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Читать книгу: «Die Hallig», страница 4

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V

 
So güterreich,
Und doch so arm;
So künstlich heiß,
Und doch nicht warm;
So überfein,
Und doch so roh;
 
 
Genuß und Spiel,
Und nimmer froh;
Nur Glanz und Pracht,
Kein Morgenrot:
Fehlt da zum Schluß
Denn noch der Tod?
 

Zu den am Strande Versammelten hatte sich nun auch der Pastor Hold eingefunden, welcher Godber, den er, obwol erst seit einigen Jahren auf der Hallig angestellt, doch schon aus Maria’s Erzählungen kannte, freundlich begrüßte.

Da das Haus, welches die Fremden zuerst aufgenommen, nicht geräumig genug war, sie auch ferner zu beherbergen, erboten sich Hold und Andere der Gemeinde zur gastfreundlichen Aufnahme, wobei aber, aus demselben Mangel an Raum, eine Trennung vorausgesetzt werden mußte. Als nun Godber mit dem Vorschlage hervortrat, seine väterliche Wohnung, die ja ganz unbesetzt sei, mit den notwendigsten Möbeln und Geräten für Alle einzurichten, wie denn auch sein leerer Schafstall den besten Raum für die zu bergende Ladung darböte und die Anwesenden auf das Bereitwilligste ihren Beitrag zu dieser Einrichtung versprachen, entschied sich Idalia sogleich für die Annahme. Sie sprach unter fröhlichem Händeklatschen laut ihren Jubel darüber aus, dort als regierende Hausfrau zu schalten, und malte ihre Phantasie jenes häusliche Walten ihr zu dem lieblichsten idyllischen Bilde aus. Mander fand es aber passend, eine ältere und erfahrenere Martha um ihre Mithülfe zu bitten. So zogen denn Mander und Oswald, Godber und Idalia, nebst einer bejahrten und verständigen Frau von der Hallig, in Godbers Wohnung ein und die Andern verfügten sich nach ihren verschiedenen Häusern, um dort das Notwendigste für die ersten Bedürfnisse der fremden Familie auszuwählen.

Für diesen Tag war Idalia vollauf beschäftigt, um, so weit es die Umstände erlaubten und die empfangenen Sachen es zuließen, Alles auf das Zierlichste und Freundlichste einzurichten. Wol zehnmal mußte hier ein Stuhl anders angesetzt, dort ein Tisch anderswohin gerückt werden, und es gehörte der ganze geduldige Gehorsam einer Halligbewohnerin dazu, um ihrer Gefährtin bei diesen derselben ganz zwecklos scheinenden Veränderungen nicht den übernommenen Dienst zu verleiden. Godber lächelte innig vergnügt über diese Geschäftigkeit, und putzte nach Idalia’s einander drängenden Anordnungen an der Reinigung und Ausschmückung der Stuben mit, als gelte es, die Kajüte des Kapitäns für den Empfang vornehmer Gäste zu bereiten. Mander selbst freute sich über dieses früher nie bemerkte Wolgefallen seiner Tochter an solchem Treiben. Nur Oswald bemerkte spottend, wie gut es sei, daß der Mittagstisch heute vom Pastorate aus bestellt würde, und verglich seine Schwester mit dem Vetter Fritz, der, als man ihm bei einem Diesput vorwarf: „Sie werden ja immer confuser!“ rasch antwortete: „Nein, ich ordne nur meine Gedanken!“

