ren woll­te, fand sich’s, dass es bes­ser wäre, in der Ord­nung zu ver­fah­ren. Ich ver­glich nicht un­schick­lich die­se Fei­er­lich­kei­ten und Funk­tio­nen mit ei­nem Schau­spiel, wo der Vor­hang nach Be­lie­ben her­un­ter­ge­las­sen wür­de, in­des­sen die Schau­spie­ler fort­spiel­ten; dann wer­de er wie­der auf­ge­zo­gen, und der Zuschau­er kön­ne an je­nen Ver­hand­lun­gen ei­ni­ger­ma­ßen wie­der teil­neh­men. Weil ich nun sehr red­se­lig war, wenn man mich ge­wäh­ren ließ, so er­zähl­te ich al­les von An­fang an bis auf den heu­ti­gen Tag in der bes­ten Ord­nung und ver­säum­te nicht, um mei­nen Vor­trag an­schau­li­cher zu ma­chen, mich des vor­han­de­nen Grif­fels und der großen Schie­fer­plat­te zu be­die­nen. Nur durch ei­ni­ge Fra­gen und Recht­ha­be­rei­en der an­de­ren we­nig ge­stört, brach­te ich mei­nen Vor­trag zu all­ge­mei­ner Zufrie­den­heit ans Ende, in­dem mich Gret­chen durch ihre fort­ge­setz­te Auf­merk­sam­keit höch­lich er­mun­tert hat­te. Sie dank­te mir zu­letzt und be­nei­de­te, nach ih­rem Aus­druck, alle die­je­ni­gen, die von den Sa­chen die­ser Welt un­ter­rich­tet sei­en und wüss­ten, wie die­ses und je­nes zu­ge­he und was es zu be­deu­ten habe. Sie wünsch­te sich, ein Kna­be zu sein, und wuss­te mit vie­ler Freund­lich­keit an­zu­er­ken­nen, dass sie mir schon man­che Be­leh­rung schul­dig ge­wor­den. »Wenn ich ein Kna­be wäre«, sag­te sie, »so woll­ten wir auf Uni­ver­si­tä­ten zu­sam­men et­was Rech­tes ler­nen.« Das Ge­spräch ward in der Art fort­ge­führt; sie setz­te sich be­stimmt vor, Un­ter­richt im Fran­zö­si­schen zu neh­men, des­sen Uner­läss­lich­keit sie im La­den der Putz­händ­le­rin wohl ge­wahr wor­den. Ich frag­te sie, warum sie nicht mehr dort­hin gehe: denn in der letz­ten Zeit, da ich des Abends nicht viel ab­kom­men konn­te, war ich manch­mal bei Tage, ihr zu Ge­fal­len, am La­den vor­bei­ge­gan­gen, um sie nur einen Au­gen­blick zu se­hen. Sie er­klär­te mir, dass sie in die­ser un­ru­hi­gen Zeit sich dort nicht hät­te aus­set­zen wol­len. Be­fän­de sich die Stadt wie­der in ih­rem vo­ri­gen Zu­stan­de, so den­ke sie auch wie­der hin­zu­ge­hen.

Nun war von dem nächst be­vor­ste­hen­den Wahl­tag die Rede. Was und wie es vor­ge­he, wuss­te ich weit­läuf­tig zu er­zäh­len und mei­ne De­mons­tra­ti­on durch um­ständ­li­che Zeich­nun­gen auf der Ta­fel zu un­ter­stüt­zen; wie ich denn den Raum des Kon­kla­ve mit sei­nen Al­tä­ren, Thro­nen, Ses­seln und Sit­zen voll­kom­men ge­gen­wär­tig hat­te. – Wir schie­den zu rech­ter Zeit und mit son­der­li­chem Wohl­be­ha­gen.

Denn ei­nem jun­gen Paa­re, das von der Na­tur ei­ni­ger­ma­ßen har­mo­nisch ge­bil­det ist, kann nichts zu ei­ner schö­nern Ve­rei­ni­gung ge­rei­chen, als wenn das Mäd­chen lehr­be­gie­rig und der Jüng­ling lehr­haft ist. Es ent­steht dar­aus ein so gründ­li­ches als an­ge­neh­mes Ver­hält­nis. Sie er­blickt in ihm den Schöp­fer ih­res geis­ti­gen Da­seins und er in ihr ein Ge­schöpf, das nicht der Na­tur, dem Zu­fall oder ei­nem ein­sei­ti­gen Wol­len, son­dern ei­nem bei­der­sei­ti­gen Wil­len sei­ne Vollen­dung ver­dankt; und die­se Wech­sel­wir­kung ist so süß, dass wir uns nicht wun­dern dür­fen, wenn seit dem al­ten und neu­en Abälard aus ei­nem sol­chen Zu­sam­men­tref­fen zwei­er We­sen die ge­walt­sams­ten Lei­den­schaf­ten und so viel Glück als Un­glück ent­sprun­gen sind.