Es möchte hier Zeit sein, einen nähern Blick auf des jungen Mander’s Charakter zu werfen. Zeigte er sich bisher nur als einen jener faden und ärmlichen Menschen, auf die allein die sinnliche Seite des Lebens Einfluß hat, und die der Erhebung über die Welt des Genusses nicht fähig sind, so hat er sich damit nicht so ganz dargestellt, daß unser Urteil über ihn nun als ausgemachte Wahrheit feststände. Vielmehr, obwol beinahe zwei Jahre jünger als seine dreiundzwanzigjährige Schwester, war doch auch sein Benehmen nicht mehr der offene Spiegel seines Herzens, sondern wie sie Berechnung und Gefühl also verschmolz, daß auch der erfahrenste Menschenkenner oft schwer hätte unterscheiden können, wodurch ihr Betragen bestimmt und geleitet wurde, gleichwie ihr selbst jene Unterscheidung nicht leicht möglich gewesen wäre, so vereinte sich bei ihm ein Herz, fähig der wärmsten Empfindung für alles wahrhaft Große und Schöne, mit der fast ausschließlichen Richtung seines Lebens auf das sinnliche Gefallen und körperliche Behagen. Es war nicht etwa eine blose Maske, die er vornahm, wenn er sich so aussprach und so handelte, als ob er nichts Höheres kenne über des Leibes Wolsein und der Sinne Ergötzung hinaus; nein, er gehörte zu dem Schwarm junger Großstädter, die es Lebensphilosophie nennen, alle ernster anschlagenden Saiten des Herzens in den frivolen Ton einer Brust umzustimmen, in welcher nur Gedanken an Theater, Schmausereien, Trinkgelage, Bälle und Liebschaften Raum haben. Er war noch zu jung, als daß jene Philosophie, die Ausgeburt eines gefallenen Geistes, der das Gemälde seiner Erniedrigung übertünchen und die Stimme des Gewissens übertäuben wollte, dadurch, daß er für seine Tierheit den Namen System mißbrauchte, in ihm so feste Wurzel gefaßt haben sollte, um alle Keime des wahren Lebens zu überwuchern und zu ersticken. Er war aber doch ein zu gelehriger Jünger zu den Füßen dieser Seelenverkäuferin gewesen, um sich nicht selbst zu überreden, daß er ganz das sei, wofür er sich gab, um wenigstens nicht vor Andern das Ansehen behaupten zu können, ein Meister in der Kunst der Erbärmlichkeit zu sein. Natürlich mußten Stunden im Leben, wie die auf der stürmenden See, ihm seine Blöße zeigen; aber eben darum bemühte er sich nur desto mehr, sie aus seinem Gedächtnis zu tilgen und den Eindruck, den in solchen Momenten die traurige Gestalt seiner sogenannten Weltansicht auf ihn und Andere gemacht haben könnte, durch eine schnelle Rückkehr in das alte Geleis zu verwischen, so sehr auch die mahnende Stimme des gewaltsam erweckten besseren Sinnes gegen ein solches Benehmen sprach. Daher war auch sein Lachen und Scherzen gleich nach der Errettung aus dem drohendsten Untergang mehr eine widernatürliche Anspannung seiner Kräfte gegen sich selbst, als, wie er sich und Andere überreden mochte, ein Zeugnis seines leichten Sinnes.

Es gehört die Stimme eines Propheten dazu, um die Nachtwandler zu wecken, die auf dem Pfade fortgehen, den Oswald betreten, diese Damen und Herren, denen im Besitz und Genuß aller Güter des Lebens nur Eines fehlt, das Leben selber. Aber nirgends deutlicher als an ihnen zeigt sich die Wahrheit des Wortes Christi: „wer nicht glaubet, ist schon gerichtet!“ Die ganze fade Armseligkeit ihres Daseins mitten in der Fülle ist ihr Gericht. Gleich einer Verwünschung wirkt schon die Zeichnung eines ihrer „himmlischen“ Tage auf das Gemüt. Diese stundenlange Toilette mit allen ihren jämmerlichen Künsten und dabei das Entzücken über eine wolgelungene Schleife, über die Zier eines neumodischen Kleides, dieser letzte triumphierende Blick in den Spiegel, dieser Wonnegedanke, so Bewunderung zu ernten. Nur ein paar Besuche gegeben oder angenommen, Gespräche in nichtsmeinenden und nichtssagenden Formeln sich bewegend, oder an der ersten Melone, an der neuesten Oper, an dem letzten Ball mit einer Zähigkeit haftend, als ob man sich es bewußt wäre, daß darüber hinaus aller Gedankenvorrat erschöpft sei. Glücklich, wenn eine Stadtneuigkeit, ein eben herausgekommener Roman, oder ein Körnchen Medisance, das schnell auf fruchtbarem Boden fortwuchert, von der Verstandesmarter, unterhaltend zu sein, erlösen und das Lob eines interessanten Gesprächs auf die Sprecher zurückspiegeln. Nun die Tafel mit ihren Leckerbissen und feinen Weinen. Eine gute Gelegenheit, von zarter Constitution, Krieg und Frieden, Hungersnot und Cholera, Volksaufständen und Militärparaden in demselben Gemenge zu reden, in welchem die Kunst des Koches vorliegt. Dann das Concert, wo die schmelzendsten Töne den Weg nicht zum Herzen, sondern nur zu der zahlenden und klatschenden Hand suchen, oder das Theater, wo Thekla auf die Geisterstimme des Souffleurs lauscht und der ermordete Wallenstein auf die Danksagung gegen das hervorrufende Publikum denkt, während dieses allvergessend von Loge zu Loge kokettirt. Oder der Ball, der, den Staub einer schwindsüchtigen Gallopade aufwirbelnd, noch das letzte Fünkchen Leidenschaft in der hohlen Brust anfacht, um das künstlich erregte Blut mit dem künstlichen Eise wieder zu dämpfen. Und dieses Leben, dessen schmutzige Orgien, so wol sie sich mit der feinen Glätte und Zierlichkeit jener Menschen vertragen, wir nicht aufdecken wollen, sollte nicht mitleidenswert sein? Sollte nicht in seiner Flachheit und Fadheit eine Jammergestalt darstellen, gegen die der frechste und roheste Uebertreter aller göttlichen und menschlichen Gesetze noch ein Mensch ist? Er ist doch noch ein Wesen, das Etwas ist, und darum kann er auch noch inne werden den Richter der Lebendigen und der Toten und umkehren von seinem Wege. Auf jener Flachheit gefriert aber der Thau vom Himmel wie auf dem Spiegel des Eises. In jener Fadheit wird jedes Mannakorn aus den Wolken zu geschmackloser Spreu. Wo eine Kraft wirken soll, da muß auch eine Kraft sein, auf die sie wirken kann, sonst geht ihre Wirkung in leere Winde. Wie soll man aber jene mit Dunst erfüllten Totengerippe fassen? Sie thun den Mund auf und nennen ihre Dunstblasen feine Bildung; sie gehen ihren Weg hin und atmen sich ihre Leichengerüche zu als Nahrung für Geist und Herz. Tritt ihnen das Leben entgegen, so wenden sie sich verächtlich ab, als hätten sie Moder und Verwesung gesehen. Ihre Armseligkeit ist ihnen Reichtum, ihre Erniedrigung Hoheit, ihr Unsinn Weisheit, ihre Verdammnis Seligkeit.