Gleich den nächs­ten Tag war große Be­we­gung in der Stadt, we­gen der Vi­si­ten und Ge­gen­vi­si­ten, wel­che nun­mehr mit dem größ­ten Ze­re­mo­ni­ell ab­ge­stat­tet wur­den. Was mich aber als einen Frank­fur­ter Bür­ger be­son­ders in­ter­es­sier­te und zu vie­len Be­trach­tun­gen ver­an­lass­te, war die Ab­le­gung des Si­cher­heits­ei­des, den der Rat, das Mi­li­tär, die Bür­ger­schaft, nicht etwa durch Re­prä­sen­tan­ten, son­dern per­sön­lich und in Mas­se leis­te­ten: erst auf dem großen Rö­mer­saa­le der Ma­gis­trat und die Stabs­of­fi­zie­re, dann auf dem großen Plat­ze, dem Rö­mer­berg, die sämt­li­che Bür­ger­schaft nach ih­ren ver­schie­de­nen Gra­den, Ab­stu­fun­gen und Quar­tie­ren, und zu­letzt das üb­ri­ge Mi­li­tär. Hier konn­te man das gan­ze Ge­mein­we­sen mit ei­nem Blick über­schau­en, ver­sam­melt zu dem eh­ren­vol­len Zweck, dem Haupt und den Glie­dern des Reichs Si­cher­heit und bei dem be­vor­ste­hen­den großen Wer­ke un­ver­brüch­li­che Ruhe an­zu­ge­lo­ben. Nun wa­ren auch Kur-Tri­er und Kur-Köln in Per­son an­ge­kom­men. Am Vora­bend des Wahl­tags wer­den alle Frem­den aus der Stadt ge­wie­sen, die Tore sind ge­schlos­sen, die Ju­den in ih­rer Gas­se ein­ge­sperrt, und der Frank­fur­ter Bür­ger dünkt sich nicht we­nig, dass er al­lein Zeu­ge ei­ner so großen Fei­er­lich­keit blei­ben darf.

Bis­her war al­les noch ziem­lich mo­dern her­ge­gan­gen: die höchs­ten und ho­hen Per­so­nen be­weg­ten sich nur in Kut­schen hin und wi­der; nun aber soll­ten wir sie, nach ur­al­ter Wei­se, zu Pfer­de se­hen. Der Zu­lauf und das Ge­drän­ge war au­ßer­or­dent­lich. Ich wuss­te mich in dem Rö­mer, den ich, wie eine Maus den hei­mi­schen Korn­bo­den, ge­nau kann­te, so lan­ge her­um­zu­schmie­gen, bis ich an den Haup­tein­gang ge­lang­te, vor wel­chem die Kur­fürs­ten und Ge­sand­ten, die zu­erst in Pracht­kut­schen her­an­ge­fah­ren und sich oben ver­sam­melt hat­ten, nun­mehr zu Pfer­de stei­gen soll­ten. Die statt­lichs­ten, wohl­zu­ge­rit­te­nen Ros­se wa­ren mit reich­ge­stick­ten Waldrap­pen über­han­gen und auf alle Wei­se ge­schmückt. Kur­fürst Em­me­rich Jo­seph, ein schö­ner, be­hag­li­cher Mann, nahm sich zu Pfer­de gut aus. Der bei­den an­de­ren er­in­ne­re ich mich we­ni­ger, als nur über­haupt, dass uns die­se ro­ten, mit Her­me­lin aus­ge­schla­ge­nen Fürs­ten­män­tel, die wir sonst nur auf Ge­mäl­den zu se­hen ge­wohnt wa­ren, un­ter frei­em Him­mel sehr ro­man­tisch vor­ka­men. Auch die Bot­schaf­ter der ab­we­sen­den welt­li­chen Kur­fürs­ten in ih­ren gold­stoff­nen, mit Gold über­stick­ten, mit gold­nen Spit­zen­tres­sen reich be­setz­ten spa­ni­schen Klei­dern ta­ten un­sern Au­gen wohl; be­son­ders weh­ten die großen Fe­dern von den al­ter­tüm­lich auf­ge­kremp­ten Hü­ten aufs präch­tigs­te. Was mir aber gar nicht da­bei ge­fal­len woll­te, wa­ren die kur­z­en mo­der­nen Bein­klei­der, die weiß­sei­de­nen St­rümp­fe und mo­di­schen Schu­he. Wir hät­ten Halbstie­fel­chen, so gol­den als man ge­wollt, San­da­len oder der­glei­chen ge­wünscht, um nur ein et­was kon­se­quen­te­res Ko­stüm zu er­bli­cken.

Im Be­tra­gen un­ter­schied sich auch hier der Ge­sand­te von Plo­tho wie­der vor al­len an­de­ren. Er zeig­te sich leb­haft und mun­ter und schi­en vor der gan­zen Ze­re­mo­nie nicht son­der­li­chen Re­spekt zu ha­ben. Denn als sein Vor­der­mann, ein ält­li­cher Herr, sich nicht so­gleich aufs Pferd schwin­gen konn­te und er des­halb eine Wei­le an dem großen Ein­gang war­ten muss­te, ent­hielt er sich des La­chens nicht, bis sein Pferd auch vor­ge­führt wur­de, auf wel­ches er sich denn sehr be­händ hin­auf­schwang und von uns aber­mals als ein wür­di­ger Ab­ge­sand­ter Fried­richs des Zwei­ten be­wun­dert wur­de.

Nun war für uns der Vor­hang wie­der ge­fal­len. Ich hat­te mich zwar in die Kir­che zu drän­gen ge­sucht, al­lein es fand sich auch dort mehr Un­be­quem­lich­keit als Lust. Die Wäh­len­den hat­ten sich ins Al­ler­hei­ligs­te zu­rück­ge­zo­gen, in wel­chem weit­läuf­ti­ge Ze­re­mo­ni­en die Stel­le ei­ner be­däch­ti­gen Wahl­über­le­gung ver­tra­ten. Nach lan­gem Har­ren, Drän­gen und Wo­gen ver­nahm denn zu­letzt das Volk den Na­men Jo­se­phs des Zwei­ten, der zum Rö­mi­schen Kö­nig aus­ge­ru­fen wur­de.

Der Zu­drang der Frem­den in die Stadt ward nun im­mer stär­ker. Al­les fuhr und ging in Gala­klei­dern, so­dass man zu­letzt nur die ganz gol­de­nen An­zü­ge be­mer­kens­wert fand. Kai­ser und Kö­nig wa­ren schon in Heu­sen­stamm, ei­nem gräf­lich Schön­bor­ni­schen Schlos­se, an­ge­langt und wur­den dort her­kömm­lich be­grüßt und will­kom­men ge­hei­ßen; die Stadt aber fei­er­te die­se wich­ti­ge Epo­che durch geist­li­che Fes­te sämt­li­cher Re­li­gio­nen, durch Hochäm­ter und Pre­dig­ten, und von welt­li­cher Sei­te, zu Beglei­tung des Te­de­um, durch un­abläs­si­ges Ka­no­nie­ren.

Hät­te man alle die­se öf­fent­li­chen Fei­er­lich­kei­ten von An­fang bis hier­her als ein über­leg­tes Kunst­werk an­ge­se­hen, so wür­de man nicht viel dar­an aus­zu­set­zen ge­fun­den ha­ben. Al­les war gut vor­be­rei­tet; sach­te fin­gen die öf­fent­li­chen Auf­trit­te an und wur­den im­mer be­deu­ten­der: die Men­schen wuch­sen an Zahl, die Per­so­nen an Wür­de, ihre Um­ge­bun­gen wie sie selbst an Pracht, und so stieg es mit je­dem Tage, so­dass zu­letzt auch ein vor­be­rei­te­tes, ge­fass­tes Auge in Ver­wir­rung ge­riet.

Der Ein­zug des Kur­fürs­ten von Mainz, wel­chen aus­führ­li­cher zu be­schrei­ben wir ab­ge­lehnt, war präch­tig und im­po­sant ge­nug, um in der Ein­bil­dungs­kraft ei­nes vor­züg­li­chen Man­nes die An­kunft ei­nes großen ge­weis­sag­ten Wel­t­herr­schers zu be­deu­ten. Auch wir wa­ren da­durch nicht we­nig ge­blen­det wor­den. Nun aber spann­te sich un­se­re Er­war­tung aufs höchs­te, als es hieß, der Kai­ser und der künf­ti­ge Kö­nig nä­her­ten sich der Stadt. In ei­ni­ger Ent­fer­nung von Sach­sen­hau­sen war ein Zelt er­rich­tet, in wel­chem der gan­ze Ma­gis­trat sich auf­hielt, um dem Ober­haup­te des Reichs die ge­hö­ri­ge Ver­eh­rung zu be­zei­gen und die Stadt­schlüs­sel an­zu­bie­ten. Wei­ter hin­aus auf ei­ner schö­nen ge­räu­mi­gen Ebe­ne stand ein an­de­res, ein Pracht­ge­zelt, wo­hin sich die sämt­li­chen Kur­fürs­ten und Wahl­bot­schaf­ter zum Empfang der Ma­je­stä­ten ver­füg­ten, in­des­sen ihr Ge­fol­ge sich den gan­zen Weg ent­lang er­streck­te, um nach und nach, wie die Rei­he an sie käme, sich wie­der ge­gen die Stadt in Be­we­gung zu set­zen und ge­hö­rig in den Zug ein­zu­tre­ten. Nun­mehr fuhr der Kai­ser bei dem Zelt an, be­trat sol­ches, und nach ehr­furchts­vol­lem Empfan­ge be­ur­laub­ten sich die Kur­fürs­ten und Ge­sand­ten, um ord­nungs­ge­mäß dem höchs­ten Herr­scher den Weg zu bah­nen.