So sind sie, wenn auch für den nur obenhin Schauenden mit lieblicher Schale doch durch und durch eine faule Frucht, die, abgefallen vom Baume des Lebens, im Staube liegt, und sich freuet dieses Staubes, ohne Sehnsucht wieder hinauf zu der grünen, frischen Krone.

Hold mochte, als er später den jungen Mander näher kennen lernte und sich die eigenen in großstädtischen Kreisen gemachten Erfahrungen vergegenwärtigte, manches dem hier Ausgesprochenen Aehnliche gedacht haben. Denn wir finden in einer Handschrift von ihm, der er den etwas auffallenden Titel: „Gesichte“ gegeben hat, und woraus wir vielleicht noch einige Mitteilungen vorlegen werden, aus jener Zeit unter Anderem auch folgendes Gesicht:

Ich sah ein kleines Mädchen mit allen Zügen des Hungers auf den bleichen eingefallenen Wangen und mit der Blöße der tiefsten Armut angetan, am Wege sitzen. Ihr Alter mochte zehn bis zwölf Jahre sein, aber ihr Körper war klein und schlaff, wie das kränkelnde Gewächs eines Treibhauses. – Und ein Weib, reinlich aber ärmlich gekleidet, am Busen einen lächelnden Säugling und an der Hand einen hüpfenden Knaben. Ein Korb hing an ihrem Arm. Ihr eilender Schritt stockte an der Seite des Mädchens am Wege; sie ließ die Hand des Knaben fahren und blickte auf ihren Korb. Aber sie ging vorüber und schritt über einen Steg auf das Feld zu einem arbeitenden Manne. Der wischte sich mit dem nervigen Arm den Schweiß von der Stirne und nahm das schwarze Brod aus dem Korbe, während der Knabe für ihn die Flasche aus der nahen Quelle füllte. Da sah das Mädchen am Wege hinüber nach dem Brote, und der Mann brach es in zwei Hälften und trat hin und gab der Hungrigen die eine Hälfte. Sie dankte ihm mit der Begierde, mit welcher sie die Gabe an ihren Mund brachte. Da glitt der Blick des Mannes noch einmal über die ganze Gestalt hin und er legte nun auch die andere Hälfte des Brotes in ihren Schooß. Das Mädchen vergaß ihren Hunger und blickte ihm staunend nach, wie er über den Graben zurückschritt. Sein Weib aber strich mit der Hand über die Augen, als weinte sie, und wischte dann mit ihrer Schürze sorgsam den Schweiß von seiner Stirne, und es schien mir auch, daß sie ihn küßte. Da setzte er sich mit ihr nieder in den Schatten eines Dornbusches, und neben ihnen stand der leere Korb. Sie aber spielten mit dem lächelnden Säugling. Eine Karosse fuhr unterdessen vorüber auf dem Wege, und die darinnen wandten ihre Augen weg von den Menschen zur Rechten, und ich hörte nur noch den Theaterbericht des Herrn, der zur Linken ritt: Ach! das dumme Stück: die Waise.

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

Weiter ging ich und sah nur noch, wie der Mann im Felde freundlich nickte, als ich dem armen Mädchen, schamrot über die geringe Gabe, zwei Silberstücke gab. Wie viel mehr hatte er gegeben! – Immer schöner entfaltete sich die Gegend vor meinem Blicke. Wie ein Garten Gottes lag sie da, gekleidet in Seiner Schöne, erfüllt mit dem Reichtum Seiner Herrlichkeit, träufelnd von dem Segen Seiner Güte und duftend in dem Odem Seiner Allgegenwart. Dort der Saum schützender Gebirge, deren freie Gipfel aus der Tannenwaldung sich erhoben, hier das weiche Grün kräuterreicher Weiden, auf denen die gesättigte Kuh ihre breiten Glieder in den Klee streckte, während das mutige Roß im geflügelten Lauf seine Kräfte übte. Tiefer hinab der schlängelnde Strom, dem fremden Segler nach den Gefahren des Oceans eine willkommene Straße und dem Fischer am Ufer eine Quelle genügsamen Reichtums. Weiter ging ich, doch nur bis zu der breitästigen, dichtbelaubten Eiche am grünen Hügel. Da drang es, wie eine Stimme aus der Höhe überwältigend in mein Herz: „Sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist!“ Mein Fuß hatte in diesem Tempel Gottes den Altar gefunden, an welchem Keiner vorübergehen kann, ohne ein Opfer der Bewunderung und des Dankes gegen Den, dessen Werke so groß und so viel, der sie alle weislich geordnet und die Erde erfüllet mit Seinen Gütern! Und es dauerte lange, ehe ich, froh und verklärt, wie Einer, dessen Glaube zum Schauen geworden ist, dem Hause am Fuße des Hügels mich nahte. Mit seinen roten Ziegeln ragte es weit über die schattenlose Anpflanzung ausländischer Sträucher hervor, und in seiner Größe verdeckte es fast ganz das dahinterliegende Dorf. Die Inschrift: „Zum ländlichen Vergnügen,“ prangte in goldenen Buchstaben über der Thür. Auf dem Vorhofe hielten mehrere Karossen, und reichbordirte Livreebediente zechten und lärmten auf der nahen Kegelbahn. Die Gäste drinnen aber vergnügten sich mit lautem Geräusch am Billard, und als ich ein stilles Nebenzimmer suchte, trafen mich die finstern Blicke gestörter Kartenspieler. Vor ihrem unfreundlichen Murren flüchtete ich in eine andere Stube. Hier aber saßen viele Herren und Damen und blätterten in Journalen und Modezeitungen, bis die Abbildung eines Pariser Maskenanzuges alle Blicke auf sich zog, und allerlei sehnsüchtige Ausrufungen und witzige Bemerkungen hervorriefen. Doch störten diese die eine junge Dame nicht, die selbstgefällig eine Arie aus Fra Diavolo am Fortepiano mit heller Stimme sang. Wie sie aber aufstand, drängte sich Alles an sie heran, ihrem entzückenden Gesange und kunstreichen Spiele zu huldigen.

Da kam mir der Garten Gottes rings um dies „ländliche Vergnügen“ her in den Sinn, und ich dachte: „sie sind schon gerichtet!“

Plötzlich rief eine Stimme aus dem Fenster: „Singe Du uns auch einmal etwas vor!“ und als Alle nun sich dahin wandten, blickte auch ich mit auf die Straße. Da stand das Mädchen vom Wege. Sie hatte auf den Gesang gehorcht und wollte sich eben scheu wegschleichen, erschreckt über die Aufmerksamkeit, die sie erregte. Doch der eine Herr zeigte ihr eine Silbermünze und befahl ihr zu bleiben und zu singen; während der Reiter, den ich vom Wege her wieder unter den Gästen erkannte, mit finsteren Augenbrauen und drohender Stimme ihr zurief: „Pack’ Dich, Dirne!“ „Nein, sie soll singen!“ forderten die Uebrigen. Der Reiter aber warf einen Thaler vor sie hin auf die Straße und schrie noch einmal: „Weg mit Dir!“ Da riefen die Andern einen Diener, der ihr den Weg versperren mußte, und wollten sich den köstlichen Spaß nicht nehmen lassen, den Knittelvers irgend eines Gassenliedes von den Lippen der zagenden Unschuld zu hören. „Ich kann nicht singen,“ stammelte ängstlich die Kleine. „So sag’ uns ein Lied her, das Du weißt! Eher darfst Du keinen Finger nach dem Thaler ausstrecken.“ Das Mädchen blickte nach dem Gelde, das zu ihren Füßen lag, dann nach dem Reiter, der sich aber mürrisch vom Fenster weggezogen hatte, und begann endlich mit zitternder Stimme:

Wer nur den lieben Gott läßt walten

Und glaubensvoll —

Aber bei dem schallenden Gelächter, das diese Worte hervorriefen, schreckte das arme Mädchen zusammen; in ihre Wangen schoß die volle Glut der Scham auf, und wie ein gejagtes Reh floh sie über die Straße hinweg. Den Thaler nahm der Diener zu sich und eilte der Schenkstube wieder zu. Die aber drinnen flehten nach diesem Intermezzo bei der Kunstbegabten um eine Arie aus: Robert der Teufel.