Wir an­de­ren, die wir in der Stadt ge­blie­ben, um die­se Pracht in­ner­halb der Mau­ern und Stra­ßen noch mehr zu be­wun­dern, als es auf frei­em Fel­de hät­te ge­sche­hen kön­nen, wir wa­ren durch das von der Bür­ger­schaft in den Gas­sen auf­ge­stell­te Spa­lier, durch den Zu­drang des Volks, durch man­cher­lei da­bei vor­kom­men­de Spä­ße und Un­schick­lich­kei­ten einst­wei­len gar wohl un­ter­hal­ten, bis uns das Ge­läu­te der Glo­cken und der Ka­no­nen­don­ner die un­mit­tel­ba­re Nähe des Herr­schers an­kün­dig­ten. Was ei­nem Frank­fur­ter be­son­ders wohl­tun muss­te, war, dass bei die­ser Ge­le­gen­heit, bei der Ge­gen­wart so vie­ler Sou­ve­rä­ne und ih­rer Re­prä­sen­tan­ten, die Reichs­stadt Frank­furt auch als ein klei­ner Sou­ve­rän er­schi­en: denn ihr Stall­meis­ter er­öff­ne­te den Zug, Reit­pfer­de mit Wap­pen­de­cken, wor­auf der wei­ße Ad­ler im ro­ten Fel­de sich gar gut aus­nahm, folg­ten ihm, Be­dien­te und Of­fi­zi­an­ten, Pau­ker und Trom­pe­ter, De­pu­tier­te des Rats, von Rats­be­dien­ten in der Stadt­li­vree zu Fuße be­glei­tet. Hieran schlos­sen sich die drei Kom­pa­ni­en der Bür­ger­ka­val­le­rie, sehr wohl be­rit­ten, die­sel­bi­gen, die wir von Ju­gend auf bei Ein­ho­lung des Ge­leits und an­de­ren öf­fent­li­chen Ge­le­gen­hei­ten ge­kannt hat­ten. Wir er­freu­ten uns an dem Mit­ge­fühl die­ser Ehre und an dem Hun­dert­tau­send­teil­chen ei­ner Sou­ve­rä­ne­tät, wel­che ge­gen­wär­tig in ih­rem vol­len Glanz er­schi­en. Die ver­schie­de­nen Ge­fol­ge des Reichs-Erb­mar­schalls und der von den sechs welt­li­chen Kur­fürs­ten ab­ge­ord­ne­ten Wahl­ge­sand­ten zo­gen so­dann schritt­wei­se da­her. Keins der­sel­ben be­stand aus we­ni­ger denn zwan­zig Be­dien­ten und zwei Staats­wa­gen, bei ei­ni­gen aus ei­ner noch grö­ßern An­zahl. Das Ge­fol­ge der geist­li­chen Kur­fürs­ten war nun im­mer im Stei­gen; die Be­dien­ten und Hau­s­of­fi­zi­an­ten schie­nen un­zäh­lig, Kur-Köln und Kur-Tri­er hat­ten über zwan­zig Staats­wa­gen, Kur-Mainz al­lein eben so viel. Die Die­ner­schaft zu Pfer­de und zu Fuß war durch­aus aufs präch­tigs­te ge­klei­det, die Her­ren in den Equi­pa­gen, geist­li­che und welt­li­che, hat­ten es auch nicht feh­len las­sen, reich und ehr­wür­dig an­ge­tan und ge­schmückt mit al­len Or­dens­zei­chen zu er­schei­nen. Das Ge­folg der kai­ser­li­chen Ma­je­stät über­traf nun­mehr, wie bil­lig, die üb­ri­gen. Die Be­rei­ter, die Hand­p­fer­de, die Reit­zeu­ge, Scha­bra­cken und De­cken zo­gen al­ler Au­gen auf sich, und sech­zehn sechs­s­pän­ni­ge Ga­la­wa­gen der kai­ser­li­chen Kam­mer­her­ren, Ge­hei­men­rä­te, des Ober­käm­me­rers, Ober­hof­meis­ters, Ober­stall­meis­ters be­schlos­sen mit großem Prunk die­se Ab­tei­lung des Zugs, wel­che un­ge­ach­tet ih­rer Pracht und Aus­deh­nung doch nur der Vor­trab sein soll­te.