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

Zu eng ward mir es in diesem Hause; und ich wandte meine Schritte auf die Straße durch’s Dorf entlang. In der Nähe einer der letzten Hütten gellten die scheltenden Worte: „Du Bastard, komm mir nicht wieder unter die Augen!“ und eine alte, erboste Bäurin stieß die Kleine vom Wege aus ihrer Thür. Die aber setzte sich auf einen Stein und weinte bitterlich. Ich trat hinzu und suchte sie zu trösten, und fragte dann, ob sie von ihren Eltern das Lied gelernt, das sie vorhin hatte aufsagen wollen. „Von meinen Eltern?“ und dabei blickte sie mich verwundert an; „die Mutter schilt nur immer mit mir. Dem blinden Nachbar habe ich es an der Thür abgehorcht, der singt es alle Abend.“ – „So versprich mir, jeden Tag einen Vers aus diesem Liede für dich herzusagen, bis Du groß bist.“ Sie gab dieses Versprechen gern und weinte nicht mehr. „Hier ist auch der Thaler,“ fuhr ich fort, „als Lohn für dein Aufsagen am Fenster.“ Die Kleine griff hastig nach dem Gelde. „Dank, Dank!“ rief sie, „nun kann ich der Mutter eine Decke kaufen.“ Da erfuhr ich, ihre Mutter sei schwer erkrankt und sie ausgesandt, die Großmutter im Dorfe um eine warme. Decke zu bitten. „Nun kann ich eine Decke kaufen!“ mit diesen Worten blickte sie halb trotzig nach der Hütte ihrer Großmutter auf, die sie eben ausgestoßen. Da sah sie die Alte am Fenster und eilte freudig allen Zwist vergessend auf sie zu, in der hochgeschwungenen Hand ihr den Thaler entgegen haltend. Und diese Freude, wem galt sie? Der Mutter, die immer nur schalt! – „Hör’, Kleine!“ rief ich ihr nach. Und ich fragte: „Hast Du nie Deinen Vater gekannt?“ Das Mädchen blickte schüchtern um sich her, als drohe ihr eine Gefahr; dann neigte sie sich näher zu mir hin und flüsterte leise: „Vater ist reich und vornehm, aber ich darf ihn nicht Vater nennen;“ und noch leiser und mit einer Hastigkeit, als fürchte sie sich vor ihren eigenen Worten, fügte sie hinzu: „Der war’s, der mir den Thaler zuwarf.“

Da dachte ich: „sie sind schon gerichtet!“

VI

 
Der Geist mag sich im Werk verkünden,
Das schöpferisch er Dir enthüllt,
Die Macht kann sich ein Zeugnis gründen,
Das mit Bewundrung Dich erfüllt.
Willst Du nach einem Herzen fragen,
Dem Deine Thräne nicht zu klein:
Da muß das Herz an Deinem schlagen,
Muß mit Dir dulden, mit Dir tragen,
Da muß Dein Gott Dir Christus sein.
 

Am Nachmittag nach eingetretener Ebbe begannen die Versuche zur Bergung der Güter aus dem Schiffe, wobei Mander und Oswald mit beschäftigt waren, Godber aber nicht, indem Idalia rund heraus erklärte, daß sie seine Hülfe nicht entbehren könne, wenn die Herren eine ruhige Nacht wünschten.

Hold war zu Maria’s Wohnung gegangen, um ihr seinen Glückwunsch zu der Wiederkehr ihres Verlobten zu bringen. Wie ganz anders traf er es da, als er erwartet hatte. Maria in Thränen schwimmend, ihre Mutter ängstlich um sie her trippelnd, und bald schmeichelnd tröstend, bald eifrig darein redend von Unverstand und Wunderlichkeit.

„Gott Lob!“ rief diese, als sie Hold erblickte, „Gott Lob! Herr Pastor, daß Sie kommen! Ich weiß nichts mehr mit dem Mädchen anzufangen. Da kommt sie diesen Morgen, deckenhoch springend, vor mein Bett gejubelt: Godber ist da! daß ich alte Frau noch den Schreck in allen Gliedern fühle, und nun sitzt sie, seit ich vom Strande zurückgekommen bin, bis jetzt laut weinend und schluchzend auf diesem Flecke, weil sie sich einbildet, die fremde Stadtdame, die wunderlich genug aussieht in unserer Tracht, habe mit ihren langen Locken ihm den Kopf verrückt. Als ob so ein schiffbrüchiges Milchgesicht das hübscheste und fleißigste Mädchen in der ganzen Hallig so mir nichts dir nichts bei ihrem Verlobten ausstechen könnte.“

Und nun erzählte sie, immer dazwischen wieder sich zu der jammernden Maria wendend, Alles was sie von der Armen nach und nach, obwohl ohne rechten Zusammenhang, erforscht hatte, und das freilich in ihrem Munde und mit den mildernden Deutungen, die sie dem Benehmen Godber’s unterlegte, nicht geeignet war, den Pastor von der Untreue desselben zu überzeugen. Doch war er auch zu sehr davon überrascht und ergriffen, ein Herz trostbedürftig zu finden, dessen Jubel er zu einem freudigen Dankgebet hatte leiten wollen, als daß er nicht mit mehr Ernst, denn sonst wohl, in Maria’s Vorstellungen eingegangen wäre. Er glaubte zugleich zu ihrer Beruhigung besser wirken zu können, wenn er ihrem aufgeregten Gefühle keinen Widerspruch entgegensetzte, und sagte daher:

„Wir wollen einmal annehmen, liebe Maria, daß Deine Liebe zu Godber nicht mehr in seinem Betragen erblickte, als darin lag, daß die natürliche Teilnahme, die er für die durch ihn Gerettete haben muß, weiter geht, als Du wünschen kannst, wird er nicht, wenn der erste lebhafte Eindruck vorüber ist, zu der Treue zurückkehren, die er Dir gelobte? Wird er nicht bald sein Herz wiederfinden, das, wie Du aus seinen Briefen weißt, neun Jahre in der Ferne nur allein für Dich schlug, obwohl ihm gewiß schon manche reizendere Gestalt als diese Fremde entgegentrat?“

Maria schüttelte schweigend den Kopf.

„Wenn auch,“ fuhr Hold fort, „in diesem Augenblick die Zuneigung der jungen Stadtdame für Godber vielleicht über die Grenzen der Freundschaft und Dankbarkeit hinausgeht, ist damit schon eine ernsthafte Liebe gewiß? Willst Du von ihr verlangen, daß sie, aus der drohendsten Todesgefahr durch ihn gerettet, sogleich ihre Gefühle auf das Maß beschränke, das sie in der Zukunft bewahren müssen und werden? Diese lockende Sprache und dies verführerische Benehmen, wodurch sie Dir jetzt so viel Weh bereitet, werden sich früh genug zu einem freundlichen Dank, zu einer besonnenen Berücksichtigung der Verhältnisse zurecht finden, und Godber wird, vorausgesetzt, daß Du sein Betragen an diesem Morgen recht beurteilst, gar bald sich als das thörichte Gängelkind einer flüchtigen Aufregung erkennen.“

Maria antwortete noch immer nicht.

„Aber was reden wir weiter davon,“ schloß des Tröstenden Zuspruch; „ist denn Dein Glaube an Godber’s Liebe nicht fester, als daß ein Augenblick ihn erschüttern kann? Ist Euer Bund nicht geschlossen unter dem Aufschauen auf Den, der die Herzen der Menschen lenket wie Wasserbäche? Und sollte der Gott, der ihn nach neun Jahren aus jeglicher Gefahr zu Dir heimgeführt, nun nicht auch ferner wachen, fördern und helfen zu einem glücklichen Ende? Gieb Deine Zukunft hin in des Herrn Hand; Er wird’s wohl machen nach Seinem weisen und gütigen Rat und Willen! Befiehl Ihm Deine Wege. Er ließ noch Keinen ohne Trost und Hoffen, der ihm vertraute.“

„Amen!“ sagte die Mutter, die ihre Hände andächtig gefaltet hatte; aber Maria konnte nicht Amen sagen, und schluchzte nur noch lauter, bis sie in die Worte ausbrach: „Er hat mein Gebet verworfen und mein Vertrauen nicht angesehen!“

„Kind, frevle nicht!“ rief die Mutter ängstlich, und: „Gott behalt’ ihr die Sünde nicht!“ flehte sie mit emporgehobenen Händen, indem die Thränen ihr von den gefurchten Wangen perlten.