Nun aber kon­zen­trier­te sich die Rei­he, in­dem sich Wür­de und Pracht stei­ger­ten, im­mer mehr. Denn un­ter ei­ner aus­ge­wähl­ten Beglei­tung ei­ge­ner Haus­die­ner­schaft, die meis­ten zu Fuß, we­ni­ge zu Pfer­de, er­schie­nen die Wahl­bot­schaf­ter so wie die Kur­fürs­ten in Per­son nach auf­stei­gen­der Ord­nung, je­der in ei­nem präch­ti­gen Staats­wa­gen. Un­mit­tel­bar hin­ter Kur-Mainz kün­dig­ten zehn kai­ser­li­che Lau­fer, ein­und­vier­zig La­kai­en und acht Hei­du­cken die Ma­je­stä­ten selbst an. Der präch­tigs­te Staats­wa­gen, auch im Rücken mit ei­nem gan­zen Spie­gel­glas ver­se­hen, mit Ma­le­rei, La­ckie­rung, Schnitz­werk und Ver­gol­dung aus­ge­ziert, mit ro­tem ge­stick­ten Samt oben­her und in­wen­dig be­zo­gen, ließ uns ganz be­quem Kai­ser und Kö­nig, die längst er­wünsch­ten Häup­ter, in al­ler ih­rer Herr­lich­keit be­trach­ten. Man hat­te den Zug einen wei­ten Um­weg ge­führt, teils aus Not­wen­dig­keit, da­mit er sich nur ent­fal­ten kön­ne, teils um ihn der großen Men­ge Men­schen sicht­bar zu ma­chen. Er war durch Sach­sen­hau­sen, über die Brücke, die Fahr­gas­se, so­dann die Zeil hin­un­ter­ge­gan­gen und wen­de­te sich nach der in­nern Stadt durch die Ka­tha­ri­nen­pfor­te, ein eh­ma­li­ges Tor und seit Er­wei­te­rung der Stadt ein off­ner Durch­gang. Hier hat­te man glück­lich be­dacht, dass die äu­ße­re Herr­lich­keit der Welt seit ei­ner Rei­he von Jah­ren sich im­mer mehr in die Höhe und Brei­te aus­ge­dehnt. Man hat­te ge­mes­sen und ge­fun­den, dass durch die­sen Tor­weg, durch wel­chen so man­cher Fürst und Kai­ser aus- und ein­ge­zo­gen, der jet­zi­ge kai­ser­li­che Staats­wa­gen, ohne mit sei­nem Schnitz­werk und an­de­ren Äu­ßer­lich­kei­ten an­zu­sto­ßen, nicht hin­durch­kom­men kön­ne. Man be­rat­schlag­te, und zu Ver­mei­dung ei­nes un­be­que­men Um­wegs ent­schloss man sich, das Pflas­ter auf­zu­he­ben und eine sanf­te Ab- und Auf­fahrt zu ver­an­stal­ten. In eben dem Sin­ne hat­te man auch alle Wet­ter­dä­cher der Lä­den und Bu­den in den Stra­ßen aus­ge­ho­ben, da­mit we­der die Kro­ne, noch der Ad­ler, noch die Ge­ni­en An­stoß und Scha­den neh­men möch­ten.

So sehr wir auch, als die­ses kost­ba­re Ge­fäß mit so kost­ba­rem In­halt sich uns nä­her­te, auf die ho­hen Per­so­nen un­se­re Au­gen ge­rich­tet hat­ten, so konn­ten wir doch nicht um­hin, un­sern Blick auf die herr­li­chen Pfer­de, das Ge­schirr und des­sen Po­sa­ment­schmuck zu wen­den; be­son­ders aber fie­len uns die wun­der­li­chen, bei­de auf den Pfer­den sit­zen­den, Kut­scher und Vor­rei­ter auf. Sie sa­hen wie aus ei­ner an­de­ren Na­ti­on, ja wie aus ei­ner an­de­ren Welt, in lan­gen schwarz- und gelb­samt­nen Rö­cken und Kap­pen mit großen Fe­der­bü­schen, nach kai­ser­li­cher Hof­sit­te. Nun dräng­te sich so viel zu­sam­men, dass man we­nig mehr un­ter­schei­den konn­te. Die Schwei­zer­gar­de zu bei­den Zei­ten des Wa­gens, der Erb­mar­schall, das säch­si­sche Schwert auf­wärts in der rech­ten Hand hal­tend, die Feld­mar­schäl­le, als An­füh­rer der kai­ser­li­chen Gar­den hin­ter dem Wa­gen rei­tend, die kai­ser­li­chen Edel­kna­ben in Mas­se und end­lich die Hat­schier­gar­de selbst, in schwarz­samt­nen Flü­gel­rö­cken, alle Näh­te reich mit Gold ga­lo­niert, dar­un­ter rote Lei­brö­cke und le­der­farb­ne Ka­mi­so­le, gleich­falls reich mit Gold be­setzt. Man kam vor lau­ter Se­hen, Deu­ten und Hin­wei­sen gar­nicht zu sich selbst, so­dass die nicht min­der präch­tig ge­klei­de­ten Leib­gar­den der Kur­fürs­ten kaum be­ach­tet wur­den; ja wir hät­ten uns viel­leicht von den Fens­tern zu­rück­ge­zo­gen, wenn wir nicht noch un­sern Ma­gis­trat, der in fünf­zehn zwei­spän­ni­gen Kut­schen den Zug be­schloss, und be­son­ders in der letz­ten den Rats­schrei­ber mit den Stadt­schlüs­seln auf rot­samt­nen Kis­sen hät­ten in Au­gen­schein neh­men wol­len. Dass un­se­re Stadt­gre­na­dier-Kom­pa­nie das Ende deck­te, deuch­te uns auch eh­ren­voll ge­nug, und wir fühl­ten uns als Deut­sche und als Frank­fur­ter von die­sem Ehren­tag dop­pelt und höch­lich er­baut.

Wir hat­ten in ei­nem Hau­se Platz ge­nom­men, wo der Auf­zug, wenn er aus dem Dom zu­rück­kam, eben­falls wie­der an uns vor­bei muss­te. Des Got­tes­diens­tes, der Mu­sik, der Ze­re­mo­ni­en und Fei­er­lich­kei­ten, der An­re­den und Ant­wor­ten, der Vor­trä­ge und Vor­le­sun­gen wa­ren in Kir­che, Chor und Kon­kla­ve so viel, bis es zur Be­schwö­rung der Wahl­ka­pi­tu­la­ti­on kam, dass wir Zeit ge­nug hat­ten, eine vor­treff­li­che Kol­la­ti­on ein­zu­neh­men und auf die Ge­sund­heit des al­ten und jun­gen Herr­schers man­che Fla­sche zu lee­ren. Das Ge­spräch ver­lor sich in­des, wie es bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten zu ge­hen pflegt, in die ver­gan­ge­ne Zeit, und es fehl­te nicht an be­jahr­ten Per­so­nen, wel­che je­ner vor der ge­gen­wär­ti­gen den Vor­zug ga­ben, we­nigs­tens in Ab­sicht auf ein ge­wis­ses mensch­li­ches In­ter­es­se und ei­ner lei­den­schaft­li­chen Teil­nah­me, wel­che da­bei vor­ge­wal­tet. Bei Franz des Ers­ten Krö­nung war noch nicht al­les so aus­ge­macht, wie ge­gen­wär­tig: der Frie­de war noch nicht ab­ge­schlos­sen, Frank­reich, Kur-Bran­den­burg und Kur-Pfalz wi­der­setz­ten sich der Wahl; die Trup­pen des künf­ti­gen Kai­sers stan­den bei Hei­del­berg, wo er sein Haupt­quar­tier hat­te, und fast wä­ren die von Aa­chen her­auf­kom­men­den Reichs­in­si­gni­en von den Pfäl­zern weg­ge­nom­men wor­den. In­des­sen un­ter­han­del­te man doch und nahm von bei­den Sei­ten die Sa­che nicht aufs strengs­te. Ma­ria The­re­sia selbst, ob­gleich in ge­seg­ne­ten Um­stän­den, kommt, um die end­lich durch­ge­setz­te Krö­nung ih­res Ge­mahls in Per­son zu se­hen. Sie traf in Aschaf­fen­burg ein und be­stieg eine Jacht, um sich nach Frank­furt zu be­ge­ben. Franz, von Hei­del­berg aus, denkt sei­ner Ge­mah­lin zu be­geg­nen, al­lein er kommt zu spät, sie ist schon ab­ge­fah­ren. Un­ge­kannt wirft er sich in einen klei­nen Na­chen, eilt ihr nach, er­reicht ihr Schiff, und das lie­ben­de Paar er­freut sich die­ser über­ra­schen­den Zu­sam­men­kunft. Das Mär­chen da­von ver­brei­tet sich so­gleich, und alle Welt nimmt teil an die­sem zärt­li­chen, mit Kin­dern reich ge­seg­ne­ten Ehe­paar, das seit sei­ner Ver­bin­dung so un­zer­trenn­lich ge­we­sen, dass sie schon ein­mal auf ei­ner Rei­se von Wien nach Flo­renz zu­sam­men an der ve­ne­zia­ni­schen Gren­ze Qua­ran­tä­ne hal­ten müs­sen. Ma­ria The­re­sia wird in der Stadt mit Ju­bel be­will­kommt, sie be­tritt den Gast­hof zum Rö­mi­schen Kai­ser, in­des­sen auf der Born­hei­mer Hei­de das große Zelt, zum Empfang ih­res Ge­mahls, er­rich­tet ist. Dort fin­det sich von den geist­li­chen Kur­fürs­ten nur Mainz al­lein, von den Ab­ge­ord­ne­ten der welt­li­chen nur Sach­sen, Böh­men und Han­no­ver. Der Ein­zug be­ginnt, und was ihm an Voll­stän­dig­keit und Pracht ab­ge­hen mag, er­setzt reich­lich die Ge­gen­wart ei­ner schö­nen Frau. Sie steht auf dem Bal­kon des wohl­ge­leg­nen Hau­ses und be­grüßt mit Vi­vat­ruf und Hän­de­klat­schen ih­ren Ge­mahl: das Volk stimmt ein, zum größ­ten En­thu­si­as­mus auf­ge­regt. Da die Gro­ßen nun auch ein­mal Men­schen sind, so denkt sie der Bür­ger, wenn er sie lie­ben will, als sei­nes­glei­chen; und das kann er am füg­lichs­ten, wenn er sie als lie­ben­de Gat­ten, als zärt­li­che El­tern, als an­häng­li­che Ge­schwis­ter, als treue Freun­de sich vor­stel­len darf. Man hat­te da­mals al­les Gute ge­wünscht und pro­phe­zeit, und heu­te sah man es er­füllt an dem erst­ge­bor­nen Soh­ne, dem je­der­mann we­gen sei­ner schö­nen Jüng­lings­ge­stalt ge­neigt war und auf den die Welt bei den ho­hen Ei­gen­schaf­ten, die er an­kün­dig­te, die größ­ten Hoff­nun­gen setz­te.