Hold sah zu seinem Erstaunen, zu welcher Leidenschaftlichkeit plötzlich Maria’s Liebe gestiegen sei, die während der langen Trennung und bei Godber’s gefahrvollem Leben auf der See so ruhig geblieben war. – Fließt denn nicht auch der kleine Bach der Flur, wie unter des Himmels Stürmen, so im Sonnenschein, gleich ruhig dahin? Von einem rauhen Stein, in seine Bahn geworfen, aber schäumt er heftig auf. – Es konnte hier nicht mehr die Rede davon sein, ob ihre Ansicht falsch oder wahr sei; sondern eine rasche und starke Hülfe that ihrer Seele not. Er faßte daher Maria’s herabgesunkene Rechte und sprach in einem ernsten und ruhigen, aber eindringlichen Tone:

„Wehe den Herzen, die an Gott verzagen, und den Händen, die nicht festhalten! Wir aber schauen auf Jesum Christ, den Anfänger und Vollender des Glaubens. Er kam, den Frieden zu bringen auf Erden. Er hatte nicht, wo er Sein Haupt hinlegte. Er wurde von Seinen Feinden geschmäht, von Seinen Freunden verraten. Er weinte blutige Thränen auf Gethsemane, trug die wundenvolle Dornenkrone und war gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Er hat’s vollbracht! Zu Ihm kommen die Mühseligen und Beladenen und empfangen den Frieden, Seinen Frieden. Was wollen wir weinen und klagen in unserm Leid beim Gedächtnis Seiner Leiden für uns? Was wollen wir weinen und klagen um unser kurzes, vergängliches, irdisches Teil? Haben wir denn nicht mehr empfangen, als die Welt uns nehmen kann? Haben wir nicht Teil an Seinen Segnungen und in diesen den Reichtum der Gottseligkeit, die zu allen Dingen nütze ist und die Verheißung hat dieses und des zukünftigen Lebens? Ich aber hebe meine Augen hinweg von der Welt auf zu der Höhe und frage: was ist der Mensch, o Gott, daß er mehr erbitte, als Deinen Willen, mehr begehre, als Deine Liebe, die sichtbarlich geworden ist auf Erden, und, selbst mit dem bittersten Leid getränkt, freundlich naht dem Herzen voll Gram und spricht: „Sieh mich an und weine nicht! Der Himmel ist Dir offen!“ Die aber der Welt Unruhe und Kümmernis scheidet von Christo und Seiner Liebe, die kreuzigen Ihn auf’s Neue und verderben sich selber. Darum gieb Ihm Dein Herz und bewahre Ihm Deine Treue; und die Stunde in die Du gekommen bist, wird Dich nicht überwinden, sondern durch den Schmerz der irdischen Liebe Deine Liebe zu dem Heiland nur geläutert, erhoben und verkläret werden. Die mit Thränen säen, werden in Freuden ernten!“

Und nun Maria’s Hand in seiner gefalteten erhebend, während sie lautlos in die Knie sank, rief er:

„Herr Gott! Vater alles Dessen, was Kind heißt im Himmel und auf Erden, hier ist Deine Magd. Dein Wille geschehe! Amen.“

Maria betete die letzten Worte leise und mit bebender Stimme nach. Ihre Thränen flossen linder, ihr Blut wallte ruhiger. Da stand sie auf, und das Auge, in welchem noch die letzte Zähre schwamm, nach Oben richtend, die Hände über die Brust faltend, hochatmend wie von einem langen Druck befreit, sprach sie noch einmal lauter und mit festerem Tone:

„Hier ist Deine Magd! Dein Wille geschehe!“ Nun gab sie voll Zuversicht ihrer Mutter das Versprechen, Alles mit Geduld und Stille in des Herrn Hand zu stellen und nur für sie zu leben, und ihr nur Freude zu machen in den Tagen ihres Alters.

Als Hold sich entfernte, dankten ihm weder Maria noch die Mutter für seine Tröstung anders als mit einem Blick voll Herzlichkeit. Sie waren es ja gewohnt, die Prediger auf den Halligen immer als Teilnehmer solcher Stunden zu sehen und den Segen des geistlichen Amtes an sich zu erfahren. Die Mutter, unter einem Vorwande Maria von der Begleitung zurückhaltend, bat noch den Pastor unter der Thür, doch bei Gelegenheit ein ernstes Wörtchen mit Godber zu reden, was er schon ohnedies sich vorgenommen.

Auf dem Heimwege dachte Hold darüber nach, warum die Hinweisung auf Christum augenscheinlich so mächtig auf die Bekümmerte gewirkt. Er glaubte diesen beruhigenden Einfluß nicht allein daraus ableiten zu müssen, daß das Gedächtnis des Herrn in ein höheres Reich einführe, in welchem die weltlichen Freuden und Leiden nur als Schatten und Träume erscheinen, sondern auch darin finden zu dürfen, daß der Friedefürst und Ueberwinder der Welt uns nicht ohne Sein Kreuz und Seine Dornenkrone erscheint.

Der Mensch will schauen, nicht etwa allein der, welcher den Glauben als eine Entwürdigung der Vernunft verwirft, sondern auch der, welcher ein kindlich gehorsames Herz sich bewahrte für das Wort des ewigen Vaters. Bei diesem ist dies Verlangen das allgemeine Bedürfnis der schwachen Natur des Staubes, die auch da, und vielleicht da am dringendsten, eine Ansprache an die Sinne fordert, wo es darauf ankommt, sich aus deren Bereich zu erheben, wie der Adler, der zur Sonne aufstrebt, in der niedern Luftschicht seinen Flügeln allein die Schwungkraft geben kann, mit der sie ihn in ruhiger Schwebung emportragen. Ein Glaube, der nicht von dem: „Wer mich siehet, der siehet den Vater“ ausgehet, wird der Vermittelung ermangeln, wodurch zu dem ewigen, einigen Geist ein Geist sich aufringt, für den das Leibliche nicht blos Behausung ist, sondern zu dessen eigentümlichem Wesen und Sein es gehört, so daß er, wenn auch diese Erdenhülle bricht, doch wieder in einen, wenn auch verklärten Leib gekleidet wird. Mag auch das allgemeine Gefühl der Andacht den Menschen hinauftragen zu den himmlischen Höhen, und, den blöden Sinn überwältigend, ihn an das Vaterherz Gottes legen mit solcher Innigkeit und Zuversicht, als ob der Glaube zum Schauen geworden wäre, so verliert er sich doch auch wieder leicht in den Tiefen der Gottheit, ohne eine feste Ruhestätte gefunden zu haben, und die Frucht seiner Andacht geht ihm verloren in einem unbestimmten Verschwimmen seiner Gedanken und Gefühle. Besonders aber wird es ihm schwer, in Leiden einen dauernden gewissen Trost von dort her zu nehmen, wo kein Leid ist, wo er für die schmerzlichen Gefühle, die ihn bewegen, keinen Anknüpfungspunkt findet und daher oft so vergeblich ringt, das eine Ende seiner Gedanken, womit er an den Schmerz gebunden ist, fahren zu lassen und das andere Ende zu ergreifen, woran er auf der Himmelsleiter sich emporschwingen soll. In Christo sind diese Enden verknüpft. In Ihm sieht der Leidende den friedvollen Himmel und die schmerzensreiche Erde vereint. Er sieht seiner eigenen Herzenswunden blutige Gestalt und zugleich mit demselben Blick den Sieg, der die Welt überwindet, den Frieden, der vom Himmel stammt und zum Himmel führt. So ist ihm an Christi Hand die Bahn zum Vater geebnet. Sie ist kein plötzlicher Aufschwung mehr über den Abgrund seines Kummers hinweg, sondern ein allmäliger Uebergang aus den Dornen in der Tiefe zu den Friedenspalmen auf der Höhe. Er trägt, indem er mit dem leidenden Heilande aufsteigt, gleichsam seine eignen Leiden mit hinauf und fühlt darum die heilende Hand näher und gewisser. Auch in diesem Sinne ist es wahr: „Niemand kommt zum Vater, denn durch den Sohn!“

 
Heiland, Deine bangen Schmerzen
Auf der dornenvollen Bahn
Lassen jedem wunden Herzen,
Ein vertrauter Freund, Dich nahn!
 
 
Heiland, Deine Siegesfreuden
In der Schmach und in der Pein,
Leuchten auf den Quell der Leiden
Mit des Himmels Wiederschein.
 
 
Tau aus ew’gem Lichtgebiete,
Zähren, wie die Erde weint:
Perlen, ihr an einer Blüte,
Trank in einem Kelch vereint;
 
 
Abgrund, den die Nacht geboren,
Kreuz, voll Marter und voll Hohn:
Zur Verherrlichung erkoren,
Lebenswiege, Friedensthron!
 
 
Ja, die Scheidung ist gefallen,
Und verklärt der Erde Leid.
Aufwärts darf der Seufzer wallen,
Gilt er auch dem Traum der Zeit.
 
 
Fand mein Schicksal andre Gleise?
Welche Wandlung ist gescheh’n?
Sieh’, der Freund entführte leise
Hin mich, wo die Palmen weh’n.
 
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
290 стр. 1 иллюстрация
Комментатор:
Правообладатель:
Public Domain

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