Wir hat­ten uns ganz in die Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft ver­lo­ren, als ei­ni­ge her­ein­tre­ten­de Freun­de uns wie­der in die Ge­gen­wart zu­rück­rie­fen. Sie wa­ren von de­nen, die den Wert ei­ner Neu­ig­keit ein­se­hen und sich des­we­gen be­ei­len, sie zu­erst zu ver­kün­di­gen. Sie wuss­ten auch einen schö­nen mensch­li­chen Zug die­ser ho­hen Per­so­nen zu er­zäh­len, die wir so­eben in dem größ­ten Prunk vor­bei­zie­hen ge­sehn. Es war näm­lich ver­ab­re­det wor­den, dass un­ter­wegs, zwi­schen Heu­sen­stamm und je­nem großen Ge­zel­te, Kai­ser und Kö­nig den Land­gra­fen von Darm­stadt im Wald an­tref­fen soll­ten. Die­ser alte, dem Gra­be sich nä­hern­de Fürst woll­te noch ein­mal den Herrn se­hen, dem er in frü­he­rer Zeit sich ge­wid­met. Bei­de moch­ten sich je­nes Ta­ges er­in­nern, als der Land­graf das De­kret der Kur­fürs­ten, das Fran­zen zum Kai­ser er­wähl­te, nach Hei­del­berg über­brach­te und die er­hal­te­nen kost­ba­ren Ge­schen­ke mit Be­teu­rung ei­ner un­ver­brüch­li­chen An­häng­lich­keit er­wi­der­te. Die­se ho­hen Per­so­nen stan­den in ei­nem Tan­nicht, und der Land­graf, vor Al­ter schwach, hielt sich an eine Fich­te, um das Ge­spräch noch län­ger fort­set­zen zu kön­nen, das von bei­den Tei­len nicht ohne Rüh­rung ge­sch­ah. Der Platz ward nach­her auf eine un­schul­di­ge Wei­se be­zeich­net, und wir jun­gen Leu­te sind ei­ni­ge Mal hin­ge­wan­dert.

So hat­ten wir meh­re­re Stun­den mit Erin­ne­rung des Al­ten, mit Er­wä­gung des Neu­en hin­ge­bracht, als der Zug aber­mals, je­doch ab­ge­kürzt und ge­dräng­ter, vor un­sern Au­gen vor­bei­wog­te; und wir konn­ten das Ein­zel­ne nä­her be­ob­ach­ten, be­mer­ken und uns für die Zu­kunft ein­prä­gen.

Von dem Au­gen­blick an war die Stadt in un­un­ter­bro­che­ner Be­we­gung: denn bis alle und jede, de­nen es zu­kommt und von de­nen es ge­for­dert wird, den höchs­ten Häup­tern ihre Auf­war­tung ge­macht und sich ein­zeln den­sel­ben dar­ge­stellt hat­ten, war des Hin- und Wi­der­zie­hens kein Ende, und man konn­te den Hof­staat ei­nes je­den der ho­hen Ge­gen­wär­ti­gen ganz be­quem im ein­zel­nen wie­der­ho­len.

Nun ka­men auch die Reichs­in­si­gni­en her­an. Da­mit es aber auch hier nicht an her­ge­brach­ten Hän­deln feh­len möge, so muss­ten sie auf frei­em Fel­de den hal­b­en Tag bis in die spä­te Nacht zu­brin­gen, we­gen ei­ner Ter­ri­to­ri­al- und Ge­leitss­trei­tig­keit zwi­schen Kur-Mainz und der Stadt. Die letz­te gab nach, die Main­zi­schen ge­lei­te­ten die In­si­gni­en bis an den Schlag­baum, und so­mit war die Sa­che für dies­mal ab­ge­tan.

In die­sen Ta­gen kam ich nicht zu mir selbst. Zu Hau­se gab es zu schrei­ben und zu ko­pie­ren; se­hen woll­te und soll­te man al­les, und so ging der März zu Ende, des­sen zwei­te Hälf­te für uns so festreich ge­we­sen war. Von dem, was zu­letzt vor­ge­gan­gen und was am Krö­nungs­tag zu er­war­ten sei, hat­te ich Gret­chen eine treu­li­che und aus­führ­li­che Be­leh­rung ver­spro­chen. Der große Tag nah­te her­an: ich hat­te mehr im Sin­ne, wie ich es ihr sa­gen woll­te, als was ei­gent­lich zu sa­gen sei; ich ver­ar­bei­te­te al­les, was mir un­ter die Au­gen und un­ter die Kanz­lei­fe­der kam, nur ge­schwind zu die­sem nächs­ten und ein­zi­gen Ge­brauch. End­lich er­reich­te ich noch ei­nes Abends ziem­lich spät ihre Woh­nung und tat mir schon im Voraus nicht we­nig dar­auf zu gute, wie mein dies­ma­li­ger Vor­trag noch viel bes­ser als der ers­te un­vor­be­rei­te­te ge­lin­gen soll­te. Al­lein gar oft bringt uns selbst, und an­de­ren durch uns, ein au­gen­blick­li­cher An­lass mehr Freu­de, als der ent­schie­dens­te Vor­satz nicht ge­wäh­ren kann. Zwar fand ich ziem­lich die­sel­be Ge­sell­schaft, al­lein es wa­ren ei­ni­ge Un­be­kann­te dar­un­ter. Sie setz­ten sich hin, zu spie­len; nur Gret­chen und der jün­ge­re Vet­ter hiel­ten sich zu mir und der Schie­fer­ta­fel. Das lie­be Mäd­chen äu­ßer­te gar an­mu­tig ihr Be­ha­gen, dass sie, als eine Frem­de, am Wahl­ta­ge für eine Bür­ge­rin ge­gol­ten habe und ihr die­ses ein­zi­ge Schau­spiel zu teil ge­wor­den sei. 5ie dank­te mir aufs ver­bind­lichs­te, dass ich für sie zu sor­gen ge­wusst und ihr zeit­her durch Pyla­des al­ler­lei Ein­läs­se mit­tels Bil­let­te, An­wei­sun­gen, Freun­de und Vor­spra­che zu ver­schaf­fen die Auf­merk­sam­keit ge­habt.

Von den Reichs­klein­odi­en hör­te sie gern er­zäh­len. Ich ver­sprach ihr, dass wir die­se wo mög­lich zu­sam­men se­hen woll­ten. Sie mach­te ei­ni­ge scherz­haf­te An­mer­kun­gen, als sie er­fuhr, dass man Ge­wän­der und Kro­ne dem jun­gen Kö­nig an­pro­biert habe. Ich wuss­te, wo sie den Fei­er­lich­kei­ten des Krö­nungs­ta­ges zu­se­hen wür­de, und mach­te sie auf­merk­sam auf al­les, was be­vor­stand und was be­son­ders von ih­rem Plat­ze ge­nau be­ob­ach­tet wer­den konn­te.

So ver­ga­ßen wir, an die Zeit zu den­ken: es war schon über Mit­ter­nacht ge­wor­den, und ich fand, dass ich un­glück­li­cher­wei­se den Haus­schlüs­sel nicht bei mir hat­te. Ohne das größ­te Auf­se­hen zu er­re­gen, konn­te ich nicht ins Haus. Ich teil­te ihr mei­ne Ver­le­gen­heit mit. »Am Ende«, sag­te sie, »ist es das bes­te, die Ge­sell­schaft bleibt bei­sam­men.« Die Vet­tern und jene Frem­den hat­ten schon den Ge­dan­ken ge­habt, weil man nicht wuss­te, wo man die­se für die Nacht un­ter­brin­gen soll­te. Die Sa­che war bald ent­schie­den; Gret­chen ging, um Kaf­fee zu ko­chen, nach­dem sie, weil die Lich­ter aus­zu­bren­nen droh­ten, eine große mes­sin­ge­ne Fa­mi­li­en­lam­pe mit Docht und Öl ver­se­hen und an­ge­zün­det her­ein­ge­bracht hat­te.

Der Kaf­fee diente für ei­ni­ge Stun­den zur Er­mun­te­rung; nach und nach aber er­mat­te­te das Spiel: das Ge­spräch ging aus, die Mut­ter schlief im großen Ses­sel, die Frem­den, von der Rei­se müde, nick­ten da und dort, Pila­des und sei­ne Schö­ne sa­ßen in ei­ner Ecke. Sie hat­te ih­ren Kopf auf sei­ne Schul­ter ge­legt und schlief; auch er wach­te nicht lan­ge. Der jün­ge­re Vet­ter, ge­gen uns über am Schie­fer­ti­sche sit­zend, hat­te sei­ne Arme vor sich über ein­an­der ge­schla­gen und schlief mit auf­lie­gen­dem Ge­sich­te. Ich saß in der Fens­te­r­e­cke hin­ter dem Ti­sche, und Gret­chen ne­ben mir. Wir un­ter­hiel­ten uns lei­se; aber end­lich über­mann­te auch sie der Schlaf, sie lehn­te ihr Köpf­chen an mei­ne Schul­ter und war gleich ein­ge­schlum­mert. So saß ich nun, al­lein wa­chend, in der wun­der­lichs­ten Lage, in der auch mich der freund­li­che Bru­der des To­des zu be­ru­hi­gen wuss­te. Ich schlief ein, und als ich wie­der er­wach­te, war es schon hel­ler Tag. Gret­chen stand vor dem Spie­gel und rück­te ihr Häub­chen zu­rech­te; sie war lie­bens­wür­di­ger als je und drück­te mir, als ich schied, gar herz­lich die Hän­de. Ich schlich durch einen Um­weg nach un­serm Hau­se: denn an der Sei­te, nach dem klei­nen Hirsch­gra­ben zu, hat­te sich mein Va­ter in der Mau­er ein klei­nes Guck­fens­ter, nicht ohne Wi­der­spruch des Nach­barn, an­ge­legt. Die­se Sei­te ver­mie­den wir, wenn wir nach Hau­se kom­mend von ihm nicht be­merkt sein woll­ten. Mei­ne Mut­ter, de­ren Ver­mit­te­lung uns im­mer zu gute kam, hat­te mei­ne Ab­we­sen­heit des Mor­gens beim Tee durch ein früh­zei­ti­ges Aus­ge­hen mei­ner zu be­schö­ni­gen ge­sucht, und ich emp­fand also von die­ser un­schul­di­gen Nacht kei­ne un­an­ge­neh­men Fol­gen.

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9783962818869
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